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2

Rasch trat der Müller in das Haus, stieß die Stubenthüre auf, schleuderte beim Eintreten seinen Hut von sich und warf sich auf die Bank, welche um den festen eichenen Tisch lief, der zwischen den Fenstern des ziemlich kahlen, aber musterhaft rein gehaltenen Gemaches angebracht war.

»Gott Lob und Dank, bist einmal da!« rief's mit müder Stimme aus der Stubenecke hervor, und nun erst gewahrte der Müller bei einem flüchtigen Aufblick, daß dort sein Weib sitze.

Den Kopf in die Hände gestützt, saß die Frau in dem dunkelsten Winkel der Stube. Als sie jetzt das Haupt erhob, zeigte sie auffallend feine, ausdrucksvolle, aber von tiefem Leid vergrämte Züge. Es mußten im Laufe der Jahre schwere Stürme über die arme, dürftig gekleidete Frau hereingebrochen sein. Doch ob auch Gram und Sorgen ihre Spuren in das blasse Gesicht gegraben, sie hatten die Zeichen früherer Schönheit nicht daraus verwischen können; und hatte auch nächtelanges Weinen den Glanz der sanften braunen Augen getrübt, aus diesem Blick schimmerte noch immer ein herzinniges freundliches Gemüth, wie unsäglich traurig er auch jetzt auf dem Achmüller ruhen mochte.

Auf die erste Anrede seiner Frau hatte der finstere Mann keine Antwort gehabt, obschon das kurze Nicken, mit dem er sie begrüßt, nicht gerade unfreundlich war. Sein ganzes Wesen war das eines Menschen, der, unbekümmert um seine Umgebung, allein von seinen lebhaft arbeitenden Gedanken hingenommen ist. Hastig entrollte er nun Papiere, die er mitgebracht und aus der weiten Tasche seiner Jacke hervorgeholt; dann eilte er zu einem Wandschränkchen und nahm dort noch ein dickes, in der Form von Acten zusammengeheftetes Bündel Schriften heraus. Mit der einen Hand sich in den wirren Haaren krauend, durchblätterte er mit der andern die Papiere, in denen er manche Stelle, halblaut lesend und einzelne Worte mit scharfem Nachdruck wiederholend, dem Gedächtniß einzuprägen schien.

Plötzlich raffte er die mitgebrachten Schriften wieder zusammen, steckte sie in die Tasche und schickte sich zum Fortgehen an, indem er seiner Frau in einem Tone, der halb rauh, halb verlegen klang, zurief: »Müllerin, geh einmal hinaus und hol 's Kitzl herein!«

Wie außer sich fuhr die Frau bei diesen Worten in die Höhe; unwilliges Erstaunen malte sich auf ihrem Gesichte, und die bleichen Wangen rötheten sich flüchtig. Eine heftige Entgegnung schwebte ihr aus den Lippen; doch sie bezwang sich, kämpfte sichtbar die innere Bewegung nieder, und auf den Eichentisch zugehend, sagte sie in weichem, zitterndem Tone: »Müller, schau', ich bitt' dich um aller Heiligen willen, gib doch einmal nach! Merkst denn noch nicht, daß der Winkel-Advocat, der Lump, nur darauf ausgeht, uns ganz auszuziehen? Ist's denn noch nicht genug, daß ein Stück Wald um das andere verprocessirt ist, daß sie uns das schöne Vieh schon alles fortgeführt haben, daß das letzte Brett gepfändet und seit Jahr und Tag kein Schnittbaum mehr unter die Schneidsäg' gekommen ist? Schaut's nicht aus auf der Achmühl' wie bei einem Abbrändler, ist im ganzen Oberland eine Schneidmühl' so verkommen? Ich bitt' dich, Vater, gib nach! Geh auf den Vergleich ein, thu's dir selber zu Lieb'! Es muß dir ja zu tiefst in's Herz hineinschneiden, wenn du denkst, daß unser Rosel, unsere ganze Freud', dein einzig's braves Kind, muß bei fremden Leuten sein Brod verdienen.«

Hier brach die Frau mit erstickter Stimme ab und wischte mit der Schürze die jäh hervorstürzenden Thränen aus den Augen, in denen es wie ein Flehen schimmerte, herzbewegender als alle Worte. Doch auf den starrköpfigen Mann, der kaum auf ihre Vorstellungen gehört, konnte auch diese stumme Mahnung keinen Eindruck machen. Mit finsterm Stirnfalten. und hastiger Bewegung blätterte er auf's neue in dem großen Actenstoß, der noch auf dem Tische lag, ohne nur einen Blick auf die arme Frau zu werfen, die, ein Bild des Schmerzes, mit gerungenen Händen vor ihm stand.

