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5.

Bis der Weihnachtsabend herandämmerte, hatte Silbermann vollauf zu thun, um seine Arbeit fertig zu schaffen, doch gewandt, wie er war, und unermüdlich fleißig, gelang es ihm bei guter Zeit. Nur einmal ging er Tages zuvor, um Dorothe zu sehen, und dies geschah, indem er sie auf der Straße erwartete und nach Haus begleitete.

Du kömmst doch morgen, Heinrich? hatte sie ihn gefragt, als er geben wollte.

Gewiß komme ich, antwortete er darauf. Es ist ja Weihnachtsabend, liebster Schatz, da muß ich bei Dir sitzen und das Christbäumchen muß brennen.

Ja, Heinrich, ja! rief sie ihm die Hände drückend, ein Bäumchen soll brennen, und wir wollen froh hineinsehen und hoffen, daß der heilige Christ uns im nächsten Jahre nicht vergessen wird.

Er wird uns auch in diesem Jahre nicht ganz vergessen, lachte er. Warte Du nur, er kommt schon, Courage muß man haben, so läßt er Keinen mit leeren Händen sitzen.

Du wirst doch nicht – fragte sie besorgt, wirst doch nicht etwa – Schenke mir gar nichts, Heinrich, mache keine Ausgabe, nicht die allerkleinste.

Gott behüte mich! versetzte er. Du darfst es auch nicht thun.

Komm Du nur, sagte sie, und komm nicht zu spät. Meine Mutter ist auch wieder ganz versöhnt.

So wollen wir recht freudig beisammen sein: rief er. Habe Du mich nur lieb, Herzensdorel, und halte fest, so will ich Alles tragen, was noch kommen kann.

Verlaß Dich auf mich, sagte sie. Nur wenn Herr Werder etwa die halbe Million bringt, dann ist es vorbei, Heinrich.

Da hatte er aufgelacht und war fortgelaufen, denn wenn er geblieben wäre, würde er gebeichtet haben, was ihm geschehen, und daß er angeklagt und gewiß auch verurtheilt sei. Es war ihm, als er den Namen hörte, weh und schwer um's Herz geworden, allein sollte er dem guten Mädchen noch mehr Kummer machen? Er wollte es ihr verschweigen, Alles verschweigen, wenn es irgend möglich, und als er wieder bei seiner Lampe saß, dachte er daran, was denn nun kommen werde.

Nach den Feiertagen wird's losgehen, murmelte er vor sich hin. Da wird die Justiz erscheinen und nehmen, was da ist. Er ließ die Nadel sinken und blickte in der öden Stube umher; ein trübseliges Lächeln kam auf seine Lippen. Es ist blutwenig genug, fuhr er fort; wenn's verkauft wird mit Stumpf und Stiel, kommen wohl nicht dreißig, nicht zwanzig Thaler heraus, und es hat mir doch viel Mühe gemacht und viele Freude, als ich es geschafft habe und hinstellte und dachte: nun ist es mein.

Seine Stirn zog sich düster zusammen, ein langer Seufzer hallte aus den leeren Ecken zurück.

Es ist doch traurig bestellt mit uns armen Menschen, sagte er. Nichts als Sorgen von Jung auf und Sorge, bis der Erlöser kommt. Keine große Sache ist's, gut und gerecht zu sein, wenn's Einem wohl geht, sollt' ich meinen, aber ach! oh, wenn ich der Herr Werder wäre, ich wollte dem armen Silbermann gewiß Gutes thun, wollte Allen Gutes thun, die es verdienen thäten, aber es giebt freilich auch viel Schlechtes in der Welt und das Meiste davon macht die Armuth – die macht es!

Er arbeitete eine Weile vor sich hin, bis er sich zuflüsterte:

Ich könnte es ja auch haben, könnte in den Wohlstand kommen, dürfte ja nur hingehen – Kreuz Sackerment! schrie er auf, was ich für ein dummer Kerl bin. Ich möcht' nicht! ich könnt' nicht, und wenn's Gold um mich der zu Bergen läge. Also, Courage, Heinrich, Courage! Hast auch deine Freude von Gott bekommen! und was können sie denn thun mit allem ihren Wüthen? Mögen sie es hinnehmen, ich kann's nicht ändern; ich habe hier innen meinen Glauben, daß ich recht gethan habe, und habe den Glauben, es wird besser werden, weil so ein gutes liebes Herz mir anhängt.

