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8

Der frische Nachtwind hatte schon die letzten Tropfen aus den Nadeln der Tannen geschüttelt, und nur hier und da hörte man noch aus dem kahlen Gestein hervor eine Wasserrinne plätschern, bis ihr vom Regen gefülltes Bett geleert war. Doch immer noch huschten gleich riesigen Schatten dunkele Gewitterwolken am Himmel vorüber; wo aber der düstere Schleier zerriß, blickten vom blauen Hintergrunde hellglänzend die freundlichen Sterne durch.

Da trat die Achmüller-Rosel mit ihrem Buben aus der Sennhütte. »Jetzt ist's Wetter vorbei, jetzt hat's keine Gefahr mehr,« sagte sie. »Schau nur, Martl, wie lieb als die Lichtl'n wieder da herunterschauen – ich nimm's für ein gutes Zeichen.«

»So ist's recht, Diendl; verlier' nur die Schneid nicht. Es geht noch alles gut aus, und wenn's auch noch eine Zeit lang dauert, bis wir ein Paar sind – wir sind jung und können warten.«

»Ich bin aber auch so froh und so frisch wieder,« versicherte die junge Sennerin, und das fröhliche, unverkümmerte Gemüth jubelte aus ihrem Ton, »wie jedes Sträußl nach einem Gewitterregen, seit du mir das Herz so aufgericht hast. Alles singt und jauchzt in mir. Ja, ich hab' gemeint, ich muß vor Trübsal vergehen heut; und wie das Wetter so schwarz heraufgezogen ist, hab' ich mich in einen Winkel hineingesetzt und hab' bitterlich geweint. Nachher bist du kommen, mein lieber Bub, und hast mir mit deinem guten Worte alle Kümmerniß wie weggeblasen. Dein' Vater, meinst, willst schon herumbringen, daß ich ihm recht bin. Ja, wenn er nur einmal heraufkäm' zu mir, ich wollt's ihm schon verzählen, was er für eine willige Tochter hätt' an der Rosel … Aber da schau hinauf,« unterbrach sie sich lebhaft und zeigte nach dem treibenden Gewölke, das in seltsamer Gruppirung die wunderlichsten Gestalten bildete, »wie schwarz es da wieder heraufzieht. Sieh' das dort, was so finster herschaut, kommt mir vor wie deine Mutter, und was da so wild daherrennt, denk' ich mir, ist mein Vater. Siehst, wie er die schönen Sternl'n jetzt alle wieder auslöscht? Und die große kohlschwarze Wolken, die da hinten nachkommt, bild' ich mir ein, ist der Wastl mit seinem Tirolerhut, und jetzt wird's auch schon wieder finster und trauriger. Wird wohl unser lieber Herrgott,« setzt sie aus tiefster Seele bei, »der allein um unser' Lieb weiß, bald die schwarzen Gesichter verjagen, daß uns der ganze schöne Himmel wieder anlacht?«

»O du narrisch's Diendl, was du nicht alles in den Wolken siehst! Aber laß mich jetzt fort; es ist schon so spät, daß ich mich daheim muß in die Kammer hinaufschleichen.«

»So behüt dich Gott, Martl, und laß dich bald wieder sehen,« sagte Rosel innig und schlang die Arme um den Hals des jungen Burschen, der sich voll Zärtlichkeit zu ihr herabneigte und nach einem heißen Kusse den Abhang hinuntereilte.

Lange stand das junge Mädchen noch unter freiem Himmel und schaute nach den Wolkenbildern, während an ihrer lebhaft erregten Seele alles nochmals vorüberzog, was sie heute erlebt hatte. Endlich trat sie in den Hüttenraum, und eben wollte sie die Thüre schließen, als ein Schuß durch die Nacht knallte und in vielfachem Widerhall in den Bergen fortrollte. Mit dem Rufe: »O heiliger Gott im Himmel!« stürzte die Sennerin aus der Hütte und fiel wie gelähmt vor Schrecken auf die Bank davor nieder.

