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5

Der Morgen-Nebel lag noch über den Thälern. Nur hier und da tauchten die grünen Kuppen der umliegenden Hügel wie kleine Inseln aus dem endlosen Dunstmeere hervor. Noch drangen kaum die ersten Töne der Frühglocke des nächstgelegenen Kirchleins ganz schwach herauf, als die junge Sennerin, frisch wie eine Alpenblüthe, auf welcher der Morgenthau glänzt, aus ihrer Hütte trat. So schlicht und schmucklos ihr Anzug war, so anmuthig erschien sie darin. Das schwarze verblichene Mieder über dem hellen, faltenreichen Rocke schmiegte sich wie angegossen an den Oberkörper des schönen, vollkräftigen Mädchens; die kurzen, weiten Aermel des blendend weißen Hemdes, das in eine Krause auslief und bis zum Halse reichte, schlossen sich eng gefältelt um den Ellenbogen. Ein leichtes buntes Tuch, lose umgeschlungen, war über der Brust in's Mieder gesteckt, während als einzige Zierde des Hauptes die üppigen Flechten dasselbe wie ein Kranz umgaben.

Indem sie die freundlichen Augen zum Morgenstern erhob, der noch am dämmergrauen Himmel glänzte, und dann selig lächelnd in die Richtung der Leitenmühle schaute, sang sie ihren einfachen Morgengruß mit der ganzen Innigkeit ihres Gemüths.

Du oaschicks Sternei drob'n,
Guat Morg'n in aller Frua!
Weck auf mein' Schatz da drunt' –
Guat Morg'n, mei lieber Bua!

Sichst no' koan Sunnastrahl,
Die Lerchein schlafen eh',
Und do' is all's lebendi',
Is d'Rosel in der Höh.

Denn bal' i denk an di',
Geht's wie der Sunnaschei,
Und wier a' Lerchei singt
Mir unters Mieder nei'.

Ihrem Versprechen getreu, ging sie nun eine Strecke weit gegen die Regaueralm, und ein Jodler, aus dem der ganze Jubel ihrer Seele klang, schallte hell hinüber. Die fröhliche Antwort der Freundin, deren Sennhütte von der nächsten Berghalde herüberschaute, ließ nicht lange auf sich warten, und in freudig gehobener Stimmung jodelte das Mädchen auf dem ganzen Rückweg ihr Glück aus der übervollen Brust in den jungen Tag hinaus.

Auf der Leitenmühle drunten schwirrte heute auch schon die Brettersäge, und der geräumige Hof begann sich zu beleben.

Die kleine schwarze Nandl, in deren Obhut auch das gefiederte Volk gegeben war, hatte demselben eben den Schlag geöffnet. Als sie ihren Schützlingen aus der mit Körnern gefüllten Schürze mit vollen Händen hingestreut und den Futternapf für die Enten zurechtgestellt hatte, sprang sie an den Zaun des Gärtchens, das vor dem Wohnhause lag. Sie suchte sich nicht etwa ein paar Heckenröschen, den am Arme hängenden Strohhut frisch herauszuputzen; zwei purpurrothe handgroße Pfingstrosen, die sich ihr entgegenstreckten, schienen ihr dazu viel passender. Die von Wind und Wetter arg zerknitterte Kopfbedeckung weit von sich haltend, bewunderte sie mit verzückt schielenden Augen den glänzenden Blumenschmuck darauf. Dann warf sie mit einer Bewegung des braunen Köpfchens die widerspenstig über die Brust hängenden schwarzen Flechten in's Genick und ließ noch einige Minuten die kühle Morgenluft über das lebhaft geröthete Gesicht streichen, ehe sie den Hut etwas schief wie ein schneidiger Bub auf das Haar drückte und in's Haus lief.

Der Leitenmüller-Martl kam gerade auch um die Ecke an's Gärtchen geschlichen, überstieg schnell das niedere Stacket und ging musternd von einem blühenden Rosenstrauch zum andern. Bald hatte er die schönsten Rosen entdeckt und einen köstlich duftenden Strauß gebunden, den er, immer umherspähend, ob er nicht überrascht würde, sorgfältig in seinem Hute barg. Er verließ das Gärtchen auf demselben Wege, und hinter der großen Radhütte versteckt, suchte er mit den Augen nach seiner Vertrauten. Dort stand sie noch im Hausgang, mit ihrer Morgenmahlzeit beschäftigt, und lächelnd schaute ihr der Bursche einen Augenblick zu.

