Adam Müller-Guttenbrunn
Der große Schwabenzug
Adam Müller-Guttenbrunn

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Ernster Ausklang

Was war das für eine Schreckensnachricht, die wie auf Windesflügeln die Stadt durcheilte? Der Feldzeugmeister Graf Mercy war gefallen! Kaum hatte man sie dem Hofkriegsrat zur Kenntnis gebracht, wußte sie schon ganz Wien. Der Oberkommandant in Italien war gefallen, der Mercy tot! Und Gerüchte von einer großen Niederlage der Kaiserlichen erfüllten die Luft.

Auch beim Hofkammerrat von Stephany waren gleichzeitig Briefe aus Italien eingelaufen, aus dem Hauptquartier Mercys. Und die Trauerbotschaft erschütterte den Freund und Arbeitsgenossen mächtig. Tot? Tot? Noch vor einer Woche hatte er selbst dem Hofkammerrat geschrieben, hatte ihm das Mißgeschick erzählt, das ihn wieder einmal betroffen. Ein neuer Schlaganfall hatte ihn inmitten der Schlachtvorbereitungen niedergeworfen, wieder einmal mußte er das Oberkommando abgeben vor einer großen Entscheidung, die ihn unsterblich machen konnte. Zähneknirschend fügte er sich. »Kein Glück! Kein Glück!« schrieb er dem Freund. »Das Los der Mercy ist es, für die Nachfolger zu arbeiten.« Aber sein Zustand bessere sich rasch, fügte er hinzu; er fühle, wie sein Augenlicht, das verloren schien, wiederkehre, und wie seine Kräfte sich erneuerten. Er werde bald wieder hergestellt sein. Und er schloß den jetzt denkwürdig gewordenen Brief mit den Worten: »Mein Banat nicht vergessen! Nur die Erhebung zu einem souveränen Fürstentum oder Herzogtum kann dieses kostbare Land seiner Majestät für immer attachieren. Mein Paradies nicht vergessen!«

Und jetzt war dieser Feuergeist tot. Aber er starb nicht den Strohtod, er fiel als Held. Wie er hoffte, geschah es, er genas rasch und übernahm das Oberkommando wieder. Stürmisch, wie alles, was er vollführte, bereitete er den vertagten Angriff vor auf den Feind. Alle getroffenen Maßregeln seines Stellvertreters stürzte er um, mit dem ganzen Hauptquartier, das die Lage nicht für reif erklärte, überwarf er sich in seinem Tatendurst. Er trieb zur Schlacht bei Parma und ritt als erster in den Tod. Zu weit hatte er sich als Oberkommandant vorgewagt, zwei Musketenkugeln zerschmetterten ihm die Stirne, und er sank lautlos vom Pferde. Und sein Tod wirkte lähmend auf die ganze Armee. In der Kirche zu Reggio wurde Mercy bestattet, und eine würdige Totenfeier ward ihm bereitet.

So schrieb man dem Hofkammerrat. Aber man teilte ihm auch die Nachrede mit, die dem Toten jetzt gehalten werde. Er wäre ein Haudegen gewesen, ein Draufgänger, aber kein Feldherr, kein Oberkommandant. Das drang auch zum Generalissimus, zum Prinzen Eugen, der trotz seiner Kränklichkeit und einer ungenügenden Armee mit Glück auf dem französischen Kriegsschauplatz bestand. Und er schrieb an den Kaiser und verteidigte Mercys Andenken. Er habe ihn immer als Freund geliebt und als einen der tapfersten und ehrlichsten Generale des Kaisers geschätzt. Möge man über seine letzten Maßnahmen wie immer urteilen und sich über sein stürmisches Temperament noch so sehr beschweren, »Eure Majestät haben in Mercy einen großen Mann verloren.«

Also schrieb der Prinz, und der Kaiser ließ dies bekanntmachen. Auch in Wien wurde dem gefallenen Feldherrn eine öffentliche Totenteier bereitet. Stephany ließ seine Kinder durch einen Eilboten zu derselben einladen, sie sollten Zeugen der Ehrung sein, die dem großen Manne bereitet wurde. Aber die Botschaft erreichte den Grafen Anton zu spät, er war unterwegs, er oblag seinen neuen Pflichten mit demselben Feuereifer, den der Tote zu allen Zeiten für das Gute entfaltet hatte. Ein echter Mercy war dahin; kein unwürdiger Nachfolger blieb zurück.

