Karl Philipp Moritz
Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782
Karl Philipp Moritz

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Northhampton, den 5ten Juli.

Da ich von meinem Schuster in Castleton, der gar zu gerne mit mir gereist wäre, Abschied genommen hatte, so ging ich nun nicht auf Tideswell, sondern Wardlow, welches näher ist, wieder zurück.

In dieser Gegend traf ich einen einzelnen Gasthof, wo nur die Frau zu Hause war, die mir erzählte, daß ihr Mann in den Bleiminen (Lead Mines) arbeite, und daß die Höhle von Castleton, und alles was ich gesehen habe, gegen diese Leadmines gar nicht in Betrachtung komme. Ihr Mann könne mich darin herumführen.

Da ich ihr mein Mittagsessen bezahlen wollte, machte sie mir den Einwurf, daß ich keinen Ale und keinen Branntwein getrunken habe, wovon sie eigentlich ihren Verdienst haben müsse, und mir also nicht gut die Rechnung machen könne, worauf ich mir denn einen Krug Ale geben ließ, ohne ihn zu trinken, um ihre Rechnung zu berichtigen.

In eben diesem Gasthofe bekam ich meinen Wirt aus Tideswell wieder zu sehen, der aber nicht, wie ich zu Fuß gegangen, sondern sehr stolz geritten kam.

Da ich nun von da weiter ging, und die Berge wieder vor mir aufstiegen, welche mir von meiner Hinreise noch bekannt waren, las ich gerade im Milton die Schöpfungsscene, welche der Engel dem Adam schildert, wie sich das Wasser senkt, und die nackten Berge ihren breiten Rücken emporheben.

Immediately the Mountains huge appear
Emergent, and their broad bare Backs upheave
Into the Clouds, their Tops ascend the Sky.

Mir war es, indem ich diese Stelle las, als ob alles, was um mich her war, erst wurde, und die Berge schienen wirklich vor meinen Augen emporzusteigen, so lebhaft wurde mir diese Scene.

Etwas ähnliches empfand ich bei meiner Herreise, da ich gerade einem Berge gegenüber saß, dessen Spitze bloß mit Bäumen bewachsen war, und im Milton die kolossalische Beschreibung von dem Streit der Engel las, wo die abgefallenen Engel ihre Gegner mit einem starken Bombardement angreifen, diese sich aber dagegen verteidigen, indem ein jeder einen Berg gleichsam oben beim Schopf ergreift, ihn mit der Wurzel ausreißt, und so in seinen Händen aufgehoben trägt, um ihn auf die Feinde zu schleudern.

–   –   they ran, they flew
From their Foundations loos'ning to and fro
They pluck't the seated Hills with all their Load,
Rocks, Waters, Woods, and by the shaggy Tops
Uplifting bore them in their Hands.   –   –

Mir deuchte, als sähe ich den Engel stehen, wie er den Berg, der vor mir lag, in den Lüften schüttelte.

Als ich den Abend, da es schon dunkel war, in das letzte Dorf vor Matlock kam, entschloß ich mich die Nacht da zu bleiben, und erkundigte mich nach dem Gasthofe, von dem man mir sagte, daß er am Ende des Dorfs sei. Allein ich ging beinahe bis um Mitternacht, ehe ich an das Ende des Dorfs kam, das fast gar kein Ende zu haben schien. Bei meiner Herreise mußte ich entweder nicht auf dies Dorf zugekommen, oder auf seine Länge gar nicht aufmerksam gewesen sein.

Ermüdet und halb krank kam ich endlich in dem Gasthofe an, wo ich mich in der Küche ans Feuer setzte, und zu essen verlangte. Als man mir sagte, ich könne kein Bette bekommen, ließ ich mich schlechterdings nicht wieder wegtreiben, sondern sagte, ich wolle die Nacht beim Kaminfeuer sitzen bleiben, welches ich denn auch tat, und mich mit dem Kopfe auf den Tisch legte, um zu schlafen.

Da man nun glaubte ich schliefe, hörte ich in der Küche über mich deliberieren, was ich wohl für ein Mensch sein möge. Eine Frau nahm meine Partei, und sagte: I dare say, he is a well bred Gentleman, (ich glaube er ist ein Mensch von gutem Stande); eine andre widerlegte sie damit, daß ich zu Fuße ginge, und sagte: he is a poor travelling Creature! (er ist ein armes herumwanderndes Geschöpf). Von diesem poor travelling Creature gellen mir noch die Ohren, wenn ich daran denke, denn es scheint mir alles Elend eines Menschen, der nirgends eine Heimat hat, und die Verachtung der er ausgesetzt ist, in kurzen Worten auszudrücken.

