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2.

Drei Tage währte der Aufenthalt in Port au Prince, dann, als die Koffer und Geräthe der Reisenden auf einem Wagen nach dem See geschafft waren, brach die Gesellschaft am nächsten Morgen auf. Herr von Delville hatte alle nöthigen Einrichtungen getroffen. Ein Paar schöne Bergpferde, die in dem Thale von Boja am trefflichsten gezogen wurden, waren für die Damen bestimmt, die großen Rose von St. Juan schickten sich besser für die beiden stattlichen Herren und auf vier Kleppern folgten eben so viele schwarze Diener, welche mit Mänteln, Schirmen, Proviantsäckchen und was sonst nothwendig, beladen waren.

Es war noch dunkel, als Delville die große Glocke des Hauses läuten ließ, die alle Schläfer aus den Betten brachte. Licht brannte in dem Salon, wo das Frühstück bereit stand, durch die halbgeklappten Jalousien erkannte man noch die funkelnden Laternen des Leuchtthurmes im Hafen und sah in die bleichen Dünste, welche über die Meeresbucht trieben. Bald war die ganze Gesellschaft beisammen und Delville verschwendete seine ganze Liebenswürdigkeit, um sich in der Huld der Damen zu befestigen, die er schon im reichsten Maße verdient und erworben hatte.

Er bat diese frühe Störung zu entschuldigen und scherzte über feine Grausamkeit, mit der schrillenden Glocke so zarten Schönen den Schlaf zu vertreiben; aber, fügte er hinzu, ich hoffe, Sie werden mir vergeben, ehe wir einige Stunden älter geworden sind. Die feuchte Savanne von Port au Prince wimmelt, sobald die Sonne heraufkommt, von Muskitoschwärmen und nirgend ist die Tageshitze drückender, als in diesem Sumpfbecken. Brechen wir mit dem ersten Grauen auf, so sind wir in den Bergen, ehe es heiß wird, haben den fühlen Seewind von Leogane her mit uns, auch Schatten von Tamarinden, Cypressen und Bananen. Statt in dem röthlichen Staub der Landstraßen halb zu verschmachten, bleiben wir dann in den reizenden Thälern, die jetzt nach dem Henriquille hinabstreifen, und dies eben ist der Vorzug unserer Reise zu Pferde. Meine schönen Freundinnen werden zugleich einige der prächtigsten Fernsichten und Landschaften unserer Insel sehen und, wie ich hoffe, mir ein wenig dankbar dafür zu sein.

Sie sorgen dafür, Herr von Delville, erwiderte Eugenie, daß diese Dankbarkeit niemals enden darf.

Und was sagt Fräulein Melanie? fragte der Kreole, indem er seine feurigen Augen auf die junge Dame heftete.

Ich sage, erwiderte diese, daß ich meinen Dank aufspare, bis der Tag vorüber ist, daß ich,aber immer bereit bin eine romantische Partie in diese Zauberinsel zu machen.

Delville fand diese Antwort herausfordernd und allerliebst. Nun, mein schönes romantisches Fräulein aus Paris, rief er lachend, wenn es darauf ankommt, Ihnen die volle malerische Wildheit dieses Landes zu zeigen, so müssen wir einen kleinen Jagdzug in die Einöden der Cibao-Mornen machen, wo der Stier noch haust und in den seltsam schauerlich zerklüfteten Felsen sich Tigerkatzen und die großen Affen umhertreiben, die man sonst nirgend mehr findet.

Wo nichts Besseres zu finden ist als Stiere und Affen, mag ich nicht sein, antwortete Melanie.

Zuweilen giebt es dort auch noch andere Geschöpfe, fuhr Delville fort, aber ich weiß nicht, ob Sie diese besser finden, oder den Affen vorziehen werden. Wenn uns Sklaven entlaufen, so suchen sie, wenn irgend möglich, in die Cibao-Wildnisse zu entkommen, denn dort soll es Thäler geben, die noch nie ein weißer Fuß betreten hat.

Ich ziehe es vor, sagte Melanie, einen Salon zu bewohnen, den recht viele und recht schnelle weiße Füße betreten.

Hörst Du wohl, Lariviere, lachte Delville, das geht auf Dich. Fräulein Melanie befiehlt Dir, sogleich einen Ball zu geben und ihn so oft wie möglich zu wiederholen.

Zu Pferde! zu Pferde! rief Simon. Ich sehe das Meer, so hell ist es schon. Laßt uns rasch hinaus, wir haben Zeit genug, das Weitere draußen zu überlegen.