Als die schmerzlich überraschten Kinder schrieben, war die Totenfeier in Wien schon vorbei ... Wie hätte der letzte Bericht seines Antoine den alten Herrn gefreut! Er hatte nicht nur die Schwarzwälder – an deren Schicksal dem Toten so viel gelegen war – gefunden, er stellte auch manch einen anderen, größeren Herrn als Wegelagerer, der Kolonisten aufhob, an den Pranger, und forderte, daß ihm der Prozeß gemacht werde wie dem Parkoczy. Man wäre in Wien nicht genügend unterrichtet über all die Kolonistenschicksale in Hungarn, schrieb er. Da gebe es viele Tränen zu trocknen und manches verlorene Menschenrecht wieder aufzurichten.

Wie hätte sich Klaus Florimund gefreut über diesen Neffen und Sohn und Schüler!

Jetzt war er tot. Aber Stephany gelobte sich, sein großes Vermächtnis zu hüten. Und seine letzte Bitte: »Mein Banat nicht vergessen!« die wollte er sich, ihrem ganzen Inhalt nach besonders angelegen sein lassen

*

In der Bauernstube bei den »Sieben Kurfürsten« ging es vor Martini wieder einmal hoch her. Von allen Seiten waren die Schwaben zum großen Herbstmarkt gekommen, und zu ihnen gesellten sich die Schwarzwälder aus Dobok. Die Verschollenen, die Verlorengeglaubten waren wieder da! Auf dem Markt hatte der alte Jost Zengraf seine Tochter, die Jägers Kathl, gefunden. Sie wäre beinahe umgefallen vor Schreck. Jedes Jahr an seinem Namenstag ließ sie eine Totenmesse zu seinem Gedächtnis lesen, und jetzt stand der Vater vor ihrem Butterkorb und vor ihren geschoppten Martinigänsen und lachte sie an! Ein Kreuz schlug sie und hatte schon ein Sprüchlein auf den Lippen, mit dem man Geister beschwört, die am hellen Tage erscheinen. Aber da trat auch ihres Bruders verlorener Sohn hinzu, der lange Mathes, und der konnte doch nicht auch ein Geist sein, denn er fragte gleich nach der Margret, seiner Braut. Jetzt glaubte sie's.

Und was die alles zu erzählen wußten, als sie in der Wirtsstube saßen, was die alles erlebt hatten! Der Baron, der sie geraubt und über der Donau drüben angesiedelt hatte, wär' gar nicht der richtige Herr gewesen von den Gütern, auf denen er sein Unwesen trieb. Er sei jetzt abgesetzt worden, der junge Mercy habe ihn erwischt und in ein kleines Kastell verbannt, das einmal vor alten Zeiten seiner Familie gehört haben soll. Dort soll er abwarten, bis ihm der Prozeß gemacht wird.

Und ob denn alle Schwarzwälder jetzt kämen, wollte man wissen. O nein, sagte der Eckerts Schmied. Nur zehn Familien, die andern lassen schön grüßen. Sie hätten sich schon an ihre Wirtschaft in Dobok gewöhnt, wollten nit noch einmal was Neues anfangen. Das Gut, auf dem sie und ein paar Pfälzer sitzen, das werde jetzt auch kaiserlich, sagte der Schmied, dann sind sie freie Bauern, so wie die im Banat. Man möchte sie halt nit ganz vergessen.

Der junge Zengrafs Mathes aber, der hatte das große Messer, der ließ sie alle blau anlaufen in der Bauernstube. Nein, was der für Räubergeschichten erzählte! Zuerst ihre Gefangennahme durch bewaffnete Kuruzzen. Dann seine Flucht, für die er die »Baschtonade« kriegte. Und zuletzt wollte er ihnen weismachen, sie seien einmal ihrer fufzehn Schwaben, mit Sensen und Mistgabeln, Knütteln und Flinten bewaffnet, vor das Herrenhaus gezogen, um den Baron inmitten seiner Leibeigenen zu fangen. Die Baschtonade wollten sie jetzt ihm geben, dem Baron, genau so, wie er sie jedem geben ließ, der nicht parierte. Der Trauttmanns Philipp, ihr Pfälzer Anführer, habe ihnen gesagt, es stünde der Galgen auf dem Unternehmen. Aber es war ihnen schon alles eins, sie wollten endlich frei werden von dem Satan, und da haben sie's getan. Und so wären sie halt jetzt frei . . .

