Felix Mendelssohn Bartholdy
Reisebriefe
Felix Mendelssohn Bartholdy

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Rom, den 2. November 1830.

Der fortgelassene Anfang des Briefs betrifft die Krankheit einer Verwandten. Nun will ich aber nicht mehr betrübt schreiben; denn so wie mich Euer Brief nach vierzehn Tagen trüb gestimmt hat, so thut es dann meine Antwort in vier Wochen. Ihr schriebt mir darauf wieder so, und es würde in's Unendliche gehn. Überhaupt, da es vier Wochen dauert, ehe man Antwort haben kann, so muß man sich eben darauf beschränken zu erzählen, was vorgeht, und vorgegangen ist, und die Stimmung weiter nicht viel beschreiben, sie geht auch aus dem Erlebten und der Erzählung davon meistentheils schon hervor. Daß ich nun in Rom bin, will mir noch kaum recht in den Kopf, und als ich gestern Morgen früh im blendend hellen Mondlicht, bei tiefblauem Himmel, über eine Brücke mit Statuen fuhr, und der Courier sagte: ponte molle, so war mir alles wie ein Traum, und mir kam mein Krankenlager in London vor einem Jahre, und die rauhe schottische Reise, und München, und Wien, und die Pinien auf den Hügeln zugleich vor die Sinne. Die Reise von Florenz her hat wenig Anziehendes. Siena, das schön sein soll, passirten wir in der Nacht. Ärgerlich war es mir, daß ein regelmäßig gehender Courier der Regierung eine fortwährende Militairbedeckung mitnehmen muß, die in der Nacht verdoppelt wird, und die doch nothwendig zu sein scheint, da er sie bezahlt. So etwas sollte heut zu Tage nicht mehr vorkommen. Indeß geht doch alles vorwärts, und es giebt Momente, wo man ordentlich den Sprung mit ansieht. So saß ich in Florenz, den Abgang der Post erwartend, las französische Zeitungen, und in dem Augenblicke als die Glocke schlug, sah ich noch unter den Ankündigungen: la vie de Siebenkase par Jean Paul. – Ich hatte darüber meine eigenen Gedanken, wie so nach und nach alle schönen Gestalten von uns hinüberwandeln, und wie unsere großen Männer nach ihrem Tode dort gefeiert werden, während bei ihrem Leben Lafontaine'sche Romane und französische Vaudevilles auf ihre Landsleute Eindruck machen; und wie wir statt dessen nur den Schund der Franzosen, aber nicht Beaumarchais und Rousseau uns anzueignen versuchen. Das schadet aber gar nichts. Das erste von Musik, was ich hier sah, war der Tod Jesu von Graun, den ein hiesiger Abbate, Fortunato Santini, recht gelungen und treu in's Italienische übersetzt hat. – Nun ist die Musik des Ketzers, mit dieser Übersetzung, nach Neapel geschickt worden, wo sie diesen Winter in einer großen Feierlichkeit ausgeführt werden soll, und die Musiker sollen ganz entzückt von der Musik sein, und mit großer Liebe und Enthusiasmus an's Werk gehn. Der Abbate erwartet mich schon lange, wie ich höre, und mit Ungeduld, weil er mehrere Aufschlüsse über deutsche Musik von mir haben möchte, und weil er hofft, ich würde ihm die Partitur der Bach'schen Passion mitbringen. So geht es denn immer vorwärts, und dringt so sicher durch wie die Sonne; bleibt's heute nebelig, so ist es eben ein Zeichen, daß der Frühling noch nicht da ist; aber wiederkommen muß er! Lebt alle herzlich wohl und möge Euch der gütigste Himmel froh und frisch erhalten.

Felix.

Rom, den 8. November 1830.

Heut soll ich nun von den ersten acht Tagen in Rom schreiben, wie ich mir mein Leben eingerichtet, wie ich dem Winter hier entgegen sehe, wie die göttlichen Umgebungen auf mich zuerst eingewirkt haben; und das wird mir etwas schwer. Es ist mir, als hätte ich mich verändert, seit ich hier bin; und wenn ich früher meine Ungeduld und Eile, vorwärts zu kommen und immer schneller die Reise fortzusetzen, unterdrücken wollte, oder für eine Gewohnheit hielt, so sehe ich jetzt wohl, daß eigentlich nur der lebhafte Wunsch, diesen Hauptpunkt zu erreichen, daran Schuld war. – Nun habe ich ihn denn erreicht, und mir ist so ruhig und froh und ernsthaft zu Muthe geworden, wie ich's Euch gar nicht beschreiben kann. Was es ist, das so auf mich wirkt, kann ich wieder nicht genau sagen; denn das furchtbare Coliseum, und der heitere Vatikan, und die milde Frühlingsluft tragen dazu bei, wie die freundlichen Leute, mein behagliches Zimmer, und Alles. Aber anders ist mir; ich fühle mich glücklich und gesund, wie seit langem nicht, und habe am Arbeiten solche Freude und Drang darnach, daß ich wohl noch viel mehr hier auszuführen gedenke, als ich mir vorgesetzt hatte; denn ich bin schon ein ganz Stück hinein. Wenn nun Gott mir Fortdauer dieses Glücks schenkt, so sehe ich dem schönsten reichsten Winter entgegen.