»Hast schon dran denkt, was geschieht,« sagte sie nach einer Pause, als sie ihre Erschütterung so weit überwunden, daß sie der Sprache wieder mächtig war, »wenn der Tirolerwastl das letzte Geld aufkünd't, das am Anwesen liegt? Und dem ist es leicht zuzutrauen,« fuhr sie drängender fort, »der hat seinen Reichthum so bloß vom falschen Spiel und Schwärzen. Wer sein Geld nicht mit ehrlicher Arbeit verdient, hat auch kein Herz für die Noth eines andern; und wenn auch das noch eintrifft, wenn der uns den letzten Stoß in's Elend gibt, da wird nichts übrig bleiben, als daß ich den letzten Groschen nehm', einen Brodsack kauf' und damit betteln geh' … und der einmal so angesehene Achmüller kann nachher in's Gemeindehaus um die Armensupp' gehen. Hast denn an alles das schon denkt, und auch daran, wie schön du's haben könnt'st ohne deinen Eigensinn? Schau' hinauf,« rief sie und wies durch das Fenster nach einer Waldblöße, welche die Aussicht auf ein höher gelegenes Gehöft eröffnete, »schau' hinauf und nimm dir ein Beispiel am Müller an der Leiten droben. So wohl im Stand könnt's bei uns auch sein in Haus und Hof …«

»Gott's Kreuz, Weib, jetzt sei still, jetzt hab' ich genug!« fiel ihr der Müller hitzig in's Wort und sprang wild erregt von seinem Sitze auf. »Nenn' mir den Namen nicht, wenn du mich nicht ganz auseinanderbringen willst. Mein Vater und mein Ahnl,« fuhr er leidenschaftlich fort, »waren schon im Recht, und daß ich's nicht behaupten kann schwarz auf weiß, ist unser ganzes Unglück. Ich geb' aber nicht nach: mein Recht muß ich haben, das kann mir unser Herrgott nicht nehmen!« Damit schlug er zornfunkelnden Auges mit geballter Faust auf den Tisch, daß die Frau erschrocken zurückprallte.

»Ja, hätt' ich nur das Document,« fuhr er etwas weniger heftig fort, »wo mein Vater und der Ahnl den Vertrag mit dem alten Brenzlmayr unterschrieben haben; aber weiß Gott, wo das im Haus versteckt ist. Käm' das Papier zum Vorschein, nachher wär's bald aus mit dem Proceß, und hätt' der Doctor am letzten Gerichtstag sich nicht den Fuß überstaucht und dabei den Termin versäumt, wären wir jetzt auch schon weiter. Aber er hat ganz recht, der Doctor, wir müssen den Leitenmüller zum Schwur treiben; nachher kann in längstens sechs Wochen ein Erkenntniß vom Landgericht da sein. Da wird's bald anders ausschauen auf der Achmühl'. Die Leitenmühl' muß mir zufallen, und der ganze Mitterberg mit all' seinen Almen und dem Holz wird dem Achmüller verschrieben; denn die Zinsen und die Kosten kann der Brenzlmayr sein Lebtag nimmer aufbringen.«

Das halb mitleidige, trübe Lächeln, das um die Lippen der Frau zuckte, verrieth, was in ihrer Seele vorging und daß sie sich keiner Täuschung in Bezug auf die trügerischen Hoffnungen ihres Mannes hingab. Hörte sie ihn doch nur so ruhig und ohne Widerspruch an, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Ob es nicht möglich war, seinen starren Sinn zu brechen, hatte sie, wie heute, schon unzählige Male erfolglos versucht; sie vermochte nichts weiter, als in stumpfer Ergebung ihr Schicksal zu tragen.

