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6.

Delville's Pflanzung lag tiefer hinab am Henriquille jenseit des Mongon, der aus diesem See zwischen hohen, waldigen Bergen dem Meere zuströmt. Die Thäler öffnen sich dort nach Süden und ihre außerordentliche Fruchtbarkeit giebt ihnen den höchsten Werth. Ein paar Meilen östlicher lief die alte Grenze der Kolonie über die Mornen von St. Juan, und mitten durch diese malerische und liebliche Landschaft, durch Wälder von Palmen und Bananen und durch unermeßlichen Kaffeepflanzungen und Zuckerrohrfelder, welche in den Niederungen am See sich ausdehnten, ging der Weg, auf welchem am nächsten Tage Lariviere mit den beiden Frauen fuhr.

Sie hatten frühzeitig die Reise angetreten, um die Hitze zu vermeiden, auch hatte Delville besonders darum gebeten, daß sie den Tag über mit ihm verleben möchten. Für die Damen war es der erste größere Ausflug, und ihre Erwartungen auf das Fest und auf die kreolische Aristokratie nicht wenig angeregt. Lariviere hatte ihnen so viel von Delville's Reichthum und Geschmack erzählt, daß sie wohl neugierig sein konnten, und einzelne Scherze und Winke, welche er über den vielbegehrten Mann mittheilte, der so manche Hoffnungen getäuscht hatte, wurden nicht ohne Berechnung in seine Erzählungen gestreut.

Hat er denn niemals ein zärtliches Verhältniß gehabt? fragte Eugenie.

Keines wenigstens, was zu dem erwünschten Ende aller Verhältnisse geführt hätte, erwiderte Simon. Aber ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht jetzt mehr Neigung besäße, als je vorher.

Die schönen Kreolinnen werden heut einen Kranz um ihn bilden, aus dem er sich die reizendste Blume pflücken kann, sagte Melanie.

Muß es denn eine Kreolin sein, Melanie? lachte Lariviere. Was würdest Du denn sagen, wenn er seine Hand nach Dir ausstreckte?

Ich würde mich sehr bedenken, antwortete sie, denn Delville –

Nun Delville, fiel er ein, ist jedenfalls einer der geachtetsten Edelleute auf der ganzen Insel, und diese Partie wäre eine, um die Dich manche, die ihr Näschen hoch trägt, beneiden würde.

Dies Gespräch im Wagen konnte ganz zwanglos gehalten werden, da Lariviere selbst fuhr, und zwei Diener zu Pferde in einiger Entfernung folgten; aber es wurde unterbrochen, als am Ende des Hohlweges, den das Gefährt eben hinablief, sich die Gestalt eines Mannes zeigte, der ihm entgegen kam. Er hatte ein Gewehr über die Schultern gehängt, ein breitkrämpiger grauer Hut beschattete sein Gesicht und seine Beine steckten hoch hinauf in ledernen Mokassins, wie sie Jäger tragen, die durch Sümpfe und Dickichte sich Bahn brechen müssen.

Als er den Kopf aufhob, wurde er von Allen erkannt, es war Alexander Petion. Lariviere hielt seine Rosse an, die Damen grüßten freundlich, der Farbige trat an den Wagen.

Nach einigen begrüßenden Worten erzählte der junge Mann, daß er von einem Freunde, der am Neyba wohne, eben zurückkehre.

Uns aber haben Sie vergessen, Herr Petion, fiel Eugenie strafend ein.

Ertheilen Sie mir Ihre gütige Erlaubniß zu kommen? antwortete Alexander.

Wir haben Sie erwartet, sagte Frau von Lariviere, und seit wir erfahren haben, daß Sie Musik lieben und selbst üben, haben wir um so mehr Ihr Ausbleiben bedauert.

Ich werde mein Vergehen bereuen und mich bessern, erwiderte er; überdies habe ich vielleicht eine Ursache, bald bei Ihnen zu erscheinen, um mit Lariviere ein Anliegen zu verhandeln. Sie wollen den Herrn von Delville besuchen?

Ja, sagte Simon, und es kann einige Tage dauern, ehe wir zurückkehren.

Petion verbeugte sich lächelnd und trat zurück.

Herr von Delville versteht es Feste zu geben, die eben so glänzend wie erschöpfend sind, sagte er. Diesmal hat er wohl noch einige besondere Zwecke dabei; aber ich darf Sie nicht länger belästigen und wünsche Ihnen die frohsten Stunden.

Mit dem ausgesprochenen Dank rollte der Wagen weiter und eine Zeit lang wurde kein Wort darin gesprochen, denn Alle hatten etwas zu bedenken. Eugenie dachte darüber nach, weshalb Simon offenbar weit kälter gegen den armen Freund gewesen sei, als damals, wo er in dessen Hause mit ihm zusammentraf.