Mit einem gewaltigen Stück Schwarzbrod und einer zwischen grüne Blätter gelegten Butterscheibe ausgerüstet, trat sie nun reisefertig aus dem Hause.

Der Ruf: »Nandl!« führte sie schnell hinter die Radhütte, wo sie mit neugierig heiterer Miene wahrnahm, daß aus Martl's Augen wieder die alte Fröhlichkeit blitzte. Der schöne Strauß in seiner Hand verrieth ihr auch sogleich, welcher Auftrag ihrer warte, und daß alles wieder ausgeglichen sei.

»Nandl,« sagte der junge Bursche, »ich schick' dir den Donysl bald nach auf die Wiesen. Nachher tragst den Buschen hinauf zu der Rosel, sagst alles Liebe von mir und daß ich heut nicht kommen kann; aber morgen komm' ich ganz gewiß.«

Das Schafdiendl nickte verständnißvoll. Ein Tuch, das sie, um ihren Proviant vor der Sonne zu schützen, bei sich trug, streifte sie auf ihrem Knie glatt, barg den Strauß sorgfältig darin, und gleich darauf zog sie hinter ihrem vierfüßigen Trupp zum Hofthor hinaus.

Ueber den Liebenden schien an diesem Morgen kein guter Stern zu walten. Gerade heute mußte die Baumsäge so gewaltig stoßen, daß der Leitenmüller schon eine Zeit lang in der Radhütte nach dieser Störung suchte. Durch die Ritzen der alten Bretterwand sah und hörte er alles, was zwischen dem Schafdiendl und seinem Martl vorging. Er zog im ersten Augenblick die buschigen Brauen hoch hinauf, und seine erste Regung war, die Nandl zurückzuhalten. Doch sträubte sich sein Vaterstolz dagegen, den untersten Dienstboten auf dem Hofe über das Verhalten seines Sohnes auszuforschen. Er versank in ein längeres Nachgrübeln über die unvermuthete Entdeckung, und wider Willen lächelnd, verließ er die Hütte. Er zweifelte nicht, daß die Empfängerin des Straußes die Achmüller-Rosel sei, und lobte im Stillen den guten Geschmack seines Sohnes, ohne sich über die Sache viel zu beunruhigen. Denn daß es sich hier um nichts weiter als um eine vorübergehende Liebelei handele und Martl, der stattliche Leitenmüllerssohn, sich nicht an solch eine arme Dirne wegwerfe, dessen glaubte er gewiß zu sein. Gleichwohl nahm er sich vor, mit seinem Aeltesten ein ernsthaftes Wort zu reden. Der alte Brenzlmayr hielt auf strenge Zucht und Ordnung und wollte das unbescholtene Mädchen durch seinen Buben nicht in's Gerede bringen lassen.

Auch der Achmüller verließ heute schon mit dem frühesten Morgen sein Haus, nachdem er vorerst der Schnapsflasche im Wandschränkchen tüchtig zugesprochen, und schlug seinen Weg gegen den Mitterberg ein. Von seiner Säghütte aus machte er in weitem Bogen einen Umweg, um ja nicht in die Nähe der Leitenmühle zu kommen; doch schüttelte er die Faust hinauf und rief mit triumphirender Miene: »Wird auch bald ausgeschnitten sein bei dir da droben; wird dir bald gezeigt werden, wo das Recht ist!« Fest ausschreitend und immer vor sich hin redend, setzte er dann seinen Weg nach der Flintsbacher Wirthsalm fort. Seine innere Rathlosigkeit und Unruhe schien den zähen, auf sein Recht erpichten Mann ordentlich zu jagen, so daß er den langen und steilen Weg in sehr kurzer Zeit zurücklegte.

Das Melken der Kühe war bereits beendet. Die junge Sennerin hatte von einer senkrecht abfallenden Stelle, die zum Schutze gegen einen Sturz mit starken Balken verrammelt war, eben ein paar Kühe weggetrieben, weil sie sich an dem morschen Holzwerk den Nacken allzu kräftig rieben, als sie verwundert ausrief: »Ja, seh ich recht oder nicht recht – das ist ja gar der Vater! Grüß Euch Gott auf der Alm.« Damit sprang sie dem Achmüller entgegen, der über die Almweide auf sie zukam, und reichte ihm die Hand.

