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3.

Am andern Tage wurde der Rock fertig und zur guten Zeit machte sich der Meister auf, und brachte ihn seinem Eigenthümer. Es war ein schwerer, trübseliger Gang. Silbermann schritt wie mit Bleigewichten an den Beinen die Straße hinauf und blieb endlich zögernd vor dem stattlichen Hause stehen, das dem reichen Herrn gehörte, und dessen bestes Stockwerk er selbst bewohnte.

Wenn ich nur erst wieder hier unten stände, flüsterte er sich zu; möchte mir auch geschehen, was da wollte, wenn ich nur wieder an der Luft wäre! Noch langsamer stieg er die Stufen hinauf, und dreimal streckte er die Hand nach der Klingel aus, ehe er einen leisen Zug that.

Er hatte gehorcht, ob sich drinnen etwas regte, und jetzt wünschte er aus Herzensgrunde, daß es Niemand gehört haben möchte, oder daß Niemand zu Haus sei, und er wieder kommen müßte. Aber nach einigen Augenblicken bellte ein Hund und ein Geräusch entstand. Eine Stimme ließ sich hören, dann schnappte das Drückerschloß auf und ein Kopf mit einer weißen Haube erschien in dem Spalt.

Alle Angst des Meisters drängte sich in ein demüthiges Lächeln zusammen, als er diesen Kopf erblickte, der ihm sehr wohl bekannt war, denn er gehörte der Haushalterin Johanne. Es war ein großer, starker, kräftiger Kopf, und damit in Verbindung stand ein dazu passender Körper; auch sah das Ganze gar nicht so übel aus, denn die Haushälterin hatte Toilette gemacht und lächelte mit besonderer Freundlichkeit auf den bittenden, zaghaften Mann herunter. Man konnte es diesem aber nicht verdenken, wenn er sich fürchtete, auch war sein Einwand, daß die Braut ihm etwas zu dick sei, kein lästerlich erfundener; um ein bedeutendes Stück überragte sie ihn, und eine schöne Fleischfülle hatte sich nach allen Seiten hin angesetzt. Die feste, große Gestalt wurde jedoch nicht dadurch in ihren Bewegungen beeinträchtigt, und ihren Augen fehlte so wenig ein energischer Glanz, wie ihren Gesichtszügen ein kühner und bestimmter Ausdruck.

Kommen Sie nur herein, Herr Silbermann, sagte sie, nachdem sie dem bellenden Hund einen sanften Fußtritt versetzt hatte, der Herr wird gleich erscheinen; es ist ein Besuch bei ihm, der erst fort muß. Legen Sie ab und setzen Sie sich. Was haben Sie denn da?

Einen Rock für den Herrn, antwortete der Schneider.

Je älter er wird, je jünger will er sich machen, lachte sie. Nichts ist ihm mehr jung genug.

Silbermann warf einen scheuen Blick auf die Moralistin. Sie war auch nicht mehr jung und doch aufgeputzt wie von zwanzig Jahren. Ein kokettes Jäckchen mit schrecklich weiten Aermeln, ein röthliches Palmenkleid und ein Häubchen mit rosigen Bändern fielen ihm zunächst in die Augen. Dazu sah der Schnurrbart auf ihrer Lippe sonderbar bedenklich aus. Er besonders bewirkte, daß Silbermann schnell die Augen niederschlug und den Gedanken aus seinem Kopf zu reißen suchte, daß der Aufruf: Nichts ist ihm mehr jung genug, eigentlich ein vertrauliches Geständniß enthielte, daß sie selbst ihm nicht mehr jung genug sei.

Wir werden bei alledem doch immer älter, antwortete er lächelnd, fast ohne zu wissen was er sagte.

Es ist wenigstens noch keiner jünger geworden, fiel sie ein, aber die Jugend macht es nicht aus, die Jüngsten sind oft die Schwächsten, und obenein meist die Dümmsten. Arbeiten wollen Sie nicht, aber Staat machen, nach Vergnügen laufen. Gott bewahre jeden Mann vor solcher Puppe, die er in einen Glaskasten setzen kann. Von Ordnung halten und sparen ist da nicht die Rede. Das ist ein Wort, das sie gar nicht verstehen, und darum geht es auch darnach. Sie laufen zusammen und laufen auseinander.

Es ist richtig, so ist es! sagte Silbermann in seiner Noth; es liegt aber meist an den Männern, die zu leichtsinnig sind, Fräulein Johanne.

