Felix Mendelssohn Bartholdy
Reisebriefe
Felix Mendelssohn Bartholdy

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Charney, den 6. August 1831.

Ihr lieben Schwestern!

Ihr habt zwar Ritter's Afrika ganz gelesen, aber wo Charney liegt, wißt Ihr doch nicht. Also holt einmal die alte Reisekarte von Keller heraus, denn Ihr müßt mich nun auf meiner Wanderung begleiten können. Geht mit dem Finger von Vevay nach Clarens und dann gegen die Dent de Jaman zu, auf einem Strich. Der Strich bedeutet einen Fußweg, und wo Ihr mit dem Finger geht, bin ich heut Morgen mit den Beinen gegangen (denn es ist jetzt erst ½ 8 Uhr und ich bin noch nüchtern). Hier will ich frühstücken, und schreibe in einer netten hölzernen Stube bis die Milch warm ist. Draußen guckt der helle blaue See herein; ich fange hiermit mein Tagebuch an, und will es auf der Fußreise, so gut es geht, fortsetzen.

Nach dem Frühstück.

Gott, denkt Euch das Malheur! Eben sagt mir die Wirthin mit dem betrübtesten Gesicht, es sei kein anderer Mensch im Dorfe, um mir den Weg über die Dent zu zeigen, und mein Bündel zu tragen, als ein junges Mädchen! die Männer hätten alle zu thun. Ich gehe nämlich Morgens früh immer allein aus, mit Sack und Mantel auf dem Rücken, weil wir die Führer aus den Wirthshäusern zu theuer, und zu langweilig sind. Der erste Junge, der ehrlich aussieht, wird nach einem Paar Stunden gemiethet, und dabei fahre ich viel besser zu Fuß. Wie reizend der See und der Weg hierher waren, sage ich nicht. Denkt Euch alle Schönheit die Ihr damals genoßt. Der Fußweg ist immer schattig, unter Nußbäumen, die Hügel hinauf, – bei Landhäusern und Schlössern vorbei, am See hin, der durch's Laub glänzt; überall Dörfer; in den Dörfern rauscht es stark von Brunnen und Quellen an allen Ecken; dann die zierlichen Häuser, – es ist doch gar zu schön, und es wird Einem gar zu frei und wohl! – Eben kommt das Mädchen mit ihrem Flaschenhut; sie ist noch dazu wunderhübsch, und heißt Pauline. Jetzt nimmt sie meine Sachen in ihre Weinkiepe; und so wollen wir auf den Berg fort. Adies. –

Abends in Chateau d'Oer bei Licht.

Ich habe die reizendste Reise gehabt. Könnt' ich Euch solch einen Tag verschaffen, was wollte ich nicht darum geben; aber Ihr müßtet dazu erst zwei Jungen werden, tüchtig klettern können, Milch trinken nach der Gelegenheit, Euch aus vieler Hitze, vielen Steinen, vielen Löchern im Wege, noch mehr Löchern im Stiefel gar nichts machen; dazu seid Ihr viel zu zierlich, glaub' ich. Aber schön war es! Meine Reise mit Pauline soll niemals vergessen werden; die war eins der nettesten Mädchen, die ich in meinem Leben getroffen habe, so hübsch und gesund, und natürlich klug. Sie erzählte mir Geschichten aus ihrem Dorfe, und ich ihr welche aus Italien; aber ich weiß, wer den andern mehr amüsirt hat. Vorigen Sonntag waren alle jungen Leute von Distinktion aus ihrem Dorfe nach einem Ort weit über die Berge gezogen, um da Nachmittags zu tanzen. Sie gingen kurz nach Mitternacht fort, kamen auf die Berge, als es noch finster war, machten sich ein großes Feuer, und kochten Kaffee; gegen Morgen sprangen die Männer in die Wette vor den Damen (wir kamen beim zerbrochenen Zaun vorbei, der es bezeugte), dann tanzten sie, und waren Sonntag Abend wieder alle zu Hause. Montag früh ging die Arbeit in den Weinbergen wieder an. Bei Gott, ich bekam viel Lust ein Waadter Bauer zu werden, als ich ihr so zuhörte, und sie mir von oben die Dörfer zeigte, wo man tanzt, wenn die Kirschen reif sind; andere, wo man tanzt, wenn die Kühe auf die Weide gehen, und es Milch giebt. Morgen tanzt man gar in St. Gingoulph; sie fahren zu Wasser über den See; und wer Musik kann, nimmt sein Instrument mit; aber sie fährt nicht mit hinüber, weil ihre Mutter es nicht erlaubt, aus Furcht vor dem breiten See, und darum gehen auch viele andere Mädchen nicht hin, weil sie zusammenhalten. Dann bat sie mich um Erlaubniß, ihrer Cousine guten Tag zu sagen, und stieg hinunter ins zierliche Haus auf der Wiese; bald kamen die beiden Mädchen heraus, setzten sich auf die Bank, und plauderten. Oben auf dem Col de Jaman sah ich gar ihre Verwandten, die mäheten, und Kühe weideten; das war ein Zurufen und Schreien! darauf dudelten Die drüben; dann lachten sie alle; ich verstand kein Wort vom Patois, außer dem Anfang, der hieß Adieu Pierrot! Zu alledem gab es ein lustiges, tolles Echo, das schrie, und lachte, und dudelte mit; und so kamen wir gegen Mittag in Allière an. Als ich mich ausgeruht hatte, nahm ich mein Bündel wieder selbst auf den Rücken; denn mich ärgerte ein dicker alter Knecht, der es mir tragen wollte; wir gaben uns die Hand, und nahmen Abschied. Ich stieg die Wiesen hinunter, und wenn Euch Pauline nicht gefällt, oder gar gelangweilt hat, so kann ich nicht dafür, sondern die Beschreibung; in der Wirklichkeit war es nett. Und so auch die weitere Reise. Ich kam an einen Kirschbaum, wo die Leute Obst lasen, legte mich zu ihnen in's Gras, und aß ein Weilchen mit; dann hielt ich Mittagsruhe in Latine, in einem hölzernen, reinlichen Hause. Der Tischler, der es gemacht hatte, leistete mir Gesellschaft bei einem Lammbraten, und zeigte mit Stolz auf jeden Tisch, den Schrank und die Stühle. Endlich heut Abend bin ich hier angekommen, durch die blendend grünen Wiesen, auf denen die Häuser herum stehen, zwischen Tannen und Quellen; die Kirche hier liegt auf einem kleinen sammtgrünen Hügel; ganz weit hin noch Häuser, und weiter Hütten und Felsen, und in einer Schlucht noch ein wenig Schnee über den Wiesen; es ist einer der idyllischsten Orte, wie wir zusammen etwa in Wattwyl einen gesehen haben, aber das Dorf kleiner, und die Berge breiter und grüner. Den heutigen Tag aber muß ich mit einer Lobrede auf den Canton Waadt schließen. Von allen Ländern die ich kenne, ist dies das schönste, und das, wo ich am liebsten leben möchte, wenn ich recht alt würde. Die Leute sind so zufrieden, und sehen so wohl aus; das Land ebenso. Kommt man aus Italien, so wird Einem hier oft ganz weinerlich zu Muthe über die Ehrlichkeit, die doch noch in der Welt ist; über frohe Gesichter; über den Mangel an Bettlern, an mürrischen Beamten; über dies völlige Gegentheil unter den Menschen. Ich möchte Gott danken, daß er manches gar so schön gemacht hat, und wolle er uns allen in Berlin, England und Chateau d'Oer einen frohen Abend schenken, und gute Nacht.

