Karl Philipp Moritz
Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782
Karl Philipp Moritz

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London, den 2ten Juni.

Heute Morgen ließen wir uns, unser zehn, die in des Kapitans Kajüte mitgereist waren, nicht weit hinter Dartford, das noch sechzehn Meilen von London liegt, in einem Boote ans Land setzen. Dies tut man gemeiniglich, wenn man die Themse hinauf nach London fährt, weil wegen der erstaunlichen Menge von Schiffen, die immer gedrängter aneinander stehen, je näher man der Stadt kömmt, oft verschiedne Tage erfordert werden, ehe ein Schiff sich durcharbeiten kann. Wer also keine Zeit unnütz verlieren, und andre Unannehmlichkeiten, als das öftere Stillstehen und Anstoßen des Schiffes vermeiden will, der macht die wenigen Meilen bis London lieber zu Lande, etwa in einer Postchaise, die nicht sehr teuer zu stehen kömmt, wenn überdem jedesmal ihrer drei zusammentreten, welches durch eine Parlamentsakte verstattet ist. Ein allgemeines Hurrah schallte uns von den deutschen Matrosen unsers Schiffes nach, die dieses von den Engländern angenommen haben. Das Ufer, wo wir ausstiegen, war weiß und kreidigt. Bis Dartford mußten wir zu Fuße gehen. Erstlich stiegen wir gerade vom Ufer einen ziemlich steilen Hügel hinan, dann kamen wir sogleich an das erste Englische Dorf, wo mich die außerordentliche Nettigkeit in der Bauart der Häuser, die aus roten Backsteinen errichtet sind und flache Dächer haben, insbesondre da ich sie mit unsern Bauerhütten verglich, in ein angenehmes Erstaunen setzte.

Und nun zogen wir wie eine Karavane mit unsern Stäben von einem Dorfe zum andern: einige Leute, die uns begegneten, schienen uns wegen unsers sonderbaren Aufzuges mit einiger Verwunderung anzusehen. Wir kamen vor einem Gehölz vorbei, wo sich ein Trupp Zigeuner bei einem Feuer um einen Baum gelagert hatte. Allein so wie wir fortwanderten, ward die Gegend immer schöner und schöner. Die Erde ist nicht überall einerlei! Wie verschieden fand ich diese fetten und fruchtbaren Äcker, dieses Grün der Bäume und Hecken, diese ganze paradiesische Gegend, von den unsrigen, und allen andern die ich gesehen habe! Wie herrlich diese Wege, wie fest dies Erdreich unter mir; mit jedem Schritte fühlte ich es, daß ich auf Englischen Boden trat.

In Dartford frühstückten wir. Hier sah ich zuerst einen Englischen Soldaten, in seiner roten Montur mit abgeschnittnem und vorn heruntergekämmtem Haar, auch auf der Straße ein Paar Jungen die sich baxten. Wir verteilten uns nun in zwei einsitzige Postchaisen, wo in jeder drei Personen, freilich nicht allzubequem sitzen konnten. Eine solche Postchaise kostet jede Englische Meile einen Schilling. Sie ist mit unsern Extraposten zu vergleichen, weil man sie zu jeder Zeit bekommen kann. Aber ein solcher Wagen ist sehr nett und leicht gebaut, so daß man es kaum empfindet, wie er auf dem festen Erdreich fortrollt. Er hat vorn und an beiden Seiten Fenster. Die Pferde sind gut, und der Kutscher jagt immer in vollem Trabe fort. Der unsrige trug abgeschnittnes Haar, einen runden Hut, und ein braunes Kleid von ziemlich feinem Tuch, vor der Brust einen Blumenstrauß. Zuweilen, wenn er es recht rasch angehen ließ, schien er sich lächelnd nach unserm Beifall umzusehen.

