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1.

Wenn es nur nicht heut so teufelmäßig kalt wäre! schrie der junge Schneidermeister Silbermann, indem er seine Nähnadel fallen ließ und seine beiden Hände heftig zusammenschlug und rieb. Ein Schneider muß Wärme haben, und eine Nadel ist keine Ofengabel, fuhr er dann lachend fort; fein säuberlich soll sie mit den Fingerspitzen gefaßt und hantirt werden, und dazu gehört Leben, dazu gehört Geschicklichkeit und Einsicht. Sackerment! als ob ein Schneider Einsicht haben könnte, wenn er friert. Die ganze Naht sieht aus, als hätte sie ein Schmied oder ein Pfuscher gemacht, und das soll keiner von Heinrich Silbermann sagen. Also aufgetrennt und Courage, Heinrich, Courage! Es geschieht nichts Ordentliches in der Welt, wenn der Mensch keine Courage nicht hat.

Der Meister saß allein in einem Stübchen, das ärmlich und leer genug aussah. Im Hintergrunde stand ein Bett mit einem blauen Ueberzuge, um welches ein Vorhang gezogen war. Ein Schrank stand an der Wand, ein paar Stühle daneben, und vor den Ofen war ein großer, mit Wachsleinen überzogener Tisch geschoben, an dessen einer Ecke der Meister saß und an einem Rocke nähte. Vor ihm auf der Kante des Tisches stand eine kleine Schirmlampe, welche ihr Licht auf seine Arbeit und seine fleißigen Hände warf. –

Der junge Meister hatte etwas Einnehmendes und Gefälliges, sowohl in seinen Mienen wie in seiner mehr zierlichen als großen Gestalt. Langes, braunes Haar fiel über seine Stirn, und seine Augen blickten klar und scharf, sein Lächeln gab dem farblosen Gesicht einen frischeren Ausdruck.

Es ist doch wirklich eine Schande, sagte er nach einer Weile aufblickend und durch sein Haar fahrend, daß ich gerade Silbermann heißen muß, während das Silber bei mir rarer ist, als bei allen anderen Menschen, und nicht so viel in meiner Tasche davon, daß ich rechtschaffen einheizen könnte. Ah! du mein Christ, ein Mensch, der Silbermann heißt, sollte doch wenigstens ein bischen Glück haben; aber es ist nichts damit, und wird auch wohl niemals etwas damit werden.

Seine Stimme, die bei den letzten Worten zum Gemurmel geworden war, bekam jedoch sogleich neuen Klang, als er Athem geschöpft hatte.

Es ist eine Narrheit! rief er. Siehst du wohl, Heinrich, wie dir die Courage schon wieder ausgeht. Ist kein Feuer im Ofen und werden die Hände klamm, na, so laß das Arbeiten heut bleiben. Hast genug gethan, spät muß es auch schon sein.

Er that einen Ruck, als wollte er an seine Tasche greifen, zog aber die Hand sogleich lachend zurück.

Ja, wo bist du Sonne geblieben! lachte er, da hat einmal eine Uhr gesessen, fort ist sie. Aber ich werde sie mir schon wieder holen, und wenn ich nur erst ein paar Monate älter bin, wenn nur das Frühjahr erst da ist, und wenn ich meine liebe Dore erst bei mir habe – hier hielt er ein, denn es polterte an der Thür und klopfte daran, während eine Hand nach der Klinke suchte.

Gleich, gleich! rief Heinrich Silbermann den Rock hinwerfend, indem er aufsprang, kaum aber hatte er ein paar Schritte gethan, als die Thür aufging und ein Herr hereintrat, der, in einen dunklen Mantel gehüllt, den Hut auf dem Kopf behielt, indem er sich näherte.

O, Herr Werder! rief der Schneider, indem er sich verbeugte. Den schönsten guten Abend, lieber Herr Werder!

Barbarisch kalt! antwortete der Herr ihm zunickend ohne den Hut abzunehmen.

Sehr kalt! versetzte der Meister, in seinem grauen Wollen-Camisol die Schultern zusammenziehend.

Der Fremde blickte in dem kahlen Zimmer umher und fuhr dann fort:

Ich wollte doch selbst einmal sehen, wie es hier aussieht. Wie geht es Ihnen denn?