Denkt Euch ein kleines zweifenstriges Haus, am spanischen Platz No. 5, das den ganzen Tag die warme Sonne hat, und die Zimmer im ersten Stock darin, wo ein guter Wiener Flügel steht; auf dem Tische liegen einige Portraits von Palestrina, Allegri ec. mit ihren Partituren; ein lateinisches Psalmbuch, um daraus »non nobis« zu componiren – daselbst residire ich nun. Am Kapitol war mir es zu weit, und ich fürchtete vor Allem die kalte Luft, von der ich hier freilich nichts zu besorgen habe, wenn ich des Morgens aus dem Fenster über den Platz sehe, und sich alles so scharf im Sonnenschein vom blauen Himmel abhebt. Der Wirth ist ehemals Capitain unter den Franzosen gewesen; das Mädchen hat die herrlichste Contraaltstimme, die ich kenne; über mir wohnt ein Königl. Preuß. Hauptmann, mit dem ich zusammen politisire – kurz das Lokal ist gut. Wenn ich Morgens früh nur in's Zimmer komme, und die Sonne so hell auf das Frühstück scheint (Ihr seht ich bin zum Poeten verdorben), da wird mir gleich unendlich behaglich zu Sinn; denn es ist doch eigentlich Spätherbst, und wer kann da noch Wärme, heitern Himmel, oder Trauben und Blumen bei uns beanspruchen? Nach dem Frühstück geht es an's Arbeiten, und da spiele und singe und componire ich denn bis gegen Mittag. Dann liegt mir das ganze unermeßliche Rom wie eine Aufgabe zum Genießen vor; ich gehe dabei sehr langsam zu Werke, und wähle mir täglich etwas Andres, Weltgeschichtliches aus, – gehe einmal spazieren nach den Trümmern der alten Stadt; ein andermal nach der Gallerie Borghese, oder nach dem Kapitol, oder nach St. Peter, oder dem Vatikan. Das macht mir jeden Tag unvergeßlich, und indem ich mir Zeit nehme, habe ich jeden Eindruck fester und stärker. Beim Arbeiten des Morgens möchte ich gern nicht aufhören und fortschreiben, sage mir aber, du mußt doch auch den Vatikan sehen; wenn ich nun da bin, so möchte ich wieder nicht gern fortgehen, und so macht mir jede meiner Beschäftigungen die reinste Freude, und ein Genuß löst den andern ab. Wenn mir Venedig mit seiner Vergangenheit wie ein Leichenstein vorgekommen ist, wo mich die verfallenden modernen Paläste und die fortdauernde Erinnerung an ehemalige Herrlichkeit bald verstimmt und traurig gemacht haben, so erscheint mir Rom's Vergangenheit wie die Geschichte; ihre Denkmäler erheben, machen ernst und heiter, und es ist ein frohes Gefühl, daß Menschen etwas hinstellen können, an dem man sich nach 1000 Jahren noch erquickt und stärkt. Wenn ich mir nun solch ein Bild, und zwar an jedem Tage ein neues, eingeprägt habe, so ist es meist Dämmerung, und der Tag zu Ende. Dann suche ich die Bekannten und Freunde auf; wir theilen uns mit, was jeder gethan, d. h. hier genossen hat, und sind vergnügt mit einander. Die Abende war ich meist mit Bendemanns und Hübners, wo die deutschen Künstler sich versammeln; auch zu Schadows gehe ich zuweilen. – Eine kostbare Bekanntschaft ist für mich der Abbate Santini, der eine der vollständigsten Bibliotheken für alte italienische Musik hat, und mir gern alles leiht und giebt, da er die Gefälligkeit selbst ist. Abends läßt er sich aber von Ahlborn oder mir nach Hause begleiten, weil es einen Abbate in üble Nachrede bringt, wenn er Abends allein auf der Straße gesehen wird; daß nun Kerls wie Ahlborn und ich, einem sechzigjährigen Geistlichen zur Duenna dienen müssen, ist piquant genug. Die Herzogin –*** hatte mir eine Liste von alter Musik gegeben, deren Copien sie womöglich zu haben wünschte. Sämmtliche Musiken besitzt Santini, und ich bin ihm sehr dankbar, daß er mir die Copien verschafft, denn ich sehe sie nun zugleich durch, und lerne sie kennen. Ich bitte Euch, mir für ihn, als Zeichen meiner Dankbarkeit, die sechs Cantaten von Seb Bach, die Marr bei Simrock herausgegeben hat oder einige der Orgelstücke herzuschicken. Am liebsten wären mir Cantaten; das Magnificat, und die Motetten u. m. a. besitzt er selbst. Er hat »singet dem Herrn ein neues Lied« übersetzt, und will es in Neapel zur Aufführung bringen; dafür muß er belohnt werden. Über die päpstlichen Sänger, die ich dreimal gehört habe (im Quirinal, auf monte Cavallo, zweimal, und einmal in San Carlo), schreibe ich an Zelter ausführlich. Ich freue mich sehr auf Bunsen; wir werden viel zusammen zu sprechen haben, und es kommt mir sogar vor, als hätte er Arbeiten für mich; die will ich gern, und so gut als möglich machen, wenn ich es mit Gewissenhaftigkeit thun kann. Zu meinen Hausbehaglichkeiten gehört auch, daß ich zum ersten Male Goethe's Reise nach Italien lese; und ich muß Euch gestehen, daß es mir eine große Freude macht, daß er in Rom an demselben Tage ankommt wie ich; – daß er ebenso zuerst auf's Quirinal geht, und dort die Seelenmesse hört; daß ihn auch in Florenz und Bologna die Ungeduld ergriffen hat; daß ihm auch so ruhig und, wie er es nennt, solide hier zu Muthe wird; denn alles was er beschreibt, habe ich genau ebenso erlebt, und das ist mir lieb. Doch spricht er ausführlich von einem großen Bilde von Tizian (im Vatikan) und meint, es sei die Bedeutung nicht herauszukennen; die Figuren ständen nur schön neben einander gruppirt. Ich bilde mir aber ein, einen sehr tiefen Sinn darin gefunden zu haben, und glaube, wer bei Tizian das Schönere findet, hat immer mehr Recht, denn das ist ein göttlicher Mensch gewesen. Wenn er auch nicht Gelegenheit gefunden hat, seinen ganzen Geist so auszubreiten und zu zeigen, wie Raphael hier im Vatikan, so werde ich doch niemals seine drei Bilder in Venedig vergessen, und denen reiht sich auch das im Vatikan an, wo ich heute früh zum erstenmale war. Wenn Jemand mit vollem Bewußtsein auf die Welt käme, so müßte ihn alles umher so lebendig und heiter anlachen, wie Einen dort die Bilder: die Schule von Athen, und die Disputa, und der Petrus, die auf einmal unmittelbar, wie sie gedacht sind, vor Einem stehen; und dann der Eingang durch die bunten offenen Bogen, wo man zur Seite in's Freie auf den Petersplatz, und Rom, und das blaue Albaner Gebirge sieht; und über sich die Gestalten aus dem alten Testament, und tausend bunte Engelchen, und Arabesken von Früchten und Blumengehängen; und dann muß man erst noch hinauf in die Gallerie! – Du mußt aber gerühmt sein, lieber Hensel; denn Deine Copie der Transfiguration ist prächtig! – Den freudigen Schauder, der mich packt, wenn ich ein ewiges Werk zum erstenmale sehe, und den Grundgedanken, den Haupteindruck davon, habe ich nicht heute, sondern vor Deinem Bilde empfunden. Der erste Eindruck des heutigen gab mir nur dasselbe, was ich durch Dich schon kannte; und erst nach langem Betrachten und Suchen gelang es mir einiges herauszufinden, was mir neu war. Dagegen ist mir die Madonna von Foligno im ganzen Glanz ihrer Lieblichkeit erschienen. Ich habe einen glücklichen Morgen in der Mitte all dieser Herrlichkeit gehabt; bei den Statuen bin ich noch nicht einmal gewesen; dabei bleibt mir der erste Eindruck noch für einen andern Tag. –

Den 9ten früh.

Und so bringt mir jeder Morgen neue Erwartungen, und jeder Tag erfüllt sie mir. Die Sonne hat eben wieder auf's Frühstück geschienen, und ich will nun an's Arbeiten gehen. Mit der ersten Gelegenheit schicke ich Dir, liebe Fanny, die Wiener Sachen, und was sonst fertig ist, und Dir Rebecka, mein Zeichnenbuch. Es gefällt mir aber diesmal nicht recht, und ich will hier bei den Landschaftsmalern ihre Skizzen viel sehen, um mir womöglich eine neue Manier zuzulegen; ich habe mir selbst eine erfinden wollen, aber nein! – Heut will ich nach dem Lateran, und den Ruinen von Alt-Rom; Abends bin ich bei einer freundlichen englischen Familie, die ich hier kennen gelernt habe. Aber bitte, schickt mir viel Empfehlungsbriefe; ich möchte gern ungeheuer viel Menschen kennen lernen, namentlich Italiener. So leb' ich froh drauf los, und denke Eurer in jedem vergnügten Augenblick. Seid glücklich und freut Euch mit mir der Zeit, die sich mir hier aufzuthun scheint. Lebt alle wohl.

Felix M.B.

Rom, den 16. November 1830.

Liebe Fanny!