»Ich mein' grad, es steht mir das Herz still,« stieß sie zitternd hervor. »Das hat gewiß meinem armen Buben gegolten, den haben sie für einen Wilderer angeschaut!« Plötzlich schnellte sie wieder in die Höhe und, gejagt von tödtlicher Angst, stürmte sie fort auf demselben Steige hinter der Sennhütte hinab, den Martl gegangen war. Sie kannte den Weg genau, und fast ohne anzuhalten war sie trotz der Finsterniß und des bei der Regennässe oft halsbrechenden Pfades in fliegender Hast beinahe bis an den Fuß des Mitterbergs gelangt. Einige Minuten holte sie Athem nach dem ungestümen Laufe, preßte die Hand auf die hochklopfende Brust und überlegte, was sie beginnen sollte.

Angstvoll horchte sie in den Forst hinein; dann schlug sie mit einem inbrünstigen Aufblick zum Himmel einen Weg mitten durch die Bäume ein. Sie bückte sich im Gehen zur Erde, denn es war ihr, als hätte sie die Fußspuren starker Bergschuhe entdeckt. Die Abdrücke auf dem weichen Moosgrunde wurden immer deutlicher, dabei fand sie zu ihrer Ueberraschung eine alte durchnäßte Pferdedecke am Gebüsche hängen. Emsig suchend forschte sie weiter, und jede neue Entdeckung, die sie hier machte, ließ ihr Herz banger schlagen. Niedergedrücktes Strauchwerk und geknickte Aeste bildeten eine förmliche Bahn in den Wald hinein, der sie in peinlichster Spannung folgte. Einige Hundert Schritte weiter stieß sie auf einen alten Hut, und nachdem der von scharfgenagelten Mannsschuhen getretene Pfad eine Zeit lang aufwärts geführt hatte, stolperte sie über einen Gebirgsstock. In der Gewißheit, daß sie hier auf der rechten Fährte und dem Schauplatze irgend einer schrecklichen That nahe sei, verfolgte sie mit geschärften Sinnen alle diese Spuren und gewahrte bald, daß die geknickten Zweige und das niedergetretene Moos sie wieder mehr aufwärts gegen ihre Alm führten. Da stieß sie mit dem Fuße an einen großen, schweren Pack und gleich darauf war es ihr, als hätte sie in der Nähe etwas rascheln und flüstern hören. Von namenloser Angst ergriffen, wollte sie den Namen ihres Geliebten in den Wald hineinschreien, doch sie getraute sich nicht, das Echo wachzurufen, und stieg beklommen noch eine kleine Strecke höher. Da mit einem Male vernahm sie dicht vor sich Laute, die ihr gequältes Herz in seliger Freude aufschlagen ließen.

»Wer ist denn da?« hatte Martl mit frischer, kräftiger Stimme gerufen, und trat ihr nun, wie aus dem Boden gewachsen, plötzlich entgegen.

»Ich bin's, die Rosel,« vermochte sie kaum zu antworten, und halb vor Erschöpfung, halb im Uebermaß des Glückes, ihn unversehrt wiedergefunden zu haben, sank sie neben ihm auf dem feuchten Rasen in die Kniee.

»Mei Diendl,« wunderte sich Martl und half ihr besorgt vom Boden auf, »wie kommst jetzt daher? Hast gewiß auch den Schuß gehört? Red', Rosel, ist dir was zugestoßen, oder hast um mich bang' gehabt?«

»O mein lieber Herrgott, ich bitt dich um Gotteswillen, Martl, was ist da für ein Unglück geschehen?« jammerte Rosel statt aller Antwort mit zusammen geschlagenen Händen, als sie in der Dunkelheit, nur wenige Schritte von ihr entfernt, einen regungslosen männlichen Körper auf dem Rasen erkannte.

»Ich glaub', es ist ein Wilderer, den sie geschossen haben,« sagte Martl; »da liegt noch sein Stutzen. Ich kann mir gar nicht denken, wer das ist. Schau nur, wie er sich angeschwärzt hat. Hab' ihn laut winseln hören und ihn doch aufsuchen müssen. Ich bin schon lang da bei ihm und weiß mir keinen Rath. Mir scheint, der ist am rechten Fleck'l troffen; er rührt sich gar nimmer.«

Weste und Hemd hatte er dem Verwundeten, einem großen, breitschulterigen Manne, auf der Brust bereits geöffnet und legte nun sein Ohr lauschend auf die Herzgegend. »Rosel, der ist nicht todt, da drinn' schlagt's noch!« rief er erfreut und setzte die Untersuchung fort. Der Himmel war wieder heller geworden, und die Sterne leuchteten ihm bei seinem Samariterwerk. Auf der rechten Seite der Brust, eine Spanne unter der Achselhöhle, gewahrte er auch bald einen kleinen Fleck, aus dem tropfenweise das fast schwarze Blut sickerte. Bei einem Drucke auf diese Stelle stöhnte der Besinnungslose zusammenzuckend schmerzhaft auf.