Na, eigentlich wohl nicht recht vom Besten, meinte Silbermann, aber man muß nur Courage haben.

Geld muß man haben! rief der Herr, der ein etwas heiseres Organ hatte.

Ja freilich. – Geld! Geld ist das Wenigste bei mir, lachte der Schneider, so gut es ihm glücken wollte, denn die Gegenwart des Herrn schien ihn schüchtern zu machen.

Wie steht es denn mit meinem Rock? fragte dieser darauf.

Ich bin fleißig dabei, antwortete der junge Meister, morgen soll er fertig sein.

Der Herr setzte sich auf den Arbeitsstuhl und kreuzte seine Füße. Er ließ den Mantel zurückfallen und streckte seinen Arm aus, um den Schirm der kleinen Lampe aufzuschlagen; Heinrich aber kam ihm zuvor, und das Licht fiel auf ihn und auf den Fremden, der ihn scharf ansah.

Es war ein breitschultriger, starkgebauter Mann, eben so wohlgenährt, dick und gesund, wie der Schneider mager und blaß war. Sein rothes Gesicht hatte den übermüthigen Ausdruck eines Mannes, der sich und sein Geld kennt. Es lag ein harter Ausdruck darin, der Ausdruck unempfindlicher Selbstsucht, wie er reichen Leuten von geringer Bildung, die nichts achten als Geld und Gelderwerb, häufig eigen ist. Der Herr war nicht mehr jung, allein man sah es ihm an, daß er den Genüssen der Jugend zugethan sein mußte. Seine Lippen waren dick und lüstern, seine Augen mit dem schwimmenden Glanz versehen, der heftige, sinnliche Begierden ausdrückt.

Modisch fein gekleidet, mit dem spanischen Mantel und dem theuern Castor, ließ sich doch bald aus Allem merken, daß kein Mann in dieser Hülse steckte, der zu den abgeschlossenen oder höheren Gesellschaftskreisen gehörte. So war es auch. Herr Werder betrieb bis vor nicht langer Zeit ein kaufmännisches Geschäft, jetzt aber hatte er sich davon zurückgezogen und ließ sein Geld arbeiten, das er vortrefflich für verschiedenartige Speculationen zu benutzen verstand.

Sie sehen schlecht aus und es geht auch gewiß schlecht genug, sagte er, nachdem er den Schneider betrachtet hatte.

Heinrich Silbermann zuckte die Achseln und versuchte sein Lächeln festzuhalten.

Wenn man beinahe ein Vierteljahr lang krank gelegen hat, meinte er, ist es vorbei mit dem guten Aussehen sowohl, wie mit dem guten Einsehen, lieber Herr Werder.

Sie sind ein Narr gewesen! rief der Rentier. Wer heißt Sie denn sich einem paar scheuen Pferden in den Weg werfen, um ein Bettelkind unter deren Hufen hervorzuholen!

Ja, klug war es eben nicht, erwiederte der Meister die Finger zusammenreibend, aber ich weiß nicht, wie es kam, es ging einmal nicht anders. Wie ich das Schreien hörte und den armen Wurm liegen sah, sprang ich zu, und es wäre Alles gut abgelaufen, wäre ich nicht so dumm gewesen. Hätte ich mich links umgedreht statt rechts hin, konnte ich nicht niedergerissen werden. Ein andermal soll's mir nicht wieder passiren.

Herr Werder sah ihn verächtlich an. Haben Sie noch nicht genug an dem einen gebrochenen Arm und den zerquetschten Rippen? fragte er. Wäre es noch ein Kind wohlhabender Leute gewesen, oder die Pferde hätten einem reichen Manne gehört, so ließe sich ein vernünftiger Grund finden. Aber nichts von Allem. Was haben Sie nun davon gehabt?

Der Schneider strich durch sein langes Haar. Viele Noth freilich, murmelte er halblaut. Es ging hart her, lieber Herr Werder. Habe da lange Zeit in dem Bett gelegen und nachher wollte es mit dem Arm noch immer nicht gehen. Die Schwäche darin ist noch nicht ganz fort.

Dafür aber ist die Kundschaft fort und das bischen Ersparte ist fort, fiel der Rentier ein.

Aber das Kind ist doch heil und ganz geblieben! rief Heinrich Silbermann mit einem schönen, hellen Lächeln auf dem kranken Gesicht.