Und nun flogen die herrlichsten Landschaften, worauf mein Auge so gern verweilt hätte, mit Pfeilschnelle vor uns vorbei; gemeiniglich ging es abwechselnd Berg auf, Berg ab, Wald ein, Wald aus, in wenigen Minuten. Dann kam einmal zur rechten Seite die Themse wieder zum Vorschein mit allen ihren Masten; denn ging es wieder durch reizende Städte und Dörfer. Besonders fielen mir die erstaunlich großen Schilder auf, welche beim Eingange in die Flecken und Dörfer, quer über die Straße an einem Balken hängen, der von einem Hause zum andern übergelegt ist. Dies gibt einige Ähnlichkeit mit einem Tore, wofür ich es auch anfänglich hielt, allein so ist es weiter nichts, als ein Zeichen, daß hier sogleich beim Eintritt in den Ort ein Gasthof sei. So kamen wir bei dieser schnellen Abwechselung höchst mannigfaltiger Gegenstände beinahe in einer Art von Betäubung bis nahe vor Greenwich, und nun

Die Aussicht von London.

Es zeigte sich im dicken Nebel. Die Paulskirche hob sich aus der ungeheuren Masse kleinerer Gebäude, wie ein Berg empor. Das Monument, eine turmhohe runde Säule, die zum Gedächtnis der großen Feuersbrunst errichtet ward, machte wegen ihrer Höhe und anscheinenden Dünnigkeit einen ganz ungewohnten und sonderbaren Anblick.

Wir näherten uns mit großer Schnelligkeit, und die Gegenstände verdeutlichten sich alle Augenblicke. Die Westminsterabtei, der Tower, ein Turm, eine Kirche nach der andern, ragten hervor; Schon konnte man die hohen runden Schornsteine auf den Häusern unterscheiden, die eine unzählige Menge kleiner Türmchen auszumachen schienen.

Von Greenwich bis London war die Landstraße schon weit lebhafter, als die volkreichste Straße in Berlin, so viel reitende und fahrende Personen, und Fußgänger begegneten uns. Auch erblickte man schon allenthalben Häuser, und an den Seiten waren in verhältnismäßiger Entfernung Laternenpfähle angebracht. Was mir sehr auffiel, waren die vielen Leute, die ich mit Brillen reiten sahe, unter denen sich einige von sehr jugendlichem Ansehen befanden. Wohl dreimal wurden wir bei sogenannten Turnpikes oder Schlagbäumen angehalten, um einen Zoll abzutragen, der sich doch am Ende auf einige Schillinge belief, ob wir ihn gleich nur in Kupfermünze bezahlten.

Endlich kamen wir an die prächtige Westminster-Brücke. Es ist, als ob man über diese Brücke eine kleine Reise tut, so mancherlei Gegenstände erblickt man von derselben. Im Kontrast gegen die runde, moderne, majestätische Paulskirche zur Rechten, erhebt sich zur Linken, die altfränkische, länglichte Westminsterabtei mit ihrem ungeheuren spitzen Dache. Zur rechten Seite die Themse hinunter, sieht man die Blackfriarsbrücke, die dieser an Schönheit nicht viel nachgibt. Am linken Ufer der Themse schön mit Bäumen besetzte Terrassen, und die neuen Gebäude, welche den Namen Adelphi-Buildings führen. Auf der Themse selbst eine große Anzahl kleiner hin und her fahrender Böte mit einem Mast und Segel, in welchen sich Personen von allerlei Stande übersetzen lassen, wodurch dieser Fluß beinahe so lebhaft wird, wie eine Londner Straße. Große Schiffe sieht man hier nicht mehr, denn die gehn am andern Ende der Stadt nicht weiter als bis an die Londner Brücke.

Wir fuhren nun in die Stadt über Charingkroß und den Strand, nach eben den Adelphi-Buildings, die von der Westminsterbrücke einen so vortrefflichen Prospekt gaben: weil meine beiden Reisegefährten auf dem Schiffe und in der Postchaise, ein Paar junge Engländer, in dieser Gegend wohnten, und sich erboten hatten, mir noch heute in ihrer Nachbarschaft ein Logis zu verschaffen.

In den Straßen wodurch wir fuhren, behielt alles ein dunkles und schwärzliches, aber doch dabei großes und majestätisches Ansehen. Ich konnte London seinem äußern Anblick nach, in meinen Gedanken mit keiner Stadt vergleichen, die ich sonst gesehen hatte. Sonderbar ist es, daß mir ohngefähr vor fünf Jahren, beim ersten Eintritt in Leipzig, gerade so wie hier zu Mute war: vielleicht, daß die hohen Häuser, wodurch die Straßen zum Teil verdunkelt werden, die große Anzahl der Kaufmannsgewölber, und die Menge von Menschen, welche ich damals in Leipzig sahe, mit dem einige entfernte Ähnlichkeit haben mochten, was ich nun in London um mich her erblickte.