Die Zuhörer glaubten nicht recht an diese Schwabenstreiche, einer horchte nur mit halbem Ohr hin, einer gar nicht, jeder hatte etwas anderes im Kopf, und die meisten wollten schon heim, denn es wurde früh Nacht im November. Zuletzt blieben nur die Schwarzwälder beieinander sitzen, denn ihre Ansiedlungspapiere waren noch nicht in Ordnung. Aber im »Schwarzwald« von Guttenbrunn, der oberen Hauptgasse, wußte man am selben Abend schon, daß die Verschollenen gefunden wären und ein Teil von ihnen bald kommen würde. Ihren kränkelnden alten Vater hatte die Jägers Kathl zum Beweise mitgebracht. Zur Margret aber schickte sie gleich ihren ältesten Buben und ließ ihr sagen, »der Mathes kimmt, sie möcht' die Musikante b'schtelle, zu Kathrein sei Hochzich.«

Als der alte Zengraf zu Bett gebracht war, rief er die Kathl und ihren Mann noch eirmal an sein Lager und drückte der Tochter eine Brieftasche in die Hand. Sein aus der Heimat mitgebrachter Sparpfennig wär' da drin. Sein Vermögen. Daß er ihr das doch noch habe bringen können, das freut ihn von Herzen. Jetzt sei ihm leicht . . Und er erwachte am nächsten Morgen nicht mehr.

*

Ein neuer Gouverneur regierte im Palast des Mehemed Aga auf dem Temeschwarer Paradeplatz, ein braver General von hohem Rang. Er setzte die Arbeit des Grafen Mercy fort. er legte auch endlich den Grundstein für die Domkirche, die ein Traum des ersten Gouverneurs gewesen. Und sein Name kam in die schöne lateinische Urkunde, die in diesen Stein verschlossen und für die Nachwelt in das Erdreich versenkt wurde, nicht der des großen Mannes, der dieser Stadt und diesem Land zwei Jahrzehnte seines eifervollen Lebens gewidmet hatte. Das Los der Mercy . . .

Und jener größere Traum, der den Gouverneur bis zur letzten Stunde verfolgte, schien sich auch seiner Erfüllung nähern zu wollen. Nicht umsonst hatte er ihn dem Hofkammerrat ganz besonders ans Herz gelegt.

Ein hoher Herr bereiste inkognito das Banat; ungenannt und unerkannt logierte er auch bei den »Sieben Kurfürsten«. Es war ein junger, stolzer Herr, ein Bild männlicher Schönheit und ritterlicher Anmut. Für alles war er dankbar, und für jeden hatte er ein huldvolles Lächeln auf den Lippen. Der Name des Gasthofes schon entzückte ihn und die appetitliche Wirtin nicht minder. Neben seinen jüngeren Begleitern, die sich ganz soldatisch gehabten, stand ein hochgewachsener Graukopf mit hellen Augen und durchgeistigten Zügen, und, der Wirt hatte seinen Namen gar bald aus der Dienerschaft herausgefragt: es war der Wiener Hofkammerrat Stephany. Den durften sie nennen. Aber wer war der, um den sich alles bewegte? Die Stammgäste bei den »Sieben Kurfürsten« waren in nicht geringer Aufregung, sie rieten und rieten, und konnten doch zu keinem befriedigenden Ende kommen. Auch dem Schuldirektor Wörndle gelang es nicht, das Geheimnis zu durchdringen.

Die Frau Theres machte ihr Meisterstück mit der Mittagstafel für diese Wiener Gesellschaft, der junge Graf oder wer er war, bedankte sich selbst bei ihr. Seit Wien habe er so famos nicht mehr gegessen, es sei alles gustiös gewesen und deliziös. Die Hand reichte er der Frau Wirtin und drückte die ihre. Es war die schönste Männerhand, die sie je gesehen. Beinahe hätte sie dieselbe geküßt. Als sie das in der Küche erzählte, schnalzte die mollige Frau Gretel mit der Zunge. »Wann ich jünger wär«', sagte sie schalkhaft, »mit dem hätt' ich gern emol ein' Langaus getanzt.«

Es gab bei verschlossenen Türen eine lange Konferenz mit dem neuen Gouverneur. Herr von Stephany führte das Wort ...

