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9

Friede war auch draußen geworden nach dem nächtlichen Sturme; keine finstere Wolke war mehr sichtbar, und ein Sternenzelt spannte sich über das erfrischte Alpenreich, so hell und golden, als es nach dem schweren Gewitter durch die geklärten Lüfte nur immer glänzen konnte. Doch dort im Osten begann schon Stern um Stern zu erbleichen vor dem hellen Streifen, der sich am Saume des Horizontes hinzog und immer breiter und rosiger wurde, während die Kuppen und Hörner der höhern Berge sich immer schärfer von dem morgenlichten Himmel trennten, bis eine reiche Strahlenbrechung das Herannahen der herrlich aufsteigenden Sonne ankündigte.

Durch die kleinen Fenster der Sennhütte drang bereits der erste Schimmer des jungen Tages herein, und die Bewohner des Stalles daneben gaben auch schon laut ihr Verlangen nach der grünen Weide kund. Mit einem Gefühl, gemischt aus erdrückender Angst und unwillkürlicher innerer Freude, trat Rosel, als die dringendsten Geschäfte besorgt waren, aus der Thüre und schaute bange gegen die Achmühle hinab. Hastig zupfte sie an ihrem Mieder, als wollte sie sich ihres Fundes versichern oder dem beklommenen Herzen Luft machen. Denn der Gedanke an den von der Grenzwache verfolgten, auf solche Abwege gerathenen Vater und an den Kummer ihrer armen Mutter drängte in dem kindlich guten Gemüthe jede freundliche Hoffnung, die sich an die glückliche Entdeckung knüpfte, schnell wieder zurück.

In allen Tonarten begrüßte die freigelassene Heerde die duftende Morgenweide, und von leichten Winden getragen, tönte von den Nachbar-Almen das erste melodische Schellengeläute herüber, als auch Martl, nachdem er bei den vielen Arbeiten, die der frühe Morgen schon der Sennerin bringt, hülfreiche Hand geleistet, aus dem offenen Stalle in's Freie kam.

»Schau nur, Rosel, schau da hinunter! Wer geht denn dort bei den Kranawittstauden?« Wacholderstauden. rief er, als er kaum einen Blick auf die entzückende Morgenlandschaft vor sich geworfen, dem am Brunnen beschäftigten Mädchen zu. »Wer kommt denn heut schon so früh zu dir auf die Alm? Schau nur, die springt wie ein Reh, und dem fliegenden Haar nach mein' ich grad', es müßt' unser' schwarze Nandl sein. Aber, Rosel, so lang der da drinn' schlaft« – und der Bursche zeigte mit dem Daumen über die Schulter – »so lang geh' ich nicht fort. Da könnt' ich dir nun derweil eine frische Schneid' machen. Hast auch einen guten Dengelzeug?«

Auf Rosels Nicken Sense und Sichel vom Haken an der Stallthüre nehmend und deren Schneide mit dem Finger prüfend, ging er einem Holzstock zu, an dem ein kleiner Ambos befestigt war, und schickte sich an, die Sense zu dengeln (schärfen).

»Grüß Gott beinand'!« rief jetzt eine jugendliche Stimme schon von weitem, und mit ein paar lustigen Sprüngen stand die kleine Schafdirne helllachend vor dem emsig hämmernden Martl. »Grüß Gott, Martl, hab' dich schon kennt von den Boivn Felsenkuppen. aus da drunten … Juchhe, weil wir dich nur wieder haben!« schrie sie und schleuderte den alten Strohhut, den sie in der Hand trug, hoch in die Luft. »Wie bin ich so froh, daß du da bist! Kann euch nicht genug verzählen, wie's auf der Mühl' drunt' zugeht. Wie heut in aller Früh der Donysl gesagt hat, daß du nicht heim kommen bist die ganze Nacht, und seitdem die Müllerin das aufgerichte Bett noch gesehen hat, rennt sie mit brennendem Kopf im Haus herum und schreit in einem fort: O mein Gott, o mein Gott, am End hat sich der Bub was zu Leid gethan, weil ich ihn gestern so angefahren hab'! Nachher schreit sie wieder den ganzen Hof aus: Martl, Martl, laß dich nur grad sehen!«