Lariviere überlegte Alexanders Bemerkung über die besonderen Zwecke, die Delville haben sollte, und fühlte sich betroffen und unmuthig über den Blick, den Petion auf ihn geworfen. Delville hatte wirklich verschiedene Zwecke bei dieser Versammlung der reichsten und einflußreichsten Männer; einen politischen Zweck, denn es handelte sich um ein gemeinsames Auflehnen gegen den General-Gouverneur, den Grafen Peynier, und dann um seinen Zweck mit Melanie, den er am vergangenen Tage ohne Rückhalt gegen ihn ausgesprochen und die freudigste Theilnahme und Beistimmung gefunden hatte. Simon hatte jedoch geloben müssen, gegen Niemanden, auch gegen Eugenien, kein Wort davon zu äußern, sollte nun dennoch dieser stille Petion etwas ahnen?

Es ging ihm seltsam mit diesem Jugendfreund. Er hatte viel alte Anhänglichkeit und Zuneigung noch jetzt für ihn, allein er sah doch nach wenigen Wochen, die er nun hier verlebt hatte, schon ein, daß er ihn von sich abhalten müsse. Delville's Warnungen waren nicht vergebens gewesen; der Haß gegen die gelbe Race hatte auf der ganzen Insel einen solchen Grad erreicht, daß kein Mann von gutem Blut es wagen konnte, einen Farbigen als Freund zu behandeln, und dieser Petion zumal war obenein Gegenstand der schlimmsten Besorgnisse. Wenn im europäischen Staatsleben schon der geborene Aristokrat sich Unwillen und Verachtung zuzieht, wenn er mit einem erklärten Demokraten in Freundschaft leben wollte, um so mehr hier, wo man glühend liebt und haßt, und wo eine unsäglich stolze, bevorrechtete Kaste jedes leiseste Rütteln an ihren Privilegien als todwürdiges Verbrechen erklärte.

Simon hatte daher die erneute Einladung Petions durch Eugenie mißfällig gehört, sie mit keinem Worte unterstützt, vielmehr durch seine Aeußerung den Besuch abzuwenden gesucht, und er zweifelte nicht, daß der kluge Alexander ihn verstanden hatte. Wenn Melanie sich mit Delville verlobte und diese Verbindung am Ende des Festes sogar noch öffentlich würde, so konnte er voraussehen, daß Petion seine Schwelle von selbst meiden mußte.

Sein Gesicht heiterte sich daher schnell wieder auf, er sah nach Melanie hin und sagte lachend:

Meine schöne geistvolle Schwägerin sieht so nachdenkend ernsthaft aus, als wäre sie mit den tiefsinnigsten Dingen beschäftigt. Wohin schweifen Deine Gedanken?

Rückwärts, sagte sie.

Vorwärts sollst Du sie richten! rief er. Da sieh hin, da liegt Delville's Haus, sein prächtiger Sitz. Es ist eine von den wenigen stattlichen Bauten, die wir auf der Insel haben. Mit doppelten Stockwerken steht es auf dem Felsenboden; sein Vater hat es mit gewaltigen Kosten aufmauern lassen, und damals galt es als eine Art Wunder. Nun, schöner kann keines liegen und einen lieblicheren Aufenthalt sich kein Sterblicher schaffen. Croix rouge muß seine Segel streichen, ich fürchte ihr werdet alles Gefallen daran verlieren.

Die Besitzung des Barons lag in einer tiefen Bucht des großen Sees und überblickte denselben in seiner ganzen Ausdehnung. Zucker wurde an der Uferstrecke gebaut, höher hinauf zu beiden Seiten des ausgedehnten Thals lief die reiche Kaffeepflanzung mit Tausenden der schönsten Bäume, und mitten durch den fruchtbaren Boden wand sich ein Bach aus den Bergen hervor, welche die Neyba-Mornen bilden.

Auf einem Hügelplateau erhob sich das Haus des Barons, dessen Vorfahren, länger als ein Jahrhundert schon, in der Kolonie zu den größten Seigneurs gehörten. Ein Weg mit buntem Kies bestreut führte durch Blumen und Gebüsche hinauf zu der breiten Verandah, deren Pfeiler mit schönen Rankengewächsen umwunden waren, und eine ganze Schaar prächtig in Roth und Grün gekleideter schwarzer Diener stand bereit, um den Gästen ihres Herrn die ersten Dienste zu leisten.

Delville erschien jedoch selbst gleich an dem Wagen, um die Damen herauszuheben, und zuvorkommender, ritterlicher konnte kein Empfang sein. Der kühle, große Saal des prächtigen Gebäudes hatte Marmorwände, über welche, wie die schönsten Bildnisse, Gobelintapeten aufgehängt waren; der Fußboden war von Cedern mit eingelegter Arbeit, und die ganze Ausschmückung, die großen Spiegel, die Sessel und Sophas von weißlacirtem oder von Eben-, Sandel- und Rosenholz reich mit Gold verziert und so kostbar und nach dem neusten Geschmack, daß die jungen Französinnen sich mitten in den Luxus des pariser Hotels eines gefeierten Hofmannes versetzt glaubten. Broncen und Glasfronen, schöne Uhren und goldene Tische mit milchweißen Marmorplatten funkelten durch die dämmernden Nebenräume, in deren einem sich auch ein prachtvoller Flügel befand, welchen Delville erst so eben in Port au Prince für eine bedeutende Summe gekauft hatte.

