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Neuntes Kapitel

Die Sonne schien so warm, als wär es im Mitten Maien, obwohl es an einem Spätherbsttage war, an dem aus der bereits vergilbten und großenteils entblätterten Weinrebenlaube, die das kleine Verbindungstor des ›böhmischen Hofes‹ mit dem daran stoßenden Wein- und Blumengarten überdachte, ein großer, hagerer Mann an der Hand eines kleinen, blassen, kränklich aussehenden Burschen in den offenen, strahlenförmig um ein aufgeschüttetes, sternförmiges Rasenrondeau in Beete abgeteilten Gartenraum trat, der, noch immer von süßen Düften durchzogen und von lustigem Vogelsang erschallend, nur durch die fallenden Blätter, die der Wind raschelnd über das Gras hinfegte, an das Herannahen des Winters, des unbarmherzigen Würgers seiner duftenden und grünenden Kinder, erinnerte.

Was der Herbst an farbigen Blüten herzuschaffen vermag, um sein welkendes, alterndes Haupt zu verschönen und zu schmücken, das hundertfarbige Volk der Georginen, das vielartige Geschlecht der Astern, nicht zu gedenken der immer bereiten Monatblüten verschiedener Art und Form, war, ein bunter, herzerquickender Teppich, ausgebreitet auf den langen, vom Morgenwinde leicht bewegten Blumenbeeten, während dieser draußen pfeifend durch die entlaubten Rebenranken und über die kahlen Stoppeln fuhr.

Der Mann, der auf die Schulter des kleinen Burschen gestützt und von diesem geführt, langsam und gesenkten Hauptes auf dem schmalen Rasengange inmitten des Gartens hin schritt, musste vor Kurzem noch so jung, schön, stark und gesund gewesen sein, als er in diesem Augenblicke alt, hager, kränklich und gebrochen aussah; dies war der Eindruck, den sein Erscheinen überall machen musste, denn fällt auch das Siechtum den Menschen mit noch so großer Hast und Mächtigkeit an, so braucht es dennoch immer einer längeren Zeit, um alle Lebensborne so gänzlich auszutrocknen und alle Blütenfasern so zu zernagen, wie es an diesem Manne geschehen, nur dass sein starker Gliederbau geknickt, nicht untergraben, sein Lebensstrom plötzlich versiegt, nicht allgemach verronnen schien. Der Tod schien ihn mit dem sein Opfer bezeichnenden Blicke angeschaut und seine Sense ihn flüchtig berührt zu haben.

»Führ' mich zur Rasenbank, Vivian!« flüsterte der Mann mit hohler Stimme seinem Führer zu. »Es muss ein schöner Tag sein heute; die Sonne scheint so lindwarm, und die Luft weht so würzige Düfte von den Almweiden herab!«

Der Führer antwortete nicht, aber sein wunderbar klares Auge hing mit tief mitleidigem Ausdrucke an den leeren, unheimlich starrenden Augenhöhlen seines armen, blinden Herrn!

Es war Charlot, der Gatte Geneviévs, und sein Führer Vivian, der mit dem Instinkte des treuen Hundes der Spur seiner geliebten Herrin gefolgt, bis er, der hilflose Stumme, sie nach langem, hartem Suchen endlich gefunden.

Auch der Stumme sah blässer als im Frühjahre und leidend aus. –

»Vivian!« begann der Blinde nach einer langen Pause, während der er in tiefem Nachdenken leise vor sich hingesummt – eine einfache provenzalische Weise, die er sonst – in den versunkenen, glücklichen Tagen, wo er noch Vater war, allnächtlich, aus den Gruben heim gekommen, an dem Wiegenlager seines Kindes gesungen hatte.

Vivian kannte das Lied und seinen jeweiligen Eindruck auf seinen armen Herrn; er legte seine Hand leise auf dessen Knie, wie um ihn zu erinnern, dass er da sei und höre.