»Grüß Gott, Rosel!« war des Achmüllers kurzer Gruß, und mit scharfem Blick musterte er das Mädchen vom Kopf bis zum Fuß.

»Ja, was führt denn den Vater gar einmal herauf zu der Rosel? Die Mutter ist doch gesund und wohlauf?«

Auch auf diese Frage hatte er nur ein stummes Kopfnicken. Dann nahm er sie bei der Hand. »Rosel,« sagte er, »gehen wir in die Hütten hinein; hab' dir gar was Wichtiges zu verzählen.«

Eine schlimme Ahnung, die jetzt zur vollen Gewißheit wurde, war schon beim ersten Anblick des Vaters in dem Mädchen aufgestiegen. Nach dem, was sie gestern erfahren, durchschaute sie seine Absicht. Fest entschlossen, ihm ohne Rückhalt jede Hoffnung abzuschneiden, folgte sie dem alten Manne schweigsam in die Hütte und schob eine lange Bank vor den Feuerherd.

»So, Vater, da setzt's Euch nieder; könnt's schon müd sein vom Steigen. Und gar nichts hat's Diendl für sein Vater: Milch und Käs mögt's nicht, und einen Schnaps hab ich nicht heroben. Aber so redt's doch, Vater. Ihr verzählt ja gar nichts. Wie geht's drunten? Was thut die Mutter?«

Ein Schatten unter der Thüre lenkte plötzlich die Blicke beider dorthin. Es war die schwarze Nandl, die bei dem unverhofften Anblick des Achmüllers schnell den Strauß hinter ihrem Rücken barg und mit einem Sprunge wieder aus der Thüre war; doch zu spät – beide hatten sie schon erblickt. Rosel eilte ihr nach. Die Kleine, die wohl eine Botschaft von Martl brachte, kam ihr wie vom Himmel geschickt.

»Geh nur herein, und sei nicht gar so geschreckig,« sprach sie ihr zu und schob das Mädchen wieder zur Thüre hinein, »mein Vater darf's schon hören … So jetzt, was bringst mir Gutes, Diendl?«

Mit einem mißtrauischen Blick auf den finster vor sich hinstarrenden Achmüller zog Nandl den Rosenstrauß hervor und bestellte ängstlich Martl's Auftrag.

»Jetzt gilt's!« dachte Rosel. »Ich muß dem Vater zuvorkommen und ihm die Schneid' abgewinnen.« Sie fühlte ihr Herz vor Muth klopfen in der Brust, und mit vor Aufregung brennenden Wangen nahm sie der Kleinen den prächtigen Strauß ab.

»So, das hat er dir alles auftragen? O, der liebe Bub!« sagte sie, und stark in der Kraft ihrer Liebe, für die sie den Kampf aufnahm, fühlte sie alle mädchenhafte Scheu schwinden. Alle kindliche Furcht vor dem lieblosen Manne, der lieber Weib und Kind zu Grunde richtete und sein ganzes häusliches Glück in Trümmer gehen ließ, ehe er den Ansprüchen auf sein zweifelhaftes Recht entsagte, trat zurück.

»Da, bring ihm die Almrosen, Diendl,« und sie nahm ein frisches Sträußchen vom Busen und reichte es dem Mädchen. »Sind erst von heut früh. Und sag ihm, wie viel als 's mich freut, wenn er kommt. Jetzt aber geh hinüber in's Milchkammerl und such dir für dich dort das Beste heraus.«

Das Schafdiendl folgte bereitwillig dem Winke. Die junge Sennerin, jetzt völlig gefaßt und ruhig, steckte die Gartenrosen in's Mieder und besah sich wohlgefällig in dem kleinen Spiegel am Fenster, der in Folge eines tüchtigen Risses den Strauß doppelt erscheinen ließ.

Wie versteinert hatte der Achmüller den ganzen Vorgang beobachtet, und die lebhafteste Unruhe und Bestürzung sprachen aus den gefurchten Zügen, als er endlich Worte fand: »Rosel, ich will doch nicht hoffen, daß du einen Buben hast!«

»Ja, Vater, hofft's nur,« entgegnete Rosel unerschrocken und hielt dem durchdringenden Blick des Alten Stand; »es ist der schönste Bub auf hundert Stunden weit. Wachst auch keiner mehr so schön herinn' in den Bergen, als wie der Martl.« Dann nahm sie neben dem völlig verblüfften Achmüller auf der Bank Platz.

