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Madonna del Giardino.

Maria im Garten.


Im Garten waren die schönsten Puncte, von denen aus man die ganze Gegend in der Mondbeleuchtung hätte überschauen können. Hier malerische Berghöhen, mit Schlössern, Ruinen, Seen, Dörfern, dort hinten kahle Basaltfelsen, die sogenannten Borschen, welche die abenteuerlichen Häupter zu uns herübersteckten. Aber wir waren, indem ich sie durch die von den Mondscheinflocken überflogenen Gänge hinführte, mit ganz abweichenden Gesprächen beschäftigt.

Was werden Sie von mir denken, bemerkte sie lächelnd, daß ich mich nicht fürchte, um diese nächtliche Stunde spazieren zu gehn?

Vom hohen Nachthimmel steigen die Heiligen zu uns herunter, sagte ich. Die schützen uns vor allem Bösen. Vertrauen, Andacht, Begeisterung, Mittheilungslust, erwachen in der heimlichen Stille der Nacht. Das sind die Heiligen, die ich meine. Unter ihren Fittigen läßt sich ein gutes Gespräch führen. Sie glauben doch an die Heiligen?

Ich bin eine Katholikin, erwiederte sie.

Und heute ist ein Madonnenfest, fugte ich hinzu. Der heiligen Maria danke ich Ihre Bekanntschaft. Wer sollte heut nicht an die Heiligen glauben? Ich bin fortan der Maria dienstbeflissenster Anbeter.

Und ließen doch vor ihrem geweihten Fahnenbilde den Hut sitzen, mein Herr! sagte Maria, ablenkend, mit ernsthaftem Nachdruck.

Diese Sünde meiner Zerstreuung war groß genug, erwiederte ich, und doch zu entschuldigen. Ging denn nicht unter den Wallfahrtenden ein wunderbares Madonnengesicht mit, das ich für das einzig ächte halten zu müssen glaubte? Das auf der Fahne gemalte sah nur wie eine wahnsinnige Kammerjungfer zu ihr aus. Ich gerieth also mit meinem Gruß in Verwirrung, da ich überhaupt noch ein Laie im Heiligendienst bin.

Ein Spötter sind Sie, mein Herr! sagte sie, und verwischte doch ein verstohlenes Lächeln mit dem Schnupftuch.

Dies Madonnengesicht, fuhr ich fort, mußte mich um so mehr in Verwirrung setzen, da es, feierlich still, wie der Heiligen Art zu sein pflegt, an dem lauten Treiben der übrigen Frommen kaum einen Antheil verrieth. In sich selber Göttliches sinnend, schritt das herrliche, glänzende Bild an mir vorüber, und ließ dem Staunenden ein unruhiges Herzklopfen zurück, das nun immer nachfragt, wer und was diese Erscheinung gewesen. Warum sang Madonna nur nicht mit? Gewiß hat sie doch eine schöne Stimme? Oder ist sie eine aufgeklärte Heilige, welche die Prozessionen nicht mehr liebt?

Sie stand still, und sah mich mit bittenden, innigen, ausdrucksvollen Augen an. Eine innere Bewegung der Seele schien über sie gekommen. Ihre Wange hatte sich hochroth gefärbt, in ihren Blicken schimmerte es wehmüthig, und doch spiegelte sich darin zugleich etwas wie kecker Trotz. Dann sagte sie, weitergehend, und ihren Arm fester auf den meinigen drückend: Spotten Sie nicht auf Kosten der Heiligen eine arme Irdische aus! Ach, wenn Sie wüßten, was mir diese Heiligen schon für Thränen gekostet haben, und wie sehr ich hier für unheilig gelte. Ja, ja, ich bin ein gottloses Mädchen in einem frommen Lande, und – bei einem frommen Vater! setzte sie kaum hörbar hinzu.

Dann lächelte sie halb, halb hätte sie weinen mögen. Ihre Stimme schwankte und klagte wieder, wie vorher beim Tischgebet, gleich einer Trauerblume im Abendwinde. Ich befragte sie, meine ungeduldige Theilnahme nicht länger zurückhaltend, um ihre Lebensgeschichte, und was diese in der Frühe der Jugend für schwere Schicksale auf ein so schönes Haupt gelegt.

Meine Biographie ist ein Meisterstück schneidender Kürze, sagte sie. Ein großer Schriftsteller würde sie in einen einzigen ironischen Satz zusammendrängen können. In den Aesthetiken würde man sie als Beispiel brauchen, wie aus den einfachsten Gegensätzen ein tragischer Witz entsteht. In den Sprachlehren würde sie als Redefigur dienen, wie Schmucklosigkeit und Armuth an zierenden Beiwörtern oft die schärfsten Wirkungen hervorbringen. Ich aber bin ein armes, ungebildetes, der Darstellungsgabe nicht mächtiges Mädchen. Ich würde vielleicht Jahre lang darüber plaudern, wenn ich mein weitschweifiges Leid erst zu erzählen anfinge. Nein, nein, lassen Sie mich schweigen über mich, mein unbekannter Freund! Sehen Sie mich für ein bizarres Abenteuer Ihrer Reise an. Ihre Freunde zu Hause werden es zweideutig nennen, wenn Sie ihnen künftig davon erzählen. Lachen Sie künftig selbst einmal von Herzen über das taktlose Dorfmädchen, das sich einem Fremden zu nächtlichem Spaziergang an den Arm hängt, und das sich Ihrem Gespräch aufdrängt, weil es mit seinen nächsten, fahlen Umgebungen das ganze Jahr über kein Wort zu sprechen weiß.

Sie ließ bei diesen Worten, die sie mit leidenschaftlicher Hast ausgestoßen, meinen Arm fahren, eilte einige Schritte von mir fort, und streckte sich, mit lautem Schluchzen ihr Haupt verhüllend, auf eine Bank nieder, die unter einem Hollundergebüsch am Wege stand. Ich folgte ihr, setzte mich zu ihr, und ergriff des seltsamen Mädchens Hand, ihr tröstliche Worte zuzusprechen versuchend. Sie ließ ihre warmen, zitternden Finger lange in den meinigen, duldete, daß ich sie drückte und an die Lippen führte, und nachdem sie wie in sich selbst verloren dagesessen, richtete sie, mit einer zuckenden Bewegung, sich wieder empor, und fuhr sich, wie besinnend, mit der Hand über die Stirn.

Ich verderbe Ihnen die schöne Nacht, sagte sie, sich die Augen trocknend. Sie sind vielleicht zu sanfteren Empfindungen aufgelegt, und ich werfe meinen wilden Trübsinn ungeschickt zwischen Ihre Mondscheinträume. O, ich verlerne in dieser Verlassenheit hier alle Weltsitte, allen besseren Ton des Umgangs! Es mag unausstehlich sein, mit mir umzugehn. Nicht wahr, mein Herr?

So sagte sie schneidend, und ich hatte nicht viel Mühe, ihr bemerklich zu machen, wie wenig ich an dem Mondschein und an meinen Träumen verloren. Und daß solche Leidenschaft ihres Schmerzes mir dennoch kein Räthsel sei, wurde ihr ebenfalls ans Herz gelegt.