Vorgestern ging keine Post, und reden konnte ich nicht mit Dir, und wenn ich bedachte, der Brief müsse erst noch zwei Tage liegen bleiben, ehe er gar abgehen würde, so war mir das Schreiben auch unmöglich; da hab' ich denn so manchmal an Dich gedacht, habe Dir und uns allen Glück gewünscht, und habe mich gefreut, daß Du vor so und so viel Jahren geboren wurdest; es giebt Einem solch einen Rückhalt, wenn man daran denkt, was für vernünftige Leute in der Welt sind. Du bist aber eine davon; bleib heiter, und klar, und gesund, und verändere Dich nicht bedeutend; viel besser brauchst Du auch nicht zu werden; Dein Glück bleibe Dir treu; das sind denn ungefähr meine Geburtstagswünsche. Denn daß ich Dir auch etwa musikalische Ideen wünschen sollte, ist einem Menschen meines Calibers gar nicht zuzumuthen. Es ist auch Ungenügsamkeit, wenn Du Dich über Mangel daran beklagst; per bacco, wenn Du Lust hättest, würdest Du schon componiren, was das Zeug hält, und wenn Du nicht Lust hast, warum grämst Du Dich entsetzlich? Wenn ich mein Kind zu päppeln hätte, so wollte ich keine Partitur schreiben, und da ich »non nobis« componirt habe, so kann ich leider meinen Neffen nicht auf dem Arm herumtragen. Aber im Ernst, – das Kind ist noch kein halbes Jahr alt, und Du willst schon andere Ideen haben, als an Sebastian? Der Name des Kindes. (nicht Bach!) Freu Du Dich, daß Du es da hast; die Musik bleibt nur aus, wenn sie eben keinen Platz hat, und es nimmt mich nicht Wunder, daß Du keine Rabenmutter bist. Ich wünsche Dir aber doch zu Deinem Geburtstage, was irgend Dein Herz begehrt; ich will Dir also auch ein halb Dutzend Melodien wünschen; es wird aber nichts helfen. Hier in Rom haben wir den 14. November so gefeiert, daß sich der Himmel blau und festtäglich geputzt hatte, und schöne warme Luft heruntersendete. Da ging man denn sehr behaglich nach dem Capitol in die Kirche, und hörte eine allzuelende Predigt des Herrn***, der ein recht guter Mann sein mag, der mich aber immer ganz grimmig predigt; und wenn mich Einer an dem Tage, auf dem Capitol, in der Kirche ärgern kann, so muß er es absonderlich anfangen. Nachher ging ich zu Bunsen, der eben angekommen war. Er und seine Frau empfingen mich voll Freundlichkeit, und es gab nun viel Schönes, und Politik und Bedauern, daß Ihr nicht kämt. A propos: mein Lieblingswerk, das ich jetzt studire, ist Lili's Park von Goethe; namentlich drei Stellen »kehr ich mich um, und brumm,« dann » eh la menotte« etc. und besonders »die ganze Luft ist warm, ist blüthevoll,« allwo entschieden die Clarinetten eintreten müßten; ich will ein Scherzo für eine Symphonie daraus machen. Gestern Mittag bei Bunsen gab es unter andern einen deutschen Musiker; o Herr Gott, o Herr Gott, ich wollte, ich wäre ein Franzos! Der Musiker sagte mir: die Musik muß man doch eigentlich alle Tage handhaben. Warum? antwortete ich darauf, und das setzte ihn in Verlegenheit. Er sprach also gleich vom ernsten Streben; und wie doch Spohr gar kein ernstes Streben habe; wie er aber durch mein tu es Petrus ganz deutlich ein ernstes Streben habe durchschimmern sehen. Hätt' es einen Hasen bei Tisch gegeben, so hätt' ich ihn unterdessen aufgefressen; so mußt' ich Maccaroni dafür nehmen. Der Kerl hat aber ein Gütchen bei Frascati, und ist eben im Begriff die Musik niederzulegen; wer doch auch schon so weit wäre?! Nach Tisch kamen Catel, Eggers, Senf, Wolf, noch ein Maler, noch zwei Maler u.m.a. Auch mußte ich Clavier spielen, und sie verlangten Sachen von Sebastian Bach; die hab' ich ihnen denn reichlich gespielt, und viel Glück damit gemacht. Auch habe ich die ganze Passionsaufführung deutlich beschreiben müssen, denn sie schienen mir kaum recht daran zu glauben. Bunsen besitzt nämlich den Clavierauszug davon; den hat er den Sängern der päbstlichen Capelle gezeigt, und die haben vor Zeugen ausgesagt, daß dergleichen von menschlichen Stimmen nicht auszuführen sei. Ich glaube das Gegentheil!

Übrigens giebt Trautwein die Passion nach dem Johannes in Partitur heraus; ich werde mir wohl für Paris Hemdknöpfchen à la Back machen lassen müssen. Heut führt mich Bunsen zu Baini, den er seit einem ganzen Jahre nicht gesehen hat, weil Baini niemals ausgeht, außer um die Beichte zu hören. Ich freue mich auf ihn, und nehme mir vor, ihn so genau kennen zu lernen, wie nur irgend möglich, weil er mir manches Räthsel auflösen kann. Der alte Santini ist immerfort die Gefälligkeit selbst. Wenn ich Abends in Gesellschaft ein Stück lobe, oder nicht kenne, so klopft er den andern Morgen sehr leise an, und bringt mir das Stück in sein blaues Schnupftüchelchen gewickelt; dafür begleite ich ihn dann Abends nach Hause, und wir haben uns sehr lieb. Er hat mir sogar sein achtstimmiges Te deum gebracht, und mich gebeten, ihm doch einige Modulation hinein zu corrigiren; es bliebe doch gar zu viel in G dur; ich will also sehen, ob ich einiges A moll oder E moll anbringen kann. Nun wünsche ich nur noch recht viel Italiener kennen zu lernen; denn ein Maestro von S. Giovanni Laterano, dessen Töchter musikalisch, aber nicht hübsch sind, und bei dem ich eingeführt worden bin, will gar nichts sagen. Wenn Ihr also mir irgend Briefe schicken könnt, so thut es; denn wie ich des Morgens arbeite, Mittags sehe und bewundere, und so den Tag bis Sonnenuntergang zubringe, so will ich gern Abends mich in der römischen Welt herumtreiben. Meine freundlichen Engländer aus Venedig sind angekommen; Lord Harrowby mit seiner Familie bringt den Winter hier zu; Schadows, Bendemanns, Bunsens, Tippelskirchs empfangen alle Abend Leute; kurz an Bekannten fehlt es mir nicht, nur möchte ich auch die Italiener gern kennen lernen. Das Geschenk, liebe Fanny, das ich Dir diesmal zu Deinem Geburtstage fertig gemacht habe, ist ein Psalm für Chor und Orchester: Non nobis, Domine, Du kennst den Gesang schon. Eine Arie kommt darin vor, die einen guten Schluß hat, und der letzte Chor wird Dir gefallen, hoffe ich. In der nächsten Woche soll, wie ich höre, eine Gelegenheit gehen, da schick' ich Dir's sammt vieler andern neuen Musik. Nun will ich die Ouvertüre fertig machen, und dann, so Gott will, an die Symphonie gehen. Auch ein Clavier-Concert, das ich mir für Paris gern schreiben möchte, fängt an mir im Kopfe zu spuken. Gebe der liebe Gott Gelingen und frohe Zeit, so wollen wir sie schon genießen. Lebt wohl und seid glücklich.

Felix.

Lea Mendelssohn, geb. Salomon, die Mutter des Komponisten Zeichnung von Wilhelm Hensel

»Die Mutter, eine ebenso verstandesscharfe und feingebildete als haushälterisch fleißige Frau, die man stets beschäftigt fand, sei es mit Lektüre oder mit wirtschaftlicher Handarbeit, hielt die Kinder mit unerbittlichem Nachdruck zum Fleiße an.«

(Aus Devrients Erinnerungen an Mendelssohn)

Rom, den 22. November 1830.

Lieben Geschwister!

Ihr wißt, wie sehr ich es hasse, auf 200 Meilen weit, und über vierzehn Tage fort, guten Rath zu geben, will es aber selbst einmal tun.