Dazu machte die muthwillige kleine Dirne vor den jungen Leuten ganz täuschend die Geberden eines verzweifelten Weibes nach. Auch die Stimme ihrer Dienstfrau geschickt nachahmend, fuhr sie geläufig fort: »Er ist ganz verhext, der Bub, und das hat ihm die Rosel angethan, das lass' ich mir nicht nehmen. Ich glaub', der Bub geht wegen dem Weibsbild noch in's Wasser.«

Lachend schauten die beiden dem drolligen Mädchen zu, das jetzt, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, den Kopf trübselig auf die Brust geneigt, mit großen Schritten stumm hin und her schritt. »Siehst, Rosel, so geht der Müller schon seit einer Stund' in der Stuben auf und ab. Ich hab's aber gleich gehabt, hab' mir gedacht: Schaust geschwind nach auf der Wirthsalm, da steckt er gewiß droben. Wenn er aber da nicht ist, nachher ist's freilich gefehlt. Ich hätt' bald einen Juchzer gethan, wie ich dich von den Boivn aus gesehen hab'! Aber jetzt behüt Gott, ich muß gleich wieder fort.«

Alles Drängen des jungen Paares, sie länger aufzuhalten, war vergebens, und als hätte sie der Rosel rasch noch ein Geheimniß anzuvertrauen, wisperte der Schelm der Sennerin in's Ohr: »Weißt, Rosel, ich hab' heut' die kleinen Fakeln Ferkel. mit hinausgenommen; da kann ich nicht lang wegbleiben.« Wie ein Pfeil schoß sie dann davon, kehrte aber eben so geschwind wieder zurück.

»Der Rosel wär's doch nicht recht,« sagte sie schmunzelnd, »wenn ich nicht ein bissel einkehren thät in ihrer Hütte,« und ohne eine Einladung abzuwarten, schlüpfte sie zur Thüre hinein. Verlegen lächelnd ging ihr die Sennerin nach und schnitt ihr von dem wohlschmeckenden Brodlaib eine tüchtige Schnitte ab. Während sie aber nun in dem Rührfasse nach einem Stück Butter fischte, musterte das Schafdiendl mit mißtrauischem Ausdruck den auf der Heuschütte Schlafenden.

»Ist ja gar der Tirolerwastl,« sagte sie mit einem fragenden Blicke. »Wo fehlt's ihm denn?«

»No, schlecht ist ihm halt worden,« war Rosels ganze Auskunft.

»Muß ihm schon recht schlecht worden sein,« entgegnete die Kleine, fast beleidigt, daß man ihr nicht mehr anvertrauen wollte. Denn daß auf der Alm nicht alles richtig sei, begriff sie im Augenblick, und schon das Ausbleiben des Leitenmüllerssohnes war ja auffällig genug. Nochmals Abschied nehmend, trabte sie lustig um die Sennhütte und verschwand mit ihrem riesigen Butterbrod bald hinter einer Böschung, um schnell den Wald zu erreichen.

Gepeinigt von Sorge und Angst um das Verschwinden seines ältesten Sohnes, ging der Leitenmüller unruhig im Hofe auf und ab und vermied sorgfältig, seinem bald scheltenden, bald laut wehklagenden Weibe zu begegnen. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Er verließ die Mühle und folgte dem Knechte, der mit nach einer Seite überhängenden Beinen auf dem Gaule saß und dem Mitterberg zu mit einer Schleife in den Forst ritt, um Schnittbäume herauszuschleifen. Sinnend schritt er einige Zeit hinter dem Gespanne her, dann rief er dem Knechte etwas zu, bog rechts ab und betrat den Fußsteig, der zur Flintsbacheralm führte.

Die kleine Schafdirne, die denselben Weg herunterkam, hätte längst den Wald erschallen lassen von lustigem Jodeln; aber das saftige Butterbrod füllte noch immer die braunen Backen. Von fern hörte sie schon die ihr entgegenkommenden schweren Männertritte, und als sie sich nun bückte, um unter den Zweigen hindurch freiere Aussicht zu haben, erkannte sie an dem wiegenden Gange sogleich den alten Leitenmüller. Flink sprang sie vom Wege ab, um ihrem Dienstherrn, der sie auf der Schafweide glaubte, nicht in die Hände zu laufen, und suchte in weitem Bogen zu ihrer kleinen Heerde zu gelangen.

