Adam Müller-Guttenbrunn
Der große Schwabenzug
Adam Müller-Guttenbrunn

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Die Baronin Helene

Die Baronin Helene war heimgekehrt.

Schwelgend in Erinnerungen an die schönen Tage, die sie durchlebt, befriedigt von dem Ergebnis ihrer Fahrt, war sie wiedergekommen. Der Name ihrer Mutter öffnete ihr alle Türen. Die Lory Strattmann-Batthyanyi hatte sie unter ihren besonderen Schutz genommen, die Freundin des Prinzen Eugen; sie durfte an dem Feste der Eröffnung des Belvederes teilnehmen, sie konnte der Gräfin Althan ihre Sorgen beichten und ihre Bitte vorbringen. Und es wurde bei Hofe ein großer Strich gemacht über die Vergangenheit des Barons Parkoczy. Man war so versöhnlich gestimmt für Hungarn, so gnädig und nachsichtig. Daß der Baron einst mit dem Tököly ging, ach, das war ja schon so lange her. Damals muß er ja noch ein Jüngling gewesen sein Daß er dann auch mit dem Rakoczy ging, das sei schlimmer. Aber es sind doch so viele mit ihm gegangen, die wieder in all ihre Rechte eingesetzt wurden. Und die so klug waren, ihn beizeiten zu verlassen, wie die Károlyis und andere, hat man sogar belohnt. Und der hungarische Hofkanzler, zu dem die Lory Strattmann die Baronin begleitete, hat in den Akten gefunden, daß auch der Parkoczy zu denen gehörte, die sich sehr früh von dem Rebellen getrennt haben. Zu den Geächteten gehörte er jedenfalls nicht. Sein persönliches Eigentum hätte er also gewiß wieder bekommen, er brauchte sich nur darum zu bewerben.

»Nun also!« rief die Lory. »Nun also, er ist ja gar kein solcher Kuruzze, wie er glaubt!«

Der Hofkanzler lächelte. Das Weitere werde untersucht werden, sagte er. Und das dauerte Monate. Helene aber wich nicht. Dieses Weitere, das war es ja eigentlich, warum sie die Fahrt unternommen hatte. Und da sich die Freundin des Kaisers und die Freundin des Prinzen Eugen für ihre Sache interessierten, so lief sie plötzlich ganz anders, als die frühere Drohung lautete. Man forschte nicht mehr nach den Beweisen des Barons, an denen es offenbar fehlte, man forschte danach, ob ein anderer Besitzer nachweisbar wäre auf seinen« Gütern. Nein, es hatte sich in den vielen Jahren niemand gemeldet, strittig war die Angelegenheit nicht. Es konnte nur die Hofkammer die Güter einziehen. Zu welchem Zweck? Wenn man dem Baron auftrug, zu kolonisieren, Grund und Boden ertragsfähig zu machen für den Staat, dann war dieser Zweck erfüllt, und man konnte die Familie schonen.

Und so fiel denn die Entscheidung für die Tochter des einstigen Kronhüters Christoph Erdödy gnädig genug aus. Die Befreiungstaxe an die Kriegskasse war zu zahlen. Und zwei Drittel des Besitzes sollten im Laufe von zehn Jahren mit Ackerbauern besiedelt werden, wofür es nähere Bestimmungen gab. Wurde das erfüllt, blieben die Parkoczy im steuerfreien Besitz des ganzen Gebietes, das der Baron sich angeeignet hatte.

Voll Dankbarkeit vernahm Baronin Helene diese Entscheidung. Selbst der brummige Hofkammerrat von Stephany hatte dein Ansturm so einflußreicher Protektorinnen nicht widerstehen können, und der hungarische Hofkanzler drückte beide Augen zu.

Überglücklich kam Baronin Helene heim. Der Pista war ihr bis Mohács entgegengeritten und geleitete die fröhliche Mama nach Dobok.