Ich glaube nämlich, Ihr macht einen Fehler im Betragen, und zwar denselben, den ich auch einmal gemacht habe. Ich habe nämlich in meinem Leben Vater nicht so verstimmt schreiben gesehn, wie seit ich hier in Rom bin, und da wollte ich Euch denn fragen, ob Ihr nicht vielleicht durch einige Hausmittel ein wenig lindern könnt? Ich meine so etwa durch Schonen, und Nachgeben, und dadurch, daß Ihr von den Sachen die Seite, die der Vater gern hat, mehr vorkehrt, als die andere, – vieles, was ihn ärgert, ganz verschweigt, und statt: schändlich sagt: unangenehm, oder statt: prächtig, erträglich. Es hilft zuweilen unglaublich viel, und ich will also leise anfragen, ob nicht auch vielleicht in diesem Falle? Denn, die gewaltigen Weltereignisse abgerechnet, scheint mir die Verstimmung auch davon herzukommen, wie damals, als ich meine musikalische Thätigkeit auf meinem eigenen Wege anfing, und als Vater fortwährend in der übelsten Laune war, auf Beethoven und alle Phantasten schalt, und mich damit oft betrübte, und oft ungeberdig machte. Es kam eben damals etwas Neues, und das war dem Vater nicht ganz recht, und auch wohl etwas ängstlich, glaub' ich. So lange ich denn nun immer meinen Beethoven erhob und pries, wurde das Übel ärger, und ich, – wenn mir Recht ist, – einmal von Tisch gewiesen. Nun fiel mir aber ein, ich könnte sehr viel Wahrheit sprechen, und doch nicht gerade die, die Vater nicht leiden mag, und da ging es besser und besser, und endlich gut. Vielleicht habt Ihr ein bißchen vergessen, daß Ihr hier und da schonen, und nicht antippen müßt, – daß sich Vater für älter und verstimmter hält, als er es wohl, Gottlob, ist, und daß es an uns Allen ist, ihm auch einmal nachzugeben, sei das Recht auch noch so sehr auf unserer Seite, wie er es so oft gegen uns that. So lobt denn ein wenig, was er gern hat, und tadelt nicht, was ihm ans Herz gewachsen ist, namentlich nicht Altes, Bestehendes. Lobt auch das Neue nur erst dann, wenn es etwas in der Welt äußerlich erreicht hat und heißt, denn bis dahin kömmt es immer auf Geschmackssache hinaus, – zieht mir Vater hübsch in Euren Kreis, und tanzt um ihn herum, – kurz, sucht wieder einmal auszugleichen und auszuglätten, und bedenkt daß ich, der ich ein gereiseter Weltmann bin, noch nie eine Familie gefunden habe, die, alle Schwächen und Verdrießlichkeiten und Fehler eingerechnet, so glücklich gewesen wäre, als wir bis jetzt.

Antwortet mir nicht hierauf, denn das kommt erst in vier Wochen an, und dann giebt es schon wieder etwas Neues. Überhaupt, wenn ich dumm war, so will ich keine geistigen Prügel von Euch, und sprach ich schön, so folgt meinen guten Lehren.

Den 23sten.

Eben wollte ich an den Hebriden arbeiten, da kommt Herr B., ein Musiker aus Magdeburg, spielt mir ein ganzes Liederbuch, und ein Ave Maria vor, und bittet mich um meine Meinung darüber zur Belehrung. Ich komme mir vor, wie Nestor im Polrock, und habe ihm eine kümmerliche Rede gehalten, bin aber dadurch um einen Morgen in Rom gekommen, was auch Schade ist. Der Choral »mitten wir im Leben sind« ist fertig geworden, und wohl eins der besten Kirchenstücke, die ich gemacht habe. Nach Beendigung der Hebriden denke ich an Salomon von Händel zu gehn, und ihn für eine künftige Aufführung einzurichten, mit Abkürzungen und Allem. Sodann denke ich die Weihnachtsmusik »vom Himmel hoch« und die A moll-Symphonie zu schreiben, – vielleicht einige Sachen fürs Clavier, und ein Concert, u. s. w., wie es gerade kommen will. – Dabei vermisse ich nun freilich sehr, daß ich keinen Bekannten habe, dem ich das Neue mittheilen kann, – der mit in die Partitur zu kucken, oder einen Baß, oder eine Flöte mitzuspielen versteht, so daß ich ein Stück, wenn es fertig ist, in den Kasten legen muß, ohne daß sich Einer daran freut. – Darin bin ich in London verwöhnt worden. Solche Freunde wie da, treffe ich doch wohl nicht wieder zusammen. Hier muß man immer nur halb reden, um die beste Hälfte zu verschweigen, während man dort halb redete, weil sich die andere Hälfte von selbst verstand, und der Andere sie schon wußte.

Aber freilich ist es sonst herrlich hier. Neulich waren wir junges Volk in Albano; fuhren des Morgens früh bei heiterstem Wetter fort; unter der großen Wasserleitung, die sich, scharf dunkelbraun vom klaren Himmel abschnitt, ging der Weg durch bis nach Frascati, – von da nach einem Kloster Grotta ferrata, wo es schöne Wände von Domenichino giebt, – dann nach Marino, das sehr malerisch auf einem Hügel liegt, und so kamen wir nach Castel Gandolfo am See. Alle die Gegenden sind, wie mein erster Eindruck in Italien, keineswegs schlagend, oder so auffallend schön, wie man sie sich denkt, aber so sehr wohlthuend und befriedigend, alle Linien so sanft malerisch, und ein so vollkommenes Ganzes, mit Staffage und Beleuchtung, und Allem. Hier muß ich meinen Mönchen eine Lobrede halten; die machen immer gleich ein Bild fertig, und geben ihm Stimmung und Farbe mit ihren mannigfaltigen Kleidern, und dem andächtigen, stillen Gang, und der dunkeln Miene. Von Castel Gandolfo nach Albano geht eine schöne, schattige Allee von immergrünen Eichen am See hin, und da wimmelt es nun von Mönchen aller Art, die die Gegend beleben, oder auch einsam machen. Nahe an der Stadt gingen ein Paar Bettelmönche spazieren, – weiterhin kam ein ganzer Trupp junger Jesuiten, – dann lag ein eleganter junger Geistlicher im Gebüsch, und las, – weiterhin standen ein Paar im Walde mit Flinten, und lauerten Vögeln auf; dann kam ein Kloster, um welches eine Menge Kapellchen im Kreise stehn. Da war es zuerst ganz einsam – dann aber kam ein dummer, schmutziger Kapuziner heraus, ganz mit dicken Blumensträußen beladen, und steckte sie vor die Heiligenbilder rings, und kniete erst vor jedem hin, ehe er es putzte. Wir gingen weiter, und begegneten zwei alten Prälaten im eifrigen Gespräch begriffen, – im Kloster vor Albano wurde zur Vesper geläutet; und selbst auf dem höchsten Berge steht ein Passionistenkloster. Da dürfen sie nicht mehr als eine Stunde täglich sprechen, und beschäftigen sich immer nur mit der Leidensgeschichte. Ganz seltsam begegnete uns in Albano, mitten unter den Mädchen mit ihren Krügen auf dem Kopfe, unter den Kraut- und Blumenhändlern, im Gedränge und Geschrei, solch ein kohlschwarzer, stummer Mönch, der seine Rückreise auf den Monte Cavo antrat. So haben sie die ganze herrliche Gegend in Besitz genommen, und bilden eine sonderbare, melancholische Grundfarbe zu allem Lustigen, Freien, Munteren, und zu der ewigen Heiterkeit, die die Natur giebt. Es ist, als brauchten die Menschen deswegen hier ein Gegengewicht. Das ist nun aber gar nicht meine Sache, und ich brauche keinen Contrast, um mich an dem zu freuen, was ich habe.