Endlich, als man sahe, daß ich doch einmal da blieb, gab man mir ein Bette, als ich es gar nicht mehr vermutete. Und da man am Morgen einen Schilling von mir forderte, gab ich ihnen eine halbe Krone, worauf ich mir nichts wieder herausgeben ließ, um das poor travelling Creature von mir abzuwälzen. Man entließ mich darauf mit vieler Höflichkeit und Entschuldigungen, und ich setzte nun vergnügt meinen Weg weiter fort.

Als ich durch Matlock gekommen war, ging ich nicht wieder auf Darby, sondern links auf Nottingham zu. Hier verloren sich allmählich die Berge, und mein Weg führte mich wieder über Wiesen und Felder.

Hier muß ich noch erinnern, daß Peak eigentlich eine Spitze oder Gipfel heißt; der Peak oder hohe Peak von Darbyschire will also so viel sagen, als der Teil dieser Provinz, wo sie am gebirgigsten ist, oder ihre Berge am höchsten sind.

Gegen Mittag kam ich doch wieder auf eine Anhöhe, wo ich einen einzelnen Gasthof traf, der eine sonderbare Inschrift auf dem Schilde führte, die in Reimen war, und sich mit den Worten endigte, refresh, and then go on! (erfrische dich, und dann reise weiter).

Oben über dem Schilde stand, Entertainment for Horse and Man (Bewirtung für Roß und Mann), welches ich an mehrern Schilden gelesen habe. Sonst ist Dealer in foreign Liquors die gewöhnlichste Inschrift an den kleinen Gasthöfen.

Ich aß hier zu Mittage, und bekam ein Stück kaltes Fleisch und Sallat. Dieses oder Eier und Sallat, war mein gewöhnliches Abend- und Mittagessen, in den Gasthöfen wo ich einkehrte, selten erhielt ich einmal etwas warmes. Den Sallat, wozu ich alle Ingredienzien bekam, mußte ich mir immer selber machen, welches hier so gebräuchlich ist.

Mein Weg war ziemlich angenehm, aber die Gegend hier eben nicht sehr abwechselnd. Indes war ein gar schöner Abend, und da ich kurz vor Sonnenuntergang durch ein Dorf kam, grüßten mich verschiedne Leute, die mir begegneten, damit, daß sie sagten: fine night oder fine Evening! (Ein schöner Abend!) – So pflege ich auch zuweilen von Leuten, die mir begegnen, gegrüßt zu werden, indem sie sagen: how do you do? (Was macht ihr?), worauf man denn antwortet: I thank you! – Diese Art zu grüßen muß einem Fremden sehr sonderbar vorkommen, der von einem Menschen, den er in seinem Leben nicht gesehen hat, auf einmal gefragt wird, was er mache, oder wie er sich befinde?

Als ich durch das Dorf war, kam ich über ein grünes Feld, wo ich an der Seite wieder einen einzelnen Gasthof antraf. Die Wirtin saß am Fenster, ich fragte sie, ob ich die Nacht da bleiben könne, sie sagte, nein! und schob mir das Fenster vor der Nase zu.

Hierbei fielen mir alle die Begegnungen von der Art wieder ein, denen ich hier schon ausgesetzt gewesen war, und ich konnte mich hier nicht enthalten, meinen Unwillen über die Inhospitalität der Engländer laut zu äußern, der sich aber doch bald wieder legte, da ich weiter ging, und die Fälle, wo ich gut aufgenommen war, dagegen rechnete.

Endlich kam ich noch früh genug an einen andern Gasthof, auf dessen Schilde stand: Navigation Inn (Schifferherberge), weil die Kohlenschiffer von der Trent hier ihre Niederlage haben.

Eine wildere, rauhere Art von Menschen habe ich denn noch nie gesehen, als diese Kohlenschiffer, welche ich hier in der Küche versammlet antraf, und in deren Gesellschaft ich jetzt den Abend zubringen mußte.

Ihre Stimme, ihre Kleidung, ihr Ansehen, alles war rauh und fürchterlich, und ihre Ausdrücke noch mehr; denn fast kein Wort ging ihnen aus dem Munde, wo sie nicht ein God damm me! hinzusetzten, und so dauerte das Fluchen, Zanken und Schwören in einem fort, mir aber tat keiner von ihnen etwas zu leide, sondern jeder trank meine Gesundheit, und ich nahm mich denn auch wohl in Acht, nicht zu vergessen, wieder ihre Gesundheit zu trinken, denn meine Begegnung von dem Wirt in dem Gasthofe bei Matlock war mir noch im frischen Andenken; so oft ich also trank unterließ ich nicht zu sagen: Your Health Gentlemen all!