Boltigen, den 7. August.

Abends. Draußen blitzt und donnert es ganz entsetzlich, und regnet dazu mit Macht; in den Bergen lernt man erst vor dem Wetter Respekt haben. Ich bin nicht weiter gekommen, weil es zu Schade gewesen wäre, das schöne Simmenthal unter dem Regenschirm zu durchwandern. – Es war ein grauer Tag, aber der Vormittag zum Gehen sehr schön kühl; das Thal bei Saanen, und der ganze Weg ist unbeschreiblich frisch und erfreulich. Am Grün kann ich mich gar nicht satt sehen; ich glaube wenn ich mein Lebelang so eine hügelige Wiese, mit einem Paar rothbrauner Häuser darauf anguckte, würde ich immer noch dieselbe Freude daran haben. Und zwischen solchen Wiesen windet sich der ganze Weg hin; an den Bächen hinauf und herunter. Zu Mittag in Zweisimmen war ich in einem von den ungeheuern Berner Häusern, wo alles glänzt, voll Nettigkeit, Reinlichkeit und bis ins Kleinste genau und zierlich. Dort gab ich mein Bündel auf die Post nach Interlaken, und gehe nun förmlich spazieren durch's Land; mein Nachthemde in der Tasche, sammt Bürste, Kamm und Zeichenbuch. Mehr brauche ich nicht. Aber ich bin sehr müde, – wenn nur morgen hübsch Wetter wird! –

Wimmis, den 8ten.

Prost Mahlzeit! Es ist drei Mal so toll. Meinen Plan, heut nach Interlaken zu kommen, muß ich aufgeben, denn es ist nicht durchzukommen. Seit vier Stunden fällt das Wasser so gerade herunter, als würden die Wolken oben ausgequetscht; die Wege sind so weich wie Federbetten; von den Bergen sieht man nur einzelne Fetzen, und auch die selten; es kam mir zuweilen vor, als sei ich in der Mark Brandenburg, und das Simmenthal sah ganz flach aus. Mein Zeichenbuch mußte ich unter die Weste knöpfen, denn der Regenschirm half bald nichts mehr, und so bin ich gegen 1 Uhr zum Mittagbrod hier angelangt. Mein Frühstück nahm ich in folgendem Ort:

Weißenburg, 8. August.

Ich zeichnete es dort gleich mit der Feder für Euch hin, also spottet nicht über das geniale Wasser. In Boltigen war ich die Nacht sehr schlecht. Im Wirthshaus war kein Platz, wegen Kirmes. Ich mußte also in ein Nachbarhaus. Da gab's Ungeziefer wie in Italien, eine knarrige Wanduhr, die alle Stunden mit großem Lärm schlug, und ein kleines Kind, das die ganze Nacht schrie. Das Kind mußte ich wirklich ein Weilchen beobachten; es schrie in allen Tönen; alle Affekte kamen darin vor; es war grimmig, dann wüthend, dann weinerlich und wenn es nicht mehr schreien konnte, grunzte es ganz tief. Jetzt sage mir Einer, man solle die Kinderjahre zurückwünschen, weil die Kinder glücklich seien; ich bin überzeugt, solch ein kleines Balg ärgert sich ganz eben so gut wie Unsereins; hat auch seine schlaflosen Nächte, seine Leidenschaften, und so fort. Diese philosophische Betrachtung fiel mir heut morgen ein, während ich Weißenburg zeichnete, und wollte sie Euch brühwarm mittheilen; aber da lag ein Constitutionel, in dem las ich, daß Casimir Perier seine Entlassung haben will, und manches Andere, was zu denken giebt; unter andern einen merkwürdigen Artikel über die Cholera, den man abschreiben sollte, so toll ist er. Sie wird darin ganz und gar geläugnet; in Danzig habe sie nur ein Jude gehabt; der sei aber auch genesen. Gleich darauf eine Menge Hegeleien auf Französisch; dann die Wahlen der Deputirten, – o Welt! Sobald ich ausgelesen hatte, mußte ich wieder in den Regen, und durch die Wiesen fort. Es ist wirklich in keinem Traum solch reizendes Land zu sehen, wie dies; selbst im tollsten Wetter machen sich die Kirchlein, die Menge Häuser und Büsche und Quellen gar zu schön. Und nun gar das Grün, das war heut recht in seinem Element. Jetzt gießt es draußen, und ist doch schon lange nach Tische. Heute Abend komme ich nicht weiter, als Spiez. Es thut mir Leid darum, daß ich weder dies hier, was wunderschön zu liegen scheint, noch Spiez, das ich aus Röselschen Zeichnungen kenne, werde sehen können. Hier ist eigentlich die Pointe vom ganzen Simmenthal, und daher heißt es auch in dem alten Liede:

Das habe ich heute den ganzen Tag gesungen auf der Straße. Das Siebethal hat sich aber für das Compliment nicht bedankt, sondern hat fortgeregnet.

Wyler.

Abends. In Spiez wurden wir nicht angenommen; es ist da gar kein Wirthshaus zum Übernachten. Ich mußte also hieher zurück. An der Lage von Spiez hatte ich meine Freude; ganz in den See hineingebaut auf einem Felsen, mit vielen Thürmchen, Giebelchen und Spitzchen; ein Schloßhof mit Orangerie; ein mürrischer Edelmann mit zwei Jagdhunden hinter sich; ein kleines Kirchlein; Terrassen mit bunten Blumen; es macht sich allerliebst. –

Morgen sehe ich es noch von der andern Seite, wenn das Wetter das Sehen gar erlaubt. Es hat heut drei Stunden nach einander gegossen; ich bin noch tüchtig naß geworden auf dem Wege hieher. Prächtig sind die Waldströme bei solchem Wetter; sie rasen und wüthen. Ich kam über solch einen Teufel, die Kander; die war ganz außer sich, sprang, und tobte, und schäumte; dazu sah sie ganz braun aus, und der Schaum gelblich, und spritzte weit umher. Von den Bergen kam nur hie und da ein schwarzer Zacken aus den hellen Regenwolken; sie hingen heut so tief in den Thälern, wie ich es nie gesehen hatte. Der Tag war doch schön!

Wyler, den« 9ten Morgens.