Während der heißen Stunden war die Gesellschaft auf den luftigen Saal beschränkt, in welchem der galante Wirth ihnen jede nur mögliche Unterhaltung gewährte. Die übrigen Gäste wurden erst bei einbrechendem Abend erwartet, er hatte somit Zeit, seine ganze Aufmerksamkeit Melanie und ihrer Schwester zuzuwenden und deren Gedanken zu beschäftigen.

Nach dem auserwählten Mahle und als es kühler zu werden begann, ließ er die Balkonthüren öffnen und die frische Luft der Mornen strich jetzt herein, während die Augen über die reiche Pflanzung fort durch das weite Panorama des Sees schweifen konnten. Dann führte er die Gäste durch sein ganzes Haus, und überall fanden sie denselben Glanz, überall dienstbare Hände, Menschen, die auf den Blick des Gebieters warteten, voll Unterwürfigkeit und ehrfurchtsvoller Anbetung. Der stolze Baron schien ein göttliches Wesen zu sein, das mit einem Wink Wunder that.

Aus seinem Garten brachten junge Sklavinnen, in zierlicher Tracht, die schönsten Früchte in silbernen Schaalen und überreichten sie knieend den Damen. Als diese in eine Rotunde von jungen Bananen traten, erhob sich plötzlich ein schöner Wasserstrahl in einem kleinen Teich, wo schwarze Schwäne schwammen und prächtige Flamingos ihre rosenfarbigen Flügel öffneten. Ein Waldrevier voll schöner seltsamer Bäume, zu einem eigenthümlichen tropischen Park umgeschaffen, führte zu einer Art Eremitage, die, auf dem höchsten Punkt gebaut, weit in die Mornen hinein und weit über das Seegebiet schaute.

Melanie war jedoch bei Allem, was sie sah, und bei allen Bemühungen Delville's, die ihr vorzugsweis gewidmet waren, ungewöhnlich still und befangen geblieben. Ihre Lebhaftigkeit schien sie heut verlassen zu haben, sie war zerstreut und erröthete mehr als einmal, verlegen lächelnd, zum großen Vergnügen Lariviere's, der mit seinem Verwandten heimlich zu flüstern und zu lachen hatte.

In dieser kleinen Eremitage aber wachte Melanie zur Freude auf.

Wohin gelangt man, fragte sie, wenn man in diese Waldberge steigt.

Man gelangt in die tiefste Einsamkeit unserer Gebirge, sagte Delville. Wenn Sie mich künftig einmal begleiten wollen, führe ich Sie auf jene rothen Kuppen dort, von denen man Schöneres sehen kann, als was einst dem Herrn Jesus Christus vom Satan gezeigt wurde.

Das Beispiel war nicht gut gewählt. Durch Melanie's Kopf drängte sich ein Gedanke, vor dem sie ihre Hand zurückzog, welche Delville gefaßt hatte. Es kam ihr vor, als werde ihr auch von einem bösen Feinde das reichste Paradies der Erde gezeigt, und eine Stimme flüsterte in ihr Ohr: das Alles soll dein sein, aber vor ihren Augen stand dabei eine stille dunkle Gestalt, die sie schwermüthig warnend ansah.

Gefällt es Ihnen hier, Fräulein d'Aubrisson? fragte der Präsident.

Es ist entzückend, antwortete sie, auf den Spiegel des großen Sees hinausblickend.

Es ist auch mein liebstes Plätzchen, fuhr Delville fort. Unser Geschmack ähnelt sich also. Meinen Sie nicht, theure Melanie, daß wir in unseren Wünschen viel Uebereinstimmendes finden?

Diese Worte flüsterte er ihr zu, während am anderen Fenster Eugenie lebhaft rief:

Da kommen Wagen, ich zähle einen, zwei, drei, und Reiter folgen nach, eine ganze Cavalcade.

Ich will mir die Antwort später holen, sagte Delville im vertrauten Tone, indem er Melanie's Hand verstohlen drückte, denn ich sehe wohl, daß ich jetzt doch diese schönen Lippen nicht zu öffnen vermag. Ich muß meine Gäste empfangen, wir wollen ihnen entgegen gehen, rief er dann laut, und indem er dem Fräulein seinen Arm gab, führte er sie in den Garten hinab und dem Hause zu.

Lariviere folgte mit Eugenie. –

Laß sie nur voraus, vielleicht hat Delville ihr noch etwas zu vertrauen.

Was soll er ihr vertrauen?

Aber mein Himmel! rief Simon belustigt, ihr Frauen seht doch sonst in solchen Dingen oft mehr wie zu scharf. Was er ihr vertrauen will, besteht einfach darin, daß er sie fragen wird, ob sie die Herrin und Gebieterin dieses Schlosses mit Allem, was es enthält, werden will.

O, mein Gott! sagte Eugenie.

Du erschrickst, antwortete Lariviere. Ja, Liebe, das ist ein großes, unverhofftes Glück. Der reichste Mann in der Kolonie wünscht sie zu seiner Gattin! Sie bleibt in Deiner Nähe. Hast Du nicht immer den Wunsch genährt, daß sich für Melanie eine gute Partie finden möge? Haben wir nicht neulich erst im Vertrauen darüber gesprochen und machte ich Dir nicht allerlei Hoffnungen? Nun sieh, meine liebe Eugenie, ich wußte damals schon etwas von Delville, was bald darauf Gewißheit wurde, und günstiger, besser kann ihr kein Loos fallen.

