Karl Philipp Moritz
Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782
Karl Philipp Moritz

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Oxford, den 25ten Juni.

Was für sonderbaren Schicksalen und Abenteuern ist doch ein Fußgänger in diesem Lande der Pferde und Karossen ausgesetzt! Doch ich will nur gleich meine Erzählung von vorne anfangen.

In Windsor mußte ich für ein altes Huhn, das ich den Abend verzehrte, für ein Schlafzimmer, das man mir mit Murren gab, und wo ich noch dazu von einem besoffenen Kerl beunruhigt wurde, und für ein Paar Tassen Tee zum Frühstück, neun Schillinge bezahlen, worunter denn das Huhn allein sechs Schillinge gerechnet ward.

Als ich nun weggehen wollte, stand der Aufwärter, welcher mich mit Unwillen und Murren bedient hatte, an der Treppe, und sagte: remember de Waiter! (bedenkt den Aufwärter!) Ich gab ihm drei Halfpenny's, wogegen er mir ein herzhaftes: God damm you Sir! nachschickte. An der Türe stand die mürrische Magd, und sagte: remember the Chambermaid! – J'ill remember your Civility (ich werde mich an eure Höflichkeit erinnern!) sagt' ich, und gab ihr nichts, worüber sie ihren Ärger in einem lauten Hohngelächter erstickte. Es folgten mir also im eigentlichen Verstande Flüche und Hohngelächter nach, da ich aus Windsor ging.

Wie froh war ich nun, da ich die Türme von Windsor wieder im Rücken hatte! Es ist nicht gut sein für den Wandrer nahe bei den Palästen der Könige, dacht' ich, und lagerte mich im Schatten einer grünen Hecke, wo ich in meinem Milton las, und die Herrlichkeit der schönen Natur um mich her empfand.

Ich nahm meinen Weg wieder durch Slough über Salthill nach Maidenhead. In Salthill, welches doch nur ein Dorf ist, hatte ganz am Ende ein Perukenmacher seine Bude, worin er zugleich balbierte und frisierte. Dafür daß er mein Haar ein wenig in Ordnung brachte, und mich rassierte, mußte ich ihm einen Schilling bezahlen. Dieser Bude gegenüber war ein sehr elegantes Haus und Garten.

Zwischen Salthill und Maidenhead begegnete mir das erste Abenteuer auf meiner Wanderung.

Mir war bis jetzt noch fast kein einziger Fußgänger begegnet, hingegen rollten beständig eine große Menge Kutschen vor mir vorüber, weil auf der Straße von Oxford eine starke Passage ist, auch begegneten mir häufig Personen zu Pferde, welches hier auch eine sehr gewöhnliche Art zu reisen ist.

Mein Weg führte mich in einem ziemlich tiefen Grunde zwischen hohen Bäumen hin, so daß ich nicht weit vorwärts sehen konnte, als mir ein Kerl in einem braunen Frack und runden Hute, mit einem Stabe in der Hand entgegen kam, der um ein gut Teil stärker als der meinige war. Seine Physiognomie kam mir gleich etwas verdächtig vor. Er ging aber vor mir vorbei. Allein ehe ichs mir versah kehrte er wieder um, und verlangte von mir weiter nichts, als einen Halfpenny, wofür er sich wolle etwas Bier geben lassen, weil er noch nüchtern sei. Ich griff in die Tasche, und fand, daß ich gar keine Kupfermünze und nicht einmal Sixpences, sondern lauter Schillinge hatte. Als ich mich damit entschuldigte, sagte er mit einer so hämischen Miene, God bless my soul! und machte mich auf den faustdicken Griff an seinem Wanderstabe so aufmerksam, daß ich sogleich in die Tasche griff, und ihm mit der fröhlichsten Miene einen Schilling gab. Indem kam eine Kutsche gefahren. Er bedankte sich sehr höflich bei mir, und ging fort. Wäre die Kutsche einen Augenblick eher gekommen, so würde ich ihm den Schilling, den ich gar nicht überflüssig hatte, schwerlich gegeben haben. Ob dies nun ein Footpad war, will ich nicht entscheiden, alles mögliche Ansehn hatte er dazu.

Ich kam nun auf Maidenheadbridge oder die Brücke von Maidenhead, welches 25 Englische Meilen von London ist.

Die Englischen Meilenzeiger sind für den Reisenden eine große Annehmlichkeit und Bequemlichkeit. Mir haben sie oft die Hälfte des Weges erleichtert, weil ich immer gewiß wußte, wie weit ich gekommen war, und daß ich auf dem rechten Wege sei. Denn auf diesen Meilenzeigern sind allemal sowohl die Entfernungen von London, als bis zum nächstliegenden Orte bezeichnet, und wo Scheidewege sind, ist immer noch besonders ein Handweiser angebracht, so daß es hier fast unmöglich ist, sich im Gehen zu verirren. Ich muß gestehen, daß meine Reise fast ein beständiger Spaziergang war.

Von der Brücke vor Maidenhead ist eine vortreffliche Aussicht auf einen Hügel der sich rechts längst dem Ufer der Themse hin erstreckt, und auf welchem zwei prächtige Landsitze mit Wiesen und Parks befindlich sind. Der erste heißt Taplow und gehört dem Grafen von Inchiquin, und ein wenig weiter in der Ferne liegt Cliefden, welches ihm ebenfalls zugehört. Die Schlösser schimmern mit grünen Wiesen umgeben aus dem dicken Gehölz hervor, und geben einen reizenden Anblick.

Von dieser Brücke hat man nicht weit bis Maidenhead, und beim Eingange in dasselbe zur linken Seite, wiederum die Aussicht auf einen schönen Landsitz, wovon ein gewisser Pennyston Powney Esq. Besitzer ist.

Diese Nachrichten schöpfe ich größtenteils aus meinem Englischen Wegweiser, den ich fast beständig in der Hand habe, und worin fast alles Merkwürdige von Meile zu Meile angezeigt ist. Ich lasse mir von den Leuten, bei denen ich einkehre, die Wahrheit der Nachrichten bestätigen, und diese wundern sich denn, wie ich als ein Fremder, mit ihrer Gegend so genau bekannt bin.

