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2.

Als Silbermann in seine kalte Stube zurückkehrte, war aller Frost aus ihm gewichen. Sein Kopf brannte, seine Finger waren glühend heiß; er setzte sich ohne ein Wort zu sagen und griff nach seiner Arbeit. Wie viele Menschen am besten nachdenken können, wenn sie mit einer mechanischen Thätigkeit beschäftigt sind, die zugleich als Ableitungs- und Beruhigungsmittel auf ihre heftig erregten Empfindungen wirkt, und wie Arbeiter besonders, während ihre Hände verrichten, was sie sollen, ihren Kopf mit ihren Erlebnissen beschäftigen und in Selbstgesprächen überlegen, was sie angeht, so saß auch der arme Meister lange Zeit fleißig nähend, während seine Lippen leise Worte murmelten, dann und wann auch wohl ein lauteres und heftigeres in dem stillen Zimmer widerhallte.

Sein ganzes Leben flog ihm durch den Sinn, und was sich ihm darstellte, machte ihn nicht heiterer, denn es war nicht viel Freudiges darin zu schauen. Als ein früh verwaistes Kind war er im Waisenhause aufgenommen und großgewachsen, dann hatte er eine harte Lehrzeit durchgemacht, darauf war er nach der Sitte hin und her gewandert, mehre Jahre lang, bis er zurückkehrte, um den Soldatenrock anzuziehen. Auch das ging vorüber, dann kam es besser.

Er arbeitete in großen Werkstätten, er verstand seine Sache, wurde Werkführer, lernte dabei auch den Herrn Werder kennen, der damals noch ein Wollengeschäft betrieb, und sparte sich an hundert Thaler zusammen. Mit diesem kleinen Schatz in der Hand nahm er sich plötzlich vor, Meister zu werden und etwas Eigenes anzufangen. Er hatte einige Gönner gefunden, die ihm ihre Unterstützung zusagten, auch dem Herrn Werder machte er seinen Besuch, und bat ihn um sein Fürwort, das mit er Credit bei einem Tuchhändler erhalte.

Dies geschah, Herr Werder empfahl ihn als einen fleißigen und ordentlichen Anfänger; den eigentlichen Grund aber, weshalb Heinrich seine Stelle aufgab und sich in ein Meer von Sorgen stürzte, wußte Niemand. Er hatte ein Mädchen kennen gelernt, die es ihm angethan hatte, wie er es nannte, und hatte es mit ihr abgeredet, daß sie seine Frau werden sollte. Aber eines Gesellen Frau sollte sie nicht sein, das war nicht möglich. Es würde schon gehen mit ihnen, wenn er ein Meister sei, wenn beide fleißig wären; und wie Dorothe ihm vertraute, so vertraute er auf seine Geschicklichkeit und auf das Glück, das der zumeist erwartet, der am wenigsten darauf zu rechnen hat.

Da saß der junge Meister nun und dachte darüber nach, was er Alles geglaubt und gehofft, und was ihm fehlgeschlagen war. Es war Anfangs recht gut gegangen. Er hatte die Wohnung gemiethet, das nöthige Hausgeräth geschafft, hatte sogar einen Gesellen beschäftigt, und wie vergnügt konnte er des Abends seine Dorothe aus ihrem Geschäft abholen, um sie nach Hause zu begleiten. Dort saßen sie beisammen, und das fleißige Mädchen arbeitete oft bis an die Mitternacht allerlei feine Leinennäherei, die ihr gut bezahlt wurde. Die Mutter und sich selbst zu erhalten wurde ihr nicht leicht, dennoch hatte sie ihre Ersparnisse gemacht; und wie ordentlich, wie reinlich und sauber sah es in der kleinen Wirthschaft aus!

Unter den seligsten Gedanken blickte Heinrich Silbermann die hübsche Braut an, wie die feinen, schnellen Finger auf und ab flogen, wie sie dabei immer vergnügt mit ihm leise plauderte und lachte, wie sie ihm flüsternd ihre Geheimnisse mittheilte, und gar zu allerliebst ihn von der Seite ansehen und ihm die schelmischen Augen zeigen konnte. Die alte Mutter legte sich dann wohl nieder und er war allein mit ihr, bis er auf den Zehen davon schlich und sie ihn hinaus begleitete, um zum legten Male unter Scherz und Lust Abschied zu nehmen. –

Sie hatten sich alle Lage so viel Neues zu sagen, so viel Hoffnungsvolles zu vertrauen, es war immer wieder etwas geschehen, was zu schönen Plänen Anlaß gab. Da kam es anders. Sie brachten ihn mit gebrochenem Arm zerquetscht nach Haus, und das Glück floh vor seinem Stöhnen und Seufzen. In den Zeitungen war ein paar Tage lang die Rede von seiner edelmüthigen Handlung, die arme Mutter des Kindes kam auch und dankte ihm, ihre eigne Noth klagend, und er gab ihr für seinen Schützling, was er geben konnte, dann kümmerte sich Niemand mehr um ihn.