Nun, so will ich Ihnen denn auch zur Abwechselung etwas Lustiges von mir erzählen, begann sie wieder mit erhöhter Stimme. Nicht mein Leben, nein, nicht mein armes, junges, kurzes Leben! Sie sollen lachen, Freund, sie sollen lachen! Denken Sie, mein guter Vater hat mir ein Pensum aufgegeben, weil ich so unwissend und gottlos bin. In dieser ganzen Woche habe ich nichts weiter thun dürfen, als die Namen und Beschäftigungen aller Heiligen in der gesammten katholischen Christenheit auswendig zu lernen. Heut Abend, nachdem ich zu unserer heiligen Mutter Gottes gewallfahrtet, sollte ich darin examinirt werden, und Ihr Besuch, Ihre Gegenwart, mein Herr, hat meine strenge Prüfung wahrscheinlich nur bis auf den morgenden Tag verschoben.

Ihr früherer Ernst klärte sich dabei allmälig zu einer Heiterkeit auf, und ich mußte wirklich lachen, soviel Piquirtes und Wehmüthiges auch noch darin lag. Ich suchte sie damit zu trösten, daß es in einer vielwissenden Zeit gar nicht darauf ankomme, wenn man auch noch die Heiligen alle in sein Gedächtniß schließe, denn, nach der Lehre der speculativen Philosophie lägen Wissen und Glauben himmelweit auseinander, und sie brauche deshalb noch nicht an die Heiligen zu glauben, wenn sie auch sie auswendig wisse. Ich selbst hatte, da man so vielerlei treibt, wohl auch in den alten Heiligengeschichten früher Manches gelesen, und schlug ihr vor, daß wir ein vorbereitendes Examinatorium gemeinschaftlich anstellen wollten.

Die heilige Ottilia behütet die Augen, begann ich, und sah ihr dabei tief in die Gluth der ihrigen hinein, vor deren Feuer es in der That der Hut einer Heiligen bedurfte.

Der heilige Florian waltet im Feuer, sagte sie, ernsthaft einfallend, als hätte es wirklich noch eines Schutzpatrons gegen das von ihr ausstrahlende Feuer nöthig.

Die heilige Katharina beschützt die Mühlen der Menschen, fuhr ich fort, damit ihr inneres Räderwerk, gewissermaßen ihr Herz, nicht in Brand geräth, wenn es in zu heftigen Schlägen um seine Achse getrieben wird.

Die heilige Cäcilia schenkt uns die Musik, fiel sie sanft und feierlich ein, als läge ihr daran, das pochende Räderwerk, von dem ich gesprochen, in eine Concertharmonie übereinstimmender Töne zu bringen.

Der heilige Antonius hilft das Verlorene suchen, sagte ich weiter, um sie daran zu erinnern, daß sich ihres Lebens verlorenes Glück noch immer durch einen Schutzpatron wiederfinden lassen werde. Hier erwiederte sie lebhaft den Druck meiner Hand.

Dann nachdenklich an den Fingern zählend, fiel sie wieder ein: Die heilige Agatha behütet den weiblichen Busen, damit er sich nicht einnehmen läßt von den trüglichen Worten der Schmeichler und falschen Freunde. Hier rückte sie weit von mir ab, an die andere Ecke der Bank, und wandte ihr Gesicht seitwärts.

Der heilige Rochus ist gut gegen die Pest, rief ich ihr mit dem stärksten Baßlaut meiner Stimme nach. Er muß angerufen werden, wenn die Pest des Mißtrauens sich in die Gemüther schleicht.

Die heilige Apollonia stärkt und schärft die Zähne! sagte sie, mit einer kecken Wendung wieder näher rückend, als fürchte sie sich gar nicht vor mir, denn daß die natürlichen Waffen ihres Geschlechts ihr gut gerathen waren, zeigte die glänzende Perlenreihe ihres Mundes an, als sie ihn jetzt zum lauten Lachen öffnete.

Der heilige Uldaricus verjagt die Mäuse, sagte ich, wenn sie mit ihren weißen Zähnchen gefährlich zu werden ansangen.

Der heilige Nepomuk weist einem den Weg über Straßen und Brücken, erwiederte sie. Man ruft ihn an, wenn man seiner losen Reden wegen fort und davon gejagt wird.

Der heilige Wendelin behütet die Lämmer, entgegnete ich. Das unschuldige Lamm, das verfolgt wird, geht bei ihn klagen.

Der heilige Christoph bewacht das Geld, sagte sie. Er wird angerufen in zweifelhaften Fällen, wo man falsche Münze von der ächten nicht unterscheiden kann.

Und nun hatte ich wahrhaftig keinen einzigen Heiligen mehr in meinem Gedächtniß, mit dem ich ihr auf ihre letzte Bemerkung hätte dienen können, und ich mußte ihr in unserm Heiligen-Duett schon diese triumphirende Schlußcadenz lassen. Es war aber merkwürdig, sie zu sehen, wie mit ihrer schmerzlichen Stimmung, mit der sie noch vor Kurzem gekämpft, so schnell der holdeste Muthwille hatte wechseln können. So bricht durch die bittersten Thränen der Jugend oft rasch ein unverwüstlicher Reichthum an Frohsinn wieder aus.

Sie sehen, im Heiligendienst bleiben Sie hinter mir zurück! nahm sie wieder das Wort. Mein guter Vater – bei dessen Erwähnung zuckte sie immer unwillkürlich – wird sich morgen einmal freuen über seine sonst so ungerathene Tochter. Aber was werden Sie sagen, daß ich auch die Reliquien alle, welche Kaiser Karl IV. auf seinem Schlosse Carlstein besessen, habe auswendig lernen müssen mit meinem widerspenstigen Gedächtniß!

Da bedauerte ich sie. Denn damit war ich freilich nie geplagt worden. Ich hatte zwar von dem Reliquien-Schlosse gehört, das dieser fromme und in so vieler Hinsicht hochverdienstliche Kaiser und Böhmenkönig eigens zur Aufbewahrung seines Heiligen-Museums erbauen lassen, aber meine Kunde von seinen Sammlungen hatte sich bisher nur auf den Fetzen aus der ägyptischen Finsterniß beschränkt, den er wirklich in Carlstein aufbewahrt haben soll.