»Um Gott's willen, du Sakra-Dirn, das wird doch nicht der Martl vom Leitenmüller sein? Mit dem ich im Proceß bin!«

»Ja, Vater, der ist's; aber wir zwei haben keinen Proceß. No ja,« setzte sie in der Erinnerung an den gestrigen Abend wie zutraulich bei, »gestern haben wir einen gehabt; aber ich hab' ihn gewonnen, Vater. Jetzt ist er aus, und der Martl hat das Siegel drauf druckt mit einem Bußl.« Damit schlug sie herzhaft auf die Kniehose des Alten und lachte so aus innerstem Herzensgrunde, daß es dem Achmüller förmlich einen Riß gab. Seine Augen funkelten sie zornig an; doch das Mädchen ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Den Strauß in beiden Händen haltend und ihn innig betrachtend, summte sie, mit einem stilllächelnden Ausdruck den schönen blonden Kopf wiegend, halblaut vor sich hin:

A' Buß'l is a narrisch's Ding,
Es rüttelt 's ganzi Bluat,
Mar ißt's nit und ma' trinkt's a' nit
Und dengerscht schmeckt's so guat.

»Wenn ich wüßt', daß man von der Milch einen Rausch kriegt,« knurrte der Alte, der immer noch an sich hielt, »thät' ich meinen, du hätt'st einen.«

»Ja, Vater, von der Lieb' kann man auch einen kriegen,« gab Rosel treuherzig zu.

Das krampfhafte Zucken der Lippen verrieth, wie es in der Brust des Achmüllers kochte. Er sah seinen schönen Plan gleich einer Seifenblase zerplatzen, seine letzte, seine einzige Hoffnung an der Entschiedenheit des Mädchens scheitern. Durch die ganze hagere Gestalt zitterte die furchtbarste Aufregung. Plötzlich brach die verhaltene Wuth so heftig los, daß Rosel erschreckt in die Höhe schnellte und in die äußerste Ecke des Hüttenraumes flüchtete. Der Alte war mit zornsprühenden Blicken aufgefahren und drang mit geschwungenem Stocke auf die Tochter ein.

»Jetzt hab' ich genug, Diendl,« schrie er; »mach mich nicht heiß, sonst weis' ich dir, was ein Vater für ein Recht über sein ungerathenes Kind hat. Du ausgearteter Wechselbalg, du heillose Dirn'! Also deswegen hat's dir so pressirt, auf die Alm heraufzukommen, daß du fensterln kannst mit dem Buben, daß du liebäugeln kannst mit dem Erbfeind von deinem alten Vater. So was muß ich an dir erleben. O heiliger Antoni, halt mich, sonst trifft mich noch gar der Schlag!«

Wie kraftlos fiel der Achmüller auf die Bank zurück; die übermäßige Erregung wirkte erschöpfend auf ihn. Mit ängstlichem Gesichte kam Rosel aus ihrem Winkel hervor und näherte sich zögernd dem Alten, der, die Hände auf die Kniee gestützt, kurz athmend vor sich hin starrte. Er schien bereits wieder in seine alten Grübeleien verloren, doch bald fuhr er aus seinem Hinbrüten auf.

»Das ist wieder ein feiner Plan von dem Brenzlmayr,« sagte er für sich und nickte lebhaft mit dem Kopf. »Hat gewiß der Wastl in seiner Herzensfreud ein Wörtl fallen lassen, und daß mich der Tropf von einem Müller ganz zu Grund richten kann, haben sie jetzt dem dummen Diendl den Kopf verdreht. Hilft der Bub auch schon dazu. Sag's ja, der Apfel fallt nicht weit vom Stamm. Ja, was's doch schlechte Menschen auf der Welt gibt! Aber es thut nichts, der letzte hat noch nicht geschoben. War sonst so weit ein folgsames Diendl, vielleicht laßt sich was im Guten richten … Geh, Rosel, setz dich zum Vater her,« sagte er laut in möglichst sanftem Tone, und das Mädchen nahm, ohne den Alten anzusehen, vorsichtig am äußersten Ende der Bank Platz.