Nach einer Viertelstunde eilte der Zug die stille Rue royale hinab und bald war er außerhalb der Linien. Der Tag brach eben an und zu beiden Seiten des morastigen Flüßchens, das durch diese Ebene zieht und weite Lachen ausbreitet, ballten sich weißliche Dünste, die einen Modergeruch aushauchten.

Hier ist das echte Küsten- und Sumpffieber zu Haus, sagte Delville, und kaum geht ein Jahr vorüber, wo es nicht gewaltig aufräumt. Machen wir, daß wir auf höhern Boden kommen.

Es ist sehr fruchtbarer Boden, fiel Lariviere ein.

Ausgezeichnet für Zuckerplantagen, die vortrefflich gedeihen, erwiderte sein Verwandter. Allein wer will diese pestialischen Miasmen Die (irrige) Lehre von den Miasmen, dass nämlich giftige Ausdünstungen des Bodens für Seuchen verantwortlich seien (nicht Viren bzw. Bakterien), war noch bis circa 1860 weit verbreitet, bis Robert Koch mit Bernhard Fischer und Georg Gaffky den Zusammenhang zwischen Bakterium und Krankheit überzeugend nachwies. ertragen? Wenige weiße Familien von wirklich gutem Blut wohnen hier, das meiste ist in den Händen der Mischlingsrace, die am besten in den Sümpfen ausdauert, sich aber anzustellen sucht, als gehöre sie zu uns, und sehr froh ist, wenn wir über ihre Abstammung schweigen, was freilich jetzt nicht immer geschieht, da sie alle Tage frecher wird, und sogar in die Assembleen sich einzuschleichen sucht.

Damit wurde das Gespräch unterbrochen, denn Delville trieb sein Roß an und für die jungen feurigen Zelter der Damen war dies genug, um im Galopp zu folgen. –

Wohl eine Stunde eilte der Zug mit kurzen Unterbrechungen in derselben Richtung weiter, dann begannen wellige Erhebungen des Bodens, eine Reihe niederer Hügel, hinter denen immer höhere auftauchten, und während die Gesellschaft auf Wegen, die immer schmaler wurden, daran aufstieg, trat die Sonne mit wunderbarer Schnelle hoch an den wolkenlosen Himmel und beleuchtete mit ihren heißen Strahlen die Ebene und das ferne Port au Prince.

Die Reiter hielten einige Minuten an und blickten zurück. Der Anblick war anziehend genug. Das ganze Cul de Sac schimmerte von Häusern, Fabrikanstalten und Plantagen. Da lagen sie gruppenweis beisammen, dort mehr zerstreut, große Gerbereien, dampfende Ziegelöfen an den Schlangenwindungen des Flusses, vermischt mit Indigoplantagen, welche den fetten schwarzen Boden brauchen. Die kurzen Sträuche, dicht und üppig aufwachsend, waren im ersten Blühen begriffen und schimmerten mit unabsehbaren Feldern voll gelbrother Blumenknospen wundervoll herauf. Dann schlossen sich, über die ganze Ebene hin, Zuckerplantagen der verschiedensten Art und Größe an und weil eben jetzt die Zeit war, wo die jungen Pflanzen aufsprießen, erfordert es viele Arbeit der Neger, um die Bewässerung künstlich zu beschaffen, die Erde zu lockern und die Wasserrinnen aufzureißen. Die Felder waren daher mit Menschen gefüllt, die in ihren hellfarbigen und streifigen Baumwollenjacken und Strohhüten in langen Reihen arbeiteten, während die Aufseher hin und her gingen.

Der Wind führte den Schall ihrer Gesänge herauf, und Eugenie horchte lächelnd darauf hin und sagte dann:

Es muß keine leichte Arbeit sein, so gebückt zu graben; um so mehr freut es mich, daß es so heiteren Sinnes geschieht.

Delville lachte.

Wenn Sie nicht singen müßten, rief er aus, sie würden es schwerlich thun. Doch das wissen Sie nicht, meine schöne Cousine. Diese Schwarzen haben einen tiefen Hang zur Schwermuth, namentlich die Afrikaner, und sterben daran, wenn man sie nicht etwas gewaltsam zu erheitern sucht. Dabei würden sie auch am liebsten vom Morgen bis Abend im Schatten irgend eines kühlen Busches liegen und nur so viel arbeiten, daß sie nicht verhungerten, wenn es in ihrem Belieben stände.

