Adolf Mützelburg
Der Herr der Welt
Adolf Mützelburg

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Der Antrag

Zeit war verflossen. Die Sängerin Eugenia Larsgand befand sich immer noch in Berlin, und Don Lotario war immer noch ihr beständiger Begleiter, als der Graf von Arenberg eines Nachmittags in Thereses Zimmer trat.

Therese saß in der Fensternische, den Kopf tief niedergebeugt und, wie es schien, so tief in Gedanken versunken, daß sie das Eintreten des Grafen und seinen Schritt auf den weichen Teppichen gar nicht hörte. Erst als er sanft seine Hand auf ihre Schulter legte, fuhr sie auf.

So träumerisch, so gedankenvoll, mein liebes Kind! sagte er mit seiner herzlichen, wohltuenden Stimme. Was ist das? Was sind das wieder für trübe Gedanken?

Es ist nichts, lieber Vater! antwortete Therese – sie nannte ihn oft mit diesem Namen. Und dabei versuchte sie zu lächeln. Aber es gelang ihr nicht, ihr Gesicht blieb wehmütig.

Nichts? Ei, das soll ich wohl glauben, wenn Ihnen fast die Tränen in den Augen stehen! sagte der Graf. Nein, Therese, ich weiß es recht gut, seit einiger Zeit haben Sie etwas auf Ihrem Herzen. Ich wollte Sie nicht belästigen. Aber ich kenne Ihre mädchenhafte Scheu. Einmal müssen wir uns doch aussprechen, und besser früher als später.

Jedes Weib muß seine Bestimmung erfüllen, Sie die Ihrige. Daß ich mich nie verheiratet habe, hatte seinen Grund in beklagenswerten Umständen. Das Glück und die hohe Wichtigkeit der Ehe aber habe ich stets erkannt, und es würde mich aufs tiefste schmerzen, wenn ich denken sollte, daß Ihnen dieses Glück ewig fremd bliebe. Allerdings ist die Liebe die erste Bedingung der Ehe. Aber da es möglich ist, daß Ihr Herz bereits jenem einen alles gegeben, was es an Liebe besaß, so bleibt Ihnen vielleicht nur die zweite Bedingung: die Achtung. Ich bin der festen Überzeugung, daß man einen Mann, den man achtet, mit der Zeit auch lieben wird. Die Ehe knüpft neue Bande, ruft neue Gefühle hervor, die später süßer und heiliger sind als diejenigen der leidenschaftlichen Liebe. Deshalb, Therese, frage ich Sie nun, ob Sie nie daran gedacht haben, falls Sie niemand finden, den Sie lieben können, einen Mann zu heiraten, den Sie achten?

Ich habe nie daran gedacht, bis jetzt!

Dann bitte ich Sie, mein liebes Kind, meine Worte in ernste Überlegung zu ziehen! fuhr der Graf mit Wärme und Innigkeit fort. Es hat jemand um Ihre Hand bei mir angehalten, und ich halte es für meine Pflicht, Ihnen das zu sagen. Es ist Herr von Ratour. Wir kennen ihn beide seit längerer Zeit, und ich glaube, daß wir beide nichts Wesentliches an seinem Charakter auszusetzen haben. Er ist bemüht, sich hier eine neue Stellung zu erwerben, nachdem er die alte in seinem Vaterlande dadurch verloren, daß er seiner Überzeugung treu blieb. Ich habe in ihm einen edlen und für alles Schöne begeisterten Menschen kennengelernt, Heute vormittag war er bei mir und machte mir seinen Antrag.

Ich hatte etwas Ähnliches schon seit längerer Zeit erwartet, sagte Therese.

Ich könnte Sie um Zeit zur Überlegung bitten, aber ich kann Ihnen meine Antwort sogleich geben. Zürnen Sie mir nicht, lieber Vater – ich beschwöre Sie darum. Aber Herr von Ratour wird nie mein Gatte werden, nie! Ich kann nie darin einwilligen!