Er arbeitete mit vermehrtem Fleiß, und am Mittage war er fertig und trug die Sachen in das Magazin. Das Geld, das er dort erhielt, zusammen gethan mit dem Wenigen in seiner Tasche, hätte aber bei alledem doch nicht hingereicht, seinen Herzenswunsch zu erfüllen, wenn der Zufall ihn nicht begünstigt hätte. In dem Magazin selbst lag ein mächtiger Stoß großer Plaidtücher, und grade solch Tuch war es, solch warmer, dicker, schöner Tuch, den er seiner lieben Dorothe wünschte. Sehnsüchtig richtete er seine Blicke darauf, und seine Finger befühlten leise zitternd die Wolle.

Wollen Sie einen Tuch kaufen? fragte der Inhaber des Magazins.

Ich möchte wohl, ach! gerne, sagte er, aber –

Sein klagender Blick wurde verstanden. Nun, erwiederte der Herr, Sie sollen es billig haben, und ich weiß, wie es Ihnen gegangen ist; doch ein Mann, wie Sie, wird sich wieder helfen, und was ich dazu beitragen kann, soll geschehen. Bezahlen Sie etwas an, das Uebrige kann stehen bleiben und kann nach und nach abgezahlt werden. Ich denke, wir machen noch viele Geschäfte zusammen.

Silbermanns Augen wurden freudennaß. Da sprach Jemand gütig mit ihm, hatte Vertrauen zu ihm, wollte ihm beistehen, dachte Gutes von ihm.

Nach einigen Minuten hatte er den Tuch sauber eingepackt, hatte noch Geld genug, um auch der Mutter ein kleines Geschenk zu kaufen, eine Haube, welche er bald ebenfalls auf den Tuch legen konnte, und dabei behielt er immer noch so viel übrig, um für die Feiertage versorgt zu sein. Dann mochte es kommen, wie es wollte, behielt er doch seine fleißigen Hände, und die würden schon helfen, die würden es schon thun, um Brod zu schaffen.

Unter den glücklichsten Gedanken eilte er seiner Wohnung zu. Die Laternen wurden eben in den Straßen angezündet, viele Menschen eilten hin und her mit Körben, Schachteln, Kisten und Kasten beladen, und wie viele tausend Glückliche warteten auf den seligen Augenblick, wo die Thür der hellen Stube aufgehen würde. O! die großen Kinder sind meist noch viel sehnsüchtiger und begehrlicher, als die kleinen. Dorothe, nein, die sehnt sich nicht darnach; aber dennoch, wie würden ihre Augen glänzen, wenn sie den prächtigen Tuch sähe, nicht vor eitler Lust und Begier, ach! vor Liebe, vor Liebe zu ihm, dem armen Heinrich, der vor Glück und Freude, wie er sich das Alles dachte, gegen jeden Begegnenden anrannte, als sähe und hörte er nicht. Keine Stunde konnte er mehr warten; sobald es finster war, wollte er aufbrechen, seine Geschenke der Geliebten ins Haus tragen und der Mutter in Verwahrsam geben, und dann Dorothe entgegen gehen.

Das Geschäft, in welchem sie sich befand, war keines, das des Festes wegen länger geöffnet blieb, im Gegentheil es sollte früher geschlossen werden, um nach der Sitte die darin thätigen Leute zu beschenken und in ihre Familien zeitig zu entlassen. Auch Dorothe hatte auf schöne Geschenke zu rechnen, wohl viel besser als das seine war, und doch wußte er gewiß, daß keins ihr so lieb sein würde. Alles, was sie erhalten, wollte er ihr tragen helfen, und wenn sie beide dann nach Haus kamen, wollte er traurig thun, daß er mit leeren Händen erschienen sei. Darauf wollte er sich selbst beschenken lassen und plötzlich – plötzlich wollte er den Tuch hervorziehen, wenn Dorothe gar nicht mehr dächte, daß er etwas verborgen haben könne. Also rasch, rasch! rief er halblaut, indem er die Treppe hinauf eilte, ich habe keine Zeit zu verlieren.