Dagegen ließe sich nichts einwenden, sagte Melanie.

Wenn wir nichts einzuwenden hätten, möchten sie Recht haben, fuhr der Pflanzer fort, aber unglücklicher Weise sind wir durchaus nicht damit einverstanden und besitzen einige kräftige Mittel, sie zum Fleiß und zum Gehorsam anzuhalten. Sehen Sie da hinab, dort wird so eben eines derselben angewandt.

Die erschrockenen Damen sahen deutlich, daß in der nächsten Pflanzung einer der Aufseher mit seiner Peitsche den Rücken eines Negers bearbeitete und ihn mit einem Fußstoße zu Boden warf.

O, mein Gott! wie grausam ist das! rief die junge Frau.

Nicht doch, fiel Delville ein, dergleichen ist nöthig und heilsam. Denken Sie nur, daß es unmöglich wäre, diese halb thierische Masse in Ordnung zu halten, und nun blicken Sie auf diese reiche Ebene, die bis an die Berge hinauf mit Zucker-, Indigo- und Cacaopflanzungen bedeckt ist, und fragen Sie sich dann, wie es wohl anders möglich sein möchte in diesem Klima, unter diesem erschöpfenden Himmel so reichen Anbau hervorzubringen, wenn die strenge Zucht und unablässige Furcht vor der Peitsche nicht wäre.

Ihr weiches Herz und Ihre europäische Gewohnheit, setzte er lächelnd hinzu, als sie weiter ritten, erschreckt vor unserer Grausamkeit, wie die Narren in Paris es nennen; betrachten Sie unser Leben in der Nähe, so wird Ihr verständiger Sinn Ihnen bald Alles in anderem Lichte zeigen. Ich habe mehr als eine junge Dame gekannt, die so zartfühlend hierher kam, daß sie keinen Musquito beleidigen mochte, aber nach einigen Monaten ließ sie ihre nachlässigen Negermädchen peitschen, weil sie sich überzeugt hatte, daß bei dieser Race die Peitsche das einzige Mittel ist, immer folgsame Diener zu haben.

Die Peitsche ist allerdings ein treffliches Mittel, getreue Unterthanen zu machen und Civilisation zu verbreiten, sagte Melanie spottend, an welche der Pflanzer sich gewandt hatte.

Sie werden noch weit grausamer sein, schönes Fräulein, ich will einen Eid leisten! rief Delville belustigt. Aber im Ernst gesprochen, Sie werden bald finden, daß wir mit wenigen Ausnahmen weit besser sind, wie unser Ruf. Es giebt freilich einzelne Plantagenbesitzer, die fürchterliche und barbarische Herren sind, doch man verachtet sie, und ohne alles Recht sind auch die Sklaven nicht, denn es giebt ein Gesetzbuch, den Code noir, der sie schützt.

Niemand beachtet diesen berühmten Code noir, sagte Lariviere.

Das ist wahr, erwiderte Delville, doch wie die Gerichtshöfe sind, verlangt der Sklave, wenn er ein Verbrechen begangen, sich gegen den Aufseher oder gegen seinen Herrn widersetzt hat, gewiß auch nicht, von dem Gericht bestraft zu werden, denn die Gesetze sind drakonisch. Er wird wenigstens halbtodt gepeitscht, Monate lang in einen Kerker geworden, oder die Hand wird ihm abgehauen, oder er wird. gehängt oder gar gerädert.

Entsetzlich! riefen die Damen schaudernd.

Beruhige Dich, erwiderte Simon, es kommt selten dazu. Wenn es irgend sein kann, d. h. wenn nicht ein Mord vorgefallen ist, ruft man die Gerichte nicht um Hülfe oder Rache an.

Nein, sagte Delville, wir hüten uns davor, und mit allem Recht. Denn wenn der Gerichtshof uns den Sklaven zu Schanden schlagen läßt, ihn Monate lang einsperrt, ihm die Ohren abschneidet, oder gar aufzuhängen befiehlt, so haben wir den Schaden davon. Brauchbare Arbeiter sind theuer. Wir lassen es daher fast immer bei einer häuslichen Züchtigung, das heißt bei einer derben Tracht Prügel bewenden, die in allen Fällen so viel Maß behält, daß die Arbeit nicht leidet; im Uebrigen kann eine afrikanische Haut etwas vertragen. Tüchtig gegerbt, wird sie geschmeidig; ohne die nöthigen Schläge bleibt sie hart, wie Elephantenhaut.

