Adolf Mützelburg
Der Herr der Welt
Adolf Mützelburg

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Geheime Ränke

Valentine, bleicher und trauriger als je, saß noch bei der Lampe und schien zu arbeiten. In der Tat aber weinte und träumte sie. Bei dem Eintreten Ratours fuhr sie erschreckt auf.

Beruhigen Sie sich, Madame, und bleiben Sie still sitzen! sagte er, ohne weiteres einen Stuhl nehmend und sich neben sie setzend. Ich mußte Sie heute noch sprechen, und zwar in einer wichtigen Angelegenheit, die Sie so gut betrifft wie mich.

Ich höre, antwortete Valentine, nicht ohne inneres Erbeben.

Meine Existenz hier in Berlin ist bedroht, sagte Ratour. Die französische Regierung hat ermittelt, daß ich mich hier aufhalte, und da sie mir dieses Asyl nicht gönnt, so sucht sie die preußische Regierung zu veranlassen, mich zu vertreiben. Man wird behaupten, daß ich an einigen politischen Vergehen oder Verbrechen – wie man es nun nennen will – teilgenommen hätte, und wird auf Grund dessen meine Auslieferung oder Ausweisung verlangen. Unglücklicherweise habe ich keinen einzigen Freund oder Bekannten, der hier für mich bürgen könnte. Sie sind die einzige, auf die ich rechnen kann. Ich hoffe, Sie werden mir Ihre Unterstützung nicht versagen, Madame.

Gewiß nicht! antwortete Valentine furchtsam und erwartungsvoll.

Sie kennen meine Vergangenheit nicht, fuhr Ratour fort, und es ist überflüssig, Sie mit ihr bekanntzumachen. Aber möglicherweise erkundigt sich die hiesige Regierung bei Ihnen nach meinem Verhältnis zu Ihnen. Sie werden dann sagen, daß ich schon früher in Paris mit Ihrem Manne und Ihrer Familie bekannt gewesen, und daß wir uns dort häufig gesehen haben. Das Weitere und wie ich mit Ihrem Manne im Gefängnisse zusammengekommen, wissen Sie ja. Ihr Gewissen werden Sie damit nicht beschweren. Es ist eine gerechtfertigte Notlüge, die ich den falschen Angaben der französischen Regierung entgegensetzen muß. Also – wir und Ihr Mann haben uns in Paris schon gekannt und viel gesehen, ich war damals Arzt. Sie verstehen mich. Ihre Aussagen dürfen keine anderen sein. Sie werden das sagen, wenn man Sie fragt.

Sie sind in der letzten Zeit sehr zurückhaltend gegen mich gewesen. Ich muß also fürchten, daß Sie etwas gegen mich haben. Lassen Sie sich durch diese Abneigung – für die ich übrigens keinen Grund weiß – nicht dazu verleiten, meinen Wunsch nicht zu berücksichtigen. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich mich dann rächen würde, rächen an Ihnen und an Ihrem Kinde. Merken Sie sich das!

Damit erhob er sich, und ohne weiter ein Wort zu sagen, verließ er die erschreckte Frau.

Darauf verließ er selbst das Haus und ging nach den Linden. Es war jetzt elf Uhr. Das Hotel du Nord, als eines der größten, war noch geöffnet. Ratour fragte, ob die Sängerin zu Hause sei. Man sagte ihm, sie sei soeben von dem Hofkonzert zurückgekehrt, und bezeichnete ihm ihre Zimmer. Er ging die Treppe hinauf.

Mein Name ist Ratour! sagte er zu der Kammerfrau. Ich wünsche Donna Larsgand zu sprechen, und zwar in Sachen Don Lotarios. Sagen Sie ihr das!

Die Kammerfrau ging, und nach einer Minute wurde Ratour vorgelassen.

Eugenia mochte erwartet haben, Lotario selbst zu sehen. Jetzt kam ein Herr, dessen Namen sie nicht einmal kannte, um mit ihr über ihn zu sprechen. Sie war erschreckt und glaubte, es sei ein Unglück geschehen.

