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An meine Heilige.

II.
Prag.
Katholizismus, Legitimität, Wiedereinsetzung des Fleisches.


Unter allen Städten, die ich geschaut, gefällt mir, Libussa, Deine Stadt! Sie gefällt mir, denn sie ist nicht von Menschenhänden gemacht. Sie ist ein Kind der Geschichte. Hier ist lauter Architektur der Geschichte, wohin das ehrfurchtergriffene Auge auch blickt, und bei jedem Schritt, der mich durch die ernste Erhabenheit dieser Straßen und Häuserreihen weiter führt, überrascht mich die Geschichte Böhmens mit großen Erinnerungen. Fast in der Mitte ihres Landes gelegen, steht diese Hauptstadt wie ein Product der Geschichte ihres Volkes da, und einzelne Ereignisse und ganze Perioden der Nation haben sich an diesem und jenem Stadttheil angebaut und festgesiedelt in Stein und Mauer, in Erz und Eisen. Kein Kunstmuseum der Vergangenheit, wie Rom, neigt Prag das ruhig stolze Haupt aller Orten nur über ächt nationales Leben seiner alten Zeit hin, und weist mit einem stumm melancholischen Zug auf die einstige Größe einer mächtig strebenden Bevölkerung zurück. Welch' eine Reihe von hochgebauten Häusern, großartigen Palästen, unzähligen Thürmen und Kirchen, volkbelebten Gassen und Straßen! Welche Märkte und Plätze, mit hohen Bogengängen, kunstgeformten steinernen Brunnen, glänzenden Gewölben und Läden! Und dabei nicht, wie in Berlin und München, den Maurermeister oder Baumeister zu kennen, der dies und jenes Haus gemacht und gezimmert hat, sondern in dem erhebenden Gedanken hinzuschreiten, daß hier die historische Entfaltung eines gesammten Volkes thätig gewesen ist, um ein Ganzes, eine Stadt, eine Stadt im wahrsten und höchsten Sinne des Wortes, hervorzubringen, entstehen zu lassen! Denn eine Stadt ist und muß noch etwas ganz Anderes sein, als bloß eine geordnete Masse von Häusern.

Und doch, bei allem diesem reichen Leben der Stadt, bei allen diesen genußlustigen Gesichtern der Menschen, welche heimliche Trauer weht mich an aus den Straßen von Prag! Ich weiß nicht, bin ich es, der melancholisch ist, oder ist es Prag? Sind es die dunkeln Geister der Vorzeit, welche mit bangem Schritt durch die Gasse wandeln? Sitzt der faule Wenzel noch auf dem Thron, und verbreitet um sich her bleiche Schrecken? Brennen die Hussiten wieder eine katholische Kirche nieder, haben sich neue Kämpfe um Glauben, Recht, Verfassung und Satzung entsponnen? Warum wird es zuweilen auf Einmal so still, so ängstlich, so nachdenklich in Prag? Horch, da klirrt ein Fenster. Es wird doch kein katholischer Reichsrath herausgeworfen werden, wie zu der Hussiten Zeiten! Nein, es ist eine schöne Pragerin, die ihre Blumentöpfe begießt. Schöne, schöne Pragerin, Du machst Deinem Lande, Deinem Volke Ehre! Ein Volk, das so schöne Mädchen hat, kann und darf und wird nie untergehen. Es ist gar nicht möglich.

Doch ehe wir in die Häuser und Stuben hineingehn und mit den Gesichtern Bündnisse und Verträge schließen, laß uns noch einmal die Stadt anschaun, liebe Heilige! Komm, komm, ich weiß, Du ziehst gern in der Welt herum. Nachdem ich Deine Bekenntnisse gelesen, ist meine Sehnsucht zu Dir noch stärker und inniger gewachsen. Ich habe Dich verstanden, und bin Deiner Seele an manchem Kreuzweg begegnet, an dem auch ich stand, und bald gebetet, bald geflucht habe. Du aber hast wie eine weibliche Seele gehandelt und geduldet, und bist dabei schön geblieben. Aus mir hat Gott einen Mann gemacht, und ich bin bei weitem ruchloser ins Zeug der Welt hineingefahren. Doch haben mich mitten in meiner Ruchlosigkeit gute und weit ins Leben blickende Gedanken überrascht. So geht es aber allen den strebenden Geistern der heutigen Zeit, sie lernen viel aus dem Fleisch der Welt. Und das Fleisch und die Welt werden für den Kundigen immer durchsichtiger, denn darin hat sich Gott offenbart. So sei mir denn noch einmal ganz aus tiefstem Herzen gegrüßt, Du weltliche Seele. Ich bin es, wie Du. Eine weltliche Seele, die oft an Gott denkt, und an die Geschichte. Warum bist Du nicht bei mir, und warum reisen wir nicht zusammen, da ich Dir verwandt und Du mir? Ich habe mein Lebelang einen ungestillten Drang nach verwandten Seelen gehabt, weil ich mich immer so langweile in aller Gesellschaft. So komm denn, ich will denken, Du bist hier! Ich denke gern an Dein weltliches Marienbild, o Maria, Madonna! Komm, ich will Dir Prag zeigen, hier ist viel, worüber wir noch mit einander zu sprechen haben. In Prag ist viel Welt, viel Fleisch und Blut, viel Geschichte, und für Gott sind viele Kirchen, wenn auch nur alleinseeligmachende, gebaut.

