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Fünftes Kapitel

Im Handumkehren, wie man sagt, einen anderen Herrn zu bekommen, ist eine Sache, die wohl nie und nirgends verfehlen wird, großen Rumor unter den Betroffenen zu machen, besonders wenn diese einer so zähen, widerhaarigen und allem Neuen entschieden abgeneigten Nation angehören, als jene des Landes Tirol schon dazumal war, als es plötzlich hieß: Böhmen im Lande! Und abermal aus mit dem Regiment der eingeborenen Gräfin!

Dass das Halloh darüber zu Bozen das Allgemeinste und Größte im Lande war, kann nicht verwunderlich erscheinen, wenn man erwägt, dass für diese Handelsstadt bei dem bevorstehenden Regimentswechsel das Wenigste zu gewinnen, das Meiste aber zu verlieren in Aussicht stand.

Nicht, dass sie sich etwa vor oder während des merkwürdigen Streitfalles zwischen dem gräflichen Paare je offen zu irgendeiner markierten Partei geschlagen und für diese ihre, ohne Zweifel Ausschlag gebenden reichen Mittel in die Waagschale gelegt hätte; davor hatte sie ihre Repräsentanz sowohl aus Klugheit wie aus Krämergeiz sorglich behütet. Aber als der fragliche Streit unter ihrem neutralen Zuschauen und Zuwarten endlich, für eine Zeitlang wenigstens, ausgetragen war – dass die Flucht des Grafen Johann eine Verzichtleistung auf seinen Fürstenthron wäre, mochte schwer anzunehmen sein – befand der Rat der guten Stadt Bozen es für ebenso gefahrlos als angemessen und ersprießlich, sich für seine Nichtbeteiligung an dem Streite und für künftiges Halten guter Nachbarschaft von der Gräfin Margarethe mit unterschiedlichen Freibriefen und Benefizien begnaden zu lassen, deren fernere Gültigkeit aber durch den unerwarteten Umschwung der Dinge nicht nur sehr in Frage gestellt wurde, sondern deren Annahme und Nutznießung jetzt leichtlich als ungesetzlich und sogar strafbar ausgelegt werden konnte.

Dennoch war es nicht sowohl dieses unliebsame Scheitern ihrer Konjektural-Politik, als die häckelige Wahl der fortan einzuschlagenden, was die weisen Väter der Stadt in maßlose Aufregung und Verlegenheit versetzte.

Nicht darum frug es sich, was Recht und Pflicht gebiete, sondern was die Klugheit erheische und die Sorge für das gemeine Wohl der Kommune, deren kommerzielle Bedeutsamkeit eben jetzt einen Aufschwung genommen, der um keinen Preis nur aufgehalten, viel weniger gelähmt werden durfte, wenn jene nicht auf eine der rivalisierenden Nachbarstädte Trient oder Meran übergehen sollte.

Und wie hier, so wurde es auch weitum im übrigen Lande gehalten. Was zu tun, das bestehende Interessen zu beschützen und zu fördern im Stande sei, das war die Frage; Recht und Patriotismus kam nie und nirgends in Anschlag.

Die Sache des Grafen Johann war überhaupt nie von dem Volke zu der seinen gemacht worden, und zwar aus naheliegenden Gründen.

Der Graf war Margarethe durch einen zu jener Zeit nicht seltenen Akt als ein Kind von fünf Jahren verlobt und drei Jahre darauf angetraut worden. Als er noch lange von den Spielen der Kindheit und den Träumen der ersten Jugend umgeben war, stand Margarethe bereits in der Blüte des Frauenalters – sie zählte um acht Lebensjahre mehr als Johann Heinrich von Luxemburg – was bei der Zutat ihres stolzen, herrischen, genusssüchtigen Sinnes Grund genug war, um diese anfangs bedingte Scheinehe nie zu einer wirklichen, beiderseits beliebten werden zu lassen.