Bei Bunsen bin ich oft, und da er das Gespräch gern auf seine Liturgie, und ihren musikalischen Theil bringt, den ich sehr mangelhaft finde, so nehme ich kein Blatt vor den Mund, sage meine Meinung gerade heraus, und, wie ich glaube, ist das die einzige Art, den Menschen näher zu kommen. So haben wir schon ein Paar lange, ernsthafte Gespräche gehabt, und ich hoffe wir werden einander genauer kennen lernen. Gestern war bei ihm Palestrinasche Musik, wie alle Montag, und da habe ich denn zum ersten Male vor den Römischen Musikern in corpore gespielt. Ich weiß das ganz genau, wie ich mich anfänglich in einer fremden Stadt bei den Leuten durchspielen muß. Mir ist denn auch ein bißchen befangen, und so war es gestern. Die päbstlichen Sänger hatten den Palestrina ausgesungen, und nun sollte ich noch etwas spielen. Brillantes paßte nicht, und Ernsthaftes hatten sie übergenug gehabt. Ich bat also den Direktor Astolfi um ein Thema, und er tippte denn mit einem Finger an und lächelte dazu; die schwarzrockigen Abbaten stellten sich um mich her, und hatten große Freude daran. Das merkte ich, und es munterte mich auf, und so gelang es mir gegen das Ende ganz gut; sie klatschten rasend, Bunsen meinte, ich hätte die Geistlichkeit verblüfft, – kurz die Sache war hübsch. Mit dem öffentlichen Spielen oder Aufführen sieht es hier ohnehin schlecht aus; so muß man sich an die Gesellschaften halten, und im Trüben fischen.

Euer
Felix.

Rom, den 30. November 1830.

Von Bunsen im Mondschein nach Hause kommen, Euren Brief in der Tasche, und ihn dann so recht behaglich in der Nacht sich durchlesen, – das ist ein Vergnügen, wie ich es Vielen oder Wenigen gönne! Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich den ganzen Winter hier bleiben, und erst im April nach Neapel gehen. Es ist so Herrliches auf allen Seiten zu sehen, und recht zu würdigen; – man muß sich in so Vieles erst hinein denken, um einen Eindruck davon zu empfangen; auch habe ich in mir selbst so manche Arbeit vor, die Ruhe und Fleiß verlangt, daß Eile diesmal alles verderben würde; und obwohl ich meinem Plane getreu bleibe, und nur alle Tage einen neuen Eindruck in mich aufnehme, so bin ich doch zuweilen gezwungen, auch darin Ruhetage zu machen, damit es sich nicht verwirre. Heut schreibe ich wenig, weil ich diese Tage soviel als möglich bei meiner Arbeit bleiben muß, und es doch nicht über mich gewinnen kann, das Schöne, was mir vor den Füßen liegt, nicht aufzuheben, wie Falstaff sagt. Dazu ist das Wetter brutto und kalt; da giebt es keine rechte Erzähllaune. Der Pabst ist sterbend, oder schon todt; »wir werden also recht bald einen neuen bekommen,« sagen die Italiener sehr gleichgültig, und da sein Tod dem Carneval keinen Eintrag thut; da die Kirchenfeste mit ihrem Pomp, ihren Aufzügen, und ihrer schönen Musik immer fortgehen; da sie endlich die Feierlichkeiten bei den Seelenmessen und der Ausstellung in St. Peter obenein bekommen, so ist es ihnen schon ganz recht, im Falle es nur nicht im Februar geschieht. Daß Mantius meine Lieder gern und viel singt, freut mich recht sehr. Grüßt und fragt ihn doch auch, warum er nicht sein Versprechen hält, und mir einmal schreibt? Ich habe ihm schon mehreremal geschrieben, nämlich Noten. In dem Ave Maria, und in dem Choral »aus tiefer Noth« sind Stellen sehr ausdrücklich für ihn gemacht, und er wird sie erquickend singen. Beim Ave, das ein Gruß an die Maria ist, singt nämlich ein Tenor (ich habe mir etwa einen Jünger dabei gedacht) dem Chor immer Alles vor, und ganz allein. Da das Stück nun A dur ist, und bei den Worten benedicta tu etwas in die Höhe geht, so mag er sein hohes A nur vorbereiten, – klingen wird es schon. Laßt Euch doch von ihm ein Lied von schlechtem Lebenswandel vorsingen, das ich aus Venedig an Devrient geschickt habe. Das Ding ist so zwischen Wonne und Verzweiflung, und er wird es schon singen; zeigt es aber nicht weiter, sondern laßt es unter 40 Augen bleiben. Auch RietzDer Violinspieler Eduard Rietz, – ein genauer Freund Mendelssohn's. schweigt, und ich sehne mich doch gar zu sehr nach seiner Geige, und seinem tiefen Spiel, das mir ganz vor die Seele kommt, wenn ich seine liebe, zierliche Hand sehe. – Ich schreibe jetzt täglich an den Hebriden, und schicke sie ihm sobald sie fertig sind. – Es ist ein Stück für ihn; ganz wunderlich. Von meinem Leben das nächstemal; ich arbeite fleißig und lebe sehr froh und glücklich; mein Spiegel steckt voll Italienischer, Englischer, und Deutscher Visitenkarten; alle Abend bin ich bei Bekannten; es ist eine babylonische Sprachverwirrung in meinem Kopf, denn englisch, italienisch, deutsch und französisch kreuzen sich darin. Vorgestern mußte ich wieder den päbstlichen Sängern vorphantasiren. Die Kerls hatten sich für mich eigends das allerverzwickteste Thema ausgedacht, weil sie mich auf's Glatteis führen wollten; sie nennen mich aber l'insuperabile professorone, und sind überhaupt sehr artig und freundlich. Nun wollte ich Euch die Sonntagsmusiken in der Sixtina, die Soiree bei Torlonia, den Vatikan, St. Onofrio, die Aurora von Guido, und andere Kleinigkeiten beschreiben; aber das nächstemal. Die Post geht, und das Blatt mit ihr. Meine Wünsche sind aber bei Euch, heut wie immer.

Felix.

Rom, den 7. December 1830.

