Karl Philipp Moritz
Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782
Karl Philipp Moritz

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Auf der Themse den 31sten Mai.

Endlich, liebster G..., befinde ich mich zwischen den glücklichen Ufern des Landes, das zu sehen, schon Jahre lang mein sehnlichster Wunsch war, und wohin ich mich so oft in Gedanken geträumt habe. Vor einigen Stunden dämmerten noch die grünen Hügel von England vor uns in blauer Ferne, jetzt entfalten sie sich von beiden Seiten, wie ein doppeltes Amphytheater.

Die Sonne bricht durch das Gewölk, und vergoldet wechselsweise mit ihrem Schein Gebüsche und Wiesen am entfernten Ufer. Zwei Masten ragen mit ihren Spitzen aus der Tiefe empor: fürchterliche Warnungszeichen! Wir segeln hart an der Sandbank vorbei, wo so viel Unglückliche ihr Grab fanden.

Immer enger ziehen sich die Ufer zusammen: die Gefahr der Reise ist vorbei, und der sorgenfreie Genuß hebt an. Wie ist doch dem Menschen nach der Ausbreitung die Einschränkung so lieb! Wie wohl und sicher ists dem Wandrer in der kleinen Herberge, dem Seefahrer in dem gewünschten Hafen! Und doch bleibt der Mensch immer im Engen, er mag noch so sehr im Weiten sein; selbst das ungeheure Meer zieht sich um ihn zusammen, als ob es ihn in seinen Busen einschließen wollte; um ihn ist beständig nur ein Stück aus dem Ganzen herausgeschnitten.

Aber das ist ein herrlicher Ausschnitt aus dem Ganzen der schönen Natur, den ich jetzt um mich her erblicke. Die Themse voll hin und her zerstreuter großer und kleiner Schiffe und Böte, die entweder mit uns fortsegeln oder vor Anker liegen; die Hügel an beiden Seiten mit einem so milden sanften Grün bekleidet, wie ich noch nirgends sahe. Die reizenden Ufer der Elbe, die ich verließ, werden von diesen Ufern übertroffen, wie der Herbst vom Frühlinge! Allenthalben seh ich nichts, als fruchtbares und bebautes Land, und die lebendigen Hecken, womit die grünen Weizenfelder eingezäunt sind, geben der ganzen weiten Flur das Ansehen eines großen majestätischen Gartens. Die netten Dörfer und Städtchen und prächtigen Landsitze dazwischen, gewähren einen Anblick von Wohlstand und Überfluß, der über alle Beschreibung ist.

Insbesondre schön ist die Aussicht nach Gravesand, einem artigen Städtchen; das einen der Hügel hinangebaut ist, und um welches Berg und Tal, Wiesen und Äcker mit untermischten Lustwäldchen und Landsitzen sich auf die angenehmste Art durchkreuzen. Auf einem der höchsten Hügel bei Gravesand steht eine Windmühle, die einen guten Gesichtspunkt gibt, weil man sie, nebst einem Teile der Gegend, noch weit hin auf den Krümmungen der Themse sieht. Aber wie denn kein Vergnügen leicht vollkommen ist, so sind wir bei Betrachtung aller dieser Schönheiten auf dem Verdeck noch einem sehr kalten und stürmischen Wetter ausgesetzt. Ein anhaltender Regenguß hat mich genötiget, in die Kajüte zu gehen, wo ich mir eine trübe Stunde dadurch aufheitre, daß ich Ihnen die Geschichte einer angenehmen beschreibe.


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