Nur immer langsam, antwortete ihm eine Stimme von oben, und verwundert sah der Meister, daß ein paar dunkle Gestalten vor seiner Thür standen.

Ein Schreck überkam ihn. Wollen Sie zu mir? fragte er.

Sie sind doch der Schneidermeister Heinrich Silbermann? fragte der Mann in tiefem Tone zurück.

Zu dienen, der bin ich.

Dann schließen Sie auf, wir wollen ein Geschäft abmachen.

Ein Geschäft! Sogleich mein Herr, sagte Silbermann erfreut, denn das Wort regte ihn an, aber die Sprache des Fremden war so barsch und bestimmt, daß sich doch gleich wieder ein banges Gefühl einmischte. Er schloß die Thür auf, legte die Sachen, welche er trug, auf den Tisch, und sagte höflich:

Treten Sie gefälligst herein, ich werde Licht anmachen.

Die beiden Herren folgten; der, welcher gesprochen hatte, stellte sich neben den Meister.

Haben Sie Weihnachtsgeschenke gekauft? fragte er.

Ei, ja wohl, erwiederte Silbermann lächelnd. Bitte, drücken Sie nicht, es liegt eine Haube darin. Das andere ist ein Tuch für meine Braut.

Also doch Alles Ihr Eigenthum? fiel der Fremde ein.

Mein Eigenthum? O, gewiß! bis ich es fortschenke, sagte der Meister. Und das soll sehr bald geschehen, so wie ich weiß – was mir die Ehre verschafft –

Er sah auf, und bei dem Lampenschimmer erkannte er einen großen starken Mann, der den Hut auf dem Kopf und einen Stock in der Hand hatte. Ohne eine Miene zu verziehen, blickte der Fremde ihn starr an.

Sie kennen mich wohl nicht? fragte er, als der Schneider verstummte.

Nein – wirklich, ich glaube nicht, sagte der Schneider.

Ich bin der Gerichtsvollzieher Buller, fuhr der Herr fort. Hier ist mein Befehl von Amtswegen. Sie sind gestern nicht im Termin erschienen. Mit Wechselklagen ist kein Spaßen, in vierundzwanzig Stunden wird das Urtheil vollzogen. Ist das Alles, was Sie besitzen?

Er sah umher. Das ist Alles, antwortete Silbermann.

Das ist gar nichts, dabei ist keine Deckung. Haben Sie nichts weiter? kein Geld? Nichts, was Geldeswerth enthielte?

Ich habe nichts weiter, flüsterte der Meister mit erlöschender Stimme.

Dann machen Sie sich bereit!

Bereit? Wozu bereit?

Ich muß Sie mitnehmen. Es ist Personalarrest nach gesucht und vom Gericht bewilligt worden, wenn die Execution fruchtlos ausfällt.

Mitnehmen? schrie Silbermann auf. Ich – ich soll mitgehen?

Ins Schuldgefängniß. Machen Sie keine Umstände, sagte der Gerichtsbote mit harter Stimme; aber der Ausdruck der Verzweiflung und des tiefsten Kummers in dem bleichen Gesichte des armen Schneiders schien ihn mitleidiger zu stimmen.

Sie sind doch nicht krank? fragte er.

Nein, ich bin nicht mehr krank, antwortete Silbermann.

Aber dumm, murmelte Herr Buller in sich hinein, ärgerlich, daß sein Wink nicht verstanden wurde. Ja, so hilft es nichts, fuhr er fort, ich kann nichts daran ändern. Wenden Sie sich an den Herrn dort, bei dem allein müssen Sie bitten.

Jetzt erst sah der Meister sich nach dem Begleiter des Gerichtsmannes um, und da stand er an der Thür in seinem spanischen Mantel kein Schein und Schatten, nein! er selbst – Herr Werder!

Ein Strom von Zorn goß sich in Silbermanns Adern. Er war sonst immer sanft, immer zur Demuth geneigt, keinen Menschen hatte er je mit Willen gekränkt, jetzt war es mit Geduld und Rücksicht vorbei. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und auf die zitternde Lippe, und wie er sein langes Haar zurückwarf und auf den reichen Herrn losging, zog sich dieser vor ihm zurück.