Der Blinde brach sogleich seinen Gesang ab und begann abermals mit leiser, klagender Stimme: »Vivian, ich möchte Dich etwas fragen – etwas, was keiner Sprache zur Beantwortung braucht, was mir das Gefühl meiner Hand, gehoben seit meiner Erblindung, als hätten sich meine ausgeglühten Augensterne in ihre Fibern geflüchtet – deutlich sagen wird.« – Er hielt eine Weile sinnend inne, dann tat er rasch die Frage: »Denkst Du nicht, dass Geneviéve – anders, ganz anders ist als ehedem?«

Vivian, dessen Hand schon bei dem Klange des Namens seiner Herrin leise erbebte, zuckte rasch zurück, als diese Frage sein Ohr traf, als ob er sich scheue und fürchte, dem misstrauischen, scharfsinnigen Blinden durch ihr Zittern zu sagen, was keine Qual der Erde seiner gelösten Zunge zu entreißen vermocht hätte.

Der Blinde seufzte tief auf, als er diese rasche Regung fühlte – als Vivian den Blick zu ihm erhob, sah er das magere Gesicht des Blinden mit brennender Röte bedeckt.

»Das arme Weib weiß sich in mein Unglück, das sie so elend macht, nicht zu schicken«, sagte Charlot nach einer Weile mit unsicherer Stimme, und dabei hielt er seine toten Augen fest und starr auf Vivians Antlitz gerichtet, als lese er darin. »Das arme Kind, so jung, so schön und – so schwer geprüft!«

Bei diesem letzten Absatze seufzte nun der Stumme tief auf, sein Haupt senkte sich schwer auf die unruhig gehobene Brust, und sein treuehrliches, offenes Gesicht trug den Ausdruck inniger Trauer.

Die Röte war plötzlich aus dem Antlitz Charlots gewichen und dies grauenhaft bleich geworden, als hätte er die trostlose Gebärde des Stummen wahrzunehmen vermocht. »Du seufzest und bis traurig, mein guter Vivian!« sprach er mit trübem Lächeln, »ja, ja!« – Er sann eine Weile still nach, dann sprach er, sich plötzlich aufrichtend: »Ich will Dir etwas erzählen!«

Er tappte abermals nach der Hand des Stummen, und diese in kindischem Spiele streichelnd, begann er:

»Als ich gefangen lag auf Schloss Maultasch, es ist schon lange her und war um die Zeit, als meine verbrannten Augen zu schmerzen aufhörten und ich endlich wieder schlafen konnte, da hatte ich eines Nachts, oder war es bei Tage, ich wusste dies damals nicht mehr zu unterscheiden, einen wundersamen Traum. Mir war, als sähe ich, und als käme ich nach langem Wandern in das arme, kleine Häuschen, in dem ich meine Jugendzeit und die meiner einzigen, ewigen Liebe verlebt, tief drunten im Süden, an den lachenden, Reben umsponnenen Ufern des Var. Ich pochte an, man tat mir auf – nicht mein Weib – eine fremde, mir unbekannte Frau. Sie reichte mir ein Almosen. – Ich sah sie staunend an, dann mich, und gewahrte, dass ich einem Bettler gleich in ekle Lumpen gehüllt war. Ich frug die Frau nach meinem Weib und Kinde, nach Gaultier, und sie sagte mir, dass diese fortzogen und tiefer unten am Golfe wohnten, in einem hellen, schönen Marmorpalaste, den sie für schweres Geld erbaut, erbeutet in den reichen Erzgängen eines fernen Landes. – Das war ein alter Traum von mir und uns, ein lieb gewordenes Schlummerlied, mit dem die Hoffnung uns durch Jahre lang zu Nacht süß eingesungen. – Ich machte mich auf und wanderte, bis mir des Meeres blitzender Spiegel entgegen strahlte und an seinen schaumbedeckten Uferklippen hoch emporragend das Marmorschloss meiner Träume mich gastlich anlachte. – Ich kam hinein, ich sah Geneviéve, strahlend in goldenem Schmucke, sah mein Kind, es ritt auf einem weißen Rösslein, sie kannten mich nicht! Mein Weib gebot den Dienern, den zudringlichen Bettler hinweg zu schaffen, mein Kind scheute weinend vor meinen Lumpen zurück – ich stürzte wahnsinnig hinaus. – Da sah ich an des Palastes Stufen einen alten Spielmann sitzen, der, auf seiner Fidel kratzend, mir mit heißerem Gesange unablässig zurief:

 

»Hast Du die Lieb' verloren?
Es blieb die Rache Dir!«

 