An den Männern? antwortete sie, indem sie den Arm in die Seite stemmte und eigenthümlich energisch lachte. Wenn eine Frau ordentlich auf dem Platz ist, so wird sie ihren leichtsinnigen Mann schon curiren. Ich sage Ihnen, Herr Silbermann, sie curirt ihn, wenn es eine richtige Frau ist.

Ja, ich – ich glaube es! rief der arme Meister erschrocken, und wahrscheinlich wurde er bei diesen gestotterten Worten noch blasser, als er war, denn sie fragte im milderen Tone:

Sie sind wohl noch immer frank, Herr Silbermann?

Es geht schon wieder, ich danke Ihnen, versetzte er, noch immer verwirrt von seinen geheimen Sorgen. Dreizehn Wochen hat es gedauert, Fräulein Johanne.

Sie haben es sich selbst zugezogen, erwiederte sie tadelnd, ich habe davon gehört. Es ist auch ein Leichtsinn, der nicht wieder passiren darf. Was haben Sie denn jetzt vor?

Was ich vorhabe? fragte er. Was soll ich denn vorhaben?

Wenn man so lange krank gewesen ist, muß man um so fleißiger nachholen, was man versäumt hat, fiel sie ein. Wie viele Gesellen haben Sie denn?

Ach! bestes Fräulein Johanne, sagte er kläglich, meine Krankheit hat Alles ins Stocken gebracht. Ich habe nichts als meine zwei Hände.

Das ist ja schrecklich! rief sie mit einem verächtlich strengen Blicke auf ihn, wenn Sie so weit herunter sind. Das habe ich nicht gewußt.

Eine freudige Empfindung überkam den Meister. Es ist so, sagte er lebhafter als bisher, und seine Augen wurden heller. Ich bin ganz herunter gekommen, habe alle meine Kunden verloren, Alles zugesetzt; dabei leider auch Schulden, ich kann's nicht verschweigen, so daß es sehr schlecht mit mir steht.

Die Haushälterin blickte ihn unverwandt an, und es war, als verlöre sich der grimmige Zug um ihren Mund. Die klaren Augen, mit welchen er sie jetzt ansah, und die Lebhaftigkeit, welche sein Gesicht zu verschönern schien, mußten einen unerwartet besseren Eindruck gemacht haben. –

Sie sind ja noch jung, sagte sie.

Gerade dreißig Jahre, Fräulein Johanne. Es ist alt genug.

Zwei Jahre älter als ich, fuhr sie fort, aber das schadet nichts. Wenn man sich liebt, bleibt es sich gleich.

Eine Eiskälte lief durch seine Adern. Er nickte ihr zu und verzog den Mund dabei, als bisse er die Zähne zusammen.

Die Arbeit wird schon wiederkommen, sagte sie, davor bin ich nicht bange. Herr Werder sagt, Sie wären so geschickt, wie so leicht Keiner, und was er in solcher Beziehung sagt, darauf kann man sich verlassen.

Ich glaube es nicht, ich verstehe blutwenig, versetzte er voller Furcht, und Gott weiß, ob ich je wieder so recht gesund werde.

Dafür wollen wir schon sorgen, lächelte sie, zutraulich ihre mächtige Hand auf seine magere, knochige legend. Ihm schien es, als sänke eine ungeheure Last darauf nieder und nagelte ihm die Finger fest. Es wird sich Alles finden, nur nicht ängstlich, fügte sie dann hinzu, wenn man Geld hat, kann man sich pflegen, und wenn man nicht hungert, kann man auch tüchtig schaffen. Man muß nur nicht etwa still sitzen und warten wollen, daß die Tauben gebraten geflogen kommen. Herr Werder hat einen Plan gemacht, der mir gefällt. Den befolgen Sie, das Geld gebe ich, und er –

Ein paar Stimmen ließen sich im Vorzimmer hören, und bei deren erstem Klange zog Silbermann seine Hand mit einem Ruf zurück und sprang auf.

Da ist er! flüsterte er.

Nun ja, lachte sie, da ist er. Viel Courage haben Sie nicht, aber das schadet nichts, ich werde es schon machen. Lassen Sie ihn nur sprechen, und sagen Sie Ja, das Uebrige wird sich finden.

