Karl Philipp Moritz
Fragmente aus dem Tagebuche eines Geistersehers
Karl Philipp Moritz

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Morgens den * *

O Nacht, was brütest du für Gedanken aus!

In welche ängstliche Zweifel hast du mich wieder versinken lassen, weil ich nicht dem Ruf der Natur folgte, und nicht der erquickenden Ruhe genoß, da ich ihrer hätte genießen sollen.

Dadurch bin ich eben abgewichen, und das ist die Abweichung, welche sich selbst bestraft hat.

Mein Denken soll mit der Natur harmonisch seyn, wie mein ganzes Leben.

Wenn die Natur um mich her wieder in Thätigkeit ist, so soll auch das innere Spiel meiner Ideen aufs neue wieder erwachen, um einen reinen hellen Ton von sich zu geben, und in das große Konzert der thätigen Schöpfung mit einzustimmen.

Den Aufgang der Sonne hab' ich wiederum verschlafen: so folgt eine Abweichung nach der andern. –

Mein Hirtenknabe hat schon längst den Sonnenberg bestiegen, und dort nach seines Vaters Geist geblickt.

Soll dieser Hirtenknabe denn nun in diesem Dorfe vollends aufwachsen, alt werden, und endlich hier begraben werden? – –

Soll er stets den Himmel, und die Flur betrachten, und – Schafe weiden?

Noch kann ich das Geheimnis seines Erdenlebens nicht verstehen.

Daß ein solcher Vater, einen solchen Sohn, erzog –- um Schafe zu weiden.

Aber freilich ist das Weiden der Schafe das Allerunschuldigste Geschäft eines Sterblichen: So daß auch die Dichtkunst hier ihren Stoff hernehmen mußte, da sie vollkommen glückliche, zufriedene und unschuldige Menschen schildern wollte.

Aber freilich, wenn alle Menschen Schafe gehütet hatten, so wären sie zwar an sich wohl ganz glücklich gewesen. Aber was wäre denn aus unsrer Geschichte geworden? Wo hätten wir von Schlachten zu Land' und zur See, von eroberten Städten, von Feldherrntugenden, von Heldenmuth und Tapferkeit, von Bündnissen und Staatsverfassungen zu hören und zu lesen bekommen?

Dieser Welt von Ereignissen, die nun auf dem Schauplatz und in der Geschichte eine so angenehme Wirkung auf unsre Einbildungskraft thut, wären wir dann verlustig gegangen.

Wo hätte dann der Stoff zu einer Iliade, zu einer Aeneide herkommen sollen?

Armselige Welt, die dann geblieben wäre,

Ohne Schwerdt und Helm,
Ohne Schlachten,
Ohne Kriegsrüstungen,
Ohne Blutvergießen,
Ohne Trauerspiele,
Ohne Geschütz und Bomben,
Ohne Schanz' und Bollwerk,
Ohne stehende Kriegsmacht,
Ohne Könige, ohne Fürsten!

Wahrlich um so viele große und majestätische Dinge, sich zusammenzudenken, verlohnt es sich doch wohl noch der Mühe, unglücklich zu seyn.

Alle diese großen Dinge müssen ja doch einen Zweck haben. – Was wären denn die Bomben, wenn keine Glieder dadurch zerschmettert, und die Schwerdter, wenn nicht Menschen dadurch getödtet würden?

Das veredelt ja eben die Werkzeuge der Zerstörung, daß sie das Edelste auf Erden in solcher Menge zernichten und zerstören.

Wenn Tausende an einem Tage vor dem Schwerdtstreich fallen, das ist doch etwas Großes.

Und das Große wollen wir ja; unsre Seele will ja erweitert seyn, unsre Einbildungskraft will viel umspannen.

Wenn also dieser Zweck nur erreicht wird, so mag darüber zu Grunde gehn, was da wolle; das Zugrundegehen ist eben so etwas tragisches, die Seele erschütterndes, dessen Anblick wir uns sehr gerne gefallen lassen, sobald es nur uns selber nicht mit betrift.

Wir alle sind im Grunde unsers Herzens kleine Neronen, denen der Anblick eines brennenden Roms, das Geschrei der Fliehenden, das Gewimmer der Säuglinge gar nicht übel behagen würde, wenn es so, als ein Schauspiel, vor unsern Blicken sich darstellte.

Den Zweck haben wir also erreicht: unsre Gedanken sind erweitert; wir sind den Göttern gleich geworden; aber unsre neuen Ideen haben wir uns nicht sowohl durch Bauen, als durch Zerstören geschaffen. Da wir nicht Schöpfer werden konnten, um Gott gleich zu seyn, wurden wir Zernichter; wir schufen rückwärts, da wir nicht vorwärts schaffen konnten. Wir schufen uns eine Welt der Zerstörung, und betrachteten nun in der Geschichte, im Trauerspiel, und in Gedichten unser Werk mit Wohlgefallen.