Vom Saume des Gehölzes aus, das sie eben verließ, überflog sie mit den lebhaften schwarzen Augen ihren ganzen Weidegrund, die Mooswiese, und von weitem schon zählte sie ängstlich die Häupter ihrer Lieben. Die Musterung fiel zu ihrer Zufriedenheit aus, die Heerde war auch ohne Hirtin vollzählig geblieben. Doch dort am Rande der Wiese erhebt sich neben dem Gesträuch am Bache plötzlich ein menschlicher Kopf aus der Erde. Das Schafdiendl stutzt: aber bald blitzt ein vergnügtes Lächeln über das einen Augenblick verblüffte Gesicht – sie hatte den ungefährlichen Inhaber des grauhaarigen Hauptes erkannt.

In dem Loche eines ausgegrabenen Wurzelstockes saß der Achmüller, der das mit bloßen Füßen auf dem weichen Moose herannahende Mädchen nicht gewahrte. Schon seit dem ersten Morgengrauen saß er hier und beobachtete die Achmühle scharf nach allen Seiten. Der alte Fuchs hielt es nicht geheuer in seinem Bau; er wußte nicht, ob er in der Nacht nicht etwa erkannt worden, ob nicht gar schon die Gerichtsleute auf dem Wege nach ihm seien, – und sie sollten ihn nicht im Neste finden, müßte er auch bis in die Nacht im Loche sitzen.

Leise schlich die schwarze Nandl ganz nahe zu ihm heran und that plötzlich einen so durchdringend lauten Juhschrei, daß der Achmüller vor Schreck in die Höhe fuhr.

»Jetzt hab' ich Euch am End' gar erschreckt, Achmüller?« rief sie ihm mit schelmischem Bedauern zu, konnte aber ihr helles Lachen nicht zurückhalten.

Dem aufgeweckten Kinde war der Umgang des Achmüllers mit dem anrüchigen Wastl nicht entgangen. Die seltsame Lage, in der sie heute einen nach dem andern traf, bestärkte sie in dem Verdachte, daß hinter all dem nicht viel Gutes stecke. Nun machte es ihr Spaß, den alten Proceßhansel ein wenig zu necken.

»Du Hex', du schwarze,« fuhr dieser sie entrüstet an, »warum bist denn nicht dort bei deinem Vieh und kommst aus dem Holz da herausgeschlichen?«

»Von der Rosel und der Wirthsalm komm ich herunter,« erwiderte das Mädchen, immer noch lachend.

»So! Ja gelt, du bist das saubere Diendl, das alleweil Botschaft hin und her tragt von der Leitenmühl' auf die Alm. Wart, du nichtsnutzige Saudirn', du kommst mir jetzt grad recht!« Und er griff mit unzweideutiger Absicht nach dem Haselnußstecken, der neben ihm im Grase lag. Doch schon im nächsten Moment überlegte er, ob er nicht lieber die Kleine ausforschen sollte, wie es auf der Wirthsalm stehe, und ob man droben nichts gehört habe von den Vorgängen dieser Nacht. In friedlicherm Tone stellte er nun die Frage: »Sag, Nandl, hast nichts gehört auf der Alm über das Gewitter heut Nacht? Hat's keinen Schaden angericht, hat's nichts heruntergeschwemmt?«

»O mein Gott, nein, Müller, heruntergeschwemmt hat's nichts; aber einen Tiroler, glaub ich, hat's hinaufgeschwemmt. Er liegt neben dem Herd, und die Rosel hat gesagt, es ist ihm nicht extra gut.« Bei diesen geheimnißvoll gesprochenen Worten neigte sie das Köpfchen zur Seite und, das rechte Auge zuzwickend, blinzelte sie den Mann im Loche pfiffig lächelnd an.