Zum ausführlichen Brief, den ich schreiben wollte, komme ich auch heute nicht. Gott weiß, wie die Zeit hier verfliegt. In dieser Woche habe ich mehrere sehr liebenswürdige englische Familien kennen gelernt, die mir auch wieder vergnügte Abende im Winter versprechen; mit Bunsen bin ich sehr viel; auch Baini denke ich recht auszukosten. Ich glaube, er hält mich für einen »bruttissimo Tedesco«, so daß ich ihn ganz prächtig kennen lernen kann. Mit seinen Compositionen freilich ist es nicht weit her, und so überhaupt mit der ganzen Musik hier. An Lust möchte es wohl nicht fehlen, aber es fehlt an den Mitteln gänzlich. Die Orchester sind unter allem Begriff; als prima donna assoluta ist Mlle. CarlFrüher Sängerin am Königlichen Theater zu Berlin. für die Saison an den beiden Haupttheatern engagirt, ist schon eingetroffen, und fängt an la pluie et le beau temps zu machen. Die päbstlichen Sänger sogar werden alt; sind fast ganz unmusikalisch, treffen selbst die herkömmlichsten Stücke nicht richtig, und der ganze Chor besteht aus 32 Sängern, die aber nie beisammen sind. Concerte werden in der sogenannten philharmonischen Gesellschaft gegeben, aber nur am Clavier; Orchester ist nicht dabei, und als sie neulich versuchen wollten, die Schöpfung von Haydn zu geben so hielten es die Instrumente für unmöglich sie zu spielen. Wie die Blase-Instrumente gar klingen, davon hat man in Deutschland nirgends eine Ahnung. – Da nun der Pabst gestorben ist, den 14ten das Conclave anfängt, und also mit den Ceremonien der Beerdigung und denen der Erhebung des neuen Pabstes ein großer Theil des Winters hingeht, und für alle Musik und größere Gesellschaften verloren wird, so zweifle ich fast, daß ich hier zu einer ordentlichen öffentlichen Unternehmung kommen werde; bin auch wenig betrübt darüber, denn innerlich genieße ich hier so viel und mannigfaches, daß es wohl wenig schade ist, wenn ich es eine Weile mit mir herumtrage, und zu verarbeiten suche. Die Aufführung der Graun'schen Passion in Neapel, und namentlich die Übersetzung von Seb. Bach zeigen nur, wie das Rechte dennoch durchdringen muß. Den lebendigen Sinn der Leute werden sie nicht ergreifen, und nicht entzünden; aber es ist damit nicht schlechter, als mit dem Sinn für alle anderen Künste, eher noch besser; denn wenn man einen Theil der Logen von Raphael durch eine unsägliche Roheit und einen unbegreiflichen Barbarismus weggekratzt sieht, um Inschriften mit Bleistift Platz zu machen; wenn der ganze Anfang der aufsteigenden Arabesken völlig vernichtet ist, weil Italiener mit Messern, und Gott weiß wie, ihre erbärmlichen Namen eingeschrieben haben; wenn einer unter den Apoll von Belvedere, mit großer Emphase, und noch größeren Buchstaben hinmalt: Christus! wenn mitten vor dem jüngsten Gericht von Michel Angelo ein Altar aufgerichtet ist, so groß, daß er gerade die Mitte des Bildes überdeckt, und so das Ganze stört; wenn durch die herrlichen Säle der Villa Madama, wo Giulio Romano die Wände gemalt hat, das Vieh getrieben, und Kraut darin aufbewahrt wird, blos aus Gleichgültigkeit gegen das Schöne, – so ist das wohl noch viel schlimmer, als schlechte Orchester; und Maler muß das mehr schmerzen, als mich erbärmliche Musik. Das Volk ist wohl innerlich angegriffen und zerstreut. Sie haben eine Religion, und glauben sie nicht; sie haben einen Pabst und Vorgesetzte, und verlachen sie; sie haben eine glänzend helle Vorzeit, und sie steht ihnen fern; – da ist es kein Wunder, wenn sie sich nicht an der Kunst erfreuen, – wenn ihnen sogar alles Ernstere gleichgültig ist. Die Indifferenz bei dem Tode des Pabstes, die unziemliche Lustigkeit bei den Ceremonien ist wirklich entsetzlich. Ich habe die Leiche auf dem Paradebett gesehen, und die Geistlichen, die umherstanden, flüsterten fortwährend miteinander, und lachten dann auf. – Jetzt wo für seine Seele Messen gelesen werden, zimmern sie in derselben Kirche fortwährend am Gerüste des Katafalks, so daß man vor dem Hallen der Beilschläge, vor dem Lärmen der Arbeitsleute vom Gottesdienst nichts hören kann. Sobald die Cardinäle im Conclave sind, kommen die Satyren auf sie heraus, wo sie dann z. B. die Litaney parodiren, und statt der Übel, um deren Ende sie bitten, immer die Eigenschaften der wohlbekannten Cardinäle nennen; oder wo sie eine ganze Oper von Cardinälen aufführen lassen; wo einer der prima amoroso, ein anderer tiranno assoluto, ein dritter Lampenputzer ist, u. s. f. So kann es nicht sein, wo die Leute sich an Kunst erquicken sollen. Früher war es nicht besser, aber sie haben daran geglaubt, und das macht den Unterschied. Die Natur aber, und die warme Decemberluft, und die Linie vom Albanerberge bis in's Meer hinunter, das ist Alles noch so geblieben; da können sie keine Namen einschneiden, und keine Inschriften dichten – das genießt jeder frisch, und für sich allein, und das ist es, woran ich mich halte! Ein Mensch fehlt mir hier, dem ich alles sehr offen mittheilen könnte; der meine Musik beim Entstehen läse, und mir doppelt lieb machte; bei dem ich mich so recht vollkommen erholen und ausruhen, und recht aufrichtig von ihm lernen könnte (er brauchte drum gar nicht ein sehr weiser Mann zu sein). Da aber die Bäume nicht in den Himmel wachsen sollen, wie es heißt, so wird der Mensch wohl sich hier nicht finden, und ein Glück, was ich sonst überall in sehr reichem Maaße hatte, wird mir gerade hier fehlen. Muß also hier für mich brummen, und es wird schon so recht sein.

Felix.

Die Schwestern Rebecka (links) und Fanny Zeichnung von Wilhelm Hensel (1828)

»Seine älteste Schwester Fanny stand ihm durch ihre eminente musikalische Befähigung sehr nahe, und ihr trefflicher Charakter, der klare Verstand, ihr durchaus vernünftiges, aber reiches Gefühlsleben – das nicht jedem erkennbar war – vermochte in Felix' erregtem Wesen manches auszugleichen. In seine jüngste Schwester Rebecka, welche jetzt in die Blüte jungfräulichen Reizes trat, war Felix fast verliebt.«

(Aus Devrients Erinnerungen an Mendelssohn)

Rom, den 10. December 1830.

Lieber Vater!

Dem Tage nach ist es heute ein Jahr, daß wir Deinen Geburtstag bei Hensels feierten, und da laß mich thun, als wäre es jetzt wieder so, und laß mich Dir einiges aus Rom erzählen, wie damals aus London. Als Geschenk denke ich morgen meine alte Ouverture zur einsamen InselSpäter unter dem Namen: »Ouvertüre zu den Hebriden« herausgegeben. fertig zu schreiben, und wenn ich dann darunter setze, den 11. December, und das Heft in die Hände nehme, so ist mir, als sollte ich es Dir gleich geben. Du würdest dann freilich sagen, Du könntest es nicht lesen, aber ich hätte Dir doch das Beste gebracht, was ich machen kann, und wenn mir an jedem Tage wohl schon so ist, als müßte ich das thun, so ist es doch mit einem Geburtstage was Eigenes; – ich wollte ich wäre da. Von meinem Glückwunsch laß mich schweigen. Du weißt ihn ja, und weißt wie ich, und wir Alle an Dein Glück und Deine Heiterkeit gebunden sind, und daß ich Dir nichts wünschen kann, was uns nicht Allen doppelt zu Theil würde. Heute ist Feiertag. Ich freue mich, wenn ich denke, wie froh es bei Euch aussehen muß. Und indem ich Dir erzähle, wie glücklich ich hier lebe, ist es mir auch, als brächte ich Dir einen Glückwunsch. Wirklich ist für mich eine Zeit, wie diese, wo sich Ernst und Annehmlichkeit vereinigen, sehr erquickend und wohlthuend. Jedesmal wenn ich in mein Zimmer trete, freue ich mich von Neuem, daß ich nicht den folgenden Tag weiter muß, – daß ich so Manches ruhig auf morgen verschieben darf – daß ich in Rom bin! Was mir die Zeit her durch den Kopf fuhr, wurde gleich wieder von Anderem verdrängt, und die Eindrücke jagten einander, während sich hier Alles gehörig ausbreiten kann. Ich glaube, daß ich noch nie mit so vieler Lust gearbeitet habe, und wenn ich Alles ausführen soll, was ich mir vornehme, so muß ich den ganzen Winter dabei bleiben. Freilich entbehre ich die große Freude, das Fertige Einem mitzutheilen, der sich daran freut, und darauf eingeht; aber das treibt mich gerade wieder zum Arbeiten, weil mir selbst Alles am besten gefällt, so lange ich mitten drin bin. Und nun verknüpft sich das mit den vielen Feierlichkeiten, Festen aller Art, die für ein Paar Tage einmal das Arbeiten verdrängen; und da ich mir vorgenommen habe, so viel ich kann zu sehen und zu genießen, lasse ich mich durch die Arbeit nicht hindern, und komme dann desto frischer wieder dazu zurück. Es ist wahrlich ein herrliches Leben. Mit der Gesundheit geht es mir ganz wohl; nur greift mir die warme Luft, namentlich der Scirocco die Nerven sehr an, und ich muß mich hüten, Abends spät und viel Clavier zu spielen. Auch wird es mir jetzt leicht, für ein Paar Tage dem zu entgehen, weil ich in den vorigen Wochen fast jeden Abend habe spielen müssen. Bunsen, der mich immer ermahnt, ja nicht zu spielen, wenn es mir nicht gut wäre, gab gestern eine große Gesellschaft, und da mußte ich doch heran. Es war mir auch lieb, weil ich mehrere angenehme Bekanntschaften dadurch gemacht habe, und weil namentlich Thorwaldsen sich so freundlich gegen mich ausgesprochen hat, daß ich ganz stolz darauf bin, da ich ihn als einen der größten Männer verehre, und immer bewunderte. Er ist ein Mensch wie ein Löwe, und es erquickt mich, wenn ich nur sein Gesicht ansehe; man weiß da gleich, daß er ein herrlicher Künstler sein muß; er sieht so klar aus den Augen, als müsse sich Alles in ihm zu Form und Bild gestalten. Dazu ist er ganz sanft, und freundlich und mild, weil er so sehr hoch steht; und doch glaube ich, daß er sich an jeder Kleinigkeit erfreuen kann. Es ist für mich ein wirklicher Genuß einen großen Mann zu sehen, und zu denken, daß der Urheber von Dingen, die ewig bleiben sollen, in seinem Leben, und mit seiner Eigenthümlichkeit vor mir steht, und ein Mensch ist, wie die andern eben auch.

