Adam Müller-Guttenbrunn
Der große Schwabenzug
Adam Müller-Guttenbrunn

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Delibáb

Der Wohlstand im Schlosse hatte sich gehoben. Und ein heißer Wunsch der Baronin Helene und ihrer greisen Mutter ließ sich erfüllen, man konnte den Pista für einige Zeit an den Wiener Hof schicken, konnte dem braven jungen, der bisher so gut wie nichts gelernt hatte, aus seinem Bauernadelstum heraushelfen. Vielleicht nahm man ihn in die hungarische Leibgarde auf, und er kam einst als Weltmann wieder heim. Wenn die Gräfin Lory es wollte, geschah es gewiß.

Und Pista ging gern. Aber es machte den Bruch zwischen den Eltern unheilbar ... So klug hatten Pista und Andor es eingeleitet, daß die Eltern wenigstens bei dem uralten Erntefest zusammenkamen, seitdem die Deutschen diesem Fest einen erhöhten Glanz gaben. Das Fest war der große Tag der Leibeigenen. Die Schnitter brachten der Herrschaft nach vollendeter Ernte ihren Kranz aus Ähren und Feldblumen, und der Älteste hielt eine Ansprache an den Gutsherrn, der sie mit Wein bewirtete. Die Baronin aber kochte ihren Schnittern eigenhändig ein Schafpörkölt mit Kartoffeln, die sie noch nie gegessen, und bediente sie. Der erste Tanz mit dem Sprecher der Schnitter gehörte ihr. Der Zymbalschläger spielte auf, und eine Hirtenflöte begleitete ihn. Und die jungen Herren tanzten mit den Schnitterinnen unter freiem Himmel vor dem Schloß. Sie tanzten noch lange fort, als die Mutter sich zurückgezogen hatte und der Vater schon betrunken war ...

Als auch die Schwarzwälder nach der zweiten Ernte ihren Kranz ins Schloß brachten und einen Sprecher gewählt hatten, der geloben sollte, daß sie jetzt freiwillig bleiben, da war der Augenblick der Begegnung, vielleicht der Versöhnung der Eltern gekommen.

Aber es war ein Schein, der nur eine Nacht leuchtete. Sobald Pista sich bereit zeigte, dem Wunsche der Mutter zu folgen, verfiel Parkoczy in eine wahre Raserei. Sein Sohn dürfe kein Söldling von Wien werden. Er verbiete es.

Die Baronin Helene trotzte ihm standhaft, und Pista ging nach Wien. Da Papa die Mittel sperrte, stattete die Großmutter Erdödy ihn aus.

Andor stand seitdem ganz allein zwischen den getrennten Eltern. Und er wünschte oft, er hätte mit Pista gehen können. Auf verschwiegenen nächtlichen Ritten sauste er manchmal über die Pußta, hinüber zur Csárda und besuchte sein Mädchen, das nicht wußte, wer er war und ihn für einen jungen Csikos nahm. Hätte einer der Pferdediebe, die da zu Hause waren, sein stilles Glück geahnt, er wäre nicht lebend heimgekommen. Aber Margit war schlau und geübt in der Kunst der Verstellung. Sie ging scheinbar schlafen, und die Mutter bediente die Betyaren. Aber bei der alten Windmühle draußen auf der Pußta traf man sich, wenn Andor wieder heimritt.

Sonst war ihm nichts geblieben als die Jagd. Aber es stellte sich allmählich auch eine stärkere Anteilnahme für die Landwirtschaft ein. So wie dieser Trauttmann und die Schwarzwälder das betrieben, war es eine Freude. Mit offenen Mäulern standen die Leibeigenen, die ein gutmütiges, braves Volk waren, oft da und schauten zu. Sie erschienen dem Baron Andor nur wie Halbmenschen, seitdem diese Deutschen hier schafften. Philipp Trauttmann aber sagte ihm: »Junger Herr, macht se zu freie Bauern, wenn Ihr einmal ans Ruder kommt, und sie werde nit viel weniger arbeite wie mir. Sie lerne schon! Sie gucke uns alles ab. Ihr habt noch altbiblische Weidewertschaft do in Hungarn. Is auch schön. Die Faulenzerei is eigentlich großartig Uns taugt des nit. Mir aus'm Reich betreibe Landwertschaft und schlage aus ei'm Joch mehr 'raus wie Ihr aus zwanzig.« Weidewirtschaft, Landwirtschaft. Der junge Baron verstand. Er hatte den Unterschied schon damals dunkel begriffen, als er drüben bei den Schwaben gewesen.