Aus den schelmischen Geberden der Kleinen argwöhnte der beunruhigte Alte, daß sie mehr wisse, als sie sagen wollte, und hastig aus der Grube steigend, ging er mit erhobener Faust wüthend auf sie zu: »Wart, du schwarzer Roßkäfer, dir dreh' ich doch noch den Kragen um, daß du die g'schnappige Zung' nimmer brauchen kannst.«

»Aber z'erst müßt 's mich erwischen,« spottete Nandl, und fort war sie schon in vollem Laufe über die weite Wiese hinweg ihrer Heerde zu. Einen giftigen Blick dem kernfrischen, muthwilligen kleinen Geschöpfe nachsendend, das ihm, von ihren Schafen und Schweinen umwimmelt, auch jetzt noch lachend die weißen Zähne wies, wandte sich nun der Müller dem Walde zu. Mit verstörtem Gesicht, zerzaustem Haar und ohne Hut, gestützt auf den Haselnußstock, den er sich frisch geschnitten hatte, schlug er, jeden betretenen Weg vorsichtig vermeidend, in möglichster Eile die Richtung nach der Flintsbacheralm ein.

»Hätt' ich nur heut' Nacht den Paschergang nicht mitgemacht,« murmelte er und schlug sich vor den Kopf, »nachher wär' alles noch recht. Ist aber grad, als hätt' der Teufel einen in seinen Krallen … ich kann jetzt nicht von ihm lassen, sonst ist alles hin. Hab' ich aber einmal mein altes, gutes Recht, nachher soll mir der Lump in's Haus kommen … mit dem Hund hetz' ich ihn hinaus!« Mehrmals blieb er auf seinem Wege stehen und horchte gespannt nach allen Seiten, um nicht wieder überrascht zu werden; dann setzte er seinen Marsch beruhigter fort.

»Pfiffig ist der Kerl, das muß man sagen … Wie er nur zu der Rosel hinauf gekommen ist! Die könnt' uns alle zwei sauber verstecken … einen Wilderer sucht man wohl auf der Alm auch, aber einen Schwärzer nie.« Nach seiner Gewohnheit so vor sich hin brummend, war er zu derselben Zeit am Fuße des Mitterbergs angelangt, als der Leitenmüller die letzten zwei Prügelstufen vor der Almhütte überstiegen hatte und hinter dem großen Streuhaufen hervortrat.

Martl hatte eben der Sennerin eine stützige Kuh von einem steilen Hang wegtreiben helfen, und Rosel schleuderte den Prügel, den sie dazu gebraucht, sorglos gegen den Streuhaufen, als sie mit einem Ausruf der Bestürzung zurückprallte: denn beinahe hätte der Wurf den alten Leitenmüller getroffen. Der junge Bursche hatte noch nicht Zeit gehabt, sich nach der Ursache ihres Schreckens umzuschauen, als er schon die zornige Stimme seines Vaters vernahm.

»Himmel Herrgott, jetzt wird mir die Geschicht' bald zu dumm! Ist das auch einmal in einem christlichen Haus der Brauch gewesen, daß ein Bub über Nacht ausbleibt? Ist das gewiß die neue Mod', daß man seinen Buben auf der Alm muß suchen, wenn man ihn daheim zu der Arbeit braucht? Ja, ja, höchste Zeit ist's, daß die Bauern die garstigsten Weibsbilder auf die Alm heraufthun, sonst find't man daheim keinen Buben nimmer. Ja, klotz mich nur an, du Milchgesicht,« schrie er seinen Sohn an, »bist doch zu keinem Käser nicht zu brauchen! … Und von dir,« damit wandte er sich geringschätzig an das erstarrte Mädchen, »von dir hätt' ich auch was besser's gehofft. Hab' einmal ein groß's Stück auf dich gehalten; weißt aber auch schon, wie man einen dummen Buben im Netz fangt. Ja, ja, trau, schau, wem … wie die Alten, so die Jungen.«

Heiß kochte es schon seit den ersten Worten seines Vaters in der Brust des Burschen; er mußte sich mit Gewalt zurückhalten, um sich nicht zu einer ungebührlichen Zurechtweisung hinreißen zu lassen. Bei der Anschuldigung seines unter den eben so unverdienten als verletzenden Vorwürfen schneebleich gewordenen Mädchens aber richtete er sich hoch auf und trat dem alten Manne einen Schritt entgegen. Vor innerm Aufruhr aber vermochte er mit bebenden Lippen kaum zu stottern: »Vater, über mich könnt's losziehen, so viel als ihr mögt; aber laßt's die da aus dem Spiel, – die ist so unschuldig wie's Christkind'l selber.«

Das höhnische Lachen des Vaters schnitt dem Burschen tief in das empörte Herz. Mit flammendem Gesichte und zornfunkelnden Augen trat er dem Alten noch näher; doch vergebens rang er nach Worten. Schwer kam der Athem aus der wogenden Brust, der Sturm darin drohte ihn zu ersticken.

