Adolf Mützelburg
Der Herr der Welt
Adolf Mützelburg

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Arenberg und Rablasy

Don Lotario war, sich selbst fast unbewußt, nach der Wohnung des Abbés Laguidais gegangen. Aber wie der Diener sagte, war der Abbé an diesem Abend in eine Gesellschaft geladen und hatte sich vor einer Stunde dorthin begeben. Lotario mußte weitergehen. Er kam an dem Hause vorbei, in dem Therese wohnte. Er glaubte Licht zu sehen. Aber sollte er der erste sein, der ihr die Nachricht überbrachte, daß ihre Freundin, die Baronin von Danglars, von Herrn von Loupert ermordet worden? Unmöglich! Bei der Aufgeregtheit, der krankhaften Überreiztheit des jungen Mädchens mußte er fürchten, der Urheber und der Zuschauer einer Szene zu sein, wie er sie bei seinem ersten Besuche gesehen. Und das konnte er nicht.

Gerade als er langsam an der Tür des Hauses vorüberging, traten zwei Männer heraus, die sich der kühlen Luft wegen dicht in ihre Mäntel gehüllt hatten. Sie gingen ziemlich langsam und achteten nicht darauf, daß Don Lotario – übrigens absichtslos – ihnen folgte. Nach ihrem Gange und ihrer Kleidung waren es Männer vom Stande.

Kein Fiaker in der Nähe? sagte der eine. Schade! Wir werden den Weg zu Fuß machen müssen!

Mir ganz recht, entgegnete der andere mit einer etwas rauhen Stimme. Ich möchte mich etwas warm laufen. Nun, was halten Sie von diesem Grafen Arenberg?

Bah, er ist entweder selbst betrogen, oder er ist ein Betrüger, erwiderte der erste, der zugleich der Kleinere war und dessen Akzent den Pariser und zugleich den gebildeten Mann verriet. Man kennt diese Geschichten.

Ah, ich bitte Sie, sagte der Größere. Der Graf ist ein reicher Mann, nicht wahr? Oder ist er es nicht?

Er ist es nach allem, was ich gehört habe, erwiderte der erste. Ich wollte auch nicht sagen, daß er des Vorteils wegen betrügt.

Graf Arenberg ist reich, das ist mir die Hauptsache, meinte der Größere.

Indessen, er wird Paris bald verlassen, wie er Ihnen sagte. Was kann er Ihnen dann nützen?

Immer noch genug, denn es ist gar nicht meine Absicht, in Paris zu bleiben. Ich werde auch nach Deutschland gehen.

Brrr! Doch, wie es Ihnen paßt. Jeder muß seinen eigenen Weg gehen, und inzwischen bin ich Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich mit dem Grafen bekannt gemacht. Er kennt den Abbé Laguidais, und wenn ich durch ihn die Bekanntschaft des Abbés machen kann, so soll mir das ganz lieb sein. Der Abbé hat einen bedeutenden Namen und Einfluß in Paris.

Das Gespräch hatte Don Lotario schon von Anfang an interessiert. Er blieb auch jetzt in der Nähe der beiden Männer, die so laut sprachen, daß der junge Mann ihre Worte deutlich verstehen konnte.

So halten Sie sich an den Abbé, das ist mir lieb. Ich werde mich an den Grafen halten, sagte jetzt der Größere. Und was glauben Sie von dem jungen blassen Mädchen, das eine Zeitlang bei ihm war?

Sie ist niedlich, hat aber keinen großen Eindruck auf mich gemacht, sagte der Kleinere. Wenn ich nicht wüßte, daß der Graf ein reicher Mann ist, so würde ich sie für einen Lockvogel halten. Ich glaube, daß ihre schmachtenden Augen auf überspannte Gemüter Eindruck machen. Vielleicht ist sie seine Maitresse, denn auch die Heiligen haben ihre Schwächen.