Verzeihen Sie, Mademoiselle, daß ich Sie so spät störe! sagte Ratour. Aber ich konnte dem Drange, Ihnen eine Mitteilung zu machen, nicht widerstehen, obgleich ich die Unklugheit meines Schrittes vollkommen einsehe. Ich will mich kurz fassen, Mademoiselle. Sie sind von Don Lotario und ich von Fräulein Therese auf das schändlichste betrogen worden!

Die Sängerin erbleichte, behielt aber den Stolz, der ihr einem Unbekannten gegenüber ziemte.

Ich weiß, wie ich mich rächen werde! rief Ratour. Daß Therese Don Lotario liebt, daran zweifle ich nicht. Deshalb darf man es nicht dahin kommen lassen, daß sie seiner überdrüssig werde. Sie muß ihn verlieren in dem Augenblick, in dem sie ihn am festesten zu besitzen glaubt, das wird für sie die empfindlichste, die härteste Strafe sein!

Aber wie wird das zu bewirken sein? fragte Eugenia. Don Lotario liebt dieses Mädchen gewiß aufrichtig, viel zu aufrichtig. Er wird sich nicht freiwillig von ihr trennen.

Lassen Sie das meine Sache sein! rief Ratour. Lassen Sie uns Verbündete sein zu einem gemeinsamen Zweck. Es wird gelingen, ich schwöre es Ihnen.

Nur gegen Don Lotario will ich nicht handeln, sagte die Sängerin, sich immer mehr ihrer Leidenschaft hingebend. Er hat mir nie Liebe geheuchelt. Ich beklage und bedauere ihn. Aber ich mag ihn nicht unglücklich wissen.

Für ihn kann es kein größeres Glück geben, als von dieser Kokette getrennt zu werden, erwiderte Ratour. Tun Sie den ersten Schritt, Mademoiselle. Lassen Sie Therese nicht in dem Glauben, daß sie unbeschränkte Herrin über Lotario sei. Schreiben Sie ihr, daß Sie ihr gern einen Mann überließen, dessen Sie überdrüssig seien. Das wird die Eitelkeit dieser Kokette verwunden und zugleich ihr Herz stärker zu Don Lotario hinziehen, weil sie ihn nicht für sicher hält.

Am andern Tage erhielt Therese folgenden Brief:

»Mademoiselle! Sie glauben vielleicht einen großen Triumph errungen zu haben, indem Sie Don Lotario aufs neue in Ihr Joch zwangen. Mir selbst haben Sie einen großen Gefallen damit getan. Don Lotario diente mir nur als Spielzeug für die Langeweile, und gerade jetzt war ich seiner überdrüssig. Amüsieren Sie sich, ich bitte Sie, mit der Puppe, die ich fortgeworfen.

Eugenia Larsgand.«

Ratour rechnete darauf, durch seine Schlauheit den Erklärungen Don Lotarios wenigstens eine Zeitlang das Gegengewicht halten zu können, um so mehr, da er in einem Verhältnisse zu dem Grafen gestanden hatte, das den letzteren bestimmen mußte, alle Anklagen gegen Ratour mit großer Vorsicht aufzunehmen.

Und so war es auch in der Tat. Der Graf, dessen Seele rein und gut war wie die eines Kindes, konnte die Beschuldigungen, die Therese gegen Ratour erhob, nicht so ohne weiteres hinnehmen. Er hatte weit mehr Verdachtsgründe gegen Don Lotario als gegen Ratour.

Der Graf nahm deshalb die Erklärungen, die ihm Therese in einer ruhigen Stunde des Tages gab, mit Vorsicht, wenn nicht sogar mit Mißtrauen auf. Welche Beweise konnte Don Lotario für seine Behauptung vorbringen? Es war sogar möglich, daß er sich in der Persönlichkeit Ratours irrte! Und Don Lotario hatte so flüchtig, in einer solchen Aufregung zu Therese gesprochen, daß es dieser sogar schwer wurde, Zusammenhang in seine abgerissenen Mitteilungen zu bringen.