Doch mit welchen schrecklichen Blicken sehen Sie mich denn an? rief er laut lachend; als ob ich ein Ungeheuer wäre. Ich versichere Sie, meine Damen, alle meine Sklaven lieben mich zärtlich, obwohl ich sie streng halte und keinen Fehler durchgehen lasse; eben weil sie wissen, daß ich der Massa bin, eine Art Gott in ihren Augen, weil ich göttliche unbeschränkte Gewalt habe. Hätte ich diese nicht, so würden sie keinen Schritt thun und mich auslachen. Jedes Land, meine schönen Freundinnen, muß in seiner Weise regiert werden. Wie ist es denn in vielen europäischen Ländern, wo der Bauer vom Gutsherrn nach Herzenslust geprügelt, gequält und geschunden wird, wo er die Knute bekommt und die Hände dafür küßt? Und das sind weiße Sklaven, während hier kein Weißer berührt werden darf und unsere Wollköpfe in ihren Hütten, wenn sie sonst verständig und folgsam sind, es viel besser haben, wie die Bauern in der Picardie oder Dauphinée bei ihrem gestrengen Seigneur.

Was aber wird die Folge davon sein, und zwar in sehr kurzer Zeit? sagte Lariviere vor sich hinsprechend.

Ah! Du gehörst auch zu den Geistersehern, rief der Pflanzer. Doch geschehe was da wolle, wir werden auf unserer Hut sein. Von unseren getreuen, zum Gehorsam geborenen und gezogenen Negern haben wir nichts zu besorgen, die denken nicht und empfinden nicht. Eine tüchtige Schüssel Cuscu ist ihnen lieber, als alles Geschwätz von Freiheit und Gleichheit. Unsere Ruhestörer und Feinde sind die Farbigen, und diese hetzen uns jetzt die höllischen, philanthropischen Schufte in London und Paris auf den Hals. Es ist merkwürdig, daß der Mensch, der die ersten Negersklaven auf diese Insel brachte, ein Engländer war und daß es jetzt wieder ein Engländer ist, der an der Spitze der Schreier steht, die alle Sklaverei abschaffen wollen. Nun laßt sie nur schreien, lachte er, sie werden heiser werden; aber Du mußt in der nächsten Assemblée Deinen Sitz einnehmen, Lariviere.

Während dessen befanden sich die Reiter mitten in den Hügeln, die zu ihrer Rechten immer höher aufstiegen und mächtige Bergwälder auf ihrem Rücken trugen, über welche in der Ferne scharfkantige, röthliche Felsen aufragten. Zur Linken wurde der Höhenzug flacher und lief in die Ebene hinaus. Alle diese Vorberge waren längst abgeholzt und hatten Cacao- und Kaffeepflanzungen Platz gemacht, die mit herrlichen grünen Stämmen und Büschen große Räume einnahmen. In der Mitte solcher Pflanzungen lagen die Häuser der Herren mit ihren flachen Dächern und dicht geschlossenen Jalousieen, umringt von Granaten, Limonien, Fächerpalmen und Blumen von feurigen Farben. Dann und wann blickten die Reisenden auch in große Fruchtgärten, in welchen alle die saftigen, süßen und wunderbaren Gewächse des Südens in üppigster Fülle wuchsen; oder auf einem und dem anderen schönen Punkte stand ein weiß schimmerndes Landhaus, das einem der reichen Kaufleute in Port au Prince gehören mochte, der die heißen Monate hier verträumte und von seiner Verandah in ein zauberisches kleines Thal hinuntersah, das zwischen Hügeln voll Pflaumenpalmen lag. Mit dem schon halbvertrockneten Bad und dem kleinen Teich in der Mitte war es parkartig für den reichen Mann umgeschaffen, und seine Gärtner und Sklaven arbeiteten in der Sonnenglut, während er auf den kühlen Matten lag und ohne aufzustehen einen forschenden Blick auf die fernab ziehende Cavalcade that.

Mehre Stunden lang ging der Zug so fort, und so lange der Seewind zu fühlen war, milderte er die Hitze; nach und nach aber schien die Luftsäule ohne Bewegung und glühend zu werden, die großen Schirme über den Köpfen der Damen halfen wenig, der Schatten der Bäume selbst, die vereinzelt sich vorfanden, war nicht mehr kühl, und in den Gründen, welche durchritten werden mußten, ging es noch schlimmer her.