Und die vornehme, kleine Gesellschaft trat am nächsten Tag ihre Reise in Begleitung von berittenen Heiducken an, die bis an die Zähne bewaffnet waren. Der Obrist Graf Mercy war den Herren von jenseits der Donau nach Peterwardein entgegengekommen und machte den Führer. Keiner kannte das Banat und die Bátschka besser wie er. Hohe Offiziere erzählten bei den »Sieben Kurfürsten«, die Wiener Herren hätten eine ganz bestimme Mission. Welche? Darüber munkelte man allerlei.

Nach vier Wochen kam die geheimnisvolle Reisegesellschaft wieder, und es ging mit einer merklichen Überstürzung bei einbrechendem Winter fort nach Wien. Es hieß, die Herren hätten im Süden eine schreckliche Krankheit vorgefunden. Und keiner wollte die Verantwortung dafür tragen, daß auch nur eine Stunde verloren würde Im letzten Augenblick aber wurde doch geschwätzt, ein verliebter Diener ließ sich ausholen von einem Schankmädchen, und man erfuhr, daß der Ritterliche, der Schöne niemand anderer gewesen wäre als der Herzog von Lothringen, der Bräutigam der Erzherzogin Maria Theresia!

Das war eine große Überraschung. Man wußte nicht, was man davon halten sollte, und zerbrach sich an dem magistratischen Stammtisch, wo man doch immer alles wußte, während des halben Winters die Köpfe über das Rätsel dieser Reise. Der Stadtrichter, der Wörndle und der Kurfürstenwirt stritten wie oft über die möglichen Folgen dieses hohen Besuches. Langsam sickerten Gerüchte durch, die nie bestätigt worden sind und doch so glaubwürdig schienen ... Der junge Herzog habe hier ein Herzogtum gesucht, sagte der Festungskommandant einmal zu dem Stadtrichter. Aber eine Erklärung dieses Wortes gab er nicht. Er lächelte nur. »Wozu braucht der noch ein Herzogtum?« fragte Wörndle am Stammtisch. »Ist er denn nicht der Lothringer?« Das Wort blieb unverständlich, war vielleicht ein Scherz.

Als Franz Stephan im nächsten Fasching die Maria Theresia heiratete und bald danach auf sein Herzogtum Lothringen verzichtete, um Großherzog von Toskana zu werden, da war den Wissenden in Temeschwar der Zweck seiner Reise freilich klar. Wie eine Bombe schlug die Nachricht an dem magistratischen Stammtisch ein. Also war das Banat eine verschmähte Braut!

Außer Rand und Band war der Leonhard Wörndle, der die politischen Gespräche leidenschaftlich liebte. Er konnte es nicht fassen und wollte es nicht glauben, was sich da begeben sollte. »Auch Lothringen?! Auch Lothringen?!« schrie er auf bei der Nachricht aus Wien. »Das Elsaß ist hin. Und jetzt kommt Lothringen dran? Dem polackischen Schwiegervater des Ludewig, dem Kartenkönig Stanislaus, wird ein deutsches Reichsland abgetreten? Und nach seinem Tode schluckt es der Franzos!« Er war außer sich. »Und dazu zwingt man den jungen Prinzen, der einmal deutscher Kaiser werden soll?« Nein, er faßte es nicht. Und voll Hohn summte er das Spottgedicht, das sie vom Rhein mitgebracht hatten im vorigen Jahr:

Ja, was nur Händ' und Füße regt,
Was geht, was schwimmt, was Eier legt,
Hat seine Feinde gern vom Leibe.
In Teutschland ist es umgewandt,
Wir öffnen unserm Feind das Land
Und leiden, daß er bleibe.

Niemand widersprach dem Direktor Wörndle, um ihn nicht noch mehr zu reizen, aber er kam auch ohne Widerspruch heute nicht los von dem Gegenstand.

»Und wenn der Prinz schon auf sein Heimatland verzichten muß, weil die verdammten Diplomaten wieder einmal etwas verpfuscht haben't,« fuhr er fort, »Oh, warum hat er nicht das zukunftsreiche Banat und die Bátschka als Herzogtum erwählt! Alle Lothringer hätt' ich an seiner Stelle hierher verpflanzt und mir ein großes, deutsches Reichsland im Osten geschaffen ... Was braucht ein Lothringer Herzog, der die deutsche Kaiserstochter zur Gemahlin hat, sich zu einem italienischen Großherzog machen zu lassen? Hm?«

So deklamierte Wörndle den ganzen Abend in der dicht besetzten Gaststube und brachte den befreundeten Wirt und manchen beamteten Stammgast in Verlegenheit. Jakob Pleß fragte sich manchmal: Wenn ich nur wüßt', warum er so schreit?

