Felix Mendelssohn Bartholdy
Reisebriefe
Felix Mendelssohn Bartholdy

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Abbildung C.F.Zelter Carl Friedrich Zelter. Kreidezeichnung von J. Schmeller 1831

»Wir trafen den alten Riesen in dichtem Tabaksqualm, mit der langen Pfeife im Munde an seinem alten, mit doppelter Klaviatur versehenen Flügel sitzend. Die Schwanenfeder, mit der er zu schreiben pflegte, hatte er in der Hand, ein Notenblatt vor sich. Er trug seine sandfarbene kurze Pikesche, Unterbeinkleider, die, unterm Knie gebunden, noch auf kurze Hosen berechnet waren, derbe wollene Strümpfe und gestickte Schuhe. Den Kopf, mit den zurückgestrichenen weißen Haaren, hatte er gehoben, das Gesicht mit seinen derben, bürgerlichen und doch bedeutenden Züge hatte er nach Tür uns zugewendet.«

(Aus Devrients Erinnerungen an Mendelssohn)

Florenz, den 25. Juni 1831.

Meine lieben Schwestern!

An einem Tage wie heut muß man viel an's väterliche Haus denken, und zu den Seinigen. Mir geht es in dieser Beziehung kurios. Wenn ich mich irgendwo nicht wohl befinde, mich langweile, oder verdrießlich bin, so habe ich auch nicht besondere Sehnsucht nach Hause, oder nach den Meinigen. Kommen aber die schönen Tage, wo jede Stunde unvergeßlich bleibt, und jeder Augenblick frische, frohe Eindrücke mitbringt, dann wünsche ich mich zu Euch, oder Euch zu mir, – so recht lebhaft, und dann vergeht keine Minute, wo mir nicht einer von Euch einfiele, dem ich was zu sagen hätte. Heute habe ich meinen ganzen Vormittag, von Zehn bis Drei, auf der Gallerie zugebracht; es war himmlisch. Ich habe mich, außer allem Schönen, das ich gesehen, und allem Neuen, das man dort immer lernt, so herrlich unter den Bildern umhergetrieben, und mich so mit ihnen befreundet und unterhalten! Das Glück einer großen Sammlung der ersten Kunstwerke ist mir recht vor Augen getreten; man konnte so von einem zum andern gehen, dort eine Stunde sitzen und träumen, dann wieder – dahin! – Es war hier ein Festtag gestern, und so war heute der Palast degli Uffizii voll Leuten, die nach der Stadt gekommen waren, um's Pferderennen zu sehen, und nun auch die berühmte Gallerie sehen wollten; meist Bauern und Bäuerinnen in der Landtracht. Alle Gemächer waren offen, und ich, der ich sie mir zum letztenmale betrachtete, konnte mich so ganz still durch alle die Leute schleichen, und recht einsam sein, weil ich gewiß keinen Bekannten darunter hatte. Am Eingang, oben an der Treppe haben sie die Büsten der Fürsten hingestellt, die die Sammlung gestiftet und geziert haben. Ich weiß nicht, ob ich heute besonders empfänglich war; aber die Gesichter der Medicäer erfreuten mich ungemein; sie sahen so nobel aus, und so fein, und glücklich stolz. Ich blieb lange unter ihnen, und prägte mir ihre welthistorischen Gesichter ein. Dann ging es nach der Tribüne. Das Zimmer ist so prächtig klein; mit fünfzehn Schritten geht man hindurch, und doch ist gar zu viel Unendliches darin. Ich suchte mir wieder meinen Lieblingsarmsessel, der unter der Statue des Schleifers steht, setzte mich hin, und ließ mir es ein Paar Stunden wohl sein. Man hat da in einem Blick die Madonna del Cardellino, den Pabst Julius II., ein Frauenportrait von Raphael, darüber einen schönen Perugino, ein Heiligenbild; dicht neben sich (man kann sie mit dem Arm erreichen) die Venus Medicis; darüber die von Tizian; auf der andern Seite den Apollino und die beiden Ringer; vor den Raphaels den lustigen griechischen Faun, der ein täppisches Vergnügen an gräulicher Musik hat, denn der Kerl hat eben Becken zusammengeschlagen, horcht auf den Klang, und tritt mit dem Fuß noch auf eine Art Kuckukspfeife zur Begleitung; das ist ein Rüpel! Die Zwischenräume füllen andere Bilder von Raphael, ein Portrait von Tizian, ein Domenichino und dergleichen aus; und das Alles in einem kleinen Halbkreise, wie eine von Euren Stuben. Man kommt sich da besonders klein vor, und wird bescheiden! Ab und zu ging ich auch nach den andern Zimmern, wo Einem ein großes Bild von Leonardo da Vinci, aber nur erst angefangen, untermalt, und so mit all den wilden, stehn gebliebenen Strichen, auch mancherlei zu denken giebt. Namentlich aber freute ich mich am Mönch Fra Bartolommeo, der ein sehr frommer, zarter und ernster Geist war. Ein kleines Bildchen von ihm ist da; das habe ich mir entdeckt. Es ist etwa so groß wie dies Papier, in zwei Abtheilungen getheilt, und stellt die Anbetung, und die Darbringung im Tempel vor. Die Figürchen sind ungefähr wie zwei Fingerglieder, aber bis auf's Feinste, Netteste ausgemalt, mit den buntesten Farben, den hellsten Verzierungen, und in freundlichem Sonnenschein. Man sieht an dem Bilde wie der andächtige Herr so recht mit Lust daran gemalt, und in's Kleinste ausgeführt hat; etwa um es zu verschenken, und Jemand eine Freude damit zu machen. Es ist als gehöre der Maler dazu, und müsse noch davor sitzen, und sei nur eben weggegangen. So wurde mir heut vor vielen Bildern, namentlich vor der Madonna mit dem Stieglitz, die der Raphael seinem Freunde zum Hochzeitsgeschenk gemalt hat, als Überraschung; und wie ich so an alle die Männer dachte, wie sie schon lange fort sind, und wie ihr ganzes Innere so klar, uns und allen andern, noch dasteht, da kam ich zufällig in die Zimmer, worin die Portraits der großen Maler hängen. Ich hatte sie früher mehr als kostbare Seltenheit betrachtet, denn es sind über dreihundert Portraits, meist von den Malern selbst gemacht, sodaß man zugleich den Mann und sein Werk vor sich sieht; aber heut ging mir ein besonderer Sinn dafür auf. Wie da ein Jeder so aussieht, wie das was er geschaffen hat, und wie ein Jeder, indem er sich selbst malte, sich so ganz gegeben hat, wie er gewesen sein muß! Man lernt dort die Leute persönlich kennen, und da erklärt sich Einem Vieles. Ich erzähle Euch mündlich einmal recht ausführlich davon; aber das muß ich Euch noch sagen, daß das Portrait von Raphael fast das rührendste Bild ist, das ich von ihm gesehen habe. In der Mitte der einen großen, mit Portraits bis ganz oben behängten reichen Wand hängt ein kleineres, einzeln, ohne weitere Auszeichnung, aber die Augen müssen sich gleich darauf richten; das ist Raphael, – jung, sehr krank und blaß, und mit einer Sehnsucht nach Weiter, mit einem Verlangen und Schmachten in Mund und Augen, daß es ist, als sähe man ihm in die Seele. Wie er noch nicht einmal aussprechen kann, was er Alles sieht und fühlt, und wie es ihn zwingt, immer weiter zu schreiten, und wie er früh sterben muß, – das steht Alles auf dem trüben, leidenden, feurigen Gesicht, und wenn man nach den aus dem tiefen Innersten blickenden schwarzen Augen, und nach dem schmerzlich verzogenen Munde sieht, so wird es Einem fast schauerlich. Und nun solltet Ihr sehen, wie darüber ein häßlicher, wildkräftiger, markig und knorrig gesunder Kerl, der Michel Angelo, so böse herausschaut, und so grob; und auf der andern Seite ein weiser, ernster Mann, wie ein Löwe, der Leonardo da Vinci; aber Ihr könnt es ja nicht sehen, und ich will es Euch ja nicht schreiben, sondern erzählen. Glaubt mir aber, es ist eine Herrlichkeit! Und dann ging ich zur Niobe, die mir von allen Statuen doch den größten Eindruck macht, und dann wieder zu meinen Malern, und wieder nach der Tribüne, und durch die Corridors, wo Einen die römischen Kaiser mit ihren vornehmen Schurkengesichtern anstarren, und dann nahm ich noch von den Medicis Abschied, – es war wohl ein unvergeßlicher Morgen! –