Doch nein, Eine gab es, die kümmerte sich ohne Unterlaß, Eine kam und saß bei ihm, drückte seine Hand und küßte seinen kranken Mund, weinte um seine Schmerzen und blickte ihn mit verdoppelter Liebe an. Sie sagte nicht, warum hast Du das gethan? Aus ihren Augen leuchtete sogar oft ein stolzes, freudiges Gefühl, und jeden Tag brachte sie neuen Trost, neuen Glauben, neuen Muth mit. Wenn ich sie nicht gehabt hätte, wäre es aus mit mir gewesen! rief er sich unzählige Male zu, wie ein Engel Gottes hat sie bei mir gestanden und es ist mir – jedesmal besser geworden, wenn sie kam. –

In ein Krankenhaus konnte er sich auch um dessentwegen nicht bringen lassen; lieber mochte es gehen, wie es wollte. Und es ging schlecht genug, es ging Alles fort, was gespart und geschafft war, und dazu kam anderes Unheil. Ein junger Banquier war Heinrichs bester Kunde. Es war ein Börsenspeculant, der viel Geld hatte, wenigstens verthat er viel Geld; dabei war er immer fröhlich und seine Bekanntschaft war groß. Silbermann hatte einen Gönner an ihm, auf den er die größten Hoffnungen baute, denn Herr Schönfeld versprach ihm alle mögliche Unterstützung. Alle seine Freunde sollten bei ihm arbeiten lassen; er wollte ihn heraufbringen, zum ersten Mann seines Standes machen, an Credit und Geld sollte es ihm nicht fehlen.

Der elegante junge Herr brauchte viel, bestellte viel und eben an dem Tage, wo das Unglück geschah, hatte der Meister ihm abermals mehre neue, theure Anzüge abgeliefert. Ueber hundert Thaler betrug seine Forderung, dagegen hatte er einen Wechsel von achtzig Thalern bei dem Tuchmacher zu decken, der davon eingelöst werden sollte. Als er nun krank lag und die erste Bestürzung vorüber war, ließ er an seinen Gönner schreiben und meldete ihm, was geschehen. Dorothe schrieb so schön, daß er trotz aller Schmerzen sich darüber innig freute, wie sie die Worte setzen und es einfach und doch so ergreifend vortragen konnte.

Herr Schönfeld mußte gewiß den nächsten Tag schon kommen, und Silbermann war überzeugt, er werde ihn nicht verlassen; allein es verging ein Tag nach dem anderen, es verging eine ganze Woche, und es kam Niemand, bis endlich der Tuchhändler kam, der sein Geld haben wollte. Als er sah und hörte, wie es stand, blieb er nicht hart, um so weniger, als er die Leiden des armen Meisters vermehrte, denn als dieser ihn auf das Eingehen seiner Forderung vertröstete, theilte er ihm mit, daß der reiche Herr Schönfeld schon seit einer Woche unsichtbar geworden sei, seine Gläubiger ihm nachspürten, und was er zurück gelassen unter Gerichtssiegel liege.

Das war ein Schlag, der bis ins Herz traf. Silbermann sank stumm in die Kissen zurück, und die Hoffnungsinsel, welche immer noch grünend vor ihm lag, sank in eine schwarze Fluth, die mit ihren Wellen seine Augen zudrückte.

Ja, ja! rief er aus, als er jetzt lebhaft sich an diese traurigen Stunden erinnerte, da war meine Courage fort bis auf den letzten Funken, und es hätte nicht gut mit mir geendet, wäre sie nicht gewesen. Ach, liebste Dorothe! es bohrte in mir wie der Tod, und ich sehe es noch, wie sie herein kam und mir ins Gesicht schaute. – Gott im Himmel! Heinrich, was ist Dir denn? schrie das liebe Mädchen auf, doch wie ich es ihr gesagt hatte, wurde ihr Gesicht wieder hell. Es ist schlimm genug, sagte sie, aber es ist doch lange noch nicht das Aergste. Werde nur erst gesund und dann wollen wir arbeiten, bis wir das Geld zusammen haben. Nur nicht ängstlich, Heinrich, nur den Muth nicht verloren! Und das ist's ja, was ich allemal sage. Courage muß man haben! So lange die vorhanden ist und das Herz auf dem rechten Flecke sitzt, hat es nichts zu sagen, denn –