Heut ist's noch toller. Hat die ganze Nacht durch gegossen, und gießt schon den ganzen Morgen. Ich habe aber hinsagen lassen, in solchem Wetter ginge ich gar nicht fort, und wenn sie nicht aufhörten, schriebe ich heute Abend noch aus Wyler. – Einstweilen habe ich Gelegenheit mit meinen Schweizer Wirthen Bekanntschaft zu machen. Naiv sind sie! Ich konnte meine Schuhe nicht anziehen, weil sie vom Regen eingelaufen waren; die Wirthin fragte, ob ich einen Schuhanzieher haben wollte, und da ich ja sagte, brachte sie mir einen Eßlöffel. Es geht aber auch damit. Und dann sind sie starke Politiker. Über meinem Bette hängt eine scheußliche Fratze, unter der steht: Brinz Baniadofsgi. Wenn er nicht eine Art polnisches Kostüm hätte, wär's schwer 'rauszukriegen, ob es ein Mann, oder eine Frau sein soll; weder aus dem Bilde, noch aus der Unterschrift wird es ganz klar.

Abends in Unterseen.

Aus dem Spaß ist bittrer Ernst geworden, wie denn das in der heutigen Zeit leicht kommen mag. Das Wetter hat furchtbar geras't, großen Schaden gethan, Verwüstungen angerichtet; die Leute wissen sich keines ärgeren Sturmes und Regens seit vielen Jahren zu entsinnen. Und das Alles geht mit so unbegreiflicher Schnelligkeit. Heut früh war noch blos unangenehm schlechtes Wetter, und heut Nachmittag sind alle Brücken fort, die Passagen augenblicklich gehemmt, am Brienzer-See giebt es Erdfälle, alles ist in Aufruhr. Eben erfahre ich auch noch unten, daß der Krieg in Europa erklärt ist; so sieht es freilich wild und wüst in der Welt aus, und man muß sich freuen, wenn man nur für den nächsten Moment eine warme Stube, und ein behagliches Obdach hat, wie ich hier. Es hielt heut früh einen Augenblick mit regnen inne, und ich dachte, die Wolken hätten sich erschöpft. So ging ich von Wyler weg, und fand schon gleich die Wege sehr verdorben; aber es sollte anders kommen. Der Regen fing leise wieder an, und platzte auf einmal gegen Neun mit solcher Heftigkeit los, und so im Moment, daß man gleich merkte, es müsse was besonderes im Werke sein. Ich kroch unter in eine angefangene Hütte, in der ein großer Heuhaufen lag, und bettete mich ganz bequem im wohlriechenden Heu; ein Soldat vom Canton, der nach Thun wollte, kroch auch von der andern Seite hinein, und nach einer Stunde, da es nicht besser wurde, gingen wir nach beiden Seiten weiter; ich mußte in Leisingen noch einmal unter Dach treten, und wartete lange; aber da meine Sachen in Interlaken waren, wohin nur noch zwei Stunden sind, so dachte ich es zu zwingen, und ging gegen Eins fort, auf Interlaken zu. Es war durchaus nichts zu sehen, als der graue Seespiegel; kein Berg, – selten die Linien des gegenüberliegenden Ufers. Die Quellen, die, wie Ihr Euch erinnert, oft in den Fußwegen laufen, waren zu Strömen geworden, in denen man fortwaten mußte; wenn nun der Weg sich hinaufschwang, stand das Wasser still, und bildete einen See. Dann mußte ich über die nassen Hecken springen, in die sumpfigen Wiesen hinein; die kleinen Baumstämme, auf denen man über die Bäche geht, lagen unter dem Wasser. Einmal kam ich zwischen zwei solche Bäche, die sich in einander ergossen, und mußte nun eine ganze Weile bis ans Schienbein gegen den Strom angehen. Dazu ist alles Wasser schwarz oder chokoladenbraun; es sieht aus, als fließe lauter Erde da, und springe über einander. Von oben regnete es in Strömen; der Wind schüttelte zuweilen von den nassen Nußbäumen das Wasser herab; die Wasserfälle, die in den See gingen, donnerten ganz entsetzlich von beiden Ufern her; – man konnte weithin die braunen Streifen verfolgen, die sich in das helle Seewasser zogen; und zu alledem war der See ganz still, und kaum bewegt, und empfing ruhig all das tolle Brausen, das auf ihn hineinfuhr. Nun kam mir ein Mann entgegen, der hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen und die Hosen hinaufgestreift. Da wurde mir etwas bange. Drauf begegneten mir ein Paar Weiber, und sagten: ich könne nicht durchs Dorf, die Brücken seien alle fort. Ich fragte, wie weit ich noch nach Interlaken hätte? Eine Stunde spitz, antworteten sie. Umkehren ging gar nicht; ich ging also vorwärts in's Dorf. Da schrien mich gleich aus den Fenstern die Leute an, ich könne nicht weiter, das Wasser komme zu stark von den Bergen herunter, und wirklich war in der Mitte des Dorfes schon eine wilde Wirtschaft. Der schmutzige Strom hatte alles mitfortgenommen, lief um die Häuser herum, in die Wiesen hinein, die Fußsteige hinauf, und donnerte unten in den See. Zum Glück war ein Kähnchen da; in dem ließ ich mich nach Neuhaus übersetzen, obwohl die Fahrt auf dem offenen Kahn, im schärfsten Regen, auch nicht süß war. Mein Zustand in Neuhaus war ziemlich elend; – ich sah aus, als trüge ich Stulpstiefeln auf meinen hellen Beinkleidern: Schuhe, Strümpfe und alles bis an die Knie war dunkelbraun; dann kam die wirkliche weiße Farbe, dann ein weicher, blauer Überrock; sogar das Zeichenbuch, das ich unter die Weste geknöpft hatte, war naß. Solchergestalt kam ich nach Interlaken, und wurde unfreundlich empfangen; die Leute konnten oder wollten mir keinen Platz geben, und so mußte ich zurück nach Unterseen, wo ich ganz vortrefflich wohne und mich befinde. Es ist aber sonderbar: ich hatte mich die ganze Zeit darauf gefreut, wieder in's Wirthshaus zu Interlaken zu kommen, wo ich viel Erinnerungen haben konnte, und wirklich fuhr ich auch mit meinem Neuhäuser Wägelchen auf dem Nußbaumplatz vor, und sah die wohlbekannte Glasgallerie; auch trat die schöne Wirthin, freilich verändert und gealtert, in die Thüre; – da hat mich denn das ganze Unwetter und alle Unbequemlichkeit nicht so verdrossen, wie daß ich dort nicht bleiben konnte. Seit Vevay war ich dadurch zum erstenmale auf eine halbe Stunde verstimmt, und mußte Beethovens As dur-Adagio