Acht Pferde und zwei Füllen hatte Trauttmann im Stalle stehen. Und die Söhne ritten an Sonntagen manchmal auf ferne Weiden, der Hannes und der Peter wollten es wenigstens an einem Tag der Woche so gut haben wie diese Hirten und Schäfer das ganze Jahr. Baron Andor ließ sich einmal herab, sie zu begleiten, ihnen eine besonders fette Weide zu zeigen. Sie ritten weit in die Ebene hinaus gegen Süden. Kartoffel, Speck und jungen Kukuruz hatten sie mit, und der Packan lief nebenher, der Sohn des Caraffa. Jetzt fürchtete er die Wölfe nicht mehr, er war schon mannbar.

In einer sanften Mulde, durch die eine Quelle rieselte, fanden sie die köstlichste Weide für die Pferde. Und die Tränke war auch zur Stelle.

Da lungerten die drei jungen Männer den ganzen Tag herum, schliefen, aßen das selbstbereitete Mahl, plauderten, schossen mit der Jagdflinte des jungen Herrn nach Geiern, die in den Lüften kreisten und, wo sie ein gefallenes Tier auf der weiten Steppe aufspürten, wie die Pfeile niederstießen. Eigentlich waren sie nützlich, diese Aasvögel, aber da sie in der Not auch lebendige Tiere angriffen, haßte und fürchtete man sie.

In der schwülen Mittagsstunde hatten die beiden Schwaben ihr Erlebnis.

Da lag man im Sonnenbrand, die Erde schien zu kochen, und ein Schleier von aufsteigenden Hitzewellen verhüllte den fernen Horizont. Andor unterbrach plötzlich das Gespräch über Pferde und Geier und junge Rinder und winkte den beiden zu, sie möchten schweigen. Wie verklärt starrte er in die Luft. Dort am Himmel stand ein See, ein Meer, das sich ruhig ausbreitete, keine Welle kräuselte seinen Spiegel ... Es nähert sich, es nähert sich, schon steht die alte Windmühle im Wasser; aber nein, es kommt nicht. In weiter, weiter Ferne gleiten dunkle Punkte vorüber. Sind es Vögel? Sind es Schiffe?

»Jai, jaj, jaj«, lispelte Andor, »die Delibáb geht über die Pußta, die Fee Delibáb.«

Der Hannes und der Peter schauten ihn dumm an.

»Die Fata Morgana!« sagte er. Aber sie verstanden auch das nicht und waren wie auf den Mund geschlagen.

Plötzlich war der See verblaßt. Die Schleier bewegten sich, die Luftwellen zitterten und glitzerten in namenloser Hitze. Und an derselben Stelle des Himmels stachen jetzt Türme aus dem Dunst empor, Kirchtürme und Paläste, eine Stadt bildete sich vor ihren Augen. Ein hoher, herrlicher Turm überragte das Bild.

»Delibáb, Delibáb«, flüsterte Andor und faltete die Hände vor Entzücken. »Schaut! Schaut!«

Und die großen Buben schauten. Und ihnen war, als ritten viele, viele Soldaten durch die Tore dieser wunderschönen Stadt.. .

Ein kräftiger Windhauch blies über die Steppe hin, im fernen Westen stiegen schneeweiße Wolken himmelan und türmten sich, eine über die andere. Im Nu war der Mittagszauber gebrochen, die märchenhafte Stadt zerfloß in das Nichts.

Andor sprang in die Höhe. »Das habt ihr noch nicht gesehen? Davon habt ihr noch nichts gehört?«

Die Buben, denen dieses Spiel der Luft die Rede benommen hatte, sahen sich fragend an. Keiner hatte es gesehen oder auch nur davon gehört.

»Ja, ihr bückt euch zu viel auf den Feldern, ihr schaut zu viel auf die Erde anstatt in den Himmel. Jeder Magyare kennt die Zauberin der Pußta, die Fee Delibáb«, sagte Andor.

Der Hannes kratzte sich den blonden Kopf und sagte: »Ich waaß nit – ich waaß nit, des muß a Hexerei sein ... Des Erscht, des war schier 's Meer, uff dem m'r nach Ameriga fahrt; des anner, junger Herr, des war Wien.«

»Des war Wien!« schrie jetzt auch der Peter.

»Was?« rief Andor. »Wien?«

»Wien! Wien'!«' riefen beide Burschen. ..Wien mit dem Stephansturm!«

»Da muß ich meinen alten Lehrer in Mohátsch fragen, den Pater Franziskus«, sagte Andor. »Er meinte, der Himmel sei der Spiegel Gottes, und was uns die Fee manchmal zeige, seien ferne, schöne Welten, Bilder aus Asien und Afrika. Vielleicht aus China.«

Die Buben blieben bei ihrer Behauptung, sie hätten heute Wien gesehen.


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