Wilhelm Meyer-Förster
Alt-Heidelberg
Wilhelm Meyer-Förster

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Akt.

Zwei Jahre später. – Das Zimmer des Fürsten Karl Heinrich im Schloß zu Karlsburg, dunkel vornehm, einfach. Ein großer Schreibtisch mit elektrischer Arbeitslampe. Regale mit Büchern &c.

1. Szene.

Hofmarschall. Kammerherr.

Kammerherr. Die Hochzeit Seiner Durchlaucht ist auf den 27. Mai festgesetzt, das sind noch 14 Tage.

Hofmarschall (nickt. – Pause.) – – Dann ist es ein Jahr, daß der hochselige Herr zu Marienberg zur Ruhe getragen wurde. Seitdem ist das Schloß zu Karlsburg nicht mehr ein Krankenhaus, sondern eine Totengruft, in der wir alle begraben sind. (Kammerherr zuckt die Achseln). – – – Meine Weisheit ist zu Ende. Was aus diesem Hofe werden soll, ich weiß es nicht. – Mein Gott, was hat man nicht von dem jungen Herrn erwartet! Endlich ein Aufatmen, endlich einen Umschwung, einen frischen Zug von Jugend! Ich will nicht von großen Festen reden und Veranstaltungen – aber zum wenigsten ein freundliches Gesicht hatte man erwartet! Eine Theilnahme für die Wünsche des Hofes und des ganzen Landes!

Kammerherr. Wenn man erwägt, ein wie liebenswürdiger junger Prinz Se. Durchlaucht einst war, – offen, freundlich. – – –

Hofmarschall (bitter). Nein, Nein. Er hatte schon als Kind diese Menschenscheu, diese Art, sich zurückzuhalten. –

Kammerherr. Aber man erzählt von Sr. Durchlaucht Universitätszeit Dinge – Abenteuer – –

Hofmarschall. Man erzählt, ja, wie man alles übertreibt. Wenn Se. Durchlaucht durch Karlsburg fährt, so lehnt er im Wagen, kaum daß er je einen Gruß erwidert. Der alte Herr war, – weiß Gott, er war nicht der Leutseligste, im Gegenteil – aber der junge Herr –, lieber Freund, ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich leichthin eine Kritik erlauben, – ich bin seit dreißig Jahren der treue Diener seines Herrn, – aber was werden soll, ich weiß es nicht. Es ist zu viel, das erträgt ein alter Mann nicht mehr.

Kammerherr. Vielleicht, daß nach Sr. Durchlaucht Heirat das alles sich ändert.

Hofmarschall (müde). Es mag sein, ich weiß es nicht, – ich glaub' es nicht. Eine Konvenienzheirat, weiter nichts. Eine Verlobung, die herbeizuführen der hochselige Herr auf seinem Krankenlager sich ein Jahr hindurch gemüht hat. Wir werden Feste haben und Empfänge und lärmende Ovationen, und drei Tage danach wird dieses Schloß wieder schlafen, eine Totengruft. (Er geht.)

Kammerherr (hält ihn an). Ich hätte noch etwas zu erwähnen, Exzellenz.

Hofmarschall. Ja –?

Kammerherr. Es hat sich heute Abend ein Mensch vorgestellt, ein merkwürdiges Subjekt, in einem uralten Frack und Zylinder. Ein Mensch aus Heidelberg.

Hofmarschall. Und was – e –?

Kammerherr. Er will Se. Durchlaucht den Fürsten sprechen. Der Mensch heißt Kellermann.

Hofmarschall. So. (Ungeduldig.) Und was?

Kammerherr. Er behauptet, bei Sr. Durchlaucht ein Anliegen zu haben, dessen Erfüllung ihm Se. Durchlaucht vor Jahren in Heidelberg zugesagt habe.

Hofmarschall. Eine Bettelei, wie immer, schicken Sie das Subjekt fort. Verweisen Sie das Subjekt auf eine schriftliche Eingabe. (Geht.)