Delville bemerkte endlich, daß er den Kräften der beiden Damen nicht zu viel zumuthen durfte. Er ließ vergebens mancherlei Erfrischungen umherreichen, die sich in den Körben seiner Diener befanden, und dazu unter dem laubigen Dache einer Banane dann und wann Halt machen.

Wir sind zu langsam geritten, sagte er zu Simon, unsere Kreolinnen hätten in anderer Weise Peitsche und Zügel gebraucht. Glaubst Du, daß Deine Frau bis zu Jean Possard's Pflanzung kommen kann?

Dazu gehören zwei Stunden, wenn ich mich recht erinnere.

Zwei wenigstens, erwiderte Delville. Es geht nicht an, ich sehe es ein. So bleibt denn nichts übrig als bei irgend einem der gelben Schelme anzuhalten, die hier umher wohnen. Da fällt mir ein, daß wir dem berühmtesten unter ihnen einen Besuch machen können. Ein Licht voller Weisheit, ein Bursche, vor dem sie gewaltigen Respect haben, und obenein ein alter Bekannter von Dir, Simon.

Wer kann es sein? fragte Lariviere.

Bah! Du wirst es früh genug erfahren, rief der Baron sein Pferd antreibend. Muth, meine Damen, nur noch ein halbes Stündchen halten Sie aus, und obenein ist es nicht beschwerlich. Wir reiten jetzt durch ein Stück Wald, das wird Kühlung geben; jenseit liegt ein wohleingerichtetes Haus, das uns gern aufnehmen wird, wenn Sie es nicht verschmähen, sich die Gastfreundschaft eines Farbigen gefallen zu lassen.

Wir werden nichts verschmähen, was uns Schatten und Ruhe giebt, antwortete Melanie, auch wenn unser gütiger Wirth kohlschwarz oder blau wäre.

Sie sind ohne Vorurtheile, Fräulein Melanie, lachte der Pflanzer, und ich opfere meine Bedenken gegen sein schlechtes Blut, weil ich einsehe, daß es nöthig ist.

Aber mein Gott! rief Melanie, wenn sein Blut so schlecht ist, muß er entsetzlich aussehen. Ich fürchte mich im Voraus vor ihm.

Sie werden ihn ganz erträglich finden, sagte Delville, aber hüten Sie sich vor ihm. Die Gelben sind, wie unsere Neger behaupten, gefährliche Zauberer. Im Uebrigen ist er ein Quarteron, dem man nur noch an den gelben Daumennägeln seine Abkunft anmerkt.

Das muntere Fräulein von Aubrisson betrachtete die rosigen Nägel an ihren Händchen, und sagte dann mit spöttischer Coquetterie:

Künftig werde ich immer Handschuhe tragen, wenn ich in Ihrer Nähe bin, denn wer weiß, was Sie meinen Fingern anmerken.

Dazu, antwortete Delville sich zu ihr neigend, gehört eine genaue Untersuchung. Ich habe die freudige Voraussicht, daß, wenn ich diese weißen Finger einmal in den meinen halte, ich sie so leicht nicht wieder frei geben werde.

Das waren deutungsvolle Worte, die durch den feurigen Blick des Kreolen und durch den Ausdruck seines Gesichts verstärkt wurden. Die junge Dame trieb ihr Thier mit einem Lächeln an, das mehr einladend wie abweisend aussah, und in Lariviere schien zum ersten Male ein Gedanke aufzudämmern, der eigentlich ganz nahe lag, den er jedoch bis jetzt nicht gedacht hatte. Delville war unbeweibt, er war reich, kaum vierzig Jahre alt, und was seine Erscheinung betraf, so war er zwar ein wenig zu schwarz, zu knochig und zu faltig, aber dennoch ein stattlicher, kräftiger und stolzblickender Mann, der einem Mädchen wohl gefallen konnte. Kam nun dazu, daß dies Mädchen arm war, Delville ihm Geld und Wohlleben in Fülle verschaffen konnte, so schienen die Verhältnisse noch paßlicher zu werden, und Simon Lariviere wurde es warm ums Herz und fröhlich zu Sinne, denn mit einem Zauberschlage seiner Gedanken sah er Melanie als Delville's Frau und eine heitere Zukunft vor sich aufgerollt.