Und nun zeigte es sich, wie sehr richtig Ratour spekuliert hatte, als er der Sängerin riet, jenen Brief an Therese zu schreiben. Bei der Lage der Dinge mußte selbst ein solcher an und für sich unbedeutender Brief von großer Wichtigkeit sein. Er ging durch die Hand des Grafen, und Therese las ihn in seiner Gegenwart. Der Ausdruck ihres Gesichtes – überrascht und finster – veranlaßte ihn, nach dem Inhalt zu fragen, und Therese, die dem Grafen versprochen hatte, von nun an, wie früher, vollkommen aufrichtig gegen ihn zu sein, reichte ihm den Brief.

Was nun Don Lotario selbst anbetraf, so verlebte er die folgenden Tage, wenn auch aufgeregt, doch in einer Stimmung, die mehr glücklich als unglücklich war. Er wußte, daß Therese ihn liebe, und dieser Gedanke hob ihn über alles, was ihn sonst beunruhigen konnte, hinweg. Er schrieb ein Billett an Donna Eugenia, in dem er sagte, daß das Mißverständnis zwischen ihm und Therese gehoben sei, er bat um Entschuldigung, daß er sie jetzt nicht mehr sehen könne, und dankte ihr für die Freundschaft, die sie ihm bewiesen. Dieses Billett, obgleich in warmen und aufrichtigen Ausdrücken geschrieben, mußte der Sängerin kalt und herzlos erscheinen und sie noch mehr gegen Don Lotario und die verhaßte Nebenbuhlerin einnehmen.

Der junge Spanier schrieb auch an den Grafen und setzte ihm klar und zusammenhängend alles das auseinander, was er Therese an jenem Abend nur flüchtig erzählt. Er zweifelte nicht daran, daß ihm dieser Brief den Zugang zu jenem stillen Hause wieder öffnen würde, in dem Therese weilte. Mit um so größerer Überraschung las er die Antwort des Grafen, die er am folgenden Tage darauf erhielt.

Der Graf schrieb ihm, daß er alle diese Anklagen gegen einen Mann, der so hoch in seiner Achtung stehe, nicht ohne weiteres für wahr annehmen könne, um so mehr, da sie von einem Manne kämen, dessen Herkunft und Charakter so unbestimmt und zweideutig seien. Es sei möglich, daß Don Lotario recht habe, dann aber möge er sich bemühen, seine Anklagen zu beweisen. Bis dahin halte es der Graf für seine Pflicht, Therese, bei der er nun einmal die Stelle eines Vaters vertrete, von Don Lotario entfernt zu halten.

Dieser Brief erfüllte den jungen Mann mit dem höchsten Unwillen. Wahrheitsliebe war stets eine seiner ersten Tugenden gewesen, und sein Stolz fühlte sich aufs höchste beleidigt, daß jemand es wagen könne, auch nur einen Augenblick das geringste an seinen Aussagen zu bezweifeln.

Ratour beabsichtigte, den jungen Mann aus Berlin zu entfernen, womöglich unter Umständen, die seine Rückkehr unmöglich machten, und ihn bei dem Grafen und Therese so zu verdächtigen, daß ihm diese ihr Vertrauen vollständig entzogen. Hatte er das erreicht, dann galt es, mit der Sängerin, in deren Vertrauen er sich bereits gänzlich eingeschmeichelt hatte, Berlin zu verlassen und ein angenehmes, lustiges Leben zu führen.

Dahin konnte aber nur die Verleumdung führen, und Ratour beschloß sie anzuwenden, soweit es ihm möglich war. Therese erhielt verschiedene Briefe von bekannten leichtfertigen Damen der Stadt, in denen diese, ähnlich wie Donna Eugenia, sich darüber lustig machten, daß Therese sich mit dem begnüge, was sie selbst weggeworfen. Andere Briefe kamen an den Grafen Arenberg, in denen sich einzelne Herren nach Don Lotarios Verhältnissen erkundigten und anfragten, ob sie ihm die bedeutenden Summen kreditieren dürften, die er ihnen schuldig sei. Bei dem Grafen, der einmal gegen Don Lotarto eingenommen war, erreichten die gefälschten Briefe vollkommen ihren Zweck. Therese dagegen vertraute Don Lotario und ahnte sofort, daß diese Briefe von Ratour ausgingen.