Sie nahm eine gelehrte Miene an, und sagte mit einem komischen Seufzer: Das genaue Verzeichniß dieser weltberühmten Reliquien-Sammlung befindet sich hinter der böhmischen Chronik (Kronyka czeska) des Wenceslaus Hagek a Liboczan, einem, allen Heiligen sei es geklagt, gerade hundert Pfund schweren Folianten, aus dem es sich diese armen Augen haben auflesen müssen, vielleicht gar zur Strafe, daß sie früher in so viele Romane geblickt. Lassen Sie mich von den Achseln, Zähnen, Kinnbacken, kleinen Fingern und großen Zehen, Hemden, Schuhsohlen, Strumpfzwickeln und Brustlatzen aller der Märtyrer, Apostel und Patrone schweigen. Ich schaudere vor mir selbst über diese ganze Glieder-Anatomie, die ich davon in meinem unschuldigen Kopfe beherbergen muß, und Nachts habe ich unruhige Träume, und nichts als Knochen und Skelette der Heiligen höre ich rasseln in meiner geängstigten Phantasie. Denken Sie, neulich erschien mir die abgezogene Haut St. Matthäi, des Apostels, die sich ebenfalls auf Carlstein befunden, und daher auch in meinem Gedächtniß lebt, im Schlaf, und drohte mir, daß auch mir noch in meinen jungen Jahren nächstens die Haut abgezogen werden solle, wenn ich mich nicht zu einer besseren Christin bekehrte, und meine leichtsinnigen Hoffnungen, die ich auf die bunten Freuden dieser Welt gesetzt, fahren ließe. Doch ich will Ihnen lieber von den Heiligthümern unserer Jungfrau Maria erzählen, von denen das Verzeichniß in der That seltene und rührende Schätze aufführt. In der naiven Sprache dieses Chroniken-Registers heißt es folgendermaßen: »In einem silbernen vergüldeten Lädlein ist der wehrden Jungfrawen Schlayers ein Stück; im selben Kästlein ist noch ein Stück vom Schlayer, darinnen die Mutter des Herrn unterm Kreutze gestanden, als ihr liebster Sohn daran geheftet gewesen, aus dessen heylichsten Leichnamb drei Blutstropfen auff ihren Kopff gefallen, und sind auff diesen Schlayer, biß auff Dato, so schön, als wann es diese Stunde geschehen; allda ist auch ein Stück Wachs aus der Kertzen, so bei ihrem Tode gebrandt.« – – Aber ich darf Ihre ungläubigen Ohren, mein Herr, wohl nicht mit solchen Aufzählungen ermüden. Doch muß ich Ihnen sagen, da Sie vorher meine Andacht zur Madonna in Zweifel gezogen, daß mein Herz, wie andere Gedanken es auch oft haben mag, doch am meisten mit Liebe und Hingebung an ihr mildes Bild sich hängt. Soll denn gar nichts Katholisches an einem böhmischen Mädchen sein? Nein, nein, die Madonna schenkt mir sanfte Träume, wenn ich zu ihr gebetet habe. Und an ihren Schleier mit den drei Blutstropfen drücke ich alle Abend, so oft ich weinend schlafen gehe, in Gedanken die nassen Augen, und dies große Symbol beglückt auch mich armes Mädchen, und kann mich sogar versöhnen mit den übrigen Abgeschmacktheiten, zu denen frommer Unverstand mich zwingt. Und nun still, still! Ich vergesse, daß Sie Protestant sind, daß Sie protestiren werden auch gegen mein Fünkchen katholische Andacht! Nun, sein Sie nur Protestant, sein Sie Protestant! Wie oft, wie oft habe ich in meinem stillen Kämmerlein ausgerufen: O könnte auch ich es sein! –

Das leidenschaftliche Mädchen war bei diesen Worten wieder ganz ernst geworden, und in mir knüpften sich die weitgehendsten Gedanken an. Unterdeß veränderte sich um uns und über uns die Scene. Hinter dunkel aufgethürmten Wolken ging der Mond unter, es wurde finster, stürmisch, die Nachtwinde bliesen stark, und wetterleuchtende Blitze spalteten von Zeit zu Zeit mit feurigen Schweifen den mitternächtlichen Horizont. War es zur Strafe unserer Sünden? Sollten mit dem Zorn des Wetters die Frevel unseres Gesprächs über die Heiligen gerächt werden? Wir hatten ja nur Selbstbekenntnisse gethan. Sinnend und schweigend sahen wir beide eine Zeitlang in die düster wogende Nacht hinein. Maria schmiegte sich enger an mich, sie sagte, sie liebe den Sturm, wenn er zu ihren betrübten Gedanken Musik mache. Sie könne noch nicht ins Haus zurückgehn, in ihr Gefängniß, ihren Sorgenkäfig. Sie wollte, der große Nachthimmel wölbe sich einmal zu einem Sarg über ihr zusammen, dann möchte sie gern darin ruhn und nichts mehr wünschen, aber nur nicht lebendig begraben sein hinter den Breterwänden ihrer Stube. Ihr habe Gott ein rastloses Herz gegeben, frei zu sein. Ich möchte sie nehmen, wie sie sei, in all ihrer Räthselhaftigkeit, und ihr etwas sprechen und erzählen zur Fortscheuchung der bangen Stunden dieser Nacht.

Ich erwiederte, ich hätte ihr viel zu sagen. Und die gelegene Stunde dazu sei da. Ganze Reihen an Betrachtungen seien durch die Heiligen und die Madonna über mich gekommen, und der Mitternacht und ihr wolle ich gern davon vorphilosophiren. Die Mitternacht mache ein ernstes Gesicht dazu, und Sie wecke die Begeisterung auf mit ihren Augensternen. Der Madonnenschleier mit den drei schönen heiligen Blutstropfen hänge drüben am Saum der trauernden Nacht, und flattere hoch in den klagenden Winden, und strecke sich wallend aus über die weite, seufzende Erde, und winke uns Ehrfurcht zu vor den Bildern, an welche der Menschen Herz sich hängt. Und die Erde träume um uns her, und die Träume gingen irrend auf und nieder durch die Lüfte, und die bösen Geister zitterten in den Gräsern, und ein großer Drang in der Brust brenne nach Wahrheit. Und die Wahrheit gehe einen Kampf ein mit den Bildern, und der Madonnenschleier zerreiße, und die Blutstropfen verblichen vor dem hellen Morgenstrahl, und die aufgegangene Sonne winke uns Ehrfurcht zu vor der Wahrheit, an welche der Menschen Vernunft sich hängt. Hiervon laß uns ausgehen, Maria!

Sie drückte mir schweigend die Hand, sie deutete auf ihr schlagendes Herz, das an diese Dinge in quälender Unruhe schon so oft seinen Frieden verloren.

