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An meine Heilige.

I.
Mein Philister in Teplitz.


Noch einen Tag in Teplitz will ich Dir beschreiben, meine Madonna, ehe ich den Eilwagen nach Prag besteige. Es ist ein Sonntag, und das ist gerade die rechte Beleuchtung für einen Badeort, um alles Schöne und Häßliche in seiner besten Toilette zu erblicken. Komm nur Schlag 11 Uhr mit mir in den anmuthigen Schloßpark, wo vor dem Gartensaale des jungen Fürsten Clari allsonntäglich ein Concert im Freien gegeben wird, welches zum Versammlungspunct des ganzen badenden und nicht badenden Teplitz dient. Nur falle Dir nicht ein, wie mir, früher auszugehn, um auf der Promenade, oder etwa gar in der Kirche, schon interessante Figuren Dir aufzufangen. Die Promenade ist leer, und nur hier und da kommt Dir ein schwererer Kranker, der gebadet hat, verhüllt und auf seinem Rollstuhl entgegengefahren. Und wenn Du die Frommen zu schauen liebst, o Madonna, so suche sie nicht, wie ich, in der schönen Schloßkirche. Ich hatte gern einmal sehen wollen, wie ein Badegast oder eine Badegastin betet, aber es war fast gar nichts zu hören und zu sehen von eleganter Welt vor Petri Pforte. Gott weiß, was die Eleganten noch für Götter haben neben ihm! Aber warte nur bis 11 Uhr, warte nur bis 11 Uhr! Dann werde ich die Brille aufsetzen, und Dir die ganze Flora zeigen. Bis dahin frühstücken wir noch im Gasthof, und lesen die Zeitung, oder blättern in der Badeliste. Oder sprechen wir von Politik, mein Kind!

Ja, höre, liebe Heilige, mir ist eingefallen, daß ich ein schlechter Preusse sein müßte, wenn es mir gar nicht in Teplitz gefiele! Es muß mir also durchaus hier gefallen, denn Alles ist hier Preussisch und Berlinisch, man mag hinsehen, wohin man will. Ganz Teplitz ist eine preussische Provinz, und meine Vaterlandsliebe braucht hier ordentlich stärkende Bäder, wenn ich über die Straßen gehe. Unser König, welcher bekanntlich alle Sommer hier zubringt, wird von der sämmtlichen hiesigen Bevölkerung, die mit einem wahren Herzensenthusiasmus an seiner ehrfurchtgebietenden Erscheinung hängt, nur immer geradezu der König genannt, und so sind wir Berliner alle natürlich wie zu Hause. Auch preussisches Militair jeder Art sieht man hier viel, denn der unermüdlich wohlthuende Sinn des Königs hat selbst für gemeine Soldaten, die erkrankt sind, einen Fonds angewiesen, aus dem sie in die Bäder von Teplitz geschickt werden. Und so müssen mich mehrere Soldaten vom Alexander-Regiment sogar an die Straße erinnern, wo ich in Berlin wohne, weil in deren Nähe die Alexander-Kaserne ist. Kurz, nichts fehlt, um mir den Berliner einzutränken, und ich darf es mir nicht einmal merken lassen, daß ich verzweifele. Ich muß ordentlich wie ein dankbar vergnügter Berliner thun. Und der reiche jüdische Banquier aus der neuen Friedrichstraße, der mit seiner hübschen Frau hier ist, hat mich seinen jungen geistreichen Landsmann genannt, und wir sind Dreie zusammen gegangen auf den Schlackenberg, und haben bewundert die süperbe Aussicht. Itzig & Comp. ist auch dagewesen, und hat gesagt, der Tempelhofer Berg bei Berlin sei doch besser. Hat Itzig Sohn geschrieen aus Leibeskräften, wie ein gebildeter Berliner so wenig Natursinn haben könne. Hat Itzig Vater es bekräftigt, daß doch der Tempelhofer Berg bei Berlin besser sei, weil er sich leichter steigen lasse zu Fuß. Haben sie alle gelacht über den Witz. Bin ich fortgeschlichen wie ein frierendes Windspiel.

Straßen und Häuser erinnern mich hier auch an Preussen. Alles ist so freundlich, so abgeputzt, so neu, so reinlich, wie ein jungfräulicher Staat. Ein jungfräulicher Staat, der eine gewisse Schamhaftigkeit hat, sich ganz zu entfalten. Und seltsam, da kommen mir gleich noch andere Beziehungen, die für Preußen auf diesem Teplitz ruhen, ins Gedächtniß, zum Theil als Erklärung jener Schamhaftigkeit! In Teplitz, in einem Badeort, wurden gewissermaßen die ersten Grundsteine zu der für jeden Patrioten so ernsthaften Wahlverwandtschaft zwischen Rußland, Preussen und Oesterreich aufgerichtet. Denn diese Mächte hatten schon nach der Schlacht bei Culm am 30. August 1813 ihre Hauptquartiere nach Teplitz verlegt, um es für die vielen Bedrängnisse, welche diese Stadt erlitten, zu entschädigen, und unterzeichneten daselbst im September desselben Jahres jene Allianz-Tractate, die damals für die Befreiung Deutschlands von so großen Folgen wurden. Und ich bin wahrhaftig unschuldig daran, wenn es hier Jemand einfallen sollte, den Ton auf Damals zu legen. Was in aller Welt geht mich die Betonung meiner Sätze an? In diesem accentlosen deutschen Leben habe ich längst den Muth verloren, auf die rechte Stelle den Ton zu setzen, wo ich wohl möchte! Die Lehre, mit Accent und Nachdruck zu sprechen, ist eine gefährliche Wissenschaft, und sie wird Einem abgewöhnt in der Spießbürgerprosa unserer Redefreiheit. Ein mattes Leben, seine Aussprache ohne Accente! Da kann kein Schulmeister helfen!

