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Die Nachrichten, die Brand erhalten hatte, bestanden in der Aufforderung seines Rechtsanwalts, gewisse Papiere und Dokumente so schnell als möglich herbeizuschaffen, welche zur Behauptung seiner Rechtsansprüche nötig wären. Es hatte sich doch noch ein anderer Verwandter gemeldet, welcher von einer Linie der Familie Wilkens abstammen wollte, die nach Erbschaftsrecht die nächste sei. Der Rechtsanwalt hatte keine Sorge über den Verlauf, sobald nur die Dokumente in gehöriger Zahl und Sicherheit beschafft wurden, dabei schien es ihm aber am besten, wenn Herr von Brand selbst käme oder aber durch einen Generalbevollmächtigten, der genau von allen Umständen unterrichtet sei, sich vertreten ließe, was für den gesamten Gang dieser Angelegenheit bedeutende Vorteile erwarten lasse.

Diese Nachrichten hatten den Major zunächst in eine gewisse freudige Aufregung versetzt, welche durchaus nicht zu den Empfindungen eines Erben paßte, dem ein Prätendent entgegentritt.

»Meinetwegen kann er alles nehmen, was da ist!« rief er aus, als sei er herzlich froh darüber. »Ich will nichts haben, gar nichts will ich haben!«

Als Rachau mit Luise zu ihm kam, war er noch in dieser Stimmung, allein er bemerkte doch sogleich, daß seine Tochter blaß und leidend aussah. »Du siehst ganz sonderbar verändert aus«, redete er sie an, »du bist doch nicht krank?«

Luise verneinte es.

»Es kommt vom Erstaunen über Ihre guten Vorsätze, mein lieber Papa«, sagte Rachau. »Ich habe es Luise mitgeteilt, wie großmütig Sie wieder einmal sein wollen.«

»Es hat sich ein näherer Erbe gemeldet, Kind«, fiel der Major ein, »daher müssen wir zurückstehen.«

»Doch nicht ohne Beweis«, antwortete Rachau.

»Beweis! Beweis!« rief der alte Herr ungeduldig. »Der Teufel hole die Prozesse und die Rechtsverdreher. Ich habe, solange ich lebe, einen Abscheu davor gehabt. Und diesen Prozeß hier, um diese Sache, um dies Geld –«

»Den müssen Sie aus allen Kräften betreiben und dürfen ihn nicht verlieren«, sagte Rachau, indem er seine scharfen Augen auf ihm ruhen ließ.

Der Major geriet in einige Verwirrung, aber er erwiderte doch: »Ich verlange nicht danach, das wissen Sie, was soll mir dies Geld – dies Geld, an dem kein Segen ist. Ich habe, was ich gebrauche, und aus meiner Seele heraus wünsche ich – verflucht mag es sein!«

»Das wäre doch eine Merkwürdigkeit ohne Beispiel in der Weltgeschichte«, lachte Rachau, »wenn man Reichtum so verächtlich von sich schleudern wollte. Es ist Ihnen zugefallen nach dem Willen Gottes!«

»Des Teufels! des Höllenteufels!« rief der alte Soldat, indem er seine Hände ballte.

»Und wenn es wirklich daher stammt«, fuhr Rachau fort, »so bliebe es um so bedenklicher, es abzuweisen. Was änderten Sie denn damit? Was gewönnen Sie durch diese auffällige Sonderbarkeit?«

Er schwieg einen Augenblick, und alle schwiegen.