Sie sind ein Narr, Silbermann, ich sage es Ihnen ja, antwortete Herr Werder lachend. Wie kann sich ein armer Anfänger, wie Sie sind, mit solchen faulen Sachen einlassen!

Es war eine Schickung, lieber Herr Werder. Weiß es Gott! es war eine Schickung, versetzte der verlegene Meister.

Bleiben Sie mir damit vom Halse! Dummes Zeug, Leichtsinn war's, weiter nichts. Wenn mir Einer einen schlechten Wechsel schickt, nehme ich ihn nicht an, brauche ihn nicht zu nehmen. Was haben Sie nun davon, frage ich? Jetzt sitzen Sie da, Noth an allen Ecken.

Der Meister hatte, als von schlechten Wechseln die Rede war, ein ernsthaftes Gesicht bekommen und einen eigenthümlich scheuen Blick auf seinen Besuch geworfen, dann hob er den Kopf auf, als hätte er sich heimlich das Zauberwort Courage zugeflüstert und sein Lächeln wieder damit angefacht.

Es ist freilich so! rief er aus, aber es wird auch wieder besser werden. Es hat wohl Einer oder der Andere von meinem Schicksal gehört und – und es denken doch wohl Manche nicht schlecht von mir.

Warum haben Sie sich denn nicht in eine Krankenanstalt bringen lassen, statt hier zu liegen und das Letzte zu verzehren? fragte Werder.

Eine neue Verlegenheit kam über den Meister. Es wäre wohl gegangen, fing er an, und es war auch die Rede davon, aber es ging nicht. Es war nicht möglich, wegen mancher Umstände, die es eben nicht möglich machten.

Was sind denn das für Umstände? sagte der Gast. Reden Sie doch deutlich, Silbermann, wenn man daraus klug werden soll.

Je nun, es ist damit – Mit einem Worte, Herr Werder, fuhr er, alle seine Umschweife über den Haufen werfend, fort, es ging nicht, wegen meiner Braut.

Sie haben also eine Braut! rief der Rentier ihn anblickend.

Das ist es ja eben, sagte der Meister freudig, als habe er eine Last abgeworfen. Wäre es nicht mit mir so gekommen, so wäre sie Weihnachten meine Frau geworden. Es war Alles zwischen und abgeredet.

Hat sie denn etwas? fragte Herr Werder.

Geld? Oh! das nun wohl eben nicht, aber sie ist fleißig und ordentlich. Zwei Jahre schon in dem Geschäft, und erhält eine alte Mutter dabei.

Also eine Ladenmamsell?

In dem großen Leinengeschäft bei Kanter, erklärte Silbermann redselig. Das Nähen versteht sie, wie so bald Keine, rechnet und schreibt, es ist eine Freude, denn ihr Vater ist Lehrer bei einer Armenschule gewesen, und gut ist sie; o! so gut, ich kann's gar nicht sagen.

Der reiche Herr unterbrach ihn nicht, als er die Ergüsse seines Herzens weiter ausdehnte und seine Dorothe mit so lebhaften Farben ausmalte, wie ihm diese zu Gebot standen. Herr Werder saß dabei ruhig auf dem Stuhle, schlug seine Mantelzipfel über die Knie zusammen, legte seine weichen, dicken Hände darüber, und ließ seine Daumen sich umkreisen.

Endlich aber, als der Meister aufhörte, blickte er langsam zu ihm auf und fragte eben so langsam:

Was wollen Sie denn mit ihr?

Silbermann beantwortete diese Frage zunächst mit einem verblüfften Anstarren, dann mit einem Lächeln.

Was ich mit ihr will? wiederholte er. Na, ich sollte meinen – sehen Sie, Herr Werder, solch' eine fleißige Frau, die gut nähen kann, das ist eine schöne Sache für einen Schneider, und dann –

Und was soll denn die alte Mutter? fiel der Rentier ein.

Die kocht und hält die Wirthschaft in Ordnung, und das ist auch eine schöne Sache, solche Schwiegermutter, die es versteht.

Eine Pause folgte, welche Herr Werber mit einem langen Kopfschütteln ausfüllte. Endlich sah er wieder zu dem wartenden Meister auf, und sagte mit seiner fetten Halsstimme:

Wenn Sie vernünftig sein wollen, Silbermann, will ich Ihnen einen Vorschlag machen.