Der unglückliche Prinz fand, als er sein Recht zu begehren im Stande war, sich dies mit dessen sicherer Grundbedingung, der Liebe, längst und vielfach vorweggenommen und hierdurch dem beklagenswertesten Schicksale anheimgefallen. Ohne zu lieben und ungeliebt an der Seite einer Frau gebunden, vor deren Besitz er zurückschauderte, und dennoch bemüßigt, ihn zu wahren, weil er den eines Fürstentums bedingte. Seiner edlen, stolzen Sinnesart widerstrebte es, sein ehelich und häuslich Unglück durch das Land und die Welt z rufen, er trug seine Dornenkrone in Treue und Geduld und hielt auf dem Posten aus, auf den ihn der Wille seines königlichen Vaters und die herzlose Politik jener Zeit gestellt.

Margarethe aber benützte sein Schweigen ebenso klug als treulos, und als es eines schönen Tages ruchbar wurde, die Gräfin habe den marklosen Fürstenknaben von sich gejagt mit Spott und Schande, fand dies das Volk gar nicht verwunderlich und sogar löblich, als später verlautete, dass die ›arme, verkaufte‹ Margarethe um den Sohn des Baiernkönigs werbe. Sollte denn des alten Mainhards Stamm so schmählich erlöschen?

Die Summe des Anteils, den das Land an dem unglücklichen Fürsten nahm, bestand darin, dass niemand wider ihn, den schmählich Betrogenen stand, aber auch niemand für ihn, einige adelige Geschlechter ausgenommen, deren Parteinahme jedoch auch weniger aus Neigung für ihn als aus Hass und Feindschaft gegen Margarethe entsprang.

Demnach war die Aufregung, die das Land bei der Kunde der Rückkehr des Grafen ergriff, auch jeder Tiefe entbehrend, und äußerte sich da, wo es keine Interessengefährdung zu befürchten gab, bloß durch die gewöhnlichsten Zeichen, die eine Sache ernster Neugier zu begleiten pflegen.

Wie wird es ausfallen? Ob sie ihn annimmt? Und wenn – was und wie lange wird das Ehepaar miteinander schaffen?

Dies waren ungefähr die Fragen, die von Mund zu Mund gingen; die eine, zunächst liegende, ob der Graf nicht als Rächer seiner tief beleidigten Gatten- und Fürstenehre käme, fiel niemanden aufzuwerfen ein.

Von wesentlich verschiedener Natur waren indes die Fragen, deren beiläufige Beantwortung die Räte der Stadt Bozen beschäftigte, denn vor den Toren der Stadt hielt die Vorhut des Markgrafen.

Seit frühem Morgen saßen sie beisammen in dem Penetrale des Stadthauses, dem Ratszimmer, das, wohl verschlossen und behütet, nur den von Zeit zu Zeit mit Neuigkeiten zusprengenden, berittenen Boten der Kommune und Ritterschaft aufgetan wurde, indes das Volk in hellen, rumorenden Haufen vor dem Kapitol der Stadt herumlungerte, des Augenblicks gewärtig, an dem es, des leidigen Harrens und Konjektierens ledig, sich in den Schwall eines offenen, gemeinen Beschlusses einer Tat würd stürzen dürfen.

Abermals, wie es seit Morgen schon ein Dutzendmal geschehen, wogte das Volk zu Hauf an dem Portale des Stadthauses zusammen, abermals war ein Reiter auf staubbedecktem, schweißtriefendem Rosse herangesprengt, risch aus dem Sattel gesprungen und die Stufen zu dem Saale hinangeeilt; diesmal aber offenbar weder der Bote der Gemeinde noch ein adeliger Dienstmann; das ließ sich ebenso aus dem stummen, scheuen Gemurmel, womit ihn die Menge umflutete, entnehmen, das zu grell von dem zudringlichen, wirren Gefrage abstach, womit jedweder Botenreiter empfangen worden war, als aus der ihm auf dem Fuße folgenden Begleitung schließen, die aus vier reisigen Knechten bestand, deren einer das wehende Banner seines Herrn trug.