Maidenhead selber ist ein unansehnlicher Ort: für eine Bierkalteschale, die ich mir hier machen ließ, mußte ich doch neun Pence bezahlen. Man schien mich auch hier nicht für voll anzusehen. A lusty Comrade! hört' ich im Vorbeigehen von mir sagen, und das klang denn freilich nicht sehr ehrenvoll, wenn es eben so viel heißen sollte, als wie man bei uns zu sagen pflegt: das mag mir wohl ein lustiger Kamrad, oder ein lustiger Passagier sein!

Am Ende des Dorfs hatte ein Schuhmacher seinen Laden, so wie am Ende von Salthill ein Friseur wohnte.

Von hier gings nun auf Henley zu, das noch eilf Meilen von Maidenhead, und 36 Meilen von London entfernt ist.

Als ich ziemlich scharf sechs englische Meilen nach einander gegangen, und also nur noch fünf Meilen von Henley war, kam ich auf eine Anhöhe, wo grade ein Meilenzeiger stand, bei dem ich mich niedersetzte, um eine der herrlichsten Aussichten zu genießen, zu deren Betrachtung ich einem jeden raten will, der etwa einmal auf diesen Fleck kommen sollte.

Vor mir in der Nähe ein sanfter Hügel voll grüner Weizenfelder mit lebendigen Hecken eingezäunt, und oben von einem Walde umkränzt.

Und nun in der Ferne in einem großen halben Cirkel um mich her ein grüner Hügel an den andern, die sich vom Ufer der Themse sanft in die Höhe erhoben, und auf denen sich Wälder, Wiesen, Äcker und Dörfer mannigfaltig durchkreuzten, indes zu ihren Füßen die Themse sich zwischen Dörfern und einzelnen Häusern, und grünen Tälern, in reizenden Krümmungen hinschlängelte.

Die Ufer der Themse sind beständig schön und reizend; wie süß ist mir ihr Anblick, wenn ich sie oft, nach einer kleinen Entfernung, wo ich sie aus den Augen verloren habe, plötzlich mit allen ihren grünen Ufern wieder sehe!

Unten im Tale weideten Herden, und die Glocken schallten den Hügel herauf.

Und was eine solche Englische Gegend so bezaubernd schön macht, ist, daß alles übereinstimmt einen rührenden Anblick zu gewähren, daß man keinen Fleck sieht, auf dem das Auge nicht gern ruhen möchte. Die mittelmäßigste Gegend von denen, die ich nun in England gesehen habe, würde in der unsrigen schon ein Paradies ausmachen.

Durch diese belohnende Aussicht gleichsam zum neuen Gange gestärkt, gings nun im scharfen Schritt Berg auf Berg ab, die übrigen fünf Meilen bis Henley, wo ich den Nachmittag ohngefähr um vier Uhr ankam.

Zur linken Seite dicht vor Henley, an dem diesseitigen Ufer der Themse liegt auf einem Hügel ein schöner Park und Landsitz, den jetzt der General Conway bewohnet.

Ehe ich in Henley hinein ging, spazierte ich noch ein wenig am Ufer der Themse hinunter, und setzte mich im hohen Grase nieder, indes am andern Ufer der Park auf dem Hügel vor mir lag: weil ich etwas müde war, schlief ich hier ein, und als ich wieder aufwachte, schienen mir gerade noch die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ins Gesicht.

Gestärkt von diesem süßen Schlummer ging ich weiter fort, und in die Stadt hinein, wo es mir aber viel zu vornehm aussahe, als daß ich meiner gemachten Erfahrung zu folge, hätte da bleiben sollen, vielmehr entschloß ich mich in einem Gasthofe by the Roadside (an der Heerstraße,) welche der Vikar von Wakefield the usual Retreat of Indigence and frugality (die gewöhnliche Zuflucht der Armut oder Sparsamkeit) nennt, einzukehren.

Allein das schlimmste war, daß mich niemand selbst einmal in einen solchen Zufluchtsort aufnehmen wollte. Es begegneten mir auf diesem Wege doch ein Paar Bauren. Ich fragte den ersten, ob ich in einem Hause an der Heerstraße, das ich von ferne sahe, wohl die Nacht Herberge finden würde? I dare say you may! war seine Antwort. Allein, als ich hinkam hieß es: we have got no Beds, and you can't stay here to night! (Wir haben keine Betten, und ihr könnt die Nacht nicht hier bleiben), eben so hieß es auch in dem folgenden Hause, das ich an der Heerstraße traf. Ich mußte mich also entschließen, noch fünf Meilen bis Nettlebed zu gehen, wo ich denn etwas spät am Abend, da es schon völlig dunkel war, ankam.

Es ging in diesem Dörfchen noch recht munter zu, indem einige beurlaubte Soldaten auf ihre eigene Hand musicierten. Gleich beim Eingange in das Dorf war das erste Haus zur linken Seite ein Gasthof, wovon ein Querbalken bis zu dem gegenüberstehenden Hause gelegt war, an welchem ein erstaunlich großes Schild mit dem Namen des Eigentümers hing.

May I stay here to night? war meine erste Frage, da ich in das Haus trat, und ein kaltes: yes you may! war die Antwort darauf, worüber ich doch sehr froh war.

Man wies mich in die Küche, und gab mir an einem Tische mit den Soldaten und Hausknechten zu essen. Ich befand mich also nun zum erstenmal in einer solchen Küche, die in den Englischen Romanen des Fielding so oft vorkommen, und worin sich gemeiniglich die meisten Abenteuer zutragen.

Das Kamin in dieser Küche, wo gekocht und gebraten wurde war mit einem hölzernen Verschlage eingefaßt, und das übrige wurde wie ein Wohn- und Speisezimmer gebraucht. Rund herum an den Seiten waren Börte mit zinnernen Schüsseln und Tellern besetzt, und die Decke hing voller Viktualien, als Zuckerhüte, Würste, Speckseiten und dergleichen.

Während daß ich aß, kam eine Postchaise angefahren, und sogleich wurden beide Türflügel eröffnet, und das ganze Haus in Bewegung gesetzt, um nur diese vornehmen Gäste gehörig zu empfangen. Die Herrn stiegen aber nur einen Augenblick aus, und verzehrten nichts als ein Paar Krüge Bier, worauf sie wieder fortfuhren. Man begegnete Ihnen mit allem möglichen Respekt, denn sie kamen in einer Postchaise gefahren.