drei- oder viermal singen, ehe ich wieder zurecht kam. Hier erfuhr ich nun erst, welchen Schaden das Wetter gethan hat, und noch thun kann, denn es gießt fortwährend. (½ 10 Uhr Abends.) Die Brücke bei Zweilütschenen ist heruntergerissen; die Fuhrleute aus Brienz und Grindelwald wollten nicht nach Hause fahren, aus Furcht ein Paar Felsen auf den Kopf zu bekommen; das Wasser hier steht anderthalb Fuß unter der, Aarbrücke; wie traurig der Himmel aussieht, ist gar nicht zu beschreiben. Hier kann ich es nun abwarten; ich brauche ja ohnehin keine Umgebungen, um Erinnerungen hervorzurufen. Sie haben mich sogar in ein Zimmer gewiesen, wo ein Clavier steht, und zwar ist es vom Jahr 1794, hat im Klange viel Ähnlichkeit mit dem alten, kleinen Silbermann auf meiner Stube, und so habe ich es gleich beim ersten Accorde liebgewonnen, und kann dabei auch wohl an Euch denken. Es hat manches erlebt, das Clavier, und es sich wohl nicht träumen lassen, daß ich noch einmal darauf componiren sollte, der ich erst 1809 geboren bin; das sind nun auch starke zweiundzwanzig Jahre her, indessen ist das Clavier schon Siebenunddreißig alt, und noch lange frisch! Es sind wieder neue Lieder unterwegs, liebe Schwestern! Mein Hauptlied aus E dur »Auf der Reise« kennt Ihr auch noch nicht; es ist sehr sentimental. Jetzt mache ich eins, das nicht gut wird, fürchte ich; aber für uns Drei muß es schon angehen, denn es ist sehr gut gemeint; der Text ist von Goethe, aber ich sage nicht was; es ist zu toll, gerade das zu componiren; es paßt auch gar nicht zur Musik; aber ich fand es so himmlisch schön, daß ich es mir singen mußte. Für heut ist's aus. Gute Nacht, Ihr Lieben!

Den 10ten.

Es war heute das klarste Wetter, und der Sturm ist vorüber; wollte, daß es mit allen Stürmen so schnell endigte, und sich aufklärte! Ich habe einen herrlichen Tag zugebracht, gezeichnet, componirt, und Luft getrunken. Nachmittags war ich zu Pferd in Interlaken; – zu Fuß kann jetzt kein Mensch dahin; der ganze Weg steht unter Wasser, so daß man selbst zu Pferd ganz naß wird. Auch hier im Ort sind die Straßen überschwemmt und gesperrt; in Interlaken ist es aber doch zu schön! Es wird Einem gar zu winzig zu Muthe, wenn man sieht, wie herrlich der liebe Herrgott die Welt gemacht hat, und herrlicher kann man sie nicht sehen, als da. – Ich zeichnete für Vater einen der Nußbäume, die er so liebt, sowie ich auch einmal ein ordentliches Berner Haus für ihn treu nachzeichnen will. Eine Menge Gesellschaften, Herren, und Damen, und Kinder zogen vorbei, und guckten mich an; ich dachte, die hätten es jetzt so gut, wie ich damals, und hätte ihnen gern zugerufen, sie möchten es doch nicht vergessen! Abends glühten die Schneeberge in den klarsten Formen, und in den schönsten Farben. Als ich zurückkam wollte ich Notenpapier haben; man wies mich an den Pfarrer, – der an den Forstmeister, und von dessen Tochter habe ich denn zwei sehr feine, zierliche Bogen bekommen. Das Lied von dem ich gestern schrieb, ist schon fertig; es drückt mir doch das Herz ab, es Euch zu sagen, was es ist – aber lacht mich nicht zu sehr aus – nichts anderes als – aber haltet mich nicht für wasserscheu – »die Liebende schreibt« das Sonett.In dem Liederheft Opus 86, unter den nachgelassenen Werken Opus 15. Ich fürchte übrigens, es taugt nichts; es ist, glaub' ich, mehr hineingefühlt, als herausgekommen; indessen ein Paar gute Stellen sind doch darin, und morgen mach ich noch ein kleines von Uhland. Auch ein Paar Claviersachen rücken wieder an. Ich habe leider durchaus kein Urtheil über meine neuen Sachen, – weiß nicht ob sie gut oder schlecht sind, und das kommt daher, weil seit einem Jahr alle Leute, denen ich was von mir vorspiele, es glattweg wunderschön gefunden haben, und das thut es halt nimmermehr! Ich wollte, daß mich Einer mal wieder vernünftig heruntermachen könnte; oder was noch hübscher wäre, vernünftig loben; da würde ich selbst es nicht immer thun wollen, und mißtrauisch gegen mich sein. Indessen muß man doch einstweilen immerfort schreiben. – Beim Förster habe ich erst erfahren, daß das ganze Land verwüstet ist; von allen Seiten kommen traurige Nachrichten. Die Brücken sind überall im Haslithal fort; auch Häuser und Hütten; ein Mann von Lauterbrunnen ist heut hergekommen, der hat bis an die Brust im Wasser gehen müssen; die Fahrstraße ist ruinirt, und was mir ganz unheimlich war: es ist Nachricht da, daß die Kander eine Menge Hausgeräth und Möbel herbeigetragen hat, man weiß noch nicht woher. Zum Glück fällt daß Wasser schon wieder, aber der Schaden wird nicht so schnell hergestellt sein. Mein Reiseplan ist dadurch nun auch unsicher geworden; denn wenn irgend Gefahr ist, gehe ich nicht in die Berge.

Den 11ten.

Und somit schließe ich mein erstes Stück Tagebuch an Euch, und schicke es ab. Morgen fange ich ein neues an, denn morgen denke ich nach Lauterbrunnen zu gehen. Für Fußgänger ist der Weg praktikabel; von Gefahr keine Rede; es sind heute schon Reisende von dort gekommen; für Wagen aber wird die Straße in diesem ganzen Jahre nicht wieder zu passiren sein. Dann will ich über die kleine Scheideck nach Grindelwald; über die große nach Meiringen; über Furka und Grimsel nach Altorf; und so nach Luzern, wenn Sturm, und Regen, und alles andere, d. h. wenn Gott will. Heut früh war ich auf dem Harder, und sah die Berge in der schönsten Pracht; so klar glühend, wie gestern Abend und heut früh, hab' ich die Jungfrau noch nie gesehen. Dann ritt ich wieder nach Interlaken, wo ich meinen Nußbaum fertig zeichnete; dann hab' ich ein wenig componirt; dann wurden der Tochter des Försters auf das übrige Notenpapier drei Walzer geschrieben, und höflich überbracht, und eben komme ich von einer Wasserexpedition her, die ich nach einem überschwemmten Lesecabinet gemacht, um zu sehen, wie es den Polen geht. Leider steht aber durchaus nichts davon in den Zeitungen. Nun will ich packen bis Abend, aber es wird mir ordentlich schwer, dies Zimmer hier zu verlassen; es ist so wohnlich, und mein liebes Clavierchen werde ich gar zu sehr vermissen. Die Aussicht aus dem Fenster will ich Euch noch auf die Rückseite mit der Feder malen und mein zweites Lied aufschreiben; dann geht auch Unterseen zur Erinnerung. Ach wie schnell! Ich citire mich selbst; das ist nicht sehr bescheiden, aber es fällt Einem nur gar zu oft ein, wenn die Tage abnehmen, wenn man die Reisekarte von einem Blatt aufs andere schlägt, wenn erst Weimar, dann München, dann Wien ein Jahr her ist!