Hat auch das Volk zu allen Zeiten und allen Orten seinen Nacken willig gebeugt dem Joche seiner kleinen Tyrannen, so hat es sich doch nie und nirgends dessen begeben, was es seine Rache hierfür nennt – des Witzes, vor dessen Anfällen und Wunden bislang sogar noch keine Hoheit und Macht der Erde zu feien vermocht.

Kaum war der Reiter von den an ihn schlagenden Wogen des Volkes erkannt und sein allbekannter, allgefürchteter Name hundert Zungen zugleich entschlüpft, so ebbten diese auch im Augenblick wieder zurück und flossen erst wieder brausend in einander, als der klirrende, hastige Tritt des Reiters auf den Marmelstufen der Treppenflucht verhallt war.

»Der Herr von Vilanders! – Herr Engelmar!« hieß es zuerst rundum, dann aber: »Der Gräfin Kebsmann!« – »Ritter Adam vom Paradeis!« – und dies ganz ohne Scheu vor Herrn Engelmars Knappen, die trotzig und finster an dem Portale hielten.

»He, Gevatter!« rief eine Stimme aus dem vordersten Haufen, der die Treppe unmittelbar belagert hielt, »hast Du nicht so viel profitiert bei den Schwarzröcken im Kloster Klausen, dass Du uns die Bannerinschrift des edlen Herrn vordeutschen magst?« Dabei deutete eine schwere, schwielige Hand auf die wehende Hausfahne, die der Reisige trug und die einen springenden Hirsch auf rotem Felde zeigte.

»Wohl, Freund Bogner, kann ich das!« antwortete eine raue Stimmer mit lustigem Lachen: »'s ist ja Latein. Cervus – non servus! Steht darauf zu Deutsch: ein Hirsch und kein Knecht!«

Ein johlendes Gelächter erscholl auf diese Interpretation, und die Stimme des Bogners rief dicht vor dem Bannerträger und diesem ins Ohr hinein: »Nun, da mag der eine auf raschen Wechsel bedacht sein, sonst könnte er leichtlich doch das andere werden; wird ihm unschwer ankommen, das Durchbrennen im Gestrüpp des weiten Mooses, denn sein Geweih lässt er wohl hinten für den Grafen…«

Ein wieherndes Halloh belohnte das kecke Witzwort des Bogners über den landkundigen Liebsten der Maultasch.

Anders schien jedoch der Fahnenträger des Herrn von Vilanders im Sinne zu haben, denn kaum hatte der Bogner seine Sentenz zum Besten gegeben, als er einen kurzen, hastigen Zuruf an seine Gefährten erschallen ließ und das Banner an den Leib drückend, sein Ross kräftig im Zügel hob und vorwärts schießen ließ, dorthin, woher des Mannes Stimme ertönte, der seines Herrn Wappenschild mit frevlem Spotte anzufallen sich vermessen.

Aber was das Volk gestern mit dumpfem Schweigen hingenommen haben würde, ließ es sich heute, wo es ahnte, dass der Wind aus einem anderen Loche pfeife, nimmer bieten. Nur seine überraschten, vordersten Rotten wichen vor dem Anpralle zurück, im nächsten Augenblicke wogte es auf und dem Angriffe entgegen, einen Moment lang erscholl der dumpf ächzende und unheimliche Ton aneinander stoßender Menschenhaufen, dann schrie es ringsum wild und stürmisch auf – von den vier Reitern und dem Banner von Vilanders sah man nichts mehr, dafür hörte man vom Portale her, wo der Volksschwarm am dichtesten wogte und am stürmischsten brauste, ein eigentümlich jammerndes Gestöhne und wildes Rufen, die stetigen Begleiter dunkler Taten…