Ohngeachtet dies nur ein kleines Dorf war, und man mich gewiß für keinen vornehmen Gast hielt, wies man mir hier doch ein tapeziertes Schlafzimmer mit sehr guten Betten an.

Am folgenden Morgen zog ich reine Wäsche an, die ich bei mir trug, und putzte mich, so gut ich konnte, heraus, und als ich nun herunter kam, wies man mich nicht, wie den Abend vorher, in die Küche, sondern in das Parlour oder Fremdenzimmer, unten an der Erde; auch hieß ich wieder Sir, da ich den Abend vorher nur Master tituliert wurde, mit welcher letztern Benennung man eigentlich nur Bauern und ganz gemeine Leute anredet.

Es war Sonntag, und alles im Hause hatte sich schon festlich angeputzt. Es fing mir an in diesem Dorfe außerordentlich zu gefallen, und ich nahm mir vor, diesen Morgen dem Gottesdienste mit beizuwohnen. Zu dem Ende lieh ich mir von meinem Wirt dem Herrn Illing, dies war sein Name, der mir auffiel, weil er auch in Deutschland sehr gebräuchlich ist, ein Prayerboock (Gebetbuch), worin ich beim Frühstück für mich blätterte, und verschiednes von der Englischen Liturgie darin las. Auffallend war es mir, daß den Priestern alle Worte vorgeschrieben sind, deren sie sich bedienen müssen, wenn sie einen Kranken besuchen, wo sie z. B. anheben müssen: Peace dwell in this House! (Friede sei mit diesem Hause) u. s. w.

Daß ein solches Buch aber Gebetbuch und nicht Gesangbuch heißt, rührt daher, weil bei dem Englischen Gottesdienst von der Gemeine eigentlich nicht gesungen, sondern nur gebetet wird. Demohngeachtet aber sind auch in diesem Gebetbuche die Psalmen in Englische Verse übersetzt mit befindlich.

Das Gebetbuch, was mir mein Wirt liehe, war ein rechtes Familienstück, denn aller seiner Kinder Geburts- und Namenstage, und auch der Tag seiner Hochzeit waren sorgfältig darin verzeichnet. Um desto mehr Wert hatte auch dies Buch in meinen Augen.

Um halb zehn Uhr fing erst der Gottesdienst an. Grade unserm Hause gegenüber standen die Knaben des Dorfs, alle blühend und schön, und sehr nett und sauber angezogen, ihr rundabgeschnittnes Haar nach Englischer Art gekämmt, mit offner freier Brust, und die weißen Kragen an ihren Hemden von beiden Seiten übergeschlagen. Sie schienen sich hier beim Eingange des Dorfs versammlet zu haben, um den Pfarrer zu erwarten.

Ich ging ein wenig vor das Dorf hinaus spazieren, wo ich von fern einige Männer aus einem andern Dorfe kommen sahe, die dem hiesigen Gottesdienste beiwohnen wollten.

Endlich kam der Pfarrer geritten. Die Knaben zogen ihre Hüte vor ihm ab, und bückten sich tief vor ihm. Er war ein Mann von schon etwas ältlichem Ansehn, und trug sein eignes Haar rund frisiert, oder vielmehr, wie es sich von selber in Locken rollte.

Es ward geläutet, und ich ging, mein Gebetbuch unterm Arm, mit der Gemeine zur Kirche; wo mir der Clerk oder Küster sehr höflich dicht vor der Kanzel einen Platz anwies.

Die Auszierung der Kirche war sehr simpel. Gerade über dem Altar, waren auf zwei Tafeln mit großen Buchstaben die zehn Gebote verzeichnet, welche doch immer ein sehr kurzer und nachdrücklicher Inbegriff einer Sittenlehre für das Volk sind.

Unter der Kanzel dicht am Aufgange derselben war ein Pult, worin der Prediger, vor der Predigt, stand, und eine sehr lange Liturgie ablas, worauf der Küster jedesmal antwortete, indes die ganze Gemeine leise mit einstimmte. Wenn z. B. der Priester sagte: God have Mercy upon us! so antwortete der Küster und die Gemeine: and forgive us all our Sins! oder der Priester las ein Gebet, und die ganze Gemeine sagte Amen dazu.

Dies ist für den Prediger sehr beschwerlich, der nicht nur, so lange er predigt, sondern während des ganzen Gottesdienstes beständig reden muß. Aber das Mitbeten der ganzen Gemeine hat etwas sehr Feierliches und Rührendes.

Ein Paar Soldaten, die neben mir saßen, und vermutlich in London gewesen waren, schienen schon starke Geister sein zu wollen, denn sie beteten nicht laut mit.

Nachdem nun eine Weile gebetet war, merkte ich auf dem Chore einige Bewegungen, der Clerk war sehr geschäftig, und man schien sich zu irgend etwas Feierlichem zu rüsten, auch erblickte ich verschiedne musikalische Instrumente, als der Prediger mit Lesen inne hielt, und der Clerk vom Chor herunter sagte: Laßt uns zur Ehre Gottes singen, den sieben und vierzigsten Psalm, der sich anhebt, awake, our Hearts, awake with joy!

Und wie rührend und herzerhebend war es, als nun auf einmal in dieser kleinen ländlichen Kirche eine Instrumental- und Vokalmusik erschallte, welche von keinen gedungenen Tonkünstlern, sondern von den glücklichen Bewohnern dieses Dorfes selbst, als ein fröhliches Opfer zur Ehre ihres Gottes dargebracht wurde.

Dieser Gesang wechselte nun noch einigemal mit dem Gebet ab, und die Melodie der Psalmen hatte einen so raschen und freudigen, und doch dabei erhabnen Gang, der das Herz unaufhaltsam zur Andacht mit sich fortriß, und mich oft bis zu Tränen rührte.

Der Prediger trat nun auf und hielt eine kurze Rede über den Text: Es werden nicht alle, die zu mir Herr! Herr! sagen ins Himmelreich kommen, u. s. w. Er handelte in ziemlich allgemeinen Ausdrücken und Predigerterminologien von der Notwendigkeit, des Herrn Willen zu tun, sagte aber weiter eben nichts besonders Zweckmäßiges. Die Predigt dauerte keine halbe Stunde.