2. Szene.

Lutz (ist geräuschlos eingetreten, macht sich zu thun. Dann) Schölermann.

Lutz (öffnet dem Hofmarschall die Tür). Exzellenz – –

Hofmarschall. Se. Durchlaucht ist noch im Park? Bei dieser nächtlichen Dunkelheit?

Lutz. Jawohl, Exzellenz.

Hofmarschall. Allein?

Lutz. Ja, allein.

Hofmarschall. Allein. Wie immer. Ewig allein. (Er geht mit dem Kammerherrn ab.)

Schölermann (ist eingetreten, bringt ein Bündel Akten.)

Lutz. Da drüben. Auf den Seitentisch.

Schölermann (legt die Akten nieder, will wieder gehen).

Lutz. Sehen Sie mal hier. (Nimmt ein Bild im Rahmen vom Schreibtisch.) Das Bild ist heute gekommen. Die neueste Aufnahme.

Schölermann. Ah, die Prinzeß! Die Braut.

Lutz. Pompöse Figur, was?

Schölermann (bewundernd). Wunderschön, sehr schön.

Lutz. Na, vierzehn Tage noch. (Setzt das Bild wieder fort.) Lieber Schölermann, es wird Sie selbst interessiren, und Sie können diese Nachricht im Schloß verbreiten, – aber unter der Hand, nicht auffällig, ich möchte nicht, daß davon übertrieben viel Wesens gemacht würde. Folgendes: Se. Durchlaucht haben geruht, Höchstihrem Kammerdiener Herrn Lutz nach Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten einen dreiwöchigen Urlaub zu gewähren, den Herr Lutz in Kissingen behufs einer leichten Kur zu verbringen gedenkt. Haben Sie verstanden?

Schölermann (erstaunt). Jawohl, Herr Lutz.

Lutz. Herr Lutz schätze diese Auszeichnung um so höher, als ein analoger Fall gütigster Gnade seitens Sr. Hochfürstlichen Durchlaucht nicht bekannt sei. Wann Herr Lutz reisen werde, stehe noch nicht fest, wahrscheinlich aber im Monat Juni.

Schölermann. Darf ich Herrn Lutz von Herzen Glück wünschen?

Lutz. Danke, mein Lieber. – Weil ich derjenige bin, mein Lieber, der in dieser Schreckenszeit von Heidelberg an Sr. Durchlaucht Seite auszuharren die Kraft besaß –

Schölermann. Gewiß –

Lutz. Derjenige, der mir in diesem Heidelberg das Leben vergiftet hat, diesem Herr Dr. Jüttner – Gott habe ihn selig, er ist verdorben und gestorben. Wie es zu erwarten war. Obwohl ich wünschen wollte, dieser Herr könnte sehen, was am Hofe zu Karlsburg aus einem Manne geworden ist, den dieser Mensch in einer Weise zu behandeln sich erdreistet hat – die Galle kommt mir heute noch hoch, wenn ich daran denke.

(Ein elektrisches langanhaltendes Klingelzeichen.)

Schölermann (auffahrend). Se. Durchlaucht!

Lutz. Also, lieber Freund, wie ich es Ihnen gesagt habe. Dreiwöchiger Urlaub usw. Die Notiz kann eventuell auch in die Zeitungen lancirt werden. (Er denkt nach.). »Wie wir erfahren – – – wird Herr Lutz – e – zur Kräftigung seiner etwas geschwächten Gesundheit – etcetera.

Schölermann. Sehr wohl, Herr Lutz.

Lutz. Schön.

Schölermann (ab).

Lutz (tritt an die Thür, öffnet sie weit, steht stumm).

( Längere Pause.)

3. Szene.

Karl Heinrich (herein, nimmt langsam Cylinder und Handschuhe ab. Sagt kein Wort. Lutz schließt die Thür. – Karl Heinrich nimmt am Schreibtische ein Aktenstück, liest längere Zeit darin, legt es fort, starrt theilnahmslos vor sich hin. Dann kurz, schroff.) Wer ist noch drüben?