So komm denn, Heilige, lieber in den Schloßgarten! Zeit ist es jetzt. Mädchen, Mädchen, es ist doch eine schöne Welt, – nämlich die, welche sich dort in den bunten Hüten und flatternden Schleiern, im weißen Kleid und durchsichtigen Busenflor, mit den Phantasielocken und Backenbärten, mit dem englischen Frack und den französischen Pantalons, über den Platz am Brunnen hinbewegt. Sie biegen alle in das hohe Portal des Schlosses ein, und wir müssen ihnen nach. Ich höre schon aus der Ferne einige tüchtige Grundstriche der Baßgeige, die Musik im Park hat begonnen. Wir mischen uns in das Gedränge, wir theilen muthig, wie geschickte Schwimmer, den glänzenden Strom, im Vorübereilen manchen schönen Arm streifend. Nun sind wir in der großen Allee, in der sich Alles in wogenden Gruppen auf und niederbewegt, die vornehmsten und reizendsten Gestalten, höchste Welt und anmuthigstes Volk aller Art, Elegantes im Großen, Elegantes im Kleinen. Außerordentlich gut und zahlreich ist besonders die Damen-Vegetation gerathen. Ein unübersehbares Beet strahlender Blumen, frischer und gemachter Rosen. Sie nehmen mehr als Dreiviertel des ganzen Gesichtskreises ein, und würden die Sonne verdunkeln, wenn sie nicht hinter Wolken untergegangen wäre. Man hat eine auserlesene Flora und Fauna fast aller Nationalitäten in einem bunten Festbouquet beisammen.

Dem Concert kehrt man bald den Rücken, bald sucht man es wieder auf. Man läßt sich bald auf den Seitenbänken unter hübscher, selbstgewählter Gesellschaft nieder, bald schiebt man sich in der Mitte der Allee unter auf und nieder wandelnden Reihen fort, und folgt diesem oder jenem Augenstern, der in unser Sonnensystem zu passen scheint. Wahrlich, so viel schöne Mädchengesichter sieht man nur in einem Badeort, der gewissermaßen ein Bazar so mancher Frühlingserstlinge ist, auf einen Punct versammelt, obwohl sonst Teplitz an Eleganz und Reichthum der Toilette zurückstehen muß gegen die übrigen böhmischen Bäder. Dies ist jedoch nur Ergebniß der preussischen Einfachheit, zu welcher der hier verweilende Hof den Ton angiebt.

Wir sehen uns noch ein wenig die Damen an. Jene Engländerin mit ihrer ätherischen Taille erkennst Du gleich heraus. Ein hochgewachsenes, fast durchsichtiges Bild schwebt sie mit ihren schlanken Schritten an dem Arm eines menschenfeindlichen, in einen langen, gelben, vorn ganz zugeknöpften Ueberrock gekleideten Lords vorüber. Sie blickt wenig umher, das blasse feine Gesicht ist meist in etwas gleichgültiger Ruhe auf die Spitze ihrer kleinen Füße gerichtet. Ihre ganze Gestalt ist heller, klarer Krystall, aber ohne farbige Sonnenreflexe. An ihren Bewegungen verräth sich dort die Französin, mit der kleinen zierlichen Figur, dunkelm Teint, starker Gesichtszeichnung und den bedeutend blickenden Augen. Sie geht frei und lächelt sieggewohnt; ihre Blicke beherrschen den ganzen Umkreis der ihr begegnenden Gesichter. Sie weiß unaufhörlich etwas zu sprechen zu ihren Begleiterinnen, sie scheint Esprit zu haben, und macht Bemerkungen. Und das dort ist eine schöne Jüdin aus Berlin, reizend in dem gewissermaßen geklärten Orientalismus, der ihre eigenthümlich geschnittenen Gesichtszüge färbt, mit üppigen, lebensvollen Formen. Ein interessanter Schlag, sehr häufig in Berlin, und in dieser anmuthigen Klärung der Formen Abrahams gewissermaßen die dortige halbe Emancipation des Judenthums ausdrückend. Denn die ganze Emancipation müßte nothwendig entweder rein christliche, oder wieder durchaus stockjüdische Formen geschaffen haben. Jetzt aber erhebe den Blick zu jener polnischen Gräfin, die dort im vollen Glanz und Zauber ihrer Nationalität aus der sie umgebenden Damengruppe hervorragt. Sie ist ganz Polin, die originelle sarmatische Natur kann sich in den feurig sprühenden Bewegungen dieser Gestalt keinen Augenblick verläugnen. Die großen blauen Augen rollen umher und suchen ein Ziel; das Zucken und scharfe Ziehen um den schönen, stolzen Mund scheint jeder Annäherung zu spotten, und doch verräth ein wunderbar blitzender Gesichtszug, daß die Polin genial und hingegeben in der Liebe ist, wie keine andere Frau. Und wer ist die kleine Unschuld, die auf jener Bank so tief verschleiert dasitzt? Ein hübsches, gutes, deutsches Mädchen. Sie sieht aus, als hätte sie sich an frommen Erbauungsschriften, an den Glockentönen von Strauß, und den Stunden der Andacht, etwas schwindsüchtig gelesen. Den Schleier aber hat sie heut nicht aus ascetischer Frömmigkeit heruntergelassen. Die Badekur scheint eine bunte Schärfe auf ihrem nicht uninteressanten Gesicht hervorgelockt zu haben, und daher dieser Nonnenschleier. Auch die Frommen dürfen sich der Weltklugheit gar nicht schämen. –

