Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.

In den Gebüschen stand auf einem kleinen Platze ein offener Tempel, um dessen Säulen sich Rankengewächse wanden, die in dem gegitterten Dache zusammenliefen. Aus dem Schatten des Versteckes öffnete sich der Weg zu der Verandah, und hier auf- und niedergehend legte Petion den Arm um Melanie und flüsterte ihr seine heißen Wünsche und Hoffnungen zu.

Meine Geliebte, sagte er stillstehend und das Haus betrachtend, dessen weiße Wände im Sternenlicht schimmerten, ich bin froh und traurig zugleich. Froh, daß mit des Himmels Beistand sich die nahe Zukunft uns günstig zeigt, traurig, daß wir zu solcher Falschheit uns bequemen müssen. Hier in Nacht verborgen, gehaßt, geschmäht, stehe ich, um vor jedem Geräusch zu fürchten, und bis nach Frankreich muß ich fliehen, um vor der Menschen Augen mein Haupt zu erheben, offen sagen zu können: Ich liebe sie und sie will mein sein!

So giebt es doch noch ein Land in der Welt, wo der Fanatismus der Menschen keine Macht hat, antwortete sie tröstend.

Der Fanatismus! antwortete er, wo wäre er nicht?! Aber mag es sein, edle, schöne Melanie, mag das Schicksal über uns walten, ich will ihm nicht weichen. Ja, rief er sein Haupt aufhebend, Deine Liebe ist Ersatz für tausend brennende Wunden; Deine Liebe soll mich gläubig machen, daß die Menschen doch von Gott stammen und zu ihm zurückkehren. Mag denen vergeben sein, die durch ihre hochmüthige Grausamkeit uns irre machen! Du kehrst nach Frankreich zurück, ich folge Dir nach, wie der Pilot dem glänzenden Sterne folgt, der ihn durch das wüste Meer leitet.

Und dort, mein lieber, geliebter Freund, fiel Melanie ein, wollen wir keinen Augenblick länger falsch heißen. Sobald ich den Fuß in mein Vaterland setze, werde ich Delville meine ehrliche Erklärung machen und seine Verzeihung erbitten.

Er wird uns nie verzeihen, sagte Petion, und wahrlich ich verlange von diesem Manne nichts, als Haß und Hohn, weil ich sicher bin, dann immer auf rechtem Wege zu sein. Nur Lariviere wünsche ich zu versöhnen und bin zu jedem Schritte bereit. Sein Herz ist gut, aber es ist zu schwach, um der Kreolenweisheit zu widerstehen. Ich zähle auf Deiner Schwester Beistand, auf ihren Einfluß und auf Frankreichs Luft. Meine Freunde in Paris werden nicht müßig sein. O! wären wir erst dort, geliebte Melanie! In dem Augenblick, wo ich scheiden will, überfällt mich eine trostlose Bangigkeit. Es ist mir, als dürfte ich nicht gehen, als dürfte ich Deine Hand nicht loslassen, als wäre es am besten ich schlösse Dich in meine Arme und flöhe in die Berge. – Ha, Lariviere!

Mit diesem leisen Ausrufe blieb er unbeweglich stehen und sah den Pflanzer aus der Thür auf die Verandah treten. Er erkannte ihn deutlich, sah in Simons Hand ein Gewehr, und wie dieser die Stufen herabsprang, rief Melanie, ihn gewaltsam in das Gebüsch drängend: Flieh, Alexander! Ich halte ihn auf. Entfliehe!

Dazu ist es zu spät! erwiderte Petion; ich will ihm Rede stehen.

Bist Du es? sagte Lariviere, dem das Fräulein von Aubrisson entgegen ging, und wo ist er? Wo hast Du ihn versteckt? Wo ist Petion!

Hier, antwortete dieser, indem er unter den Büschen vortrat.

Schurke! schrie Lariviere in ausbrechender Wuth, was wagst Du?!