Der Engel Gabriel klopfte an die Thür einer Jungfrau, die hieß Maria! fuhr ich fort. Er war von Gott gesandt, und sie war die holdseeligste und süßeste im ganzen Lande, und wenn man ihre Schönheit leuchten sah an ihren Gliedern, mußte man fühlen, daß Gott mit ihr sei. Und der Engel sprach zu ihr: »Der heilige Geist wird über Dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird Dich überschatten. Darum auch das Heilige, das von Dir geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden!« Da erschrak die Jungfrau, denn sie wußte noch von keinem Manne, aber sie glaubte, und bald verstand sie. Ihre Seele erhob den Herrn, der weibliche Stolz regte sich, und wie ein beglücktes Weib sich freut, so freute sie sich, daß sie von nun an seelig gepriesen sein würde von allen Kindeskindern. Lieblich lächelte sie bei den Ahnungen einer großen Zukunft, und wie eine kaum herangewachsene Braut, die den Welternst ihres älteren Geliebten noch nicht begreift, kindlich tändelt mit dem scharfen Schlachtschwert an seiner Seite, so lag das ernste Geheimniß einer unendlichen Weltumwandlung spielend an der Jungfrau Busen, und sie hegte es mit mädchenhafter Zärtlichkeit, wie eine Maienknospe. In der stillen Ueberschattung des Höchsten hatte sie den Gott in sich empfangen, und sie hatte mit einem Kinderkuß an der Ueberschattung sich satt gesogen. Sie war Jungfrau geblieben, denn das Wort hatte sie befruchtet, und das Wort war es gewesen, das Fleisch wurde aus unberührtem Schooß der Jungfrau. Denn aus jungfräulicher Blüthe mußte der Gott einer neuen Weltordnung sich aufrichten, er, der ein reines, neues und jungfräuliches Zeitalter des Geschlechts auf die Erde brachte. So ruhte Gottes Unschuld an süßen Mädchenbrüsten, und trank von der unbefleckten Magd die Milch des irdischen Lebens, aus der er Mensch wurde. Um des Menschen Sohn zu sein, hatte er sich aus dem Schooß des Weibes gewunden, und sich an ihren Busen gelegt, aber das Weib hatte an der Ueberschattung Gottes gehangen, und das Wort war zeugend in die unbewußte Unschuld gedrungen, und darum wurde das Heilige, das von ihr geboren worden, Gottes Sohn genannt. Die jungfräuliche Unbewußtheit, in die das Bewußtsein Gottes gestiegen war, hatte den Gottmenschen geboren, denn das menschliche Bewußtsein, das nur der Begriff seiner selbst ist, aber nicht der Begriff Gottes, hätte keinen christlichen Gott sich erzeugen können. Darum war es eine Unbewußte, eine Jungfrau, eine unmittelbare Offenbarung, aus welcher Gott hervortrat in die Thäler der Erde. Durch diesen Gedanken der nothwendigen Unbewußtheit habe ich mir die Nothwendigkeit der Virginität, der Jungfräulichkeit und der unbefleckten Empfängniß der Madonna bewiesen. Durch das menschliche Bewußtsein waren die heidnischen Götter gezeugt worden, aber in Jupiter und Apoll war eben nur menschliches Bewußtsein, und ihre Altäre stürzten zusammen, und der Olymp des menschlichen Bewußtseins fiel. Die Welt wurde finster, und war ohne Gott. Sie philosophirte, sie speculirte, sie baute Systeme, sie gründete Geheimlehren, aber kein Gott und kein Glück schien hinein. Da regte es sich im Schooß einer Unbewußten, einer Jungfrau. Die hieß Maria, und hatte von der ganzen Welt noch nichts gewußt. Sie war schön und lieblich am frühen Morgen ihres Lebens, aber sie wußte von nichts. Sie war wie eine Blume auf dem Felde, die nach dem Licht sich aufrichtet, aber nicht weiß, warum? In ihrem Städtchen hatte man nie etwas von Philosophie gehört, und ihre Nachbarn lebten und starben mit der Stunde. Aber mit den Unbewußten ist Gott, denn er freut sich an ihrer Frische. Er gießt keinen neuen Most in einen alten Schlauch, sondern er schafft sich einen neuen. Das alte Weltbewußtsein war in tausend unseelige Trümmer auseinandergegangen, und siehe, an die unbewußte Unschuld knüpft sich die neue Weltordnung an. Die Unbewußte, die Jungfrau, trägt unter ihrem reinen Herzen den Erlöser. Die Unbewußte, die Jungfrau, wird von der Kraft des Höchsten überschattet. So werden später unter den Völkern nur die neuen, unbewußten, jungfräulichen Germanen auserkoren, um die erlösende Lehre des menschlich gebornen Gottes in der Weltgeschichte siegreich zu machen. Alles wird auf einen reinen und neuen Stamm gepfropft. Die Jungfräulichkeit ist die höchste Macht aller Weltentwickelung, das erste Gesetz in der Geschichte. – –

Maria bat fortzufahren, und legte in der Aufmerksamkeit des Zuhörens ihren Arm vertraulich über die Schulter des Redenden. Ringsumher begünstigte die wieder ruhig gewordene Nacht den Gedanken.

