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1.

An einem der legten Märztage des Jahres 1789 landete eine französische Fregatte, die weiße Königin genannt, im Hafen von Port au Prince auf der Insel Domingo. In dieser Jahreszeit enden die Regengüsse des Winters auf den Antillen, der Sommer kommt dann schnell mit seinem ewig klaren Himmel, an welchem die Sonne wie ein verbrennender Diamant funkelt. So stand sie an jenem Tage auch über der Hauptstadt der großen französischen Kolonie und beleuchtete die weißen Häuser des Hafens und die lebensvolle Scene der Ausschiffung.

Die Fregatte hatte einen reichen Herrn am Bord, der zu den größten Grundbesitzern der Insel gehörte. Simon von Lariviere war jedoch, wie die meisten Kreolen von Geburt und Vermögen, in Frankreich erzogen worden, und hatte sich in Paris verheirathet. Seine Eltern waren todt; zuerst war sein Vater, dann vor drei Jahren seine Mutter gestorben, und jetzt kehrte er mit seiner jungen Frau, die von einer unvermählten Schwester begleitet wurde, in sein Vaterland zurück, um auf seiner Pflanzung am See Henriquille zu wohnen. –

Als die Fregatte unter der Hafenbatterie Anker warf, näherte sich ihr ein Boot, das von sechs Negern gerudert wurde, und einige Minuten darauf unarmte Lariviere einen nahen Verwandten, den Baron Delville, der von seiner Ankunft wußte und ihn zuerst empfing.

Mein theurer Delville, rief Lariviere nach den ersten Begrüßungen, seit zehn Jahren haben wir uns nicht gesehen, aber Du hast Dich nicht verändert, die Zeit hat Dir nichts anhaben können.

Der Baron lachte zu dieser Schmeichelei. Er war ein Mann, der vierzig Jahre zählen mochte, eine echt kreolische hagere, ausgedörrte Gestalt, lang von Gesicht, mit vorspringenden Backenknochen, scharfen Zügen, einer schmalen hervortretenden Nase und feurigen Augen. Sein schwarzes Haar fiel kurzabgeschnitten auf die hohe, gelbe Stirn, den Kopf trug er stolz im Nacken, denn er war Soldat gewesen, commandirte noch jetzt die Milizcompagnie von Cul de Sac, dabei war er auch Präsident des Assemblée des Westdepartements, also einer der angesehensten Männer.

Lieber Simon, sagte er, nimm meinen Dank und die Versicherung, daß ich mich vortrefflich befinde; schöner bin ich jedoch gewiß nicht geworden. Unsere Sonne preßt uns aus, bis auf Sehnen und Knochen, und wenn Du ein halbes Dutzend Jahre erst wieder unter uns gelebt hast, werden Deine frischen, runden Glieder merklich zusammengetrocknet sein. Damit aber hat es Zeit, und nun stelle mich Deiner Frau vor, um Dir zu beweisen, daß ich wenigstens in meinen Sitten mich nicht verschlechtert habe.

Frau von Lariviere kam so eben mit ihrer Schwester auf das Deck des Schiffes. Sie waren beide jung und schön; und nach einer Viertelstunde nahm das Boot des Barons die Reisenden sämmtlich auf und führte sie durch den Hafen der Stadt zu.

Ich stelle mein Haus zu Ihrem Befehle, sagte Delville, und bitte Sie, es als das Ihrige zu betrachten. Sobald die Fregatte morgen früh Ihr Gepäck nach dem Zollhause geschafft hat, wird es in Ihren Besitz kommen. Mein Rechnungsführer soll Alles pünktlich besorgen. Inzwischen ruhen Sie einige Tage aus, dann erlauben Sie mir, daß ich Sie nach Croix rouge begleiten darf. Dein alter Intendant, lieber Lariviere, der wackere, getreue Anton, hat Dein Haus, mit Hülfe der unermüdlichen Cousine Lätitia, ganz zu Deinem Empfange in Bereitschaft gesetzt.

Unter vielerlei Mittheilungen, Fragen und Belehrungen für die beiden Damen erreichten sie endlich das Ufer. Das war eine neue und unbekannte Welt, die des Wunderbaren viel enthielt. Der Blick über den Hafen hinaus auf die weite Bucht, in deren Tiefe Port au Prince liegt, war entzückend. Viele Meilen weit ließ sich die Küste südwärts verfolgen; und welch Panorama bot sie dar! Da lagen die Städte Leogane, Gonave und das terrassenförmige Marsouin auf seiner kühnen Felsenhöhe. Eine ununterbrochene Rette reicher Pflanzungen dehnte sich zwischen diesen Städten aus und in dem wechselnden Grün schimmerten Landhäuser mit flachen Dächern, winkten hohe Palmen herüber, und andere seltsam geformte Bäume stiegen schlank in die Luft.