Obgleich sie dem Grafen das Versprechen gegeben, das Verhältnis zu Don Lotario nicht heimlich weiter zu führen, so konnte sie es doch nicht über sich gewinnen, den Geliebten ohne jede Nachricht zu lassen. Sie beklagte sich bei ihm in einem Briefe – dem ersten, den sie ihm schrieb – daß es ihm nicht möglich sei, die Ränke Ratours aufzudecken. Sie gab ihm die Versicherung, daß sie ihn stets lieben und ihm treu bleiben werde, bat ihn, ruhig auszuharren und das beste zu hoffen, und erinnerte ihn endlich daran, ob er nicht gut tue, die Hilfe des Abbés Laguidais oder des Lords Hope in Anspruch zu nehmen.

Dieser Brief war ein heller Stern in dem trüben Leben Don Lotarios. Die Erinnerung an den Abbé war ihm selbst schon gekommen, und er beschloß jetzt, da er keinen Grund mehr hatte, ihm zu zürnen, ganz offen und aufrichtig gegen ihn zu sein. Er schrieb einen langen Brief an den Abbé, der alles enthielt, was ihm seit seiner Abreise von Paris widerfahren, und ihm vollständigen Aufschluß über sein Herz, seine Gedanken und seine augenblickliche Lage gab.

Noch eine andere Mitteilung enthielt dieser Brief an den Abbé. Wie erwähnt, war jenes Billett Thereses das erste gewesen, das sie dem jungen Manne geschrieben, und hatte ihre vollständige Namensunterschrift enthalten. Diese lautete: Therese Büchting.

Don Lotario bemerkte dies erst, als er den Brief zum vierten oder fünftenmal las. Dann klang ihm der Name bekannt, und er erinnerte sich, daß ihm Lord Hope aufgetragen, bei seinem Aufenthalte in Berlin nach der Familie eines Mannes zu forschen, der diesen Namen geführt hatte. Bei Therese selbst konnte er jetzt nicht gut anfragen. Sie hatte ihm geschrieben, daß sie das Billett heimlich abgeschickt habe. Aber er teilte diese Entdeckung sogleich dem Abbé mit und bat ihn, sie an Lord Hope weiter zu melden.

So standen die Dinge, als ein Zufall eine abermalige unerwartete Wendung herbeiführte.

Don Lotario, ganz seinem Trübsinn hingegeben, suchte die Pein des qualvollen Verhängnisses, das über ihm waltete, durch angestrengten Fleiß und unablässige Studien ein wenig zu mildern. Er arbeitete unausgesetzt von morgens früh bis drei Uhr. Dann ging er zu Tisch und machte einen kurzen Spaziergang, bevor er abermals zu seinem Arbeitstische zurückkehrte.

Diesen Spaziergang hatte er eines Nachmittags beendet. Es dämmerte, und Don Lotario war soeben im Begriff, in die Charlottenstraße einzubiegen und sich nach seiner Wohnung am Gendarmenmarkt zu begeben, als eine verschleierte Dame an ihm vorüberging.

Das Erkennen war bei beiden gegenseitig, und unwillkürlich standen beide still.

Therese! rief Don Lotario. Ich sehe Sie wirklich noch einmal wieder?

Lotario! antwortete das junge Mädchen. Verlassen Sie mich, ich habe keinen Augenblick Zeit. Der Diener wird mir sogleich folgen. Er holt nur etwas aus jenem Hause. Ich habe dem Grafen versprochen, auch nicht eine Minute mit Ihnen allein zu sein.