Wird sie denn glücklich werden? fragte die junge Frau leise.

Wie ihr seid! rief Simon. Was verlangt ihr denn vom Glück? Jugend, eine elegante Gestalt, hübsche Formen! Hängt denn daran die Glückseligkeit? Glaube mir, ich kenne keinen Mann, der Melanie glücklicher machen könnte.

Keinen? sagte sie vor sich hin.

Alle diese jungen Herren hier, fuhr er fort, sind nicht die besten. Es liegt an ihrer Erziehung, die meist ihnen von jung auf alle Wildheit und allen Uebermuth gestattet. Unter der Tünche, die mehr oder minder über sie geworfen ist, verbergen daher sich wüste und rohe Leidenschaften. Wenige sind gebildet und die allermeisten suchen überdies nach Geld und Vortheilen, wenn sie heirathen wollen, dazu finden sie Gelegenheit in ihren Kreisen; Delville aber ist klug, hochgeachtet. Es kann leicht sein, daß er bald selbst die höchste Würde auf der Insel einnimmt, daß er General-Gouverneur wird. Doch das gehört nicht hierher. Du wirst einsehen, meine liebe Frau, daß wir aus allen Kräften ihn unterstützen müssen, wenn es nöthig sein sollte, oder glaubst Du – doch das ist ja Thorheit! unterbrach er sich. Melanie ist zu verständig, um Delville's Antrag mit einer Beleidigung erwidern zu wollen.

Das kann sie nicht und wird sie nicht, erwiderte Eugenie, und dennoch, o lieber Simon, dennoch wollte ich, sie wäre länger darauf vorbereitet.

Vorbereitet? Als ob ein Mädchen eine lange Vorbereitung nöthig hätte, wenn sie geheirathet werden soll! rief er lachend. – Wie lange hast Du dazu gebraucht, mein süßes Herz? – Dreimal hatte ich Dich gesehen, dann kam ich und Du sagtest freudig ja.

Weil ich beim ersten Male schon Dich liebte, antwortete sie mit einem zärtlichen Anschauen.

Hat sie denn etwa einen harrenden Anbeter in Frankreich zurückgelassen? fragte er. Du schüttelst den Kopf. Nun gut; oder hat sie hier einen Gegenstand ihrer Neigung gefunden? Das ist unmöglich. Es ist also kein vernünftiger Grund zum Sträuben vorhanden. Sollte aber wirklich ein Zweifel in Dir sein, so sprich mit ihr. Delville liebt sie, er wird sie anbeten, sie wird glücklich sein, wie Du es bist, geliebte Eugenie, und welch Glück für uns Alle, wenn wir einen gemeinsamen Familienkreis bilden!

Ihre eigensten Gedanken konnte die junge Frau ihrem Manne nicht mittheilen, sie würde ihn damit in Schreck und Zorn gesetzt haben. Seine selbstsüchtigen Pläne waren so ausgebildet, daß jeder fremde Strich darin ihn erbittert hätte. Er eilte dem Präsidenten nach, und überließ es Eugenien, ihrer Schwester vielleicht noch einige Lehren zu geben; aber dazu bot sich jetzt schwerlich mehr eine Gelegenheit.

Als sie in den Saal traten, waren wohl ein Dutzend Damen und Herren darin versammelt, und in weniger als einer Stunde hatte sich diese Zahl verfünffacht. Bis weit aus der Ebene her kamen die Gäste; viele Familien wollten mit den Lariviere's bekannt werden, die Vorstellungen nahmen somit kein Ende, die beiden Schwestern wurden getrennt, in verschiedene Kreise gezogen, in lange Gespräche verwickelt, und wo wäre hier, wo alle Augen auf die fremden Damen gerichtet waren, eine vertraute Mittheilung möglich gewesen!

Delville, trotz seiner Geschäftigkeit als Wirth in dieser zahlreichen Versammlung und trotz der vielen Pflichten, welche er zu erfüllen hatte, fand aber dennoch Zeit, um der Gesellschaft Beweise zu geben, wie groß seine Theilnahme für das Fräulein von Aubrisson sei. Er kehrte immer wieder zu ihr zurück, wenn er sich entfernt hatte, knüpfte immer von Neuem mit ihr seine Unterhaltung an und zeigte deutlich, daß er dem schönen Mädchen seine Huldigungen darbringe.

Es waren manche Frauen von Reichthum und Namen mit ihren Töchtern hier beisammen, und unter diesen befand sich mehr wie Eine, die spöttische Vergleichungen zwischen sich und diesen Französinnen anstellte; aber geärgert wurden sie mehr oder weniger alle. Die jungen Herren drängten sich um diese bleichen Gesichter, und da sie meist sämmtlich in Frankreich gewesen waren, hatten sie trotz des berüchtigten kreolischen Stolzes doch so viel Vorliebe für die Frauen von Paris mit nach Haus gebracht, daß sie Lariviere mit Glückwünschen überschütteten und über Melanie Gespräche führten, die Delville mit eitler Genugthuung anhörte.