Lutz. Se. Exzellenz der Herr Hofmarschall.

Karl Heinrich. Machen Sie da Licht.

Lutz (entzündet die elektrische Lampe mit grünem Schirm auf des Fürsten Schreibtisch).

( Pause.)

Karl Heinrich. – – Wie spät?

Lutz. Halb Zehn, Ew. Durchlaucht.

Karl Heinrich. Weshalb sind die Fenster geschlossen – wie? Ich wünsche, daß meine Anordnungen befolgt werden.

Lutz. Ew. Durchlaucht – – –

Karl Heinrich (antwortet nicht).

Lutz (öffnet hastig).

( Pause )

Karl Heinrich (setzt sich an den Schreibtisch, liest). – – Der Herr Hofmarschall.

Lutz (eilt an die Thür, spricht hinaus, dann laut). Se. Exzellenz der Herr Hofmarschall. (Lutz ab.)

4. Szene.

Hofmarschall. Ew. Durchlaucht.

Karl Heinrich. Nehmen Sie Platz, Exzellenz.

Hofmarschall. Es ist nun, Ew. Durchlaucht, das Programm der Hochzeitsfeierlichkeiten seitens der beiden Hofmarschallämter festgesetzt worden. Am 24. d. M. reisen Ew. Durchlaucht von Karlsburg ab, am 27. d. M. findet die Hochzeit statt, und am 1. Juni halten Ew. Durchlaucht mit Ihrer Durchlaucht der Fürstin Einzug in Karlsburg.

Karl Heinrich (nickt).

Hofmarschall (räuspert sich). – – – Am 2. Juni Fackelzug der Bürgerschaft und große Hoftafel, am 3. Juni Gala-Fest im Schlosse, am Tage darauf der Empfang der zur Darbringung ihrer Glückwünsche erscheinenden Deputationen aller Städte.

Karl Heinrich (nickt).

Hofmarschall (räuspert sich). – – – Dann am 5. Juni –

Karl Heinrich. Es ist gut, ich danke. Geben Sie, bitte. (Hofmarschall reicht ihm den Entwurf.) – – Ich werde das lesen. – – – Ist sonst – e –?

Hofmarschall. Nichts weiter, Ew. Durchlaucht.

Karl Heinrich. Ich danke, Exzellenz. Ja, eins!

Hofmarschall. Durchlaucht?

Karl Heinrich. Ich hatte vor Monaten, oder es ist schon länger her, Auftrag gegeben, daß für den seiner Zeit verstorbenen Doktor Jüttner auf meine Kosten ein – e – Denkstein auf dem Begräbnisplatz in Heidelberg errichtet werden sollte. Ist das geschehen?

Hofmarschall. Sicherlich, Ew. Durchlaucht. Ich werde sofort Anlaß nehmen, darüber näheren Bericht einzufordern.

Karl Heinrich. Ich bitte darum.

Hofmarschall. Herr Doktor Jüttner steht in unser aller Erinnerung. Ich sehe ihn noch, er war ein kleiner, untersetzter Herr, immer liebenswürdig. Er hatte ja die Ehre, sieben oder, wenn ich nicht irre, acht Jahre Ew. Durchlaucht Erziehung zu leiten.

Karl Heinrich. Ja.

Hofmarschall. Ein ausgezeichneter, pflichtgetreuer Lehrer.

Karl Heinrich. Meinen Sie?

Hofmarschall (erschreckt). Ew. Durchlaucht meinen nicht?

Karl Heinrich. Es war ein sehr wunderlicher Einfall, diesen Herrn zum Erzieher zu wählen.

Hofmarschall (perplex). D – Durchlaucht –?

Karl Heinrich. Es scheint mir das ein Beweis dafür, mit welcher außerordentlichen Gleichgültigkeit man an diesem Hofe damals betreffs meiner Person Anordnungen traf.