Zuerst eilte sie zur Mutter. Ihr mußte sie danken. Ihr mußte sie sagen, welche Zauberkraft ihr Name noch immer am Wiener Hofe habe. Und die stolze Greisin war gerührt, es erfüllte sie eine hohe Genugtuung über diesen Bericht Helenens. Im stillen hatte sie ja nichts anderes erwartet, aber die Freude war trotzdem eine vollkommene. Und sie wurde nicht müde, zu fragen und sich erzählen zu lassen. Viele der Persönlichkeiten, die jetzt im Vordergrunde standen, hatte sie als Kinder gekannt. Den Kaiser selbst sah sie, wie er als junger Prinz nach Spanien zog, um sich dort die Krone zu erkämpfen. Und von den beiden Schönheiten des Hofes wollte sie Näheres wissen, der Kaiserin und der Althan. Ganz jung wurde sie wieder durch ihre Erinnerungen. Am Hofe Leopolds war sie einst die schönste ...

Nicht den geringsten Dank aber fand die Baronin bei ihrem Gemahl. Er fand die erzielte Entscheidung beschämend für die demütigende Bittfahrt seiner Frau, er nahm sie nicht an. Die Söhne murrten über seinen Starrsinn und traten auf die Seite der Mutter.

»Was, ihr Gelbschnäbel, ihr wollt mich lehren, was da zu tun ist? Reizt mich nicht, ich rat' es euch!« schrie er. »Die Kriegstaxe wird nicht bezahlt, und wer mir deutsche Ansiedler bringt, solche Bettler, die daheim nichts zu fressen haben und hier Herren sein möchten, den schieße ich nieder. Ich bin der Herr hier. Wollen die Wiener Usurpatoren meine Güter haben, dann sollen sie nur kommen.«

»Stephan! Stephan!« rief die Baronin. »Sie wissen nicht, was Sie reden. Sie wissen nicht, wie wohlgesinnt man in Wien ist, wie nobel diese schwierige Angelegenheit behandelt wurde.«

Ich nehme keine Bedingungen an. Für mich bleibt alles, wie es war!« rief er.

»Das geht nicht. Ich habe mich gebunden«, sagte die Baronin. »Und es kann auch nicht Ihr letztes Wort sein. Pista soll nächstens mit diesen Papieren nach Mohács reiten zum alten Martonffy und sich alles erklären lassen. Wenn Sie sich nicht fügen wollen, lieber Freund, dann müssen wir handeln. Daß Sie es nur wissen: mir hat man die Güter zugesprochen, der Name meiner Mutter war da entscheidend.«

»So? So?« höhnte der Baron. »Ich aber sage, ohne mich geschieht nichts! Und ich gehe nach Szent Marton, bis ihr zur Vernunft gekommen seid. Istenhozott!«(Gott zum Gruß!)

Die Söhne lachten laut auf, als ihr Vater nach diesen Worten aus dem Zimmer eilte.

Die Baronin, dem Weinen nahe über diesen unerwarteten Auftritt, fragte voll Erstaunen: »Wie könnt ihr lachen? Sagt – warum lacht' ihr?«

»Liebste Mama, es ist besser, Sie erfahren das nicht«, sagte Pista. »Wir haben viel Böses mit dem Vater erlebt in Ihrer Abwesenheit. Es ist besser, er geht für einige Zeit nach St. Marton.«

»An meinem Ankunftstag geht er? Kinder, was ist denn geschehen?«

»Sie wissen doch, Mama«, warf Andor in der klugen Absicht, ein, von dem gefährlichen Thema abzulenken, – »das viele Trinken... Wir haben viel zu erzählen. Ich bin vor lauter Ekel fort, war drei Wochen nicht hier. Und dann hat Pista auch etwas getan, das der Papa nie verzeiht.«

»Was hat er getan?«

»Oh, etwas Komisches. Hab' mich halb tot gelacht darüber. Den Jancsi hat der Vater beinahe erschlagen, bis dann der Pista eingestanden, daß er es getan.«