»Das Elsaß ist hin! Lothringen ist hin! Was kommt jetzt dran? Am End' die Rheinpfalz? Hin?«

Der Wirt flüchtete in die Bauernstube. Dort redete man nur von guten Feldern, von fetten Weiden, von den zehn Freijahren und den Getreidepreisen. Und auch von den noch ausstehenden Erbschaften im, alten Vaterland. Wenn alles von daheim eingehe und die ersten Ernten geraten, dann könne es nicht fehlen ... Das gefiel dem Kurfürstenwirt viel besser. Was brauchte es der großen Worte des Wörndle? Diese Bauern werden sich schon selber ein deutsches Herzogtum hier machen. So oft die Susi die Türe öffnete, schallte es aus der Ferne her:«... Elsaß hin ... Lothringen hin ... Rheinpfalz? . . .« Die Bauern spitzten ein bißchen die Ohren, dann aber redeten sie weiter von der neuen Heimat und nicht von der alten. So mancher wollte gar nicht an sie erinnert sein, sonst packe ihn vielleicht doch das Heimweh.

Das Frühjahr kam, und mit ihm war auf einmal der schreckliche Gast aus dem Süden, den man bisher verheimlicht hatte, überall.

»Die Pest! Die Pest!«

Der Schreckensruf erscholl von allen Seiten, und grauenvoll waren die Berichte. Dazwischen kam die Nachricht aus Wien vom Tode des Prinzen Eugen. Wie ein Erdbeben hätte diese Kunde zu ande'ren Zeiten auf die Gemüter gewirkt, jetzt hatte niemand ein Gefühl übrig für sie. Nur der Türke schien die Kunde richtig zu bewerten, er wurde immer lebendiger hinter den Grenzen, die ihm der Mächtige einst gezogen, und machte Miene, sie zu überschreiten, den Frieden zu brechen. Der Mercy tot, Prinz Eugen tot und die Pest im Lande – es war zu viel.

Noch war die Hauptstadt frei. Und der Stadtrichter übte strenge Kontumaz, er hielt nichts von der Widerstandskraft des fieberischen Temeschwar und zitterte vor dem ersten Fall. Da kam ein Bataillon Grünne-Infanterie aus Siebenbürgen, um ein anderes, fieberkrankes, abzulösen in die Festung. Man freute sich der gesunden Truppen und begrüßte sie.

Hinausgejagt aus der Stadt ward dieses Bataillon nach drei Tagen. Es gab einen Aufruhr der Bürgerschaft gegen die Militärverwaltung, vor das Palais zogen sie lärmend, drohend, bittend... Zehn Pestfälle hatte diese Truppe! Und sie flüchteten vor dem allgemeinen Entsetzen in die Palanka hinaus, wo man ihr Baracken baute und sie durch Palisaden von der Welt abschloß... Bis auf den letzten Mann ist das Bataillon da draußen gestorben.

Verheerend brach die Seuche über Stadt und Land herein. Alle Arbeit stockte, aller Verkehr hörte auf, die Früchte verfaulten auf den Feldern, und niemand ging ernten. Man betete nur und veranstaltete Prozessionen, der heilige Nepomuk sollte helfen ... Einer wich dem anderen aus und verkroch sich, niemand begrub die Leichen; Soldaten wurden ausgeschickt, sie auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Und grausam, barbarisch wehrte man sich. Wo die Pest neu ausbrach, wurde der Ort mit Palisaden umgeben, und niemand durfte ihn verlassen; wer es dennoch tat, wurde von den Wachen niedergeschossen. . Von Wien kamen gute Ratschläge, weitschweifige Verordnungen und ein Dutzend Ärzte. Für böse Zauberer haben die eingeborenen Walachen und Serben sie angesehen, und die meisten sind erschlagen worden. Volksreiche Dörfer starben aus, ganze Gassen in Temeschwar verödeten; man reichte sich Lebensmittel nur noch auf Stangen zu den Fenstern hinein, keiner wußte mehr, wer von seinen Bekannten noch lebe. Und das Zügenglöcklein durfte schon lange nicht mehr geläutet werden, weil sein Gewimmer die Leute toll machte . . .