Den 26sten. Glaubt aber nicht, daß es etwa heißt, so leben wir alle Tage. Man muß sich mit dem heutigen lebenden Pöbel gewaltig herumschlagen, ehe man zu der Noblesse, die längst gestorben ist, hinkommen kann; und wer keine gute Hand hat, kommt braun und blau an. Solch eine Reise, wie die meinige von Rom nach Perugia, und hierher, ist wahrhaftig kein Spaß. Es heißt in den Flegeljahren: die Gegenwart eines offenbar hassenden Wesens sei drückend und peinlich; solch ein Wesen ist aber der römische Vetturin. Er gönnt Einem keinen Schlaf, läßt hungern und dursten; Abends, wo er Einem das pranzo geben soll, weiß er's so zu karten, daß man gegen Mitternacht ankommt, wo die Leute alle schon schlafen, und man froh ist, wenn sich noch ein Bett findet. Morgens um ¾ Vier fährt er fort, und bleibt zu Mittag seine fünf Stunden liegen, aber gewiß in einer einzelnen Schänke, wo nichts zu haben ist. Täglich macht er etwa sechs deutsche Meilen, und fährt piano, während die Sonne fortissimo brennt. Ich war nun gar übel dran, denn meine Reisegesellschaft war unpassend, inwendig drei Jesuiten, und im Cabriolet, wo ich eigentlich gern sitzen wollte, eine unangenehme Venetianerin. Wollte ich der entgehen, so mußte ich inwendig das Lob Carl's des Zehnten mit anhören, und wie Ariost verbrannt werden sollte, als Verführer und Sittenverderber. Draußen war es noch schlimmer, und aus der Stelle kamen wir nicht. Den ersten Tag, nach einer Fahrt von vier Stunden, brach die Achse, und wir mußten in dem Hause in der Campagna, wo wir gerade waren, neun Stunden liegen bleiben, und endlich gar die Nacht zubringen. Kam dann wieder eine Kirche, die man besuchen konnte, so standen die schönsten, frömmsten Gestalten von Perugino oder Giotto und Cimabue vor Einem, und man gerieth von der Empörung zum Entzücken, und dann wieder in die Empörung; das ist ein miserabler Zustand! Mich amüsirte es wenig, und hätte die Natur nicht am Trasimenischen See einigen Mondschein aufgetischt, und wäre nicht die Gegend so wunderschön, und wäre nicht in jeder größeren Stadt eine herrliche Kirche, und auf jeder Tagereise eine größere Stadt, und wäre nicht, – aber Ihr seht, ich bin ungenügsam. Die Reise war doch schön, und nun will ich meine Ankunft in Florenz beschreiben; die enthält das ganze Italienische Leben der vorigen Tage. In Incisa, eine halbe Tagereise von Florenz, machte es der Vetturin zu arg mit Grobheit und Gemeinheiten; ich sah mich gezwungen meine Sachen abzupacken, und ihm zu sagen, er solle zum Teufel fahren, was er freilich ungern that. Nun war aber Johannistag, und Abends das berühmte Fest in Florenz, zu dem ich für mein Leben gern da gewesen wäre; – so was benutzen Italiener, und die Wirthin in Incisa bot mir gleich ein Fuhrwerk für den vierfachen Preis an. Als ich das nicht wollte, sagte sie: ich möge mir eins suchen. Das that ich auch wirklich, hörte aber, daß dort keine Miethswagen zu haben seien, nur Post. Ich frug nach der Post, und erfuhr zu meinem Grimm, daß die eben bei meiner Wirthin sei, und daß sie mir die Postpferde zu dem übertriebenen Preise habe geben wollen. – Nun ging ich zurück, und verlangte Post. Sie sagte, wenn ich ihre Pferde zu ihrem Preise nicht wolle, so bekäme ich auch keine Post. Ich wollte das Reglement sehen, das sie alle haben müssen; sie sagte, sie brauche es nicht zu zeigen, und drehte mir den Rücken. Der Zustand der Gewalt der hier große Rollen spielt, trat also abermals ein, denn ich packte sie, und warf sie in die Stube hinein (es war unter der Thür), drauf lief ich die Straße herunter, um zum Podesta zu gehen; im Orte gab es aber keinen, sondern er residirt vier Meilen entfernt. Die Sache wurde immer unangenehmer, und mein Gefolge von Straßenjungen vergrößerte sich jeden Schritt. Zum Glück kam ein ziemlich stattlicher Mann, vor dem das Gesindel einigen Respekt zeigte; auf den ging ich zu, und setzte ihm die Sache auseinander; er nahm Antheil, und führte mich zu einem Weinbauer, der ein Wägelchen besaß. Die ganze Bevölkerung stellte sich vor dem Hause auf; viele drangen bis in den Flur nach, und schrieen, ich sei toll; aber das Wägelchen kam, einem alten Bettler wurden ein Paar Pfennige gegeben; darauf riefen alle, ich sei ein bravo Signore und buon viaggio. Der mäßige Preis den der Mann forderte, zeigte mir erst die abscheuliche Prellerei der Wirthin; das Fuhrwerk war sehr leicht und schnell, und nun ging es über die Berge auf Florenz zu. Nach einer halben Stunde überholten wir schon den trägen Vetturin; gegen die Sonne wurde der Regenschirm aufgespannt, und selten bin ich so vergnügt und angenehm gereist, als diese Paar Stunden; alle Quälereien hinter mir, und die Aussicht auf's schöne Fest. Sehr bald ließ sich auch der Dom, und die tausend Landhäuser durch die Thäler blicken; die gezierten Mauern kamen wieder mit den Bäumen darüber; das Arnothal war lieblicher als je, und so kam ich froh hier an, aß zu Mittag, und schon während dessen hörte ich Lärm, – sah aus dem Fenster, und da zog Alles, Jung und All in Festtagskleidern über die Brücken; ich also gleich nach, und zum Wagencorso; dann zum Pferderennen; dann in die erleuchtete Pergola, – endlich auf einen Maskenball im Theater Goldoni. Nun war es 1 Uhr nach Mitternacht, und ich ging nach Hause, und dachte jetzt sei es doch aus. Da war aber der ganze Arno mit Gondeln bedeckt, die, von bunten Lampen erleuchtet, sich nach allen Seiten hin durchkreuzten; unter der Brücke kam ein großes Schiff mit grünen Blendlaternen vor, das Wasser war lebendig und hell, und über dem Ganzen schien der hellere Mond. Da überdachte ich mir so einen ganzen Tag, und was Einem da Alles durch den Sinn geht, und nahm mir vor, es Euch zu schreiben. Eigentlich ist es mehr eine Erinnerung für mich, denn Ihr werdet nichts dabei denken können; aber es soll mir dazu dienen, einmal eine oder die andere Geschichte daran anzuknüpfen von dem bunten Italien.