»Siehst, da haben sie ihn hineingeschossen, Rosel. Wir haben aber gar nichts zum Verbinden,« sagte der junge Bursche, und aus seinem Tone sprach das ganze innige Mitleid, das der Bergländer für den verwundeten Wilderer hegt, den er immer nur als ein Opfer ungerechter »herrischer« Vorrechte betrachten will. Rosel, die scheu und befangen in das unkenntliche, von einem wilden Barte eingerahmte Gesicht der vor ihr liegenden Gestalt gestarrt, hatte schon ihr weißes Tuch vom Kopfe gerissen, und legte dasselbe, nachdem sie es in dem nassen Moose befeuchtet, dem Bewußtlosen auf die Wunde. War es nun die kühle Nachtluft, die so erfrischend auf die entblößte Brust gewirkt, war es der kalte Umschlag auf die brennende Wunde, was ihn zur Besinnung brachte – er schlug die Augen auf und schaute hell um sich; doch kaum hatte er mit einem Blicke die Umstehenden gestreift, als er die Augen wieder schloß und den Kopf matt zur Seite neigte.

»Hast es gesehen, Rosel?« sagte Martl. »Er lebt und erholt sich noch. Vielleicht kommt er noch ganz davon … aber da können wir ihn nicht liegen lassen, da geht er d'rauf.«

»Trag ihn hinüber auf die Leitenmühl' zu dir,« rieth das Mädchen, »da hast gar nicht weit.«

»Wo denkst jetzt da hin, Diendl? Was thät' die Mutter für einen Lärm schlagen, wenn ich mitten in der Nacht mit einem angeschossenen Wilderer daherkäm'? Muß schon bald auf eins geh'n … das ist nichts!«

»O mein Gott,« klagte Rosel, von Mitleid erfaßt, »was ist das ein großes Elend, wenn der Mensch soll so in seinen Sünden dahinfahren! Geh, Bub', ich kann's nicht über's Herz bringen. Trag ihn zu mir hinauf auf die Alm. Ich thu' ihn mit Quirini-Oel einreiben und mit Carmelitergeist anspritzen, vielleicht bringen wir ihn durch, bis es Tag wird, und können aus ihm herauskriegen, wo er zugehört. Und wenn du zum G'sellherrn Hülfspriester. nach Audorf hinüberlaufst, der geht dir zu jeder Stund' in der Nacht, und ich steck' ihm derweil ein geweihtes Kerzl auf. So kriegt er doch wenigstens auch einen Weihbrunn. Geh, Bub; schau, thust ja ein gutes Werk!« Dabei gab sie dem unschlüssig mit sich kämpfenden Martl einen aufmunternden Stoß und schaute ihn mit ihren lieben Augen, in denen die hellen Thränen schimmerten, unendlich freundlich an. Aber er zeigte immer noch keine rechte Lust, einen Fremden zu solcher Stunde in ihre Hütte zu bringen. Eine bittende Bewegung, die nun auch der Verwundete mit den Händen machte, weckte endlich in seiner zur Eifersucht neigenden argwöhnischen Seele ein menschliches Rühren und hob für den Augenblick alle weitern Bedenken.