Beide lachten. Don Lotario bereute es beinahe, den beiden gefolgt zu sein, so scharf und stechend drang ihr Gelächter in sein verwundetes Herz. Welche Worte über das Wesen, das er so glühend liebte! Und wie kam der Graf, wie kam Therese dazu, Umgang mit solchen Leuten zu haben, die jedenfalls tief unter ihnen standen? War denn der Graf so wenig weltklug, das Opfer von Leuten zu werden, die seine religiöse Schwärmerei nur für weltliche Vorteile benutzen wollten?

Er wollte die beiden sehen, um sie, wenn er sie einmal zufällig bei dem Grafen träfe, wiederzuerkennen. Er hatte auch noch einen anderen Grund dafür. Wenn der Größere sprach, so überkam ihn stets das eigentümliche Gefühl, das wir empfinden, wenn wir eine Stimme hören, die uns nicht ganz unbekannt ist und von der wir doch nicht genau wissen, wem sie angehört. Er ging also rasch, und da er sah, daß die beiden in eine Nebenstraße einbiegen wollten, an deren Ecke eine Laterne stand, so kreuzte er die Straße und konnte den beiden deutlich ins Gesicht schauen.

Den Kleineren erkannte er nicht. Es war ein Mann mit einem feinen, klugen Gesicht. Den Größeren aber erkannte er augenblicklich, trotz des hochgezogenen Mantelkragens. Es war Rablasy, der Flüchtling.

Don Lotario beschloß, den Grafen zu warnen. Ein solcher Mensch konnte nur in böswilligen oder eigennützigen Absichten zu ihm gekommen sein. Don Lotario hatte ja die Ansichten, die der Fremde aussprach, gehört, und er bebte bei dem Gedanken, daß Therese mit einem solchen Menschen in Berührung kommen könne.

Die beiden Männer hatte er aus dem Auge verloren, denn die Straßen längs der Seine waren belebter. Während er sie noch suchte, befand er sich in der Nähe des Palais Royal. Er erinnerte sich, daß heute der Abend sei, an dem sich dort die Gesellschaft der jungen Leute zum Spiel vereinigte. Seit drei Wochen, seit jenem Abend, an dem er Therese getroffen, war er nicht dort gewesen, hatte er seine Bekanntschaften überhaupt selten gesehen. Jetzt aber fühlte er das Bedürfnis, menschliche Stimmen zu hören. Er mochte nicht mit seinen Gedanken allein sein. Er trat in das Palais Royal. Die Diener kannten ihn und ließen ihn in das Zimmer eintreten, das der Gesellschaft gehörte.

Der erste, den Don Lotario bemerkte, war Loupert, der am Spieltisch saß. Entsetzt trat Don Lotario einen Augenblick zurück. Er fühlte sein Blut erstarren. Hier saß der Mann, der vor einer halben Stunde sein Messer in das Herz seiner Mutter gestoßen, hier saß er, unbekümmert um sein Verbrechen, unbekümmert um die Strafe, die ihn jeden Augenblick ereilen konnte.

Don Lotario war willens, auf ihn zuzuspringen, ihn niederzuschlagen und dann dem Arme der Gerechtigkeit zu überliefern. Aber er hielt an sich. Nein – erst wollte er sehen, wie weit die Ruchlosigkeit eines solchen Ungeheuers gehen könne. Man hatte ihn ausgesendet, damit er die Welt kennen lerne – gut, er wollte sehen, wie ein Mörder sich vor seinem eigenen Gewissen rettet, er wollte einen Blick in den tiefsten, gräßlichsten Abgrund tun.

Guten Abend, meine Herren! sagte er, sich fassend und mit heiterer Miene. Was macht Fortuna?

Blöde Augen, wie immer für die hübschesten Kerle! antwortete Chateau-Renaud, der für etwas eitel galt. Ich habe zehntausend Franken verloren. Loupert ist im Gewinnen. Nehmen Sie sich in acht, Baron, Sie werden fallen. An der Börse Glück, im Spiele Glück – das kann nicht lange dauern. Denken Sie an die Zukunft.