Inzwischen wurden die feinsten Erfrischungen: Eis, Früchte und alles Seltene umhergereicht, was nur die Antillen, die Häfen Amerikas und die europäischen Welthauptstädte zu liefern vermochten. Eine wahre Schatzkammer von silbernen und goldenen Geräthen mußte der kreolische Baron geöffnet haben, um die Augen seiner Gäste zu blenden und ihre Herzen mit Neid zu füllen. Da war nichts, was nicht edles Metall war, und welche Menge vortrefflich abgerichteter Sklaven, welche Fürsorge überall, welche Aufmerksamkeit, welche unausgesetzte Unterhaltung!

Hohe Kartenspiele waren von jeher eine Lieblingsunterhaltung der reichen Pflanzer, und auch dafür hatte Delville gesorgt, nachdem die lebhaften Gespräche abnahmen, welche zunächst überall über den Zustand der Insel, über Regierung und Verwaltung und über allerlei naheliegende Ereignisse geführt wurden. Die Köpfe waren bald erhitzt, zumal es an anregenden Getränken nicht fehlte, und gegen den General-Gouverneur, gegen seine Anordnungen, seinen Widerstand gegen die Assembléen und über allerlei Kränkungen der Notablen wurden die erbittertsten Urtheile gefällt.

Stellen Sie sich vor, sagte endlich ein kleiner, schwarzbärtiger Herr, welcher Marquis von Rochefort genannt wurde, was dieser Herr Graf Peynier mir vor einigen Tagen erst antwortete, als ich von ihm eine schärfere Aufsicht über die Umtriebe der Farbigen verlangte.

Sie wissen nicht, Excellenz, sagte ich, was im Süden vorgeht. Sie wissen nicht, daß die heillosen Buben von dort ihre Emissaire durch alle zwei und fünfzig Kirchspiele ausschicken und daß, seit dieser Petion zurück ist, eine vollständige Organisation ihrer verbrecherischen Verbindungen ins Werk gesetzt wurde. Lassen Sie diesen Schuft festnehmen und Sie werden das ganze Vampyrnest in Händen haben. Uebergeben Sie ihn dem Henker, so wird eine einzige gehörige Tortur hinreichen, alle Fäden aus ihm herauszupressen, die seit Jahr und Tag gesponnen wurden; denn dieser sanfte, höfliche, durch Nichts aus der Fassung zu bringende Bursche ist der gefährlichste von Allen. Die Uebrigen, die Rigaud, die Chavannes, die Oge und der ganze Haufe sind von ihm geleitet. –

Wissen Sie nun, meine Herren, was Se. Excellenz mir antwortete? Mein lieber Marquis, sagte er, ich kann nichts thun, was ungesetzlich wäre. Petion ist ein ruhiger, bescheidener junger Mann, der nützliche Dinge treibt, sich wissenschaftlich beschäftigt, nicht gegen die Regierung sich auflehnt, wie dies jetzt leider üblich wird, sondern dem Könige und den Gesetzen gehorcht. –

Das ging auf uns, meine Herren, und ich sagte daher entrüstet wie ich war: Mein lieber Herr General-Gouverneur, ich hoffe nicht, daß Sie die freien und edelgeborenen Bürger dieser Insel mit der gelben Race in einen Topf werfen wollen, wie es in Frankreich geschieht, wo die Regierung leider unsere Heiligsten Rechte verhöhnen und verspotten läßt.

Nein, erwiderte der Herr Graf, ich verwechsle Sie eben nicht mit den farbigen Unterthanen Sr. Majestät, aber ich verbitte mir Zumuthungen wie die, welche Sie mir gemacht haben. Ich werde jeden, der unterdrückt werden soll, zu schützen wissen, Meutereien ohne Ansehen der Person bestrafen, und was Tortur und Henker betrifft, mein Herr Marquis, so sollten diejenigen, welche so laut sich als Bekenner der neuen Ideen von Volksfreiheit, Aufklärung und Humanität anpreisen, am allerwenigsten darnach verlangen.

Eine ganze Reihe Verwünschungen folgte diesem Berichte, und wer diesen kreolischen Landadel nicht kannte, hätte glauben müssen, daß er es mit wüthenden Jakobinern zu thun habe, so heftig wurden hier die absolutistischen und bureaukratischen Grundsätze der Regierung verdammt.

Geduld, meine Herren, sagte ein fanatisch blickender Pflanzer, der die Offiziertracht der Miliz trug, wir werden auch an die Reihe kommen und dann uns die Gesetze machen, wie sie sein müssen. Den Petion kenne ich längst und will ihn mir merken. Es soll nicht lange dauern, so soll er mit Anderen seines Gleichen die Landstraßen ausbessern helfen. Das kann der Gouverneur nicht hindern oder verbieten. Es ist altes Recht auf der Insel, daß alle Farbigen ohne Unterschied die Polizeiwache bilden und die Wege erhalten sollen. Man hat ihnen zu viel dabei durch die Finger gesehen. Wer, zum Teufel! hat diesen Schuften überhaupt erlaubt, großen Grundbesitz zu kaufen und großes Vermögen zu sammeln? Darin liegt das Verderben, und wenn Delville erst unser General-Gouverneur ist –

So ernennt er seinen lieben Freund, den Capitän Morand, zum Großrichter, lachte der Präsident, welcher näher getreten war; bis dahin aber, meine Herren, Geduld und Vorsicht.