Wenn sich ein Paar Engländer zanken, so scheint doch alles mehr in Taten, als in Worten zu bestehen, sie sprechen wenig, und wiederholen oft das Gesagte, mit einem hinzugefügten God damm you! Ihr Zorn kocht inwendig, und bricht bald in Tätlichkeiten aus.

Die Wirtin, welche mit in dieser Gesellschaft in der Küche saß, war demohngeachtet koeffiert, und tat ziemlich vornehm.

Nachdem ich gegessen hatte, eilte ich, zu Bette zu kommen, schlief aber ziemlich unruhig, weil die Schiffer fast die ganze Nacht hindurch lärmten und tobten. – Am Morgen, da ich aufstand, war keiner mehr von ihnen zu hören und zu sehen.

Ich hatte nun nur noch einige Meilen bis Nottingham, das ich gegen Mittag erreichte.

Dies schien mir unter allen Städten, die ich außer London gesehen habe, die schönste und netteste zu sein. Alles hatte hier ein modernes Ansehen, und ein großer Platz in der Mitte gab kaum einem Londner Square an Schönheit etwas nach.

Aus der Stadt führt ein schöner Fußweg über die Wiese nach der Heerstraße zu, wo über die Trent eine Brücke geht. Nicht weit von dieser Brücke war ein Gasthof, wo ich zu Mittag aß, aber nichts wie Brot und Butter bekommen konnte, wovon ich mir denn einen Toast machen ließ.

Nottingham liegt in der Höhe, und nahm sich in der Ferne mit seinen netten hohen Häusern, roten Dächern, und Türmen ganz vortrefflich aus. Noch von keiner Stadt in England habe ich einen so schönen Prospekt gesehen.

Ich kam nun durch viele Dörfer, als Ruddington, Bradmore, Bunny, nach Costal, wo ich die Nacht blieb.

Diesen ganzen Nachmittag hörte ich von den Dörfern ein Geläute, welches vielleicht irgend ein Fest anzeigte, das hier gefeiert wurde. Es war ein trüber Himmel, ich fühlte mich etwas krank, und dies Geläute machte mich noch dazu schwermütig und melancholisch.

In Castol waren drei Gasthöfe dicht neben einander, in welchen, schon nach dem äußern der Häuser zu urteilen, die äußerste Armut herrschte. In dem, worin ich einkehrte, war nur die Frau allein zu Hause. Noch ein kranker Fleischer, und ein kranker Fuhrmann kehrten hier den Abend ein, also kamen hier lauter Kranke zusammen, wodurch ich noch schwermütiger wurde. Ich fühlte den Abend eine Art von Fieber, schlief die Nacht unruhig, und blieb den andern Morgen sehr lange im Bette liegen, bis mich die Wirtin weckte, indem sie sagte, sie sei meinetwegen besorgt gewesen. Nun nahm ich mir auch vor, von Leicester aus, mit der Postkutsche zu fahren.

Ich hatte nur noch vier Meilen bis Loughborough, einer kleinen nicht sehr ansehnlichen Stadt, wo ich erst spät um Mittag ankam, und mir in dem letzten Gasthofe auf dem Wege nach Leicester zu, zu essen geben ließ. Hier begegnete man mir wider Vermuten zum erstenmale wieder wie einem Gentleman, und ließ mich in dem Parlour oder Fremdenzimmer essen.

Von Loughborough (Lofborro) bis Leicester (Lester) waren nur noch zehen Meilen, aber der Weg sehr sandigt und unbequem zu gehen.

Ich kam durch einen Flecken, Namens Mountsorrel, der vielleicht von einem kleinen Hügel am Ende desselben seinen Namen hat. Übrigens war bis Leicester eine große Ebne.

Gegen Abend kam ich auf einer angenehmen Wiese vor Leicester an, über welche mich ein Fußweg in die Stadt führte, die sich, da sie in der Länge vor mir lag, recht gut ausnahm, und größer schien, wie sie wirklich ist.

Ich ging eine lange Straße hinauf, ehe ich an das Haus kam, wo die Postkutschen abgehen, und welches zugleich ein Gasthof ist. Ich erfuhr hier, daß denselben Abend noch eine Stage nach London abginge, die aber inwendig schon besetzt sei, allein auswendig sei noch Platz.