Die junge Sennerin, obwohl tief gekränkt, fühlte bei diesem Anblick, daß nur eine ruhige Darstellung des Vorgegangenen zwischen den erhitzten Männern die Ausgleichung und den Frieden bringen könne, woran ihr gerade jetzt so viel gelegen war.

»Setzt Euch nieder, Müller, und hört's zuvor an, warum der Martl heroben blieben ist,« sagte das Mädchen. Als der aufgebrachte alte Mann in das schöne blasse Gesicht und in die von zurückgehaltenen Thränen schimmernden Augen sah, fühlte er sich besänftigt und ließ sich von ihr auf die Bank niederziehen.

Rosel lehnte daneben an dem Holzstoß und erzählte mit verschleierter Stimme alles, was in der vergangenen Nacht vorgefallen war. Kein Auge verwandte der Alte von der jungen Sennerin, aus deren sanften Zügen eine schmerzliche Bewegung sprach; und kaum konnte er seinen Mißmuth verhehlen, daß sie ihn im Lauf der Rede so gar nicht anblickte und immer nur unbeweglich vor sich hin sah. Jetzt endlich schaute sie ihn mit den hellen, unschuldigen Augen zutraulich an, und leicht erröthend fuhr sie in ihrer Mittheilung fort: »Mich hat's heimlich so viel gefreut, daß der Martl nicht fort gangen ist von mir, wie wir den Tiroler einmal kennt haben, und mich nicht allein gelassen hat bei dem wilden Menschen. Er ist nicht einmal fort, um einen Geistlichen zu holen, und da hab' ich halt aus dem Ahnl sein Haussegen vorgebetet für'n Wastl seine arme Seel',« fügte sie treuherzig bei. »Und was glaubt's, Müller, was wir gefunden haben im Ahnl sein Haussegen?«

»Dürft's aber nicht schelten, Vater,« warf der Bursche, der sich unterdessen beruhigt hatte, lächelnd ein. Dem Scharfblick des Liebenden war es nicht entgangen, daß es mehr die Erzählerin, als die Erzählung war, was den Vater so gefesselt hielt und ihn so eifrig lauschen ließ. Auch seiner Rosel war die freundliche Wendung in dem Sinne des Alten nicht entgangen, und als sich nach ihren letzten Worten seine Stirne vollends erhellte und das alte Wohlwollen sich auf dem breiten Gesichte wieder blicken ließ, rief Martl auf einen heimlichen Wink von ihr: »Dem Achmüller sein Wasserbrief von 1777 haben wir gefunden!«

In jähem Schrecken fuhr der Leitenmüller auf. »Was ist jetzt das? Was wollt ihr gefunden haben? Einen Wasserbrief … da wär' ja nachher der Moosrainer gar im Recht!«

Auf das fröhliche Nicken seines Sohnes rief er, die Farbe wechselnd, diesem mit schmerzlichem Vorwurf zu: »Und da kannst noch lachen dazu und eine Freud' haben, als wenn du einen Schatz gefunden hätt'st? Kannst lachen, wenn der Vater drüber halb zu Grund geht … Wo ist denn nachher der Brief?« fügte er wie unter dem Drucke einer innern Erschütterung gepreßt hinzu. »Sehen wird man ihn doch dürfen.«

»Ja wohl, Müller, und das recht gern,« erwiderte harmlos das Mädchen und zog aus dem Mieder das alte Schriftstück hervor, um es ihm unbedenklich zu überreichen. Doch Martl kam dem rasch zugreifenden Alten zuvor; er langte noch flinker danach und hielt das Pergament, am oberen Rande fest zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt, seinem Vater aufgeschlagen zum Lesen hin.