Hier ließ Heinrich Silbermann die Nadel und den Arm sinken, und nach einigen Augenblicken, während sein Kopf sich auf die Brust senkte, murmelte er vor sich hin:

Was hat er gesagt? Ich würde sie elend und unglücklich machen? Hungern und umkommen müßten wir? O! ich möchte den Tag nimmer erleben, wo es wahr würde. – Aber es wird nicht geschehen; so lange ich einen Finger rühren kann, soll's nicht geschehen; wir wollen es beide redlich abwenden und – und –

Er legte die lange knochige Hand auf seine Stirn und hielt sie dort fest.

Es giebt noch andere Leute, die klüger sein werden, hat er gesagt, flüsterte er dann tonlos weiter, und plötzlich sprang er auf und warf den Rock auf den Tisch. – Wen hat er damit gemeint?

Er ballte seine Hand zusammen.

Meine Dorothe, meint er die etwa? Will er etwa bei ihr –

Sein Gesicht verfinsterte sich, er schüttelte den Kopf und seine Augen blickten heller.

Es ist nichts damit, rief er, laß ihn nur kommen, laß ihn nur, sie wird ihm schon Trumpf ausspielen; aber es wäre doch gut, wenn ich – Ich will's ihr sagen, unterbrach er sich, gerade heraus will ich ihr Alles sagen, wie es steht und wie es liegt, und dann soll sie mir Antwort geben, was sie denkt, und damit ist es gut, damit hat die Sache ein Ende.

Während dessen hatte er sich eilig angekleidet, und unruhig war es doch in ihm, denn er vergaß die Lampe auszulöschen. Als er an der Thür war, kehrte er um und sah die trübe, kleine Flamme. –

Es ist mir beinahe so, als wäre ich das selbst, flüsterte er bang, als fehlte es da drinnen an Oel und ich müßte hingehen, um frisch aufzugießen. Wenn's nun aber so wäre, fuhr er noch leiser fort, wenn's kein Oel mehr für mich gäbe? Ja dann wär's einerlei Alles, was da kommen möchte, und ich könnte die Johanne nehmen oder wie sie sonst heißen thäte. Es wäre Alles Eins, es wäre doch Alles vorbei! Aber was kommt mir da Dummes in den Sinn?! Courage, Heinrich, Courage!

Damit blies er die Lampe aus und sprang schneller, als es seit langer Zeit geschehen, die Treppe hinab. Es war ein kalter Decemberabend, der Nordwind fegte die Straßen und trieb fein fallenden Schnee in Haufen zusammen; aber obwohl der Anzug des Meisters nicht eben allzuwarm war, fror ihn doch nicht, nur die Zeit wurde ihm lang, während er doch so rasch als möglich ging. Als er an einer Kirche vorüber kam, hörte er es neun Uhr schlagen.

Jetzt ist Dorothe längst nach Haus gekommen, sagte er, und es wird ans Wundern und ans Schelten gehen, wenn sie mich sieht, denn ich habe es ja heilig versprechen müssen, Nacht und scharfen Wind zu vermeiden. Aber das liebe Mädchen kann ja mich nicht mehr besuchen, weil's in der Weihnachtszeit gar zu sehr mit der Arbeit pressirt, und dann – es ist wahr – es schickt sich auch nicht so recht. Es könnt ein Gerede geben unter den Leuten, und davor muß sich ein Mädchen hüten. Ja ich wollte zuweilen, sagte er sich sein Tuch um den Mund bindend und vor sich hin lachend, ich wollte, ich läge noch krank, denn damals kam sie alle Abend, und die Mutter hatte nichts dawider und Keiner.

Unter solchen Selbstgesprächen legte er einen ziemlich langen Weg zurück, durch mancherlei Kreuzstraßen und Häuserschluchten, bis er endlich stillstand, zu einem Fenster hinaufsah, das aus der Dachnähe eines mäßig großen Gebäudes herunterleuchtete und ihm zunickte.

Sie ist da, sagte er. Die Lampe steht auf dem Tisch und daran sitzt sie mit ihren fleißigen Händen. Wart nur, mein Dorchen, ich will's schon machen. Künftig sollst Du nicht so in die Nacht hinein sitzen, bis Dir die Augen trüb' werden und zufallen. Ich will's schon machen, mein Mädchen, hab' nur Geduld, will für Dich arbeiten aus Herzenslust.