Der Graf antwortete nicht sogleich. In dem Zimmer war es dunkel geworden. Eine längere Pause trat ein. Therese hatte ihr Gesicht abgewendet.

Nun aber, mein Kind, zum letztenmal bitte ich Sie, seien Sie aufrichtig gegen mich! sagte der Graf.

Therese hatte sich erhoben, unruhig, mit sich selbst kämpfend. Dann plötzlich schlang sie weinend die Arme um die Schulter des Grafen.

Es ist Don Lotario, den ich liebe! rief sie im tiefsten Schmerze. Es ist Don Lotario!

Und dann riß sie sich los und eilte durch die Tür davon.

Ich ahnte es! Ich ahnte es! flüsterte der Graf vor sich hin. Armes Kind, wie sollst du je Ruhe finden! Wie soll dein Herz je genesen!

Traurig und bekümmert kehrte er nach dem andern Flügel des Gebäudes zurück, in dem sich seine Zimmer befanden, und erwartete dort in düsterem Nachdenken die Ankunft Ratours, der um sieben Uhr hatte kommen wollen, sich den Bescheid zu holen. –

Ratour war schnell bis an das Hauptgebäude geschritten. Dort aber stand er still, um zu überlegen. Er stand lange dort, denn es war nicht leicht, einen Ausweg aus diesem Labyrinth von Gefahren zu finden, in die er sich durch seine Schlauheit gestürzt hatte. Endlich aber war sein Entschluß gefaßt. Hastig trat er in das Gebäude und ging sogleich zu dem Grafen.

Herr Graf – rief Ratour mit erkünstelter Entrüstung und zum Teil auch wirklich aufgeregt und zornig – Herr Graf, verzeihen Sie mir, daß ich Sie störe. Aber es ist das letztemal, daß ich dieses Haus betrete. Sie und ich sind schändlich betrogen worden, betrogen von einem Mädchen, das Tugend und Sprödigkeit heuchelte, während sie es nicht für unter ihrer Würde hielt, im geheimen Umgang zu haben mit einem Menschen, von dem jedes andere Mädchen sich zurückziehen würde, um nicht ihre Ehre zu beflecken.

Der Graf war aufgesprungen und starrte den Franzosen entsetzt an.

Ja, es ist so! rief Ratour bitter und höhnisch. Hören Sie mich nur einen Augenblick an, und urteilen Sie selbst. Ich gestehe mein Unrecht ein. Nicht zufrieden mit der Antwort, die sie in bezug auf meinen Antrag gegeben, beunruhigt und von leidenschaftlicher Liebe erfüllt, wollte ich Therese selbst um eine Erklärung bitten. Ich kam heute abend. Man sagte mir, daß Sie in Ihrem Arbeitszimmer seien und Therese sich in dem Pavillon befände. Ich hielt den Augenblick für günstig. Meine Liebe sollte meine Kühnheit entschuldigen, und ich ging dreist nach dem Pavillon. Ich fand die Tür verriegelt, aber ich hörte Stimmen und Geflüster im Innern, Thereses Stimme und eine Männerstimme, die mir bekannt klang. Von Unruhe und Eifersucht gequält, drückte ich die Scheibe eines Fensters ein und betrat den Pavillon, entschlossen, mir Gewißheit zu verschaffen. Ich sah Therese und Don Lotario in einer Umarmung – Herr Graf, ich kann nicht weiter sprechen! So hat dieses Mädchen Sie und mich getäuscht, und während sie in der Erinnerung an ihren einstigen Geliebten zu leben schien, verschmähte sie es nicht, mit gewöhnlichen Dirnen und der Sängerin, vielleicht auch mit Madame Morel, die Gunstbezeigungen eines Spielers und Abenteurers zu teilen. Das Urteil darüber überlasse ich Ihnen selbst. Man hat mich bemerkt, und wahrscheinlich wird man es versuchen, Ihnen ein Märchen aufzubinden, falls diese beiden ihre Frechheit nicht gar so weit treiben – wie ich fast vermute – auch jetzt noch ihr verbrecherisches Spiel fortzusetzen, darauf hoffend, daß ich meinen Unwillen verbergen und mich entfernen würde. Aber ich konnte es nicht. Ihnen wenigstens wollte ich reinen Wein einschenken, damit Sie Ihre Maßregeln danach treffen können!

