Karl Philipp Moritz
Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782
Karl Philipp Moritz

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

London, den 18ten Juli.

Zum letztenmale schreibe ich Ihnen heute aus London; und zwar aus St. Catharins, dem abscheulichsten Loche in der ganzen Stadt, wo ich mich aber deswegen aufhalten muß, weil die großen Schiffe auf der Themse hier anlanden, und abgehen, und wir sobald der Wind sich dreht, fortsegeln werden: der hat sich nun eben jetzt gedreht, aber wir segeln erst Morgen fort. Heute kann ich Ihnen also noch, so viel ich weiß, erzählen.

Am Montag Morgen zog ich aus Freemasons Tavern hieher in einen Gasthof, worin ein deutscher Wirt ist, und in welchem alle Hamburger Schiffer einkehren. In Freemasons Tavern betrug meine Rechnung für acht Tage Logis, Frühstück, und Mittagsessen, eine Guinee, neun Schilling und neun Pence, also beinahe zwei Guineen. Frühstück, Mittagsessen, und Kaffee, war immer ohne Unterschied jedes einen Schilling gerechnet. Für das Logis bezahlte ich nicht mehr als zwölf Schillinge für die Woche, welches nach Verhältnis sehr wohlfeil war.

Bei dem deutschen Wirt in St. Catharins hingegen ist alles viel wohlfeiler, und man ißt, trinkt, und wohnt hier wöchentlich für eine halbe Guinee. Ich möchte aber demohngeachtet keinem raten, hier lange zu logieren, wer sich in London umsehen will; denn St. Catharins ist einer der abgelegensten und unbequemsten Plätze in der ganzen Stadt.

Wer hier vom Schiffe aussteigt, bekömmt diese jämmerliche enge schmutzige Straße, und diese den Einsturz drohenden Häuser von London zuerst zu sehen: und also gewiß beim ersten Anblick keinen sehr vorteilhaften Eindruck von dieser prächtigen und berühmten Stadt.

Von Bullstroatstreet oder Cavendischsquare bis St. Catharins ist beinahe eine halbe Tagesreise. Demohngeachtet hat mich Herr Schönborn, seitdem ich hier wohne, täglich besucht, und ich ihn immer die Hälfte Weges zurückbegleitet. Heute Nachmittag haben wir bei der Paulskirche von einander Abschied genommen. Mir ist dieser Abschied sehr schwer geworden.

Einen sehr angenehmen Besuch erhielt ich eben diesen Nachmittag von Herrn Hansen, einem Mitarbeiter an dem Zöllnerschen Lesebuche für alle Stände, welcher mir einen Brief vom Herrn Prediger Zöllner aus Berlin mitbrachte, und gerade in London ankam, da ich abreisen wollte. Er geht in Handlungsgeschäften nach Liverpool.

Diese Tage über habe ich denn noch aus Langerweile einige Gegenden von London durchstrichen. Ich suchte gestern das westliche Ende der Stadt zu erreichen; allein sie dauerte einige Meilen weit immer noch in einzelnen Häusern fort, die aber doch eine Straße ausmachten, bis ich endlich, da es schon dunkel war, ganz ermüdet zurückkehrte, ohne meinen Zweck erreicht zu haben.

Nichts macht in London einen häßlichern Anblick, als die Fleischscharren, besonders in der Gegend vom Tower. Gedärme und Unrat wird alles auf die Straße geworfen, und verursacht einen unerträglichen Gestank.

Ich habe vergessen, Ihnen etwas von der Börse zu sagen: dies prächtige Gebäude ist ein länglichtes Viereck, dessen Mitte ein offner freier Platz ist, wo sich die Kaufleute versammeln. Rund herum sind bedeckte Säulengänge, und an den verschiednen Pfeilern steht immer der Name der handelnden Nation verzeichnet, welche man hier treffen will, damit man sich unter der Menge von Menschen einander finden könne. Auch sind unter den bedeckten Gängen steinerne Bänke angebracht, die nach einer Wanderung etwa von St. Catharins bis hieher zum Ausruhen sehr bequem sind.