Ich bin kein Schurke, sagte Petion und wage nichts, was ich nicht wagen dürfte. Richte Deine Waffe gegen mich und morde einen Wehrlosen, wenn Du glaubst eine solche That mit Deiner Ehre vereinbaren zu können.

Halt ein, Simon! rief Melanie, indem sie zugleich den Lauf des Doppelgewehrs faßte, das ihr Schwager auf Petion hielt. Ich habe es ihm geboten; auf meinen Wunsch ist er hierher gekommen.

Du – Du! murmelte Lariviere, Du kannst Dich so erniedrigen und schämst Dich nicht es zu sagen?

Wovor? erwiderte sie stolz. Vor dem Bekenntniß, daß ich ihn liebe? Nein, Lariviere! Er steht so hoch und Du selbst hast seinen edlen Sinn, seine Sitten, seine Talente so viel gerühmt, daß Dein Gedächtniß sehr kurz sein muß, wenn Du es läugnen wolltest. Von jenem Tage an, wo er in seinem eigenen Hause, vom brutalsten Hochmuthe überfallen, seine Würde und Ehre zu behaupten wußte, gewann er auch mein Herz. Dann sahen wir uns wieder und in seinen Blicken las ich Alles, was er mir nicht sagen konnte. Als er dies that, bedurfte es keiner Worte mehr.

Und Du betrogst dafür mit schmeichelhaften Lügen den Mann, der Dir Namen und Ehren bot, schrie Lariviere.

Er betrog sich selbst, oder ihr betrogt ihn, eure Selbstsucht, eure Barbarei, antwortete Melanie. Wenn ich meinen Gefühlen gefolgt wäre, hätte ich dem Herrn von Delville gesagt, ich danke für alle Ihre Ehren. Petion war es, der mir vorstellte, daß ich dies Deinetwegen, meiner Schwester wegen, und die unseligen Verhältnisse dieser Insel bedenkend, nicht dürfe. Hätte er mir gesagt, fliehe mit mir, ich würde geflohen sein. Hätte er gefordert, stehe ihnen Rede und erkläre ihnen laut, daß Du mich liebst, ich würde nicht davor gezittert haben. Ich hätte sein Loos getheilt, seine Schmach ertragen; eure Verachtung oder eure Rache hätte mich nicht schrecken sollen, weil ich ihn liebe. Ja, höre es, Simon Lariviere, weil ich ihn liebe! Statt dessen sagte er mir, das Alles ist Lariviere's wegen nicht zulässig. Entflöhst Du mit mir, so würde der Hohn dieser Kreolen auf ihn und Deine Schwester fallen; erklärtest Du ihnen, mir Deine Hand zu reichen, so würden Deine nächsten Verwandten dafür zu leiden haben. Sie würden ausgestoßen sein, oder uns abschwören und verfluchen müssen, und Gott weiß, wohin der uns menschliche Haß diese wüthende Kaste führte, Gott weiß, was wir an vielen Unglücklichen verschulden könnten; denn ein solcher Fall könnte sie bewegen, mit Feuer und Schwert über meine hülflosen Freunde herzufallen. Geh nach Frankreich zurück, ich folge Dir. Dort, im Schutz der Gesetze und der öffentlichen Meinung, laß uns mild lösen, was hier Geheimniß bleiben muß. Lariviere wird dort versöhnt werden, er wird frei seinem guten Herzen folgen können; er wird uns vergeben, wir werden uns vor ihm rechtfertigen.

Niemals soll es geschehen! rief Simon. Ich will es mit allen Mitteln hindern.

Darf ich fragen mit welchen Mitteln? fiel das Fräulein von Aubrisson ein.

Ich bin Dein nächster Verwandter, sagte er. Ich habe das Recht, mich zu widersetzen, eine unwürdige Verbindung zu hindern.