»Richtig, richtig,« murmelte der alte Brenzlmayr bestürzt, als er sich mit vieler Mühe durch die verschnörkelten Schriftzüge gearbeitet, »fehlt auch kein Tüpferl. Nach dem Brief gehört das Wasser dem Achmüller allein. Die drei- oder vierundzwanzig Jahr' Pacht wären das Wenigste: wird viel abgehen für den Unterhalt. Will aber der Achmüller boshaft sein, kann er mir das Wasser sperren, und ich sitz' da im Elend.« Und, als hätte plötzlich ein rettender Gedanke ihn durchzuckt, starrte er lange stumm auf die anmuthige Tochter seines Gegners, die mit herzlich betrübter Miene in das verstörte Gesicht des alten Mannes schaute.

»Sag mir aufrichtig, Rosel,« sagte er dann, hörbar ergriffen, während er ihr bedeutungsvoll in die Augen blickte, »hätt'st du mir den Brief grad so frei in die Hand geben, Diendl? Hätt'st nicht gefürchtet, ich könnt' ihn einschieben oder gar zerreißen?«

»Nein, Müller, beileib nicht; da hab' ich nicht d'ran denkt. Ihr schaut's auch gar nicht darnach aus, daß Ihr so was thun könntet,« meinte sie lächelnd.

»Der da hätt's schon glaubt,« sagte der Leitenmüller und zeigte mit der einen Hand auf seinen Sohn, indeß er die andere dem Mädchen hinhielt, das lebhaft einschlug.

»Rosel, ich hab' dir vorhin recht weh gethan,« fuhr er langsam fort. »Nimm mir's nicht für ungut: ich bin grad recht heiß gewesen, weil sich die Mutter so viel Angst gemacht hat wegen dem verliebten Narren da. Jetzt seh ich aber, daß du noch dasselbige brave, rechtschaffene Madel bist, für das ich dich alleweil gehalten hab'. Trag mir's nicht nach, Rosel!«

Das beglückte Mädchen wollte etwas erwidern, doch der Alte wehrte freundlich ab und verfiel rasch in tiefes, ernstes Nachsinnen. Den Zeichen nach, die er mit der einen Hand in die andere schrieb, mochte er im Geiste wohl die Summen überschlagen, welche er im besten Falle an seinen Widersacher heimzuzahlen hatte, und das Ergebniß mußte kein erfreuliches sein. Noch empfindlicher traf ihn der Stoß, den sein Ansehen in der Gemeinde und sein bäuerlicher Stolz erlitt, wenn er den Proceß verlor. Wie gebeugt von einem herben Geschicke, wiegte der Alte sorgenvoll das graue Haupt.

Da Martl seinen Vater so völlig zu Boden gedrückt, so hart getroffen von dem unvermutheten Schlage vor sich sitzen sah, hielt er gerade diese düstere Stimmung für die geeignetste, um sein Herzensziel zu erreichen. Dem Mädchen etwas in's Ohr lispelnd, zog er sie an der Hand einen Schritt näher. Nur zögernd folgte sie, und da stand sie nun mit halb abgewandtem, purpurn aufglühendem Gesichte, das Auge jungfräulich verschämt zu Boden geschlagen. Ihr ungestüm klopfendes Herz zitterte; mit freudig erregtem Antlitz und in lieblicher Verwirrung zog sie unbewußt an den Fransen ihres Busentuches.

Mit einem kräftigen Händedruck suchte der Bursche ihr Muth zuzusprechen, und mit einem tiefgeholten Athemzug glaubte auch er die Beklommenheit los zu werden, die mit einem Male sein Herz beschlich. Der Augenblick, der ihm die Gewährung der Bitte um das Liebste bringen sollte, was er vom Leben begehrte, schien ihm so ernst und feierlich, daß er unwillkürlich langsam den Hut abnahm, als er mit seltsam weicher Stimme sagte: »Vater!«

Mit kummervollem Blick erhob der in trübe Gedanken verlorene Alte den Kopf. Da er aber die Gruppe vor sich erblickte und fühlte, wie es dem Sohne, der ein paar Mal zu sprechen versuchte, dann aber wieder an seinem Halstuch nestelte, als ob dort der Knoten sitze, den er nicht lösen könne, wohl um's Herz sein mochte, flog ein Zug innerlichen Ergötzens über das gute Gesicht. Um Martl aus der peinlichen Lage zu befreien, rief er dem jungen Burschen zu: »Brauchst gar nicht zu reden, Martl! Wenn man euch zwei anschaut, wie ihr dasteht, kann man leicht errathen, um was ihr bittet … Was sagst aber du dazu?« richtete er das Wort an das rosig übergossene Mädchen. »Ich muß dir nur sagen, Rosel, wirst jetzt bald eine wohlhabende Müllerstochter sein … magst da noch einen Buben vom Leitenmüller, dem man bald das halbe Anwesen nehmen wird, dem man über Nacht das Wasser sperren kann?«