Es ist unmöglich, unmöglich! rief der alte Graf starr vor Ersetzen. Daß sie Don Lotario liebt, das wußte ich. Aber daß sie so weit gehen könnte – nein, es ist unmöglich!

So überzeugen Sie sich selbst! rief Ratour. Es tut mir leid, sehr leid, Herr Graf, nur um Ihretwillen! Ich achte und ehre, ich liebe Sie wie einen Vater, und ich bedaure es tief, daß Ihre Gutmütigkeit dazu benutzt worden ist, um Sie bitter zu täuschen. Ich werde nun Ihr Haus nicht wiedersehen. Adieu! Tun Sie, wie Sie handeln müssen.

Der Graf stand noch immer wie betäubt. Er schien diese entsetzliche Anklage nicht glauben zu können. Er zitterte, setzte sich mehrmals nieder, stand dann wieder auf und schien nach Kraft und Fassung zu suchen. Endlich ermannte er sich und eilte in fast jugendlicher Kraft und Hast durch den Garten nach dem Pavillon.

Ratour hatte vermuten können, welche Erklärung jenem Auftritte folgen würde. Er hatte vorausgesehen, daß der Graf die beiden in einer Situation treffen würde, die seine Verleumdungen zu bestätigen schien. Als der Graf erhitzt und hastig in das Zimmer trat, hielten sich Don Lotario und Therese glückselig und alles vergessend umarmt.

Elender! rief der Graf mit einer Stimme, die niemand bei ihm vermutet hätte, Elender, Sie haben mich getäuscht und betrogen, Sie haben sich bei mir eingeschlichen, um Therese zu verführen. Fort, fort aus meinen Augen! Und auch Sie, Therese, Sie haben mich bitterlich betrogen, ich hätte es nimmer, nimmermehr geglaubt!

Don Lotario und Therese waren erschreckt und bestürzt aufgesprungen.

Ratour hat uns verraten und verleumdet! rief Lotario. Herr Graf, ich bitte Sie, hören Sie die volle Wahrheit! Ratour hat Sie betrogen, auch mich, auch Therese!

Vater, lieber Vater, ja, der Elende hat uns alle getäuscht! rief Therese, und auf den Grafen zueilend, schlang sie liebevoll ihre Arme um ihn, aber dieser stieß sie zurück.

Wollt ihr auch jetzt noch mich täuschen? rief er, halb zornig, halb weinend. Schämen Sie sich, Don Lotario, dieses arme Mädchen zu verführen! Und auch Sie, Therese, oh, ich hätte Sie nimmer für so schwach gehalten!

Nun folgten hastige Erklärungen. Lotario und Therese überstürzten sich in Beteuerungen, Bitten und Anklagen Ratours. Es war unmöglich, daß der Graf durch dieses Gewirr von Reden auch nur den geringsten Aufschluß erhalten konnte. Er war betäubt, nicht überzeugt.

Verlassen Sie dieses Haus augenblicklich, Don Lotario! fügte er fest. Mögen Sie schuldig oder unschuldig sein. Jedenfalls will ich mich überzeugen, wer mich verraten hat. Thereses Ehre verlangt, daß sie keine Minute lang in Ihrer Gesellschaft gesehen wird. Verlassen Sie das Haus und wagen Sie nicht eher zurückzukehren, als bis ich Sie ausdrücklich rufen lasse.

Einen Augenblick lang kämpfte Don Lotario mit sich selbst. Dann überwand er den Unmut, der in ihm aufsteigen mochte, grüßte ehrerbietig den Grafen und ging nach dem Vorderhause. Nur einen Blick warf er noch auf Therese, und nur einen Blick erhielt er noch von ihr. Aber dieser Blick reichte aus, ihn für eine Zeitlang glücklich und stark zu machen.


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