Allenthalben gehen vom Strande nach der Themse zu sehr schön gebaute Nebenstraßen, worunter die Adelphi Buildings bei weiten die schönsten sind. Unter diesen führt wieder eine Nebenabteilung, oder angrenzende Gegend den Namen York-Buildings, in welchen Georg Street befindlich ist, wo meine beiden Reisegefährten wohnten. Es herrscht in diesen kleinen Straßen nach der Themse zu, gegen das Gewühl von Menschen, Wagen und Pferden, welches den Strand beständig auf und nieder geht, auf einmal eine so angenehme Stille, daß man ganz aus dem Geräusch der Stadt entfernt zu sein glaubt, welches man doch wieder so nahe hat.

Es mochte ohngefähr zehn oder elf Uhr sein, da wir hier ankamen. Nachdem mich die beiden Engländer noch in ihrem Logis mit einem Frühstück, das aus Tee und Butterbrot bestand, bewirtet hatten, gingen sie selbst mit mir in ihrer Nachbarschaft herum, um ein Logis für mich zu suchen, das sie mir endlich bei einer Schneiderwitwe, die ihrem Hause gegenüber wohnte, für sechzehn Schilling wöchentlich, verschafften. Es war auch sehr gut, daß sie mit mir gingen, denn in meinem Aufzuge, da ich weder weiße Wäsche noch Kleider aus meinem Koffer mitgenommen hatte, würde ich schwerlich irgendwo untergekommen sein.

Es war mir ein sonderbares aber sehr angenehmes Gefühl, daß ich mich nun zum erstenmal unter lauter Engländern befand, unter Leuten, die eine fremde Sprache, fremde Sitten, und ein fremdes Klima haben, und mit denen ich doch nun umgehen und reden konnte, als ob ich von Jugend auf mit ihnen erzogen wäre. Es ist gewiß ein unschätzbarer Vorteil, die Sprache des Landes zu wissen, worin man reist. Ich ließ es mir nicht sogleich im Hause merken, daß ich der Englischen Sprache mächtig sei; je mehr ich aber redete, destomehr fand ich Liebe und Zutrauen.

Ich bewohne nun ein großes Zimmer unten an der Erde vorn heraus, das mit Tapeten und Fußteppichen versehen, und sehr gut möbliert ist. Die Stühle sind mit Leder überzogen, und die Tische von Mahagoniholz: darneben habe ich noch eine große Kammer. Nun kann ich mich hier einrichten wie ich will, und mir meinen eignen Tee, Kaffee, Butter und Brot halten, wozu mir meine Wirtin einen verschloßnen gläsernen Schrank in der Stube eingeräumt hat.

Die Familie besteht aus der Frau im Hause, ihrer Magd und ihren beiden kleinen Söhnen Jacky und Jerry, sonderbare Namenverkürzungen von Johannes und Jeremias. Der älteste, Jacky, von zwölf Jahren, ist ein sehr lebhafter Kopf, und unterhält mich auf die angenehmste Art, indem er mir von seinen Beschäftigungen in der Schule erzählt, und sich von mir wieder allerlei von Deutschland erzählen läßt. Er weiß sein amo, amam, amas, ames, in eben solchem singenden Tone wie unsre gewöhnlichen Schulknaben herzusagen. Als ich in seiner Gegenwart anfing irgend eine fröhliche Melodie für mich zu trillern, sahe er mich sehr bedenklich und verwundernd an, und erinnerte mich, daß es Sonntag sei. Um ihm kein Ärgernis zu geben, antwortete ich ihm, daß ich bei der Verwirrung der Reise nicht auf den Tag gemerkt hätte. Er hat mich heute Mittag schon in den St. James-Park geführt, der nicht weit von hier ist; und nun hören Sie denn etwas von dem berühmten

St. James-Park.