Einen Vorschlag? – Ich bin immer vernünftig, lieber Herr Werder, und wenn's etwas zu verdienen giebt, fehlt es mir nicht an Fleiß.

Sie sind geschickt in Ihrem Fache, fuhr Herr Werder fort, nachdem er wieder zu ihm aufgeschaut, ich halte Sie auch für fähig vorwärts zu kommen und etwas vor sich zu bringen. Es fehlt Ihnen an nichts, als an Mitteln dazu. Heut zu Tage muß man etwas in Händen haben, sonst geht es nicht. Ein Grund muß da sein, sonst bleibt man sein Lebenlang ein Stümper.

Es ist wahr! rief der Meister, von Hoffnungen überrascht, die ihm plötzlich in den Kopf stiegen. Es wird einem armen Menschen, der mit Nichts anfängt, meist zu sauer, er mag sich plagen wie er will. Wenn nur Einer helfen wollte, Herr Werder, ich wollte redlich sorgen, daß er nichts verlieren thäte. Wenn ich nur ein paar hundert Thaler hätte, so könnte ich viel damit machen.

Borgen? antwortete der Rentier eindringlich, damit ist's nichts. Mit Schulden anfangen ist der sichere Anfang zum Untergang; Tausend gegen Eins kann man darauf wetten. Das müssen Sie am besten wissen, Silbermann, fuhr er dann fort. Wie ist es denn mit dem Wechsel von achtzig Thalern, den der Tuchhändler Rawald von Ihnen hat?

Eine leichte Röthe schimmerte durch das blasse Gesicht des Meisters.

Wenn ich nur nicht so lange krank gewesen wäre, sagte er, ich wär's nicht schuldig geblieben, aber wie es uns geht – ich bin auch übel fort gekommen gleich zum Anfang. Ich habe einen Kunden gehabt, einen jungen Herrn, glaubte Wunder, wie er mitten in Gold säße und wie er mir helfen würde; er hat's mehr als einmal gesagt –

Und dann ist er davon gelaufen, lachte Herr Werder. Warum borgt Ihr allen Lumpen!

Der Schneider schwieg still und rieb seine Hände.

Meine Dorothe ist bei dem Herrn Rawald gewesen und hat ihn gebeten, sagte er endlich, und dann habe ich's auch gethan, und der Herr hat's mir versprochen zu warten, bis es besser geht.

Da kann er lange warten! rief Herr Werder dazwischen. So geht es nicht, Silbermann, ich will Ihnen einen anderen Weg zeigen. Eine Frau nehmen, die nichts hat, wäre eine neue Narrheit. Sie müssen eine haben, die Geld in's Haus bringt und die leeren Wände füllt. Wer soll denn bei einem armen, kleinen Schneider arbeiten lassen, dem der Hunger auf dem Gesicht steht und das Elend in jedem Winkel? Eine solche Frau weiß ich für Sie, und mit ihr sollen Sie auch eine respectable Kundschaft bekommen, dafür sorge ich.

Herr Werder setzte bei diesen Worten den Zeigefinger auf seine Brust und ein Lächeln verzog seine breiten Lippen, denn der junge Meister stand mit weit aufgerissenen Augen vor ihm, wie verstarrt.

Es ist Wahrheit, fuhr Herr Werder fort, kein Spaß, Sie können sich darauf verlassen. Ich will Ihnen auch sagen, wen ich meine; ich meine meine Haushälterin, die Johanne.

Oh! rief Silbermann. Die die meinen Sie. Aber die ist alt.

Alt? In den besten Jahren, höchstens dreißig. Was ist denn daran gelegen? Johanne ist zwölf Jahre bei mir, fünfhundert Thaler hat sie sich gespart, die Ausstattung gebe ich und wo es fehlen sollte, helfe ich nach. Ich habe auch schon mit ihr gesprochen, sie ist nicht abgeneigt, hat Sie ja öfter auch gesehen und jetzt erst, als ich Sie kommen ließ, um mir den Rock zu bestellen. Wenn Sie ihn morgen bringen, können wir die Sache abmachen und in einem paar Wochen kann Hochzeit sein.