»Um Gott und der heiligen Jungfrau willen, lasst ab, Ihr Männer! – Halt auf, Gevatter! Halt auf!« schrie plötzlich eine ängstlich kreischende Stimme von den Treppen her, und im nächsten Augenblick sprang der Schreiber von Gries herab und in den dichten Trubel hinein, gerade noch zur rechten Zeit, um eine gehobenen Faust mit gezücktem Messer aufzufangen, die eben niederzufahren gewillt war nach dem Herzen des mit seinem Rosse gestürzten Fahnenträgers. »Was ficht Euch an, Meister!« raunte der Küeppacher dem Bogner zu, der auf der Brust des Reisigen kniend, mit trotziger Miene seine zum Stoße gehobene Hand aus der sie festhaltenden des Schreibers los zu ringen versuchte. »Was unterfangt Ihr Euch in eitlem Fürwitze? Kennt Ihr die Farben dieses Mannes nicht, oder meint Ihr, seines Herrn Spiel sei aus, weil der Böhmen Vorhut an dem Wangerzolle draußen hält? Macht Euch auf die Socken, Freund, rat ich euch, und wenn Ihr mehr wissen wollt, so stellt Euch im Mondschein – lasst Euch's gesagt sein!« Damit ließ er den verblüfften Bürger los, der sich nach kurzer Zwiesprache mit seinen Nachbarn und nicht längerem Bedenken wirklich stracks aufmachte und durch die dichten Volkshaufen durchdrängte. Er aber hob den gefällten Reiter mit hilfreichen Armen auf und sprach mit süßlicher Zutulichkeit: »Verzeiht der Ungebühr, Herr, und erhebt Euch! Ihr habt nichts Schlimmes mehr zu befahren von dem verrückten, wilden Volke! Stützt Euch auf mich und lasst uns nach Eurem Rosse sehen, und – so es Euch freundlich beigesprungen in böslicher Bedrängnis, so wisst, dass ich Hanns Küeppacher heiße und ehemals als Probsteischreiber im Stift zu Gries bestallt gewesen bin!«

Der Reiter sah mit einem dankbaren Blicke zu dem Manne des Volkes auf, dem es so plötzlich gelungen, das über ihn herein gebrochene Wetter zu beschwören, und antwortete ihm durch einen innigen Händedruck, und dadurch, dass er rasch aufsprang, seines Herrn Fahne wieder emporhob und sich, sein Ross im Stiche lassend, auf die Treppe des Rathauses flüchtete, wohin sich auch seine Gefährten bei der gefährdenden Wendung der Dinge gerettet hatten. Der Mann hatte aber die Gelegenheit nicht mehr, seinem Herrn, der im Augenblicke darauf die Treppe herabkam, den Retter in der Not vorzustellen, denn dieser hatte sich nach Nennung seines Namens schleunig verloren und stand jetzt eben im Mondschein, in der Mitte der Schenkstube und umgeben von fast lauter ihm nachgefolgten Teilhabern der eben stattgehabten Szene vor dem Rathause, mit Ausnahme des Schänken selbst und einiger Bürger, die es vorgezogen hatten, des Verlaufes der Dinge geruhig hinter dem vollen Schoppen zu harren, und eben daran, die ihn umdrängende Neugier zu befriedigen.

»Wie gesagt, nur unter dem Siegel der heiligsten Verschwiegenheit kann ich Euch mitteilen, was ich erfuhr«, sprach er mit halber Stimme, dafür aber mit doppeltem Breittun, »denn das Ganze ist weniger ein blankes Fakt als eine tiefgehende Staatsaktion, die von allem augenblicklichen Ermessen weit abliegende Folgen haben dürfte – oder vielmehr haben soll!«

»Na, lasst nur los und macht kein so langes Placement«, sagte der Leutgeb kurz und mit einem Blicke, der, sehr im Widerspruche mit den staunenden seiner Umgebung nur klar aussprach, dass er, nachdem der Schreiben bis heute noch keine Frage nach dem Preise des Mondscheins getan, wie er's verheißen nach dem Fange des bewussten Paketes, nicht sehr geneigt sei, viel auf sein Gerede zu geben.