Also es ist abgemacht, sagte Herr Werder, die Thür öffnend, durch welche ein anderer Herr trat, dem er nach folgte.

Abgemacht und bleibt dabei! antwortete dieser. Er soll zu mir kommen, aber wie? Eh! da ist er ja schon.

Silbermann verbeugte sich furchtsam. Er kannte den Herrn nur zu gut. Es war der Tuchhändler, dem er die achtzig Thaler schuldete.

Wahrhaftig da ist er! fiel Herr Werder ein. Wir haben so eben von Ihnen gesprochen, Silbermann.

Der arme Meister verbeugte sich nochmals.

Von mir? O! sagte er ängstlich, seine Hände reibend.

Wirklich von Ihnen, und alles Gutes, erwiederte der Tuchhändler. Sie haben Glück, einen solchen Beistand zu finden, wie Herr Werder ist, der sich so Ihrer annimmt, wie er es thut. Denn ich sage Ihnen –

Hier faßte Herr Werder ihn am Arm und unterbrach seine Rede. Keinen Dank, Herr Rawald, nichts von mir und keinen Dank! rief er lächelnd, darauf gebe ich nichts. Silbermann wird zu Ihnen kommen, sobald wir hier fertig sind.

Er wäre aber kein Mensch, wenn er nicht dankbar sein wollte, fuhr der Tuchhändler fort. Sie müssen dankbar sein, Silbermann, und Sie werden dankbar sein. Wie?

Der kleine, breitschultrige Mann mit dem dicken Leib und dem dicken Kopf blickte ihn an wie einen verstockten Sünder, der bußfertig werden soll, und der Meister machte ein Gesicht, als klapperten ihm die Zähne vor Zerknirschung.

Lassen Sie ihn, lieber Freund, lassen Sie ihn, sagte Herr Werder. Ich habe ihn immer gern unterstützt.

Wohlthäter! schrie der Tuchhändler, indem er einen neuen schrecklichen Blick auf den Schneider warf. Gut, kommen Sie zu mir, Silbermann, aber Dankbarkeit, sonst – sind Sie kein Mensch! Er sah ihn noch einmal an, indem er die dicke Stirn zusammenzog, und entfernte sich mit Herrn Werder, der ihn bis an den Ausgang begleitete.

Nun, Silbermann, sagte der Gönner, als er zurückkehrte, Sie bringen mir also meinen Rock?

Der Schneider hatte einige Fassung gewonnen und antwortete höflich, daß er gekommen sei, um zu sehen, ob auch Alles gut sitze.

Das haben Sie nicht nöthig, antwortete Herr Werder herablassend und gütig. Was Sie arbeiten, das sitzt. Ich kenne Sie, Sie haben Talent, es macht es Ihnen Keiner so leicht nach. Und darum wäre es ein Jammer, wenn ein Mann wie Sie untergehen wollte. Aber Sie sollen nicht untergehen. Ich habe es mir vorgenommen, Sie sollen nicht!

Er trat zu ihm heran und faßte ihn an einem Knopf.

Um dessentwegen, fuhr er fort, habe ich soeben mit Rawald gesprochen, und nun hören Sie, Silbermann. Ein Schneider ist nichts, wenn er nicht zugleich ein Kaufmann ist, wenn er kein Magazin hat, wenn er seine Tuche nicht in Stücken und Partien und zu Fabrikpreisen kauft. Sie müssen ein Magazin eröffnen, Rawald wird Ihnen bedeutenden Credit geben, die größten Vortheile bewilligen, ich übernehme die Bürgschaft. Wollen Sie das annehmen und mein Vertrauen rechtfertigen?

Ah, gewiß – freilich wohl – Sie werden es nicht übel nehmen, hochgeehrtester Herr Werder, antwortete der Meister bittend.

Natürlich wird er es annehmen, und dann lassen Sie mich nur sorgen, Herr Werder, fiel Fräulein Johanne ein, die bis jetzt sich schweigend hinter dem Tische verhalten hatte. Ich nehme Alles auf mich.

Das können Sie, das werden Sie! rief Herr Werder. Eine solche Frau ist ein Schatz, Silbermann. An ihrer Hand werden Sie erst lernen, was leben heißt. Sie wird Sie in Ordnung halten, Alles in Ordnung halten, einen Mann aus Ihnen machen, der sich zeigen kann. – Es ist also zwischen Euch schon alles in Richtigkeit? fuhr er dann lächelnd fort. Nun, das freut mich, freut mich von ganzem Herzen. Geben Sie ihr einen Kuß, Silbermann, einen herzhaften Kuß, ich erlaube es Ihnen, und die Hochzeit ist meine Sache – ganz meine Sache!