Ich bin weder eine Sklavin, noch stehe ich in einem abhängigen Verhältniß, erwiderte sie. Erhebe Deine Einsprüche, wenn wir in Frankreich sind, ich erwarte sie; oder willst Du mich aus Deinem Hause stoßen, so thue es, ich kann es nicht hindern.

Du halsstarriges Mädchen sollst nicht von der Stelle! rief Lariviere. Fort mit diesem da, und alles Unglück auf Deinen Kopf, wenn Du Dich wieder blicken läßt.

Wenn Du die Stimme des Herzens und alter Freundschaft nicht hören willst, Simon, sagte Petion, so höre auf die Stimme der Vernunft. Ich für mein Theil sorge nicht um Deine Drohungen, ich habe diese weder verdient, noch können sie mich abhalten, das Rechte zu thun. Deinen Ruf und Deine Ehre suchte ich zu bewahren, hüte Du Dich, sie nicht in Gefahr zu bringen. Ich schwöre Dir zu, daß ich Melanie's Liebe verdienen will, Du sollst Dich meiner nicht schämen. Nie habe ich eine Handlung begangen, vor der ich die Augen niederschlagen müßte; kein Mensch auf Erden kann den Finger gegen mich aufheben und wider mich zeugen. Du weißt selbst, mit welchen Widerwärtigkeiten ich zu kämpfen hatte, was ich ertragen und überwinden mußte und wie ich es überwand. Und denkst Du denn nicht an die Zukunft? so frage ich Dich jetzt noch einmal. Denkst Du nicht daran, daß in kurzer Zeit dieser kreolische Hochmuth sein Ende finden wird? Er wird enden, Lariviere; diese Nationalversammlung, die ihr herbeiwünscht, wird ihm sein Ende bereiten. Ich bin kein Prophet und will keiner sein, doch wer nur die Augen öffnet, muß sehen. Glaubt ihr, daß die Freiheit für euch allein gekommen ist? Meinet ihr, daß sie nur dazu gut sei, und noch mehr zu quälen? Ihr irrt euch, sie kommt für alle Menschen, und ich, Simon, ich werde den Tag erleben, wo ich vor Dich hintreten kann ein Freier und ein Gleicher wie Du, wo alle Würden und Ehren mir offen stehen und selbst der hochmüthigste Tyrann, dieser Delville selbst, erfreut sein wird, meine Hände mit den gelben Daumennägeln zu drücken.

Nenne den Namen nicht oder begleite ihn nicht mit einer unnützen Prahlerei, sagte Simon milder. Er ist mein Verwandter, ich bin ihm Dankbarkeit schuldig; ich kann nicht dulden, daß er so schmählich behandelt wird.

So sühne Deine Schuld, antwortete Petion, denn Du hast ihn unterstützt, übernimm jetzt die Vermittelung. Du kanntest seine Härte, sein sittenloses Leben, seine Unbarmherzigkeit und wolltest dennoch ein Wesen, das Dir werth sein muß, mit diesem gewissenlosen Manne verbinden.

Niemals soll es geschehen! rief Melanie.

Und mit Recht, sagte Petion. Schlau und falsch weiß er Jeden zu täuschen; voll gemeiner Leidenschaften, giebt es keine, die er nicht ausübte. Sein ganzes Leben ist eine Kette raffinirter Lüste, Ränke und Grausamkeiten. Frage selbst bei denen, die ihm anhängen und seine Ueppigkeit, seinen Reichthum, seinen Stolz bewundern, ob dieser echte Kreole ein Herz hat, das ihn liebt. Wie kann der auch Liebe erwerben, der nur auf Schande und Verderben sinnt! Wie kann ein menschliches Gefühl in dem Bösewicht sein, der seine eigenen Kinder, erzeugt in dem Serail seiner Sklavinnen, von den Armen ihrer Mütter reißt und verkauft.

Ich hasse, ich verabscheue ihn! fiel Melanie ein. O Simon, theurer Freund, kann Dein mildes, edles Herz noch unschlüssig sein?