»Du hast's nicht Not, das Maul so voll zu nehmen, Meister Schänk«, entgegnete der Schreiber mit ernstem Tone darauf, »denn wisse, während wir hier reden, empfängt der Stadtrat den Böhmen draußen in Demut an dem Zolle; ich mein', unter seinem Gefolge dürfte ein Pärchen sein, bei dem Du's stark auf der Kreide hast…«

»Oho, und Ihr nicht, wie?« rief der Wirt rot werdend.

Der Schreiber fand nicht für gut oder nötig, diese spitze Frage zu beantworten und rapportierte, an sein Publikum gewandt, folgendermaßen: »Dass die Böhmen da sind, wisst Ihr alle, nicht aber, dass der Aufenthalt derselben, ich meine die ganze kleine Armada, ein bleibender und den Grafen für künftige, ähnliche Fälle, wie vorgekommen, schützender sein soll.«

»Hoho! – Das wäre! – Das ist gegen das Landesstatut!« erscholl es rundum in wildem Eifer.

»Sei es gegen was immer«, fuhr der Schreiber fort, »'s ist so: der Markgraf von Mähren, des Grafen Bruder, hat sich vom Könige mit dem Amt eines Tutors oder Schirmherrn Tirols betrauen und mit den ausgedehntesten Vollmachten ausrüsten lassen, um dem ›Unwesen‹, wie sie draußen die gegründete Unzufriedenheit der edlen Frau Gräfin mit ihrem grasgrünen Ehegemahl benamsen, ein für alle Mal ein Ende zu machen. – Nun, Ihr könnt Euch denken, das es, wenn jemandem hier zu Lande, den wohlweisen Vätern unserer Stadt böslich zu Gemüte gehen musste: erstlich, der Landesherrin Recht in Haus und Reich schmählich angegriffen zu sehen, nicht zu gedenken der vielfältigen Molesten und Tormente, die es absetzen wird, eh' eine Ordnung in das neue Regiment kommt; andern- und meistenteils aber, hier den richtigen Part zu ergreifen ohne Undank einer- und ohne Auflehnung andererseits. Dem hat nun die edle Frau – ich darf sagen, zumeist durch mein Zutun und in Folge meiner Mitteilungen…«, er hielt einen Augenblick inne, den er dazu benützte, dem Leutgeb einen verbindlich süßen Blick zuzusenden, »auf die determinierteste Art abgeholfen«, fuhr er dann fort, »indem sie durch Herrn Engelmar von Vilanders dem Rate der Stadt ihre hohe Willensmeinung in dieser Sache gnädigst zu notifizieren geruhte. Und diese ist – doch wie gesagt, nur unter dem Siegel der heiligsten Verschwiegenheit kann ich…«

Er hielt abermals inne und streckte seine beiden Hände mit salbungsvoller Würde von sich, wie um die eidlichen Handschläge des Schänkpublikums in Empfang zu nehmen.

Doch niemand regte sich zu einer derartigen Gesinnungsmanifestation, nur der Schänk sagte hämisch: »Redet es aus, Küeppacher! Wir wissen's ja, dass es Euch die Seel' abdrückt, wenn Ihr ein Titelchen von dem verschweigen müsstet, was Ihr hinter der Ratsaaltüre erschnappt!«

»Hinter der Türe!« sprach der Schreiber mit zornrotem Gesichte nach und offenbar in der Absicht, diese schnöde Verunglimpfung seiner Mitwisserschaft nach Gebühr zurechtzuweisen, trat er einen Schritt vor. Aber in dem Augenblicke erklangen auf der Gasse unten die schweren, gleichmäßigen Tritte und das helle Klirren eines herankommenden, gewaffneten Zuges… »Die Böhmen!« hauchte er, plötzlich erbleichend, und sein Blick, der eben noch herausfordernd nach dem breiten Angesichte des bissigen Schänken gefunkelt, klammerte sich jetzt mit flehendem Ausdruck an dessen ebenfalls auch angstvoll erblassende Züge an. In beider Herzen weckte der Klang der wuchtigen Tritte draußen denselben beunruhigenden Gedanken an jenen alten Böhmen, der wieder zu kommen drohte, um Rache zu nehmen für die Ungebühr, so ihm widerfahren, wie für die Treulosigkeit, mit der man gegen seinen jungen Kameraden vorgegangen.