Denn da allein kann es noch überblickt, und mit Wohlgefallen betrachtet werden. In der Wirklichkeit, oder in dem wirklichen Entstehen, beschäftigt es so viele Hände, und so viele Gedanken im Kleinen, daß das eigentliche Große gar nicht mehr in Betracht kommen kann. . Das Große schaft sich erst nachher die zusammenfassende Phantasie.

Das ist nun die phantastische Größe, des Gott gleichseyn wollen, wornach wir streben. –

Um uns ein eingebildetes Gut zu schaffen, unterziehen wir uns wirklichen Uebeln. –

So eine gebaute Stadt mit ihren Thürmen und Pallästen ist doch schön, wenn sie nun da steht; so etwas fällt doch gut ins Auge – –

Ach das übertünchte Grab, mit seinen vergoldeten Leichensteinen!

Inwendig nagen der Neid, die Habsucht, die quälende Unzufriedenheit, die um sich freßende Vergleichungssucht, an den verwesendem Leichnam des entseelten Menschenglücks.

Verpestete Kerker, Zuchthäuser, Behausungen des Elends, mit Todtengerippen und Unsinn erfüllte Tempel, mühevolle Werkstätte, wo täglich das Rad des Irion aus und nieder gewälzt wird! Sammelplätze unsinniger Vergnügungen, um von unsinnigen Arbeiten auszuruhen! Freistätte viehischer Wollust! fürchterliche Glücksräder, die den Lohn der Mühe verschlingen, und ihn wieder aus ihren Rachen speien, um die Faulheit zu krönen, und des Fleißes zu spotten. Und vor allen jenes fürchterliche Glücksrad, das sich unaufhörlich dreht; aus welchem ein jeder schon bei der Geburt sein Looß zieht, das ihn entweder zur Eins bei der Null, oder zur Null bei der Eins bestimmt. Wenige giebt es hier der Gewinnste, und der Verluste unzählige; damit – o des Wahnsinns! – der Gewinn, der auf einen einzigen fällt, desto größer sey. Tausende wollen Sklaven seyn, damit nur einer herrsche.

Und was ist denn nun das am Ende für ein herrliches Werk, was uns durch alle diese Aufopferungen entstanden ist?

Wo duftet denn nun die Blume, die aus diesem unreinen Schutt emporsprießt?

Ist es der Gedanke, den ich denke?

O dieser Gedanke ist mit Bitterkeit erfüllt: er ist eine wurmstichige Frucht von dem einladenden Baume im Garten.

Und doch ist der gegenwärtige Gedanke mein Alles in diesem Augenblicke. Er ist in diesem Augenblick der Schlußstein des Ganzen, das mich umgibt; das Resultat meiner ganzen vorhergehenden Existenz; der Zweck, die Vollendung meines Daseyns, wenn ich in diesem Augenblick aufhörte zu seyn.

Und dieser Gedanke ist selbst unvollendet; ein schwebender Zweifel; eine ewige Frage, die keinen Ruhepunkt findet, zu dem sie sich heruntersenken kann.

Und mit dem schwebenden unvollendeten Gedanken sollt' ich aufhören zu seyn? Und das wäre also der letzte Zweck, die höchste Vollendung der mich umgebenden Welt in mir?


Wenn in grauem Nebel
Bey des Tages Anbruch
Noch die Hügel dämmern

Klimm' ich schon die Felsen-
Wand hinauf und blicke
Seufzend in die Ferne –

Ob nicht in der Ferne
Ob nicht in der Nähe
Mir die Rose lächelt?

Aber ach, vergebens
Irren meine Blicke
Ueber Thal und Hügel:

Denn sie ist verschwunden
Ach, sie ist verschwunden
Die geliebte Rose –

In den Purpurstreifen,
Die den Osten färben
Scheint sie noch zu schweben;

An dem Wolkensaume,
Welcher golden flimmert.
Scheint sie noch zu beben. –

Aber ach zu ferne
Ist sie meinen Händen
Um sie abzupflücken

Und wollt' ich sie pflücken,
Würd' ihr Dorn mich tödtlich,
Tödtlich mich verwunden.

Ich finde mehrere dergleichen Verschen in Sonnenbergs Tagebuche, worin er auf eine geheimnißvolle Art nach einer verlohren gegangenen Rose schmachtet. – Was er sich darunter gedacht haben mag, kann ich bis jetzt aus dem Zusammenhange seiner Gedanken noch nicht begreifen. Ich denke es aber doch noch herauszubringen, weil es mir nicht wahrscheinlich ist, daß er irgend etwas sollte niedergeschrieben haben, ohne etwas dabei gedacht zu haben. So sonderbar seine Gedanken von der Vergangenheit in dem folgenden Aufsatze sind, so etwas Herzerhebendes und Tröstendes schienen sie mir doch zu haben.


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