Unmöglich, Therese, das können Sie nicht verlangen! rief Lotario heftig und nur erfüllt von dem Glücke dieses unerwarteten Wiedersehens. So lange habe ich Sie nicht gesehen, so lange, und gerade jetzt, wo ich weiß, daß Sie mich lieben, daß ich glücklich sein darf! Wenigstens einige Minuten lassen Sie uns zusammen sprechen! Ich habe Ihnen so viel, so unendlich viel zu sagen! Therese, gilt Ihnen denn der Unwille des Grafen mehr als unser Glück?

So gehen Sie einen Augenblick allein! flüsterte Therese, die nur zu gern dem Drange ihres Herzens nachgab. Ich werde den Diener erwarten und ihn vorausschicken. Dann werde ich Ihnen die Charlottenstraße hinab folgen. Erwarten Sie mich beim Schauspielhause.

Dank, tausend Dank! flüsterte Don Lotario und ging die Straße hinab.

Nach wenigen Minuten sah er Therese durch die Dämmerung kommen. Sie gingen nebeneinander. Sie tauschten hastige Worte und Erklärungen, aber je hastiger sie sprachen, um so mehr fühlten sie, daß sie einander noch weit mehr zu sagen hätten.

Wie lange können Sie noch bleiben? fragte Don Lotario.

Vielleicht eine halbe Stunde. Ich habe gesagt, daß ich zu meiner Modistin gehen würde. Der Diener soll mich von dort abholen. Wenn man uns nur nicht erkennt!

Therese, wir stehen vor meiner Wohnung! flüsterte Don Lotario. Sie haben recht. Man darf uns nicht sehen. Kommen Sie mit hinauf. Niemand sieht Sie, ich schwöre es Ihnen!

Therese wies zuerst den Vorschlag zurück. Aber die Notwendigkeit drängte. Zuletzt gab sie doch nach. Die Liebe kennt keine Bedenken. Für sie verschwinden die Rücksichten gewöhnlicher Naturen.

Oben in dem Zimmer Lotarios wurde das Gespräch noch hastiger fortgesetzt. Sie hatten sich ihre Leiden zu schildern, über die Hinterlist Ratours und die Zweifel des Grafen zu klagen. Dann sprachen sie über die Zukunft und ihre Hoffnungen. Die Viertelstunde verging im Fluge.

Es klingelte. Don Lotario wollte zuerst nicht öffnen. Dann aber fiel ihm ein, daß er sich Bücher bestellt hatte und diese erwartete. Wahrscheinlich brachte man sie.

Therese sah nach der Uhr. Don Lotario ging, um zu öffnen. Der Graf Arenberg stand vor ihm.

Don Lotario erschrak. Kam der Graf zufällig? Sollte er ihm Theresens Nähe verbergen? Es war noch ein Zimmer zwischen dem Entree und demjenigen, wo sich Therese befand.

Aber der Graf kam nicht zufällig, das sah Don Lotario schon aus der entschlossenen und düsteren Miene des alten Mannes.

Ratour hatte einen Menschen gedungen, eigens zu dem Zwecke, jeden Schritt Don Lotarios zu überwachen. Er argwöhnte, daß Therese und Don Lotario sich heimlich sprächen, und er sah ein, von wie großem Vorteil es für ihn sein würde, wenn er den Grafen von einer heimlichen Zusammenkunft der beiden überzeugen könne.

Jener Spion benachrichtigte seinen Herrn augenblicklich, daß Don Lotario mit einer Dame von solchem Aussehen und solcher Kleidung in seine Wohnung hinaufgegangen sei. Es konnte keine andere sein als Therese, Ratour wußte, daß Don Lotario keine andere Dame kannte. Er eilte sogleich zu dem Grafen.

Herr Graf, sagte er, ich komme abermals als der Überbringer einer traurigen Nachricht. Aber die Dinge stehen nun einmal so, daß ich alles tun muß, um mich in Ihren Augen von jedem Verdacht zu reinigen. Ich habe Ihnen gesagt, daß Don Lotario ein leichtsinniger Mensch ist und daß Therese sich vor ihm zu hüten hat. Ich habe Ihnen auch gesagt, daß Therese um seinetwillen bereits von dem Wege der Ehre abgewichen ist. Sie mögen sich jetzt selbst davon überzeugen. Therese ist bei Don Lotario, auf seinem Zimmer!