Jetzt stand er an der Thür des Küchenverschlages, durch welchen man gehen mußte, um in die Wohnung zu gelangen, und es war ein glücklicher Zufall, daß er den Riegel nicht vorgeschoben fand. Er konnte die Thür leise öffnen, und das Herz pochte ihm, als er an die Ueberraschung dachte. Allein im nächsten Augenblicke klopfte es noch viel stärker, denn er hörte eine Stimme, die alles Blut in diesen seltsamen Sack jagte, der als Quell und Sitz so vieler guten und schlechten Eigenschaften gilt; ja er konnte gar nicht zweifeln, daß Herr Werder dort im Stübchen saß und so laut redete und lustig lachte. Mit angehaltenem Athem bückte er sich zu einem kleinen Spalt, durch welchen das Licht schimmerte, und siehe da, gerade vor ihm saß der arge Mann, gerade vor der lieben Dorothe, von der er nichts erblicken konnte, als dann und wann die Hand, welche den langen Faden festzog.

Es ist aber doch nicht zu verantworten, sagte Herr Werder, daß die hübschen kleinen Finger so zerstochen werden, und wenn ich erst an die Augen denke, an diese Vergißmeinnicht-Augen, so möchte ich Thränen weinen.

Dadurch würde mir auch nicht geholfen sein, antwortete das junge Mädchen lachend.

Wird es Ihnen denn aber nicht ganz schrecklich sauer, alle Tage von früh bis in die Nacht hinein zu arbeiten? fragte er.

Muß ist ein bitter Kraut, versetzte sie darauf, wenn es etwas süßer schmeckte, könnte es nicht schaden; doch Gewohnheit thut Alles, und ich bin von Jugend auf daran gewöhnt.

Es ist merkwürdig, wie Sie das sagen! rief Herr Werder. Als wäre es gar nichts, als wäre es eine Wohlthat. Ist es nicht wahr, Mama? Es wird aber doch zu viel mit der Länge der Zeit. Immer geht es nicht so, und daran muß man doch auch denken und muß sich schonen.

Wenn man arm ist, antwortete eine schwache Stimme, so darf man sich nicht schonen, lieber Herr Werder. Da darf man nicht fragen, ob es gut thut, oder nicht gut thut.

Allerdings ja, sagte er; um so mehr muß man dafür sorgen, daß man nicht arm bleibt. Nicht wahr, Fräulein Dorothe?

Ich möchte schon reich sein, es sollte mir wohl gefallen! war die Antwort.

Aber wie? fiel er ein.

Ja, das ist die Frage, lachte sie. Nächstens werde ich Lotterie spielen und das große Loos gewinnen.

Pfui! rief Herr Werder, wer wird spielen; dabei verliert man nur sein Geld, und es ist unmoralisch obenein. Nein, auf eine zärtliche Weise muß es kommen.

Ach so! nickte sie ihm schelmisch zu. Heirathen meinen Sie.

Mit einem reichen Mann sich verbinden.

Die Reichen sind nicht immer die besten, erwiederte Dorothe, indem sie den Faden abknallte und einen kleinen Schrei darauf that, denn sie hatte sich in den Finger gestochen.

Sehen Sie wohl, da kommt die Strafe schon! rief er lustig. Ach! der arme, kleine Finger; ein dicker, rother Tropfen. Thut's weh?

Gehörig, sagte sie, aber es macht nichts, das muß man auch ertragen, und wissen Sie, Herr Werder, das gehört mit zu unserem Glück. Reiche Leute sind alle Augenblicke krank. Wir haben gar keine Zeit dazu, darum bleiben wir auch immer gesund.

Allerliebst! lachte er, aber wenn man nun doch einmal ordentlich krank wird und liegt so verlassen und kann nicht arbeiten und hat schwere Sorgen, da ist es denn doch besser, wenn man reich ist und kann sich pflegen und hat keine Noth und weiß, es wird auch für die alte Mama gesorgt und was man sonst etwa lieb hat.

Dorothe antwortete nicht; Heinrich, der draußen den Kopf fest an die Thürzarge drückte, legte in der Finsterniß die Hand auf sein Herz und flüsterte in sich hinein:

Damit hat er nach mir gestochen, und das liebe Mädchen hat's gemerkt; o ja! es thut ihr weh.

Es ist freilich schlimm, sagte die Mutter aus der Ofenecke, wenn's so kommt. Ein armer Mensch muß viel leiden, was kein Anderer denkt und weiß.