Die Madonna stand weinend am Kreuze, und auf ihren Schleier sprützten die Blutstropfen des Sohnes. Er aber sprach zu ihr: Siehe, Weib, das ist Dein Sohn! Und von dieser Stunde an ging die Mutter mit dem Sohne in die Weltgeschichte über. Die Menschen wollten Bilder haben, denn ihnen wird bange vor dem reinen Geist. Sie wollten schöne Bilder hineinstellen in ihr kahles Dasein, und erhoben die Madonna in aller Glorie der Verherrlichung auf den Purpurthron ihrer Andacht. Die Jungfrau gründete den Olymp der christlichen Mythologie. Es war rührend, an sie zu denken, und wessen Herz riß es nicht hin, wenn die jungfräuliche Mutter der Christenheit vor ihn trat in seine Anschauung. Eine Mutter, eine Jungfrau, die zwei Blüthenpuncte des Menschlichen! Und sie schenkten ihr schöne Kleider, von Gold und Silber schwer, und hingen schimmernde Juwelen um ihren Lilienhals, und wer den kostbarsten Diamant hatte, steckte ihn opfernd an der Madonna Busen. Es wurde durch sie die geistige Erhabenheit der neuen Religion näher hinangerückt an die alte Freundlichkeit der menschlichen Gewohnheit. Und so wurde der Madonnendienst wichtig in frühen Jahrhunderten. Wessen Seele in das Unsichtbare nicht hineingriff, der betete das Sichtbare an in der milden Gestalt einer Jungfrau, und war doch gewiß, daß diese Gestalt zusammenhing mit dem unsichtbaren Geiste. Maria wurde die Vermittlerin, sie wurde die Fürbitterin am Kreuze. Gott war die Wahrheit, und die Madonna war das Bild. Das Bild schien sanft wie der Abendstern in die Augen der Frommen, und die Wahrheit schnitt wie eine scharfe Sonne in den Grund der tiefsten Tiefen hinein. Es war die mythische Zeit des Christenthums, und die Frommen klammerten sich an das Bild, und wandten sich an die Sanftmuth des Abendsterns. In der Jungfrau knüpfte sich wieder das Unbewußte in stillen schonenden Uebergängen an das göttliche Bewußtsein an. Das Bild zeigte mit seiner vielverheißenden Miene auf die Wahrheit hin. Die Glorie der Jungfrau predigte von der Menschlichkeit des Gottes. Alles nahm sich heimlicher und traulicher aus für die Frommen, und die Gewalt des offenbarten Geistes, die hinter diesen Zeichen wogte, konnte sie nicht mehr blenden. Zum Ueberfluß wurde der christliche Olymp nun bald noch vollständiger besetzt, damit der Geist, der auf Erden erschienen war, von der Schärfe der Geistigkeit verliere und in die Milderung der Bilder getaucht werde. So reihten sich die Heiligen und die Märtyrer in langen Schaaren um den Purpurthron der Madonna. Sie wurden so sehr zu mythologischen Figuren, daß sie, gleich den Göttern der antiken Welt, Begriffe bezeichneten, in den Naturkräften walteten, und als Schutzpatrone besonderer Lebensverrichtungen gedacht waren. Jene Heiligen, welche die Augen, Ohren, Nasen, Brüste, die Felder und Häuser, die Gärten und Wiesen behüteten, waren nichts mehr, als die Dryade, die im Wachsthum des Baumes seufzt, oder Priapus, der die natürliche Fruchtbarkeit fördert. Nun vervielfältigten sich durch diese Halbgötter die Bilder. Und die Künste kamen, von dem reichen Stoff gelockt, und bemächtigten sich mit Begeisterung ihrer Gegenstände. Die Künste stehen zwischen dem Bild und der Wahrheit in der Mitte. Sie sind die herüber und hinübergehende Sehnsucht zwischen beiden, und zugleich eine ächt menschliche Befriedigung dieser Sehnsucht. Sie bilden eine naive Harmonie der Unbewußtheit und der Bewußtheit in ihren großen Erfindungen aus. Der Geist läßt sich voll Liebe gehen in diesen schönen Formen, er offenbart sich in diesen Farben, und sein Unsichtbares geht fühlbar hindurch durch diese Lichter und Schatten. Aber er ist nicht der Geist als solcher, sondern er spricht aus der bunten milden Form zu Dir. Und die Formen schwellen, sie dehnen und runden sich, und Engelshände scheinen all diese Lieblichkeit gebaut zu haben. Aber es ist nicht die Lust der Form, sondern die Form hat sich an Gott berauscht, und ist in ihm seelig geworden. Die Malerei wurde die christlichste unter den Künsten, und die erste Kunst des Christenthums, weil sie diese Aufgabe ihrer Zeit am großsinnigsten löste. Rafael sah die Madonna in seinem Geist, und vertiefte sich in ihre Bedeutung, und malte sie, wie noch Keiner sie gedacht hatte. Rafael war der Erste, der den Katholizismus zu idealisiren begann. In seinen Bildern ist katholische Andacht, Glanz und Mystik, aber protestantische Klarheit und Gedankenerhellung zugleich. Seine Gesichter deuten alle wie im Geiste weissagend in die Zukunft hinein. Er ist der größte Maler, denn er malte das Ideale aus dem Mythus heraus, und stillte durch die zarteste Form den Drang der Wahrheit im Bilde. In diesem Rafael ist etwas Prophetisches, etwas Welthistorisches, das ihn so bedeutsam in das Zeitalter der Reformation hineinstellt. Der katholische Mythus tritt geläutert und reformirt in Rafael auf, und zeigt in dieser Blüthe seiner Darstellung, in welcher der mächtig werdende Gedanke den Fittig hebt, auf die höchste und letzte Stadie des christlichen Bilderdienstes hin. Man vergleiche nur seine Madonnen mit denen der andern Maler, und werde gewahr, wie er immer aus der höchsten und tiefsinnigsten Idee seine Gestaltengebung geschöpft hat. Ich will jetzt nicht von seiner Madonna del Giardino in Wien reden, an die ich heut schon auf andere Weise so merkwürdig erinnert worden bin. Am meisten steht mir in diesem Augenblick die große Sixtinische Madonna vor Augen, zu deren Füßen ich ebenso lange in Anschauen versunken liegen möchte, als die kleinen Engel, die so gedankenvoll zu ihr hinaufblicken. Andere Maler haben mit mehr oder minderem Glück in der Jungfrau mit dem Kinde die stolzbeglückte Mutter, die mütterliche Hoheit, das Nimbusreiche, das Strahlende hervorgehoben, und zu den meisten dieser Bilder denkt man sich sogleich und unwillkürlich eine katholische Kirche dazu, von deren Wänden und Kreuzgängen sie die Vorstellung sich kaum abzutrennen vermag. Rafael hat in seiner Madonna immer am entschiedensten das Jungfräuliche gebildet, und zwar das Jungfräuliche in der tieferen, religiösen und welthistorischen Bedeutung, auf die ich vorhin gewiesen habe. Dadurch hat er das Verschämte, das Süße, und dann das allgewaltige mütterliche Glück, das ihr im Kinde zu Theil geworden, keineswegs zu schaffen vernachlässigt. Er hat mit göttlichem Pinsel das Liebliche und das Tiefsinnige ineinandergemalt, und jener Tiefsinn der Jungfräulichkeit ist wohl nirgend so zum vollendeten Bilde geworden, als man an der Sixtina in Dresden sieht. Ich weiß nicht, ist es das Hohe, das Erhabene, das Gedankenschwere, oder ist es das Jungfräuliche, das Reine und Schlanke, das Mädchenhafte, was mein Herz vor diesem Bilde niederwirft. Die vom Geist überschattete Mutter Gottes und die zarte, unschuldige Magd sind gleicherweise ausgedrückt in diesen Zügen, in diesen Blicken, in diesem wunderbaren Körper. Die schwebende Bewegung der Gestalt, der gottesehrfürchtige Ernst der Augen, ziehen die Gedanken in das Unendliche und Unsichtbare aufwärts, und die süße Leiblichkeit bindet sie wieder an die Anmuth der Form als an ihre irdische Gränze. Das Mädchen zieht von der Göttin ab, und die Göttin von dem Mädchen. Und so ist alles menschliche Denken. Die Idee faßt sich in ihrer tiefsten Geistigkeit, und wird doch gern wieder Leib, und muß es werden, weil für den Lebenden ein so seltsamer Zauber auf dem Irdischen ruht. Und das Kind der Welt ist von diesem jungfräulichen Leib geboren worden! Wie ätherisch, wie vergeistigt, wie verklärt ist dieser Leib in allen seinen Formen, daß man sieht, ein großes Weltgeheimniß leuchtet aus der feinen Durchsichtigkeit dieser Glieder heraus! Bei diesem Bilde fällt mir kein Kreuzgang einer katholischen Kirche ein, in dem ich es mir denken müßte. Rafael hat hier, wie immer, für die unsichtbare Kirche gemalt. Seine Bilder sind Weltbilder, er ist ein Weltmaler. Was die großen Helden der Geschichte mit dem Schwert verfochten, was die Dichter und die Weisen im Sinne gehabt, hat Rafael mit Farben geschrieben. Die Weltfreiheit des Gedankens. – –

Laß uns nun, holde Maria, auch die andern Künste in ihrem Madonnendienst belauschen! Wir sind einmal im Zuge, wir haben uns weit in Betrachtungen verloren. Es wird spät, aber Du bist ein freies Mädchen, und wachst mit Deinen sinnenden Augen gern in die Geisterstunde hinein, und ich verehre Dich! Die sich verstehen, sind für einander geboren, und fragen beide nicht nach Zeit und Stunde. Die gemeine Ordnung der Dinge berührt nicht Die, welche frei und muthig sind im Geiste. Ich habe immer im Stillen meine größte Schadenfreude daran gehabt, wenn ich die Regel der Verhältnisse verachten konnte. Und Du bleibst bei mir, schönes, freies, geniales Mädchen! Die Mitternacht ruht schwer und träge über unsern Häuptern, die Eule schreit drüben auf dem Kirchthurm, aber helle, wachsame Gedanken gehen auf und ab auf Deiner holdseeligen Stirn.