Alles wäre indeß schon gut, und ich wollte mich mit noch einmal so großer Lust unter diese frohbewegten Reihen mengen, wenn ich nur allein wäre. Ja, ich muß Dir nur gestehen, Madonna, ich bin nicht allein. Es läuft mir immer Jemand nach, ein unausstehlicher Reisegefährte, den ich schlechterdings hier nicht loswerden kann. Es ist der leibhafte und absolute Philister, der sich in Gestalt eines Postsecretairs aus Wittenberg an meine Fersen gehangen hat. Einen langweiligeren, miserableren Menschen sahst Du nie, und, denke Dir, er liebt mich. Ich bin mit ihm von Dresden hieher gefahren, und nun drängt er mir unaufhörlich seine Gesellschaft auf, weil er sich allein nicht getraut, sich die Stadt zu besehen. Er will überall mit mir gehen, ich soll überall mit ihm, denn der deutsche Philister ist ängstlich, sobald er unter Menschen geräth, die zwei Augen und eine Nase haben. So ist er wie ein Kind, und doch wieder wie ein Teufel der Langenweile, und ich könnte mich todt über ihn lachen, wenn mir nicht unheimlich würde vor der bewundernswürdigen Oede seiner Gestalt. Stelle Dir einen langen, noch um zwei Kopfgrößen mich überragenden Jüngling vor, mit einem selbstgefälligen Blick, einen Jüngling, der einen hellblauen Frack mit übernatürlich großen Messingknöpfen, dazu ein Paar weiße, grobe Leinwandsbeinkleider von ungeheuerer Weite, die einen Faltenwurf werfen, wie ihn kein Phidias nachmeißeln würde, und auf dem Kopfe einen weißen Quäker trägt. In diesem Aufzuge muß ich mit ihm gehn, o Heilige! und der eleganten Welt von Teplitz mich präsentiren. Und wenn er so mit seinen großen Plumpstiefeln, die immer so unverschämt unter ihm knarren, daß uns die nervenschwachen Damen schon fürchterliche Blicke zugeworfen haben, wenn er so in dieser fragwürdigen Erscheinung an meiner Seite hinschreitet, ist mir in meiner Angst ordentlich zu Muthe, als ginge unser ganzes philisterhaftes deutsches Wesen, zu einer allegorischen Figur ausgeknetet, in Person eines Wittenberger Postsecretairs mit mir spazieren. Ich fange auch schon an, ihn wirklich für eine Allegorie zu halten, deshalb schone ich ihn noch, denn sonst wäre, bei Gott, entweder die Bizarrerie oder die Gutmüthigkeit, daß ich ihn ertrüge, zu verdammenswürdig an mir! Dennoch suche ich ihm zu entwischen, so oft ich kann, und jage mich ordentlich mit ihm umher durch Teplitz, aber der Philister muß etwas von dem weltbekannten Ueberall und Nirgends besitzen, denn wo ich nur um eine Ecke herumbiege, steht er vor mir, und wenn ich ins Concert oder Theater gehe, hat er sich schon unter der Thür an meinen Arm gehängt. Er hält mich für einen Doctor der Medizin, und glaubt vielleicht, daß ich ihn von einem alten Schaden curiren könne, an dem er zu leiden scheint, deshalb besonders mag er so anschmieglich an mich sein. Jetzt hat er sich, Gott sei es geklagt, auch im Schloßgarten plötzlich wieder zu mir gesellt. Er marschirt wacker neben mir her, schwenkt mit einer Art von lächerlicher Majestät seinen langen Oberleib, und tritt mir bei Gelegenheiten einmal mit seinen großen, stolpernden Beinen auf die Füße, wahrscheinlich um mich aufmerksam zu machen auf diese oder jene vorbeiwandelnde Schönheit. Wenigstens nehme ich es so an, weil er sich nie entschuldigt. –

Nun aber habe ich dem Philister einen rechten Streich gespielt. Mehrere hohe Personen vom Hofe sind gekommen, und es ist ein großes Gedränge der Neugierigen und Schauenden um dieselben entstanden. Da habe ich den Philister mitten hineingestoßen, und bin ihm unter der Menge unvermerkt wieder entlaufen. Während er jetzt steht und sich den Hof ansieht, eile ich weit weg mit freier athmendem Herzen, ich wische mir den Angstschweiß von meiner Stirn, und wandle auf leichter beflügelten Sohlen dem Ende der Allee zu, wo ich einige höchst interessante Gestalten ins Auge gefaßt habe. Es ist – ja, Heilige! es ist – eine schöne Kokette, die mir dort, am Arm zweier andern Damen, so merkwürdig und vor allen auffallend erschienen ist! Ich begebe mich, aus alter astronomischer Beobachtungslust, in den gefahrvollen Dunstkreis dieses feuerstrahlenden Kometen.