Von der Neustadt aus, in der ich mich eingemiethet habe, laß Dich durch den alterthümlichen Pulverthurm, dem wir nur im Vorbeigehn unsere Ehrfurcht beweisen, die stattliche Zeltnergasse entlang, und noch über manche Straße der Altstadt fort, zuerst bis zur Brücke von mir führen! Deine Dresdener Brücke, über die Du nach der Messe oft spaziert bist, kann sich mit dieser, die den heiligen Nepomuk selber trägt, nicht vergleichen, und auch die Elbe nicht mit der inselreichen Moldau, welche hier zu beiden Seiten in breiter Strömung vor dem Auge hinwallt. Nun sieh Dich um, rechts und links, während wir schnell über die Brücke gehn, und diesmal, schau! lüfte ich auch den Hut vor dem heiligen Nepomuk mit seinen Sternen, denn seitdem ich damals, mehr aus Liebe, als aus Grobheit, Deine Madonna nicht grüßte, habe ich schon etwas gelernt in katholischen Landen. Und nun sind wir auf der Kleinseite, der Wiege Prags, und oben vor Dir erblickst Du den erhabenen Hradschin, wo die Könige Böhmens thronten und jede Thurmspitze in eine graue Vorzeit hineinragt. Diesmal führe ich Dich jedoch weder in das Schloß, noch in die uralte Domkirche, noch in das Haus von Loretto, noch auf die Sternwarte Tycho Brahe's. Unser Weg ist weit und beschwerlich in der Hitze, aber Du bist gut zu Fuß, und so steigen wir, trotz der Mittagsglut der Sonne, hoch oben hinauf auf den Laurentiusberg, wo ich das ganze vielgethürmte Prag Dir zu Füßen legen will. Wir gehen immer die Mauer entlang, und gelangen endlich zu einem Höhepunct dieses felsigen Petrin, wo wir plötzlich tief unter uns Alles schöner, reicher, zauberhafter wiederfinden, als wir es verlassen hatten. Nämlich die Stadt in der malerischen Perspective aller ihrer Theile, ein wunderbares Lebensbild, das aus dem fernen Erdenthal die Augen zu uns emporschlägt, die Hände zu uns heraufstreckt.