Er drehte sich um und bemerkte, daß Melanie aufmerksam zu ihm hinsah. Sie hatte Petions Namen gehört und mit Interesse das Gespräch verfolgt. –

Geschwind, sagte Delville, ehe der Ball beginnt, lassen Sie sich erweichen, schöne Melanie, und besänftigen Sie alle diese stürmischen Herzen durch eines Ihrer himmlischen Lieder.

Diese Aufforderung war das Signal zu einem Sturme gemeinsamer Bitten, dem Melanie ebenso wenig wie Eugenie Widerstand leisten konnten. Alle hatten, wie sie sagten, schon von den außerordentlichen Talenten gehört, die plötzlich und unerwartet St. Domingo beglückten, und unter unermeßlichem Beifall mußten die Schwestern an das Instrument treten, um einige der neusten in Paris üblichen Operarien und Gesangstücke vorzutragen.

Mit der Musik kam die erhöhte Fröhlichkeit. Die jungen Herren forderten laut den Anfang des Tanzes, die Augen der jungen Mädchen und Frauen blitzten feuriger und draußen war es kühl geworden, die Gacen der Fenster und Thüren ließen die sanft wehende Luft herein, welche der See in das Thal schickte.

Jetzt brannten zahllose Kerzen, und unter stürmischem Bravoruf und Beifallklatschen trat das Musikchor des Grenadierregiments von Port au Prince in den Saal, das Delville hatte kommen lassen, und nun begann einer jener üppigen, kreolischen Bälle mit Tänzen halb spanischen halb französischen Ursprungs, in welchen alle Reize und alle Leidenschaften, Grazie und ausdrucksvolle Beweglichkeit sich vereinigen und die von vielen dieser heißen Frauen mit dunklen Augen und erregtem Blut vollendet schön ausgeführt wurden.

Melanie tanzte auch, aber nur solche Tänze, wie sie in Frankreich üblich waren. Lange Zeit sah sie in das Gewühl der schwebenden, sich drängenden, ringenden und fliehenden Paare. Alle nahmen Theil daran. Die Herren standen von ihren Spieltischen auf und begleiteten mit Klatschen und Ausrufen der Bewunderung die ausgezeichneten Gruppen; als Delville aber endlich das Fräulein von Aubrisson suchte, war dieses verschwunden, und leisen Schrittes ging er über die Verandah in den Garten, flüsterte einem der stummen demüthigen Wärter ein Wort zu, erhielt eine Antwort und eilte nun, ein triumphirendes Lächeln auf seinen schmalen Lippen, die Stufen hinauf nach der kleinen Eremitage.

Er öffnete die Thür und erkannte sogleich den Gegenstand seiner Wünsche. Seine scharfen Augen entdeckten Melanie, die an Fenster saß und in die Nacht schaute. Die großen Glühkäfer, welche draußen vorüberschwärmten, warfen einen rothen Schein auf ihr Gesicht, ihre Hände ruhten gefaltet in ihrem Schooß.

Sie sind hier, schöne Melanie, sagte Delville, indem er rasch näher eilte, sich zu ihr setzte und ihre Hände ergriff. Hatte ich nicht Recht, zu behaupten, daß sympathetische Gefühle uns vereinigen? Ich wußte, daß ich Sie hier finden würde, und nun bekennen Sie, gewähren Sie mir den Triumph: Sie wußten auch, daß Sie nicht allein bleiben würden.

Und wenn ich dies wußte? erwiderte sie.

Dann, meine theure Freundin, kommen wir zu einem glücklichen Schluß, rief er lachend. Ich werde mich nicht zu Ihren Füßen werfen, dazu bin ich zu alt; ich werde Ihnen keine süßen Schmeichelworte sagen, dazu sind wir beide zu verständig, ich werde einfach Sie fragen: Wollen wir jetzt hinunter gehen, soll ich der Musik ein Zeichen zum Schweigen geben, dann vortreten und diese Anrede halten: Meine hochgeehrten Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Braut vorstelle, die sie mit mir heut über vier Wochen zur Hochzeit ladet.

Das würde eine unverzeihliche Störung des Festes sein, sagte Melanie.

Gut, rief Delville, so behalten wir uns meine Rede zum Schluß vor. Sind wir einig?

Herr von Delville, antwortete Melanie, Ihre Güte für mich zwingt mich zu fragen, was meine Schwester und Lariviere davon wissen.

Sie wissen Alles und billigen Alles, antwortete der Baron. Vom Augenblicke an, als ich Sie zuerst sah, theure Melanie, erwachte in mir der Gedanke, mich mit Ihnen zu vermählen. Ich theilte Lariviere meine Absichten mit und er kam mir entgegen; er war entzückt darüber und schwor mir zu, kein Anderer solle Sie besitzen.