Wenn Sie vernünftig sein wollen, Silbermann, sagte er dabei, will ich Ihnen noch immer Gutes thun. Noch jetzt will ich, darum bin ich mitgekommen.

Sie – Sie! schrie der Meister seine Hände ballend. Was Sie vernünftig nennen, ist nichts als Schande und Unehre. Sollte ich bis an mein Lebensende in Ketten liegen, möchte ich nichts von Ihnen bitten.

Das wollen wir abwarten, lachte Herr Werder, ergötzt von dieser Wuth. Machen Sie keine Umstände mit ihm, wandte er sich an den Gerichtsboten. Nehmen Sie in Beschlag, was da ist, und liefern Sie ihn ab.

Noch aber bin ich hier Herr, und das ist meine Wohnung, fiel Silbermann ein, indem er sich heftig auf die Brust schlug. Dort ist die Thür, da geht es hinaus!

Er riß die Thür auf, und obwohl Herr Werder eine stattliche Gestalt besaß, waren die Blicke des blassen, schwachen Mannes doch so unheimlich, daß er es vorzog, sich zu entfernen. –

Wir werden uns so bald nicht wiedersehen, sagte er, für Ihre Unterhaltung aber werde ich die nöthige Sorge tragen. Sie sollen künftig gewiß nicht gestört werden. –

Er wandte sich noch einmal um zu dem Gerichtsboten.

Nichts wird ausgenommen, befahl er, auch nicht etwa die Weihnachtsgeschenke, die er eingekauft hat. Er hat selbst erklärt, daß sie sein Eigenthum sind.

Damit ging er hinaus, und Heinrich Silbermann ließ stumm den Kopf auf die Brust sinken. Sein Zorn war verraucht, nur der Kummer war darin zurückgeblieben. Er setzte sich auf den Arbeitsstuhl voll trostloser Gleichgültigkeit, während der Beamte die vorhandenen wenigen Geräthe aufschrieb und Fragen an ihn richtete, welche er eintönig, mit ja oder nein, beantwortete.

Bald war er damit fertig und steckte Blatt und Bleistift ein.

Jetzt vorwärts, sagte er. Was hier, was da! Wenn man es nicht besser haben will, muß man auch auf's Schlimme gefaßt sein.

O, ja – ja! antwortete der Meister, es geht nicht anders. Courage! man muß Courage haben!

Die müssen Sie haben, lachte Herr Buller, denn los läßt der Sie nicht wieder, solange er irgend kann, ich kenne ihn. Und an Quälereien wird er es auch nicht fehlen lassen. Nach einiger Zeit zahlt er nicht mehr ein, dann läßt man Sie laufen; kaum haben Sie vielleicht ein Unterkommen gefunden, läßt er Sie wieder festnehmen, und so geht es ein Jahr lang fort. Aus dem Elend kommen Sie nicht heraus.

Aus dem Elende komme ich nicht heraus, murmelte der arme Meister seine Hände zusammenpressend. O – oh! ich glaub's, ach!

Er holte tief und zitternd Athem, ein gespenstisches Lachen zuckte über sein Gesicht.

Nehmen Sie Ihren Hut, wir wollen die Thüre zuschließen. Den Schlüssel behalte ich, klebe den Papierstreifen hier über dem Schlüsselloch fest.

Daß Niemand sich die Schätze herausholt! rief Silbermann verächtlich auflachend. Es ist recht so, ich will helfen; aber das da – der Tuch, der ist für meinen Schatz.

Hand weg! sagte Herr Buller, Ihnen gehört hier nichts mehr, kein Faden, keine Nadel. Warum haben Sie nicht gesagt, daß Sie krank sind? fuhr er im leiseren Tone fort. Warum gaben Sie denn zu, daß Sie das Zeug hier gekauft und bezahlt haben? Jetzt ist es zu spät, jetzt vorwärts und Courage! Es ist übrigens auch so schlimm nicht in dem Hotel, hübsche Gesellschaft da. Ich werde schon sorgen, daß Sie anständig logirt werden.