Hier oben haben wir den höchsten Standort, von dem wir den ganzen Umkreis bis weit hinaus über Böhmens Gränzen beherrschen, erreicht. Zu Häupten den hochziehenden Wolkenhimmel mit blauem und weißem Geäder, und hinten an den Säumen des Horizonts die ferngelagerten Reihen der Gebirge, die wie Riesenadler mit lang ausgreifenden Fittigen in den Lüften verschweben. Aber werfen wir aus unserer Abgeschiedenheit die Blicke dahin, wo wir in seinen angewiesenen Gränzen menschliches Leben und Bewegen zurückgelassen haben. Ein wogendes, blitzendes Meer von Dächern, Thürmen, Kuppeln, Palästen breitet sich dort unten über den grünenden Kessel der Moldau in pittoresk hingeworfenen Gruppen aus, und dazwischen schlängelt sich theilend der helle Faden des Stroms, immer frohen Laufes, bald gekrümmt, bald eben vorwärts eilend, bald lautaufrauschend gegen seine Wehre, hindurch. Je länger Du hinblickst, je mehr tritt Harmonie in das reiche, mannigfaltige Gemälde, und die Haufen der Häuser theilen sich, und die Straßen ziehen schöne Linien der Ordnung durch die dichten Massen des Steins. Immer deutlicher, immer ausgearbeiteter, immer näher scheinen die Bilder, es ist Dir, als müßtest Du hineinschauen in die Häuser, und während eine große, feierliche Stille über dem ganzen Panorama ruht, meinst Du doch reden und flüstern zu hören dort unten auf der Brücke, die von Menschen nie leer wird, und auf ihren weitgewölbten Bogen majestätisch sich wiegt. Das ist Prag, das ist Prag! es giebt keine andere Stadt, die eine ähnliche Malerei des Anblicks dem Auge, dem Gefühl, gewährt. Vielfarbig schimmernd im Glanz der Dächer, vielgestaltig sich dehnend in allen Formen und Manieren seiner Bauwerke, hochaufflatternd mit seinen unzähligen Thurmspitzen und Kuppeln, liegt es vor Dir wie ein im bunten Gestein ausgehauenes Mährchen, auf dessen ernsthafte Anmuth der Sonnenstrahl des Tages herabfällt. Goldene Träume, finstere und heitere Erinnerungen, schweres Verhängniß, alter Fluch, glorreiche That, Segen Gottes, und dunkler Dämon der Geschichte, schweben hin und her mit Geisterflügeln über ihrem Dunstkreis. Sorgen und Leichtsinn, Melancholie und Genuß, Leidenschaft und Phlegma, Ueppigkeit und Trauer, prägen sich aus auf dem Gesicht dieser Slawin! Das ist Prag, die geweissagte Stadt, wie im achten Jahrhundert Libussa sie im Geist aufsteigen gesehn, als Seherkraft die Fürstin ergriffen hatte mit großen Bildern. Und indem ich hier hoch oben stehe, still und einsam, nur von scharfgehenden Lüften umrauscht, ist es mir, als käme ein Sehergeist auch über mich, und zöge meine Blicke zurück in fernverflossene wunderbare Zeiten. Libussa erscheint mir, von der ich in alten Chroniken viel gelesen, und ihre holde Fabelgestalt mahnt mich heut wie eine Wirklichkeit. Dort drüben, dort drüben auf dem ernsten felsigen Wysserad, den wir von hier erschauen können, und wo die gewandte Moldau tiefer sich eindrängt in das steile Ufer, dort drüben lag ja ihr altes Schloß Libin. Und es ist mir, als schlügen die Pforten krachend auseinander, und heraustritt die ernste kluge Fürstin, mit eilig bewegtem Schritt, denn die Begeisterung hat sich ihrer bemächtigt. Es ist ein gluthheißer Sommer, schwer hängt die Augenwimper über dem träumenden, vielbedeutenden Auge. Libussa setzt sich auf einen hohen, breiten Felsen, und die Schaar ihrer Dienerinnen drängt sich bangerwartend um sie her, und auch Przemysl, der Stammvater so vieler tapfern Fürsten, steht da und harrt andächtig auf Auge und Mund seines weissagenden Gemahls. Und Libussa sprach: Ich sehe eine Stadt, deren Ruhm bis an den Himmel reicht. Dreitausend Schritte von hier im Walde, nächst der Moldau, wo das Bächlein Brusky hineinfällt, sehe ich eine Stadt emporsteigen aus meinen Gedanken. Und dort gehet hin, wo ein Mann die Schwelle zu einem Haus zimmert, und dort beginnt zu bauen an der Stadt meiner Gedanken. Und Praha sollt ihr sie nennen, Praha, die Schwelle, denn sie wird die Schwelle sein des Ruhmes und der Herrlichkeit der Böhmen! – So sprach die Fürstin, und reckt mit der Hand prophetisch hinaus in die Ferne, und erhebt sich von ihrem Sitz, und schreitet langsam durch die jubelnden Reihen ihres Gefolges zurück in ihr Schloß Libin. Und krachend schlägt wieder die Pforte hinter ihr zusammen. –