Es läßt sich leicht erraten, daß Loupert die plötzliche günstige Umgestaltung seiner Vermögensverhältnisse Börsengewinnsten zugeschrieben hatte. Der Baron verschwendete seit einiger Zeit enorme Summen. Deshalb hatte er auch an diesem Abend wieder Zutritt im Palais Royal gefunden.

Trösten Sie sich, Herr Graf, antwortete Loupert, ich will nur mein Reisegeld gewinnen, dann höre ich auf.

Sie wollen reisen? Wohin? fragte Beauchamp. Hält Sie Ihr Spiel an der Börse nicht fest?

Nein, ich muß wegen einer Spekulation nach London, vielleicht morgen schon, antwortete der Baron.

Sie sehen ja so blaß und ungemein ernst aus, Don Lotario, sagte jetzt Franz von Epinay.

Ich komme aus einem Hause des Todes, entgegnete Lotario ernst. Ich komme aus dem Hause der Baronin Danglars, die soeben in ihrem Boudoir ermordet gefunden worden ist.

Alle erbleichten, Lucien Debray, der einstige Geliebte der Baronin, zuckte tief ergriffen zusammen. Lotario ließ seine Blicke über die Versammlung schweifen. Loupert war der Ruhigste geblieben, er hatte nicht einmal die Farbe verändert.

Ermordet? Um Gottes willen – das ist ja gräßlich! rief Beauchamp. Und von wem? Wissen Sie das Nähere?

Von einem Menschen, der schon einmal in der Nacht bei ihr war und der sie auch heute abend zu sprechen verlangte. Er ist fürs erste geflohen. Auf der Karte, durch die er bei der Baronin Zutritt erlangte, befand sich der Name: Baron von Loupert.

Loupert! Die entsetzten Blicke der jungen Männer richteten sich auf den Baron, er schien erstaunt und überrascht.

Zum Teufel! rief er. Was sagen Sie da? Baron von Loupert, das ist ja mein Name! Sollte ein Schurke den gemißbraucht haben? Haben Sie auch recht gehört, Don Lotario? Irren Sie sich nicht?

Ich glaube nicht, erwiderte der Spanier. Loupert war der Name.

Aber mein Gott, weshalb, warum? rief Franz von Epinay. War es ein Raubmord? War es Rache?

Es ist eine Beraubung damit verbunden gewesen, erwiderte Lotario. Es fehlen zwanzigtausend Franken und Staatspapiere. Der Mord wird dadurch noch gräßlicher, daß dieser Loupert ein Verwandter, ein naher Verwandter der Baronin gewesen zu sein scheint.

Ein Verwandter? fragte Lucien Debray erschüttert.

Sie erinnern sich doch jenes Benedetto, des falschen Prinzen Cavalcanti?

Gewiß! ertönte es allgemein, und das Erstaunen wuchs. Was hat er damit zu tun? Wo ist er?

Er ist jener Baron von Loupert und der Sohn der Baronesse. Ein unglücklicher Zufall machte mich zum Zeugen des Mordes. Wenn aber irgend etwas mein Gemüt erschüttern kann, so ist es der Mord selbst weniger, als die Frechheit des Mörders. Ja, Herr von Loupert, Benedetto –

Die Stimme des jungen Mannes zitterte. Seine ganze Gestalt war in Aufregung. Er suchte den Mörder.

Wo ist er? Wo ist Loupert? rief er überrascht. Er ist der Mörder!

Es trat eine allgemeine Verwirrung ein. Loupert hatte in der Tat das Zimmer verlassen. Er hatte die Gelegenheit benutzt, als alle Blicke auf Don Lotario gerichtet waren, um zu entfliehen. Man eilte ihm nach. Er hatte das Palais Royal verlassen.


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