Er ritt langsam hinter den Voraneilenden her und musterte sie. Delville sah in seinem grünen, knappen Perkanrock Perkan: leichter, leinwandartiger Stoff. in dem Strohhut mit breitem Bande und den Reitgamaschen von Nanking so schlank und elegant aus, wie ein junger Anbeter. Sein Haar war glänzend schwarz und dicht, seine Augen funkelten bei jeder Seelenregung. Die Leidenschaften dieses Mannes waren ohne Zweifel, im Guten wie im Bösen, noch jetzt stärker wie bei manchem Jüngling. Je mehr Simon über allerlei Aeußerungen nachdachte, die sein Vetter seit drei Tagen gethan, um so mehr überzeugte er sich, daß sein Herz Feuer gefaßt habe, und vergnügt über diese Entdeckung trieb er sein Roß in einen schmalen Hohlweg hinein, der zwischen ziemlich hohen zerbröckelten Kalksteinwänden auf die Spitze der Hügelkette führte.

Hier zum ersten Male wuchs der Tropenwald noch ungestört, weil die felsige Beschaffenheit des Bodens und der Wassermangel den Anbau verhinderten. Einzelne gewaltige Acajoubäume standen unter himmelhohen Stämmen von Eisenholz und Blauholz, vermischt mit Tulpenbäumen, mit Pfeifen- und Zuckerahorn, um welche wilder Wein und Lianengeflechte ihre seltsamen Schlingen und Arme ausspannten. Außerhalb des Weges war vor diesen starken Schmarotzergeweben, die sich von Baum zu Baum spannten, schwer durchzukommen, und Menschen wie Thiere hatten sich in Acht zu nehmen vor den langen Stacheln mancher sonderbaren Pflanzen.

O! wie schön ist es hier! rief Eugenie, indem sie Simon die Hand reichte. Welche wunderbare Natur, wie fremdgestaltet! Es kommt mir vor wie ein Märchentraum, der uns in das Land der Feen und Geister führt.

Das ist nur der Anfang, nur ein kleines Pröbchen, sagte Delville. In den hohen Mornen, in jenen einsamen unermeßlichen Wäldern giebt es ganz andere Wunder zu schauen. Doch Damen ziehen das Liebliche vor, und hier stehen wir nun auf der Höhe der Hügel von Vermont und vor uns thut sich das reiche Land auf, in welchem Sie wohnen werden.

Melanie stieß einen Schrei aus, denn eben hatte ihr Pferd den höchsten Kamm erklommen, und vor ihr lag ein Panorama, das sie mit Bewunderung erfüllte.

Hier war keine Ebene zu erblicken, sondern das Auge verlor sich in ein unendliches Gewirr kleiner Thäler, die, mit dem wechselndsten Grün, mit Blumen und blühenden Bäumen bekleidet, einem prächtigen Garten glichen. Aber diese Thäler senkten sich, übereinander liegend, zu einem großen See hinab, der auf Meilenbreite und Länge seinen Wasserspiegel ausdehnte. Das war der See Henriquille, in dessen Nähe Delville's und Lariviere's Pflanzungen lagen.

Ein kühles Fächeln kam den müden, erhitzten Reitern entgegen. Sie hielten unter den hohen Bäumen, deren Kronen sich zu einem dichten Dache zusammen wölbten, wie die Pfeiler eines gothischen Domes, welche glatt und schlank aufsteigen, um sich endlich zu einer Decke zu verschmelzen. Die beiden Herren nannten ihren Begleiterinnen viele Pflanzungen in der Nähe und Ferne, und endlich deutete Lariviere auf einen spitzen Berg, der an einer südwärts streifenden großen Bucht des Sees sich erhob, und sagte:

Dort liegt Croix rouge, dort wirst Du wohnen, geliebte Eugenie.

Und glücklich sein! antwortete sie halb laut mit einem seelenvollen Blicke, den er erwiderte.

Ihre Augen schweiften zu dem fernen Punkt und dann über den Seespiegel fort, dessen nördliches und östliches Ufer von wilden hohen Bergen umkränzt war. Aus Waldketten hoben sich einzelne nackte Klippen empor, und je weiter der Blick in das Innere des Landes drang, um so höher und zerklüfteter sah es aus.

Wohlan denn, rief Delville endlich, nehmen wir vor der Hand das nächste als das Beste. Es ist schlimm genug, daß auch in diesem Theile unserer schönen Insel, der für den gesundesten und besten gilt, Farbige sich angekauft haben, allein es ist einmal nicht anders. Der Mittag ist da, wir wollen während der schwülen Stunden dem Herrn Philosophen die Ehre unserer Gesellschaft schenken.



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