Die Mutter sah Pista fragend an: »Werde ich nicht erfahren ... ?«

»Ach, ich war so unglücklich über unsere tägliche Betrunkenheit«, sagte dieser. »Seitdem Sie fort waren, ist Papa nicht mehr aus dem Rausch gekommen. Er hat viele Dummheiten gemacht ... Und ich hab' auch zu viel getrunken. Ich wollte Ihnen mein Wort halten, liebe Mama, aber die Versuchung war zu groß. Da bin ich eines Abends in den Keller gegangen und hab' aus allen Fässern den Spund herausgeklopft. Bis auf den letzten Tropfen ist das Gift ausgeronnen aus den Fässern. Der Schade war groß, aber der Teufel war aus dem Haus.«

Andor lachte. »Mama, das Geschrei hätten Sie hören sollen! Als ob der Weltuntergang gekommen wäre.«

Die Baronin sah nur Pista an. »Und was hat er dir getan?«

»Mir? Die Faust hat er erhoben gegen mich. Ich bin ich zurückgetreten und hab' geschrien:« Papa, ich will kein Trunkenbold werden! Ich will auch nicht, daß mein Vater einer ist!«

»Und dann?«

»Das hat ihn ein wenig ernüchtert«, sagte Pista. »Wir reden seitdem kein Wort miteinander. Er hat aber wieder Wein gekauft und ihn nach St. Marton führen lassen. Soll er sich dort betrinken, nicht hier. Soll er dort –«

Er brach jäh ab.

»Was soll er dort?« fragte die bestürzte Frau.»So rede!«

»Liebe Mama, lassen Sie ihm Zeit. Wir werden ihn schon langsam wieder gewinnen«, sagte Pista »ich will nächstens, wie Sie befohlen haben, zum Martonffy reiten. Wir wollen Pläne schmieden ohne den Papa. Der Andor kann Ihnen viel erzählen, der war bei den Schwaben in Bellye und in Tevel, der Betyar hat drei Wochen gelebt wie ein Räuber und alles ausspioniert.«

»Ja, Mama, ich weiß, wie man Schwaben bekommt, und was man ihnen geben muß. Ich weiß, was sie können«, sprach Andor, »ich war bei ihnen.«

»Kinder, das alles ist mir jetzt unwichtig«, entgegnete die Baronin. »Ich muß zuerst den Papa hier haben. Ich fahre ihm nach. Ich hole ihn.«

»Mama, lassen Sie das!« bat Pista.

»Nein, nein, nein. Ihr sagt mir nicht alles!« rief die Mutter.

»Geh, Andor, schau', ob Papa schon fortgefahren ist«, sagte Pista rasch und wies ihn mit einem bedeutsamen Blick hinaus. »Vielleicht kann die Mama noch sprechen mit ihm!«

Der junge ging, und Pista trat näher an die Mutter heran. »Liebe Mama, ich muß Ihnen gestehen, daß wir etwas verschwiegen haben. Aber nur, weil wir uns schämten ... Papa geht nicht allein nach St. Marton.«

»Nicht all –?«

»Wir haben hier eine Wirtschafterin gehabt. Die schöne Frau Katicza vom Béres in St. Marton. Es war hohe Zeit, daß Sie gekommen sind.«

Ganz blaß war Baronin Helene geworden. Sie lächelte bitter. Es mochte nicht das erstemal gewesen sein, daß sie dergleichen erfuhr, aber es war doch das erstemal, daß ihre Kinder als Mitwisser dastanden, daß ein Sohn ihr das sagte. Sie schämte sich für den Abwesenden. Und nur um jede weitere Mitteilung zu verhindern, schickte sie Pista jetzt fort.« Wenn es so ist«, sagte sie verlegen, »soll Andor nichts tun; er soll Papa nicht suchen ... Ich will ihn jetzt nicht sehen. Geh', geht«!

»Verzeih', Mama.«

»Geh', geht« rief sie mit Tränen in der Stimme. Pista ließ seine Mutter allein.


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