Der Graf erbleichte und sagte kein Wort. Dann klingelte er und fragte nach dem Diener, der Therese begleitete. Er erfuhr, daß Therese gesagt hatte, man solle sie von ihrer Modistin abholen.

Ich danke Ihnen, Herr von Ratour! sagte der Graf. Ich werde jetzt handeln.

Damit nahm er seinen Hut und verließ das Palais. Ratour, den der Graf in diesem Augenblick weiter nicht beachtete, folgte ihm in einiger Entfernung. –

Mein Herr, sagte der Graf ruhig zu dem jungen Spanier, ist Therese bei Ihnen?

Ja, Herr Graf. Aber ich schwöre Ihnen, es ist ein Zufall. –

Schwören Sie, wenn Sie es verantworten können, so viel wie Sie wollen. Ich weiß, was ich davon zu halten habe! rief der Graf beinahe zornig. Ich will sie sehen!

Damit ging er weiter. Therese trat ihm schon entgegen. Sie wollte gehen.

Also Sie sind es wirklich! sagte Arenberg, als Therese tödlich erschreckt zurückfuhr. Nun, Sie haben mich getäuscht. Es ist gut jetzt. Ich wünsche nicht, daß Sie zu mir zurückkehren. Wären Sie meine wirkliche Tochter, so würde ich noch strenger sein. Ich will Ihnen alles gewähren, was ich Ihnen sonst gab. Meine Tochter würde ich enterbt haben. Bei Ihnen will ich das nicht tun. Denn Sie waren mir kein Vertrauen, keine Liebe schuldig. Aber ich wünsche nicht, Sie wiederzusehen. Bleiben Sie bei diesem Manne, bis er Sie verläßt.

Therese stand erstarrt vor dem alten Manne, Don Lotarios Blick war finster geworden.

Herr Graf, sagte er hastig, als ich Ihnen schrieb, daß Therese jetzt mein sei durch das Recht der Liebe, sagte ich Ihnen nichts weiter, als was ich jetzt noch denke. Lassen Sie sich künftig von Betrügern betrügen, so viel wie Sie wollen. Ich werde mich nicht mehr darum kümmern. Therese ist mein. Sie wird bei mir bleiben – gewiß! Ihre Unterstützung weise ich in Theresens Namen zurück. Ich werde allein für meine Gattin sorgen. Und nun, da Sie mir Ihr Haus verboten, so darf ich es wohl wagen, Sie zu bitten, auch meine Wohnung zu verlassen. Ich will solche Worte gegen meine Braut nicht hören. Sie werden später einsehen, daß Sie getäuscht worden sind. Für jetzt haben wir kein Wort mehr miteinander zu reden.

Lotario! – Lieber Vater! rief Therese verzweifelnd.

Es ist gut, es ist gut! murmelte Arenberg vor sich hin. Wedell hatte recht, sie zu verlassen. Es liegt im Blut. Ich hätte es wissen können. Der Fluch lastet auf dieser Familie!

Damit verließ er das Zimmer, den Kopf tief gesenkt, in seiner ganzen Haltung gebrochen.

Eine Minute lang sah ihm Don Lotario finster und drohend nach. Dann trat er zu Therese, die leichenblaß und wie eine Marmorstatue dastand, und schlang den Arm um sie.

Therese, meine liebe Therese! rief er glühend, nun bist du mein, ganz mein. Ich danke Gott dafür! Die ganze Welt hat dich und mich verlassen. Nun wollen wir allein den Weg durchs Leben wagen. Du verläßt mich nicht mehr, auf keinen Tag, auf keine Stunde! Ich gebe dich keinem andern mehr, sei er auch, wer er wolle. Tröste dich, liebes Mädchen! Der Graf ist betrogen worden, er wird sein Unrecht einst einsehen, und ehe das nicht geschehen, könnten wir doch nie mehr Freunde mit ihm sein.