Da ich jetzt eilen mußte, um wieder zurück nach London zu kommen, weil die Zeit heranrückte, wo der Hamburger Schiffer, mit dem ich zurückfahren will, seine Abreise bestimmt hat, so entschloß ich mich bis Northhampton einen Platz auswendig auf der Kutsche zu nehmen.

Aber an diese Fahrt von Leicester bis Northhampton will ich denken, so lang ich lebe.

Die Kutsche fuhr vom Hofe durch das Haus. Die andern Passagier stiegen schon auf dem Hofe ein, wir an der Außenseite aber mußten auf der öffentlichen Straße erst hinaufklettern, weil wir sonst mit unsern Köpfen nicht unter dem Torwege durchgekommen wären.

Meine Gefährten oben auf der Kutsche waren ein Bauer, ein junger Mensch der noch ganz ordentlich gekleidet war, und ein Mohrenjunge.

Das Hinaufklettern allein war schon mit Lebensgefahr verknüpft, und als ich nun oben war, kam ich gerade an eine Ecke auf der Kutsche zu sitzen, wo ich mich bloß mit einer Hand an einem kleinen Griff halten konnte, der an der Seite der Kutsche angebracht war. Ich saß dem Rade am nächsten, und sobald ich herunter stürzte, sah ich einen gewissen Tod vor Augen. Um desto fester hielt ich mich an den Griff, und um desto behutsamer suchte ich mich im Gleichgewicht zu erhalten.

Nun rollte es mit der entsetzlichsten Geschwindigkeit in der Stadt auf den Steinen fort, und wir flogen alle Augenblicke in die Höhe, so daß es beinahe ein Wunder war, daß wir immer wieder auf die Kutsche zurück, und nicht einmal nebenher fielen. So ging es nun auch, so oft wir durch ein Dorf oder eine Anhöhe hinunter kamen.

Endlich, ward mir dieser Zustand, in beständiger Lebensgefahr zu schweben, unerträglich, und als es einmal bergan, und also etwas langsamer ging, kroch ich oben von der Kutsche hinten in die Schoßkelle, welche hier the Basket heißt.

In the Basket you will be shaken to Death! (in der Schoßkelle werdet ihr zu Tode geschüttelt werden!) sagte der Mohrenjunge, und ich nahm dies für eine Hyperbel an.

Bergan ging es auch recht sanft und gut, und ich war zwischen den Koffern und Gepäcke beinahe eingeschlafen; aber wie erschrak ich, da es auf einmal wieder Bergunter ging, und die Koffer und alles schwere Gepäck um mich an zu tanzen und an zu leben fing, wobei ich alle Augenblicke, solche entsetzliche Stöße erhielt, daß ich glaubte, mein Lebensende sei gekommen, und nun fand ich, daß der Mohrenjunge keine Hyperbel gesagt hatte; alles mein Schreien half nichts, ich mußte beinahe eine Stunde aushalten, bis es wieder bergan ging, wo ich denn ganz mürbe und zerschlagen wieder oben auf die Kutsche kroch, und meinen vorigen Sitz einnahm. Sagte ich es euch nicht, daß ihr würdet zu Tode geschüttelt werden? redete mich der Mohrenjunge an, als ich wieder heraufgekrochen kam, und ich schwieg ganz still. – Dies schreibe ich einem jeden zur Warnung, dem es etwa einmal einfallen sollte, ohne es gewohnt zu sein, auf der Outside einer Englischen Postkutsche, oder gar in dem Basket zu fahren!

Gegen Mitternacht kamen wir in Harborough an, wo ich mich nur ein wenig ausruhen konnte, und dann gings wieder im vollen Jagen durch eine Menge Dörfer fort, so daß wir in einigen Stunden noch vor Tagesanbruch in Northhampton ankamen, das doch drei und dreißig Meilen von Leicester entfernt ist.

Von Harborough bis Northhampton hatte ich noch eine fürchterliche Reise, es regnete beinahe in einem fort, und so wie wir auswendig auf der Kutsche vorher vom Staub bedeckt worden waren, so wurden wir nun vom Regen durchnetzt. Mein Nachbar, der junge Mensch, welcher neben mir in der Mitte saß, schlief noch dazu beständig ein, und indem er alle Augenblicke mit der ganzen Last seines Körpers auf mich fiel, fehlte wenig, daß er mich ganz von meinem Sitz hinunterdrängte.

Endlich kamen wir denn in Northhampton an, wo ich mich sogleich zu Bette legte, und beinahe bis an den Mittag geschlafen habe. Morgen früh denke ich nun von hier mit der Postkutsche meine Reise nach London weiter fortzusetzen.


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