Felix.

Aus einem Briefe an Frau von Pereira in Wien.

Genua, im Juli 1831.

Im Anfang wollte ich nicht eher antworten, bis ich Deinen Auftrag erfüllt, und die nächtliche Heerschau componirt hätte, und nun sollte ich wieder anfangen um Verzeihung zu bitten, daß ich es nicht gethan; aber es ist damit eine eigene Sache. – Ich nehme es mit der Musik gern sehr ernsthaft, und halte es für unerlaubt, etwas zu componiren, das ich eben nicht ganz durch und durch fühle. Es ist als sollte ich eine Lüge sagen, denn die Noten haben doch einen ebenso bestimmten Sinn, wie die Worte, – vielleicht einen noch bestimmteren. – Nun scheint es mir überhaupt unmöglich, ein beschreibendes Gedicht zu componiren. Die Masse von Compositionen der Art beweisen nicht gegen, sondern für mich, denn ich kenne keine gelungene darunter. Man steht in der Mitte zwischen einer dramatischen Auffassung, oder einer blos erzählenden Weise: der Eine läßt im Erlkönig die Weiden rauschen, das Kind schreien, das Pferd galoppiren, – der Andere denkt sich einen Balladensänger, der die schauerliche Geschichte ganz ruhig vorträgt, wie man eine Gespenstergeschichte erzählt. Das ist noch das Richtigste, (Reichardt hat es fast immer so genommen,) aber es sagt mir doch nicht zu; die Musik steht mir im Wege; es wird mir phantastischer zu Muth, wenn ich solches Gedicht im Stillen für mich lese, und mir das Übrige hinzudenke, als wenn ich es mir vormalen, oder vorerzählen lasse.

Die nächtliche Heerschau nun erzählend aufzufassen, geht nicht, denn es spricht eben keine bestimmte Person; und den Balladenton hat das Gedicht gar nicht; es kömmt mir mehr wie eine geistreiche Idee, als wie ein Gedicht vor; mir ist, als hätte der Dichter selbst nicht an seine Nebelgestalten geglaubt. – Nun hätte ich es freilich beschreibend componiren können, wie es Neukomm und Fischhof in Wien gethan; – ich hätte einen originellen Trommelwirbel im Baß, und Trompetenstöße im Discant, und sonst allerlei Spuk anbringen können, – dazu habe ich aber wieder meine ernsthaften Töne zu lieb; so etwas kommt mir immer vor wie ein Spaß, etwa wie die Malereien in den Kinderbibeln, wo man die Dächer knallroth anstreicht, damit die Kinder merken, daß es ein Dach sein soll. Und etwas Halbes, etwas das mir selbst nicht gefiele, hinzuschreiben und fortzuschicken, würde Dir gegenüber, der ich immer das Beste geben möchte, um so weniger gegangen sein ...........

Felix.

Mailand, den 14. Juli 1831.

Dieser mein Brief wäre nun wohl, so Gott will, der letzte aus einer italienischen Stadt. Von den Borromäischen Inseln, wohin ich in einigen Tagen gehe, kommt vielleicht noch einer, doch rechnet nicht darauf. Die Woche hier war eine der angenehmsten, vergnügtesten die ich in Italien zugebracht habe; und wie das zuging, im wildfremden Mailand, will ich Euch erzählen. Erstlich nahm ich mir gleich ein Tafelclavier, und packte die ewige Walpurgisnacht mit rabbia an, damit das Ding ein Ende nähme. Auf morgen früh wird sie auch richtig fertig, d. h. bis auf die Ouvertüre, von der ich noch nicht weiß, ob ich eine große Symphonie, oder eine kurze Frühlingseinleitung mache. Hierüber möchte ich einen Gelehrten hören. Nun ist das Ende besser geworden, als ich mir selbst gedacht hatte. Das Ungethüm, und der bärtige Druide mit seinen Posaunen, die hinter ihm stehen und tuten, macht mir königlichen Spaß, und so brachte ich ein Paar Morgen sehr glücklich zu. Noch trug zu meiner Freude der Tasso bei, den ich zum erstenmale ordentlich, und ohne Peinlichkeit durchlese. Es ist ein prachtvolles Gedicht; mir that es wohl, daß ich den Goethe'schen Tasso kannte; bei den Hauptstellen wurde ich immer daran erinnert, denn ganz wie der Dichter dort, sind seine Verse so träumerisch süß und zart; man erquickt sich ordentlich an ihrem Wohlklang. Deine Lieblingsstelle lieber Vater, era la notte allor, ist mir wohl wieder aufgefallen. Aber besonders liebe ich den ganzen Gesang, wo Clorinde getödtet wird; der ist wunderschön und phantastisch. Nur das Ende davon will mir nicht gefallen. Die Klagen Tancred's kommen mir mehr schön gemacht, als wahr vor; es sind so viele sinnreiche Gedanken und Gegensätze darin, und gar die Worte des Eremiten, die ihn beruhigen, klingen Einem noch eher wie ein Spott auf den Eremiten selbst; ich hätt' ihn todt gemacht, wenn er mir so geredet hätte. Aber als ich neulich im Wagen die Episode der Armide las, umgeben von einer italienischen Theatergesellschaft, die unaufhörlich Rossini's »ma trema, trema« sang, da kam mir auf einmal wieder Gluck's »vous m'allez quitter« und das Einschlafen Rinald's, und die Fahrt in die Luft vor die Seele, und mir wurde fast weinerlich zu Muthe. Das ist Musik, – so haben die Menschen gesprochen und gefühlt, und so bleibt es ewig. Ich hasse die jetzigen Liederlichkeiten von Herzen. Nimm mir es nicht übel; Dein Spruch ist ja: ohne Haß keine Liebe, und es war mir so sonderbar, als mir da Gluck einfiel mit seinen großen Gestalten.