Da liegt sie jetzt still hingeschmiegt zu meinen Füßen, die Schwelle des Böhmenruhmes, wie das Volkslied so oft sie nennt. Da liegt der Gedanke Libussas, es war der Mühe werth, ihn auszuführen. Libussa muß schönere Gedanken gehabt haben, als ich. Aus meinen Gedanken wird höchstens ein deutsches Buch, nie eine That, am allerwenigsten aber eine Hauptstadt. Ich gäbe etwas darum, wenn ich auch einmal aus meinem Haupt eine Stadt machen könnte, eine Hauptstadt. Wenn aus allen meinen Ideen lieber Häuser, aus meinen Bildern Paläste, aus meinen Gefühlen Straßen und Brücken, aus meinem Verstand ein Marktplatz, aus meiner Vernunft eine Verfassung, aus meiner Melancholie eine Kirche, aus meiner Bosheit ein Gesellschaftssalon, aus meiner Phantasie ein Liebestempel, aus meiner Lebenserfahrung ein Theater, aus meinem Humor ein Volksgarten, aus meiner Reflexion ein schiffbarer Strom würde, dann hätte die Welt doch etwas davon, und sie sollte sich verwundern, was sie davon hätte! Wahrhaftig, manche Menschen tragen ganze Städte in ihrem Kopf, aber sie können und dürfen sie nur nicht bauen. Sie müssen sie mitsammt den Dachzinnen und Thurmspitzen, die schon aus ihnen hervorwollten, wieder in sich hinunterschlucken, und nur abgerissene Giebelstücke, halbe Stockwerke und zerbrochene Fenstergesimse dürfen sie von sich geben in elenden Büchern, die unter Censur gedruckt werden. Darum verachte ich alle meine Bücher, die ich heut und morgen schreibe, weil es keine Städte sind, in denen ein ganzes Volk zu Heil und Lust sich ansiedeln kann. Es sind nur Nothbrücken in die Zukunft hinein. Vielleicht gelingt es einmal, eine ganze öffentliche Stadt zu bauen, und dann wird die deutsche Literatur erst eine Weltliteratur werden. Libussa, ich beneide Dich! Alle deutschen Dichter beneiden Dich ganz ungeheuer! Du hattest einen Gedanken, und der Gedanke wurde eine große Stadt, des Nationalruhmes Schwelle. Ein deutscher Dichter hat einen Gedanken, und aus dem Gedanken wird eine sechs Treppen hoch von dem Geräusch der Welt entfernte Studirstube. Man muß sich immer erst die Beine ablaufen, ehe man so hoch hinaufkommt, denn es steht nicht mitten im Leben darin. O Libussa! Es muß anders mit uns werden. Die Welt und das Fleisch müssen wieder eingesetzt werden in ihre Rechte, damit der Geist nicht mehr sechs Treppen hoch wohnt in Deutschland. Wenn Geist und Welt sich ganz versöhnt und durchdrungen haben, dann bricht die Ordnung des neuen Lebens an, für das wir jungen Geschlechter, ich und Der und Jener, zu kämpfen und zu schaffen geboren sind. Dann erst haben wir die Poesie unsres Daseins erreicht. Wehe Dem unter uns, der jetzt schon seine Verse für etwas hält. O Libussa! O Libussa! Dann baue auch ich eine große Stadt, aus meinen Gedanken!

Doch still, still! Wo gerathe ich hin hier oben auf dem Laurentiusberg! Noch einmal will ich mit meinen Blicken weit in die Ferne streifen, ich will mein Herz daran stärken, Bilder der Ferne einzufangen. Und es ist ein wunderbarer, herrlicher, nie sättigender Anblick, hier sich wieder und wieder umzuschaun, bald in das gestaltvolle Prag hinein, bald in die blaue Himmelsweite der Gegend. Mit einer großartigen Perspective hat hier die Natur ihre Landschaftsmalereien ersonnen, sie ist besser daran, als die Zeit und die Schriftsteller mit ihren Perspectiven. Sie kann mir hier selbst das Riesengebirge zeigen, das ich dort hinten mit deutlich geformten Gliedern erkenne, wie es eine zackige Schneespitze keck in die träge ruhende Wolke taucht. Und links und rechts, und vor und hinter mir, hundert andere duftumflossene Bergeshäupter, wie eine ehrwürdige Patriarchenfamilie, mit langen silbernen Bärten zwischen den Wolken hingelagert. Die einen still und sanftgezeichnet, wie junge Lämmer mit weißem Vließ, die andern ernsthaft und feierlich, wie weltverachtende Propheten, diese, mit den hochemporgehobenen Nebelgesichtern, dunkelschattig und kopfschüttelnd, wie philosophische Menschenfeinde, jene, mit den feuchten Wimpern, die auf die eisige Wange herniederthauen, zu dem Himmel hinauf schluchzend, wie uraltes Weh des Universums. Rings im Kreise stehen sie um mich her, diese Berge, und schauen mich groß an, und es ist, als hätte mir Jeder etwas zu sagen. Bald wie gebannte Götter, bald wie verzauberte Menschen, bald wie fremde seltsame Thiere neigen sie ihr Antlitz zu mir herüber. Dann scheint es wieder, als hüllten sie sich tiefer und tiefer in den wallenden Schleier, der ihnen Kopf und Busen graugesponnen umfließt, und als wollten sie sich grollend zurückziehen vor der Welt in unsichtbare Regionen. Das ist ein Frieden und eine Schwermuth, eine Erhabenheit und ein banges Schweigen, eine Wildheit und eine Andacht, welches um diese Berggipfel spielt, das sich gar nicht beschreiben läßt, und doch wie mit tausend Zungen in die Lüfte hineinredet. Wie ungebändigte Genies, welche die Flachheit der Erde noch nicht hat hinabzwingen können in die Ebene, stehen sie alle da, und machen mir viel zu denken, ich weiß selbst nicht was.