Ich erkannte den Vater meines Weibes, den alten Gaultier, und er wusste schon, was sie mir angetan, und erzählte mir, dass auch er verjagt worden sei aus den stolzen Hallen von seinem Prunk verblendeten Kinde wie ich von meinem Glanz und Flitterverwöhnten. Und wieder sang er mit wilden, feurigen Tönen:

 

»Es blieb die Rache Dir!« –

 

Mir fuhr es siedend heiß durch Herz und Adern, mein Hirn brannte, ich stürzte in den Hof und erfasste das Kind bei den langen, blonden Locken und – schleuderte es ins Meer!«

Er hielt schaudernd und von wilder Aufregung geschüttelt inne, und erst, als er fühlte, dass Vivian die kalte, bebende Hand aus der seinen, sie krampfhaft umklammernden, loszumachen strebte, flüsterte er mit sinkender Stimme: »Und da – wacht' ich auf!«

Ehe noch die beiden Männer den Eindruck der Erzählung dieses wilden Traumes verwunden hatten, der wie ein Kommentar des von Charlot angeschlagenen Stoffes diesem angehängt worden war, drehte sich die Gartentüre kreischend in ihren Angeln und ließ die schlanke, zierliche Gestalt einer jungen Frau ein, die zwischen den Blumenbeeten, der reichen Flor weit überstrahlend an duftiger Schönheit und jugendlicher Anmut, mit leichtem Elfentritte über den Rasenweg der Bank zu hüpfte, auf der Charlot und Vivian saßen – Geneviéve.

Sie war größer, voller geworden, und auch schöner, wenn der Ausspruch gilt, dass leidende Schönheit nur rührt, frisch blühende aber das Herz mit süßer Macht ergreift.

Und er gelte! Denn wehe der Schönheit, wenn sie erst des ätzenden Ferments des Leides bedürfte und ihr Eigenstes, die Natur, verleugnen müsste, um zu gefallen!

Geneviéve sah glücklich aus.

Was wollte der unglückliche Blinde mit seinen Klagen? Sollte sie, starr abwehrend von sich den Einfluss süßer, ländlicher Ruhe und, zurückstoßend die linde Hand der Zeit, die alle Wunden heilt, in Gram und Trauer vergangen sein? –

Sie trat mild lächelnd an die Rasenbank und rief, mit den feinen Händen das lichtlose Haupt des Blinden erhebend, mit freundlicher Stimme: »Der Graf ist da, Charlot. Willst Du nicht hineingehen, ihn zu begrüßen?«

Er atmete nicht gleich und schob ihre Hände sanft zurück, dann sagte er mit leichter Schärfe im Tone: »Ich gehe, so will es die Sitte!«

»Die Sitte, und nicht Dein Herz? Du böser, blinder Mann!« schmollte Geneviéve mit kindlichem Ausdrucke. »So fällt es Dir schwer, den Hort Deines Weibes, Deinen Retter und Beschirmer willkommen zu heißen unter dem Dache, das er Dir so gastlich angeboten? Doch ich zanke, und Du leidest vielleicht. Du siehst entsetzlich blass aus! Schmerzen Dich Deine Augen!« fragte sie in liebender Sorge.

»Nein!« sagte Charlot kalt und suchte mit zitternder Hand nach Vivians Schulter, um aufzustehen.

»Ich werde Dich stützen, Charlot!«

»Lass nur, Vivian versteht das am besten!«

Damit ging er, von dem Stummen gehalten, langsam und schlotternden Schrittes dem Hofe zu.

Geneviéve blieb wie angedonnert an der Rasenbank stehen.

Ihr Herz schlug rasch und fieberhaft, ihre Schläfe glühten, und in ihren Augen sammelten sich die Blutstropfen innerer Wunden – die Tränen.

»Was war das?« flüsterte sie fragend vor sich hin und rieb mit den rosig angehauchten Fingern die brennende Stirne, sinnend – sinnend –

»Ach was härm' ich mich! Kann denn ein armer Blinder, dem alles verloren ist, Sonnenschein, Sternenglanz, Blumenblüt', kurz alle Pracht der Erde, seinem bedrückten Herzen gebieten, froh und frisch mit zu schlagen mit dem ringsum pulsierenden Leben? – Ach, wie muss es traurig sein, blind zu sein!«

Sie schüttelte die traurigen Gedanken von sich und schritt rasch durch die Beete hin; doch an dem Sterne angekommen, wo des Gartens bunte, duftende Kinder ringsum gleichsam zusammen liefen, um die holde Menschenblume zu begrüßen, sich ihr freundlich zuneigten mit tauglitzerndem Kelche, als wollten sie ihr zurufen: ›Komm! Breche uns! Für Dich sind wir zu so heller Blüte aufgeschossen!‹

Da hielt sie plötzlich an, beugte sich nieder, brach hier und dort die vollsten, schönsten Dolden und fügte sie zu einem reichen, sinnigen Strauße.