Es ist nicht so schlimm! nein, es ist gar nicht schlimm, antwortete Silbermann fieberisch heftig. Und es hilft nichts, man muß nur nicht daran denken. Wenn's Denken nicht wäre! Wir wollen fort, die Luft geht mir aus.

In kurzer Zeit war Alles abgethan. Schweigend ging der Meister neben seinem breitschultrigen Gefährten, der ihm erzählte, daß er eilen wolle, nach Haus zu kommen, denn seine Kinder, Frau und Schwester warteten auch auf den Weihnachtsbaum. –

Ihr Weg führte mitten über den Weihnachtsmarkt, durch die belebtesten Straßen, und welch festliches Leben überall! Tausend helle Lichter brannten, das fröhlichste Gewühl regte sich, die glänzenden Gewölbe strahlten ihm entgegen. Die Menschen eilten an ihm vorüber, Luft und Erwartung in den Gesichtern. Da und dort blickte er durch die hellen Scheiben, und jede junge freundliche Gestalt erinnerte ihn an Dorothe. Wie sie ihn erwarten würde, immer unruhiger, immer betrübter, endlich voller Bangigkeit und Furcht, jede Freude ausgelöscht von den schwarzen Händen der Quälgeister, die immer bereit sind zum Aengstigen, das drang auf ihn mit allen Schrecken ein. Er sah Dorothe durch Nacht und Wetter laufen, um ihn aufzusuchen und nicht zu finden, und wenn sie endlich sein Schicksal erfuhr, was dann– ja was dann?! Die Mutter würde noch böser werden, alle Freunde und Bekannte würden auf sie einstürmen, von dem Menschen abzulassen, der im Schuldthurm sitze, und sie – sie! –

Nein! rief er sich zu und seine Augen glänzten auf, sie thut es doch nicht, sie hält fest, sie weiß, daß ich nicht schlecht bin und ich will's aufhalten, will's tragen, will mich nicht unterkriegen lassen. Halt die Courage fest, Heinrich, darfst sie dir nicht nehmen lassen!

So ging er gefaßter weiter und machte seine Pläne. Den Gerichtsvollzieher wollte er nicht bitten zu der Geliebten zu gehen und ihr eine Meldung zu machen, obwohl es nahe lag, und Herr Buller es morgen auch wohl gethan haben würde; heut gewiß nicht, denn er mußte ja zum Weihnachtsbaum, und wer wollte es ihm verdenken. Auch war er ein rauher, harter Mann, der ohne Schonung losgefahren wäre und das Uebel vielleicht noch ärger gemacht hätte. Es war schon viel, daß er eine Art Mitgefühl bezeigte, denn gewiß hatte Herr Werder sich mit ihm vorher schon geeinigt, scharf zuzufassen, und wie es dabei zugegangen mit einer guten Belohnung, konnte Silbermann sich wohl denken. Er selbst wollte an Dorothe schreiben, vielleicht heut Abend noch, spätestens morgen früh. Von ihm sollte sie Alles erfahren; seine eigene Sache führt zwar nicht Jeder immer am besten, allein es brannt' ihn im Herzen, es ihr vorzutragen, und er wußte, wie sie es aufnehmen würde.

Endlich war das Schuldgefängniß erreicht, ein düstres Haus hinter einem Vorhof mit hoher Mauer und einem bewachten festen Thor darin. Dann ging es durch eine andere verschlossene Pforte, darauf durch einen Gang in die Schreiberei, wo Alles abgethan wurde.

Der Meister benahm sich still und bescheiden; Herr Buller sprach leise mit einem Herrn hinter dem Gitter, der den Gefangenen durch seine Brille ansah. Es dauerte einige Minuten, und weil's so ganz still war, meinte Silbermann, er hätte Worte gehört, die einen Trost in ihm aufweckten. Armer Mann – anständig – unverschuldet – flüsterte Herr Buller. Mit Gewalt ins Unglück gebracht und heut obenein.

Es ist so voll, schrie der Herr mit krähender Stimme, daß kaum noch ein Platz vorhanden ist.