Und willst Du Dein Auge nun wieder in der Nähe wohlthuend ansiedeln – denn die weite Ferne schmerzt auch, so wie sie erhebt – so laß es auf die grünen Höhen fallen, welche den Rücken der Stadt schmücken und schirmen. Da ist vor allen der Zizkaberg den Du Dir anschauen mußt, bei dem mir jedoch die Historienmalerei, die auf ihm ruht, bedeutender däucht, als die Landschaftsmalerei, welcher er in der Gegend hier dient. Die Historienmalerei, die auf ihm ruht, hat tief in Blut gemalt, Blut in Blut, mit fanatischen Schwerterstreichen. Die gräuelvollsten Tage der Hussitenkriege schweben wie kreischende Gespenster über seiner Anhöhe. Oder blicke noch einmal zu dem hochwürdigen Hradschin hinauf, und zähle die stolze Pracht seiner Kirchen, Klöster und Schlösser, ermiß staunend den Bau der alten Königsburg der Böhmen, und bewundere die gothische Herrlichkeit des Domes zu St. Veit, an dem verschiedene Zeiten gebildet haben. Oder laß das Auge nun, an den beiden Brückenthürmen der Kleinseite vorüber, über die Moldaubrücke fort, in die buntbewegte Altstadt hineingehn, und suche die Thürme zu unterscheiden, die sich da wie eine ehrfurchterregende Gemeinde erheben. Vor allen streckt die altväterliche Teynkirche, grauen Jahrhunderten entstammend, die beiden hochragenden Thürme ihrer Kuppel wie gottanrufende Hände zum Himmel empor. Und horch! es klingt und läutet, und ein gedämpfter Ton der Glocken irrt in halbverlorenen Schwingungen auch zu unserer abgeschiedenen Höhe aufwärts. Ist es die große Glocke der Teyn, welche an unser Ohr fällt? eine berühmte Glocke, die auch in der Geschichte Klang und Namen erworben. Und immer lauter verstärkt sich der fromme Klang, welcher muthig durch die Lüfte hinschwebt, und sein tönendes Gefieder, hoch über der Stadt, in die blaue Wolke trägt. Immer mehrere Kirchen fangen an, da unten zu läuten, mein Herz bewegt sich, und unser Belvedere hier oben wird uns zum Gottesdienst. Nun steige ich hinunter, nachdem ich Dir nur noch zwei Thürme der Neustadt gezeigt, die dort in betrachtenswerthen Gestalten zu uns aufschauen. Der Franziskaner mit der breiten Brust, alle umstehenden überragend, und St. Katharina, in zarter jungfräulicher Bildung, wie eine junge Nonne, die fromm und schön zugleich. Fromm und schön zugleich, das liebe ich, denn da kommt Gott und Welt zusammen, das suche ich. Und nun nimm noch einmal rührenden Abschied mit einem einzigen ganzen Blick von Allem ringsum, was Herz und Auge gefangen genommen hatte mit großartigen Wundergemälden. Dann steigen wir stillsinnend den Laurentiusberg wieder hinab. –

Nachdem wir flüchtig in der freundlichen Hasenburg, die uns noch in ziemlicher Berghöhe hier begegnet, eingesprochen und uns erfrischt haben, schreiten wir allmälig wieder der Nähe der Stadt zu. Wenn ich lange im Freien und im Angesicht der grünen Natur verweilt, tritt mir alles Städtische jedesmal als ein wohlthuendes und kräftigendes Element neu entgegen. Dann möchte ich immer eine umgekehrte Elegie dichten, wie Schiller, wenn er in seinem »Spaziergang« die Entfernung von der Stadt feiert, und mit hochtönenden Grüßen dem Lande zueilt. Während er sich dort glücklich preist in runden Hexametern, daß er

endlich entflohn des Zimmers Gefängniß,
Und dem engen Gespräch,

und sich dann freudig in den grünenden Wald und auf den Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel rettet, möchte ich nun, wie gesagt, den umgekehrten Spaziergang dichten, welcher der Stadt zueilt, und den wohnlichen Zimmern der Menschen, und nach einem lieben Gesicht und traulichem Gespräch sich sehnt. Und je länger ich jetzt bergab wandre, rüstig zuschreitend auf das vor mir liegende Prag, je mehr quillt mir wieder meine Stadtelegie, und so ganz unversehens, aus dem Herzen heraus. Wie ein abenteuerliches Phantom hat Schiller die Stadt hinter sich zurückgelassen, deren beweglich wirkendes, die tausendfach genutzten Kräfte des Menschen zusammenfassendes Leben er zwar sinnreich auszumalen weiß, das sich ihm aber zugleich, mitten in der Ausmalung, wieder zu einem Alles verschlingenden und vergiftenden Ungeheuer verzerrt, vor dem er sich nur in die Arme der Natur zu flüchten vermag. Und dann tröstet er sich mit der Sonne Homers, die noch immer unter demselben Blau uns lache. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht mit der Sonne Homers trösten können. In dieser Hinsicht hatte ich es mit dem städtebauenden Saitenspiel Amphions. Der schlug die Harfe gewaltig an, und dann kamen auf den Klang die Steine von selbst herbeigelaufen, um eine mächtige Stadt zu bauen. Eine Stadt! Eine Stadt! Ich liebe die städtebauende Muse, welche den Nomadentrieb des menschlichen Lebens einordnet in feste Gränzen der beglückenden Harmonie.