Den 11ten Morgens. Nun ist der eigentliche Geburtstag; es sind mir eben ein Paar Noten dazu eingefallen, und wenn sie auch nichts taugen, so war gewöhnlich an meinem Glückwunsch auch nicht viel. – Fanny mag den zweiten Theil dazu machen; ich schreibe nur, was mir in den Sinn kam, als ich in die Stube trat, wo die Sonne wieder schien, und Dein Geburtstag war.

Eben war Bunsen hier, und läßt Dich sehr grüßen, und alles Glück Dir wünschen. – Er ist gegen mich die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit selbst, und ich denke wir vertragen uns sehr gut, da Du mich danach fragtest. P. hast Du mir mit ein Paar Worten in seiner ganzen Unliebenswürdigkeit in's Gedächtniß gerufen; freilich ist der Abbate Santini gegen ihn ein obscurer Mann, denn er macht sich nicht durch Ungefälligkeit und Wichtigthuerei bedeutender, als er ist. Gerade aber wie P. einer von jenen Sammlern ist, die Einem die Gelehrsamkeit und die Bibliotheken durch ihre Engherzigkeit zuwider machen, so ist Santini ein ächter Sammler im besten Sinne des Worts. Ob seine Sachen großen Werth an Gelde haben, ist ihm einerlei; – drum giebt er Alles ohne Unterschied gern weg, und sucht nur immer Neues zu bekommen; denn ihm liegt besonders an der Verbreitung und allgemeinen Kenntniß seiner alten Musik. Ich habe ihn noch nicht seitdem gesehen, weil er jetzt alle Morgen ex officio in seinem violetten Kleide in St. Peter figuriren muß; – aber hat er sich eines alten Textes bedient, so wird er es ohne Weiteres sagen, da er sich nichts daraus macht, der Erste zu sein. Er ist eigentlich ein beschränkter Mensch, und das halte ich in gewissem Sinne für ein großes Lob; denn wie er kein musikalisches, oder sonstiges Lumen ist, und auch außerdem mit dem Klosterbruder der ergründen will, viel Ähnlichkeit hat, so weiß er sich genau auf seine Sphäre zu beschränken. Die Musik interessirt ihn eigentlich nicht viel, wenn sie nur in seinem Schranke steht; und er ist, und hält sich für nichts, als einen ruhigen, fleißigen Arbeiter. Daß er langweilig ist, und auch zuweilen nicht ohne Schärfe, muß man freilich zugeben; hat und verfolgt aber ein Mensch eine bestimmte Richtung und bildet er sie nach Kräften aus, um damit den andern Menschen zu nützen, und die Sache weiter zu bringen, so habe ich ihn lieb, und glaube daß ihn ein jeder achten soll, einerlei, ob er langweilig ober angenehm sei. Ich wollte Du läsest das P. vor. Mich macht es jedesmal innerlichst grimmig, wenn Menschen, die gar keine Richtung haben, sich damit abgeben wollen, über andere zu urtheilen, die etwas wollen, und sei es das Kleinste, und ich habe deshalb einem Musiker hier neulich in einer Gesellschaft nach Kräften gedient. Der wollte nun gar über Mozart sprechen, und weil Bunsen und seine Schwester Palestrina lieben, suchte er sich bei ihnen dadurch einzuschmeicheln, daß er mich z. B. fragte: was ich denn über den guten Mozart mit seinen Sünden dächte? Ich antwortete ihm aber: ich meinestheils ließe gleich meine Tugenden im Stich, und nähme Mozart's Sünden dafür; wie tugendhaft er sei, könnte ich aber nicht bestimmen. Die Leute fingen an zu lachen, und hatten ihre Freude daran. Daß solch Volk sich nicht einmal vor den großen Namen scheuen will! Indeß ist es ein Trost, daß es in allen Künsten dasselbe ist, da die Maler es hier nicht besser machen. Es sind furchtbare Leute, wenn man sie in ihrem Café Greco sitzen sieht. Ich gehe auch fast nie hin, weil mich zu sehr vor ihnen und ihrem Lieblingsort graut. Das ist ein kleines, finsteres Zimmer, etwa acht Schritt breit, und auf der einen Seite der Stube darf man Tabak rauchen, auf der andern aber nicht. Da sitzen sie denn auf den Bänken umher, mit den breiten Hüten auf, große Schlächterhunde neben sich, Hals, Backen, das ganze Gesicht mit Haaren zugedeckt, machen einen entsetzlichen Qualm (nur auf der einen Seite des Zimmers), sagen einander Grobheiten; die Hunde sorgen für Verbreitung von Ungeziefer; eine Halsbinde, ein Frack wären Neuerungen, – was der Bart vom Gesicht frei läßt, das versteckt die Brille, und so trinken sie Kaffe, und sprechen von Tizian und Pordenone, als säßen die neben ihnen, und trügen auch Bärte und Sturmhüte! Dazu machen sie so kranke Madonnen, schwächliche Heilige, Milchbärte von Helden, daß man mitunter Lust bekommt drein zu schlagen. Auch das Bild von Tizian im Vatikan, nach dem Du mich frägst, scheuen die Höllenrichter nicht. Es hat ja keinen Gegenstand und keine Bedeutung, sagen sie, und daß ein Meister, der sich lange Zeit voll Liebe und Andacht mit einem Bilde beschäftigt, doch wohl so weit müsse gesehen haben, als sie mit ihren bunten Brillen, das fällt keinem ein. Und wenn ich mein Lebenlang nichts weiter thun könnte, so will ich allen denen, die vor ihren Meistern keinen Respekt haben, die herzlichsten Grobheiten sagen; dann hätt' ich schon ein gutes Werk gethan. So stehen sie aber, und sehen diese Pracht der Erscheinungen, von der sie keine Ahnung haben, und wagen dann sie zu beurtheilen. Auf dem Bilde sind drei Stufen oder Stadien, oder wie Du es sonst nennen willst, angenommen (wie auf der Transfiguration auch). Unten stehen Märtyrer und Heilige, leidend, duldend und gedrückt vorgestellt; es liegt auf allen Gesichtern Schwermuth, fast Ungeduld; einer in einem reichen Bischofskleide blickt sogar mit der lebhaftesten, schmerzlichsten Sehnsucht in die Höhe, als ob er weinte, und doch kann er nicht sehen, was über ihnen allen schon schwebt, und was wir wissen, die wir vor dem Bilde stehen. Über ihnen nämlich in einer Wolke sitzt die Maria mit dem Kinde, voll Heiterkeit, und von Engeln umgeben, die viele Kränze gewunden haben; und das Jesuskind hält einen davon, und es ist, als möchte es die Heiligen unten gleich bekränzen, und als hielte die Mutter es für den Augenblick noch zurück. Der Contrast von dem Schmerz und Leiden unten, wo der heilige Sebastian so finster und fast gleichgültig aus dem Bilde heraussieht, gegen die hohe ungetrübte Heiterkeit in den Wolken, wo ihnen die Kränze schon bereit sind, ist ganz herrlich. Hoch über der Gruppe der Maria schwebt noch der heilige Geist, von dem ein helles, strahlendes Licht sich ausbreitet, und so macht er den Schlußstein des Ganzen. Eben fällt mir noch ein, daß Goethe im Anfang seines ersten Aufenthalts in Rom das Bild beschreibt und bewundert; doch habe ich das Buch nicht mehr hier, und kann es also nicht nachlesen, in wie fern es mit meiner Erzählung stimmt. Er spricht ausführlich davon; es war damals im Quirinal, und, ist erst später nach dem Vatikan gekommen. Ob es nun auf Bestellung gemacht ist, wie jene behaupten, oder weshalb sonst, ist ganz einerlei. Er hat seinen Sinn und seine Poesie hineingelegt, und so ist es sein eigen geworden. Schadow, mit dem ich gern und oft zusammen bin, weil er überhaupt, und namentlich in seinem Fache, sehr mild, klar und ruhig urtheilt, und mit Bescheidenheit alles Große erkennt, meinte neulich, Tizian habe nie ein gleichgültiges und langweiliges Bild gemalt, und ich glaube er hat Recht; denn Leben und Begeisterung, und die gesundeste Kraft spricht aus allem, was er dargestellt hat, und wo die sind, da ist's gut sein. – Das ist nun aber das schöne und einzige hier: daß man lauter Sachen steht, die tausendmal beschrieben, besprochen, gemalt, beurtheilt sind, gut und schlecht; von den größten Meistern, und den kleinsten Schülern, lobend und tadelnd; und daß die Sachen dennoch einen so frischen und erhebenden Eindruck machen, daß sie jeden nach seiner Eigenthümlichkeit anders anregen. Man kann sich hier von den Menschen immer an den Umgebungen erholen, wie in Berlin oft umgekehrt. Eben empfange ich Deinen Brief vom 27ten v. Mts. und es freut mich herzlich, manches was Du darin frägst, schon beantwortet zu haben. Die Briefe um die ich gebeten, haben gar keine Eile; ich habe inzwischen fast mehr Bekanntschaften gemacht, als mir lieb ist, weil das späte Aufbleiben und Musiciren mir zu Rom gar nicht paßt, und so kann ich sie nun mit Geduld erwarten. Es ließ sich früher nicht so an, und daher bat ich so dringend darum. Nur was Du mir von den Cotterien sagst, denen ich nun entwachsen sei, kann ich nicht recht verstehen; denn ich weiß, daß ich, und wir alle, immer das, was man gewöhnlich so nennt: eine abgeschlossene, an Äußerlichkeiten klebende, leere Geselligkeit, von Herzen gehaßt und gefürchtet haben. Es ist aber wohl fast natürlich, daß sich unter Menschen, die sich täglich sehen, ohne daß ihr Interesse sich verändert; denen auch die Theilnahme an dem Öffentlichen fehlen muß (wie es denn in Berlin, das Theater ausgenommen, wohl der Fall ist), daß sich bei denen eine lustige, heitere, eigene Art über Dinge zu sprechen, leicht bildet, und daß so eine besondere, vielleicht auch einförmige Sprache entsteht; aber das kann noch keine Cotterie machen. Ich glaube gewiß, daß ich nie zu einer Cotterie gehören werde, ich mag nun in Rom oder Wittenberg sein. Es freut mich, daß das letzte Wort, welches ich schrieb, ehe Dein Brief kam, war, daß man sich in Berlin von den Umgebungen an den Menschen erholen müsse, und das zeigt wohl, daß ich nicht dem Cotteriengeist das Wort reden möchte, da der die Menschen gerade von einander entfernt. Es thäte mir leid, wenn Du von mir, oder irgend einem von uns, so etwas, anders als augenblicklich, bemerken könntest. – Verzeihe nur lieber Vater, daß ich mich so heftig dagegen vertheidige: aber mir ist schon das Wort im Innersten zuwider, und Du schreibst mir ja selbst in dem Briefe, ich solle immer gerade heraus reden, wie es mir zu Muthe ist; da nimm mir es denn nicht übel.