Die Abende war ich immer in Gesellschaft, und zwar in Folge eines verrückten Streichs, der mir wieder einmal sehr gelang. – Ich glaube ich habe diese Art Tollheiten erfunden, und kann ein Patent darauf nehmen, denn die angenehmsten Bekanntschaften habe ich immer ex abrupto gemacht, ohne Briefe, Empfehlungen, und all dergleichen. Ich frug nämlich zufällig, als ich ankam, nach dem Namen des Commandeurs der Stadt, und unter mehreren Generälen nannte mir der Lohnbediente auch den General Ertmann. Nun fiel mir dabei gleich die A dur-Sonate von Beethoven mit ihrer Dedikation ein; und weil ich über die Frau von allen Leuten immer das Schönste und Beste gehört hatte, wie freundlich sie sei, und wie sie Beethoven so verzogen habe, und wie vortrefflich sie spiele, so zog ich mir den nächsten Morgen, um Visitenzeit, den schwarzen Frack an, ließ mir den Gouvernementspalast zeigen, dachte mir unterwegs eine schöne Rede an die Generalin aus, und ging ganz munter hinauf. Nun kann ich nicht leugnen, daß mir es ein wenig fatal war, zu erfahren, der General wohne im ersten Stock vorn heraus, und als ich gar in den wunderschönen, gewölbten Vorsaal kam, kriegte ich wahrhaftig Furcht, und wollte umkehren. Indessen kam es mir denn doch gar zu kleinstädtisch vor, mich vor einem gewölbten Vorsaal zu fürchten; ich ging also gerade auf einen Trupp Soldaten zu, die da standen, und frug einen alten Mann, in einem kurzen Nankinjäckchen, ob hier der General Ertmann wohne, und wollte mich dann bei der Frau melden lassen. Unglücklicherweise antwortete der Mann aber: der bin ich selbst, was steht Ihnen zu Diensten? Das war sehr unangenehm, und ich mußte meine ganze Rede im Auszug anbringen; der Mann schien sich aber daran nicht sonderlich zu erbauen, und wollte wissen, mit wem er die Ehre habe? Das war auch nicht angenehm; aber zum Glück kannte er meinen Namen, und wurde sehr höflich: seine Frau sei nicht zu Hause, ich würde sie um Zwei treffen, wenn, ich da Zeit hätte, oder zu einer andern Stunde. Ich war froh, daß es noch so abgelaufen war, ging inzwischen gegenüber in die Brera, guckte mir das sposalizio von Raphael an, und um Zwei lernte ich nun die »Freifrau Dorothea v. Ertmann« kennen. Sie nahm mich sehr freundlich auf, war auch sehr gefällig; spielte mir gleich die Cis moll-Sonate von Beethoven vor, und dann die aus D moll. Der alte General, der nun in seinem grauen, stattlichen Commandeur-Rock, mit vielen Orden erschien, war ganz glücklich, und weinte vor Freuden, weil er seine Frau so lange nicht hatte spielen hören; es sei in Mailand kein Mensch, der so was anhören wolle. Sie sprach von dem B dur-Trio, dessen sie sich nicht entsinnen könne. Ich spielte es, und sang die Stimmen dazu; das machte dem alten Ehepaar viel Freude, und so war die Bekanntschaft geschlossen. Seitdem sind sie nun von einer Freundlichkeit gegen mich, die mich beschämt. Der alte General zeigt mir die Merkwürdigkeiten von Mailand. Nachmittags holt Sie mich im Wagen ab, um auf den Corso zu fahren; die Abende bis 1 Uhr machen wir Musik; gestern früh führten sie mich in die Umgegend spazieren, Mittags mußte ich da essen; Abends war Gesellschaft da, und dazu sind es die angenehmsten, gebildetsten Leute, die man sich denken kann, beide in einander verliebt, als seien sie Brautleute, und sind doch schon vierunddreißig Jahre verheirathet. Er sprach unter anderm gestern von seinem Beruf, dem Soldatenwesen, dem persönlichen Muth, und dergleichen, mit einer Klarheit, und so schönen freien Ansichten, wie ich sie fast nie, außer von Vater, gehört hatte. Er ist schon sechsundvierzig Jahr lang Offizier, und nun solltet Ihr ihn einmal im Park, neben dem Wagen seiner Frau, Galopp reiten sehen, wie munter und nobel der alte Herr sich da ausnimmt! Sie spielt die Beethoven'schen Sachen sehr schön, obgleich sie seit langer Zeit nicht studirt hat; oft übertreibt sie es ein wenig mit dem Ausdruck, und hält so sehr an, und eilt dann wieder; doch spielt sie wieder einzelne Stücke herrlich, und ich denke, ich habe etwas von ihr gelernt. Wenn sie so zuweilen gar nicht mehr Ton herausdrücken kann, und nun dazu zu singen anfängt, mit einer Stimme, die so recht aus dem tiefsten Innern heraufkommt, so hat sie mich oft an Dich, o Fanny, erinnert, obwohl Du ihr freilich weit überlegen bist. Als ich gegen das Ende des Adagios des B dur-Trio's kam, rief sie: »das kann man vor Ausdruck gar nicht spielen,« und das ist wirklich wahr von dieser Stelle. Den folgenden Tag, als ich zum zweitenmale da war, und ihnen die C moll-Symphonie vorspielte, wollte sie durchaus, ich solle mir den Rock ausziehen, weil es heiß wäre. Zwischendurch bringt er die schönsten Geschichten von Beethoven, wie er Abends, wenn Sie ihm vorspielte, die Lichtputze zum Zahnstocher gebraucht habe, u.s.w. Sie erzählte, wie sie ihr letztes Kind verloren habe, da habe der Beethoven erst gar nicht mehr ins Haus kommen können; endlich habe er sie zu sich eingeladen, und als sie kam, saß er am Clavier, und sagte blos: »wir werden nun in Tönen mit einander sprechen,« und spielte so über eine Stunde immer fort, und, wie sie sich ausdrückte: »er sagte mir Alles, und gab mir auch zuletzt den Trost.« Kurz, mir ist wieder einmal so wohl zu Muthe geworden, und so behaglich, und ich brauche so gar nicht zu schminken, oder zu schweigen, sondern wir verstehen uns so prächtig über Alles! Sie hat gestern die Sonate mit Violine an Kreutzer gespielt; als aber der Begleiter, ein österreichischer Dragoneroffizier, im Anfang des Adagio eine lange Verzierung à la Paganini machte, da schnitt ihm der alte General eine solche entsetzliche Grimasse, daß ich vor Lachen bald vom Stuhle gefallen wäre.

Teschner habe ich besucht, wie Du, liebe Mutter, es mir anbefohlen; es ist unerfreulich, wie der Nebelwind, einen solchen Musiker zu sehen; die Generalin Ertmann hat in ihrem kleinen Finger mehr Herz, als der ganze Kerl mit seinen entsetzlichen Schnurrbärten, hinter denen er lauert. An öffentlicher Musik ist jetzt gar nichts hier. Man spricht noch mit Entzücken vom vorigen Winter, wo die Pasta und Rubini hier sangen; nur die Nebenrollen, Orchester und Chöre seien schlecht gewesen. Nun habe ich aber die Pasta vor sechs Jahren in Paris gehört, und kann es noch alle Jahre, und habe gute Orchester, und gute Chöre, und noch manches andere dazu; so ist es natürlich, daß ich, um italienische Musik zu hören, nach Frankreich oder England reisen muß. – Das nehmen die Deutschen aber übel, wenn man ihnen das sagt. Sie wollen par force hier singen, spielen, Gedanken bekommen, und sagen, es sei das Land der Begeisterung, während ich behaupte, es gebe überhaupt kein Land der Begeisterung, sondern diese fliege in der Luft herum. Vorgestern war ich im Tagestheater, wo ich mich sehr erbaut habe. Da ist mehr Volksleben zu sehen, als irgendwo sonst in Italien. Ein großes Schauspielhaus mit Logen, – das Parterre mit Holzbänken besetzt, auf denen man Platz findet, wenn man früh kommt; die Bühne wie eine andere; nur fehlt über dem ganzen Parterre und den Logen das Dach, sodaß die liebe Sonne auf das Theater, den Schauspielern in die Augen scheint. Noch dazu gaben sie ein Stück im Mailänder Dialekt. Da war es genau, als guckte man eben allen diesen verwickelten und lustigen Situationen zu, könne sich vielleicht im Nothfalle hineinmischen, und die bekanntesten Comödiensituationen werden neu und interessant. So nahm auch das ganze Publikum den lebhaftesten Theil. Und nun gute Nacht; ich habe nämlich vor dem Zubettgehen noch ein Bißchen mit Euch plaudern wollen; das ist der Brief geworden.

Felix.

Aus zwei Briefen an Eduard Devrient.

Mailand, den 15. Juli 1831.