Na hier ist mein Fenster!

skizze: Mendelsohn

Eine Stunde später. Der Plan ist geändert, und ich bleibe noch bis übermorgen. Die Leute meinen, die Wege wurden [sic] dann merklich besser sein, und zu sehn, und zu zeichnen giebt es hier noch genug.

Seit 70 Jahren hat die Aar nicht so hoch gestanden; heute warteten sie mit Stangen und Haken auf der Brücke, um die einzelnen Stücke der abgerissenen Brücken aufzufangen. Das sah nun ganz sonderbar aus, wenn so von fern aus den Bergen ein schwarzes Ding geschwommen kam, das man endlich für ein Stück Geländer, oder einen Querbalken, oder dergleichen erkannte, wie sie dann alle zusammenliefen, und darauf los hakten, und endlich das Ungethüm aus dem Wasser holten. Aber genug Wasser, d. h. genug Tagebuch. Es ist nun Abend und dunkel geworden, – ich schreibe bei Licht, und möchte eigentlich gern an Eure Thür klopfen, und mich an den runden Tisch zu Euch setzen. Es ist wieder die alte Geschichte: wo es am schönsten und am heitersten ist, und wo ich mich so recht wohl und behaglich fühle, da fehlt Ihr mir erst recht, und da möchte ich am liebsten mit Euch zusammen sein. Wer weiß denn aber, ob wir nicht ebenso noch einmal in Jahren hier zusammenkommmen, und dann an heute denken, wie jetzt an damals, und weil das eben Niemand weiß, so will ich auch nicht weiter darüber nachdenken, sondern mein Lied aufschreiben, nach den Bergen noch ein wenig gucken, Euch Allen Glück und frohes Leben wünschen, und mein Tagebuch zumachen.

Felix.

Auf Flügeln des Gesanges
Herzliebchen trag' ich dich fort.
Fort nach den Fluren des Ganges,
Dort weiß ich den schönsten Ort.

Dort liegt ein blühender Garten
Im stillen Mondenschein;
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schwesterlein.

Die Veilchen kichern und kosen
Und schaun nach den Sternen empor;
Heimlich erzählen die Rosen
Sich duftende Märchen ins Ohr.

Es hüpfen herbei und lauschen
Die frommen, klugen Gazell'n;
Und in der Ferne rauschen
Des heiligen Stromes Well'n.
Heinrich Heine

Lauterbrunnen, den 13. August 1831.

Fortsetzung.

Ich komme eben von einem Spaziergange, gegen den Schmadri Bach und das Breithorn zu, her. Alles was man sich von der Größe und dem Schwunge der Berge denkt, ist niedrig gegen die Natur. Daß Goethe aus der Schweiz nichts anderes zu schreiben gewußt hat, als ein Paar schwache Gedichte, und die noch schwächeren Briefe, ist mir ebenso unbegreiflich wie vieles andere in der Welt. Der Weg hierher war wieder einmal toll. Wo vor sechs Tagen die schönste Fahrstraße war, ist jetzt ein wüstes Felsengewirr, ungeheure Blöcke in Menge, kleines Geröll, Sand, – keine Spur menschlicher Arbeit mehr zu sehen. – Die Wasser sind zwar ganz gefallen, aber sie können sich noch immer nicht beruhigen; man hört von Zeit zu Zeit, wie die Steine darin durcheinander geworfen werden; auch die Wasserfälle rollen mitten im weißen Staub schwarze Steine herunter in's Thal. – Mein Führer zeigte mir ein zierliches neues Haus, das mitten im wilden Bach stand; es gehöre seinem Schwager, sagte er, und umher sei eine schöne Wiese gewesen, die sehr viel eingebracht habe; der Mann habe das Haus in der Nacht verlassen müssen, die Wiese sei für ewige Zeiten verschwunden, und Kiesel und Steine an ihrer Stelle; »er ist nie reich gewesen, aber nun ist er arm geworden,« beschloß er die ernsthafte Geschichte. Sonderbar ist's, daß mitten in dieser entsetzlichen Verwüstung (die Lütschine hat die Breite des ganzen Thals eingenommen), mitten unter den sumpfigen Wiesen, und den Steinblöcken, wo keine Idee einer Straße mehr ist, – daß da ein Char-à-banc steht, und wahrscheinlich für's erste auch stehen bleibt. Die Leute wollten gerade während des Sturms durchfahren; da kam das Wetter, – sie mußten Wagen und alles im Stich lassen, und der steht nun da, und wartet. Es war mir ordentlich graulich, wie wir an die Stelle kamen, wo das ganze Thal, mit Straße und Dämmen, ein weites Steinmeer ist, und wie mein Führer, der vorausging, immer leise für sich sagte: »'sisch furchtbar«. Mitten im Bach hat das Wasser ein Paar große Baumstämme angeschleppt, in die Höhe gerichtet, und augenblicklich ein Paar Felsen so dagegen geworfen, und sie so eingekeilt, daß die kahlen Bäume mitten im Flußbett halb aufrecht stehen. Ich würde nicht aufhören können, wenn ich Euch alle Formen der Verheerung erzählen wollte, die man von Unterseen bis hier sieht. Aber die Schönheit des Thals hat dabei einen größern Eindruck auf mich gemacht, als ich sagen kann; es ist unendlich Schade, daß Ihr damals nicht tiefer hinein, als bis zum Staubbach gegangen seid; von da fängt eigentlich das Lauterbrunner Thal erst an; der schwarze Mönch, mit allen Schneebergen dahinter, wird immer gewaltiger, mächtiger; von allen Seiten kommen helle Staubwasserfälle in's Thal; den Schneebergen und Gletschern im Hintergrunde nähert man sich immer mehr durch die Tannenwälder, und die Eichen und Ahornbäume; die feuchten Wiesen waren mit einer Unzahl bunter Blumen bedeckt, – Einblatt, wilde Scabiosen, Glockenblumen, und so viele andere; auf der Seite warf die Lütschine ihre Blöcke über einander, und hatte Felsen gebracht, wie mein Führer sagte: »größer wie ein Ofen«; dann die geschnitzten braunen Häuser, die Hecken – es ist über Alles schön! – Leider konnten wir nicht zum Schmadri Bach gelangen, da Brücken, Wege und Stege fort sind; doch werde ich den Spaziergang nie vergessen; ich habe auch versucht, den Mönch zu zeichnen; aber wo will man mit dem kleinen Bleistift hin? Hegel sagt zwar, jeder menschliche Gedanke sei erhabener, als die ganze Natur, aber hier finde ich das unbescheiden. Der Satz ist sehr schön, nur verwünscht paradox; ich werde mich einstweilen an die ganze Natur halten; man fährt viel sicherer dabei.