Herr Buller sprach abermals leise, bis der Herr den beiden Aufsehern, die neben dem Meister standen, zurief: Nummero Sieben!

Bedanken Sie sich, Herr Silbermann! sagte der Gerichtsvollzieher, das ist eine gute Nummer, und jetzt leben Sie wohl! Nächstens besuche ich Sie.

Silbermann versuchte zu lächeln und zu danken, dann folgte er seinem Führer, der verdrießlich die Treppe hinaufging, vor sich hin brummend, es wäre einmal wieder ein sonderbarer Einfall, einen Schneider gerade in Nummero Sieben zu bringen, plötzlich aber still stand, eine Thür aufschloß, ihn eintreten ließ, die Thür zuschlug und den Gefangenen verdutzt stehen ließ.

Und wohl war es ein Anblick, der ihn bestürzt machen mußte, denn was sah er in dem Gefängniß, wo er sich Heulen und Zähnklappen vorgestellt hatte?! Er blickte in ein helles, großes Zimmer. An der einen Wandseite standen vier Betten, an der anderen Seite befand sich ein Sopha, vor dem Sopha stand ein großer polierter Tisch und standen schöne Stühle, und auf den Stühlen saßen vier Herren in Schlafröcken und Troddelmützen. Alle waren so heiter und guter Dinge, als ginge es ihnen zum Allerbesten. Sie spielten Karten und rauchten Cigarren, welche einen feinen Duft verbreiteten. Wachskerzen standen auf dem Tisch, zur Seite aber eine große Terrine, gefüllte Gläser, auch Teller mit Kuchen und allerlei Fleischspeisen.

Der eine der Herren hatte einen prächtigen Schnurrbart, der andere einen Bart rund um's Gesicht, der dritte sah so stolz aus wie ein vornehmer Herr, den vierten konnte Silbermann nicht erkennen, weil er mit dem Rücken gegen ihn saß. Sie kehrten sich nicht daran, als die Thür aufgemacht und zugeschlagen wurde, merkten auch Anfangs nicht, daß sie Besuch erhalten hatten, sondern sprachen und lachten fort.

Sie spielen aus, Baron! rief der Herr zur Linken.

Ich passe. Was thun Sie, Doctor? antwortete der Herr zur Rechten.

Ich mache es wie der Commerzienrath, wir passen beide, sagte der Herr auf dem Sopha.

Also General-Misere! schrie der vierte Herr.

Oh! fiel Silbermann voller Verwunderung ein, und dieser Laut bewirkte, daß die Gesellschaft ebenso verwundert nach der Thür blickte, wo der Neuling im Schatten des Winkels stand, den der Ofen damit bildete.

Alle Wetter! rief der Baron, was ist denn das? Was wollen Sie denn hier?

Meine besten Herren, antwortete der Meister kläglich, ich möchte nichts.

So bemühen Sie sich gefälligst wieder hinaus! schrie der Doctor.

Ach! wenn ich nur dürfte, sehr gerne, sagte Silbermann. Sehr gerne!

Also ein neues würdiges Mitglied unserer ehrwürdigen Gesellschaft! lachte der Commerzienrath. Kommen Sie doch näher, mein Bester. Baron noch ein Glas! Wen haben wir die Ehre so unerwartet bei uns zu sehen? Wer sind Sie?

Ich bin ein Schneider, sagte Silbermann zaghaft.

Ein Schneider! schrie der Baron heftig. Wie kann man sich unterstehen und uns den hierher schicken?!

In dem Augenblick drehte sich der vierte der Herren um, welcher bisher still auf seinem Stuhle gesessen und in seinem Taschenbuch geblättert hatte.

Geheimrath! schrie er, indem er auf den Meister zulief. Wie kommen Sie hierher, Geheimrath?

Oh! – ach! o, Sie sind es, Herr Schönfeld! antwortete Silbermann voller Freudigkeit über dies Zusammentreffen. Ich dachte es beinahe, als ich die Stimme hörte – aber ich konnt' es doch nicht wagen, konnt' es nicht glauben.