Ich muß sie eine Kokette nennen, aber sie ist die größte, die genialste, die ich jemals sah. Sie ist eine bewundernswürdige Virtuosin ihrer selbst. Eine Virtuosin ihrer selbst, sage ich, denn sie wendet eine Kunst und Begeisterung daran, um sich selbst zu spielen, und sie spielt so ausgezeichnet, daß man sie bei jeder Bewegung herausrufen möchte. Sieh nur, wie sie geht, wie sie blickt, wie sie stillsteht, wie sie die Hand aufhebt, wie sie die gedankenleichte Gestalt davonträgt, wie sie dem lebhaften Gespräch sich bald zu- bald abwendet, bald eine Locke im Nacken zurechtdrückt, bald sinnend ein flatterndes Band durch die Finger gleiten läßt. Keine Muskel regt sich an ihr unwillkürlich, jede Miene, jede Handbewegung ist eine Rolle, die sie mit Feinheit und Grazie ausstudirt hat. Und über all' diese bewußte Absicht der Erscheinung hat die Macht des Talents doch den Zauber einer gewissen bewußtlosen Unbefangenheit ausgegossen. Sie hat die ausgerechnete Mathematik der Theile zur tönenden Musik eines Ganzen verschmolzen, und über das abgezimmerte Fächerwerk der ausgeklügelten Regel den freien Leichtsinn einer geistreichen Zerstreutheit gehaucht. So muß jeder gute Künstler seine Absichten verstecken. Und sie ist Schauspielerin und Künstlerin ihrer selbst, ich habe es gesagt, aber um die Illusion zu erhöhen, muß auch die Seele selbst mitspielen, und muß mitreden und mitzaubern. Denn die allergrößte Verführung ist doch eine Seele. Dies kannst Du an ihr sehen zu Deiner Verwunderung. Ihre Seele ist bildende Künstlerin geworden in ihren Gliedern, und lächelt, wie eine triumphirende Göttin, durch die irdische Schönheit der Gestalt hindurch. Dem Philosophen, welcher die Selbstkenntniß als die höchste Weisheit gepredigt, hätte ich es gewünscht, diese Kokette zu sehn. Die hatte es am weitesten gebracht in dieser Wissenschaft. Sie kannte sich selbst aus dem Grunde, denn sie wußte Alles an sich zu gebrauchen und auftreten zu lassen, was der Mensch, diese Fleischwerdung nach Gottes Ebenbild, Reizendes hat. Ihre Augen, ihre Blicke, ihr Umsehn, ihr Oeffnen des Mundes zum Lachen, wobei sie mit unbeschreiblicher Anmuth die kleinen weißen Kunstwerke ihrer Zähne zeigt, Alles verräth die wohlangewandteste Selbsterkenntniß, und zugleich einen mildthätigen Sinn, indem sie Jedem der Vorübergehenden aus dem reichen Füllhorn ihres Ueberflusses eine Augenweide spendet.

Auch ich bin, mit der Ironie eines stummen Bettlers, schon mehreremal an dieser holden Geberin vorübergegangen, und habe mir manches überraschende Almosen geholt. Es ist ein Schauspiel, ihren großen, sicher blickenden Augen zu folgen, wie sie von einem Gegenstand auf den andern hinschwärmen, keinen zu versäumen und keinen zu beachten scheinen, und doch jeden anziehn. Bald schaut sie freundlich lächelnd, dann, sobald Du den Blick erwiederst, sieht sie Dich finster und befremdet an, und ergiebt sich einer schönen Verwirrung. Nun schnell, wie ein zündender Blitz, zu einem ganz entfernten Gegenstande hinschweifend, läßt sie an diesem die Augen allmälig wieder heiter werden, und wirft dann am Ende diese neue Erheiterung doppelt beglückend auch auf Dich zurück. Wahrhaftig, ich liebe eine Kokette. Sie ist Rossinische Musik, und steigt aus dem Champagnerschaum des Lebens, wie Venus aus der Meeresschäumung, in Glanzgestalt empor. Sie ist eine Abart der Musik, aber doch Musik. Ich liebe entweder eine Frau, wie ich sie mir denke, wünsche, und kenne, oder ich liebe eine Kokette. Aus der soliden und musiklosen Langenweile des hausbackenen Mittelschlags steigt nimmer eine Anadyomene auf.

Dann ging ich weiter, und verließ diesen Kometen, der in der That einen ganzen Schweif brennender Blicke hinter sich herzog. Ich fürchtete, wenn ich zu lange an einem Ort verweilte, daß mich mein Philister doch unversehens wieder am Rockschoß erfassen würde. Ich hing mich daher an den Arm eines andern Bekannten, eines Hauptmann v. B., der mir hier unvermuthet begegnet war. Ein stattlicher, angenehmer Mann, den ich in Dresden in einem Klubb von Schöngeistigen – Gott, könnte man doch gegen dies Wort ein Vomitiv einnehmen, um es aus der deutschen Sprache loszuwerden – kennen gelernt, und der auch unter einem andern Namen große und kleine Schriften herausgegeben hat. Er unterhielt mich lange vom Verfall der Literatur, von Mangel an Anerkennung, vom Epikureismus des Alles genießenden und Alles wieder vergessenden Publikums, und dergleichen mehr, was man von jedem mittelmäßigen deutschen Schriftsteller bis zur Abgeschmacktheit hört. Ich that, als sei mir das ganz etwas Neues, als wisse ich gar nichts davon, und fragte ihn ordentlich genau aus, was man denn in der Welt munkele von dem Verfall der deutschen Literatur. Ich selbst sei ein literaturliebender Einsiedler, der orthodox an Wiedergeburt glaube, sowohl in sich selbst, als in der Seele seiner liebsten Freunde. Ich wisse wahrhaftig nicht, was man in der Welt munkele. Da gerieth er in Feuer, und erzählte mir, daß von einem seiner Werke nur zwölf Freiexemplare ins Publikum gekommen wären. Wie soll man da wirken? setzte er hinzu. Es muß an der Ursache liegen, sagte ich. Keine Wirkung ohne Ursache, keine Ursache ohne Wirkung. Uebrigens kann man in Deutschland auf zwölf Freiexemplare zwei tausend Leser rechnen.