»Im übrigen«, fuhr Rachau fort, »müssen Sie doch beachten, und ich muß Ihnen dies wiederholen, daß es sich ja um das Glück und Wohl Ihrer Kinder handelt. Ich selbst, mein lieber Papa, rechne mich jetzt zu diesen. Dies sollten Sie nicht vergessen.«

Brand warf einen Blick auf ihn, in welchem mancherlei, aber keine natürliche Liebe geschrieben stand. Es war ein Gemisch von Furcht und Unwillen, Verzagtheit und Trotz, doch Rachau kehrte sich nicht im geringsten daran. Er drückte Luises Hand und sagte mit seiner schmeichelnden Bestimmtheit: »Sagen Sie dem guten Papa, daß er von diesen wunderlichen Auffälligkeiten abstehen muß, die geforderten Dokumente sind in wenigen Tagen zu beschaffen. Die Ansprüche des Erben zerfallen in nichts. Wie der Justizrat schreibt, ist es ein armer Teufel, der obendrein mit einer kleinen Summe leicht zu bewegen sein wird, seine Behauptungen fallenzulassen, da er voraussehen muß, endlich nichts zu erhalten. Alle Weitläufigkeiten lassen sich damit abschneiden, es ist von keinem zweifelhaften Prozeß die Rede, im Gegenteil versichert der Rechtsgelehrte, daß nach Erledigung dieses Punktes die Erbschaftsmasse rasch ausgeschüttet werden wird. Was soll man nun wohl denken, wenn der, dem sie gehört, sich anstellt, als seien es glühende Kohlen? Der Papa soll nicht gehen, ich werde sein Generalbevollmächtigter sein, in kürzester Zeit werde ich die gesamte Angelegenheit in Ordnung gebracht haben.«

»Rachau hat in allem, was er sagt, recht, Vater«, entschied Luise. »Du vermagst nichts zu ändern, nichts zu bessern.«

»Herzlichen Dank für diesen Ausspruch!« rief Rachau. »Morgen können wir besorgen, was zu meiner Reise nötig ist, und ich kann mich dann sogleich auf den Weg machen. Ich bin sicher, meine Aufgabe glücklich und leicht auszuführen. Doch ehe ich gehe, meine teure Luise, mein väterlicher Freund, geben Sie mir einen offenen Geleitbrief mit, der mein Recht zum Handeln vor den Augen aller Welt bestätigt. Lassen Sie das Abschiedsmahl auch das Verlobungsmahl sein! Legen Sie Luises Hand in meine Hand, lassen Sie den Segen des Vaters und der Braut mich begleiten!«

Der Major blickte nach seiner Tochter hin, diese saß regungslos neben Rachau, dem sie ihre Hand überließ, ohne ihre Mienen zu verändern. Ihr Gesicht schien leichenartig starr. Ein Grauen überfiel den alten Mann; er ahnte, wie ihr Herz zerbrach, wie alles doch nur eitel Blendwerk sei, was er sich vorgespiegelt. Seine Kehle schnürte sich zu, und doch wußte er, daß er antworten sollte, er wußte auch, daß er keine andere Antwort geben könne als eine wohlgefällige. Aus welchen Gründen sollte er Rachaus Verlangen ablehnen? Er fürchtete sich vor den lächelnden kristallhellen Augen, aber noch größer als diese Furcht war der Kummer über sein Kind.

»Wenn es durchaus so sein muß«, sagte er, »– ich meine, daß Sie reisen, und wenn – es ist allerdings, ich glaube, bekannt genug, so daß niemand zweifelt – dennoch – Luise muß es am besten wissen!« rief er, als ihm der Faden ausging, erschöpft und mutlos.

»Sehr wahr«, antwortete Rachau, »meine geliebte Freundin muß es am besten wissen, ob sie meine Bitte erfüllen wird. Ich hoffe darauf, ich weiß, daß ihr verständiger Sinn meine Gründe erwägt, bedenkt und billigt.«

»Es muß so sein«, antwortete Luise.