Das war mehr, als er beschwören konnte, fiel sie ein.

Vortrefflich! ganz dasselbe habe ich ihm auch gesagt. Mische Dich in nichts, sagte ich ihm, ich will meine Sache selbst führen. Ich bin stolz genug, von mir zu glauben, daß ich noch fähig bin, mir eine schöne Frau nach meiner Wahl zu erwerben. Und hier bin ich nun, theure Melanie, mit der Gewißheit, daß Sie meine Bitte nicht unerhört lassen werden. Ist es nicht so? Habe ich nicht Recht?

Was war das? fragte sie zusammenschreckend.

Nichts, antwortete er, Niemand wird wagen, uns hier zu stören. Sprechen Sie es aus, Melanie, sprechen Sie ihr Ja, ich will es mit tausend Küssen vergelten.

Und haben Sie Alles bedacht? flüsterte sie. Ich bin arm, eine Waise, ohne eine mächtige, einflußreiche Familie.

Sie brauchen nichts, als sich selbst, um einen Fürsten stolz zu machen, sagte der Kreole; was aber mich betrifft, so pflege ich immer erst zu bedenken, dann zu handeln.

Der rasche Galopp eines Pferdes wurde unten auf dem Wege hörbar. Der Baron schwieg und horchte hinaus, dann wandte er sich wieder zu der Dame um, deren Hand in der seinen zitterte.

Nein, Melanie, fuhr er fort, fürchten Sie nichts. Mein Wort, meine Ehre soll das Pfand sein, das ich für Ihr Glück einsetze.

Delville! rief eine Stimme im Garten. Wo ist der Präsident? Sucht ihn auf der Stelle.

Verdammt, wer es wagt! schrie der Baron, wüthend mit dem Fuß aufstampfend.

Gehen Sie, sagte Melanie lebhaft, man darf Sie nicht hier finden, darf mich nicht sehen. Schützen Sie mich, ich höre Schritte auf den Stufen.

Bleiben Sie ruhig, sagte er. Gott weiß, was es ist, aber ich gehe. Wir sind einig, alles Uebrige wird eine nächste Stunde ordnen.

Als er fort war, sank Melanie auf die geflochtene Bank zurück, und als die Stimmen verhallten, deckte sie die Hände vor ihr Gesicht und ließ sie kraftlos niedergleiten. Eine Zeit lang saß sie so, ohne ein Wort zu sprechen, plötzlich aber wurde die Thür wieder geöffnet. Die Gestalt eines Mannes blieb darin stehen, und als sie mit einem halb unterdrückten Schrei die Arme gegen ihn aufhob, lag er zu ihren Füßen, und seine Lippen fanden keinen Widerstand.

O mein Gott! rief Melanie dann nach einer Minute, wie aus einem Traum auffahrend, ist es wahr, sind Sie es, Alexander Petion? Waren Sie der Schatten, der dort stand, als ich kam? Der verschwand, als Delville mir folgte? Was wollen Sie? Was thaten Sie? Lassen Sie mich! Sie haben gehört, was hier geschah.

Ich habe Alles gehört, antwortete er mit seiner weichen Stimme, ich weiß auch, daß ein Opfer gebracht werden soll. Dies Opfer sind Sie, Melanie, Sie sollen der Selbstsucht, der Gier dieses gewissenlosen Mannes hingeworfen werden, und man hat Sie dazu mit Blumen geschmückt und läßt Musik erschallen.

Fliehen Sie, Alexander Petion, fliehen Sie! rief das junge Mädchen. Ich habe gehört, wie man Sie verfolgt, welche Drohungen gegen Sie ausgestoßen wurden. Wenn man Sie hier entdeckte, Sie würden verloren sein!

Ich fürchte nichts, antwortete er, ich kenne alle diese Menschen und ihre Pläne; ich sage Ihnen, sie werden so ohnmächtig zersplittern, wie Wellen an einer Klippe. –

Er sprang auf und fuhr leise fort:

Da liegen die Mornen von Neyba, der Mond beleuchtet ihre Gipfel, in einer Stunde werde ich dort oben stehen und auf den Ballsaal hinabschauen, in welchem Delville's Braut tanzt.

Ich bin seine Braut nicht, flüsterte Melanie.

Er setzte sich neben sie und legte ihre Hand in seine Hände.

Sie dürfen es niemals sein, sagte er, es wäre ein Unheil. Er ist so innerlich verdorben und voller Laster, daß Sie bald an diesem Gift sterben würden. Und seine Stunde wird kommen, wie die Stunde aller dieser unmenschlichen, grausamen Männer; wer soll dann bei Ihnen sein und Sie beschützen? Haben Sie Muth, Fräulein d'Aubrisson, o widerstehen Sie allen Verlockungen! Warum ist es Nacht und mein Gesicht dunkel! Warum bin ich nicht er, um mir Beifall klatschen zu lassen!

Er legte seinen Arm stark um ihren Leib, ihr Kopf berührte ihn, er fühlte ihren Athem.

Es ist nicht Nacht, sagte sie leise, ich sehe Ihre Augen, ich sehe in diese Brust, und ich glaube daran, daß ein edler, kühner Freund an meiner Seite ist.