Das Alles und die düsteren Berggewinde dahinter, deren unermeßliche Wälder sich am fernen Horizont verloren, konnte nur im Fluge angeschaut werden, weil die Neugier weit näher durch das bunte Gewühl des Hafens gereizt wurde. Ein Haufen Kauffahrer mit den Flaggen aller Nationen lag an dem Quai und in dem großen Wasserbecken zwischen den beiden alten Forts. Eine Menge kleiner Boote und Jollen, Fischerfahrzeuge und lange, schmale Schaluppen kreuzten dazwischen hin und her. Der allergrößte Theil war mit halbnackten Männern und Weibern gefüllt, welche Waaren und Menschen von den Schiffen ans Land und vom Lande an die Schiffe brachten. Ein betäubender Lärm, Gesang, Geschrei und Gelächter füllte die Luft, und diese schwarzen, braunen und gelben Gesichter in allen Schattirungen, ihre kreischenden Glückwünsche, ihre rollenden, funkelnden Augen und ihre sonderbaren, demüthigen Grüße konnten eben so gut belustigen, wie erschrecken.

Sie werden den Anblick schon gewohnt werden, sagte der Baron. Wir haben zwölf verschiedene Hautfärbungen, von dem dunkelsten Schwarz des Negers, der aus Afrika herüber gebracht wird, bis zu der Quarteronklasse, der man nur an wenigen, oft fast unmerklichen Zeichen noch ansieht, daß sie zu der Mischlingsrace der Farbigen gehört. Lassen wir das Gesindel, da ist mein Wagen. Heda! Pompejus, Schlingel, gieb Acht!

Ein junger Neger im Glanzhut mit Goldtresse, rothem, goldbesetztem Rock, grünen Schnallenhosen und weißer Binde, eilte herbei und hielt das anprallende Boot. Zur Belohnung empfing er einen Fußstoß des herausspringenden Kreolen, darauf rannte er davon und nach einer Minute stand der neue pariser Wagen an der Treppe, die Pferde, von der schönen spanischen Race der Colonie, durchflogen das Hafenquartier und hielten bald darauf in der Rue royale vor dem stattlichen Hause des gefälligen Wirthes.

Wohl ein Dutzend schwarzer Diener stürzten hier sogleich aus der Thür, um zu helfen, sich gegenseitig zu hindern, zu gaffen und sich zu bücken.

Delville aber führte die Damen in die fühlen, luftig hohen Zimmer, welche mit feinen Bastmatten belegt und mit allen möglichen Luxusmöbeln ausgestattet waren. Er bedauerte, daß die Saison vorüber und fast alle Familien, welche den Winter, d. h. die Regenzeit, in Port au Prince zuzubringen pflegten, die Stadt schon verlassen hätten, und fügte dann hinzu:

In zwei oder drei Tagen werden wir es eben so machen, denn die Sommerhitze wird bereits fühlbar und sobald dies geschieht, flieht Jeder, der es kann, diese glühenden, öden Straßen und diese Sumpfatmosphäre, die von den gefährlichsten Miasmen gefüllt ist. Die Küstenfieber von Port au Prince sind jährlich eben so schlimm, wie das gelbe Fieber, das ab und zu diese Stadt ganz besonders heimsucht. So wollen wir denn eilen, unsere schönen Freundinnen an die reizenden, gesunden Ufer des Henriquille zu versetzen.

Als die Damen sich in ihre Zimmer begeben hatten, zog der Kreole seinen Verwandten in sein Kabinet auf eines der Seidenpolster; ein Sklave reichte ihm die Havannahcigarren und das Licht, dann wurde der Diener fortgeschickt und Delville sagte:

Nun erzähle, Simon, laß mich hören, ob Du zufrieden und glücklich bist.

Glücklich, wie es ein Mensch sein kann, erwiderte Lariviere, der aus inniger Neigung sich vor drei Monaten verheirathet hat und vier Wochen darauf mit einer bis zur Anbetung geliebten Frau ein enges Schiff bestieg, das ein Beisammensein zu jeder Stunde nöthig macht.

Das kann leicht zum Ueberdruß führen, lachte Delville. Wer will alle Lage Rebhühner essen!

Weder die Entschuldigung des galanten Königs Heinrich, noch die kreolische Leichtfertigkeit werden mich anstecken, erwiderte Simon. Ich liebe meine Eugenie, ich werde sie immer lieben; und wenn Du sie kennen lernst, ihre Güte, ihre Sanftmuth, ihre zahllosen edlen Eigenschaften, wirst Du mein Glück preisen.