Die Kunst des Katholizismus war die Malerei, aber die andern Künste konnten sich nicht emporschwingen an dieser Aufgabe. Die Musik stimmte zwar erhabene Töne an, und führte große und herrliche Stücke auf zu Ehren der Kirche, aber sie blieb, ihrer Natur nach, ganz in bigott katholische Gefühle verloren, und konnte daher wegen dieser Einseitigkeit ihrer Andacht nicht dazu gebraucht werden, an jener welthistorischen Aufgabe der Versöhnung zwischen Bild und Wahrheit, Mythus und Gedanken, mitzuarbeiten. Die katholische Kirchenmusik blieb mit ihren zerknirschten Empfindungen in den Mythus versunken, während die Malerei in ihrer höchsten Blüthe ihn zu idealisiren unternahm. Gehörte Rafael der Welt, so waren Palestrina und Marcello nur fromme Söhne ihrer Kirche. Ihre Psalmen und Motetten, ihre Messen und Cantilenen, rauschten von der Orgel, und klagten und jubelten durch den hohen Dom, aber hinter ihnen waren die Kirchthüren zugeschlagen, und nur fern von draußen hörte man die Strömung des Lebens. Rafaels Altarblätter dehnen sich hinaus über die Bogenwölbung, unter der sie ruhen, sie sprengen das Dach und die Kuppel, und machen Dir oben den blauen Himmel frei und eine weitblickende Fernsicht. Die Musik der Messe macht Dich orthodox, wenn Du es noch nicht bist. Ihr mythischer Ernst nimmt Deine Seele gefangen, die Heiligkeit der Tradition braust mit Posaunenklängen dazwischen, und auf süß verlockenden Saiten wird ein gefährlicher Friede des Herzens Dir angeboten. So haben noch bis in die neuesten Zeiten Cäciliens tönende Engel die meisten Proselyten gemacht. Und was that die Poesie, diese Göttin, als sie katholisch war? Sie hat ein ungeheueres Gedicht hervorgebracht, die göttliche Komödie des Dante, von dem ich hier nicht reden will, weil es unter andern Gesichtspunkten zu betrachten, denn der katholische Mythus ist in dem Geist dieses gigantischen Dichters speculativ geworden. Nicht zu weltfreien Formen idealisirt, wie in Rafael, nicht in dunkler Inbrunst des Gefühls ausklingend, wie in Palestrina, hat bei Dante der Katholizismus, um sich auf einen tieferen und reicheren Lebensgrund zu stellen, vielmehr fremde Elemente in sich aufgenommen, und mit scholastischer Philosophie und antiken Formen sich gemischt. Am meisten kirchlich blieb die katholische Poesie in den Autos des Calderon, und über dem Haupt dieses spanischen Dichters drückte sich die Decke der Kirche am Ende so eng zusammen, daß er auf seinem Todbette alle die wunderschönen weltlichen Dramen bereute, die er gedichtet, und die noch heut seinem Namen einen lieblichen Klang unter uns geben. Aber das Kirchenlied ließ in seinen herrlich tönenden lateinischen Rhythmen manche rührende Laute hören, und dichtete das tiefbewegte Stabat mater, das noch immer für jedes andächtige Herz einen hinreißenden Schwung hat. In wie kindlich frommen Weisen hat hier nicht die Andacht zu der Madonna Worte gefunden. Sie steht vor dem Kreuz des Sohnes, die Thränen stürzen ihr über die blasse Wange herab. Das Todesschwert, das die heiligen Glieder durchdrungen, ist auch tief in ihre Seele gefahren, und der Schmerz der ganzen Menschheit zuckt durch die Brust der gebenedeiten Mutter. Da schleicht sich die Andacht der Gläubigen leise an ihre Seite, und schmeichelt sich bittend zu ihren großen Schmerzen hinan. Die menschliche Andacht will mit der Madonna weinen, sie will mit ihr am Kreuze stehn und mit der Königin der Jungfraun die unstillbare Klage vereinigen. Sie will gern Theil haben an den Qualen, die vom Kreuze ausgehn, und sie fleht, daß die Hochgebenedeite den Menschenseufzer unter den ihrigen mische, damit er aus ihrem Munde in den Himmel komme. Eine wunderbare, durchdringende Beredtsamkeit spricht aus diesen klagenden und flehenden Tönen, und dazu haben die kurzen Verse und einfachen Reime der lateinischen Sprache eine Naivetät über diese Andacht ausgegossen, die noch herzergreifender wirkt.

Ich kann es singen! sagte Maria. Wenn sich der blutige Madonnenschleier in meine Träume webt, flüstert auch oft diese Melodie, die dem Freunde bekannt sein wird, durch meine Seele. O, o, ich bin ja auch eine Katholikin!

Sie schwieg, eine kleine Pause lang. Dann überraschte sie mich durch die herrlichste Stimme. Bebend, seufzend, hingerissen, in Erdenqual verloren, und dann doch wieder großartig, abgemessen, ruhig, mit einer himmlischen Ueberzeugung, sang sie, mehr recitirend, die ersten Strophen.

 

Stabat mater dolorosa
Juxta crucem lacrymosa
      Dum pendebat filius,
Cujus animam gemeatem,
Contristantem et dolentem
      Pertransivit gladius.

O quam tristis et afflicta
Fuit illa benedicta
      Mater unigeniti,
Quae moerebat et dolebat,
Et tremebat, cum videbat
      Nati poenas inclyti.