Rund umher an den Wänden sind allerlei Avertissements auf großen, gedruckten Bogen angeschlagen, worunter ich eins von ganz sonderbarem Inhalt las. Es ermahnte nehmlich ein Englischer Geistlicher, daß man der schändlichen Parlamentsakte zur Duldung der Catholicken nicht dadurch beistimmen sollte, daß man etwa seine Kinder, zu ihrem ewigen Verderben, von ihnen unterrichten und erziehen ließe; sondern man solle doch ihm, als einem rechtgläubigen Priester der Englischen Kirche lieber diesen Verdienst zuwenden.

In der Mitte des freien Platzes steht Karl des andern steinerne Bildsäule. – Wenn ich hier so auf einer Bank saß, und dem Gewühle zusah, so kam mir doch diese Londner Welt, in Ansehung der Kleidung und des Äußern, von der Berlinischen nicht so sehr verschieden vor.

Dicht bei der Börse ist ein Laden, wo man für einen Penny oder Halfpenny im Vorbeigehen Zeitungen lesen kann, so viel man will. Es steht um diesen Laden beständig voller Leute, die hier in der Geschwindigkeit im Stehen eine Weile lesen, ihren Halfpenny bezahlen, und dann weiter gehen.

Auf der Börse ist ein kleiner Turm mit einem Glockenspiel, das sehr angenehm klingt, aber nicht mehr als eine ziemlich lustige Melodie spielt, die einem in dieser Gegend beständig in den Ohren schallt.

Noch ist mir eingefallen, daß man hier in London keines Elementarwerks und keiner Kupfertafeln zum Unterricht für Kinder bedürfte: man brauchte sie nur in die Straßen der Stadt zu führen, und ihnen alle die Dinge selbst, wie sie wirklich sind, zu zeigen. Denn hier ist dafür gesorgt, daß alle Produkte der Künste und des Fleißes, so viel wie möglich, zur öffentlichen Schau gestellt sind. Gemälde, Kunstwerke, Kostbarkeiten, alles zeigt sich hinter den großen Glasscheiben und hellen Fenstern der Gewölbe im vorteilhaftesten Prospekt. Es fehlt auch nie an Zuschauern, welche hier oder da mitten auf den Straßen, vor irgend einem Kunstwerke still stehen, und es betrachten. Oft scheint eine solche ganze Straße einem wohlgeordneten Kunstkabinett zu gleichen.

Die Squares aber, wo die prächtigsten Häuser sind, verschmähen dergleichen Zierrat, der nur den Kaufmannshäusern ansteht. Auch ists hier lange nicht so volkreich, wie in den übrigen Teilen der Stadt. Zwischen dem Strande und den Squares in London ist ohngefähr, in Ansehung der Lebhaftigkeit, ein solches Verhältnis, als zwischen dem Mühlendamm und der Friedrichsstadt, in Berlin.

Nun, lieber Freund, fällt mir nichts merkwürdiges mehr bei, das ich ihnen schreiben könnte, als daß alles zu unsrer morgenden Abreise fertig ist. – Dem Herrn Capitain Hilkes, mit dem ich von Hamburg herfuhr, mußte ich vier Guineen für Kost und Wohnung in der Kajüte bezahlen. Herr Capitain Braunschweig aber, mit dem ich wieder zurückfahre, nimmt fünf Guineen, weil in London der Einkauf der Lebensmittel teurer ist.

Und nun hätte ich Ihnen denn alle meine Fata und Abenteuer, von dem Augenblick an, da ich in Hamburg auf der Straße von Ihnen Abschied nahm, erzählt; ausgenommen meine Herreise mit Herrn Hilkes. Von dieser berichte denn noch, daß sie zu meinem höchsten Mißvergnügen vierzehn Tage dauerte, und ich drei Tage seekrank war. Von der Hinreise bring' ich Ihnen die Nachricht mit. Und nun grüßen Sie Bistern, und leben Sie wohl, bis wir uns wiedersehen!


 << zurück