Hofmarschall. Ich bin – ich war – ich – damals –

Karl Heinrich. Der Vorwurf richtet sich nicht gegen Sie, Exzellenz.

Hofmarschall. Ich habe geglaubt – ich – ich – man kann sich täuschen in Menschen. Ew. Durchlaucht. – Dieser Doktor, er machte einen äußerlichen Eindruck, aber allerdings, er paßte nicht an einen Hof, er hatte, wenn ich so sagen darf, keine Manieren und war vielleicht auch sonst –

Karl Heinrich (scharf, ironisch). Er war ein Mann, der ein Herz in der Brust hatte, Exzellenz.

Hofmarschall (total perplex). Sicher.

Karl Heinrich. Lassen wir ihn ruhen. – (Nach einer Weile verabschiedet er den Hofmarschall durch eine Handbewegung.)

Hofmarschall (geht, wendet). Verzeihung. Ew. Durchlaucht –

Karl Heinrich. Was noch?

Hofmarschall. Es ist – weil Ew. Durchlaucht von Heidelberg sprachen, ich würde sonst das gar nicht erwähnt haben: es hat sich ein Mensch hier eingefunden heute Abend, der aus Heidelberg kommt und Ew. Durchlaucht zu sprechen wünscht.

Karl Heinrich. Wer?

Hofmarschall. Der Mann behauptet, bei Ew. Durchlaucht ein Anliegen zu haben, dessen Erfüllung Ew. Durchlaucht ihm seiner Zeit zugesagt hätten.

Karl Heinrich (kalt). Wie heißt der Mensch?

Hofmarschall. Kellermann.

Karl Heinrich (horcht auf, fährt halb empor). Kel – ler – mann?

Hofmarschall. Jawohl, Durchlaucht, Kellermann.

Karl Heinrich (halb für sich, leise). Aus Heidelberg –

Hofmarschall. Aus Heidelberg, Ew. Durchlaucht

Karl Heinrich. – (Er nimmt, um seine Erregung zu decken, das Aktenstück, blättert darin.) – Wollen Exzellenz das Aktenstück mitnehmen?

Hofmarschall. Ich habe eine Kopie, Ew, Durchlaucht,

Karl Heinrich (steht auf). Ich danke.

Hofmarschall (geht).

Karl Heinrich. Exzellenz –

Hofmarschall. Durchlaucht?

Karl Heinrich. Man soll mir diesen Kellermann hereinschicken.

Hofmarschall. Jetzt? Heute noch?

Karl Heinrich. Ja.

Hofmarschall. Sehr wohl, Durchlaucht (Ab.)

Karl Heinrich (steht starr, allein. Lange Pause. Dann leise, abgebrochen, tief erschüttert). Kellermann –! – – Einer von damals! – Einer von damals! – Wenn auch nur Kellermann. Der armselige Kellermann – –

5. Szene.

Lakai (öffnet die Tür). Kellermann (herein).

Karl Heinrich (steht an der entgegengesetzten Seite der Bühne, betrachtet starren Auges Kellermann, der sich ängstlich umsieht, den Zylinder in den Händen. Dann geht er zu ihm hinüber legt die Hände auf seine Schultern). Kellermann?!

Kellermann. Ew. Exzellenz –

Karl Heinrich (zieht ihn sanft in die Mitte, ins Licht). Laß dich ansehen, Kellermann. (Lächelnd und mit einer vor Erregung fast zitternden Stimme). Er kommt extra von Heidelberg und bringt Frack und Zylinder mit. Er will Kellermeister werden, was? Er hat nicht vergessen, was ich ihm damals versprochen habe.

Kellermann. Ew. Durchlaucht –

Karl Heinrich. Er hat an mich gedacht, er ganz allein. Du bleibst, Kellermann, du wirst mein Kellermeister, selbstverständlich.

Kellermann (nimmt des Fürsten Hände, stürmisch).