Die Lage des Wirthshauses hier kennt Ihr, und wenn Ihr Euch nicht mehr darauf besinnen könnt, so nehmt mein ehemaliges Schweizerzeichenbuch; darin habe ich es verzeichnet (in jedem Sinn), und einen Fußweg vorne hinein erfunden, über den ich heut noch in Gedanken sehr viel gelacht habe. Aus demselben Fenster sehe ich jetzt eben, und gucke mir die finstern Berge an; denn es ist Abend, und spät, nämlich ¾ auf Acht, und ich habe eine Idee, die ist erhabener, als die ganze Natur: ich will zu Bett gehen.

Also sag' ich gute Nacht, Ihr Lieben!

Den 14ten Morgens 10 Uhr.

In der Sennhütte auf der Wengernalp, im himmlischen Wetter nur meinen Gruß! – Grindelwald Abends. Mehr konnte ich Euch heute früh nicht schreiben; es fiel mir schwer, von der Jungfrau wegzugehen. Welch ein Tag war aber heute für mich! Seit wir zusammen hier waren, habe ich mir immer gewünscht, einmal wieder die kleine Scheideck zu sehen. So wachte ich heut früh fast furchtsam auf; es konnte so vieles dazwischen kommen: schlechtes Wetter, Wolken, Regen, Nebel. Aber nichts von alledem kam. Es war ein Tag, als sei er nur dazu gemacht, daß ich über die Wengernalp gehen sollte; der Himmel mit weißen Wolken bezogen, die hoch über den höchsten Schneespitzen schwebten; unter keinem Berge ein Nebel, und alle Spitzen so glänzend in der Luft, – jede Biegung und jede Wand so hell deutlich – was soll ich es beschreiben? Die Wengernalp kennt Ihr ja; nur sahen wir sie damals bei schlechtem Wetter; heute waren aber alle Berge im Feierkleid; nichts fehlte, von den donnernden Lawinen bis zu dem Sonntag, und den geputzten Leuten, die in die Kirche hinab stiegen, – heut wie damals. Mir waren die Berge nur wie große Zacken in der Erinnerung geblieben; die Höhe hatte mich damals zu sehr ergriffen. Heute fiel mir besonders diese unermeßliche Breite, die dicken, weiten Massen, der Zusammenhang all dieser ungeheuren Thürme, wie sie sich an einander schließen, und einander die Hände reichen, auf's Herz. Dazu denkt Euch nun alle Gletscher, alle Schneefelder, alle Felsspitzen blendend hell erleuchtet, und glänzend, – dann die fernen Gipfel auf anderen Ketten, die hinüberlangen und hereingucken – ich glaube, so sehen die Gedanken des lieben Herrgott aus. Wer ihn nicht kennt, der kann ihn und seine Natur hier sehr deutlich vor Augen sehen. Und zu alledem die liebe frische Luft, die Einen erquickt, wenn man müde, und abkühlt, wenn man heiß ist; und die vielen Quellen. – Über's Quellenwesen schreibe ich Euch noch einmal eine besondere Abhandlung; aber heut ist nicht Zeit dazu, denn ich habe noch etwas ganz Apartes zu berichten. Nun sagt Ihr, er wird hinuntergegangen sein, und die Schweiz wieder einmal schön gefunden haben. Nein, so ist es nicht, sondern als ich auf den Sennhütten ankam, da hieß es, hoch auf den Alpen, auf einer Wiese, sei heut ein großes Fest, und von Zeit zu Zeit sah man auch in der Ferne Leute hinaufsteigen. Müde war ich gar nicht; ein Alpenfest ist nicht alle Tage zu sehen; das Wetter sagte ja; der Führer hatte große Lust; »gehn wir also nach Itramen,« sagte ich. Der alte Senner ging voraus, und so mußten wir wieder tüchtig an's Klettern; denn Itramen ist noch über tausend Fuß höher, als die kleine Scheideck. Der Senner war ein barbarischer Kerl; er lief immer voraus, wie eine Katze; bald jammerte ihn mein Führer, und er nahm ihm Bündel und Mantel ab; das trug er, und lief immer voraus damit, daß wir ihn nicht einholen konnten. Der Weg war entsetzlich steil; er lobte ihn aber, weil er sonst einen näheren, steileren gehe; gegen 60 Jahre war er alt, und wenn mein junger Führer, und ich, mit Mühe auf einen Hügel hinauf waren, so sahen wir ihn immer schon hinter dem zweiten hinuntergehn. Jetzt gingen wir zwei Stunden, durch den mühsamsten Weg, den ich je gemacht habe, hoch hinauf, dann wieder ganz hinunter, über Steingerölle, und Bäche und Gräben, durch ein Paar Schneefelder, in der größten Einsamkeit, ohne Fußweg, ohne eine Spur von Menschenhänden; zuweilen hörte man noch die Lavinen von der Jungfrau; sonst war es still; an Bäume nicht mehr zu denken. Als nun die Stille und Einsamkeit immer gedauert hatte, und wir wieder über einen kleinen Grashügel geklettert waren, sahen wir auf einmal viele, viele Menschen im Kreise stehen, sprechend, lachend, rufend. Alle waren in der bunten Tracht, mit Blumen auf den Hüten; viele Mädchen; ein Paar Schenktische mit Weinfässern, und umher die große Stille, und die furchtbaren Berge. – Sonderbar war es: als ich so kletterte, dachte ich an gar nichts, als an die Felsen und Steine, und den Schnee, und den Weg; aber in dem Augenblick, als ich die Menschen da sah, war alles das vergessen, und ich dachte nur an die Menschen, und ihre Spiele, und ihr lustiges Fest. Da war es denn nun prächtig; auf einer großen grünen Wiese, weit über den Wolken, war der Schauplatz; gegenüber die himmelhohen Schneeberge, namentlich der Dom des großen Eiger, das Schreckhorn, und die Wetterhörner, und alle andern bis zur Blümli'salp; in nebeliger Tiefe, ganz klein, lag das Lauterbrunner Thal und unser gestriger Weg vor uns, mit all den kleinen Wasserfällen wie Fäden, den Häusern wie Punkten, den Bäumen wie Gras. Ganz hinten kam aus dem Dunst auch der Thuner See zuweilen vor. Da wurde nun geschwungen, gesungen, gezecht, gelacht, – lauter gesunde, tüchtige Leute. Ich sah mit großer Freude dem Schwingen zu, das ich noch nie gesehen hatte; dann bewirtheten die Mädchen die Männer mit Kirschwasser und Schnaps; die Flaschen gingen aus Hand in Hand, und ich trank mit; dann beschenkte ich drei kleine Kinder mit Kuchen, der sie glücklich machte; dann sang mir ein alter, sehr betrunkener Bauer einige Lieder vor; dann sangen sie alle; dann gab sogar auch mein Führer ein modernes Lied zum Besten; dann prügelten sich zwei kleine Jungen. Mir gefiel alles auf der Alp. Bis gegen Abend blieb ich droben liegen, und that, als ob ich zu Hause wäre. Dann sprangen wir schnell in den Matten hinunter, sahen bald das wohlbekannte Wirthshaus mit den Fenstern, die in der Abendsonne glänzten; es kam ein frischer Gletscherwind, – der machte uns kühl; jetzt ist es schon spät; man hört noch von Zeit zu Zeit Lavinen, – das war mein heutiger Sonntag. Wohl war es ein Fest! –

Auf dem Faulhorn, den 15. August.