Du machst mir Vorwürfe daß ich schon 22 Jahre, und doch noch nicht berühmt sei; ich kann darauf nichts andres antworten, als wenn Gott gewollt hätte, daß ich zu 22 Jahren berühmt sein sollte, so wäre ich es wahrscheinlich schon geworden; ich kann nichts dafür, denn ich schreibe eben so wenig um berühmt zu werden, als ich schreibe, um eine Kapellmeisterstelle zu erhalten. Es wäre schön, wenn sich beides einfinden wollte; solange ich aber nicht gerade verhungre, so lange ist es Pflicht zu schreiben, was, und wie mir es ums Herz ist, und die Wirkung davon dem zu überlassen, der für mehr und Größeres sorgt. Nur daran denke ich immer mehr und aufrichtiger, so zu componiren, wie ich es fühle, und noch immer weniger äußere Rücksichten zu haben, und wenn ich ein Stück gemacht habe, wie es mir aus dem Herzen geflossen ist, so habe ich meine Schuldigkeit dabei gethan; ob es nachher Ruhm, Ehre, Orden, Schnupftabacksdosen und dergl. einbringt, kann meine Sorge nicht sein. Meinst Du aber, ich hätte in dem Ausbilden meiner Compositionen, oder meiner selbst, etwas vernachlässigt oder versäumt, so sage mir genau und klar, was das ist, und worin das besteht. Es wäre freilich ein schlimmer Vorwurf. Du willst ich solle nur Opern schreiben, und hätte Unrecht, es nicht schon längst gethan zu haben. Ich antworte: gieb mir einen rechten Text in die Hand, und in ein Paar Monaten ist er componirt; denn ich sehne mich jeden Tag von neuem danach, eine Oper zu schreiben; ich weiß daß es etwas Frisches, Lustiges werden kann, wenn ich es jetzt finde; aber eben die Worte sind nicht da. Und einen Text, der mich nicht ganz in Feuer setzt, componire ich nun einmal nicht. Wenn Du einen Mann kennst, der im Stande ist eine Oper zu dichten; so nenne ihn mir um Gotteswillen; ich suche nichts Anderes. Aber bis ich nun einen Text habe, soll ich doch nicht etwa lieber nichts thun (auch wenn ich es könnte)? Und daß ich gerade jetzt mehrere geistliche Musiken geschrieben habe, das ist mir ebenso Bedürfniß gewesen, wie es Einen manchmal treibt, gerade ein bestimmtes Buch, die Bibel, oder sonst was zu lesen, und wie es Einem nur dabei recht wohl wird. Hat es Ähnliches mit Seb. Bach, so kann ich wieder nichts dafür, denn ich habe es geschrieben, wie es mir zu Muthe war, und wenn mir einmal bei den Worten so zu Muthe geworden ist, wie dem alten Bach, so soll es mir um so lieber sein. Denn Du wirst nicht meinen, daß ich seine Formen copire, ohne Inhalt; da könnte ich vor Widerwillen und Leerheit kein Stück zu Ende schreiben. Ich habe auch seitdem wieder eine große Musik componirt, die auch vielleicht äußerlich wirken kann (die erste Walpurgisnacht von Goethe). Ich fing es an, blos weil es mir gefiel, und mich warm machte, und an die Aufführung habe ich nicht gedacht. Aber nun da es fertig vor mir liegt, sehe ich, daß es zu einem großen Concertstück sehr gut paßt, und in meinem ersten Abonnementsconcert in Berlin mußt Du den bärtigen Heidenpriester singen. Ich habe ihn Dir in die Kehle geschrieben, mit Erlaubniß, also mußt Du ihn wieder heraussingen, und wie ich bis jetzt die Erfahrung gemacht habe, daß die Stücke, die ich mit der wenigsten Rücksicht auf die Leute gemacht hatte, gerade den Leuten immer am besten gefielen, so, glaube ich, wird es auch mit diesem Stück gehen. Ich schreibe das blos, damit Du siehst, daß ich auch an's Praktische denke. Freilich immer erst hinterher; aber wer Teufel soll Musik schreiben, die doch einmal das unpraktischste Ding in der Welt ist (weshalb ich sie lieb habe), und an's Praktische dabei denken! Es wäre, als ob Einer die Liebeserklärung an seine Geliebte in Reime und Verse brächte, und ihr so hersagte. Ich gehe nun nach München, wo sie mir eine Oper anboten, um zu sehen, ob da ein Mensch als Dichter ist; denn nur einen Menschen möchte ich, der ein Bißchen Glut und Talent hätte; ein Riese braucht es gar nicht zu sein; und finde ich da keinen, so mache ich vielleicht Immermann's Bekanntschaft blos deswegen, und ist der auch nicht der Mann, so versuch' ich es in London. Es kommt mir immer vor, als fehle noch der rechte Kerl; aber was soll ich thun, um ihn herauszufinden? Im Hotel Reichmann wohnt er nicht, und nebenan auch nicht, und wo sonst? Darüber schreib mir einmal. Obgleich ich glaube, daß uns der liebe Herrgott alles, also auch Operntexte zuschickt, sobald wir es brauchen, so müssen wir dabei doch unsre Schuldigkeit thun, und uns umsehen; und ich wollte der Text wäre schon da! Mittlerweile schreibe ich so gute Sachen, als ich nur irgend kann; hoffe auch Fortschritte zu machen, und daß ich für's Übrige, wie gesagt, nicht verantwortlich bin, das haben wir auf meiner Stube damals schon ausgemacht. – Nun aber genug des trockenen Tons; ich bin wahrhaftig wieder fast brummig und ungeduldig geworden, und habe mir doch vorgenommen, es nie mehr zu werden.

Luzern, den 27. August 1831.

Ich fühle deutlich, daß eine Oper, die ich jetzt schriebe, lange nicht so gut werden würde, als eine zweite, die ich nachher componirte, und daß ich doch den neuen Weg, den ich mir denke, erst antreten, und ein Stück drin laufen müßte, um zu wissen, ob er hinführen wird, oder wie bald, während ich in der Instrumentalmusik schon anfange zu wissen, was ich eigentlich wollen soll, und mir selbst viel klarer und ruhiger darüber bin, weil ich mehr darin gearbeitet habe, – kurz es treibt mich. Dazu kommt nun noch, daß ich dieser Tage sehr demüthig geworden bin durch einen Zufall, der mir aber noch immer im Sinne liegt. Im Engelberger Thal fand ich Wilhelm Tell von Schiller, und wie ich ihn hier wieder las, wurde ich von Neuem ganz entzückt und glücklich über solch ein himmlisches Kunstwerk, und über all' die Glut und Begeisterung und das Feuer darin. Da fiel mir plötzlich ein Wort von Goethe ein, der mir in einem langen Gespräch über Schiller einmal sagte: »Schiller hätte jährlich zwei große Trauerspiele liefern können, andere Gedichte abgerechnet.« Dieser handwerksmäßige Ausdruck, das Liefern, frappirte mich auf einmal sehr, als ich das frische, warme Stück las, und mir erschien diese Thätigkeit so ungeheuer großartig, daß mir vorkam, als hätte ich eigentlich in meinem Leben noch gar nichts Rechtes hervorgebracht. Es steht noch Alles so sehr vereinzelt da; es ist mir als müßte ich auch einmal was liefern. – Finde das nicht unbescheiden, ich bitte Dich, sondern glaube mir, daß ich es nur sage, weil ich weiß, was sein sollte, und was nicht ist. Wo ich aber dazu Gelegenheit finden soll – es nur anfangen kann –, das ist mir bis heut ganz unbegreiflich. Wenn es aber meine Aufgabe ist, so werde ich die Gelegenheit finden, das glaube ich fest; und finde ich sie nicht, so wird es ein Andrer sein müssen; dann wüßte ich aber nicht, warum es mich so dazu hintriebe. –