Ich thue es schon jetzt, sagte Delville, und wünsche Dir, daß es immer so bleibt. Unsere Damen sind freilich mit Deinen Entschlüssen wenig zufrieden, aber was thut das! Eine kann man nur heirathen und eben deswegen habe ich bis jetzt keine genommen, weil ich die Qualitäten nirgend vereinigt fand, die mir nöthig schienen. Du hast den Phönix entdeckt, wenn ihm auch die goldenen Eier fehlen, denn Vermögen – wie steht es damit?

Der Vater Eugeniens, der alte Chevalier d'Aubrisson, sagte Simon lächelnd, hat nichts hinterlassen, als sein Ludwigskreuz und seine beiden Töchter.

Und Du hast die ganze Erbschaft genommen, unersättlicher Simon, rief Delville lachend, aber Du hast Recht gethan. Die schöne Melanie ist die edle Eugenie vom Braunen ins Blonde übersetzt. Die dunkelblauen Augen Deiner Frau sind schmachtender, wie die lichten lebhaften ihrer reizenden Schwester; Sanftmuth verbindet sich dort mit der Lust zur Neckerei, Schüchternheit mit der Lust Urtheile abzugeben, und Grazie mit dem Bewußtsein sie geltend zu machen.

Komm nur recht oft nach Croix rouge, sagte Simon, Du wirst noch andere Vergleiche auffinden, Eugenie spielt meisterhaft den Flügel und Melanie singt zum Entzücken. Wir wollen frohe Tage verleben.

Gut, erwiderte der Kreole, es soll an meinen Besuchen nicht fehlen. Aber warum hast Du Frankreich so schnell verlassen?

Es wurde mir unheimlich dort, antwortete Simon. Der Boden ist unterhöhlt, alle Leidenschaften sind entfesselt, alle gesellschaftlichen Kreise zerstört, und gegen die Kreolen herrscht eine solche Erbitterung, daß der Name hinreicht, um öffentlich beleidigt zu werden.

Die elenden Narren! rief Delville, sie hetzen uns die gelbe Race auf den Hals, statt uns die Hände zu reichen. Der Abbé Gregoire hält ihnen Vorlesungen und die pariser Freiheitshelden klatschen Beifall und fordern Gleichheit und Menschenrechte für diese farbigen Affen mit Menschengestalt. Dazu haben sie es den englischen Schwindlern nachgemacht, haben eine Gesellschaft Negerfreunde gestiftet! – Er lachte wild auf. – Wenn wir ein Paar von diesen Burschen hierher bekommen könnten, sie sollten belohnt werden!

Lariviere schwieg anfänglich, denn er dachte anders wie sein Vetter.

Man muß doch zugeben, sagte er dann schüchtern widersprechend, daß es auch unter den Farbigen manche gebildete Männer giebt. Ich selbst habe einige kennen gelernt –

O! unterbrach ihn Delville heftig, lernen kann auch ein Sklave Mancherlei, Vermögen kann er auch sammeln, wenn ihm dazu Gelegenheit wird, wie diesen Gelben, denen man es gestattet hat; aber alles das giebt ihnen kein Recht, Gleichheit von uns zu verlangen. – Du wirst in der Kolonie viel Aufregung finden, Lariviere, eben dieser verdammten Farbigen und des Unsinns wegen, der in Frankreich sich ihrer Sache annimmt. Sie sollen es aber nicht zu weit mit uns treiben, wenn sie klug sind. Amerika hat sich auch von England losgerissen, als man ihm Gerechtigkeit versagte. Wir lieben die Freiheit, wir verabscheuen die Tyrannei der Gouverneure und ihrer Beamten, die im Namen des Königs uns ausplündern und die Herren spielen. Die neuen Ideen von den Rechten des Volkes sind wohlbegründet. Die Nationalversammlung muß kommen und die Verfassung machen; hier auf der Insel muß die General Assemblée regieren und der Gouverneur ihr gehorchen. Wir wissen am besten was uns gut thut, wenn man uns aber das Gesindel, die Farbigen, und endlich wohl gar unsere Sklaven an die Seite setzen will, so wollen wir lieber zollweis unser Leben verlieren, oder die ganze Brut in Stücke hauen, ehe wir uns so schmachvoll demüthigen lassen. Doch da kommen die Damen zurück, sagte er aufstehend; still davon, Du wirst noch genug zu hören bekommen.

Sie gingen in den Salon zurück und der reizbare Kreole war plötzlich wieder ein höflicher, liebenswürdiger Wirth geworden, der die Damen aufs Beste unterhielt und sie an seine reich besetzte Tafel führte, die mit allen feinen Leckereien der Insel prangte. Als die Limonienbowle und die köstlichsten Früchte der Antillen aufgetragen wurden, trat hinter jeden Stuhl auch ein Sklave mit breitem Pfauenwedel, um den erhitzten Gästen die nöthige Kühlung zuzufächeln.



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