Was konnten Sie nicht glauben, Geheimrath? fragte der junge Banquier. Mich hier anzutreffen? In so vortrefflicher Gesellschaft? Ich bin hier aus eigener freier Wahl; von meinem besten Freunde hierher befördert, um allerlei Unannehmlichkeiten zu entgehen, und werde in dieser schönen Einsamkeit bleiben, bis ich wieder Geschmack am Leben bekommen. Doch davon verstehen Sie nichts, Geheimrath, Sie sind ein Mann der Geschäfte, der Arbeit, warum also haben Sie sich hierher bringen lassen?

Stellen Sie uns doch zunächst dem Herrn Geheimrath vor, sagte der Commerzienrath.

Meine Herren! rief der Banquier, der Geheime-Kleiderrath Silbermann.

Ein homerisches Gelächter antwortete darauf. Die Herren verbeugten sich dabei tief und anstandsvoll, und des Meisters Gesicht wurde dunkelroth vor Scham und Verwirrung, als sie im Chore ihm zuriefen, wie erfreut sie über die Ehre seiner Bekanntschaft seien.

Darüber können Sie auch erfreut sein, fuhr Herr Schönfeld fort, denn einen achtungswertheren, tüchtigeren Mann kann es so leicht nicht geben. Nicht allein, daß er als Geheimrath in seinem Fache ausgezeichnet ist, auch als Mensch verdient er Hochachtung. Erinnern Sie sich vielleicht, meine Herren, daß, vor drei Monaten ungefähr, eines schönen Tages in den Blättern stand, ein Handwerker habe ein armes Kind glücklich unter den Hufen scheuer Pferde hervorgezogen, sei aber selbst dabei beschädigt worden? Hier steht der, der das gethan, und wenn ich nicht eben damals dringender Ursachen wegen schleunigst unsichtbar werden mußte, hätte ich mit Freuden mich mehr darum gekümmert. Ich habe nichts weiter davon gehört, mir Alles vorbehalten, bis jetzt plötzlich der liebenswürdige Geheimrath hier erscheint, und, dem Anschein nach, traurige Tage erlebt hat.

Setzen Sie sich hierher, Herr Geheimrath, sagte der Doctor.

Hierher bei mir und bei unsere Bowle, fiel der Baron ein.

Und trinken Sie zunächst ein Glas, damit Sie Courage bekommen, fügte der Commerzienrath hinzu.

Daran fehlt es mir nicht! rief Silbermann seinen Kopf aufhebend, denn ich habe ein gutes Gewissen, meine lieben Herren, und schlechte Zeit wie schlechte Leut' endlich doch zu Schanden werden.

Die Herren lachten und stießen mit ihm an. Ein sehr weiser und ausnehmend kluger Spruch, sagte der Commerzienrath.

Und habe dabei gedacht, fuhr Silbermann muthig fort, als er getrunken, Herr Schönfeld wird auch wiederkommen und wird seinen Geheimrath nicht im Stich lassen.

Das war noch viel klüger von Ihnen, bester Geheimrath, antwortete der Banquier. Ich sage Ihnen den verbindlichsten Dank für Ihr Vertrauen. Doch nun erzählen Sie.

Da fing der Meister an zu erzählen, und nach und nach kam er in Zug; nach und nach war es ihm, als schauten die vier Herren ihn theilnehmend an, spotteten und lachten nicht mehr, wurden ernsthaft und still und blickten endlich vor sich nieder, als er von seinem Jammer sprach und von seiner Freude, und wie ihm Dorothe geschworen habe, treu zu bleiben, und der Herr Werder alles Böses gethan, bis er zuletzt und eben jetzt ihn hierher geschleppt. Da sei er denn bettelarm hinausgestoßen, und das liebe Mädchen sitze und warte vergebens; dennoch aber würde es ihn nicht verlassen, und das sei ein Trost, der leuchte ihm durch alle Nacht.

Das ist ja ein abscheulicher Hallunke! schrie der Doctor auf den Tisch schlagend.

Ich kenne ihn, sagte der Commerzienrath, ein echter Halsabschneider.

Trinken Sie, Geheimrath! fiel der Baron ein. Was sind Sie dem Lump schuldig?

Achtzig Thaler macht's, achtzig Thaler! seufzte Silbermann.

Und um solchen Bettel soll der Mann hier ein Jahr sitzen? rief der Doctor.