Wenn Du es erreichst, nicht Sänger, Decorationen und Situationen, sondern Menschen, Natur und das Leben Dir zu denken, und hinzustellen, so bin ich überzeugt, daß Du die besten Operntexte schreiben wirst, die wir haben; denn wenn Einer die Bühne so kennt wie Du, so kann er schon nichts Undramatisches schreiben, und ich wüßte auch gar nicht, was Du von Deinen Versen anders wolltest. Ist es von innen heraus für die Natur und die Musik gefühlt, so sind die Verse musikalisch, wenn sie sich auch im Textbuch noch so hinkend ausnehmen; schreib dann meinethalben Prosa – wir wollen es schon componiren. Aber wenn Form in Form gegossen werden soll; wenn die Verse musikalisch gemacht, und nicht musikalisch gedacht sind, wenn äußerlich in schönen Worten eingebracht werden soll, was innerlich an schönem Leben fehlt, – da hast Du recht, – das ist eine Klemme, aus der kein Mensch herauskommen kann. Denn so gewiß reines Metrum, gute Gedanken, schöne Sprache noch immer kein schönes Gedicht machen, ohne einen gewissen Blitz der Poesie, der durchs Ganze geht, so gewiß kann nur durch das Gefühl des Lebens in allen Personen eine Oper vollkommen musikalisch, und am Ende auch vollkommen dramatisch werden. Es steht eine Stelle darüber im Beaumarchais, den man anklagt, seine Personen sagten zu wenig eigentlich schöne Gedanken, und er lege ihnen zu wenig Poetisches in den Mund. Er antwortet, das sei nicht seine Schuld; er müsse bekennen, daß er während des Schreibens immer über seinen Schreibtisch weg im lebhaftesten Gespräch mit seinen Personen sei; daß er rufe: Figaro, prends garde, le comte sait tout – Ah, Comtesse quelle imprudence! – Vite, sauve toi, petit page – und was sie ihm dann etwa antworteten, das schriebe er hin – nichts Anderes. Mir kommt das sehr hübsch und wahr vor. – Den Opernplan mit dem italienischen Carneval, und dem Schweizer Ende kannte ich schon, wußte aber nicht, daß er von Dir sei. Sei aber so gut und mache die Schweiz ganz gewaltig, und über die Maßen frisch. Wenn Du an solche zarte Schweiz denkst, mit Jodeln und Sehnsucht, wie ich sie gestern hier auf dem Theater in der Schweizerfamilie mit ansehen mußte, und wenn die Berge und Alphörner sentimental werden, so bringe ich's über's Herz und recensire Dich sehr schlecht in der Spener'schen. Ich bitte Dich, mach sie lustig, und laß mich mehr davon hören.

Felix M. B.

Auf der Isola bella, den 24. Juli 1831.

Jetzt riecht Ihr gleich Orangenduft, seht blauen Himmel, schöne Sonne, heiteren See, wenn Ihr blos das Datum lest. Aber nein, es ist gräulich Wetter, regnet wie toll, dazu donnert es von Zeit zu Zeit hinterdrein; in den Bergen sieht es so entsetzlich wüst aus, als sei die Welt mit Wolken vernagelt, der See ist grau, der Himmel schmutzig, Orangen riech' ich nicht, es könnte also eben so gut die Isola brutta heißen. So geht es schon seit drei Tagen her, – mein armer Mantel! – Und trotz des tollen Wetters befinde ich mich hier recht behaglich. Bekanntlich bin ich der Geist, der stets verneint ( conf. Mutter), und da es in der ganzen Welt jetzt Mode ist, die Borromäischen Inseln »nicht so schön« und etwas steif zu finden, und da das Wetter sich auch vorzunehmen scheint, sie mir zu verleiden, so finde ich sie zum Trotz gerade ganz herrlich. Die Anfahrt an diese Insel, wo man die grünen Terrassen, mit den lustigen Statuen darüber, die vielen veralteten Verzierungen neben frischem Laub, und alle südlichen Gewächse zusammengedrängt sieht, war für mich sehr reizend, und hatte auch etwas Rührendes, Ernsthaftes. Denn was ich voriges Jahr in Fülle, und in üppiger Wildniß überall gesehen hatte, und woran ich eigentlich schon gewöhnt war, das ist nun mit Kunst noch einmal hierher verpflanzt, und will Abschied nehmen. Es giebt Citronenhecken und Orangenbüsche; aus den Mauern wachsen die zackig spitzen Aloes; mir ist es, als komme am Ende vom Stück der Anfang wieder noch einmal hervor, und das habe ich bekanntlich sehr gern. Dazu war auf dem Dampfschiff die erste Bäuerin in Schweizertracht; die Leute sprechen ein schlechtes, halbfranzösisches Italienisch; es ist der letzte Brief aus Italien. Aber glaubt mir, die italienischen Seen sind nicht das Unbedeutendste im Lande; anzi, – Schöneres hab' ich noch nicht gesehen. Sie hatten mir einreden wollen, daß die ungeheuren Formen, die mir aus der Kindheit von den Schweizeralpen vorschwebten,Im Jahr 1821 war die ganze Familie in der Schweiz gewesen. sich in meiner Einbildungskraft ausgedehnt hätten, und daß ein Schneeberg doch eigentlich nicht so gewaltig sei, wie ich ihn mir dächte. Ich fürchtete fast enttäuscht zu werden; aber wie ich am Comer-See die ersten Vorhöhen der Alpen nur sah, in ihre Wolken gehüllt, hier und dort heller Schnee, und scharfe schwarze Spitzen vorguckend, und steil in den See heruntersinkend, erst mit Bäumen und Dörfern, dann mit Moos bedeckt, dann kahl und wüst, und voll Schneespalten, da war mir zum erstenmale wieder zu Muth, wie damals, und ich sah, daß ich nichts übertrieben hatte. – Es ist in den Alpen alles viel freier, schärfer, ungeschlachter, wenn Ihr wollt, aber mir wird doch wohler und gesünder drin zu Muth. Eben komme ich aus dem Garten des Schlosses zurück, den ich mitten im Regen beschaut habe. Ich wollte es machen wie Albano,Im Titan von Jean Paul. und ließ einen Barbier kommen, um mir eine Ader zu öffnen; der verstand es aber falsch, und rasirte mich; das Mißverständniß war sehr verzeihlich. Von allen Seiten landen Gondeln an der Insel, weil heut die Nachfeier des gestrigen großen Festes ist, zu dem der pp. Boromeo Sänger und Musiker aus Mailand hat kommen lassen, die den Insulanern vorgespielt haben. Der Gärtner frug mich, ob ich wisse, was ein Blaseinstrument sei? Ich bejahte es mit gutem Gewissen, und nun sagte er, ich möge mir einmal dreißig solche Instrumente, und auch Geigen und Bässe zusammen denken; oder vielmehr ich könne mir es nicht denken, denn so etwas müsse man gehört haben, um es zu glauben; es sei ein Klang, als käme er vom Himmel herunter, und das entstehe alles nur durch die Philharmonie. Was er sich dabei dachte, weiß ich nicht; aber es hatte ihm mehr Eindruck gemacht, als manchem Musikkenner das beste Orchester. Eben fängt Einer drüben in der Kirche an Orgel zu spielen, zum Gottesdienst, folgendermaßen:

Der Baß mit vollem Werk, Bordun 16 und Schnarrstimmen, macht sich wunderschön. Der Kerl ist auch expreß von Mailand gekommen, um hier in der Kirche Unfug zu treiben. Ich will ein wenig hinüber gehen, also lebt wohl für einen Moment. – Heut Abend bleibe ich hier, statt über den See zu fahren; es gefällt mir gar zu sehr auf dem Inselchen. Zwar habe ich jetzt zwei Nächte nicht ordentlich geschlafen, die eine wegen unzähliger Donnerschläge, die andere wegen unzähliger Flöhe, und wahrscheinlich steht mir heute Nacht Beides zusammen bevor; aber da ich übermorgen schon französisch spreche, Italien verlassen habe, und über den Simplon bin, so will ich heut und morgen mich noch einmal recht italienisch umhertreiben. Jetzt habe ich historisch nachzutragen, wie ich hierher gekommen bin. Noch den letzten Augenblick in Mailand besuchten mich Ertmanns auf meiner Stube, und wir nahmen so herzlichen Abschied, wie ich lange nicht von Leuten genommen habe. Ich mußte ihnen versprechen. Euch unbekannterweise vielmals zu grüßen, und von mir zuweilen hören zu lassen. Eine andere sehr liebe Bekanntschaft, die ich dort gemacht habe, ist die des Herrn Mozart, der dort Beamter, eigentlich aber ein Musiker ist, dem Sinn und Herzen nach. Er muß die größte Ähnlichkeit mit dem Vater haben, besonders im Wesen; denn solche Sachen, wie sie Einen in den Briefen des Vaters rühren, in ihrer Naivetät und Offenheit, hört man in Menge von ihm, und muß ihn nach dem ersten Augenblicke gleich lieb haben. Wunderhübsch z. B. finde ich, daß er auf den Ruf und das Lob seines Vaters so eifersüchtig ist, als sei er ein junger angehender Musiker; und einen Abend bei Ertmanns, als viele Musik von Beethoven gemacht worden war, sagte mir die Baronin leise, ich möchte doch nun auch etwas von Mozart spielen; der Sohn würde sonst nicht so froh wie gewöhnlich; und als ich die Ouvertüre aus Don Juan gespielt hatte, thaute er erst auf, und verlangte auch noch die aus der Zauberflöte von »seinem Vatter« und hatte eine kindliche Freude daran; man mußte ihn lieb gewinnen. Er gab mir Briefe an Bekannte am Comersee mit, und da habe ich auch einmal in eine italienische Kleinstädterei hineingeguckt, und mich ein Paar Tage mit dem Doctor, dem Apotheker, dem Richter, und andern Leuten des Orts ganz wohl unterhalten. Es fanden besonders lebhafte Diskussionen über Sand statt, und viele wollten ihn sehr bewundern. Mir war es sonderbar, weil die Geschichte etwas lange her ist, und man kaum mehr darüber streitet. Auch von Shakespear'schen Stücken sprach man, die jetzt in's Italienische übersetzt werden. Der Doctor sagte: die Trauerspiele seien gut; aber da seien so gewisse Hexereistücke, die seien zu dumm und kindisch; namentlich eins: il Sonno d'una notte di mezza state. Darin käme die abgebrauchte Geschichte vor, daß ein Stück auf dem Theater probirt werde, und es wimmle von Anachronismen und kindischen Ideen. Darauf stimmten alle ein, es sei sehr läppisch, und ich möchte es ja nicht lesen.Die Ouvertüre zum Sommernachtstraum war von Mendelssohn bereits im Jahre 1826 componirt worden. Ich schwieg kleinlaut stille, und vertheidigte nicht! – Dann badete ich oft im See, zeichnete, fuhr gestern über den Luganersee, der mit seinen Wasserfällen und den schwarzen Wolkenbergen ein böses Gesicht schnitt, – dann über die Berge nach Luvino; und bin heut zu Dampf hier angekommen. Abends. Eben komme ich von der Isola madre zurück, wo es ganz herrlich war. Sie ist breit, und voll Terrassen, Citronenhecken und immergrünen Büschen. Das Wetter ist endlich etwas menschlich geworden, und so nahm sich das große, weiße Haus darauf, mit der Ruine daran, und den Terrassen davor, sehr lieblich aus. Es ist doch ein einzig Land, und ich wollte ich könnte Euch einen Schluck Luft, wie sie eben auf dem Kahne war, nach Berlin mitbringen; da giebt es keine solche, und ich wollte lieber, daß Ihr sie schöpftet, als alle die Leute, die hier davon zehren. – Da war im Kahn mit mir ein sehr schnurrbärtiger Deutscher; der sah sich die schöne Natur an, als ob er sie kaufen solle, und finde sie zu theuer. Dann begegnete mir eine Jean Paul'sche Geschichte, wörtlich. Als wir nämlich auf der Insel zwischen dem Grün spazieren gingen, sagte ein Italiener der mit war, hier sollte man eigentlich mit seiner Geliebten zusammengehen, und die Natur genießen. Ach ja, seufzte ich zart. Deswegen habe ich mich auch seit zehn Jahren von meiner Frau getrennt, und ihr einen kleinen Tabackshandel in Venedig angelegt, fuhr er fort, und lebe nun, wie ich Lust habe. So müssen Sie es auch einmal machen! – Der alte Schiffer erzählte, wie er den General Bonaparte auf dem See gefahren habe, und wußte manche Geschichten von ihm und Murat. Ganz wunderlich sei Murat gewesen, sagte er. So lange er ihn gefahren habe, habe er in einem fort für sich gesungen, und einmal als er auf der Reise war, habe er ihm seine Branntweinflasche geschenkt und gesagt, er wolle sich in Mailand eine andere kaufen. Ich weiß nicht, warum mir die kleinen Anekdoten, und namentlich das Singen, den ganzen Mann mehr zurückriefen, als manches historische Buch. – Die Walpurgisnacht ist fertig, und ausgeputzt; auch die Ouvertüre wird wohl bald so weit sein. Der einzige Mensch, der es bis jetzt kennt, ist Mozart, und der hatte so viel Freude daran, daß mir die gewohnten Sachen auch wieder neuen Spaß machten; er wollte durchaus, ich solle es gleich drucken lassen. Ach Gott, verzeiht nur den burschikosen Brief. Ihr seht ihm gewiß an, daß ich seit acht Tagen keine Halsbinde trage. Aber ich wollte Euch doch einmal schreiben, wie heiter und wohl mir es dieser Tage in den Bergen geworden ist, und wie ich mich auf die freue, die vor mir liegen!

Euer
Felix.

A l'union, prieuré de Chamounix.

Ende Juli 1831.

Liebe Eltern!