Fräulein Johanne öffnete ihre Arme ohne alle Umstände, aber der undankbare Meister fiel nicht in diese weiche Ruhestätte; er irrte vielmehr zur Seite davon ab nach der Thür zu, als Herr Werder bei seinen letzten Worten ihm mit einem nachhelfenden Druck in den Rücken die bestimmte Richtung geben wollte. Dabei schnappte er nach seinem Hut, der auf dem Tische stand.

Was ist Ihnen denn? Sind Sie bei Sinnen?! rief der reiche Gönner.

Der Muth der Verzweiflung kam über den armen Schneider, und es stieg etwas davon in sein Gesicht und blitzte aus seinen Augen.

Es ist nichts zwischen uns abgemacht, sagte er, und ich habe Ihnen gestern aufrichtig mitgetheilt, lieber, bester Herr, wie es mit mir steht, und daß nichts daraus werden kann, so leid es mir thut, und so groß die Ehre sein würde; denn Sie wissen es ja, es geht nicht an, absolut geht es nicht an!

Was geht nicht an! fragte Fräulein Johanne im gedehnten Ton, indem sie einen Schritt näher trat.

Sie sah so grimmig böse aus, daß der Meister, weil sie auf ihn zu kam, sich instinktmäßig zurückzog. Courage! Courage! rief es ihm leise ins Ohr, und plötzlich hob er Kopf und Augen auf und, er wußte nicht wie es geschah, aber er fürchtete sich nicht mehr.

Ich will es Ihnen sagen, ließ er sich hören, denn heraus muß es doch, ich sehe es ein. Ich kann nicht die Ehre haben, Sie zu heirathen, denn ich bin schon versagt, und ändern läßt es sich nicht, also muß ich bedauern.

Was bilden Sie sich denn ein! schrie Fräulein Johanne, dunkelroth vor Zorn. Habe ich Sie denn heirathen wollen? Haben Sie ein Wort von mir gehört? So ein dünner, blasser Schneider ist mein Geschmack nicht. So ein Mensch, der nichts hat, als Schulden, muß ausgelacht werden, wenn er sich untersteht, sich in den Kopf zu setzen –

Machen Sie, daß Sie fort kommen! fiel Herr Werder ein. Sie sind ein Mensch ohne Einsehen und werden einer bleiben; werden auch zu nichts kommen.

Behalten Sie, was Sie haben, sagte Silbermann, ich beneide Sie nicht darum; aber lassen Sie mir, was mein ist.

Lump! murmelte der Rentier, indem er sich umwandte.

Immer besser als ein schlechter Kerl! antwortete der Schneider.

Er schimpft! rief die Haushälterin. Er untersteht sich und schimpft!

Wen's juckt, der kann sich kratzen, fuhr Silbermann fort, aber er kann eine halbe Million geben, oder eine ganze, es wird ihm doch nicht glücken, ein ehrlich Mädchen in Schande zu bringen. Jetzt ist's heraus, und nun lassen Sie mich in Frieden. Ich habe Niemandem ein Leid gethan und will redlich bleiben bis an mein Ende.

Damit zog er das Drückerschloß auf und ging hinaus. Fräulein Johanne fuhr hinter ihm her und schleuderte das Stück Zeug, in welches der Rock eingeschlagen war, auf die Treppe, dann kehrte sie um und sah ihren Brodherrn mit funkelnden Augen an.

So lassen Sie mich blamiren! schrie sie. Das leiden Sie! Das darf solch elender Mensch wagen!

Sei doch ruhig, mein Kind, lächelte Herr Werder, sie sanft streichelnd, der kann uns nicht beleidigen. Sei Du ganz ruhig, ich werde schon mit ihm fertig werden. Du kannst Dich darauf verlassen, er soll an uns denken; ich will ihn schon mürbe machen.

So tröstete er die beleidigte Haushälterin noch ein Weilchen, drückte ihr dann zur vermehrten Beruhigung etwas in die Hand, das seine versöhnende Macht auch alsbald bewährte und schied endlich mit der wiederholten, kräftigen Betheuerung, sie solle Genugthuung bekommen.



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