Der Schneider stand noch immer in seiner Unbeweglichkeit vor dem reichen dicken Gönner. Sein Gesicht drückte weder Beifall noch Mißfallen aus; er schien zu überlegen, was er sagen und was er thun sollte, und zu keinem rechten Entschlusse zu kommen. Mit seiner linken Hand faßte er in sein dunkles Haar und hielt sich am Ohre fest, als sollte von dort die Weisheit ausgehen, welche er nöthig hatte.

Eh! das haben Sie nicht erwartet, rief Herr Werder wohlgefällig. Es ist auch ein Glück, das unverhofft Ihnen in die leere Hütte fällt; benutzen Sie es mit Vernunft, so wird es sich mehren.

Es ist allerdings ein Glück, begann der Meister langsam, und eine Ehre, eine sehr große Ehre, aber –

Was haben Sie noch für ein Aber? fragte Werder, indem er ihn so starr anblickte, daß Silbermann erschrocken still schwieg.

Oh, es ist ganz gewiß eine Ehre! stotterte er, seine lange schmale Hand auf die Brust drückend, aber – ich kann's nicht annehmen.

Sie wollen nicht? fragte der Rentier, indem er sich umdrehte.

Ob ich nicht will? Gewiß will ich! Ja es wäre mir eine rechte Freude, wenn es anders mit mir stände; allein es geht nicht, lieber Herr Werder, es geht wirklich nicht.

Warum geht es nicht? fuhr Herr Werder ihn an. Was haben Sie gegen Johannen? Gefällt sie Ihnen nicht?

Sehr, gewiß sehr! betheuerte der Meister. Sie ist zwar ein bischen zu stark, aber das thut nichts.

Mager genug kann sie noch werden, fiel der Versucher lachend ein. Seien Sie jetzt kein Narr, Silbermann. Ein Mensch wie Sie sollte mit beiden Händen zufassen, wenn ihm eine solche Frau angeboten wird. Es ist eine Undankbarkeit und Thorheit zugleich. Machen Sie mich nicht ärgerlich, das muß ich Ihnen rathen.

Ach, es thut mir innerlich schmerzlich leid, bester Herr Werder, antwortete der arme Schneider kläglich. Ich wollte es ja von Herzen gerne thun, aber es geht doch nicht, ich kann's doch nicht.

So reden Sie endlich in des Henkers Namen! warum Sie nicht können?

Warum? fragte Silbermann erstaunt. Ja, ich dächte, das wäre klar genug, denn sehen Sie, geehrtester Herr Werder, ich sagte es ja schon – da ist die Dorothe Liebrecht, und – es wäre doch ein himmelschreiend Unrecht und große Sünde, wenn ich es thäte. Als ich hier krank lag, ist sie mein einziger Trost gewesen, und die alte Mutter ist gekommen und hat mich gepflegt, und was sie hatten, haben sie für mich hergegeben. Ist es nicht wahr? Wäre ich nicht ein grundschlechter Kerl, wenn ich's so vergelten wollte?

Bah! sagte Herr Werder, das ist Alles Einbildung. Wollen Sie das Mädchen unglücklich machen? Ist das etwa besser? Soll sie das Elend mit Ihnen theilen? Wollt ihr zusammen hungern? – Die Mamsel Liebrecht wird sich bald trösten, es wird sich ein Anderer finden, der ihr ein besseres Loos verschafft. So ein hübsches Mädchen kann ein ganz anderes Glück machen, als Sie ihr verschaffen können.

Kennen Sie denn meine Braut? fragte der Meister.

Herr Werder gab keine Antwort, er sah eine Minute lang vor sich hin, bis er endlich seinen rothen, dicken Kopf dem Schneider wieder zukehrte und vertraulich lächelte.

Wissen Sie was, Silbermann, sagte er, wir wollen aufrichtig zusammen sprechen. Ich kenne Dorothe und kenne auch ihre Mutter. Bin gestern bei ihr gewesen, habe angefragt, ob sie für mich arbeiten wollte, und so die Bekanntschaft eingeleitet. Ich will sie zu mir nehmen, wenn Sie die Johanne heirathen, will die Mutter und die Tochter nehmen, alle beide, sie sollen mir die Wirthschaft führen. Jetzt wissen Sie was ich will, Silbermann. Aber ich gebe Ihnen nicht allein die Johanne und ihr Geld, ich gebe noch fünfhundert Thaler dazu. – Ich gebe es, verlassen Sie sich darauf, doch jetzt keine Umstände weiter. Schreiben Sie der Dorothe, es könnte nichts aus der Heirath werden, Sie würden sie unglücklich machen, ins Elend reißen; schreiben Sie, wie es vernünftig ist und wie ich es Ihnen gesagt habe.