Von Zeit zu Zeit muß ich Euch einen Dankbrief für diese wunderbar schöne Reise schreiben, und wenn ich es je gethan habe, so muß ich es jetzt wieder thun, denn herrlichere Tage, als die auf dem ganzen Wege hierher, und hier selbst, habe ich doch noch nie erlebt. Zum Glück kennt Ihr ja das Thal hier, und da brauche ich es nicht erst zu beschreiben; wie wäre das auch möglich! Nur so viel laßt mich sagen, daß mir die Natur noch nirgends so klar in aller ihrer Pracht vor die Augen getreten ist, als hier, sowohl das erstemal als ich es mit Euch sah, wie auch jetzt. Und wenn jeder, der das sieht, Gott danken muß, daß er ihm Sinne gegeben hat, um diese Größe zu begreifen und aufzufassen, so muß ich Euch denn auch gleich danken, die Ihr mir all die Freude schenkt! Sie hatten mir einreden wollen, die Formen der Berge hätten sich in meiner Einbildungskraft vergrößert, – aber gestern ging ich bei Sonnenuntergang hier vor dem Hause auf und ab, suchte jedesmal, wenn ich den Bergen den Rücken kehrte, die Massen mir recht lebhaft zu denken, und jedesmal wenn ich, mich wieder umdrehte, waren sie weit über meine Vorstellung. – So wie es damals den Morgen war, als wir von hier abfuhren und die Sonne aufgingIm Jahre 1821. (Ihr werdet es Euch erinnern), so heiter und klar sind die Berge seit ich hier bin; der Schnee auf der blauen, dunklen Luft so rein, und scharf, und nah; die Gletscher donnern fortwährend, weil das Eis schmilzt, wenn Wolken kommen, so legen sie sich unten an die Berge leicht an, aber die Gipfel stehen klar darüber; könnten wir das zusammen sehen! Ich habe heute den ganzen Tag hier ruhig und ganz allein zugebracht. Ich wollte die Ansicht der Berge zeichnen, ging hinaus, fand einen prächtigen Punkt, aber sowie ich das Buch aufschlug, so war mir das Blatt so sehr klein, daß ich erst gar nicht anfangen wollte. Die Formen habe ich wohl, so was man richtig nennt, herausgebracht, aber doch sieht jede Linie so steif aus gegen die Freiheit und Grazie, die da überall in der Natur ist. Und nun gar erst die Farbenpracht! Kurz es ist der Glanzpunkt meiner Reise, und das ganze Fußreisen, so allein, frei und leicht, ist etwas Neues, und ein unbekannter Genuß für mich. Ich muß aber erzählen wie ich hergekommen bin, sonst steht am Ende im Briefe nichts wie Ausrufungen. – Auf dem Lago Maggiore und den Inseln hatte ich, wie ich Euch geschrieben habe, das schlechteste Wetter. Es blieb anhaltend so wüst, stürmisch naß, daß ich mich etwas unmuthig Abends auf die Schnellpost setzte, und gegen den Simplon zu fuhr. Kaum waren wir eine halbe Stunde gefahren, so kam der Mond vor, die Wolken zogen auseinander, und den andern Morgen war es das heiterste, herrlichste Wetter. Mir war ordentlich beschämt zu Muthe über solch ein Glück, und ich konnte nun den ganzen göttlichen Weg recht von Grund aus genießen, wie er sich erst durch die hohen grünen Thäler, dann durch die Felsengen, dann durch die Wiesen, endlich bei den Gletschern und Schneebergen vorbei windet. Ich hatte ein kleines französisches Buch über die Simplonstraße mit, was mich sehr gefreut, und auch gerührt hat; denn es enthält Correspondenzen von Napoleon mit dem Directorium über das projcetirte Werk, und den ersten Bericht des Generals, der den Berg passirte. Wie dessen Briefe geschrieben sind, mit welcher Begeisterung, Tapferkeit, – auch ein Bißchen Prahlerei mitunter, – aber mit welcher Glut des Enthusiasmus, das hat mich gar sehr ergriffen, als ich so die ebene, fertige Straße mit den österreichischen Postillonen hinauffuhr; – und wenn ich das Feuer, und die Poesie, die in dem Briefe (ich meine immer nur den des subalternen Generals) aus jeder Schilderung spricht, mit der heutigen Beredsamkeit vergleiche, die so schrecklich kalt läßt, und die in all ihren philanthropischen Ansichten so verflucht prosaisch ist, und so hinkt, und in der ich wohl Fanfaronaden, aber keine Jugend sehe, – so wollte mir es vorkommen, als sei eine große Zeit vorüber gegangen! Ich habe es mir gar nicht aus dem Sinne bringen können, daß Napoleon das Werk, eine seiner Lieblingsideen, niemals gesehen hat, denn er ist nie über die fertige Simplonstraße gekommen, und hat die Freude davon nicht genossen. Oben im Dorfe Simplon ist es ganz kahl, und seit anderthalb Jahren fror mich einmal wieder so recht herzhaft. Eine nette, französische höfliche Frau hat oben ein Wirthshaus, und auch das ist schwerlich zu beschreiben, wie wohl Einem die dürftige Reinlichkeit thut, die nie in Italien zu finden ist. Dann ging es hinunter in's Wallis bis Brieg, wo ich die Nacht blieb, voll Vergnügen, wieder einmal unter den ehrlichen, natürlichen, deutschsprechenden Leuten zu leben, die mich denn auch infam geprellt und betrogen haben. Den folgenden Tag fuhr ich das Wallis hinunter – eine wunderliebliche Fahrt. – Der ganze Weg ist so, wie Ihr sie in der Schweiz kennt, – zwischen zwei hohen Bergreihen, über die hie und dort Schneespitzen gucken, in Alleen von dicken grünen Nußbäumen, die neben den zierlichen braunen Häusern stehen; den wilden, grauen Rhone hinunter, bei Leuk vorüber, alle Viertelstunden ein Ort mit einer kleinen Kirche. Von Martigny aus reiste ich nun zum erstenmal in meinem Leben wirklich zu Fuß, und zwar, – weil mir die Führer zu theuer waren, – erst ganz allein, meinen Mantel und das Gepäck auf den Schultern. Nach ein Paar Stunden fand ich einen dicken Bauerjungen, der zugleich Führer und Träger wurde, und so ging es über Forclas nach Trient, einem kleinen Senndorfe, wo ich Milch und Honig frühstückte; von da aus auf den Col de Balme. Da lag denn das ganze Chamouni-Thal, mit dem Montblanc, und allen Gletschern, wie sie herabsinken, vor mir im Sonnenschein. Eine Gesellschaft Herren und Damen (darunter eine junge sehr schöne) zu Maulthier, mit vielen Führern, kamen von der andern Seite herauf, und kaum waren wir alle zusammen eben unter Dach, so kam ein zarter Nebel, und hüllte erst den Berg, dann das Thal, dann alles so dicht ein, daß von da an nichts mehr zu sehen war. Die Damen fürchteten sich in den Nebel hineinzugehen, als ob sie nicht oben auch drin wären; endlich reisten sie doch ab, und ich sah aus dem Fenster dem wunderlichen Schauspiel zu, wie die Caravane das Haus verließ, lachend, laut sprechend, Französisch, Englisch, Patois; dann wurden die Stimmen undeutlich; dann gleich auch die Gestalten; ganz zuletzt ging noch die schöne Dame mit ihrem weiten schottischen Mantel; dann sah man nur noch graue Schatten hier und dort, – dann waren sie ganz weg. Wenige Minuten darauf sprang ich von der andern Seite mit meinem Führer den Berg hinunter; wir kamen bald wieder in den Sonnenschein, dann in's grüne Chamouni-Thal mit seinen Gletschern; endlich hier in die Union. Eben komme ich von einem Spaziergange auf den Montanvert, das Mer de Glace, und der Quelle des Arveiron her. Diese Herrlichkeit kennt Ihr, und so werdet Ihr es verzeihen, daß ich, statt morgen nach Genf zu fahren, erst die Tour um den Montblanc mache, damit ich den Herrn auch von der Südseite kennen lerne, die noch gewaltiger sein soll. Auf glückliches Wiedersehen, liebe Eltern!

Euer Felix.


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