Sei mir gegrüßt, o Stadt, mit den röthlich strahlenden Dächern! Sei mir, Sonne, gegrüßt, welche sie lieblich bescheint! Mir wird wohl, wenn ich das immer näher kommende Geräusch, welches hinter Deinen Mauern stündlich wühlt und arbeitet, in seiner bedeutsamen Geschäftigkeit vernehme. Das ist der Mensch mit seinen Bestrebungen, mit seinen Hoffnungen und seinen Wünschen, mit seinen erfindenden und erwerbenden Händen, welche sich dort in der drangvollen Eil des Daseins bewegt und tummelt! Das ist der Mensch, der laut wird, in der Angst des Tages, im Jubel der Stunde, in der Athemlosigkeit der Gegenwart! Das ist der Mensch, wie er sich einrichtet und abfindet, wie er sich wehrt und ringt mit den Mächten seines Daseins, wie er pocht und hämmert, zählt und rechnet, webt und zimmert, sich nie genug thun kann, und immer auf die unsichere Welle des Augenblicks sein Liebstes hingiebt! Das ist der Mensch, mit seinem frohen Gesicht, mit seiner ungeheuern Geduld, mit seinem tragischen Schicksal, mit seinen ironischen Gegensätzen, mit seinem zehrenden Herzen, das immer Wunden hat, sei es aus Liebe oder Haß! Aus allen seinen Bedürfnissen und Bedrängnissen, Gewohnheiten und Tugenden, Freuden und Talenten, aus seinem Wissen und Streben, hat er sich da eine Stadt gemacht, das umzäunte Schlachtfeld seiner Bestimmung. Ein ehrwürdiger Ort, vom Verhängniß gezeichnet, ist ein Schlachtfeld. Ein ehrwürdiger Ort, vom Verhängniß gezeichnet, ist eine Stadt. Draußen im Walde, wo das schattige Laubwerk mich gern zum Einsiedler machen möchte, oder oben auf den Bergen, oder unten im quellenreichen Grund der lachenden Thalnymphe, mag die Unschuld wohnen. Ich kenne sie nicht. Ich habe sie längst in frühen Jugendstürmen verloren. Nach dem Sündenfall gingen die Menschen hin, und bauten sich Städte. Nicht der Fluch Gottes vertrieb sie aus dem Paradiese, sondern ihre Schuld stürzte sie vorwärts in die Weltgeschichte. Sie sonderten sich in Völkerstämme, und bauten Städte. Das Bewußtsein ihrer Schuld machte sie gelehrig, und sie trieben allerlei Künste und Gewerbe, Beschäftigungen der Hand und des Geistes. In ihrer Schuld drängten sie sich an einander, und diese sannen darauf, das Leben zu verschönern, und jene studirten es, und trachteten, wie sie es begreifen könnten. So wohnten sie alle bei einander, jeder an einem andern Ende mit der Schuld des Lebens beschäftigt, und schlossen einen Verein zur gemeinsamen Sühne des Daseins. Sie mehrten sich, und ihre Städte blühten, denn der Eifer und Drang der Menschen war groß und unendlich, er reichte bis an den Himmel und bis an das verlorene Paradies zurück.

In das Schuldgetümmel der Städte stürze ich mich. Da sind meine Freunde und meine Brüder. Oeffne mir deine Thore, sorgenbeladene Stadt, bald mische ich mich wieder in dein heißes Gedränge, in deine kampfesmuthigen Reihen. Im Gedränge finde ich wohl, was ich liebe und was ich strebe, im Gedränge neben andern Herzen tröstet sich mein Herz. Wald und Berg sinken immer ferner hinter mir zurück, und die Schauer der Wildniß, die unheimlich über mein Haar hinstreichen, verkehren sich mehr und mehr in freundliche Ansiedelung städtischer Gewohnheit. Vor der Stimme der Unschuld, die in der Natur säuselt, wird mir bange. In der Natur blüht das verlassene Paradies der Menschen noch verstohlen fort, es lauert still in der geheimen Seele des Baumes, aber die Menschen sind weggezogen in die Städte. Darum duften die Blumen oft Schwermuth aus, und das ganze Wachsthum der Natur netzt sich im Thau der Thränen, wenn der Mensch lauschend davorsteht. Doch er kann in dieses Paradies nicht wieder zurück, er muß es jetzt auf der andern Seite der Schöpfung erobern.