Der Tirolerwastl – er war der Verunglückte – verrieth sich mit keinem Laute und hatte auch in dem schlechten Anzug, den er beim Schwärzen zu tragen pflegte, alles vermieden, was irgendwie auf seine Persönlichkeit schließen ließ. Er hatte die jungen Leute wohl erkannt und ihr Verhältniß durchschaut, und fürchtete mit gutem Grund, daß er hier nur auf Hülfe rechnen könnte, so lange er unbekannt blieb. Ihm war vor allem darum zu thun, schnell von dem Platze wegzukommen, der jedenfalls bei Tagesanbruch genau durchsucht wurde; und ein besseres Versteck als in einer Sennhütte durfte er unter solchen Umständen nicht zu finden hoffen. Er hatte das alles trotz seiner schweren Verwundung blitzschnell überlegt, und als ihn jetzt der kräftige Bursche mit Rosels Beistand auf seinen Rücken lud, verursachte ihm wohl jede Bewegung die furchtbarsten Qualen, doch blieb er stumm und biß sich lieber vor Schmerz die Lippen wund, ehe er ein Wort laut werden ließ, das ihn verrathen konnte.

Martl folgte, so schnell er es vermochte, mit dem großen schweren Mann der Sennerin, die den alten Hut und den Stutzen aufraffte und auf die Flintsbacher Alm vorausging, nachdem sie dem Geliebten noch flüchtig mitgetheilt, wie die Angst um ihn sie auf das Knallen des Schusses von der Alm fortgetrieben.

Vor dem Herde in ihrer Hütte, auf dem bereits ein helles Feuer unter dem Kessel prasselte, hatte Rosel auch ein hoch aufgeschüttetes Heulager ausgebreitet, als Martl mit seiner Last erhitzt und keuchend unter der Thüre erschien.

»Herr, vergelt's Gott, daß wir da sind! Schwer ist er grad' nicht; aber es ist ein dummes Tragen, wenn sich einer wie ein Mehlsack auf einen auflegt.« Mit dieser Bemerkung ließ er sich auf ein Knie nieder und den durch den unbequemen Transport vor Schmerz und Blutverlust Ohnmächtigen von seinem Rücken auf das weiche Lager gleiten.

Die Flamme auf dem Herde erhellte das Innere der Hütte und warf ihren Schein bis in den äußersten Winkel, wo das Mädchen eben ihre Truhe unter dem Heubett hervorzog. So hastig, wie jemand, dem jede Secunde kostbar ist, wühlte sie unter allerlei altfränkischen Kleidungsstücken und verblichenem Flitterkram. Es waren Erbstücke ihrer seligen Ahnfrau, die sie vor dem gänzlichen Verfall der Achmühle noch gerettet hatte. Ein uraltes in Schweinsleder gebundenes Buch mit rothem Schnitt, einen großen bunten Wachsstock und ein Fläschchen in den Händen, kehrte sie zu dem Verwundeten zurück.

»Rosel, ich glaub', da sind wir zu spät dran; mir scheint, der hat's schon überstanden.« Und der Bursche suchte den am Boden Liegenden in eine sitzende Stellung aufzurichten und mit dem Rücken gegen den Herd anzulehnen, aber immer sank er wieder zurück und ließ den Kopf schlaff auf die Brust hängen.

»Na, Martl, ich kann's noch nicht glauben,« sagte Rosel in lebhafter Unruhe; »unser Herrgott wird mir das nicht anthun, daß ich einen Todten müßt' in der Hütten haben. Da, wasch ihm nur den Kopf recht ein mit dem Carmelitergeist und halt ihm das Fläsch'l brav unter die Nase. Ich such' derweil im Ahnl sein' Haussegen um einen Spruch.«

Der geweihte Wachsstock brannte neben dem Schmuggler auf dem Herdrand, und das Mädchen bekreuzte den Bewußtlosen und besprengte ihn eifrigst aus dem Weihbrunnkesselchen am Thürpfosten. Martl rieb eben so angelegentlich dessen Schläfe mit der belebenden Flüssigkeit, und als bei dieser Waschung sich der große falsche Bart vom Kinn ablöste und nur der Schnurrbart verblieb, wunderten beide sich nicht darüber; denn Wilderer pflegten sich in der Regel so zu maskiren. Das dickgeschwärzte Gesicht hellte sich auch mehr und mehr auf, und der junge Bursche nahm nun mit einer alten Schürze, die er in den Kessel tauchte, ein förmliches Reinigungsgeschäft daran vor.