Dieser Prediger hatte eben kein freundliches, einnehmendes Wesen, und schien auch den Bauern etwas stolz mit einem vornehmen Kopfnicken zu danken, wenn sie ihn grüßten.

Ich blieb bis der Gottesdienst ganz geendigt war, und dann ging ich wieder mit der Gemeine aus der Kirche, und besahe noch die Leichensteine und Grabschriften auf dem Kirchhofe, welche doch größtenteils simpler und geschmackvoller als die unsrigen waren.

Einige waren freilich auch komisch genug, worunter denn vorzüglich eine Grabschrift auf einen Schmidt gehört, die ich wegen ihrer Seltsamkeit abgeschrieben habe, und sie hierher setzen will:

My Sledge and Anvil lie declined,
My Bellows too have lost their Wind;
My Fire's exstinct, my Forge decay'd.
My Coals are spent, my Iron's gone,
My Nails are drove, my Work is done.

»Mein Schmiedehammer und Amboß liegen darnieder; meine Blasebälge haben ihren Wind verloren; mein Feuer ist verloschen, und meine Schmiede verfallen; meine Kohlen sind verbraucht, mein Eisen ist alle, meine Nägel sind eingeschlagen, meine Arbeit ist aus.«

Viele Grabschriften fand ich, die sich mit folgenden Reimen endigten. Physicians were in vain; God knew the best, and laid his Dust to Rest. Ärzte waren vergeblich; Gott wußte am besten, was ihm gut sei, und legte seinen Staub zur Ruhe.

In der Kirche selbst sahe ich das marmorne Epitaphium eines Sohnes des berühmten D. Wallis, mit folgender simpeln und rührenden Inschrift: Eben der Verstand, welcher ihn zu jedem öffentlichen Amte fähig machte, lehrte ihn, sein Leben hier in der Stille zubringen.

Alle die Bauern, welche ich hier sahe, waren nicht, wie die unsrigen, in grobe Kittel, sondern gutes feines Tuch, auf eine geschmackvolle Art gekleidet, und unterschieden sich nur dadurch von den Stadtleuten, daß mir ihr Anzug und ihr ganzes Betragen weit natürlicher und edler zu sein schien.

Einige von den Soldaten, die starke Geister sein wollten, gesellten sich zu mir, da ich die Kirche besahe, und schienen sich ordentlich ihrer Kirche zu schämen, indem sie sagten: es sei nur eine sehr erbärmliche Kirche; worüber ich mir denn die Freiheit nahm, sie zu belehren, daß keine Kirche erbärmlich sei, die ordentliche und vernünftige Menschen in sich faßte.

Ich blieb noch den Mittag hier. Den Nachmittag war kein Gottesdienst, aber die jungen Leute musicierten wieder für sich, und sangen einige Psalmen, wobei ein Teil der Gemeine zuhörte. Es geschahe dies mit solcher Anständigkeit, daß es auch wie eine Art von Gottesdienst zu betrachten war. Dieser Kirchenmusik wohnte ich wieder bei. Ich war wie an dies Dorf gebannt. Dreimal ging ich fort, um weiter zu reisen, und eben so oft kehrte ich wieder um, weil ich mir beinahe vorgenommen hatte, eine Woche oder länger in diesem Dorfe zuzubringen.

Doch der Gedanke, daß ich nur noch einige Wochen bis zu meiner Rückreise übrig hatte, und doch noch Derbischire besehen wollte, trieb mich endlich fort. Mit Wehmut blickte ich oft nach dem kleinen Kirchturme und den friedlichen Hütten zurück, wo ich einen Morgen, wie zu Hause gewesen war.

Nun war es beinahe drei Uhr Nachmittages, als ich von hier wegging, und ich hatte noch achtzehn Meilen bis Oxford. Allein ich nahm mir vor, nicht bis Oxford zu gehen, sondern die Nacht über etwa fünf bis sechs Meilen davon zu bleiben, um es alsdann den folgenden Morgen noch bei guter Zeit zu erreichen.

Mein Weg von Nettlebed aus war ein ununterbrochener Spaziergang in einem großen Garten. Ich wechselte oft mit Gehen und Lesen im Milton ab. Als ich ohngefähr acht Meilen von Nettlebed und nicht weit mehr von Dorchester war, hatte ich die Themse in einiger Entfernung zur Linken, und an ihrem jenseitigen Ufer sah ich einen langen Hügel, hinter welchem ein Mastbaum hervorzuragen schien, der mich vermuten ließ, daß an der andern Seite des Hügels auch ein Fluß sei.

Die Aussicht, welche ich mir von diesem Hügel versprach, konnte ich unmöglich so vorbeigehen; ich ging links vom Wege ab, über eine Brücke über die Themse, und immer den Hügel hinauf, auf den Mastbaum zu. Als ich den Gipfel erstiegen hatte, fand ich, daß alles ein Blendwerk war. Ich hatte nichts, als eine große Ebne vor mir, und der Mastbaum war in die Erde gegraben, um vorwitzige Leute vom Wege abzulocken.

Ich stieg also meinen Hügel wieder herunter; am Fuß desselben war ein Haus, wo viele Leute aus dem Fenster sahen, die mich auszulachen schienen, daran ich mich aber wenig kehrte, und meine Straße fortging, ohne daß mich meine Reise zu dem Mastbaum sehr gereuet hätte. Nur war ich doch von dem Steigen etwas ermüdet.

Nicht weit von hier nahe vor Dorchester hatte ich noch eine herrliche Scene. Die Gegend wurde hier so schön, daß ich nicht weiter gehen konnte, sondern mich auf den grünen Rasen legte, und sie mit Entzücken betrachtete. Der Mond stand schon in seiner ganzen Fülle am Himmel, die Sonne flimmerte noch mit ihren letzten Strahlen durch die grünen Hecken. Hierzu kam der Wiese betäubender Wohlgeruch, der Vögel mannigfaltiger Gesang, die Hügel an der Themse, bald hellgrün, blaßgrün, oder dunkelgrün, mit ihren hin und her zerstreuten Baumgeschwadern. Ich erlag fast unter der Betrachtung aller dieser reizenden Gegenstände.

Ich kam ziemlich spät in Dorchester an. Dies ist nur ein kleiner Ort, hat aber eine große und ansehnliche Kirche. Indessen standen die Damen mit frisiertem Haar vor den Häusern, wo ich vorbei ging, und es schien mir hier wieder alles ein viel zu vornehmes Ansehen zu haben, als daß ich hier hätte bleiben sollen, wie ich anfänglich willens war.