Der Klang glich einem Seufzer, aber Rachau versetzte sich in ein erhöhtes Entzücken. Er umarmte den Papa, umarmte die Braut mit den innigsten Beteuerungen seines unaussprechlichen Glücks und setzte ihnen dann siegesgewiß auseinander, was sich begeben sollte. Die Generalvollmacht sollte am nächsten Morgen ausgestellt werden, was an den Papieren und Dokumenten noch fehlte, ließ sich aus den Kirchenbüchern und dem Gerichtsarchiv beschaffen. Zum Abend aber wäre ein kleiner Kreis von Freunden einzuladen, denen sich das Brautpaar vorstellen könne, dann würden alle Glückwünsche in Empfang genommen; war das letzte Glas Champagner geleert, sollte der Abschied folgen, der Wagen bereitstehen, der Bräutigam mit Kurierpferden forteilen. Nachdem sie zu allem ja gesagt, entfernte sich Luise. Frost und Hitze jagten durch ihr Blut. Der Major schwieg verdüstert. Rachau nahm es leicht. »Morgen wird es schon besser gehen«, tröstete er. »Schlafen Sie, mein lieber Papa. Sie werden sehen, es hat nichts zu sagen!«

Und am nächsten Morgen hatte sich in der Tat diese Vorhersage erfüllt. Luise kam mit sanftem Lächeln zum Vorschein, die Nacht hatte beruhigend auf sie gewirkt. Sie sprach in ihrer verständigen Weise von den Einladungen der Gäste für diesen Abend, man überlegte gemeinsam, die Vorgänge wurden sämtlich nochmals durchgesprochen, die Geschäfte verteilt, und kaum war das Frühstück beendet, so entwickelte sich allseitige Tätigkeit. Der Major wurde von seinem Vertrauten gleich mit in die Stadt geschleppt zu einem Notar, dann zum Gerichtsdirektor und zum Oberprediger. Die Angelegenheit wurde verhandelt, wie sie mußte, und in wenigen Stunden war das meiste abgetan. Was übrigblieb, geschah am Nachmittag, und endlich befand sich alles in bester Ordnung. Rachau hatte Vollmacht und Dokumente in der Tasche und kehrte fröhlich am Arm des alten Herrn zurück, der immer noch nicht recht behaglich aussehen wollte und den er darüber mit allerlei spaßhaften Sentenzen ermahnte.

»Es wird nicht lange dauern«, sagte er, »so werde ich wieder hier sein, und mit größter Zuversicht kann ich hinzufügen, daß alsdann alles zu Ihrer Zufriedenheit geordnet sein wird. Wir werden dann nichts weiter nötig haben, als Ihre hiesigen Angelegenheiten zu beendigen, das Gut zu verkaufen.«

»Ich will es nicht verkaufen«, fiel der Major ein.

»Nun, so schließen wir die Türen zu und überlassen das alte Gebäude der haushaltenden gespenstischen Tante! Inzwischen denke ich doch, wir feiern noch vorher ein fröhliches Fest darin, nämlich – meine Hochzeit.«

Der alte Mann blickte verwunden auf. Das war eine neue Überraschung.

»Hochzeit«, sagte er, »ich denke aber, damit hat es noch Zeit.«

»Sie müssen es mir versprechen«, fuhr Rachau fort. »Während ich fort bin, können alle üblichen Formalitäten erfüllt werden, denn unsere Hochzeit muß hier gefeiert werden, da es in der Hauptstadt nicht so leicht und paßlich geschehen könnte. Wir müssen Sie als jungvermähltes Paar begleiten.«

»Aber mein Sohn!« wandte der Major voller Unbehagen ein. »Wir haben noch immer keine Antwort.«

»Haben wir denn seine Antwort so nötig? Wenn er nicht antworten will, so ist dies zwar sehr zu bedauern, allein ich denke doch, daß er kein Recht besitzt, Ihrem Willen Einspruch zu tun; auch hoffe ich nicht, Gegenstand seines Mißfallens zu sein. Im übrigen gedenke ich, ihn bald aufzusuchen.«

Er sah sich um; ein Wagen kam rasch gefahren. »Am Ende sitzt er darin!« Rachau lachte. Der Major schrak zusammen, und Rachau lachte noch mehr. »Sehen Sie wohl, wie willkommen Ihnen dieser Besuch sein würde!« rief er spottend. »Doch sorgen Sie nicht; das ist so ein kleiner Landkarren mit einem Verdeckstuhl, in welchem irgendein ehrsamer Pächter oder Landdoktor nach Hause fährt. Er schlägt den Weg nach der Mühle ein, da ist er schon unten. Also wahrscheinlich ein Gevatter und Amtsbruder des Spitzbuben, der dort das Mehl beutelt. Der Kerl hat ein falsches Gesicht.