Hu, wie mich friert! Es schneit draußen mit Macht, stürmt und wüthet. Wir sind über 8000 Fuß über dem Meere, mußten weit über den Schnee weg, und da sitze ich nun. Sehen kann man gar nichts; das Wetter war fürchterlich heut den ganzen Tag. Wenn ich daran denke, wie heiter es gestern war, und wie ich mir wünsche daß es morgen wieder schön sein möge, so ist es eigentlich mit dem ganzen Leben: es schwebt so zwischen wünschen und zurückwünschen. Der gestrige Tag liegt schon wieder so weit, so erlebt hinter mir, als kennte ich ihn nur aus alter Erinnerung, und sei fast nicht dabei gewesen; denn wie wir heut mit Regensturm und Nebel 5 Stunden lang kämpfen mußten, im Schlamme steckten, nichts als graue Dünste vor uns sahen, – da konnte ich mir gar nicht vorstellen, daß es jemals schön Wetter werden, oder gewesen sein könne, und daß ich mich je in dies nasse sumpfige Gras hingelagert habe. Dazu ist alles hier so winterlich; geheizte Stube, dicker Schnee, Mäntel, frierende, frostige Leute; – ich bin im höchsten Wirthshaus in Europa, und wie in St. Peter auf alle Kirchen, und auf dem Simplon auf alle Straßen, so sehe ich von hier auf alle Wirthshäuser hinab. – Aber nicht bildlich, denn es ist wenig mehr an dem Ding, als zwei Bretterstuben. Never mind; wir wollen zu Bett gehen, und ich will meinen Hauch nicht länger betrachten. Gute Nacht. Tom friert.

Hospital, den 18. August.

Mein Tagebuch hat ein Paar Tage lang liegen bleiben müssen, weil ich Abends zu nichts anderem Zeit hatte, als meine Kleider und mich am Feuer zu trocknen, und zu wärmen, sehr zu schlafen, über's Wetter zu seufzen, wie der Ofen, hinter dem ich steckte, und weil ich Euch mit den ewigen Wiederholungen, wie tief ich im Schlamm gesteckt, wie unaufhörlich es geregnet, und dergleichen, nicht ermüden wollte. – Wirklich habe ich in den Tagen die schönsten Gegenden durchreis't, und nichts gesehen, als: trüben Nebel, und Wasser, am Himmel, vom Himmel, und auf der Erde. – Die Stellen, auf die ich mich längst gewünscht, gingen an mir vorüber, ohne daß ich sie genießen konnte; das machte mich nicht schreibelustig, da ich wirklich gegen das Wetter zu kämpfen hatte, und wenn es so fortgeht, so schreibe, ich auch nur von Zeit zu Zeit, da eben nichts zu sagen ist, als »grauer Himmel, Nebel und Regen«. Ich war auf dem Faulhorn, auf der großen Scheideck, im Grimselspital, bin heute über Grimsel und Furka gekommen, und was ich am meisten gesehen habe, sind die schäbigen Ecken meines Regenschirms, – die großen Berge fast gar nicht. Einmal kam heute das Finsteraarhorn heraus, aber es sah so böse aus, als wollte es Einen fressen. Und doch, wenn eine halbe Stunde ohne Regen war, so war es gar zu schön. Die Fußreise durch dies Land ist wirklich, selbst bei so ungünstigem Wetter, das reizendste, was man sich nur denken kann; bei heiterm Himmel muß es vor Vergnügen gar nicht auszuhalten sein. Drum darf ich mich auch nicht über's Wetter beklagen, denn es giebt doch Freude vollauf; nur an den vorigen Tagen war man wie Tantalus; auf der Scheideck kam aus den Wolken zuweilen der Anfang des Wetterhorns vor; dieser Anfang allein war schon gewaltig, und erhaben über alles, – aber mehr als den Fuß habe ich nicht gesehen. Auf dem Faulhorn habe ich nicht fünfzig Schritte weit die Gegenstände unterscheiden können, obwohl ich bis Morgens um Zehn da blieb. Wir mußten bei heftigem Schneewetter hinunter auf die Scheideck, durch einen sehr nassen beschwerlichen Weg, den der unaufhörliche Regen noch mühsamer machte. Im Grimselspital langten wir wieder in Regen und Sturm an; heut wollte ich auf's Sidelhorn, mußte es aber des Nebels wegen unterlassen; die Mayenwand war eingehüllt in graue Wolken, und nur auf der Furka guckte das Finsteraarhorn einmal vor. Dafür kamen wir hier wieder in gräßlichem Regen und tiefem Wasser an. Das thut aber alles nichts. Mein Führer ist ein netter Kerl; ist es naß, so singen und jodeln wir; ist es trocken, so ist es desto besser, und obwohl die Hauptsachen verfehlt waren, so gab es doch genug zu sehen. Ich schließe diesmal ganz besondere Freundschaft mit den Gletschern; das sind wirklich die gewaltigsten Ungethüme, die man sehen kann. Wie das Alles durcheinander geworfen ist: hier eine Reihe Spitzen, dort eine Menge Büchsen, oben Thürme und Mauern, dazwischen Höhlen und Ritzen nach allen Seiten, und das Alles von diesem wunderbar reinen Eis, das keine Erde duldet; das alle Steine, Sand, Kiesel, die die Berge herunterwerfen, gleich wieder auf die Oberfläche treibt; – dann die herrliche Farbe, wenn die Sonne darauf scheint, und das unheimliche Vorrücken – (sie sind zuweilen 1 ½ Fuß des Tages vorwärts gegangen, sodaß den Leuten im Dorfe Angst und Bange wurde, wie der Gletscher so ruhig ankam, und so unwiderstehlich, denn er drückt dann Steine und Felsen entzwei, wenn sie ihm im Wege liegen) – dann ihr böses Krachen und Donnern, und das Rauschen von allen Quellen darin, und rings umher – es sind prächtige Wunder. Ich war in Rosenlaui-Gletscher, der gerade eine Art Höhle bildet, durch die man kriechen kann; da ist alles, wie von Smaragden gebaut, nur durchsichtiger. – Über sich, um sich in allen Stellen, sieht man zwischen dem klaren Eis die Bäche umherrinnen; mitten im engen Gange hat das Eis ein großes rundes Fenster gelassen, durch das man nun in's Thal hinuntersieht; dann geht man durch einen Bogen von Eis wieder heraus, und hoch darüber stehen immer die schwarzen Hörner, von denen herab sich die Massen in den kühnsten Schwingungen wälzen. Der Rhonegletscher ist der gewaltigste den ich kenne, und die Sonne schien gerade heut früh, als wir daran vorbeikamen. Da kann man denn seine Gedanken dabei haben; und dann sieht man doch auch hie und da mal ein Felshorn, ein Paar Schneefelder, Wasserfälle und Brücken darüber, wilde Steinstürze; kurz wenn man in der Schweiz wenig sieht, so ist es doch immer noch mehr, als in den andern Ländern. Ich zeichne sehr fleißig, und denke Fortschritte darin gemacht zu haben; sogar die Jungfrau habe ich zu zeichnen versucht; man kann sich doch daran erinnern, und sich wenigstens denken, daß man diese Striche gerade dort gemacht hat. Wenn ich aber die Leute sehe, wie sie durch die Schweiz laufen, und daran eben so wenig Besonderes finden, wie an allem andern, außer an sich; wie sie so gar nicht gerührt, so gar nicht durchgeschüttelt sind; wie sie sogar den Bergen gegenüber kalt und philiströs bleiben – ich möchte sie manchmal prügeln. Hier sitzen zwei Engländer neben mir, und eine Engländerin oben auf dem Ofen, – die sind hölzerner als Stöcke. – Ich reise nun ein Paar Tage denselben Weg mit ihnen, und wenn das Volk doch ein anderes Wort gesprochen hätte, als geschimpft, daß es weder auf der Grimsel, noch hier Camine gebe; daß hier Berge sind, haben sie nie erwähnt, sondern ihr ganzes Reisen besteht in Schelten auf den Führer, der sie auslacht, Zanken mit den Wirthen, und Gähnen mit einander. Es ist ihnen alles um sie herum alltäglich, weil es in ihnen alltäglich aussieht; daher sind sie in der Schweiz nicht glücklicher, als sie in Bernau sein würden. – Ich bleibe dabei: das Glück ist relativ. Ein Anderer würde seinem Gott danken, daß er Alles das sehen kann. Und so will ich denn der Andere sein!