Hier stockte, hier zögerte und zitterte ihre Stimme, und sie wollte nicht weitersingen. Ihre Töne waren mit einer seltsamen Gewalt durch die stille Nacht hingeklungen. Mir selbst waren sie aufs Herz gefahren, und ich fühlte mich wie betroffen, ich weiß nicht warum. Ich stand unruhig auf, und sie hing sich wieder an meinen Arm, und ging schweigend mit mir fort durch die finstern Gartengänge. Es war mir lieb, daß sie nicht weitergesungen, denn in die Stimme dieses Mädchens hatte sich plötzlich ein dunkler, zweischneidiger Schmerz hineingewälzt, der Alles in mir aufzurühren drohte, was jemals von Metaphysik und Verzweiflung durch meinen jungen, an der Welt hängenden Geist gegangen war. Maria hatte, indem sie sang, den Versuch machen wollen, sich innerlich von der Welt loszusagen, die so arm und blüthenlos für sie geworden war. Sie hatte, so schien es mir, sich ganz hingeben wollen an diese religiöse Inbrunst, die mit dem Liede von ihren Lippen floß, um nun für immer Ruhe zu haben von den Stürmen und Wünschen des Lebens. Sie hatte sich mitten unter diesen Tönen inwendig Gelübde abgerungen, Alles zu lassen, was der begehrliche Sinn noch von des Lebens trügerischen Schätzen gehofft. Aber ihre Seele war darin unterwegs stehen geblieben, und hatte nicht weiter gekonnt. Sie mußte noch unendliche Lust an der Welt in ihren verborgensten Gedanken entdeckt haben, und war vor sich selbst erschrocken, wie sehr sie am Leben hing. Ihr Gesang, auf dessen Flügeln sie sich an die Seite der Madonna hatte flüchten wollen, und unter den sanftverhüllenden Schatten des Kreuzes, war abgerissen in todesschmerzlichen Zuckungen. Er seufzte diesem Frieden noch einmal, aber vergeblich nach, und erstarb dann auf ihrem Munde, und verklang in die Nachtlüfte. Sie gab den Frieden am Busen der Madonna auf, den Frieden und das gemeinschaftliche Tragen des Leides, darum schwieg sie, aber sie hatte und sah noch nichts, was sie sich dafür hätte schenken können aus dem Reichthum des Lebens heraus. Darum verstummte sie ermattet. Zerrissen, zerrissen war das Lied von der mater dolorosa tief in der strebenden Seele.

Hier und da waren aus dem verworrenen Dunkel der Wolken helle Sterne aufgetaucht, und standen, den Himmel über uns erweiternd, wie beruhigende Zeichen über unsern Häuptern da. Wir wandelten lautlos fort, und ich wagte noch nicht, sie nach den geheimen Bewegungen ihrer Seele zu fragen.

Dann sagte sie halblaut, um nur unsere ängstliche Stille zu unterbrechen, warum ich noch nichts von der katholischen Baukunst bemerkt, welche die schönsten Kirchen hervorgebracht, die sich nur für die Wohnstätte der Andacht denken ließen?

Diese Gegenstände alle, erwiederte ich, haben mir plötzlich eine solche Bangigkeit erregt, daß ich sie nicht weiter verfolgen mag. Die wilden Nachtgespenster, Mädchen, schleichen sich mit ihnen in unsere Seele! Auch greift die Baukunst der sogenannten gothischen Kirchen tiefer und umfassender in den Sinn des ganzen modernen Lebens ein, als daß sie in irgend einer engeren Bedeutung dem Katholizismus angehören sollte. Von der katholischen Sculptur aber, welche die Heiligen und die Madonna an den Heerstraßen und in den Waldkapellen in dieser, wie mich dünkt, keineswegs anbetungswürdigen Gestalt aufgerichtet hat, will ich vollends nichts sagen. Ich darf Deine Gedanken und Deine Phantasie nicht noch mehr quälen, Maria! Armes Kind, Du sollst Deine heitern und muthigen Lebenshoffnungen noch nicht ins Grab legen, und sollst nicht zagen, wenn Du der Welt mehr angehörst als den Heiligen und ihren Bildern. In jener Sculptur haben die Bilder, an welche der Frommen Herz sich hängt, bereits ihre ausartendste Verzerrung erlitten. Von dem Bilde ist die Schönheit gewichen, der Mythus ist in die häßlichsten Formen verkrüppelt. Die katholische Sculptur deutet den Verfall des katholischen Bilderdienstes an, denn wo keine ächte Kunst mehr ist, ist auch keine Wahrheit da. Die Sculptur ist die letzte der katholischen Künste, und noch täglich ist sie geschäftig, neue Bilder und Leiber der Heiligen in Holz oder Stein auszuhauen. Aber es ist, als hätte sie den Muth nicht mehr, dem hellen Tag unserer Zeit ins Angesicht diese Leiber und Bilder mit der höchsten Weihe der Kunst zu schmücken. Die Hand zittert ihr kraftlos, weil die Wahrheit bereits so mächtig geworden in dieser Zeit, und das Bild geräth ihr jetzt so schlecht, daß man es ihm gleich ansehen muß, es sei nur ein Götze. Das Bild zeigt nicht mehr auf die Wahrheit hin, der Mythus hat den Gedanken verloren. Das Geschlecht hat sich verändert, und ist sehr ernst geworden und sehr vernünftig. Zeichen und Wunder sind größere und mächtigere geschehen in den Umwälzungen der Zeit, als in alten Heiligengeschichten. Die Wahrheit hat sich von der Magie der Bilder, in die sie verzaubert war, befreit und losgerissen, und hat sich alleinherrschend um Leben und Tod auf den Zenith der Menschheit hinaufgekämpft. Die Besten wissen nichts mehr davon, daß etwas in ihnen klinge von der Wunderpoesie des Madonnenschleiers. Die Madonna ist in die schöne Vergangenheit der Bilder zurückgetreten, sie lebt am herrlichsten in den Gemälde-Gallerieen, und hat ihre tiefste Bedeutung in der Mythe. Christus aber schreitet als der Geist der Fortentwickelung durch die Geschichte, und die Religion bildet sich im Geist und in der Wahrheit in die Welt hinein. Die Welt wird arm an Zauber der Mythe, aber sie erhebt sich durch ideelle Einheit, an der sie reicher wird, zu einem Ganzen. Sie ist nicht mehr der abgefallene Engel heut, noch der Gegensatz des Geistes, sondern der Geist hat sich in ihr niedergelassen, und hat Hütten in ihr gebaut. Alles wird weltlich in unserer Zeit und muß es werden, selbst die Religion. Denn es kann nichts Heiligeres mehr geben, als das Weltliche, nichts Geistlicheres, als das Weltliche. Alles hat jetzt eine und dieselbe Geschichte, und was eine Geschichte hat, gehört Gott an, mag es nun in einem Kloster wohnen oder liegen auf dem Schlachtfeld. Nachdem diese Gegensätze des Weltlichen und des Geistlichen gefallen, haben die Völker freiere und großartigere Weltbildung unter sich heimisch gemacht. Die Welt trauert und krankt nicht mehr an einer unklaren Sehnsucht, sie entfaltet sich thatkräftig in sich selbst, und vollzieht so das Höchste. Alles, Alles ist Weltgeschichte, es kann kein gottwohlgefälligeres Leben geben. Man arbeitet, kämpft und stirbt für seine Zeit, man ist heiter mit ihren Thorheiten und ernst mit ihren Bestrebungen, und hat einen heiligen Wandel geführt. Die Zeit, in der wir leben und wirken, gibt uns die Weihe, sie ist unsere Fürbitterin und Vermittlerin vor Gottes Thron, und eines andern Heiligen bedürfen wir nicht dazu, wenn wir geirrt haben. Märtyrer sind wir uns selbst genug mit unserem Herzen. Was ist denn heilig? Ich kann mir nichts Anderes darunter denken, als daß Gottes ganze Welt in Blüthe steht, und sich entwickelt. Mit dem Heiligen ist es mir immer eigen gegangen, daß ich es nicht anders habe begreifen können. Ich muß im Grunde ein sehr profanes Gemüth haben, jedem Geistlichen gegenüber. Aber tröste Dich, Maria! Mit mir tröste Dich! Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir, Du kannst keine größere Heilige auf Erden sein, als wenn Du eine Weltliche bist! Schönes Mädchen, ich erwähle Dich zu meiner Heiligen, damit Du nicht zu sehr verzagst an Dir! Ich grüße Dich als meine Heilige, eine Weltheilige! Ich küsse Dich!