»Denk' nur selber nach, Müllerin,« sagte er mit völlig überzeugter Miene und ging in einen fast gutmüthigen Ton über; »es kann ja gar nicht gefehlt sein, es liegt ja ganz auf platter Hand. Der Ahnl hat die Wasserln alle zusammengefangt, und der Bach der hat damals Einödbach geheißen; erst später, wie der Ahnl im Austrag und der Vater schon lang auf dem Anwesen war, haben wir ihn die Achen tauft. Das war anno 1787, ich mag damals ein Bübel von vielleicht zehn Jahren gewesen sein; aber ich denk's noch wie heut. Der alte Brenzlmayr, dem jetzigen sein Vater, hat sich um die Zeit herum da droben an der Leiten ankauft, und weil er ein guter Kriegskamerad von dem meinigen war, so hat der ihm erlaubt, in unsern Bach ein Rad einzuhängen. So geht's aber, wenn der Mensch zu gut ist auf der Welt … der Vater hat ihm auch eine Schleus' und ein Wehr baut, und dafür hat der Brenzlmayr an Pacht alle Jahr fünf Scheffel Haber, eine schöne Kalben und auf Martini eine Gans geben müssen. Der Vater, verstehst, hat aber dafür wieder das Wehr und die Schleus' in Stand halten müssen. Das war, wie gesagt, alles schriftlich ausgemacht; aber mein Ahnl, der im Haus noch recht regierisch rührig. gewesen ist, hat die Papiere alle in Verwahrung gehabt. Aber vor lauter Geschäftigsein und Vorsichtigkeit hat er alleweil alles verräumt und vertragen, bis er oft selber die Sach' nimmer zu finden gewußt hat; und so wissen wir heut noch nicht, wo er das Document hinbracht hat.

»Und jetzt paß auf, Müllerin,« sagte mit erhobener Stimme der Mann, der immer mehr in Eifer gerieth, und legte den Zeigefinger auf eine bezügliche Stelle in dem vor ihm liegenden Acte, »1808 war der große Erdrutsch, der die Schleus' und das Wehr an der Leiten droben verschüttet hat. Der Vater war grad gestorben, der alte Brenzlmayr ist schon ein paar Jahr früher eingerückt, und ich hab' erst nach dem Tirolerkrieg, also 1809 im Herbst, die Mühl' übernehmen können. Derweil ist natürlich droben nichts geschehen und nichts gericht worden. Der jetzige Brenzlmayr, schon seiner Lebtag ein ausgestochener Fuchs, hat sein Vatergut schon vor mir übernommen und hat sich jetzt ohne viel Hin und Herreden die Schleus' und das Wehr selber wieder baut, hat aber auch von der Zeit keinen Pacht nimmer zahlt, nicht ein Körnl Haber. Jetzt frag' ich dich, Müllerin, ob wir nicht im Recht sind, den ganzen Pacht zu verlangen, das Wasserrecht ist ja von Alters her unser Eigenthum. Jetzt kannst dir denken, was das bis heut' schon alles mit sammt den Zinsen und Zinszinsen und Proceßkosten ausmacht, und zahlen muß er's, da hilft ihm kein Teufel! Der Doctor ist grad der Rechte; der kriegt ihn schon dran, den Kalfacter, schau', und deswegen hätt' ich ihm halt gern heut noch 's Kitzl gebracht. Es muß jetzt so ganz anders geh'n, ich hab' schon den rechten Plan,« versicherte er lebhaft, »wo ich den Proceß gewiß noch zehn Jahre aushalten kann, und wenn's sein muß, noch länger, durch alle Instanzen durch.«

Er machte eine kurze Pause, als ob er eine Antwort erwarte, und da die Müllerin noch immer schwieg, fuhr er in gedämpftem, vertraulichem Tone fort: »Ihr schimpft alle über den Tirolerwastl und laßt kein gutes Haar an ihm; und er ist doch so unrecht nicht und noch der einzige, der's rechtschaffen und gut mit mir meint. Er hat Geld, hat einen schönen Weinhandel drüben über der Grenz', ist gewiß ein sauberes Mannsbild. Eine Stadtmamsell dürft' sich nicht schämen, wenn er drum anklopfen thät. Und wir, glaub' ich, Müllerin, wir dürften es noch gar als eine besondere Ehr' betrachten, wenn ihm unsere Rosel gefallt, … wie er mir sagt, hat er schon lang ein Aug' auf das Diendl.«