Dieser Park ist weiter nichts als ein halber Cirkel von einer Allee von Bäumen, der einen großen grünen Rasenplatz einschließt, in dessen Mitte ein sumpfigter Teich befindlich ist.

Auf dem grünen Rasen weiden Kühe, deren Milch man hier, so frisch, wie sie gemolken wird, verkauft. In den Alleen sind Bänke zum Ausruhen. Wenn man durch die Horse-Guards oder Königliche Wache zu Pferde, welche mit verschiednen Durchgängen versehen ist, in den Park kömmt, so ist zur rechten Seite, St. James Palace, oder die Königliche Residenz, wie bekannt, eines der unansehnlichsten Gebäude in London. Ganz unten am Ende ist der Palast der Königin, zwar schön und modern, aber doch sehr einem Privatgebäude ähnlich. Übrigens gibt es allenthalben um St. James-Park sehr prächtige Gebäude, die diesen Platz um ein Großes verschönern. Auch ist vor dem halben Cirkel, der durch die Alleen gebildet wird, noch ein großer Platz, wo die Parade gestellt wird.

Wie wenig aber dieser so berühmte Park mit unserm Berliner Tiergarten zu vergleichen sei, darf ich nicht erst sagen. Und doch macht man sich eine so hohe Idee von dem St. James-Park und andern öffentlichen Plätzen in London: das macht, weil sie mehr als die unsern in Romanen und Büchern figuriert haben. Beinahe sind die Londner Plätze und Straßen weltbekannter, als die meisten unsrer Städte.

Was aber freilich den St. James-Park einigermaßen wieder erhebt, ist eine erstaunliche Menge von Menschen, die gegen Abend bei schönem Wetter darin spazieren geht. So voll von Menschen sind bei uns die besten Spaziergänge niemals, auch in den schönsten Sommertagen nicht, als hier beständig im dicksten Gedränge auf und niedergehen. Das Vergnügen, mich in ein solches Gedränge fast lauter wohlgekleideter und schöngebildeter Personen zu mischen, habe ich heute Abend zum erstenmal genossen.

Ehe ich in den Park ging, machte ich mit meinem Jacky noch einen andern Spaziergang, der mich nur sehr wenige Schritte kostete, und doch außerordentlich reizend war. Ich ging nehmlich die kleine Straße, wo ich wohne, nach der Themse zu hinunter, und stieg, beinahe am Ende derselben, zur linken Seite noch einige Stufen hinab, die mich auf eine angenehme mit Bäumen besetzte Terrasse am Ufer der Themse führten.

Von hieraus hatte ich den schönsten Anblick, den man sich nur denken kann. Vor mir lag die Themse in ihrer Krümmung mit den prächtigen Schwibbögen ihrer Brücken; Westminster mit seiner ehrwürdigen Abtei zur rechten, und London mit der Paulskirche zur linken Seite, bog sich mit den Ufern der Themse vorwärts, und am jenseitigen Ufer lag Southwark, das jetzt auch mit zu London gerechnet wird. Hier konnte ich also beinahe die ganze Stadt, von der Seite wo sie der Themse zugewandt ist, mit einem Blick übersehen. Nicht weit von hier in dieser reizenden Gegend der Stadt hatte auch der berühmte Garrick seine Wohnung. Diesen Spaziergang werde ich aus meiner Wohnung gewiß sehr oft besuchen.

Heute Mittag holten mich meine beiden Engländer in ein nahegelegnes Speisehaus ab, wo wir für ein wenig Sallat und Braten einen Schilling, und beinahe halb so viel an den Aufwärter, nach unserm Gelde an neun bis zehn Groschen, bezahlen mußten, und doch soll es hier noch sehr wohlfeil sein. Ich werde künftig zu Hause essen, wie ich schon heute Abend getan habe. Ich sitze nun hier in London in meiner Stube beim Kaminfeuer, und so wäre nun dieser Tag zu Ende, der erste den ich in England zugebracht habe, und ich weiß kaum, ob ich es einen Tag nennen soll, wenn ich bedenke, was für mannigfaltige neue und auffallende Gegenstände in einer so kurzen Zeit vor meiner Seele vorübergegangen sind.


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