Karl Heinrich (lächelt). Ja, ja, laß nur. Wann bist du gekommen? Heute? Du hast Hunger und vor allem Durst. (Er drückt auf eine elektrische Klingel). Da setz dich, so. Der alte Kellermann!

Ein Lakai (in der Thür).

Karl Heinrich. Bringen Sie Wein und etwas für den Herrn da zu essen. (Lakai ist erstaunt.) Ja hierher. Ohne alle Umstände.

Lakai. Sehr wohl, Durchlaucht. (Ab.)

Karl Heinrich. Sieh mich mal an, Kellermann, – kennst du mich noch? Hast du mich noch erkannt?

Kellermann. O freilich.

Karl Heinrich. Wirklich? Hast du? Es sind zwei Jahre her, da ändert man sich. In zwei Jahren geschieht vieles.

Kellermann. – – Ob ich auch meine Frau mitbringen darf?

Karl Heinrich. Deine Frau mitbringen? Ja, natürlich. Aber meine Wäsche kann sie nicht mehr besorgen, Kellermann, wie in Heidelberg. Oder dachtest du?

Kellermann (lacht verlegen).

Karl Heinrich. Nun erzähle, Kellermann, das ist die Hauptsache. Wer ist noch da? Wer ist noch in Heidelberg? Ist der Graf von Asterberg noch dort?

Kellermann. Der Graf? Nein!

Karl Heinrich. Karl Bilz?

Kellermann. Jawohl.

Karl Heinrich. Kurt Engelbrecht?

Kellermann. Jawohl.

Karl Heinrich. Und die anderen?

Kellermann. Sonst ist keiner mehr in Heidelberg.

Karl Heinrich. Franzius?

Kellermann. Nach Berlin.

Karl Heinrich. Der kleine Wickede?

Kellermann. Der ist nach drüben. Nach Amerika.

Karl Heinrich (geht auf und ab. Pause. Halblaut). Also nur zwei noch in Heidelberg. Zwei Letzte. – Zerstoben.

Lakaien (bringen Speisen, Wein, zwei Gläser. Pause).

Karl Heinrich (plötzlich wieder heiterer). Wer wohnt jetzt in meinen Zimmern? Gehen sie noch alle Vormittag zum Frühschoppen aufs Schloß? Wie ist es mit den Mensuren? Wird in Heidelberg gepaukt oder auf den Dörfern?

Kellermann (verwirrt durch so viele fragen). Ja, ja, jawoll – oder – jawoll – –

Karl Heinrich (plötzlich stockend, errötend). Und dann – was macht diese – Käthie?

Kellermann (verständnislos). Käthie?

Karl Heinrich (stockend). Die – die – in – in Rüders Gasthaus!

Kellermann (besinnt sich schwerfällig). Ja die – ja – ja, die ist auch noch da.

Karl Heinrich. Bei Rüder?

Kellermann. Ja. bei Rüder.

Karl Heinrich. Und – und geht es ihr gut?

Kellermann. Ganz gut.

Karl Heinrich (eindringlich). Sie ist immer noch da? Ganz wie früher? Wenn man hinkommt zu Rüders, dann – dann findet man sie noch?

Kellermann (erstaunt über des Fürsten Erregung). Jawoll.

Karl Heinrich (kommt ganz nach vorn, beachtet Kellermann nicht mehr, starrt geradeaus). – Die Jugend, – die man vergessen hat. Wie nur schwächliche Seelen vergessen! – – Nun kommt der Mensch da und erzählt. Erzählt, daß alles noch ist. Jetzt noch ist. Daß da in Heidelberg noch Menschen leben, keine Tagereise entfernt! Ohne mich, – als ob ein Prinz Karl Heinrich nie existiert hat oder zum wenigsten nie für sie notwendig war. – Nie notwendig war. – –

( Pause.)

Kellermann (der getrunken hat). So ist es in Heidelberg nicht mehr wie früher. Das sagen alle, das sagt auch Herr Bilz.

Karl Heinrich. Wie nicht mehr?

Kellermann. Als wie damals. Als wie Sie da waren.