»Halt, Mann!« rief blitzenden Auges und mit abwehrend erhobener Hand die Frau und trat ihm drohend näher. »Halt … jetzt bist am rechten Weg! Ich hab' dich gut verstanden und möchte mich in die Seel' hinein schämen für dich. Also das ist der saubere Plan, den ihr heut Nacht verabredet habt? So weit hat dich der Satan schon in seinen Krallen … jetzt ist's Zeit, daß ich mich rühr'! Ich hab' alles ertragen, was ein armes geschlagenes Weib ertragen kann; aber jetzt ist's mit meiner Geduld am End'! Müller, ich sag dir's und schwör dir's bei der heiligen Mutter Anna, meiner Schutzpatronin, so lang ich die Augen offen hab', laß ich mein einzig's Kind nicht verschachern an einen Kerl, der alle Tag mit einem Fuß im Zuchthaus steht!« Hier schien ihr die Kraft zu versagen, und sie brach in heiße Thränen aus. »O du lieber Gott, so weit ist's also schon kommen!« preßte sie kaum hörbar noch hervor und sank gebrochen auf die Bank zurück.

»Ja, grein nur, dummes Weib, so lang als du magst; aber bedeuten thut's dich nichts, jetzt bin schon ich noch Herr im Haus,« brummte der Achmüller mit verbissenem Ingrimm, und nachdem er das Actenbündel hastig wieder eingeschlossen, ging er trotzig auf die Thüre zu, die er geräuschvoll hinter sich zuwarf.

Im Schatten eines Apfelbaumes lagerte die schwarze Ziege noch im Grasgarten und behielt mit mütterlicher Sorgfalt ihr Junges im Auge. In den possierlichsten Sätzen umsprang das Thierchen die Mutter und versuchte durch muthwillige Stöße dieselbe zum Aufstehen zu bewegen; die Alte aber bot ihm herausfordernd die starken Hörner, und lustig meckernd stieß das Zicklein mit seinem winzigen Gehörn darauf ein. Eine ganze Weile trieben sie schon das ergötzliche Spiel, als plötzlich das Junge einen klagenden Schrei ausstieß.

Mit roher Faust hatte der Achmüller, der rasch in die Umzäunung getreten war, das Thierchen gepackt, und nachdem er ihm mit ein paar jungen Schößlingen die Beine geknebelt, trug er es unter dem Arme davon. Die Alte war jählings aufgesprungen, als sie ihr Kleines bedroht sah, irrte lange am verschlossenen Gatter auf und ab, und jammervoll erklangen die Lockrufe der beraubten Mutter.

Die Müllerin hatte den Vorgang vom Fenster aus gesehen, und es war trotz ihrer Armuth weniger der Verlust des Zickleins, als die Grausamkeit gegen die Mutter und ihr Junges, was ihr dabei so wehe that. Mit bewegter Miene kam sie eilig aus dem Hause, und vom innigsten Mitleid ergriffen, leitete sie das beunruhigte Thier liebkosend in den Stall. Ihr eigenes zuckendes Mutterherz ließ sie den Schmerz der kläglich meckernden Ziege lebhaft mit empfinden.

»O mein Lisei, armes Thier, holt er dir jetzt das letzte Kitzl auch noch fort, bist jetzt ganz verlassen! Geht mir auch nicht viel besser, Lisei: hab' meine Rosel auch hingeben müssen unter fremde Leut'. Ja, ja,« sprach sie mehr zu sich selbst und nickte traurig mit dem Kopf, »so könnt' er auch sein eigenes Kind knebeln und der Mutter vom Herzen reißen, der verblendte, halsstarrige Mensch. Aber ich nehm's so geduldig nicht hin, wie's Lisei; ich vertheidig' mein letztes und mein einzig's mit meinem Herzblut: ich laß ihn die Rosel nicht in's Unglück bringen.«

Als die Achmüllerin die Stallthüre und das Haus verschlossen hatte, schlug sie einen der Richtung, welche ihr Mann genommen, entgegengesetzten Weg ein.


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