»Es ist ein ehrlicher Mann«, erwiderte Brand.

»Ein ehrlicher Mann bei niedriger Pacht, indes – das soll sich ändern«, fügte Rachau leise hinzu, um dann laut fortzufahren: »Lassen wir ihn. Nur noch ein Wort, mein verehrter Freund, an Sie. Versprechen Sie mir, während meiner Abwesenheit so heiter und froh Ihre Tage zu verleben, wie es Ihnen möglich ist.«

»Ich hoffe es«, erwiderte der Major und dachte mit geheimer Befriedigung daran, daß Rachau ihn verlassen werde. Der Druck, den dessen Nähe auf ihn übte, war so stark, daß seine Mienen die Erleichterung ausdrückten, welche er empfand. Rachau schien zu verstehen, was in der Brust des anderen vorging.

»Sie werden gewiß recht oft an mich denken«, sagte er, »ebenso wie ich dies tun werde; doch werden wir beide nie vergessen, mit welchen zarten und unauflöslichen Banden wir verbunden sind!« Bei diesen Worten nahmen seine Augen jenen wunderbaren Ausdruck an, womit, wie man sagt, die Schlange ihre Beute bezaubert. »Zeigen Sie den Leuten ein frohes Gesicht«, fuhr er dann fort, »vor allem Luise. Mir scheint, als ob sie zuweilen –«

»Was?« fragte der Major, da Rachau innehielt.

»Als ob sie zuweilen von düsteren Ahnungen beschlichen würde. Zum Beispiel gestern abend.«

»Ahnungen!« sagte der alte Mann mit einem schmerzlichen Beben, »um derentwillen sie – Leib und Seele opfert!« In seiner Erregung sah er Rachau so wild und zornig an, als sei er noch derselbe, der er einst gewesen.

Allein dieser erwiderte mit der größten Sanftmut: »Regen Sie sich nicht auf, bester Papa, es würde sehr unnütz und überflüssig sein. Nur keine Reflexionen über Dinge, an denen nichts geändert werden kann. Ich will kein Wort über Ihre Äußerung verlieren, doch seien Sie vorsichtig, Luise liebt mich, Sie haben diese Liebe gebilligt, wenn traurige Ahnungen sie beschleichen, so tragen Sie allein die Schuld!«

»Ich trage die Schuld, ja, ich trage die Schuld!« murmelte der alte Mann seufzend, und als wolle er nichts mehr hören, schritt er rascher voran.

Sie befanden sich beide auf dem Fußsteig, der am Flußtal aufwärts führte. Die Mühle lag nicht weit unter ihnen, man hörte das Rauschen der Wehre und Räder, und vor ihrer Tür hielt jetzt der Wagen, welcher den Weg hinabgefahren war. Des Müllers umzäuntes Land zog sich bis zur Höhe hinauf, und wo der Fußsteig hart ansteigend um die Ecke bog, stand ein Schuppen, vor welchem Holzblöcke für den Mühlenbedarf lagen. Indem Rachau seinem voranschreitenden Begleiter folgte, zuckten seine Lippen spöttisch. Wenn Luise nicht klüger wäre als dieser alte Schwachkopf, sagte er lautlos zu sich selbst, so würde es Torheit sein, ihn aus den Augen zu lassen. Das liebe Kind aber wird ihn in Zucht und Ordnung halten und ihren süßen Opfertod vervollständigen. Hier hielt er inne, denn er sah den Major plötzlich stillestehn. Zugleich hörte er jemand sprechen und rauh lachen. Nach wenigen Schritten erkannte er die Ursache.

 


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