Darum sage ich also, man muß vor allen Dingen nicht arm sein, versetzte Herr Werder. Armuth ist ein Laster, es hört sich sonderbar an, aber es ist ein Laster, denn alle andern Laster entspringen daraus.

Es giebt doch aber auch Gutes bei der Armuth, meinte Dorothe.

Nichts! rief er, gar nichts Gutes.

Sind denn alle reichen Leute gute Menschen, voller Tugend? fragte sie.

Sie können es wenigstens sein, antwortete er, aber ein Armer kann nicht, wenn er auch will. So ein unglücklicher, armer Mensch, ob er noch so redlich und ehrlich und fleißig, bringt es zu nichts. Heirathet er ein Mädchen, was hat er davon und was wird aus ihr? Hat sie sich nicht abgeplagt, so muß sie es jetzt thun, denn nun kommt das Unglück, kommen Krankheiten, Kinder und allerlei bittre Sorgen. Wo der Hunger einzieht, flieht die Liebe zum Fenster hinaus, das ist ein altes, wahres Wort. Also nur nicht etwa einen Armen heirathen und auf den lieben Gott vertrauen, sondern die Augen aufmachen und nachdenken, wie es verständig und das Beste ist. Jugend geht bald hin, ehe man es denkt, nicht wahr, Mamachen?

Ja wohl, oh! ja wohl! seufzte die alte Frau.

Aber, lieber Herr Werder, fiel Dorothe lachend ein, die reichen Freier wachsen auch nicht wie Wiesenblumen.

Wenn man es nur versteht, antwortete er, so sind sie da. Solcher liebenswürdigen, jungen Dame, wie Sie sind, Fräulein Dorchen, kann's nimmermehr daran fehlen. Wenn Einer in die Vergißmeinnicht-Augen sieht, muß er ja gleich bezaubert sein und Alles geben, was er hat, um immer hineinsehen zu können.

Ich wollte, es wäre wahr, und ich könnte zaubern, versetzte sie.

Das können Sie, Sie wissen es nur nicht, sagte Herr Werder. Ich bin ein Beispiel davon, mich haben Sie gänzlich bezaubert.

Dorothe schwieg einen Augenblick, während ihrem Geliebten draußen das Herz doppelt heftig schlug.

Wirklich, lachte sie dann, Sie sehen ganz ernsthaft bei dem Spaß aus. Unterthänigsten Dank dafür.

Allen Spaß bei Seite, fuhr er fort, ich wüßte nicht, für wen ich mich in meinem Leben mehr interessirt hätte, und ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Fräulein Dorchen, es ist nicht etwa von gestern und heut, nein von länger schon. Ich habe Sie in dem Geschäft gesehen, habe Erkundigungen eingezogen über das reizende, junge Mädchen, und was ich hörte, war lauter Gutes und Schönes. So fleißig, so sittsam, so edelherzig, sorgt für die alte Mama, arbeitet früh und spät, ist immer heiter, immer froh und geschickt in allen Dingen.

Es ist wahr! es ist wahr! flüsterte der Meister.

Und es ging mir in's Herz, fuhr Herr Werder fort. So ein liebes, schönes Kind, sagte ich, so gut und schön, muß sich so quälen, und hat so wenig davon. Da fiel mir etwas ein, und ich läugne es nicht, mein liebes Kind, ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen, wie Sie Ihr Leben und Ihre Zukunft angenehm und vor aller Noth sicher stellen können.

Jetzt kömmt's! jetzt kömmt's! flüsterte Silbermann.

Sehen Sie, fuhr Herr Werder fort, ich bin nicht mehr ganz jung, aber ich bin wohlhabend, bin reich und habe keine Erben; bin auch nicht verheirathet. Meine Haushälterin will sich einen Mann nehmen, mich verlassen, und hat ihre Augen auf Einen geworfen, dem sie an tausend Thaler mitbringt, Alles bei mir erspart. Nun habe ich gedacht, ich nehme die Mama zu mir und Fräulein Dorchen natürlich auch; wir machen eine kleine Familie – verstehen Sie, so recht häuslich, recht einig und innig, und es soll meine Sorge sein, daß es Ihnen an nichts fehlt, was Sie sich wünschen können. Nicht den Finger ins Wasser sollen Sie tauchen, wenn Sie nicht wollen. Die niedlichen Fingerchen sollen so fein werden, wie Seidenpapier, und es soll keine junge Dame schöner aussehen, keine Gräfin soll's Ihnen nachmachen; denn meine Mittel erlauben es, liebstes Dorchen! Ich sage Ihnen, meine Mittel erlauben es!