Aber der Schneider antwortete nichts. Die schmale Gestalt in dem dünnen Camisol stand wie ein Schatten in dem Dämmerlichte und zupfte an sich umher, als werde sie an einem Drathe gezogen. Bald fuhr er mit den Armen nach dem Kopfe, bald zuckte er mit den Schultern oder setzte die Hände in die Seiten und stieß die Ellenbogen von sich ab; auch seine Lippen zuckten hin und her und seine Augen fuhren unruhig aus dem einen Winkel in den andern. Einige Male wollte er etwas sagen, allein es blieb bei dem Vorsatze. Er hörte zu, bis Herr Werder zu Ende war, ihn ansah und nach einigen Augenblicken seine Stirn in schreckender Weise zusammenzog.

Haben Sie alles deutlich verstanden, Silbermann? fragte er.

Ja, ja! bester Herr Werder, deutlich verstanden, wiederholte der arme Schneider, indem er in seiner unruhigen Beweglichkeit verharrte. Ich habe es Alles gehört und ich danke Ihnen, ich danke Ihnen viele tausend Male; denn Sie meinen es gut mit mir, ich sehe es wohl ein. Aber, liebster Herr Werder, es geht doch nun einmal nicht, nein, es geht durchaus nicht, bat er seine Hände zusammenpressend. Nehmen Sie es doch gar nicht übel, aber ich kann's nimmermehr thun.

Was? Sie – Sie! rief Herr Werder und seine runden Augen öffneten sich weit, die Nasenflügel öffneten sich auch, seine Stirn wurde roth, ein grimmiger Hohn schwebte auf den wulstigen Lippen, die nach den rechten Worten zu suchen schienen. Es verschwand aber Alles noch einmal, denn nach einem kleinen Bedenken ließ er sich in den Stuhl zurückfallen und sagte gelassen: Seien Sie nicht so dumm, Silbermann, stoßen Sie Ihr Glück nicht muthwillig von sich. Sie haben Schulden, können nicht bezahlen, alle Tage kann's zum Aergsten kommen, he! Krank sind Sie auch noch. Elend ist überall, was soll daraus werden? Nehmen Sie die Johanne, und es ist Alles gut.

Es geht nicht! ich kann's nicht! stöhnte der arme Meister.

Ich will noch zulegen, sagte Herr Werder.

Und wenn's ein Haufen von Gold und Silber wäre, antwortete der Schneider kläglich, ich könnt's nicht anrühren.

Nicht? schrie Herr Werber, indem er aufstand.

Nein, lieber Herr, nein!

Der reiche Mann schlug seinen Spanier um die Schultern, rückte seinen Hut gerade und zog seine Biberhandschuhe an. Mit euch Menschen muß man kein Erbarmen haben, sagte er ruhiger, als sich erwarten ließ, denn ihr verdient es nicht. Man muß sich gar nicht um euch kümmern, sondern euch eurem Schicksale überlassen. Das wird nicht ausbleiben, mein lieber Herr Silbermann, denn wer nicht hören will, muß fühlen. Den Rock liefern Sie mir morgen, bis dahin können Sie sich bedenken. Wollen Sie nicht, gut, so hat es nichts weiter zu sagen. Sehen Sie dann aber zu, wie es Ihnen geht. Guten Abend!

Der Schneider nahm die Lampe und leuchtete demüthig dem erzürnten Herrn bis an die Treppe, doch sein verstocktes Gemüth wurde von keiner Reue ergriffen. Herr Werder stand auf der ersten Stufe noch einmal still und indem er sich halb umwandte, murmelte er ihm zu:

Wenn Sie gehörig nachdächten, Silbermann, würden Sie sich besinnen. Noch ist es Zeit.

Es geht nicht! es geht nicht! seufzte der arme Meister mit krampfhafter Gewalt.

So bleiben Sie ein Narr! rief Herr Werder hinuntersteigend. Es giebt andere Leute, die klüger sein werden.



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