Sie sank mir von selbst in die Arme. Zärtlichere Lippen hatte ich nie geküßt, und doch vermischten sich mit der Gluth dieses Kusses heiße Thränen, die ihr aus den schmerzlich glänzenden Augen stürzten. Dann richtete sie sich still auf, und ruhte einen Augenblick ihr Haupt an mir, und sagte, ihr ganzes Herz hätte ich errathen. Ihr Herz mit ihren Schwächen und Wünschen, mit all der geheim nistenden Qual. Dann riß sie sich ganz los von mir, und sagte, ihr sei doch nicht zu helfen. Sie ging mit heftigen Schritten auf und nieder, und die leichte feenhafte Gestalt zeigte sich in dem rührendsten Zauber ihrer Bewegungen. Sie sah unendlich reizend aus, der Schmerz hatte eine liebliche Unordnung über ihr Wesen verbreitet. Sie weinte in sich hinein, daß sie eine Verlorene und Verstoßene sei aus der Welt!

Wie kann man verloren sein, mußte ich ihr erwiedern, wenn man jung ist, und eine Weltheilige? Die Welt hat Dich nicht ausgestoßen, sie will nur, daß Du Dich wieder zurechtfinden sollst in ihr. Sie ist groß und weit. Sie ist gut und göttlich.

Ich habe sie genossen, sie hat mich gelockt und verführt! klagte sie. Und sie lockt mich noch immer. Sie ist schön, und läßt mir keine Ruhe! – Sie versprach mir, von ihrem Leben Alles aufzuschreiben, und auf wenigen Blättern mir Alles zu geben, wann wir uns wiedersähen. Ob wir uns wiedersähen?

Dies erinnerte mich, daß wir uns trennen mußten. Wir hatten die Zeit schnell mit diesen unruhigen Nachtgesprächen hingebracht. Ich fragte halb lächelnd, halb schmerzlich, ob sie mit mir gehen wolle in die weite Welt hinaus? Wir wollten gut zusammen wandern durch die weite Welt!

Die Welt ist groß und weit, die Welt ist gut und göttlich! wiederholte sie, auflächelnd, meine Worte. Ach! sagte sie dann, zusammenzuckend, ich ginge gern als Jockey verkleidet mit auf die Reise, wenn ich nur hinwegkommen könnte aus des Vaters dumpfer Hütte, und von diesen böhmischen Heiligenbildern, die mich bedrückend ansehn, daß ich hier nicht athmen kann, und die auf mich herabzustürzen drohen, wenn ich sie angstvoll grüße!

Laut schluchzend stürzte sie auf mich zu, und ich fing sie erschrocken in meinen Armen auf. Dann schien ihr selbst bange darüber zu werden, daß sie sich so unverholen ausgesprochen.

Es ist Schade, daß ein wandernder deutscher Schriftsteller keinen Jockey brauchen kann. Hilf Himmel! wie bunt wirrt und zerrt sich das Leben durcheinander in der Bedrängniß der Gemüther.

Wir sehen uns wieder! Maria! Maria! ich muß fort, und wir sehen uns wieder! Gott behüte Dich, meine Weltheilige! Glück schieße reich an Dir auf, und bringe Dir noch den Genuß der schönsten Tage! Von jeder Reisestation aus will ich an Dich schreiben, wie es in der Welt hergeht, und wie ich dort und hier, fern und nah, es finde!

Wie jener Bischof, welcher dem Bettlerknaben wenigstens seinen Segen schenkte, der ihm geringer als Hellerwerth zu stehen kam, wollte ich, gleich einem ächten Deutschen, ihr wenigstens etwas schreiben, da ich vom Glück der Welt ihr sonst nichts zu schenken hatte.

Diesen Schriftstellersegen nahm sie an, und ich versprach ihr feierlich, ihr alle meine Tagebücher zu schicken. Darin sollte ihr nichts verschwiegen werden. Sie sollte miterleben, wie der Strom der Welt meine junge Brust zertheilt.

Dann, sagte sie, müsse ich auch ganz aufrichtig gegen sie sein. Sich selbst belächelnd, fügte sie hinzu: sie sei sehr neugierig hier in ihrer großen Einsamkeit, wie es die Welt draußen weiter treibe. An Tugenden wie an Lastern der Menschen wisse sie hohes Interesse zu nehmen, sie verstehe längst das Leben wie ein Buch zu lesen. Ich solle selbst die verbotenen Stellen darin mit sympathetischer Tinte für sie zeichnen. Sie sei noch immer lüstern auf Alles, was Leben heißt. Sie sei eine solche Närrin, daß sie jedes Sumpfblümchen, wenn es nur im Freien gewachsen, an ihr Herz drücken könne. Ich sollte sie den Jubelschrei der Volksfeste, die Trauermusik der Leichenzüge, die großen Spectakelstücke von Liebe und Haß, die Maskenbälle des Wahns und die Fackeltänze der Leidenschaft, bis in ihr Dorf spielen, hören, sehen, empfinden lassen! Ob ich ihr denn auch wirklich Alles und Jedes, selbst das Bedenklichste, schreiben wolle, was der Wandel der Tage bringe? Denn die Gefahr gehöre mit zum Leben.

Was die Augen sehen, was die Gedanken aufnehmen, was das heiße Blut in Wallung treibt, wie der unruhige Sinn sich irrt und freut, woran der Verstand sich belehrt und das Herz sich verwundet, solle sie Alles haben, gelobte ich. Sie werde mit mir über die ganze Welt weinen und lachen, sich wundern und sich die Finger verbrennen. Unter der Bedingung, daß ich mit gleicher schonungsloser Aufrichtigkeit ihre Biographie erhielte!

Sie nickte, und floh mit einem Abschiedskuß aus meinen Armen. Dann schlug sie den Rückweg ein durch die Gänge des Gartens. Ich folgte ihr schweigend.

Wir näherten uns dem kleinen Hause, das in seiner düstern Stille wie ausgestorben dalag. An der Thür reichte sie mir noch einmal die Hand, und sagte ernst: Es gibt für mich doch kein Glück mehr. Gute Nacht! Gute Nacht! Lieber Freund! Lieber Fremdling! Gute Nacht!

Dann schlich sie sich leise weinend ins Haus.

Ich eilte, wie von rastlosen Herzschlägen getrieben, ins Freie. In nächtlicher Wanderung wurde noch vor Anbruch des Morgens Teplitz wieder erreicht. –


 


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