Dabei schlug Herr Werder auf seine Tasche, daß ein heller, angenehmer Klang sich hören ließ, und seine Augen nahmen einen Blick an, der deutlich sagte, solchen Mitteln kann Keiner widerstehen, du auch nicht.

Was wird's werden? Was wird sie sagen? stöhnte der Meister leise, als er keine Antwort vernahm.

Sie lachen? rief Herr Werder. Sie glauben wohl noch nicht, daß es Ernst ist? Aber es ist so heilig wahr, wie ich hier sitze, und wenn Sie zweifeln können, will ich es Ihnen schriftlich geben. Vor einer Gerichtsperson will ich eine Summe festsetzen, die Ihnen gleich gehören soll.

Ah, das Geld! das verwünschte Geld! seufzte Silbermann.

Ich danke Ihnen, Herr Werder, sagte Dorothe zu gleicher Zeit etwas hastig und scharf, aber ich kann davon keinen Gebrauch machen.

Sie können keinen Gebrauch davon machen? Es ist lustig, es ist allerliebst! rief er, ohne abgeschreckt zu sein. Ich meine es ja besser mit Ihnen, wie irgend ein Mensch in der ganzen Welt, Herzenskind, warum wollen Sie also keinen Gebrauch davon machen? Sie sollen nicht mehr arbeiten, sollen ein angenehmes Leben führen, und die Mama auch. Fragen Sie die Mama, was sie sagt; fragen Sie sich selbst, was vernünftig ist.

Das Vernünftigste ist, daß wir nicht weiter davon reden und daß wir schlafen gehen, denn es wird gleich zehn Uhr schlagen.

Lassen Sie es schlagen, theuerstes Mädchen, aber schlagen Sie nicht aus, was Ihr Glück ist. Glücklich sollen Sie sein, glücklich will ich Sie machen. Auf Händen sollen Sie von mir getragen werden; alle Ihre Wünsche will ich erfüllen.

Wirklich, Herr Werder, wollen Sie das wirklich? fiel sie ein. Kann ich mich darauf verlassen?

Da haben wir's! jetzt ist es vorbei, murmelte der arme Meister.

Wie auf mein Leben! wie auf einen Felsen! rief Herr Werder.

Dann wünsche ich, daß Sie aufhören und kein Wort mehr sprechen, antwortete Dorothe in einem Tone, der ihren Geliebten mit Wonne erfüllte.

So? wahrhaftig! schrie der Speculant halb lachend, halb zum Ausbruch seines Aergers geneigt. Aber was wollen Sie denn, bestes Kind? Sehen Sie her, hier habe ich funfzig Thaler. Das ganze Jahr bekommen Sie kaum so viel, für alle Ihre Arbeit. Kaufen Sie sich morgen was dafür, und wenn das Geld fort ist, holen Sie sich neues bei mir. So viel Sie wollen, ich gebe es.

Danke Ihnen schön, danke Ihnen ganz unterthänigst! erwiederte sie, ohne im Nähen einzuhalten, aber stecken Sie es wieder ein. Bitte, stecken Sie es ein.

Warum denn, schönstes Dorchen? Warum denn? lachte er in ihr Gelächter einstimmend. Was haben Sie dagegen zu sagen?

Es ist mir zu wenig, antwortete sie.

Ah so, daran liegt es, fuhr er fort. Aber ich sage Ihnen ja, Sie sollen mehr haben, so viel Sie wollen. Es soll ja nur ein kleines Handgeld sein.

Meinen innigsten und gefühlvollsten Dank, theuerster Herr Werder, aber ich verlange ungeheuer viel.

Wie viel denn, wie viel denn? rief er, seine Hände vergnüglich reibend.

Wenigstens eine halbe Million!

Ah! Sie Spaßvogel. Sie allerliebster, kleiner Spaßvogel! Wenn ich eine Million hätte, sollten Sie sie haben.

Ich bin mit der Hälfte zufrieden, fiel sie ein, aber die muß ich sehen.

Gewiß?

Ganz gewiß.

Es ist köstlich! schrie Herr Werder, aber jetzt lassen Sie uns ernsthaft sprechen, liebstes Dorchen. Kündigen Sie morgen Ihre Stelle, und morgen Abend komme ich her und bringe es Ihnen schriftlich mit, was Sie überzeugen soll, daß ich für Sie sorge.