»Wie's drunten aussieht auf der Achmühl, brauch' ich dir nicht zu sagen,« begann er mit einer Art rauher Herzlichkeit, »auch nicht, wie groß unsere Noth ist; aber alles kann anders werden, wenn du dasselbe folgsame und brave Diendl bist wie früher. Ich brauch' nichts als ein Geld, dann komm' ich zu meinem Recht; denn nehmen kann mir's kein Gericht auf der Welt und kein Herrgott im Himmel, und nachher kommt auch wieder der alte Wohlstand auf die Achmühl. Schau', Rosel, ich hab' einen guten Freund gefunden, so einen rechten Freund in der Noth, der streckt mir's vor. Es ist ein bildsauberer Mensch, ist in Tirol drüben hausgesessen, hat einen schönen Hof und eine gute Wirtschaft; ist kein so junger Springer mehr, der jedem Diendl schön thut, ist auch nicht alt, grad so mitten durch.« Hier rückte er der Tochter näher, die stumm, mit abgewandtem Gesichte da saß, und indem er sie vertraulich mit dem Ellenbogen anstieß, sagte er bedeutungsvoll: »Dem gefallst du halt gar so viel, der hat schon lang ein Aug auf dich.«

»Vater!« rief die junge Sennerin entrüstet und wollte aufstehen, doch der Alte drückte sie wieder auf ihren Sitz zurück. »Laß mich nur ausreden, Diendl … Paschen thut er wohl ein bissel, aber bei uns herinn in den Bergen treibt ein jeder was; ist mir doch noch lieber als das Wildern. Rosel, dein Vater meint dir's gut; besinn dich nicht lang und greif zu. Schlag dir den Buben aus dem Kopf, den du doch nicht kriegen kannst, wo dir kein Vater den Segen dazu gibt. So ziehst eine Weil' herum damit, bis dein saubers Gesicht'l vergangen ist, nachher laßt er dich sitzen. Da kannst eine Stalldirn' machen, und kräht dich kein alter Gockel mehr an. Sei gescheidt, Madel, nimm den Wastl … so, jetzt ist er mir schon herausgerutscht auch! Daß du's also weißt, es ist der Tirolerwastl; schreibt sich aber eigentlich Sebastian Hinterwallner. Du bist mit einem Mal eine gemachte Frau; dein Vater kommt zu seinem Recht, und bis zum Portiuncula-Ablaß kann's auf der Achmühl ganz anders ausschauen. Heut verlang' ich kein Antwort von dir, ich lass' dir Zeit bis zum Peter- und Pauli-Tag. Da mußt dich entschlossen haben, sonst sollst deinen Vater kennen lernen. Müßt' ich ja glauben, daß ich eine wilde Brennnessel auf'zogen hab', die sich um kein' Vater und um keine Mutter was scheert. Ja mei',« seufzte er schwer auf, »wenn der Proceß nicht wär', möcht' ich bald lieber gestorben sein! Daß ich mein Recht doch noch find', das allein erhalt' mich noch.« Und den grauen Kopf wie lebensmüde sinken lassend, zeichnete er mit seinem Stock Zahl um Zahl in den Staub auf dem Fußboden.

Regungslos hatte das verschüchterte Mädchen dem Achmüller zugehört: nur bei dem Namen Tirolerwastl verzog sich der blühende Mund zu einem verächtlichen Lächeln. Mehr und mehr jedoch gewann sie wieder Muth, und als der umflorte Blick auf den duftenden Rosenstrauß an ihrer Brust fiel, faßte sie den Entschluß, dem Vater in's Herz zu reden und ihn von der Unmöglichkeit seines Begehrens zu überzeugen. Ein Zug innerster Betrübniß zeigte sich auf ihrem Gesichte; denn die in sich versunkene gebeugte Gestalt vor ihr mit den kummervoll gefurchten Zügen und mehr noch der unverdiente Vorwurf der Lieblosigkeit thaten ihr unendlich weh.