Ich entschloß mich also, noch viertehalb Meilen bis Nuneham zu gehen, wovon es nur noch fünf Meilen bis Oxford war. Hier in Nuneham kam ich denn ziemlich ermüdet und bei finstrer Nacht an.

Der Ort bestand aus zwei Reihen dicht aneinandergebauter Häuser, und war so regelmäßig angelegt, wie eine Straße in London. Alle Türen waren schon verschlossen, und ich sahe nur noch in einigen Häusern Licht.

Endlich sah' ich ganz am Ende des Orts, ein großes Schild quer über die Straße aushängen, und das letzte Haus an der linken Seite war der Gasthof, wo noch alles in Bewegung war.

Ich kehrte ohne Umstände ein, und sagte, ich wolle die Nacht da bleiben. By no means! (keinesweges) hieß es, es sei schlechterdings unmöglich; das ganze Haus sei voll, und alle ihre Betten besetzt; da ich so weit wäre, solle ich nur noch vollends die fünf Meilen bis Oxford gehen.

Weil mich sehr hungerte, so verlangte ich wenigstens, daß man mir etwas zu essen geben sollte. Allein ich bekam zur Antwort, weil ich die Nacht nicht da bleiben könne, so ginge es auch nicht gut an, daß sie mir zu Essen geben könnten, ich möchte nur weiter gehn.

Endlich verlangte ich einen Krug Bier, den man mir für bare Bezahlung gab, aber einen Bissen Brot dazu, den ich auch gern bezahlen wollte, schlug man mir ab.

Eine solche erstaunliche Inhospitalität hatte ich denn doch in einem Englischen Gasthofe nicht erwartet. Ich wollte aber doch alles mögliche versuchen, um zu sehen, wie weit die Lieblosigkeit dieser Leute gehen würde.

Ich bat also, sie möchten mich nur auf einer Bank schlafen lassen, und mir Obdach geben, ich wolle dafür so viel, als für ein Bette bezahlen, denn ich wäre so müde, daß ich unmöglich weiter gehen könnte, allein indem ich noch diesen Antrag machte, schlug man mir die Tür vor der Nase zu.

Da man mich nun hier in einem kleinen Dorfe nicht hatte aufnehmen wollen, so konnte ich noch weit weniger erwarten, daß man es in Oxford tun würde. Ich war also beinahe entschlossen, diese Nacht, weil es überdem ziemlich warm war, unter freiem Himmel zuzubringen, und suchte mir zu dem Ende einen bequemen Platz auf dem Felde unter einem Baume aus. Als ich nun gerade im Begriff war, meinen Überrock auszuziehen, um ihn mir untern Kopf zu legen, hörte ich jemanden mit schnellen Schritten hinter mir herkommen, der mir zurief, ich solle warten, wir könnten miteinander gehen.

So wenig nun auch jemanden, der auf die Weise hinter einem herkömmt, in finstrer Nacht zu trauen ist, so war es mir doch eine Freude, daß sich wieder ein Mensch um mich bekümmerte, und mit mir gehen wollte, da ich vorher so äußerst unfreundlich von den Menschen ausgestoßen war.

Ich erwartete ihn also ruhig, und als er zu mir heran kam, sagte er, wenn ich gut zu Fuße wäre, so könnten wir miteinander gehen, denn er wolle auch noch nach Oxford. Als ich ihm das erste versicherte, setzten wir unsern Weg zusammen fort.

Da ich nun nicht wissen konnte, ob meinem Reisegefährten zu trauen sei, so suchte ich mich ihm auf alle Fälle von einer bemitleidenswerten Seite bekannt zu machen. Und beklagte mich zu dem Ende über das Unrecht, daß man mir, als einem armen Wandrer, in dem letzten Gasthofe nicht einmal ein Obdach verstattet, und mir für mein Geld sogar einen Bissen Brot versagt habe.

Mein Reisegefährte entschuldigte die Leute in etwas, indem er sagte, daß wirklich das Haus voller Leute sei, die hier in der Nähe gearbeitet hätten, und nun da logierten. Daß man mir aber einen Bissen Brot versagt habe, könne er freilich selbst nicht billigen; und hierauf fragte er mich, wo ich denn heute hergewandert käme.

Ich antwortete aus Nettlebed, und erzählte ihm, daß ich da heute Morgen dem Gottesdienste mit beigewohnt hätte.

Da Ihr also vermutlich heute Nachmittag durch Dorchester gekommen seid, sagte er, so hättet Ihr mich auch können predigen hören, wenn Ihr dort in die Kirche gekommen wäret: denn dies ist mein Vikariat, wo ich eben herkomme, um wieder nach Oxford zu gehen.

Also seid Ihr ein Prediger? sagte ich, ganz voller Freuden, daß ich in dieser finstern Nacht, auf meinem Wege einen Gefährten angetroffen hatte, mit dem ich einerlei Beschäftigung trieb. Ich bin auch ein Mann der predigt, sagte ich zu ihm, indem ich ihm zugleich zu verstehen gab, daß ich nicht, wie ich vorher gesagt, aus Armut, sondern um Sitten und Menschen kennen zu lernen, zu Fuße reiste.

Er war über diese angenehme Zusammenkunft eben so erfreut wie ich, und wir schüttelten brüderlich die Hände zusammen, ehe wir weiter gingen.

Nun fing er an, einige Worte Latein zu reden, und da ich ihm nach der Englischen Aussprache wieder Lateinisch antwortete, gab er mir seinen Beifall über meine richtige Pronunciation des Lateinischen zu erkennen. Denn, sagte er, vor einigen Jahren sei ihm einmal, auch in der Nacht, fast auf eben dem Fleck, ein Deutscher begegnet, der ihn auch in Latein angeredet, aber es so abscheulich ausgesprochen habe, daß er nur wenige Worte davon verstanden hätte.

Das Gespräch lenkte sich nun auf theologische Materien, und unter andern auf die neuen Lehren des D. Priestley, den er bis in den untersten Abgrund der Hölle verdammte. Ich hütete mich also wohl, mich über diesen Text zu tief mit ihm einzulassen, und billigte seine Behauptungen ohne alle Einschränkung, wodurch ich mir sehr seine Gunst erwarb.