»Für ihn!« flüsterte sie im Gehen – und küsste sie ihn nicht? –

Du armes Kind! Oft sind die klarsten, glühendsten Augensterne blind! –

Dich hinter der Laube, die sich über der Rasenbank am Gartenende an die Umfassungsmauer lehnte und an diese angebaut, erhob sich ein längliches, in Stein aufgeführtes Gebäude, in dessen Rückseite, dem Garten zugekehrt, zwei schmale Fenster gebrochen waren, die vollkommene Aussicht über das, zu dem ›Herrenhofe‹ gehörende Anwesen und in den Hof selbst gewährten.

An dem einen dieser Fenster, gerade über der Laube, stand blassen, wildverzerrten Angesichts Margarethe von Tirol, hinter ihr, die stolzen, starken Züge voll hämischer Schadenfreude, Engelmar von Vilanders.

Sie war, von dem Ritter hier erwartet, lange vor ihrem Gemahl zu Vilpian eingeritten. Er hatte ihr durch Kundgebung seiner vorwendlichen Absicht, diesen Tag über in den Forsten des Vorerberges zu jagen, schon nachts vorher selbst diese Gelegenheit geboten, sich von der Wahrheit oder Grundlosigkeit des über ihn laufenden Gerüchtes zu überzeugen, das durch die Einflüsterungen Engelmars zwar bei ihr nicht glaubwürdig, aber doch endlicher Berücksichtigung wert befunden worden war.

Sie wollte es nicht glauben!

War es die Liebe, deren Allmacht selbst aus Lava dieses im Feuer des ausschweifenden Sinnentaumels ausgebrannten Herzens endlich ein grünendes Reis ersprießen ließ, oder war es der Trotz der Hoffart, die sich zu denken sträubte, ihre Huld, wenn auch nur eine vorübergehende oder erheuchelte, könne verschmäht werden und verschmäht von dem, dessen Herz sie bislang, selbst als Spielzeug zu gebrauchen verachtet?

Wer hätte das ergründet?

Der Ritter von Vilanders tat es unbewusst, instinktmäßig. Er sah sie, während Geneviéve erschien und die kurze Szene unter dem Fenster sich abspielte, am ganzen Leibe erzittern, er sah sich hoch aufatmend und die Hände auf den fliegenden Busen gepresst, den üppigen Leib dehnen und durch das schmale Fenster zwängen, wie um zu der Stelle zu kommen, die das schöne, fremde, verhasste Weib trug, sah ihre Augen starr stehen mit verglasten Sternen und ihre tiefroten Nüstern bebend springen, er hörte den lauten, bangen Schlag ihres wildbewegten Herzens und – wie der Eigner tut, des Gut eine frevle Hand begehrt – legte der ehemalige Buhle der gefallenen Frau seine Rechte auf die Schulter derselben, und sein Auge fuhr flammend nieder zu den Granathecken, als wolle er den Feind erspähen, an den sein Eigen verloren zu gehen drohte und ihm zurufen: Mein ist sie, wage sie nicht zu begehren!

Margarethe war in Liebe zu – ihrem Gemahl!

Sie sprach nicht und regte sich noch nicht, als Geneviéves helles Seidenkleid schon längst zwischen den Hecken verschwunden und der Garten wieder einsam und verlassen war.

Endlich stieß sie, wie aus schwerem Traum erwachend, einen tiefen Seufzer aus und kehrte sich mit den Worten gegen Vilanders: »Sie ist sehr schön!«

Der Ton, mit dem sie diese Worte sprach, klang hohl und schmerzlich, und Vilanders musste sich mit bitterem Leide sagen, dass er aus dem Herzen kam und aus der Tiefe ihres Herzens, das er zu befangen, aber nie zu rühren vermocht.