Hätte Therese nicht in den letzten Jahren Veranlassung genug gehabt, ihr Herz zu stärken und die Schläge des Schicksals zu ertragen, so würde diese ganz unerwartete Wendung ihres Schicksals sie aufs tiefste erschüttert und gebrochen haben. Aber wenn auch ihr Herz aufs tiefste verwundet war, so war doch auch ihr Stolz durch die letzten Worte des Grafen verletzt, und der Gedanke, daß nun ein anderer und geliebter Mann ihr zur Seite stehe, mußte ihr Trost und Ersatz verleihen.

Sie fand diesen Trost noch mehr, als Don Lotario ihr seine ganze Lage schilderte, sie zu seiner Vertrauten machte und ihr seine Pläne für die Zukunft mitteilte. Sie sah, daß sie sich in keinem Punkte in ihm geirrt, daß er wirklich der Mann sei, für den sie ihn gehalten und dem sie unbedingt vertrauen könne.

Don Lotario hatte die Absicht, Berlin zu verlassen, nach seiner Heimat zurückzukehren und seine Hacienda wieder aufzubauen oder eine neue Niederlassung zu gründen. Seine Studien waren freilich noch nicht beendet. Da aber sein Geist einmal geweckt, sein Interesse für die Wissenschaft und Kunst rege geworden, so hoffte er, sich selbst auch in der Einsamkeit Kaliforniens weiter ausbilden zu können, in jener Einsamkeit, die ihm dann durch die Nähe Thereses zu einem Paradiese werden sollte.

An demselben Abend noch ging er zum Professor und teilte diesem alles mit. Wedell war aufs höchste überrascht, wollte aber eine Versöhnung versuchen. Don Lotario riet ihm davon ab und erklärte, daß er bei seinem Entschlusse beharre, nach Mexiko zurückzukehren. Dann ging er nach einem Gasthofe, denn es war ausgemacht, daß Therese diese Nacht allein in der Wohnung Don Lotarios zubringen sollte.

Am andern Tage zog er die Gelder ein, die ihm noch zu Gebote standen, und ließ seine Koffer packen. Der Graf hatte die Garderobe Thereses, und was ihr sonst gehörte, gesendet, auch eine nicht unbedeutende Summe in Banknoten beigelegt. Don Lotario schickte die letztere zurück, sendete Abschiedskarten an alle seine Freunde, nahm von dem Professor persönlichen Abschied und saß am Abend desselben Tages mit Therese in dem Postwagen auf dem Wege nach Paris.

Drei Tage darauf erhielt der Graf Arenberg einen langen Brief von dem Abbé in Paris. In diesem Briefe mußten seltsame Dinge gestanden haben, denn die Diener hatten den Grafen nie so verstört und aufgeregt gesehen. Er ließ sich Polizeibeamte holen und eilte mit diesen nach der Wohnung Ratours.

Dort erfuhr er, daß man den Franzosen seit gestern abend nicht gesehen habe, und da seine Koffer fehlten, vermutete man, er sei heimlich abgereist. Diese Vermutung bestätigte sich, denn Ratour war nirgends zu finden.

Auch Donna Eugenia hatte um dieselbe Zeit Berlin verlassen. Aber daß sich Ratour in ihrer Gesellschaft befunden, das wußte niemand.

Glücklich an diesem Tage war nur ein Wesen – Valentine Morel. Der Graf hatte ihr – ebenfalls infolge jenes Briefes des Abbés – mitgeteilt, daß sie das Opfer einer schändlichen Intrige gewesen, und daß ihr Mann noch lebe. Sie wußte sich nicht zu fassen vor Freude und wollte augenblicklich allein nach Paris zurückkehren. Der Graf aber sagte ihr, daß er die Reise ebenfalls machen würde, und daß er bereits Kurierpferde bestellt habe.

So trat sie denn am folgenden Tage mit dem Grafen zusammen ihre Reise nach Paris an.


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