Dann bat ich ihn um Gotteswillen, von deutscher Literatur abzubrechen. Er bot mir an, mich seiner Frau vorzustellen, die ihm mit zwei andern Damen vorausgegangen sei, und die er suche. Ich war artig genug, um auf ihre Bekanntschaft begierig zu sein; aber wer schildert meine fast schreckenerregende Ueberraschung, als er mich aufmerksam machte, daß sie uns eben entgegenkomme. Denn keine Andere war es, als die große und schöne Virtuosin ihrer selbst, deren künstlerische Bewegungen ich vorher so genau belauscht hatte. Wir standen still, und es knüpfte sich bald ohne Verlegenheit ein Gespräch an. Sie hatte Geist, denn eine ächte Kokette muß auch Geist haben. Nur war es sonderbar, daß sich die Unterhaltung, nachdem die ersten zufälligen Wendungen abgethan, plötzlich wieder auf deutsche Literatur lenkte. Denn auf die Frage, wie sie sich in Teplitz gefalle, sagte sie, daß ihr hier nichts als Jean Paul gefalle, den sie den ganzen Tag lese und hier zuerst vollständig kennen gelernt habe. Guter Gott, Jean Paul Friedrich Richter! Ich gratulirte ihr zu dieser Badelektüre. In der That, eine Badelektüre. Sonnenstaubbäder der Gefühle, Jean Paulsche Schriften. Das ganze Herz badet sich und kann schwimmen lernen auf seinen Fluthen. Ich sagte ihr, daß mir Bäder nie gut bekämen, und daß ich deshalb auch seit vielen Jahren schon keinen Jean Paul gelesen hätte. Mein Arzt sei ein Liberaler und habe mir angerathen, einmal eine Zeitlang alles Baden in den deutschen Gefühlen einzustellen, um glücklicher und freier zu werden. Jean Paul bleibe darum doch ein großer Dichter, wenn ich ihn auch nicht lese. Sie lächelte, und schlug ihre Augen so reizend zum Himmel auf, daß mir war, als säße auf ihrer Iris ein sternenheller Jean Paul'scher Gedanke. Er stand ihr schön, dieser Gedanke, und ich rückte mit unwillkürlicher Ehrfurcht an meinem Hut. Dann bedauerte sie mein Herz, daß ihm die Bäder nicht gut bekämen. Ich sagte, ich müsse es trocken halten, das sei mir besser. Da entstehe erst Feuersgefahr, bemerkte sie, lautlachend. Der trockene Zunder lodere am besten. Nun mußte ich ihr Recht geben, wenn die Feuersgefahr so nahe wäre, wie mir jetzt. –

O Kokette! O Jean Paul lesende Kokette! Lebe wohl! Meine Heilige hat jetzt genug von Dir gehört. Ich fliehe Deine verlockende Iris, auf der Jean Paulsche Gedanken sitzen! Der Jean Paul Deiner Augen, und die zwölf Freiexemplare Deines Gemahls, haben die ganze herzerweichende Melancholie der literarischen Germania wieder in mir aufgefrischt. Lebe wohl! Und dort, ja wahrhaftig, dort kommt auch schon mein Philister, ich erkenne ihn von weitem an seinem großen weißen Quäker. Er kommt, um mich wieder einzufangen, ich Unglücklicher kann mich ihm gar nicht entwinden. Er lächelt mir schon aus der Ferne zu, er blickt ordentlich wohlgemuth, denn er hat den Hof gesehen. Grüß Dich Gott, Du vielgetreuer Philister! –

Der Philister nahm mich in der That jetzt unter den Arm, und stolperte, obwohl ich mich noch ein wenig sträubte, mit mir von dannen. Ich müßte durchaus den Hof sehen, suchte er mir begreiflich zu machen. So trat ich mit ihm in den dichtgeschaarten Kreis, welcher sich um die höchsten Herrschaften gebildet hatte. Der König, freundlich und mild aussehend, wie immer in Teplitz, hatte sich mitten unter den Kurgästen auf einer Bank niedergelassen. Neben ihm saßen zu beiden Seiten die vor kurzem angekommene Königin von Würtemberg, und deren erhabene Schwester. Dieser zunächst sah man die Fürstin von Liegnitz, diese schöne, anziehende, sonnenklare Gestalt, die den Augen wie Himmelblau wohlthut. Und mehrere andere Sonnen und Sterne erster und zweiter Größe schimmerten umher und dazwischen, und manches berühmte Haupt, das Welten entdeckt und Systeme ausgebrütet, neigte und beugte sich hier als schmiegsamer Trabant und Nebenplanet. Auch Alexander von Humboldt, welcher den König diesmal ins Bad begleitet, ebenso groß als Hofmann wie als Naturforscher, stand, dienstgefällig lächelnd, in diesem Kreise. Es war eine interessante Kour im Freien, und die Spazierengehenden bewegten sich vor dieser Gruppe unermüdlich auf und ab, und konnten sich nicht satt schauen. –

Ich hielt es endlich für Zeit, zu Mittag zu essen, und ging mit dem Philister in meinen Gasthof zurück. Hier hatte ich eine Zeitlang vor ihm Ruhe, weil er nicht mit an der Table d'hôte speiste, wo er sich wahrscheinlich genirte, sondern allein auf seinem Zimmer sein Diner nach der Charte abhielt. Und jetzt, Heilige, laß Dir genügen, wenn ich Dir bloß sage, daß ich es mir vortrefflich schmecken ließ und auch in ziemlich guter Nachbarschaft saß. Die Küche wird zwar in Prag erst ausgezeichnet, wo sie sich zur Kunst erhebt, aber wer, wie ich Norddeutscher, nur ein Dilettant in der Gutschmeckerei ist, konnte auch allenfalls an diesem Diner seine Freude haben. Schenke mir nur Deinen Segen zu meiner Mahlzeit, liebe Heilige! –