Karl Heinrich (glücklich). Sagen sie das? Sagen das alle? Sprechen sie in Heidelberg noch von mir, Kellermann?

Kellermann. O ja.

Karl Heinrich (reißt ihn hoch). Hat keiner einmal gefragt, ob ich wiederkommen würde? Oder weshalb ich nicht wiederkäme, Kellermann?

Kellermann. Ja, ja, o ja, oft.

Karl Heinrich (hastig). Und die Kleine? Die bei Rüders?

Kellermann. Die? – Die? – Die Käthie, richtig, ja, ja, – die hat viel geweint.

Karl Heinrich (tritt zurück, von tausend Gefühlen zerrissen, lange Pause). – – – – (Dann klingelt er.) – – – –

Lakai. (herein.) Ew. Durchlaucht?

Karl Heinrich. Der alte Herr bekommt Nachtquartier. Hier im Schloß. Es soll gut für ihn gesorgt werden, – verstehen Sie, sehr gut.

Lakai. Sehr wohl, Ew. Durchlaucht.

Karl Heinrich (geleitet Kellermann an die Tür). Gehen Sie schlafen, Kellermann, und morgen erzählen Sie mehr. (Kellermann, Lakai ab).

Karl Heinrich (allein, düstere Pause). Nun wird Brautfahrt gehalten, und das »gereifte Leben« beginnt. Kein Zick-Zack mehr und kein Zur-Seite-springen, – es ist nun alles gut abgemessen und abgezirkelt. – Einen einzigen haben, der jetzt dasäße und spräche: »Karl Heinrich, das ist nicht anders, du mußt das ertragen.« Der einen trösten würde, oder – mein Gott. Mein Gott! – – – – – Diese Totenstille! Alles schläft, das Schloß, die Stadt, das Land, hier schläft alles! – – 10 Uhr Nachts. Da sitzen sie in Heidelberg in Rüders Garten bei Lampions, lachen und sehen nach der Uhr und sagen. »Es ist erst 10 Uhr Nachts.« – – – – Und da kommt Käthie durch den Garten mit ihrer weißen Schürze und gähnt etwas und reibt mit den kleinen Fäusten die Augen – (Er greift nach dem Weinglase.) Trink, Käthie, werde wieder munter!

(Pause.)

(Er fährt auf, entsetzt.) Was war das? Wer rief da? – – »Prost, Karl Heinz« – wer hat das gerufen? (Leise, unheimlich.) Das war des Doktors Stimme. »Prost, Karl Heinz, sollst leben.« – (Leise.) Ja, ich lebe, ein herrliches Leben. – (schenkt ein, hält das Glas gegen die dunkle Ecke.) Doktor! – (Alles totenstill.) Dein Wohl! (Er fällt vornüber auf den Tisch, den Kopf in den Armen begraben.)

6. Szene.

Lutz (herein). Haben Durchlaucht gerufen? – (Als Karl Heinrich nicht antwortet) Ich glaubte – (Tritt näher.) Ew. Durchlaucht –?

Karl Heinrich (fährt auf, nervös). Was? Was ist?!

Lutz. Ich glaubte, Ew. Durchlaucht hätten gerufen –

Karl Heinrich (hastig). Sie können nicht schlafen gehen. Es sollen meine Koffer gepackt werden, man soll – ich verreise.

Lutz (baff.) Ver –

Karl Heinrich. Sie begleiten mich. Sie und Glanz. Wir reisen heute Nacht noch. Nach Heidelberg. (Reißt den Schreibtisch auf). Da, packen Sie ein! Die Mütze – das Band.

Lutz. H – Heidelberg –?

Karl Heinrich. Auf einen Tag oder auf zwei. Am Sonntag sind wir zurück. Es ist keine Minute zu verlieren – vorwärts.

Lutz (total konsterniert ab).

Karl Heinrich. Ganz habt ihr mich hier nicht besiegt, ganz nicht!


 << zurück weiter >>