Ehe Lariviere eine Antwort geben konnte, trat Delville hinter einer der buschigen Säulen des Tempels hervor, und ohne ein Wort zu sagen, feuerte er ein Pistol ab. –

Der Blitz, der Knall, der Pulverdampf und Melanie's erstickter Schrei war ein Werk des Augenblicks. Sie lag in Petion. Armen, ihr Blut strömte über sie hin und auf der Verandah stand Lätitia und ließ ein gellendes Gelächter erschallen.

Um Gottes Willen! lauf in die Pflanzung, schaff einen Arzt herbei! rief Lariviere mit furchtbarer Stimme.

Kein Arzt kann nützen, sagte Petion, sie ist todt.

Er ließ den Körper los, die Pflanzung war erwacht, Hunde bellten und Lichter erschienen. Im Nachtkleide stürzte Eugenie tobtenbleich aus dem Hause.

Entflieh, sagte Lariviere, und fort mit allen Zeugen dieser schrecklichen That. Unseliger Delville, was hast Du gethan!

Der Baron stand regungslos auf der Stelle. Petion drehte sich um und sah ihm dicht und stier ins Gesicht.

Elender! sagte er, es war kein Zufall, Du wolltest sie morden. Lebe, lebe so lange, bis Gott seinen Rächer sendet; er wird Dich finden, deß sei gewiß.

Eugenie hatte den Platz erreicht, Lariviere trat ihr mit seiner Last entgegen. Sie klammerte sich an ihn, legte ihre Hand auf Melanie's Brust und sank bewußtlos nieder.


So endete Alexander Petions erste und einzige Liebe. Melanie wurde nach zwei Tagen auf dem kleinen Kirchhofe der Gemeinde Henriquille begraben. Ein Nervenschlag sollte ihr Leben beendigt haben; der Arzt der Pflanzung stellte das nöthige Zeugniß darüber aus, und bei der heftigen politischen Aufregung auf der Insel wurde ein Vorfall bald vergessen, von dem Niemand etwas Genaues wußte und wissen wollte; denn die Familien, welche er betraf, waren so angesehen, daß die, welche die Macht besaßen, zumeist bemüht waren, jedes Gerücht unterdrücken zu helfen. –

Eine Woche später segelte eine Regierungscorvette von Port au Prince nach dem Havre und hatte an ihrem Bord die Deputation der General-Assemblée, bei der sich Lariviere und Delville befanden. Lariviere verbrachte den größten Theil seiner Zeit am Bette seiner kranken Frau, die Schiffsgenossen aber wollten bemerken, daß die beiden Verwandten sich sehr kalt behandelten und ihre bisherige Vertraulichkeit völlig verschwunden war. –

In Paris geschah es so, wie Petion vorhergesagt. Die Deputation wurde schimpflich von der Barre der Nationalversammlung gejagt und ihre Proteste mit Verachtung zurückgewiesen.

Lariviere blieb in Paris, als Delville nach St. Domingo zurückschiffte, und kam bei den Septemberscenen um. Delville wurde bei dem großen Aufstande von 1791 von seinen Sklaven ermordet; Alexander Petion starb als Präsident der Republik am 29. März 1813. Als er reich an Ehren war, als die vornehmsten weißen Herren sich an ihn drängten und seine Gunst suchten, sah man ihn zuweilen allein und gramvoll auf einem zerfallenen Stein sitzen, der ein vergessenes Grab an der Pfarrkirche von Henriquille bedeckte. Niemand aus der Menge wußte, wer darunter ruhte; der General nannte nie den Namen der Todten, wenige seiner Vertrauten kannten allein die Geschichte dieser uns glücklichen Liebe und verstanden den langen kummervollen Blick, wenn er den Kopf aufhob und über den See fort, nach dem Hügel sah, auf welchem einst die weißglänzenden Mauern des schönen Herrenhauses der Pflanzung Croix rouge sich erhoben hatten.



 << zurück