Die Hände im Schooße übereinander gelegt, schlug das Mädchen die treuherzigen Augen zum Himmel auf. »O mei Muttergottes,« sagte sie mit einer Stimme, die vor unterdrückter Wehmuth bebte, »gestern hätt' ich den Martl nicht mögen sollen, heut soll ich den Vater nicht mögen! Ist das hart, wenn einen keiner so recht versteht! Dann möcht' mir fast das Herz zerspringen, wenn ich den alten Mann so dasitzen seh … Vater, sagt's mir doch, wo's Euch druckt,« wandte sie sich jetzt in lauterm Tone an den Achmüller. »Euer' Rosel thut ja alles gern! Ich will Tag und Nacht arbeiten, will mich auf eine größere Alm verdingen, wo mehr Stück Vieh sind, will dem Vater meinen ganzen Lohn geben, hab' auch den vorigen Lohn noch und was Zusammengespartes für ein neues Hutbandl und ein gesticktes Mieder. Das will ich alles von Herzen gern dem Vater geben. Aber daß ich sollt' den Martl lassen, … da denkt's nur einmal selber recht nach, Vater, das kann ja gar nicht sein. Wir Zwei gehören zusammen wie das Hörnl und der Mitterberg, und wenn Ihr sagt, ich soll nicht an meinen Buben denken, sagt Ihr grad so leicht, der Inn soll umkehren und soll zurück nach Innsbruck laufen.«

»Seht, Vater,« und sie stand auf und trat nahe vor den Alten hin, »wenn ich an ihn denk', da klopft's da hinterm Brustfleck, und jeder Klopfer sagt Martl. Wenn's da drinn' einmal nimmer klopft und ganz still steht, nachher, Vater, nachher denk' ich erst nimmer dran. Laßt's mir doch die Freud, hab' ja sonst auch keine. Ach mei, was will ich denn … nichts, gar nichts, bin ja leicht zufriedengestellt. Wenn er mir ein Blümel heraufschickt oder wenn ich seinen Juchzer hör', bin ich schon das glücklichste Diendl auf der Welt. An's Heirathen hat noch kein's von uns denkt, und was wär's denn auch? Ich brauch' mit meinem Martl nichts als ein Nestl, wie das Schwalbenpaar da drüben, das wär' mir lieber, als wenn mich der Wastl in ein goldenes Haus hineinführt und mir einen Kammerwagen schickt, so hoch wie der Kirchthurm zu Flintsbach drunten. Ja, die Rosel will eine gute Tochter sein. Aber verlangt's das nicht, Vater. Ich versteh's auch gar nicht recht. Ihr meint, es geht grad so, als wenn man sagt: »Zieh's Mieder aus und leg's Korsettl an,« … aber so lang ich mit dem Mieder nicht das Herz ausziehen kann, so lang geht's auch nicht. Wie man nur so was von einem verlangen kann!« sagte sie halblaut vor sich hin. Wie mit schmerzlicher Befremdung ruhte ihr Blick auf dem Achmüller, der noch immer seine Zeichen auf den Boden schrieb, und eine Thräne zitterte an der Wimper des Mädchens.

»Ich seh' schon, da muß ich anders auftreten, da ist's schon zu weit kommen; aber heut ist nichts zu machen,« brummte der Achmüller, den die lieben herzbewegenden Worte seines Kindes vollkommen ungerührt gelassen hatten. Er stand auf und wandte sich in barschem Tone an das Mädchen. »Dabei bleibt's … auf Peter und Pauli will ich was anders von dir hören. Ich will auch die Mutter heraufschicken – aber halt, nein, das darf nicht sein!« unterbrach er sich flüsternd und drehte sich rasch um. »Der Wastl soll ein paar Mal einkehren, soll auch was springen lassen, der Knauser; ein seidenes Tüchel hat oft schon mehr ausgericht', als die längste Red',« murmelte er in sich hinein.

»Aber von dem Geld, wovon du vorhin gesagt hast,« damit kehrte er sich plötzlich wieder gegen das Mädchen, »könntest wohl dem Vater was aufzuheben geben.«

»Ja gern, recht gern,« sagte Rosel, und schnell holte sie aus einer buntbemalten Truhe, tief unter ihrem Sonntagsstaat versteckt, einen blauen Strumpf hervor, in den etwas Geld eingebunden war, und reichte ihn dem Vater. Ueber das ganze Gesicht schmunzelnd, schob ihn der Alte mit rascher Bewegung ein, und mit den wieder scharf betonten Worten: »So, jetzt b'hüt dich Gott, Rosel; bekehr dich bald, sonst sollst deinen Vater kennen lernen!« machte er sich eilig davon.

Mit wehmüthiger Empfindung hatte das Mädchen dem Manne nachgeschaut, wie er, ohne sich nur einmal umzuschauen, hastigen Schrittes den Weg an die Tirolergrenze einschlug. Endlich ging sie mit der treuherzig geflüsterten Klage: »O, mei Vater, du weißt halt nicht, was's um die Lieb' ist!« in die Hütte zurück.


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