»Vater, das darf nicht geschehen, gar niemals!« rief Rosel entschieden, wandte sich aber sogleich verlegen ab. Sie wußte nicht, wie es gekommen, daß sie den alten Mann Vater genannt; doch weckte das trauliche, ihr so recht aus dem Herzen geschlüpfte Wort freudigen Widerhall in dem gedrückten Gemüthe des Leitenmüllers. Er sträubte sich nicht länger gegen die innere Stimme, die ihn zur Entscheidung drängte. Mit muthigem Blick und entschlossener Haltung stand er auf, und als wollte er mit Gewalt eine drückende Last von der Seele schütteln, mit so hastiger Bewegung ergriff er die Hände der beiden und sagte, sie in einander legend, mit ernster Rührung: »Kinder, von Alters her ist schon Haß und Unfrieden zwischen den zwei Nachbarhöfen gewesen. Jetzt ist mir's grad, als will's unser Herrgott selber, daß die Kinder sollten den Frieden wieder in's Haus bringen, den die Eltern nie gehabt haben. Sorgt's für einen solchen Vergleich, und der alte Brenzlmayr sagt gern Ja.«

Mit Thränen der seligsten Freude schmiegte sich das Mädchen an den Alten an, der ihr väterlich die Hand auf das schöne Haupt legte und sanft über das seidenweiche, lichte Haar strich. Der junge Bursche aber wußte sich nicht zu fassen vor Uebermaß des Glücks. In hellem Jubel schlug er bald rechts, bald links klatschend auf die Lederhose und machte einen Luftsprung um den andern, daß die Joppe flog. Hierauf packte er sein Mädchen zuerst beim Kopf, dann um den Leib und wirbelte mit ihr jauchzend im Kreise herum, schüttelte den Vater bei den Schultern, drückte ihm die Hände wieder und wieder und lachte ihn so glücklich und übermüthig an, daß der Leitenmüller schalkhaft schmunzelnd dem Mädchen zunickte.

»Kein Narr ist er nicht, Vater,« beantwortete Rosel die stumme Bemerkung; »er ist grad ein bissel verruckt vor lauter Freud. Geht mir auch bald nicht anders: ich weiß nimmer, bin ich auf der Alm oder schon im Himmel.«

»Auf der Wirthsalm bist,« belehrte sie wohlwollend der von so viel Glück im Innersten gerührte Brenzlmayr. »Siehst dort dein Vieh, und hörst, wie der Dicke brummt?«

Ersichtlich hing sein Auge mit stolzem Wohlgefallen an den schmucken, jugendkräftigen Gestalten, denen die süßeste Befriedigung aus jedem Zuge leuchtete. Endlich faßte er seinen Martl mit eisernem Griff beim Arm, um ihn zum Stillstehen zu bewegen, und theilte dem jungen Paare mit, daß er im Sinne habe, dem Sohne für den Rest seiner Militärdienstzeit einen Mann zu stellen.

»Wie ihr mit der Mutter zurecht kommt,« sagte er dann und kratzte verlegen hinter dem Ohr, »weiß ich nicht. Ich glaub', es wird so leicht nicht gehen; gehen thut's aber schon. Von Stein ist ja die Mutter auch nicht; sie macht halt gern ihre Mette Lärm., eh' sie was zugibt.« Vergnügt lächelnd dachte er dabei an die wirksame Nachhülfe, die der entdeckte Wasserbrief dem Sturme auf das Mutterherz geben würde.

Damit wollte er sich auf den Heimweg machen; doch hielten die jungen Leute ihn noch zurück; und gemeinschaftlich wurde nun ein Angriffsplan auf die Leitenmüllerin ersonnen, die nach der Meinung ihres Eheherrn durch die ausgestandene Angst schon so mürbe geworden war, daß auch ohne das verhängnißvolle Document ein dauernder Widerstand nicht mehr zu befürchten schien.


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