Die Base Gutwein erlag gar bald. Ihr folgte Jakob Pleß, der Rüstige, der niemals krank Gewesene. Und niemand betrat ferner die Gaststube bei den »Sieben Kurfürsten«. Voll Grausen schloß die Frau Theres das Haus und flüchtete mit ihren Kindern in die Mehala. Sie wollte auch den Wörndle mitnehmen, der unbeweibt geblieben, ihn retten, aber der schwarze Tod war schon zu Gast bei ihm. Er ergab sich nicht gutwillig Wie? Das sollte das Ende sein? Darum hatte man gelebt und gestrebt und war in die Ferne gezogen, war dem Glück nachgejagt... Er bäumte sich auf, er wollte hier nicht sterben. »Bringt mich fort«, stammelte er, »ins Reich – ins Reich – ins schöne deutsche Reich«. Das waren seine letzten Worte.

Es wurde nicht geerntet, und es wurde auch nicht angebaut; das Vieh verkam in den Ställen, und die Menschen verschmachteten einsam und verlassen in ihren Krankenbetten.

Und fast zwei Jahre dauerte es, bis die Seuche erlosch. Eine Armee von deutschen Pionieren der Arbeit war gefallen, war gestorben und verdorben; Zehntausende hatten die Eroberung dieses Landes mit ihrem Leben bezahlt. Und draußen in der Welt nannten sie das gepriesene Banat jetzt das Grab der Kolonisten. Es kam keiner mehr. Nur Hunger hielt Nachernte, er schlich würgend durch das Land.

In Wien aber saß der greise Hofkammerrat Joseph von Stephany noch immer an dem Webstuhl, auf dem die Schicksalsfäden des Banats und ,der Bátschka zu einem gedeihlichen Ganzen gefügt werden sollten.

Alles war ins Stocken geraten, jäh hörte der Zuzug auf. Und jetzt ließ man anstatt Kolonistenschiffe wieder deutsche Korn- und Mehlschiffe nach Hungarn hinabschwimmen. Alle Pflüge standen dort still, und auch, die letzten verdarben, wenn nicht der Kaiser und das Reich Hilfe brachten.

Als die Seuche für erloschen galt, schickte der Hofkammerrat seinen vielbewährten Sekretarius Gottmann hinab in das Banat. Er sollte erheben, was jetzt nach diesem Zusammenbruch noch getan werden konnte. Mußte man verzweifeln? Man schrieb es ihm hundertfach, aber er glaubte nicht daran. Auch in Wien war einst die Pest. Auch sein junges Weib ist damals an ihr gestorben; aber Wien lebt und blüht, und er selbst hat getragen, was getragen werden mußte ... Er sah in seinem Sekretär seinen künftigen Nachfolger und wollte ihn durch diese Reise auf die letzte Probe stellen. Sein Herz wollte er für das unglückliche Land gewinnen durch diese Fahrt.

Und nach einem Vierteljahr kam Gottmann wieder. Voll Trauer und doch voll Begeisterung kam er zurück. Die Deutschen ernteten schon wieder! Sie allein hätten sich mit ihrem festen Gottvertrauen als widerstandsfähig genug erwiesen. Die Spanier, Italiener und Franzosen seien spurlos verschwunden; die nicht starben, liefen davon, ihre Dörfer stünden leer. Deutsche Siedelungen seien fast nirgends gänzlich ausgestorben. Da habe man sich gewehrt, habe seine Toten rasch begraben und vernünftig gelebt. Und überall erwache wieder neuer Mut; sie wollten alle bleiben, wo sie waren. Rings um die Gräber ihrer Toten ziehen sie neue Ackerfurchen ...

Und das Gleiche berichtete Graf Anton aus der Schwäbischen Türkei. Man müsse das Werk eben von vorne beginnen, und dürfe nicht verzweifeln. Nein, man durfte nicht verzweifeln. Joseph von Stephany war der letzte, sein und Mercys Lebenswerk aufzugeben. Solange seine Knochen hielten, wollte er ausharren auf seinem Posten.

Neue Sendboten zogen ins Reich hinaus, neue Patente der jungen Kaiserin, die in schwerer Zeit den Thron bestiegen, wurden von allen Kanzeln verlesen, und der große Schwabenzug nach dem Osten setzte wieder ein.

Und die jetzt kamen, traten schon ein deutsches Erbe an.

Die Gefallenen haben diesen Boden geweiht für künftige Geschlechter.


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