Während diesem Gespräche waren wir fast, ohne des Weges gewahr zu werden, bis nahe vor Oxford gekommen.

Nun, sagte er, würde ich bald eine von den schönsten und prächtigsten Städten, nicht nur in England, sondern in ganz Europa, sehen, nur sei es Schade, daß ich, wegen der Dunkelheit der Nacht, den herrlichsten Prospekt davon verlieren würde.

Diesen verlor ich denn auch wirklich, und sahe nicht eher etwas von Oxford, bis wir dicht daran waren. Und nun sagte er, als wir hineingingen, würde ich eine der längsten, prächtigsten und schönsten Straßen nicht nur in dieser Stadt, sondern in England, und überhaupt in ganz Europa sehen.

Sehen konnte ich die Pracht und Schönheit dieser Straße nicht, aber ihre Länge fühlte ich an meiner Müdigkeit, denn ich merkte, daß wir immer fortgingen, ohne daß die längste Straße in Europa ein Ende nahm, oder daß ich gewußt hätte, wo ich nun auf dieser berühmten Straße die Nacht bleiben würde. Bis endlich mein Reisegefährte stille stand, um von mir Abschied zu nehmen, und sagte, er wolle nun in sein Kollegium gehen, wo er wohnte.

Und ich will mich die Nacht hier auf einen Stein setzen, gab ich ihm zur Antwort, und den Morgen abwarten, weil ich hier wohl schwerlich eine Herberge finden werde.

Ihr wollt Euch auf einen Stein setzen, sagte er, und schüttelte mit dem Kopfe: Kommt lieber mit mir in ein Bierhaus hier in der Nähe, vielleicht treffen wir da noch mehr Gesellschaft an!

Wir gingen also noch ein Paar Häuser weiter, und klopften an die Türe. Es ging schon auf zwölf Uhr. Man machte uns auf, und wie groß war meine Verwunderung, da wir gleich zur linken Seite in einen Verschlag traten, wo eine ganze Anzahl Priester mit ihren Mänteln und Kragen, um einen großen Tisch, jeder seinen Bierkrug vor sich, saßen, denen mich mein Reisegefährte als einen german Clergyman vorstellte, und mich nicht genug wegen meiner richtigen Aussprache des Lateinischen, meiner Orthodoxie, und meines guten Schrittes wegen, rühmen konnte.

Ich sahe mich also plötzlich in eine Gesellschaft versetzt, wovon ich mir nie etwas hatte träumen lassen; und es kam mir äußerst sonderbar vor, daß ich nun so auf einmal, ohne zu wissen wie, nach Oxford, und mitten in der Nacht in eine Gesellschaft oxfordischer Geistlichen gekommen war.

Indes suchte ich mich in dieser Situation so gut wie möglich zu nehmen. Ich erzählte von unsern deutschen Universitäten, und daß es auf denselben oft sehr unruhig und geräuschvoll zuginge, und dergleichen: O hier gehts auch manchmal sehr geräuschvoll zu, versicherte mir einer von den Geistlichen, der einen kräftigen Zug aus seinem Bierkruge tat, und dabei mit der Hand auf den Tisch schlug.

Die Unterhaltung ward immer lebhafter: man fragte mich auch nach Herrn Bruns, jetzigen Professor in Helmstädt, den die meisten unter der Gesellschaft gekannt hatten.

Nun war unter allen diesen Clergymen auch ein Weltlicher, Namens Clerck, der ein starker Geist sein wollte, und ihnen allerlei Einwürfe gegen die Bibel machte. Er machte ein Wortspiel mit seinem Namen, weil Clerk auch ein Küster heißt, indem er sagte, er bleibe immer Clerk, und avanciere nie zum Clergyman; überhaupt war er, nach seiner Art, wirklich ein launigter Kerl.

Dieser machte denn unter andern meinem Reisegefährten, der, wie ich hörte, Mr.  Modd hieß, den Einwurf gegen die Bibel, daß mit klaren Worten darin stünde, Gott sei ein Weintrinker.

Darüber ereiferte sich nun Mr. Modd gewaltig, indem er behauptete, es sei schlechterdings unmöglich, daß eine solche Stelle in der Bibel gefunden werde. Ein andrer Geistlicher, der Mr.  Caern hieß, berief sich auf seinen abwesenden Bruder, der schon vierzig Jahr im Amte sei, und gewiß etwas von dieser Stelle wissen müsse, wenn sie in der Bibel stände, er wolle aber darauf schwören, daß sein Bruder nichts davon wisse.

Waiter! fetch a Bible! (Aufwärter, holet eine Bibel!) rief Mr. Clerk, und es wurde eine große Hausbibel gebracht, und mitten auf dem Tische unter allen den Alekrügen aufgeschlagen.

Mr. Clerk blätterte ein wenig, und las im Buch der Richter 9, 13. Soll ich meinen Wein verlassen, der Götter und Menschen fröhlich macht? in der Englischen Übersetzung: which rejoices the Heart of God and Man.

Mr. Modd und Mr. Caern, die vorher am mutigsten gewesen waren, saßen auf einmal wie betäubt, und es herrschte eine Stille von einigen Minuten, als auf einmal der Geist der Exegese über mich kam, und ich sagte: Gentlemen! that is an allegorical Expression! (Meine Herrn, das ist ein allegorischer Ausdruck,) denn, fuhr ich fort, wie oft werden die Könige der Erden in der Bibel Götter genannt?

Freilich ists ein allegorischer Ausdruck! fielen sogleich Mr. Modd und Mr. Caern ein, und das ist ja so leicht einzusehen, wie möglich! – so triumphierten sie nun über den armen Clerk, und tranken mir mit vollen Zügen eine Gesundheit nach der andern zu.

Mr. Clerk aber hatte seine Pfeile noch nicht alle verschossen, sondern verlangte, sie sollten ihm eine Stelle im Propheten Ezechiel erklären, wo mit ausdrücklichen Worten stehe, Gott sei ein Bartscherer.

Hierdurch wurde Mr. Modd so sehr aufgebracht, daß er den Clerk an impudent Fellow (einen unverschämten Kerl) nannte, und Mr. Caern berief sich auf seinen Bruder, der schon vierzig Jahr im Amte sei, daß dieser den Mr. Clerk ebenfalls für einen unverschämten Kerl halten würde, weil er so etwas Abscheuliches behaupten könnte.