Nach dem Mittagessen machte ich in langsamer Beschaulichkeit meine mille passus durch die Gassen der Stadt. Ueberall flogen glänzende Equipagen, mit Herr und Dame, oder sogenannte Gesellschaftswagen, mit einer buntgemischten Uebervölkerung an Bord, zu Lust-, Wall- und Irrfahrten an mir vorüber. Die hellstrahlende Sonne warf über alles Leben und Treiben einen festlichen Schein, und der Himmel zeigte ein Feiertagsgesicht und lachte aus wolkenlosen Höhen. Ich schlenderte noch lange einsam umher, und fing endlich an, mich über den schönen Sonnenschein zu langweilen und melancholisch zu machen. Wer weiß nicht, daß auch der Sonnenschein melancholisch machen kann? Während eine einzige Menschenseele, die Dein gehört, unter Sturm und Ungewittern Dich heiter erhält. Die liebe Seele, die mein gehört, ist aber weit von mir entrückt, nicht bloß durch örtliche Fernen, sondern durch Lebensfernen. Nicht durch Raum, nicht durch Zeit, nicht durch Glück, sondern durch das Verhältniß. Nicht durch Sinn, nicht durch Geist, sondern durch die Form. Nicht durch das Herz, nicht durch das Auge, sondern durch die Hand. Nicht durch den Gedanken, sondern durch die Regel. Nicht durch das Verständniß, sondern durch das Bekenntniß. Nicht durch Nein, sondern durch das Ja. Nicht für die Ewigkeit, aber für das Leben. Siehst Du, Heilige, wie mich der Sonnenschein melancholisch machen kann?

Da klopfte mir plötzlich Jemand von hinten auf die Schulter. »Ueberall habe ich Sie gesucht; wo stecken Sie denn?« wurde ich mit grober Stimme angeredet.

Das war mein Philister. Er hatte sein Opfer nur zu gut wieder gepackt. Ich aber wurde ärgerlich, daß er mich gestört, denn ich war gerade im Begriff gewesen, eine Elegie, zu der ich sonst so selten komme, in mir fertig zu dichten. Ich beschloß endlich, Rache an ihm zu nehmen, und indem ich es ihm zusagte, mit ihm spazieren zu gehen, bog ich bei der Kreuz-Kapelle, der wir uns jetzt näherten, geradewegs in den Kirchhof ein. Wie alte Frauen Sonntag Nachmittags zu ihrem Vergnügen auf den Gottesacker hinausgehn, mit Brille, Gesangbuch und einem Stück Kaffeekuchen im Pompadour, so wollte ich auch meinen Philister, mit dem ich mir gar nicht mehr anders zu helfen wußte, nach derselben Analogie hierher unter die Gräber spazieren führen. Vielleicht gelang es mir, ihn hier auf den Kirchhof abzusetzen. Er wanderte auch gutwillig mit, und ich bedeutete ihm noch zum Ueberfluß, daß ein Kirchhof eigentlich die größte Merkwürdigkeit in der Welt sei. Daher ein Reisender, wie er, durchaus auf den Kirchhof müsse.

Er sagte kein Wort, und folgte mir mit einem sonderbaren Gesicht zwischen den grünen Schlummerstätten der Todten hindurch. Ein leiser Wind schien in den trauernden Laubgehängen Wiegenlieder zu flüstern, und durch dichte Cypressenbüsche streute die Sonne ein gedämpftes, träumerisches, grünliches Licht über die Gräber aus. Ich setzte mich auf einen kühlen Grabstein, und ließ einen Augenblick das große Gefühl der Ruhe, das hier ringsher aus gebrochenen Herzen keimte, über mich kommen. Der Philister war stehen geblieben, und las die Inschrift eines Denksteins, der mir gerade gegenüber aufgerichtet war.

Und welchen Edlen nennt die Urne, damit wir seiner Asche ein andächtiges requiescat in pace zurufen? fragte ich.

Der Philister las mit seiner lauten, trockenen Stimme den Namen: Johann Gottfried Seume, gestorben am 13. Juni 1810.

Ach, Seume! Guter, ehrlicher, deutscher Seume! Hätte ich doch fast diese Merkwürdigkeit von Teplitz vergessen, daß Deine irdischen Gebeine, gewiß recht ermüdet von Deinem großen Spaziergang nach Syrakus, hier sich ausruhen! Und ein Zufall und ein Philister müssen mich erst darauf bringen, an Dein Grab zu wallfahrten, und Deiner zu denken. Ich kenne Dich, ich kenne Dich! Schon als Knabe, Du alte, wackere Haut, hat mir Dein Spaziergang nach Syrakus viel Vergnügen gemacht, ich bin mit Dir gewandert und mit Dir eingekehrt, habe die Schuhe mit Dir zerrissen, und Dein Vesperbrot am Wege mit Dir getheilt. Seume, es hat mir gut, sehr gut geschmeckt. Und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ich meinen Eltern davongelaufen, um gleich Dir, wie ein frischer Handwerksbursche, mit Ränzel und Knotenstock, nach Syrakus zu pilgern, und in jeder Kneipe, wo Du übernachtet, das Schenkmädchen zu fragen nach Seume. Du warst ein göttlicher Kerl, am liebsten möchte ich Dich einen Burschen nennen! Solche Burschen, wie Du, versteht unser heutiges Zeitalter nicht mehr, dazu ist es zu salonsmäßig dumm geworden. Du, ganz das Widerbild eines Salonsmenschen, ich gäbe etwas darum, wenn ich Dich hätte küssen können. O durchaus ein Mensch, wie ich sie liebe. Und was habe ich herzlich gelacht über Deine närrische Liebhaberei an dem langweiligen Theokrit! Aber es war recht von Dir, daß Du Deiner Laune folgtest! Guter, guter Bursche, herzlieber Sonderling, spaßhafter Grillenfänger, biedrer Menschenfeind, weichherziger Timon! O durchaus ein Mensch, wie ich sie liebe. Ein Bursche, ein Student bliebst Du zeitlebens. Ein Kernbursche, ein Weltbursche, der immer den Wanderstab in der Hand hat, von einer Erdenstation auf die andere geworfen wird, nichts als vorübergehendes Wirthshauslabsal und Strohlagerruhe im Leben findet, aber überall etwas sieht und lernt, manchen grünen Zweig sich an die Mütze steckt, und mit starkem Herzen und rüstigem Pilgerschritt immer weiter zieht, ohne Heimath und Ruhe, nur zuweilen mit einer verstohlenen Thräne im Auge.

