Karl Philipp Moritz
Fragmente aus dem Tagebuche eines Geistersehers
Karl Philipp Moritz

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Aus Miltons verlohrnem Paradiese.

In einer bösen Stunde, o Eva, gabst du jenem falschen Wurme Gehör, der abgerichtet war, es sey von wem es wolle, des Menschen Stimme nachzubilden, nur wahr, was unsern Fall, und falsch, was die versprochne Erhöhung unsers Wesens anbetrift. Da wir nun unsere Augen in der That eröfnet finden, und finden, daß wir Gutes und Böses unterscheiden können, das Gute nehmlich, welches wir verloren, und das Böse, welches uns statt dessen zu Theil geworden ist. – Schlimme Frucht des Wissens, wenn unsere Naktheit uns dadurch nur sichtbar wird, wenn es von Ehr' und Treue, Reinigkeit und Unschuld uns entblößt, die unsre sonst gewohnte Zierde war, und nun befleckt und voller Schmutz ist, indem in unserm Angesicht die Zeichen der strafbaren Begierde sichtbar werden, aus welcher alles Bos' entspringt; ja selbst die Schaam, der volle Schluß des Bösen, ist schon an uns sichtbar; zweifle also länger nicht an dem, was vor der Scham vorhergeht. Wie soll ich nun hinfort das Antlitz Gottes oder irgend eines Engels schauen, das ich so oft mit Freude sonst und mit Entzücken sahe. Diese himmlischen Gestalten werden diese irrdische nun ganz mit ihrem unerträglich hellen Glanz verdunkeln. O könnt' ich hier in wilder Einsamkeit, in irgend einer dunklen Grotte leben, wo die höchsten Wälder, dem Stern und Sonnenlichte undurchdringlich, ihre Schatten, wie der braune Abend, weit umher verbreiten: Bedecket mich, ihr Fichten; ihr Zedern mit unzähligen Zweigen hüllt mich ein, wo ich die Sonne und die Sterne nie wieder sehe! – Aber laß uns jetzt, o Eva, einen Rath ersinnen, da wir nun einmal so verwickelt sind, wie wir für jetzt am besten diese Theile voreinander bergen, die der Scham am meisten ausgesetzt, sich uns am unscheinbarsten zeigen. Irgend ein Baum, dessen breite glatte Blätter wir um unsre Lenden gürten, mag denn diese mittlern Theile rund umher bedecken, damit der neue Gast, die Scham, dort nicht mehr sitze, und uns als unrein schelte!


Welches ist denn nun die verbotene Frucht, von welcher wir gekostet, und die Erkenntniß des Guten und Bösen dadurch erlangt haben?

Sind es die Künste und Wissenschaften? Ist es der Handel, ist es der Ackerbau? Sind diß Abweichungen von der Natur, die sich durch sich selbst bestrafen? Oder sind diese Abweichungen eben so natürlich, wie die Natur selbst.

Wenn sie es sind, warum ist denn in allen menschlichen Einrichtungen so viel Schiefes und Verkehrtes?

Warum ist in die menschlichen Einrichtungen wirkliches Elend verwebt?

Ist es denn dem freien Willen des Menschen möglich, in dieser schönen Schöpfung Gottes etwas zu verderben, so ist er ja wirklich Gott gleich, so läßt sich ja wirkliche Empörung der Geschöpfe gegen den Schöpfer, der endlichen Wirkung gegen die unendliche Ursach denken? oder vielmehr die Ursach ist denn selbst nicht mehr unendlich, weil sie durch ihre eignen Wirkungen wiederum eingeschränkt wird.

Oder ist die Freiheit der endlichen Wesen nur anscheinend? So wäre denn diß wunderbare Ganze eine aufgezogne Uhr, die von selber abläuft, und Krieg, Unterdrückung, und alle die mißtönenden Zusammenstimmungen der menschlichen Verhältnisse, woraus das wirkliche Elend erwächst, wären also dem Schöpfer ein wohlgefälliges Spiel.

Und was wäre das für ein Schöpfer? Wer bebt nicht mit Schaudern vor diesem Abgrunde zurück!


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