Das Mädchen hatte inzwischen in dem nach der Sitte des vorigen Jahrhunderts mit rother und schwarzer Tinte kunstvoll geschriebenen »Haussegen« ihres Ahnherrn auch den passendsten Zuspruch gefunden. Es fand sich auf einem der letzten Blätter des Andachtsbuches in zierlichen gothischen Buchstaben die Aufschrift: »Gebet in großen Nöthen, so einer nicht mehr beichten kann.« Laut und andächtig, wenn auch etwas stockend und eintönig, begann die junge Sennerin beim Scheine des Herdfeuers das Gebet abzulesen, und fast am Ende der Seite angelangt, suchte sie das Blatt zum raschen Umwenden bereit zu halten, was ihr nicht sogleich gelang. Eben las sie, in dem Bemühen, die zusammengeklebten nächsten zwei Blätter mit den Fingern zu trennen, die letzten Zeilen, als Martl mit einem zornigen Schrei in die Höhe fuhr. Mit funkelnden Augen und wuthbebender Stimme rief er dem erschrocken verstummenden Mädchen zu: »Da schau hin, was wir für einen heraufgeschleppt haben! Kennst den da?«

»O heilige Mutter, das ist der Tirolerwastl!« rief Rosel mit einem Blick auf das nun vom Ruß befreite Gesicht des Schwärzers. »Jetzt geht mir ein Licht auf,« fügte sie lebhaft bei; »ich bin ja im Holz drunten über einen weltsgroßen Pack gestolpert … Bub, das ist kein Wilderer, das ist ein Pascher!«

»Ja, und mit einem Wort: ein Lump!«

Mit dem Ausdruck grimmigen Hasses, dem auch einige Schadenfreude beigemischt war, setzte sich Martl auf einen umgestürzten Milchkübel und verwandte keinen Blick von dem hülflos Daliegenden, für den sich auch nicht ein Fünklein Theilnahme mehr in dem zornigen Herzen regte, seit er ihn als den erkannt, der es gewagt, die Augen zu seiner Rosel zu erheben.

Obgleich die Kugel, welche an der obersten Rippe abgeglitten, unter der Achselhöhle durch das Fleisch gedrungen und gegen den Rücken wieder hinausgegangen war, so daß die Verwundung an und für sich weniger Besorgniß einflößte, schien die innere Blutung durch die ungeschickte Lage und das Stoßen beim Herauftragen sich noch gesteigert zu haben. Die tiefe Ohnmacht war die natürliche Folge der Ermattung, und nur durch das von dem jungen Mädchen unermüdlich fortgesetzte Einreiben der Stirne mit dem scharfduftenden Aether kam er allmälig wieder zu sich. Mit wirren Blicken starrte er auf seine Umgebung, als könne er sich an das Vorgefallene nicht erinnern und wisse nicht, wie er an diesen Ort gekommen, und wie um einen Schleier fortzuwischen von den fieberhaft glänzenden Augen, erhob er die Hand; doch von Schwäche oder Schmerz übermannt, ließ er sie wieder sinken.

»Martl, schau her, er wird wieder ganz richtig,« sagte Rosel, deren weiches Herz von Erbarmen überfloß. »Es geht schon bald gegen den Tag zu. Lauf rasch um einen Geistlichen, so kriegt er doch noch ein ehrlich's Begräbniß. Ist doch auch ein Mensch, schau, den man nicht zu Grund gehen lassen darf. Wer weiß, wie's einem unser Herrgott wieder vergelten mag!«

»Was fallt dir ein … sonst nichts?« rief der Bursche, hitzig aufspringend und über Rosel's Zumuthung innerlich empört. »Jetzt geh' ich nimmer vom Platz, so lang der Lump in der Hütte liegt! Könnt' mir den Kopf an die Wand rennen, daß ich so strohdumm gewesen bin und hab' ihn heraufgeschleppt! Hab' gemeint, ich muß mich zu Tod tragen. Von mir aus läg' er gut drunten, bis ihn die Fuchs' angefressen hätten.«

Der vorwurfsvolle Blick, den er dem Mädchen zuwarf, sagte ihr, daß sie jetzt nicht weiter in ihn dringen dürfe. Sie wußte nur zu gut, daß mit dem Martl nichts mehr anzufangen war, wenn er den Hut so keck auf's Ohr gedrückt und die zwei Spielhahnfedern darauf so kampflustig nach vorn gedreht hatte. Dann war er heiß geworden, und man kam einem Ausbruch des auflodernden Zornes nur zuvor, wenn man ihm den Willen ließ.