Glauben Sie das, Melanie? rief er laut. Was hindert mich daran, mich dem ganzen Glück dieser Stunde hinzugeben! Was hindert mich daran – wenn es wahr ist – Großmüthige Seele! kannst Du auch das Kainszeichen sehen, das sie auf meine Stirn gedrückt haben? Doch nein, Du schämst Dich nicht, Du sollst Dich nicht schämen. Wenn Du wolltest, Du solltest keinen Fuß mehr in dies Haus setzen, solltest den frechen Delville nicht wiedersehen, all sein Suchen und sein Wüthen sollte umsonst sein. –

Doch nein, fuhr er ruhiger fort, erschrecken Sie nicht; ich weiß, eine solche That wäre Ihrer und meiner nicht würdig. Aber ich will kommen, Melanie, ich will mit Lariviere sprechen, er soll mich hören. Ich will ihm sagen, wie es mit mir steht, was ich glaube, was ich weiß und nun – die Musik hat aufgehört, ich sehe Lichter dort unten – theure, edle Melanie, hier ist mein Herz, jeder Schlag ist ein Schrei zu Gott um Freiheit und um Glück. Ich werde frei sein, ihrer Liebe würdig. Beten Sie Melanie, Sie sind schön, Sie sind gut, Gott wird Ihr Gebet erhören!

Ein glühender Kuß brannte auf ihrer Stirn, dann war er fort, ihren Händen entschlüpft, die kleine Zelle leer und sie eilte hinaus, ihm nach und traf draußen Lariviere, der ihr entgegen kam.

Gut, sagte er, daß ich Dich finde, komm schnell herunter; Delville hat mir gesagt, daß Du hier seiest, und er kann nicht zurückkommen. Es sind Nachrichten angekommen, die dem Tanz ein Ende gemacht haben, so möchte man Dich vermissen.

Sie fragte nicht weiter und er führte sie in den Saal, wo die ganze Gesellschaft erregt in dichten Gruppen zusammen stand, in deren Mitte Delville und eine Anzahl Herren Papiere lasen, welche dies Aufsehen bewirkt haben mußten.

Es ist nicht daran zu zweifeln, rief der Präsident, die Briefe sagen ganz dasselbe, wie diese Zeitungsblätter. Necker ist zurückberufen, das Parlament hergestellt, die neuen Gerichtshöfe sind aufgehoben, der König hat die Nationalversammlung genehmigt!

Ein langschallendes Jubelgeschrei füllte den Saal. – Wann? Wie? riefen viele andere Stimmen. – Es ist eine Falle; es wird nichts daraus! fielen andere ein.

Am 1. Mai versammelt es sich in Paris! rief Lariviere, der einen der Briefe las. Die Ständeversammlung, wie der König es nennt, die Nationalversammlung, wie das Volk sie schon im Voraus tauft, muß jetzt kommen. Für den dritten Stand fordert Necker doppelte Vertretung und wird sie durchsetzen.

Füllt die Gläser! schrie der kleine Marquis Rocheford. Es lebe die Nationalversammlung!

Und was thun wir? brüllte der Capitain Morand.

Wir berufen die General-Assemblée der Insel, sagte der Marquis. Wir wählen eine Deputation nach Paris, die ihre Sitze in der Nationalversammlung einnimmt und in dieser sowohl, wie vor dem Könige die Rechte der Colonie vertheidigt.

Delville muß an der Spitze sein! rief einer der Kreolen.

Lariviere neben ihm! schrieen ein paar Andere.

Und nieder mit dieser Regierung! nieder mit diesem Peynier und der ganzen Beamtenwirthschaft! war der allgemeine Ruf.

Der Vorschlag wurde gemacht, sogleich ein Schreiben an den General-Gouverneur zu entwerfen und zu unterzeichnen, worin die Einberufung der General-Assemblée gefordert werde. Einige Besonnene oder Furchtsame wollten abwarten, bis nähere Nachrichten kämen, aber sie wurden überstimmt und hatten harte Vorwürfe zu ertragen.

Und wenn der Gouverneur nicht einwilligt? fragte einer der Widerstrebenden.

Dann berufen wir die General-Assemblée aus eigener Machtvollkommenheit, sagte Delville kaltblütig. Man muß das Eisen schmieden, wenn es heiß ist, und nicht durch unnütze Bedenken es kalt blasen. Ich will den Brief entwerfen, wir unterzeichnen ihn. In drei Tagen vereinigen wir uns in Banique zu einer Besprechung mit den angesehensten Männern aus dem Norden. Ich werde Boten an meine Freunde nach dem Cap, Goave und Leogane senden. Verbreiten wir alle diese Nachricht und verpflichten wir uns alle zu erscheinen.

Dieser Vorschlag war entscheidend, alle Bedenken hörten auf. Der Brief wurde geschrieben, mit Jubelgeschrei angenommen und dies Fest, das erst am Morgen endete, als die Sonne über die rothen Felsenhäupter der Neybamornen drang, war der Anfang der Zerrüttungen der großen blühenden Colonie, die bald davon verschlungen werden sollte.



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