Aber höre, etwas Philister warst Du doch! Und es ist sonderbar, daß mir gerade der Philister Dein Grab gezeigt hat. Du warst ein Weltbursch mit dem Weltpilgerstab, ich lasse Dir als Mensch große Gerechtigkeit widerfahren. Aber Alles, was Du geschrieben und gedichtet, riecht etwas stark nach dem Bettelsack, den Dir das Schicksal schon früh auf Deine Schulter geladen. Nimm es mir nicht übel, wer kann dafür? Du warst ein Poet, der seine Begeisterung bei Kartoffeln und einem Heringskopf abfertigte, und Dein Apoll wiegte sich immer erst lange auf olympischen Tabakswolken hin und her, ehe er in der ungeheizten Stube warm werden konnte. Dieser uralte Bettelsack des deutschen Literatenlebens war Dir aber beinahe zu Deiner andern Natur geworden, und Du fühltest Dich glücklich und traulich in ihm. Er war Dir ans Herz gewachsen, Du renommirtest mit ihm, und schmecktest Dir am Ende eine Art spießbürgerliche Romantik heraus. Du hättest ihn zuletzt um keinen Preis mehr vertauschen mögen mit einem ritterlichen Wams. Und was mich am meisten von Dir geärgert, ist Das, was Du über den Aufstand in Warschau von 1794 als Augenzeuge geschrieben! Du, der Du auf dem Boden in einer alten Tonne versteckt saßest, als die Polen draußen stürmten, wie konntest Du es wagen, die Nationalität dieser Revolution zu beschimpfen, und jene Polen nur als einen zusammengerotteten Haufen von Elenden in Deiner Brochüre zu schildern? Zwar standest Du in russischen Diensten, aber Du warst doch Seume, der deutsche Mann! Geh', geh', laß mich nicht daran denken! Lieber suche ich Dich nachher in der Göschenschen Druckerei in Grimma auf, wo Du als ehrsamer Corrector aus Wielands und Klopstocks Werken die Druckfehler herausstrichest. Druckfehler konntest Du besser beurtheilen, als Polen. Hier habe ich Dich wieder gern, ich sehe Dich ordentlich sitzen in Deinem Eifer, und wie ein strenger Moralist auf correcten Lebenswandel der schwarzen Lettern dringen. Nur Dich selbst konntest Du nicht corrigiren, und Deine alte Wanderunruhe störte Dich bald wieder auf. Du sagtest: Ade, Herr Göschen! nahmst den Knotenstock, zogest Dir die Schuhe an, und machtest Dich eines Morgens auf, um nach Syrakus zu gehen. Du wolltest bloß dahin, um einmal an Ort und Stelle Deinen Lieblingsdichter, den Theokrit, zu lesen. Lächerlicher Kerl, um den Theokrit sich die Stiefeln zu zerreißen! Aber wenn Du nur wandern, wandern, wandern konntest! Dann war Dir recht; und Du verstandest es vortrefflich. Dazu drückt Dich Deine große Lebenseinsamkeit nie, Du starkes Beduinenherz! Schöne Frauen verführen Dich nicht, und Deine Grundsätze erlauben Dir nicht, sie zu verführen. Nur ein Kind sollst Du Dir oft gewünscht haben, das sich in treuer Neigung an Dein vereinzeltes Dasein lehne, und ich habe gehört, daß Du einmal ausgerufen: »Ich möchte wohl von einem gesunden Bauermädchen einen Jungen haben, wenn es nicht wider meine Grundsätze wäre!« Das nenne ich Grundsätze haben. O Mann von Grundsätzen, Du hast Dir das Leben sauer werden lassen! Dir muß nachher recht wohl geworden sein in Deiner Gruft, wo jetzt Dein längst verfallener Staub vor mir liegt. Deine Jugend wurde Dir durch Werber gestohlen, die Dich bis nach Amerika in Kriegsdienste schleppten, und wenn Du von den Strapazen des Tages einmal ausruhtest, machtest Du Dir kein anderes Vergnügen, als in Deiner Kasematte Horaz und Virgil zu lesen, und den Theokrit. Immer und immer nur Theokrit! Seume, ich glaube, der Theokrit hat Dich ruinirt, und aus Deinem Leben diese solide Philisteridylle gemacht. Ging aber Deine Jugend verloren, so stieg auch über dem harten Mannesalter keine wärmende Sonne mehr auf. Kein Blüthenschauer, kein Liebesstern, kein unverhoffter Segen, kein Geld und kein Glück, kein Reichthum und keine Fülle, kein Schimmern und kein Strahlen. Viel trockenes Brot, viel kalte Küche, und viel Theokrit. Deine ganze Bescheerung. Nur das Wandern hattest Du noch, durch Stadt und Land, das Wandern und die Lust an der freien Luft, das konnte Dir Keiner nehmen. Großer Spaziergänger, ich scheide doch mit Liebe und Achtung von Deinem Hügel. Schlummere sanft fort, Du hast viel gepilgert. Und wenn ich Dir keine bessere Standrede gehalten, so schreibe die Schuld dem Philister zu, der dort vor mir steht, und mich durch seine Nähe verstimmt hat. – –