»So schneid mir wenigstens die zwei Blättln auseinander, daß ich weiter lesen kann. Gib aber Obacht,« sagte Rosel, und lächelnd hielt sie dem ergrimmten Burschen das alte Buch hin. Mit seinem scharfen Messer trennte er die am Rande fest zusammengeklebten Blätter. Doch wie groß war die Ueberraschung beider, als zwischen denselben ein zusammengefaltetes vergilbtes Schriftstück zum Vorschein kam.

Die Neugierde, was wohl so geheimnißvoll in dem Haussegen des alten Ahnherrn, der schon bald vierzig Jahre im Grabe ruhte, verwahrt sein mochte, verdrängte auf einige Zeit die Sorge um den Verwundeten. Betroffen standen beide über den Herd geneigt, um bei dem flackernden Schein der Flamme die alten verschnörkelten Schriftzüge auf dem gefundenen Pergamentblatte zu enträthseln. Die Worte: »Wasserbrief von anno 1777« und »Wassergerechtsame am Einödbach, dem Emmeran Moosrainer gehörig« hatten beide endlich mühsam entziffert, und am Schlusse der Urkunde auch noch etwas von einem Vertrage, der im Jahre 1790 zwischen Emmeran Moosrainer und Martin Brenzlmayr abgeschlossen worden, halb buchstabirend herausgebracht.

Die jungen Leute schauten einander stumm und fragend an. Endlich begann es in dem Geiste des Mädchens zu tagen, und immer klarer besann sie sich auf all' den Jammer, den ihr Vater, der Sohn des besagten Emmeran Moosrainer, oft über ein verloren gegangenes wichtiges Document geäußert, und wie er sein ganzes Unglück einzig und allein diesem Verluste zugeschrieben habe. Hell aufjubelnd warf sie sich dem verdutzten jungen Burschen an den Hals.

»Martl, der Wasserbrief, das ist meinem Vater sein Recht!« rief sie. »Und wenn wir Zwei gescheidt sind, ist's auch unser Heirathsbrief! Der Leitenmüller wird gern die Rosel seine Tochter heißen, wenn sie mit dem Brief in's Haus kommt. Wie gescheidt bin ich nicht gewesen, daß ich die alten Angedenken vom Vater seinem Ahnl auf die Seite geräumt hab', eh' sie uns alles genommen haben! Martl, jetzt ist uns schon geholfen … Gott sei Lob und Dank! Den armen Tiroler hat uns wahrhaftig ein Engel in die Hütte gebracht.«

Dann verbarg sie mit einem zärtlichen Blick auf diesen Engel in Menschengestalt das kostbare Pergament tief in ihrem Mieder, und indem sie sich wieder neben dem Schmuggler niederließ, that sie frohen und freudigen Muthes alles, was in ihren Kräften stand, seine Leiden zu mildern.

Martl kam aus dem Staunen gar nicht heraus; er konnte nicht so schnell den Sinn ihrer Worte begreifen. Er hatte sich um den ganzen verwickelten Proceß nie viel gekümmert, und daheim war aus Ueberdruß an der Sache nicht gern davon gesprochen worden – aber schon lange hatte er kein so wahrhaft glückliches Lächeln, keine so himmelhelle Freude auf dem lieblichen Antlitz seines Mädchens leuchten sehen. Aller Groll verflog auch in seiner Seele, und willig folgte er ihrer Aufforderung, als sie ihm ein Gläschen des heilsamen St. Quirinus-Oels reichte, die Wunde des Tirolers zu bestreichen.

Sichtlich erholte sich der Verwundete unter dieser Pflege; doch von brennendem Durste gequält, bewegte er krampfhaft die Lippen und richtete den Blick nach der Tasche seiner Joppe, in der eine Steinflasche steckte. Als Rosel, dem Winke folgend, ihm die Branntweinflasche an den Mund setzte, sog er den Inhalt in vollen Zügen ein; und mochte das auch Gift für seinen Zustand sein, es schien, als ob damit neues Leben durch den ermatteten Körper ströme. Sicherer schaute sein Auge, strammer richtete er sich auf und streckte mit einem dankbaren Blicke seinen Pflegern die Hand entgegen. Gleichwohl mußte er sich gefährlich verletzt glauben, denn eine seltsame Umwandlung ging in seinem Gemüthe vor.