Die Stadt hat ihn in die rauschenden Wirbel der That hineingeschleudert, er hat sich brauchen und nutzen gelernt, und aus seinem Funken, der in ihn gelegt war, ist eine lodernde Flamme emporgeschlagen. Die Stadt wölbt das heimische Dach der Hütte über seinem Haupte, und schließt ihn fest an die warme Brust der Erde, damit er weiß, wo er steht, um vom sichern Boden aus den Himmel zu erwerben. In der Hütte ist Platz für eine ganze Welt, hier beherbergt er in stiller Zelle die zukünftige That und den unermüdlichen Willen, hier hütet er seine Liebe und seine Verzweiflung, hier wohnt er mit seinen Plänen, seinen Gedanken, seinen Scherzen und seinen Göttern. Wie das Haus vor den Elementen, so schützt ihn der Freund und das Weib vor den Schrecken der Einsamkeit; die Liebe schützt ihn gegen Selbstsucht, der Haß gegen Gleichgültigkeit, der Hunger gegen Langeweile, die Thorheit gegen Altklugheit, die Eitelkeit gegen Selbstverachtung, das unbefriedigte Herz gegen Ermattung des Strebens. Damit der Mensch den Menschen kennen lerne, in Art, Tauglichkeit und Hoffnungen seines Wesens, haben sie neben einander ihre Hütten aufgerichtet in den Städten. Vor der Natur verliert sich der Mensch in das Element, in der Stadt gibt er sich an die Menschen hin, und findet in den Andern, in ihrem Irrthum und in ihrer Wahrheit, sich selbst wieder, aus ihrer Verzerrung setzt er sich seine Harmonie zusammen. Die Stadt ist der Pantheonstempel menschlicher Zustände, vor dessen Altar drei heilige Priester stehen, welche den Bund der Gemeinde geweiht und bekräftigt haben. Diese drei sind: das Recht, die Treue und die Sitte. Wo Menschen zusammen sind, und zu einem Verein sich gesellen, gibt es auch Recht, Treue und Sitte. Das ist das Große an jeder menschlichen Gesellschaft, daß sie ohne diese drei nicht zu bestehen vermag, sondern von selbst sie wie nothwendige Blüthen aus ihrem Schooß erzeugt. Ja, in der Stadt, wo Menschen sind, suche ich Recht, Treue und Sitte, und ich finde sie, mitten unter ihren Leidenschaften, ich finde sie, wie Edelsteine im schwarzen Schachte. Wenn Menschen sich an Menschen drängen, im Trieb des Daseins, wenn ihr Wollen und ihr Können wächst in der Gemeinschaft, wird ihnen in der Brust zugleich das Recht wach, das die Gesetze schreibt für Wollen und Können. Unrecht liegt nicht in der menschlichen Natur, denn sie möchte nur allzugern Jedes ausgleichen und versöhnen, selbst den Teufel. Das Recht ist der verständige Kopf des ganzen Gliedervereins, in dem Maß und Gleichgewicht des übrigen Körpers sich zusammengeschlossen halten. Und die Treue ist die Hand, welche der Mensch dem Menschen gibt, und woran sie sich fassen über der Woge des Tages, während das Leben schäumend mit ihnen fortstürzt. Und die Sitte ist das Auge, mit dem sie sich gegenseitig anblicken. Das Auge ist die Jungfrauschaft der Seele, und wenn es sich zu Dir aufschlägt, und Du tief in seinen Grund schauest, wird Dir heilig zu Muthe. Weil die Menschen sich in die Augen sehen, haben sie Ehrfurcht vor einander, und für Jeden liegt in dem Andern ein leises Geheimniß da, das er achten muß. Die Ehrfurcht der Augen ist die Sitte, sie ist ein zartes Geheimniß, wie der Blick. Wie dieser, trifft sie auf den feinsten Zusammenhang des Lebens, und spricht ihn aus. Wenn die Treue der Hand die Menschen an einander bindet in festverschlungenen Gruppen, so gießt das Auge der Sitte holdseeliges Licht der Schönheit aus über den Bund. Die Hand, die vielgefurchte, an der Arbeit des Tages oft erprobte, immer in den Stoffen des Lebens wühlende, sie ist wichtig für menschliches Sein und Thun. Sie schließt Verträge, bejaht mit ihrem Druck die Bündnisse der Liebe, schwört mit emporgehobenen Fingern zu Gott, sagt guten Tag und guten Weg zu den Nachbarn und zu den Freunden. Die Hand gehört den Nothwendigkeiten des Lebens an, aber das Auge ist ein freies Strahlen von Poesie. Die Sitte ist die Poesie der menschlichen Gesellschaft, sie ist der Adel der Form, die Verklärung der Gewohnheit, die Juwelenfassung des Umgangs, und die Ehrwürdigkeit der Ueberlieferung. Und der Kopf sieht ernsthaft darein, und läßt sich durch nichts bestechen, und durch nichts beugen, wenn er Recht hat. Das Recht ist der Mathematiker des Lebens, es urtheilt streng nach dem Buchstaben, und mißt genau Winkel an Winkel, Größe an Größe ab. Aber das genau gemessene Leben wäre todt, wenn nicht das Auge hineinlächelte, und die Hand es zusammenhielte. Und so bewegen sich die Menschen mit Kopf, Hand und Auge, und ihr Dasein steht in Flor, und ihre Städte regen sich, und tragen Frucht und Blume. Und so verbinden sich die Menschen mit Recht, Treue und Sitte, die, wie das Weichbild ihrer Städte, einen heiligen Kreis um ihr Zusammenleben schließen. Das ist die Freiheit der Städte, das ist der Gottesfrieden der Häuser!