Ich bin ganz ernsthaft, doch schwöre ich es Ihnen zu, ehe nicht eine halbe Million hier auf dem Tische liegt, kündige ich meine Stelle nicht.

Ich glaube wirklich, sagte er nach einer augenblicklichen Stille, und die Stimme klang grollend und schwer, Sie machen noch immer Spaß.

Nicht im Geringsten, versetzte sie schelmisch den Kopf schüttelnd, es hat Alles seine Richtigkeit. Ich verkaufe mich nicht anders, geehrtester Herr Werder, und wenn Ihnen der Preis zu hoch sein sollte – so thut es mir sehr leid, aber es geht wirklich nicht billiger.

Aber es ist ja Narrheit, reine Narrheit!

Sie meinen, ich sei nicht so viel werth? Es ist möglich, vielleicht auch nicht; ein anderer zahlt wohl noch weit mehr, läßt sein Leben für mich, wenn ich's haben will; und das ist freilich ein Preis, zu dein alles Geld auf Erden nicht ausreicht

Die Stirn des reichen Herrn verfinsterte sich, seine runden Augen warfen eigenthümlich spöttische Blicke auf die Näherin. Ich meine es gewiß gut mit Ihnen, sagte er, aber Sie müssen auch verständig sein. Ich weiß, Sie haben ein Verhältniß gehabt mit dem Silbermann

Pst! unterbrach sie ihn, davon wollen wir gar nicht sprechen.

Ich will Ihnen nur sagen, fuhr er fort, daß es Ihr größtes Unglück sein würde. Der Mensch wird nie auf einen grünen Zweig kommen, und nächstens wird er dahin geworfen werden, wohin er gehört.

Wenn Jeder dahin geworfen würde, wohin er gehört, rief sie hastig, so würden sehr Viele nicht da sitzen, wo sie sich breit machen. Aber; bester Herr Werder, es thut nichts, es bleibt bei der halben Million, keinen Pfennig weniger. Bedenken Sie es, überlegen Sie es und schlafen Sie recht wohl; denn es ist wirklich schon sehr spät heut, meine Augen fallen mir zu.

Herr Werder stand auf, er nahm Hut und Mantel. Ich werde Ihnen nicht länger beschwerlich fallen, sagte er gereizt.

Gewiß nicht beschwerlich, erwiederte sie die Lampe ergreifend. Ich werde Ihnen leuchten, bester Herr Werder, die Treppe ist dunkel.

Spotten Sie nicht zu sehr, mein schönes Kind, versetzte er sich einhüllend. Hochmuth kömmt vor dem Fall.

Nehmen Sie sich ja in Acht, die Stufen sind schmal. Und seien Sie nicht böse auf mich, es geht wirklich nicht anders. Es ist ja blutwenig, eine halbe Million!

Sein Aerger nahm überhand. Wenn die Mama anders wäre, würde sie Ihnen das Köpfchen zurecht setzen! sagte er; aber ich sehe schon, wo ich bin.

Bei bescheidenen Leuten, bester Herr Werder, die viel vertragen können, lachte sie, und machte ihm einen tiefen Knix. Nehmen Sie so vorlieb mit uns, wie wir sind, und erhalten Sie uns Ihr schätzbares Wohlwollen, bis Sie die halbe Million

Herr Werber riß die Thür auf, hinter der sich Silbermann in den Winkel drückte. Zum Teufel mit dem ganzen Plunder! murmelte er.

Bitte, behalten Sie uns in gutem Andenken, sagte Dorothe, die auf der Schwelle stehen blieb, und vergessen Sie ja nicht uns auch fernerhin zu beehren, sobald die halbe Million

Gewiß nicht, mein schönes Dorchen, antwortete Herr Werder, indem er sich umwandte. Sie sollen recht bald von mir hören. Ich hoffe Ihnen so viele Freude zu bereiten, daß Sie sich immer meiner erinnern werden.

Gute Nacht, theuerster Herr Werder!

Gute Nacht, liebenswürdiger, kleiner Engel!

Er schlug die Küchenthür zu, und Dorothe zog sich lachend zurück.

Niemand hatte den Meister bemerkt, der jetzt nicht recht wußte, was er thun sollte. In die Stube treten, sich den Frauen zeigen und sein Herz ausschütten, war das Nächste und Beste, ehe er aber noch dazu kommen konnte, hörte er ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter beginnen, das

ihn von seinem Vorhaben zurückhielt. Die alte Frau, welche so schweigsam gewesen war, erhob jetzt ihre Stimme, und die Vorwürfe, welche sie aussprach, gingen ihn mit an und nahmen ihm alle Freudigkeit.