»Laßt's mich nicht umkommen, Leut'ln,« sagte er. »Ich will's euch tausendmal vergelten, und kann der Wastl was thun für dich, fein's Diendl, daß du deinen Schatz kriegst, wohl thu' ich alles gern. Holt keinen Bader und keinen Geistlichen herauf, daß nichts aufkommt; es ist zu euerm eigenen Nutzen.«

Dann begann er mit matter Stimme und unter oftmaliger Unterbrechung seinen ganzen Schwärzergang zu erzählen und behauptete fest, sein Spießgeselle, der Ruap, müsse ihn verrathen haben. Daß er der drohenden Verhaftung entging, hätte er nur seinem andern Kameraden zu verdanken. Nachdem er sich durch einen frischen Schluck gestärkt, fuhr er in seinem Berichte also fort: »Wenn wir nicht auf den alten Heuschupfen zu wären, hätt' ich den Denkzettel sicher nicht davongetragen und müßt' nicht vielleicht die ganze Ladung büßen. Mein Kamerad hat am meisten dazu getrieben, er hat wohl viel Angst gehabt und ist mir nicht von der Seite 'gangen. Wir sind keine fünfzig Schritt mehr von dem Schupfen weg gewesen, da schreit's aus dem Wald heraus: Halt, Lump! Ich hab' meinen Stutzen wohl auf'zogen gehabt, da hat's aber schon geschnallt und mir ist nicht anders gewesen, als wenn mir einer einen Schlag auf die Brust gegeben hätt'. Schnell hab' ich mich hinter ein dickes Tannengebüsch duckt; mein Kamerad aber hat alles weggeworfen und ist in's Holz hinein. Der Grenzer hat wohl geglaubt, es ist nur der eine Pascher, auf den er geschossen hat. Ich hab' noch weit im Forst drinn' die Aest' brechen hören, wie er dem andern nach ist, hat ihn aber wohl nicht erwischt. Mir ist's jetzt warm über die Brust hinuntergelaufen, ich hab' Pack und Decken hinter einem starken Baum versteckt und mich noch ein bissel weiter geschleppt; nachher hab' ich nichts mehr um mich gewußt, bis Ihr mich gefunden habt. Und so hab' ich's dem Vater und der Tochter zu verdanken, daß sie mich heut nicht gefangt haben,« schloß er seine Erzählung. »Ja, wer glaubst wohl, Diendl, daß der andere war? … Dein Vater, der Achmüller ist's gewesen,« beantwortete er selber die Frage.

Ein Schrei der Bestürzung schallte durch die stille Hütte. Die Hände vor das erglühende Gesicht geschlagen, brach das Mädchen in Thränen aus.

»Sei nicht so kümmerlich,« tröstete sie der Tiroler. »Dein Vater kennt sich in der Gegend so gut aus wie in seinem Rucksack, und kein Grenzer findet die Hohlwege und die Schlupfen, die der Müller weiß.«

Das viele Sprechen hatte den Verwundeten zu sehr angestrengt; die durch den Blutverlust geschwächte Natur forderte ihre Rechte, und bleischwer fielen ihm die Augenlider zu.

Martl mußte alle Beredtsamkeit aufbieten, das Mädchen abzuhalten, daß sie nicht nochmals in die Nacht hinausstürzte, um auch den gehetzten Vater aufzusuchen. Nur die eindringliche Vorstellung, wie sie dadurch seine Sicherheit noch mehr gefährden würde, hielt sie davon ab. Als sie ruhiger geworden war, saßen beide auf dem Herdrand. Ermattet von den wechselnden Eindrücken dieser furchtbaren Nacht, lehnte Rosel sich an die Schulter des jungen Burschen, und flüsternd erzählte sie dem hoch Aufhorchenden, was es eigentlich für eine Bewandtniß mit dem gefundenen Wasserbrief habe.


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