Mögen die Städte blühen und gesegnet sein, ich liebe die Städte! Ich liebe Städte und Häuser.

Städte, Häuser, Straßen, Brücken, und das Volk dazu, welche großartige Malerei für einen Menschenfreund! Keine Naturmalerei, mit ihren Abendröthen und Purpurwolken und allem Farbenschmelz der Thäler, keine Elegie und keine Hymne der Landschaft, reicht an dies hochdramatische Schauspiel der Städte hinan. Komm näher, Stadt, und empfange den Wandrer in Deinen zutraulich winkenden Ringmauern. Nimm ihn auf recht in die Mitte der menschlichen Gewohnheit, und laß ihn Alles sehen und schmecken, wie der Mensch es treibt. Ich will mich an die Welt Deiner Gesichter hingeben, und den Schöpfer loben, wann mir eines gefällt. Ich will Deine Künstler verehren, mit Deinen Gelehrten reden, Deine Frauen lieben, und in Deinen Kirchen an die unsichtbare Kirche denken. Ich will auf Deinen Märkten etwas kaufen, an Deinen Tischen essen, unter Deinen Dächern ruhen, und in Deinen Gesellschaften lachen und lauschen. Ich will jeden Moment an Deinem Thun und Treiben wichtig achten, denn jeder Moment an einer Stadt kann welthistorisch sein.

Sei mir jetzt in der Nähe gegrüßt, meine Stadt! Der Spaziergang, von meinem Berg herunter, ist zu Ende, und mit einigen Schritten gelange ich nun schnell an den Fuß der Moldau, denn ich bin den umgekehrten Weg hinabgestiegen. Jetzt sehen wir uns Stirn an Stirn, Du herrliche Stadt, und indem ich hiermit meinen antischillerischen Spaziergang beschließe, segne ich noch einmal, als begeistertes Stadtkind, die städtebauende Muse Amphions! –

Nun stelle ich mich auf die Moldaufähre, und der Fährmann, ein rechtes böhmisches Gesicht, bringt mich in dem langsam abgemessensten Takt hinüber. Indem wir die Breite des schönen Stroms durchschneiden, kann ich Dir noch im Vorbeigehn seine beiden Inseln zeigen, die sich dort, den Pragern vielbesuchte Lustorte, aus der Welle erheben. Das ist rechts die anmuthige, mit dichten Schattengängen duftiger Kastanien und Linden besetzte Schützeninsel, und ihr gegenüber, gleich an der Stadt, die kleinere Färberinsel, deren hohe Pappeln Kühlung und Frische verbreiten. Sie sind noch leer von Spaziergängern, und die schöne Welt pflegt sich erst später einzufinden, wann sich die Gluth der Sonne gemildert hat, denn gegen nichts ist der Prager empfindlicher, als gegen Sonnenschein. So gehen wir ein ander Mal hin, wenn Leute da sind. –

Und heut kann ich nichts mehr schreiben, Du Gute, Heilige! Ich hatte Dir noch Vieles aufzeichnen wollen, wie Du aus der Ueberschrift dieser Blätter ersiehst. Vielleicht morgen. Denn ich reise erst in acht Tagen weiter nach Wien. Ich kann heut nicht mehr schreiben, mir wird traurig zu Muthe. Das Herz thut mir auf Einmal weh, und meine Schreibfeder kann und darf es nicht sagen. Darum schleudere ich sie weit weg von mir, diese Sclavin, und sage nur noch: Gott befohlen! – – –


 


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