Die Gäste der Schänke flogen an die Fenster und ihr bestätigender Ausruf ›die Böhmen!‹ schnitt für den Augenblick jede weitere Erörterung des Schreibers ab, deren er übrigens auch nicht mächtig gewesen wäre, denn seinem Gehör, geschärft durch Angst und Schuldbewusstsein, wollte es bedünken, als ob harte, schwere Tritte die Treppe heraufkämen: »Horch!« flüsterte er mit bebenden Lippen, »er kommt – Schänk, der Böhme kommt!«

Der Leutgeb versuchte sein tiefes Erschrecken unter einem erzwungenen Lächeln zu verbergen und horchte rasch zur Türe hin: »Pah, Unsinn!« sagte er leicht und sichtlich erfreut, denn draußen war alles still, »lasst die Böhmen marschieren, zum Teufel meinetwegen, und erzählt weiter! Was ist's also, was gedenkt die Gräfin zu tun?«

Der Schreiber ermutigte sich etwas an dem mannhaften Wesen des Wirtes und gab zur Auskunft: »Wo blieb ich denn – ja so: also sie ließ dem Rat der Stadt zu wissen tun, dass sie, um alles Übel und Gestreit zu meiden, sich vorderhand – merkt wohl! – vorderhand fügen wolle, allem und jedem, was die Gewalt über sie zu verhängen für gut befinden dürfte, und darum gemeiner Stadt rate, dem Unvermeidlichen nicht Widerstand entgegen zu setzen, sondern – um Gott, Schänk! Da ist er!« kreischte er plötzlich auf und zog sich mit schlotternden Knien und erdfahlem Angesicht gegen die Hinterwand der Stube zurück, denn unter seinen letzten Worten hatte sich die Türe leise aufgetan und zuerst einen stählernen Helmdeckel, dann ein bärtiges, gar ernst und streng aussehendes Gesicht und endlich eine wuchtige Kriegergestalt eingelassen – die des Böhmen, den die Fronboten über'm Husausversäumen hier neulichst zusammengepackt.

War es, dass in dem Augenblicke, wo der Kriegsmann eintrat, der edlen Gräfin Mandat, soeben durch des Schreibers Mund publiziert und geduldige Gefügigkeit betreffend, noch frisch zu Sinne der Gäste des Mondscheins war, oder dass der Paukenwirbel, der, des Grafen Ankunft verkündend, eben helllaut von der Gasse herauf scholl, eben solche friedliche Mission erfüllte, oder aber war es das drohenden, unnahbare Äußere des Böhmen, der langsam in die Tiefe der Stube schritt, was die soeben noch überlauten Gäste derselben plötzlich verstummen machte: es war ein Fakt, dass sich weder bei dessen Eintritt eine Hand oder Zunge rührte, noch bei seinem, gelinde gesagt, befremdlichen und ungebührlichen Gebaren daselbst, das sich folgenderweise äußerte: nachdem er den bunten Inhalt der Schänke scharf gemustert, trat er an den totblassen Wirt, schlug ihn mit einem kräftigen, schallenden Schlage nieder, dann an den zähneklappernden Schreiber, und tat ihm desgleichen, worauf er ruhig noch einmal die gesamte Sippschaft des Mondscheins genau durch musterte, als ob er sich vergewissern wollte, ob nichts weiter mehr da sei für sein barbarisches Gelüste. Und so musste es auch sein, denn nach kurzem Überblicke brummte er verdrießlich: »Der dritte fehlt!« und drehte sich der Türe zu.