Es kommt Mancher hierher, um weniger als den zehnten Theil davon, bemerkte der Commerzienrath.

Aber mit uns ist es eine andere Sache, versetzte der Baron. Bei uns handelt es sich um andere Summen. Sollen wir uns mit dem trübseligen Geheimrath die Feiertage über und Gott weiß wie lange umherplagen?

Recht, Baron! rief der Doctor. Und es ist ein Mann von Ehre, der eine gute That gethan und dafür ins Unglück gekommen ist. Niemand hat sich seiner angenommen; wir wollen es thun. Heut ist Weihnachten, wir wollen ihm aufbauen, wollen auch unsere Weihnachtsfreude haben. Dabei wollen wir denken, der Christengel hat uns diesen unglücklichen Geheimrath hergeschickt, um dem schuftigen Schelm seine Pläne zu verderben.

Das verdient er allerdings, sagte der Commerzienrath.

Geben wir jeder zwanzig Thaler und feiern damit das Weihnachtsfest! schrie der Doctor.

Hier ist Geld! antwortete der Baron. So werden wir ihn auf der Stelle los, die Expedition ist noch auf.

Ich wollte das Doppelte geben, lachte der Commerzienrath, indem er seine Börse zog, könnte ich das Gesicht des alten Fuchses sehen, wenn er das erfährt.

Kommen Sie her, Geheimrath, sagte der junge Banquier, indem er das Geld zusammen strich und das seine hinzu that. Gott rührt die Herzen der Menschen auf verschiedene Weise und hilft damit seinen Heiligen wunderbar. Aber wie und warum es auch geschieht, gleichviel, hier ist was Sie nöthig haben, um zur herzlieben Dorothe zu kommen. Und jetzt verlieren Sie die Zeit nicht, ich werde den Herrn danken an Ihrer Stelle.

Er steckte ihm seinen Hut in die Hand und zog ihn zur Thür fort, riß dort an dem Glockenzug und drückte dem sprachlosen Meister, der die plötzliche Wendung seines Schicksals noch immer nicht recht zu fassen schien, ein Papier in die Hand. –

Nehmen Sie das, sprach er, es ist Ihre Rechnung. Ich habe Sie in meiner Brieftafel gefunden, der Betrag liegt darin. In acht Tagen spätestens werde ich wieder in meiner Wohnung sein, bringen Sie mir dann die Quittung. Ich werde Sie rufen lassen, denn ich werde Sie nöthig haben. Und jetzt fort, in fünf Minuten schlägt es Acht. Gute Nacht, Geheimrath, und fröhliche Weihnachtstage!

Er schob ihn zur Thür hinaus, die der Wärter öffnete.

Gute Nacht, Herr Geheimrath und viel Vergnügen beim Christbaum der schönen Dorothe! schrieen die Herrn vom Tische mit den Gläsern anstoßend und laut lachend.

Wie Silbermann die Treppe hinunter kam, wie er des zahlte, wie der Herr mit der Brille so freundlich zu ihm sprach, ihm Glück wünschte, die Hand schüttelte, als er ihm den Empfangschein sammt dem Schlüssel seiner Wohnung überreichte und ihn dann entließ, – das kam ihm Alles vor, als erlebte er es nicht selbst, sondern als träumte er es, oder es erzählte es ihm Einer ins Ohr.

Mechanisch folgte er seinem Führer über den Hof, und erst als das Thor sich hinter ihm schloß, als er die Straße und die Menschen sah, die hellen Häuser, die Laternen und den Himmel oben, der zur Weihnachtsfeier zahllose glänzende Lichter angesteckt hatte, da that er einen tiefen langen Athemzug und faßte mit beiden Händen an seine Brust.

Es ist doch wahr, rief er, ich bin hier, ich bin frei! und das Wort machte eine besondere Wirkung. Frei! frei! schrie er so laut, daß die Leute umher still standen, doch er kehrte sich nicht daran, was sie davon denken mochten. Als überfiele ihn plötzlich die Angst, daß es denen da innen leid thun, und sie ihn wieder einfangen möchten, warf er einen furchtsamen Blick zurück und lief dann, was er laufen konnte.



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