Mr. Clerk aber blieb ganz ruhig, und schlug im Propheten Ezechiel eine Stelle auf, die ein jeder lesen konnte, wo es von den versteckten Juden hieß: God will shave the Beard of them (Gott wird ihnen den Bart abscheren). Waren nun Mr. Modd und Mr. Caern vorher wie vor den Kopf geschlagen, so waren sie es jetzt noch viel mehr, und hier ließ selbst den Mr. Caern sein Bruder, der schon vierzig Jahr im Amt war, ganz im Stiche.

Ich brach das Stillschweigen aufs neue, und sagte! Gentlemen! dies ist ja ebenfalls ein allegorischer Ausdruck! – Freilich ist es das! fielen mir Mr. Modd und Mr. Caern ins Wort, und schlugen dazu auf den Tisch. – Denn den Gefangenen, fuhr ich fort, wurde der Bart abgeschoren, und es heißt also weiter nichts, als Gott wird sie in die Gefangenschaft fremder Völker geben, die ihnen den Bart abscheren! – Das versteht sich, ein jeder sieht es ein, und es ist so klar wie der Tag! schallte mir vom ganzen Tische entgegen, und Mr. Caern setzte hinzu, sein Bruder, der vierzig Jahr im Amte wäre, erklärte es eben so.

Dies war der zweite Triumph über Mr. Clerk, und dieser war nun ruhig und machte keine Einwürfe weiter gegen die Bibel. Von den übrigen aber wurde mir noch manche Gesundheit in dem starken Ale zugetrunken, welches mir höchst zuwider war, weil dieses Ale beinahe stärker wie Wein berauscht.

Das Gespräch lenkte sich nun auf andre Gegenstände. Endlich als es beinahe gegen Morgen ging, fing Mr. Modd an: damm me! I must read Prayers in all Souls College! (ich muß in aller Seelen Collegio Betstunde halten; und damm me! ist eine Verkürzung aus God damm me! Gott verdamme mich, welches aber in England nicht viel mehr sagen will, als bei uns, Ei zum Henker! oder Potztausend!)

Ehe aber Mr. Modd wegging, lud er mich auf den folgenden Morgen zu sich ein, und erbot sich sehr höflich, mir die Merkwürdigkeiten von Oxford zu zeigen. Die übrigen von der Gesellschaft verloren sich nun auch. Und da ich einmal, freilich auf eine sonderbare Art, in eine so ansehnliche Gesellschaft eingeführt war, trug man auch im Hause weiter kein Bedenken, mich aufzunehmen, und wies mir ein gutes Schlafzimmer an.

Allein am folgenden Morgen, da ich aufwachte, hatte ich von dem gestrigen starken Zutrinken der Ehrwürdigen Herren ein solches Kopfweh bekommen, daß es mir nicht möglich war aufzustehen, und noch weniger, den Herrn Modd in seinem Kollegio zu besuchen.

Der Gasthof, worin ich war, hieß the Miter, (die Bischofsmütze). Und ich fand hier, gegen Windsor gerechnet, die vortrefflichste Bedienung. Allein weil ich den Abend, ehe ich zu Bette ging, etwas aufgeräumt war, so sagte ich dem Aufwärter geradezu, er möchte nicht glauben, weil ich zu Fuße ginge, daß ich ihm deswegen ein schlechter Trinkgeld geben würde, sondern versicherte ihm das Gegenteil, wodurch ich denn die beste Aufwartung von der Welt erhielt.

Ich nahm mir nun vor, ein Paar Tage in Oxford zu bleiben, um zugleich während der Zeit, wieder reine Wäsche zu erhalten, die hier äußerst nötig tut, denn als ich den Nachmittag ein wenig spazieren ging, und meine Wäsche etwas schmutzig war, hört ich mir in einer kleinen Straße ein Paar Weiber vor der Türen nachrufen: Seht doch den feinen Herrn, der nicht einmal ein weißes Hemde am Leibe trägt!

Den Mittag aß ich unten mit der Familie und noch einigen Personen die da speisten, und unterhielt mich sehr angenehm. Ich mußte viel von Deutschland und vorzüglich vom König von Preußen erzählen. Über meinen Entschluß und Kühnheit zu Fuß zu gehen, konnte man sich nicht genug wundern, ob man gleich meine Absicht billigte; und endlich gestand man mir offenherzig, daß ich auch hier nicht wäre aufgenommen worden, wenn es nicht auf eine so sonderbare Weise gekommen wäre. Denn ein jeder, der eine so weite Reise zu Fuße täte, würde für einen Bettler oder Spitzbuben gehalten, woraus ich mir denn meine Aufnahme in Windsor und Nuneham leicht erklären konnte. Ob ich gleich diesen schrecklich übertriebnen Luxus nichts weniger als billigen kann, vermöge dessen die Fußgänger in England nicht einmal ehrlich sein sollen.

Da ich nun nach Darbyshire gehen wollte, riet man mir, wenigstens, bis ich tiefer ins Land kommen würde, einen Platz in einer Postkutsche zu nehmen. Denn je weiter man von London ab ins Land käme, desto weniger herrschte der Luxus, und desto wohlfeiler und wirtbarer sei es auch. Ich nahm mir also auch vor, von Oxford bis Birmingham, wo ich von Herrn Pointer aus London an Herrn Fothergill, einen Kaufmann empfohlen war, in einer Postkutsche zu fahren, und von da erst weiter zu Fuße zu gehen.

Den Montag brachte ich in Oxford wegen meines Kopfwehes etwas mißvergnügt zu. Herr Modd kam, um mich selber abzuholen, weil er sein Versprechen erfüllen wollte, allein ich fand mich nicht im Stande, mitzugehen.

Demohngeachtet machte ich gegen Abend noch einen kleinen Spaziergang auf einen Hügel, der gegen Norden vor Oxford liegt, und von welchem man die ganze Stadt übersehen kann, die mir denn bei weitem nicht so schön und prächtig vorkam, wie sie mir Herr Modd bei unsrer Nachtwanderung beschrieben hatte.