Das war denn doch zu viel und zu arg, und hätte das Etsch- und Eisaktal Schlehbeeren statt roter, feuriger Trauben getragen, so hätte ihrer Anwohner Blut hoch aufwallen müssen zu trutziger Wehr und Vergeltung für solch' Gebot: kaum war die Bestürzung des Augenblickes vorüber, so erhoben sich auch schon zehn, zwanzig Fäuste drohend gegen den Kriegsmann und ebenso viel Leiber drängten sich der Türe zu, ihm den Pass verrennend, den der gemächlich und keines Hindernisses gewärtig, eben zum Abzug benützen wollte.

Der Böhme kehrte sich, als er sich mit so wildem Gejohle angegriffen sah, rasch, aber ohne merkliches Erschrecken um und maß zuerst mit kühnem Blicke die Übermacht der Tiroler, ehe er Hand ans Schwert legte und sprach. Dann aber riss er dies klirrend aus dem Gehänge, und indem er es in funkelndem Kreise um sich schwang, rief er mit hallender Stimme: »Nur heran, Ihr Beutelschneider von Bolzano! Heran, so Ihr Courage habt, bei hellem Tage auch einmal Euer schmähliches Handwerk zu treiben! Heran, heut bläst ein anderer Wind, und demnach will ich anitzt ein armer, fahrender Kriegsmann das Recht herausnehmen, euren strengen Satzungen zuwider Waffen zu tragen und zu gebrauchen im Weichbilde hochberühmter Stadt Bolzano, und zwar zu gebrauchen gegen die preislichen Bürger derselben bis zu Husaus – aber ohne Läuten!« Und mit einem lustigen: »Halloh, heran denn!« rückte der Soldat gegen die verblüfften außer ihrer Gurtmesser waffenlosen Bürger vor.

Mit dumpfem Gemurre und die derben Fäuste krampfhaft um die Hornhefte ihrer unausgiebigen Wehren gepresst, wichen sie langsam vor dem drohend funkelnden Stahle und seinem höhnenden Träger zurück – die Türe war frei und des Böhmen Mütchen an den Flachmützen der Stadt, wie es schien, gekühlt, denn er senkte plötzlich die Schwertspitze zu Boden und sprach: »Habt keine Furcht, Ihr Herren! Ich zücke meine Waffe nie zu schlechter Kurzweil; der Pass ist frei, und ich gehe, sollte aber einer unter Euch, nachdem er die beiden Strauchdiebe da am Boden befragt, warum ich also an ihnen getan, dies für unrecht finden und nicht nach Gebühr, so mag er kommen und ich steh' ihm willig Rede darum. Zu finden werd' ich leichtlich sein; denn mein Dienst ist an des Herrn Grafen Seite und mein Name: Adauct von Zditz! – So! Gott befohlen!« Damit schritt er lächelnd von dannen, nicht ohne einen Blick der befriedigtsten Lust nach den Leibern der zwei gefällten Männer geworfen zu haben, die noch immer regungslos am Boden lagen. –

Er war kaum in die Gasse getreten, als eine raue Stimme, die seinen Namen rief, an sein Ohr schlug, und ein Knecht, durch den weiß und rot gewürfelten Adler auf seinem Schilde als zum Heerbanne des mährischen Markgrafen gehörend bezeichnet, atemlos auf ihn zu rannte. »Hoho, Herr Adauct!« rief er überlaut, »was renn' ich mich schon müde nach Euch? Wo habt Ihr denn gesteckt?«

»Privatsache, mein Bursch, hatt' ne kleine Schuld zu bezahlen! – Doch was soll's und was willst du mir?« sprach der Böhme haltend.

»Der Graf schickt nach Euch!« gab der Bote zur Auskunft, »es ist abgekommen von der Rast in Bozen für heute, und Ihr habt die Reiter unverweilt gen Maultasch zu führen…«

»Ist der Herr Markgraf noch in Bozen?« fragte der Böhme, dem Boten in die Rede fallend.

»Ich sah ihn nicht daselbst!« gab der zur Antwort.

Eine leichte Wolke der Bekümmernis flog über die breite Stirne des alten Kriegers, doch sprach er nichts mehr und schritt eilig dem Boten voran dem Marktplatze zu –


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