Hiermit sprang ich auf, und entfernte mich mit eiligen Schritten von dem Kirchhof. Der Philister, der sich meine letzte Anspielung wenig zu Herzen zu nehmen schien, wieder hinter mir drein. So gelangten wir, nachdem ich mich noch eine Zeitlang auf zwecklosen Kreuz- und Querzügen mit ihm umhergetummelt, endlich ins Theater, wo ein zusammengerührtes Quodlibet von Ballet, Oper und dramatischem Ennui gegeben wurde. Ein sogenanntes Mixtum Compositum, das dem liederlich zerstreuten Theatersinn, der auf nichts Ganzes mehr zusammengehalten werden kann, am angenehmsten und natürlichsten entspricht.

Es war sehr leer in dem kleinen Hause, der eigentliche Flor der schönen Welt fehlte. Ehe der Vorhang aufgezogen wurde, sah ich mir den neben mir sitzenden Philister noch einmal recht genau an, ob er auch wirklich ein Mensch sei. Ich fragte ihn, warum er denn eigentlich reise, da das Reisen doch so viele Beschwerlichkeiten mit sich bringe. Er antwortete mir, er gedächte zu heirathen. Da wolle er sich vorher noch einmal die Welt ansehn. Das fand ich allerliebst, und mußte so laut darüber lachen, daß sich das ganze Parterre nach uns umsah. O Welt! Welt! Welche Magie muß in dem Begriffe Welt liegen, welcher hinreißende bacchische Taumel muß von dem Begriffe Welt ausgehen, daß selbst ein Philister, ehe er heirathet und das Haus hinter sich zumacht, sich noch einmal die Welt ansehen will!

Jetzt hob die Vorstellung an. Schauspieler, wie Schauspielerinnen, eine aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen zusammengeraffte Truppe, sprachen und handelten gleich erbarmungswürdig und verstandlos. Man gab auch wenig Acht auf sie, und die Theilnahme des Publikums begann sich erst zu regen, als die beiden anmuthigen Schwestern Amiot auftraten, um ein ländliches Pas de Deux zu tanzen. Schöne, saftvolle, sinnliche Gestalten, ein gaukelndes, glühendes Leben in den runden Wellen der Glieder! In diesem Augenblick wurde auch der König auf seinem Platze gesehen. Er war eben ins Theater getreten, und mit ihm Alexander von Humboldt, der zu seiner Seite Platz nahm. Die beiden reizenden Sylphiden verdoppelten nur ihren Eifer, und wie blumentrunkene Libellen hoben sich die schlanken Beine und Füße auf und nieder, und schienen sich in ihrem süßen Rausch oft ganz zu vergessen. Ein weites Feld für den Naturforscher eröffnete sich, und wenn auch hier für einen Humboldt nicht gerade ein Chimborasso zu ersteigen war, so gab es doch noch immer Anlaß genug, daß ein großer Naturgelehrter sich hier an Höhenbestimmungen, Längenmessungen und dergleichen, versuchen konnte. Denn immer höher und höher flogen die trunkenen Libellen, in das feurige Spiel der Bewegungen flossen tausend verborgene Reize über, die Erdenhülle verstob fast vor dem entzückten Auge, man sah die hellen Geister transparent, man war erstaunt, außer sich, man klatschte, und machte dem gepreßten Busen Luft in einem enthusiastischen Bravo. Die Mädchen hatten in der That außerordentlich getanzt, sie hatten bewiesen, daß der menschliche Körper ein Zauberer, alle Glieder Liebesgötter sein können, und ich erfuhr, daß ihnen der König nachher seinen besonderen Beifall darüber zu erkennen gegeben! –

Hier laß mich abbrechen, Heilige! Ich will mich jetzt von der Seite des Philisters fortschleichen, und noch vor Schluß der Vorstellung in den Gasthof zurückkehren, um meine Sachen einzupacken. Der Philister darf nicht wissen, daß ich morgen mit dem Frühesten nach Prag reise, weil er mit mir wollte. Von Allem aber, was mir sonst noch in Teplitz begegnet, und von einem glänzenden Ball, den der Fürst Clari noch in derselben Nacht gegeben, und dem ich zugesehen, wirst Du in meiner großen Reisebeschreibung, die ich künftig einmal drucken lassen werde, etwas erfahren. Bis dahin gedulde Dich, Du liebes heiliges Madonnengesicht! Liebe Weltheilige, bete auch recht fleißig für mich, denn mir ahnt, daß ich noch in große Anfechtungen gerathen werde! Und wo bleibt Deine Selbstbiographie? – –


Dank! Dank! Als ich nach Hause kam, fand ich Dein zierliches Couvert, und darin die Blätter von Deiner Hand. Ja, ja, Du bist eine große Heilige mit Deiner weltlichen Seele. Habe ich Dir nicht gesagt, daß Alles, was eine Geschichte hat, Gott angehört? Und Dein Leben hat seine tiefbedeutende Geschichte. Jede Sylbe darin ein heißer, rother Tropfe Blut aus geöffnetem Herzen. Jedes Wort eine schneidende Wahrheit des Daseins. Den heimlichsten Athemzug Deiner Seele habe ich darin behorcht, und viel gelernt und viel genossen. Du hast etwas erlebt in der Welt, Du bist eine Heilige! Gott grüße Dich, Du weltliche Seele! Dank! Dank! – – –


 


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