»Hast Du gesehen, dass sie den Strauß geküsst?« fragte sie weiter, die großen, braunen Augen träumerisch gesenkt.

»Ja!« hauchte Engelmar, und sein Blick suchte mit eifriger Angst nach einer Spur von Hass, nach einem Zuge von Leidenschaft in dem blassen, schmerzlich verzogenen Antlitze der Gräfin – er fand sie nicht und verzweifelte.

Doch neue Hoffnung belebte sein Herz und seine Züge, als Margarethe nach einer kurze Weile Sinnens sprach: »Wir wollen noch warten! Sie scheint ihn zu lieben – ob er, der marmorkalte Mann – wir wollen warten!« Und sie lehnte sich abermals ans Fenster.

Sie wollte es nicht glauben! –

Die Türangeln kreischten wieder, und die Hecken rauschten. Hab' acht, unseliges Weib! Die Stunde der Rache naht, der Rache für die treuen Herzen, die Du zertreten und verbrannt, für die treuen Herzen Jakobs und des Falken von Missian! –

Der Graf schritt an Geneviéves Seite langsam und in flüsterndes Gespräch verloren, den breiten Mittelweg des Gartens entlang. Er trug den Strauß, den sie gepflückt, in der Hand. –

Engelmar sah nicht hinab, er schaute in das Antlitz Margarethes und las darin wie in einem offenen Buche, was geschah.

Mit innerlicher Freude sah er einen Hoffnungsstrahl nach dem andern weichend über ihre Züge gleiten und den trüben Schleier verzagenden, verzweifelnden Schmerzes darüber ziehen.

Hörte sie, was die dort unten sich erzählten mit lispelndem Gekos?

Sie sah es, Eifersucht hört mit den Augen! –

»Ha, Engelmar!« stöhnte sie plötzlich auf und fasste zitternd nach seinem Arme – er sah rasch hinab: der Graf ließ eben Geneviéve aus seinen Armen und floh wie ein glücklicher Räuber dem Hofe zu.

Und Geneviéve schlug plötzlich die Hände vor das hocherglühte Gesicht, sank ächzend in die Knie und rief mit herzzerreißender Stimme: »Mein Gott, mein Gott! Ich liebe ihn!«

»Es genügt!« sprach Margarethe, sich rasch zu Vilanders kehrend, fast mit dem Aufschrei Geneviéves zugleich, mit kaltem ruhigem Tone, den aber die geisterhafte Blässe ihres Gesichtes Lügen strafte. »Hier meine Hand! Sagt dem Kaiser, dass ich ihm gern zu Willen bin!«

Vilanders beugte sich stumm über die schöne, weiße Hand, die, eine gebrochene Frucht dieses Augenblickes seinem Gebieter zu Füßen fiel, und folgte der hastig voraneilenden Gräfin über die Treppe.

In dem inneren Raume des Selzerhöfels standen Ehren-Küeppacher und die Knechte der Gräfin mit den Pferden.

»Du reitest stracks nach Bozen«, sprach Margarethe kurz, auf den Schreiber zutretend, »und entbietest mir den Herrn Schweiker von Brandis, der auf dem Hofe haust nächst Sebenstein, ohne Verzug auf Schloss Tirol!« Und auf dem Zelter steigend, flüsterte sie mit verlockend süßer Stimme Herrn Engelmar zu: »Wollt ihr noch herbergen in Tirol, eh' Ihr nach München zieht, so bitt' ich Euch, mein armes Schloss dazu zu küren – ich dürfte eines Schützers nötig haben heut, denn der Graf von Luxemburg betritt, so Gott will, meines Hauses Schwelle nimmer wieder!«

Vilanders vergaß über dem ernsten Schluss dieser Rede ihres Anfangs minnigliche Verheißung und fragte erstaunt: »Gräfin, habt Ihr bedacht…«

»Vorbedacht und aber bedacht!« versetzte Margarethe, gezwungen lächelnd, und zitierte halb singend die alte Tiroler Schützenweise:

 

»Der Bolzen liegt,
Die Sehne klingt,
Hin fahrt der Schuss:
Wer wagt, der g'wingt!«

 

Und dem Zelter einen leichten Gertenhieb versetzend, galoppierte sie dem Ritte und ihrem Tross stolz voran. –


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