Fluelen, den 19. August.

Ein rechter Reisetag, schön und voll und kräftig. Als wir heut um Sechs fortwollten, schneite und regnete es so wüthend, daß wir bis Neun warten mußten; da kam die Sonne vor, die Wolken mußten sich zertheilen, und wir hatten heiteres, schönes Wetter bis hierher; jetzt haben sich aber schon wieder die schwersten Regenwolken über dem See zusammen gezogen, sodaß morgen gewiß das alte Ungemach los geht. Aber wie himmlisch war es heute! so klar und sonnig, – wir hatten die heiterste Reise. Die Gotthard-Straße kennt Ihr in ihrer Schönheit; man verliert viel, wenn man von oben herunterkommt, statt von hier hinauf; denn die große Überraschung des Urner-Loches geht ganz verloren, und die neue Straße, die mit der Pracht und Bequemlichkeit der Simplon-Straße angelegt ist, hat den Effekt der Teufelsbrücke aufgehoben, indem dicht daneben ein anderer, neuer, viel kühnerer und größerer Bogen hingestellt ist, der die alte Brücke ganz unscheinbar macht, während doch das alte morsche Gemäuer viel romantischer und wilder aussieht. Aber wenn man auch den Blick auf Andermatt verliert, und wenn auch die neue Teufelsbrücke wenig poetisch ist, so geht man den ganzen Tag lustig bergab auf der ebensten Straße, fliegt ordentlich bei den Gegenden vorüber, und statt wie früher vom Wasserfalle auf der Brücke bespritzt, und vom Winde gefährdet zu werden, geht man jetzt hoch über den Strom, und zwischen festen Mauergeländern sicher hinüber. Wir kamen bei Göschenen und Wasen vorbei; dann erschienen die gewaltigen Fichten und Buchen vor Amsteg; dann das herrliche Thal von Altorf, mit den Hütten, Wiesen, Wäldern, Felsen und Schneebergen; in Altorf ruhten wir uns oben auf dem Capuziner-Kloster aus, und endlich Abends sitze ich hier am Ufer des Vierwaldstädter See's. Morgen denke ich nun über den See nach Luzern, und Briefe von Euch zu finden. Da komme ich auch gleich von einer Gesellschaft Berliner junger Leute los, die fast die ganze Reise machten wie ich, sich überall wieder vorfanden, und mich schrecklich gelangweilt haben; namentlich war mir der Patriotismus eines Lieutenants, eines Färbers, und eines jungen Zimmermanns, die alle drei Frankreich stürzen wollten, sehr widrig.

Sarnen, den 20sten.

Heute früh fuhr ich während fortdauerndem Regen über den Vierwaldstädter See, und fand in Luzern Euren lieben Brief vom 5ten. Da er nur erwünschte Nachrichten enthielt, habe ich mich gleich aufgemacht, um eine dreitägige Tour nach Unterwalden und dem Brünig zu machen; dann will ich in Luzern Euern nächsten Brief abholen, und dann geht's westlich, und aus der Schweiz. Es wird mir aber schwer werden, Abschied zu nehmen. Das Land ist über alle Begriffe schön, und obwohl das Wetter wieder entsetzlich ist, – Regen und Sturm den ganzen Tag, und die Nacht durch – so waren doch die Tellsplatte, das Grütli, Brunnen und Schwyz, und heut Abend die blendend grünen Wiesen in Unterwalden, unvergeßlich schön. – Dies Grün ist etwas Einziges; es erquickt die Augen, und den ganzen Menschen. Deinen liebevollen Vorsichtsmaßregeln, liebe Mutter, werde ich gewiß folgen; aber sei nicht besorgt für mich. Ich bin nicht leichtsinnig mit meiner Gesundheit, und habe mich seit längerer Zeit nicht so wohl gefühlt, wie hier in der Schweiz, auf der Fußreise. Wenn Essen und Trinken und Schlafen und Musik im Kopf haben einen gesunden Menschen machen, so kann ich mich, Gott sei Dank, so nennen; denn mein Führer und ich, wir essen, und trinken, und singen leider auch, um die Wette. Nur im Schlafen thu' ich's ihm noch zuvor, und wenn ich ihn im Singen zuweilen störe, durch Trompeten- oder Hoboentöne, so stört er mich dafür des Morgens im Schlafe. So Gott will, werden wir uns froh und glücklich wieder zusammen finden. Bis dahin muß nun wohl zwar noch manch' Stück Tagebuch zu Euch hinwandern; aber auch die Zeit vergeht wohl schnell, wie denn alles schnell vergeht, ausgenommen das Beste. Und so bleiben wir einander treu und nah.

Felix.


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