Was weinst Du denn, sagte die Mutter, nachdem Du so lange gelacht hast, daß man denken mußte, es wäre Dir Wunder wie lustig und froh zu Sinne bei Allem, was er sagte.

Was ich weine, Mutter? antwortete sie. Es ist eben nichts, kömmt mir nur etwas naß in die Augen. Aber ist es denn nicht zum Weinen, daß man das anhören muß; daß er es wagen darf, so frech und unverschämt zu sein, weil ich ein armes Mädchen bin? Würde er sich unterstanden haben, es Einer zu sagen, die zu den Besseren gehört, das heißt zu den Reicheren? Mir konnte er es bieten, ich mußte es dulden!

Du hättest es ihm in anderer Art heimgeben können, meinte die alte Frau, aber nicht ihn auslachen.

Lächerlich machen, Scherz daraus machen, das war Alles, was ich thun konnte, denn ich bin ja arm, und habe zu fürchten! Nicht allein für mich – 68 ist ein roher, böser Mensch, um feinen Preis möchte ich in seiner Nähe sein – ich dachte auch an Heinrich, dem er schaden kann. Und er wird ihm schaden, ich weiß es gewiß. Er sah so tückisch aus, er wird ihm ganz gewiß schaden, so viel er kann, und ich vermag's doch nicht zu ändern, obwohl ich es gern vermeiden wollte.

Sie faltete ihre Hände und blickte still vor sich hin. Es entstand ein Schweigen in dem kleinen Zimmer, der Lauscher draußen faltete seine Hände auch und drückte sie an seine Stirn.

Ich weiß nicht, was es noch werden soll, sagte die alte Frau endlich seufzend. Es ist doch nicht erlogen, daß es immer schlechter mit ihm geht, und was hat er denn für Aussichten, daß es besser werden kann?

Der Meister zitterte. Sie meinte ihn, sie sprach gegen ihn.

So frank wie er ist, kann er noch lange bleiben, fuhr die Mutter fort, Arbeit hat er nicht mehr, zugesetzt ist alles, Schulden sind auch da. Du mein Gott! es darf sich Reiner unglücklich machen, wenn er so sein Elend vor Augen sieht.

Oh – o seufzte Silbermann leise. Wie hatte er oft freudig daran gedacht und sich gelobt, den Lebensabend der alten Frau so friedlich zu gestalten, wie er es immer vermochte. Mit welcher Gläubigkeit hatte er ihr angehangen; jetzt sprach sie gegen ihn, suchte Dorothe von ihm zu wenden, und es war doch keine Lüge, was sie sagte, er konnte es sich selbst nicht verbergen.

Du kannst nicht daran denken, sprach die Mutter inzwischen weiter, daß ihr jemals in Ehren zusammen geht; denn auf einen grünen Zweig kommt er nicht, und ein Mädchen muß sich nicht an einen Mann hängen, der sie in Noth und Kummer bringt. Es ist manche schon so untergegangen und hat es bitterlich bereut.

Mutter, sagte Dorothe, indem sie die Hände von ihrem Gesicht zog, sprich nicht so, es hilft doch nichts. Wenn Heinrich krank ist, so hat es Gott ihm geschickt, und es muß getragen werden. Wer kann ihm etwas Schlechtes nachsagen? Ich weiß keinen, der besser wäre, und möchte auch keinen. Wenn ich ihn verlassen wollte, so müßte eine Strafe über mich kommen, ich hätte es verdient. Wenn es nicht sein soll, so soll's nicht sein, ich werde es auch aushalten. Aber von ihm lassen will ich nicht und kann ich nicht, und sage nichts mehr, denn mag's Glück oder Unglück sein, es geht nicht anders.

Die Mutter antwortete nur mit einem Seufzer darauf, und Dorothe nahm ihre Arbeit, rückte die Lampe dicht vor sich hin und fing wieder an zu nähen.

Die Augen des armen Meisters leuchteten hell auf vor Freude in der Finsterniß, vor Liebe und vor Weh, und zwischen seinen feuchten Wimpern zitterte das Bild seiner treuen Freundin, die er mit sehnsüchtigem Entzücken anschaute. Er hätte die Thür aufreißen und vor ihr niederfallen mögen, aber er dachte an die Mutter, und es sollte Niemand wissen, was er gehört und gesehen. Leise schlich er fort, und eben schlug es Zehn. Unbemerkt entkam er aus dem Hause.



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