Die Kollegiengebäude sind größtenteils in gotischem Geschmack mit Verzierungen überhäuft, aus einem grauen Stein erbauet, der vielleicht, wenn er neu ist, besser aussieht, aber jetzt die ekelhafteste widrigste Farbe hat, die man sich nur denken kann.

Nur einige dieser Kollegien sind modern gebaut, und die übrigen Häuser sind größtenteils höchst erbärmlich, und in verschiednen Straßen nur ein Stockwerk hoch, und mit Schindeln gedeckt. Mir schien Oxford einen sehr traurigen und melancholischen Anblick zu haben, und ich begreife gar nicht, wie man es nächst London für eine der schönsten Städte in England halten kann.

Ich wartete auf dem Hügel, in welchen eine Treppe zu einem unterirdischen Gange hinuntergemauert war, bis die Sonne unterging, und sahe verschiedne Studenten hier spazieren gehen, die eben so wie die Schüler in Eaton-College, über ihre bunten Kleider große schwarze Chorröcke und platte viereckigte Hüte tragen; welches die Tracht ist, wodurch sich alle, die zur Universität gehören, mit verschiednen kleinen Abänderungen nach ihren Würden und Graden, auszeichnen.

Wegen dieser Chorröcke werden sie auch wahrscheinlich Gownsmen im Gegensatz gegen die Bürger genannt, welche Townsmen heißen. Und wenn man alle Einwohner von Oxford zusammenfassen will, so sagt man: die ganze Stadt, Gownsmen and Townsmen.

Freilich sticht diese Kleidung gegen die großen Stiefeln, Kokarden an den Hüten, Kollets und Hetzpeitschen mancher Studenten auf unsern Universitäten ganz erstaunlich ab, so wie überhaupt die Stille und das sittsame Betragen, welches denn doch hier unter den Studenten herrscht.

Am andern Morgen zeigte mir Herr Modd versprochnermaßen einige von den Merkwürdigkeiten in Oxford. Er ging erst mit mir auf seine Stube in sein Kollegium, welche unten an der Erde ziemlich niedrig und dunkel war, und mit einer Zelle viel Ähnlichkeit hatte. Das Kollegium, worin Herr Modd wohnte, hieß Christ Corps College.

Alsdann führte er mich nach All Souls College, ein elegantes Gebäude, worin auch die Kirche vorzüglich schön ist. Herr Modd zeigte mir hier über dem Altar ein Gemälde von Mengs, bei dessen Anblick er mehr Empfindung verriet, als ich ihm zugetrauet hätte. Er sagte, so oft er dies Gemälde sähe, würde er aufs neue dadurch gerührt.

Dies Gemälde stellte die Maria Magdalena vor, wie sie plötzlich Jesum vor sich stehen sieht, und vor ihm niederfällt. Und in ihrem Gesicht sind Schmerz, Freude, Wehmut, kurz ganz verschiedne Leidenschaften, so meisterhaft ausgedrückt, daß man gar nicht müde wird, dies Gemälde zu betrachten, und immer mehr dadurch gerührt wird, je länger man es ansieht.

Er zeigte mir nun auch die Bibliothek in diesem Kollegio, welche oben mit einer Galerie versehen ist, und überhaupt eine schöne äußere Einrichtung hat. Unter andern sahe ich hier eine Beschreibung von Oxford mit Kupfern, in Folio, wo sich denn die Türme und Kollegiengebäude freilich weit schöner auf dem Papier, als in der Natur ausnahmen.

Hierauf führte mich Herr Modd weiter unten auf die Butlejanische Bibliothek, welche mit der Vatikanischen in Rom verglichen wird; und auf das Gebäude, welches the Theater heißt, und wo die öffentlichen Disputationen gehalten werden. Dies ist ein rundes Gebäude, worin ein Chor umhergeht, das mit Bänken, eine über der andern, versehen ist, worauf die Doktoren, Magister und Studenten sitzen; und gerade gegeneinander über sind zwei Kanzeln erbauet, von welchen die Disputierenden zu einander hinüber sprechen.

Christchurch College und Queens College sind wohl die modernsten und schönsten unter den öffentlichen Gebäuden. Beliols College scheint sich vorzüglich wegen seines Altertums und seiner ganz gotischen Bauart auszuzeichnen.

Herr Modd erzählte mir, daß man sich in Oxford mit Predigen viel verdienen könne, denn die Studenten müßten alle nach der Reihe, in der Universitätskirche des Sonntags einmal predigen; die meisten aber an die es käme, suchten es abzukaufen, und bezahlten für eine Predigt wohl fünf bis sechs Guineen.

Auch erzählte mir Herr Modd, daß er nun achtzehn Jahr auf dieser Universität sei, und umsonst Doktor werden könne, so bald er wolle. Er war Master of Arts, und hielt, wie er sagte, Vorlesungen über klassische Autoren. Auch war er wirklich ordinierter Prediger, um in einigen Dörfern um Oxford den Gottesdienst zu versehen.

Unterweges begegnete uns der Englische Dichter Warton, ein schon etwas ältlicher Mann, der demohngeachtet noch Fellow oder Mitglied eines Kollegii ist, und wie Herr Modd erzählte, außer der Poesie, sein größtes Vergnügen darin finden soll, wilde Enten zu schießen.

Herr Modd schien übrigens auch ein guter menschenfreundlicher Mann zu sein. In Dorchester, erzählte er mir, sei der Clerk oder Küster gestorben, und habe eine zahlreiche Familie in größter Dürftigkeit hinterlassen, nun wolle er Morgen hinreiten, und zu bewerkstelligen suchen, daß der älteste Sohn des Verstorbenen, ein junger Mensch von sechzehn Jahren, den Clerkdienst wieder erhalte, um seine arme Familie ernähren zu können.

In der Miter, dem Gasthofe, wo ich logierte, sprachen die Geistlichen und Studenten alle Augenblick einmal ein, um einen Krug Ale zu trinken, oder eine kurze Konversation mit der Tochter im Hause zu führen, die ein artiges Frauenzimmer war.

Man machte mir erstaunlich viel Rühmens, von einem Deutschen, Namens Mitschel, wenigstens sprachen sie seinen Namen so aus, der sich schon seit vielen Jahren als Musikus hier berühmt gemacht habe. Ich freute mich, von Engländern einen Landsmann so rühmen zu hören, wollte ihn auch besuchen, aber traf ihn nicht zu Hause.


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