Heut war ich in St. Peter, wo die großen Feierlichkeiten, Absolutionen genannt, für den Pabst angefangen haben, und bis Dienstag, wo die Cardinäle in's Conclave gehen, dauern werden. Das Gebäude ist über alle Vorstellung. Mir kommt es vor, wie irgend ein großes Naturwerk, – ein Wald, Felsmassen oder dergleichen; denn die Idee eines Menschenwerks verliere ich immer dabei. Man sieht nach der Decke eben so wenig, wie sonst nach dem Himmel. Man verläuft sich darin, geht darin spazieren, und geht sich bald sehr müde. Es wird Gottesdienst darin gehalten und gesungen; man merkt es aber erst, wenn man in die Nähe kommt. Die Taufengel sind ungeschlachte Riesen; die Tauben colossale Raubvögel; man verliert alle Idee von Augenmaaß und Verhältniß; und doch wird Einem jedesmal das Herz weit, wenn man unter der Kuppel steht, und bis hinauf in einem Blicke sieht. Nun ist heut im Schiff ein ungeheurer Katafalk aufgerichtet, der etwa diese Form hat.Hier folgt im Briefe eine kleine Zeichnung des Katafalks. In der Mitte unter den Säulen steht der Sarg; geschmacklos ist das Ding und doch macht es einen tollen Effect. Das obere Rund ist nämlich dicht mit Lichtern besetzt; eben so die Verzierungen darauf; das untere Rund ebenfalls, und über dem Sarg hängt eine brennende Ampel; unter den Statuen brennen unzählige Lichter; dazu ist das Ganze über 100 Fuß hoch, und steht Einem gerade entgegen, wenn man hineintritt. Nun ziehen die Ehrengarde, und die Schweizer, im Viereck umher; in jede Ecke setzt sich ein Cardinal in tiefer Trauer mit seinen Dienern, die große brennende Fackeln halten, und dann fängt der Gesang an mit den Responsorien, so einfach und einförmig, wie Ihr ihn kennt. Es ist das einzige Mal, daß mitten in der Kirche gesungen wird, und macht eine wunderbare Wirkung. Schon blos wenn man unter den Sängern steht (ich darf das), und sie sieht, hat man einen prächtigen Eindruck. Denn da stehen sie alle um ihr colossales Buch, aus dem sie singen, und das Buch ist wieder mit einer colossalen Fackel erleuchtet, die davor brennt; und wie sie sich alle in ihrem Ornat drängen, um gut zu sehn und zu singen, und Baini mit seinem Mönchsgesicht, der den Takt mit der Hand schlägt, und dann und wann einmal gewaltig dazwischen brüllt; – dann alle die verschiedenen italienischen Gesichter zu beobachten, es ist eine Freude. Und wie man denn hier nur immer von einem Genuß zum andern zu eilen hat, so ist es auch in ihren Kirchen, namentlich in St. Peter, wo ein Paar Schritte gleich die ganze Scene verändern. Ich ging an's äußerste Ende, und da war ein wunderbarer Anblick. Durch die gewundenen Säulen des Hochaltars, der bekanntlich so hoch, wie das Berliner Schloß ist, und über den Raum der Kuppel hinweg sah man, perspectivisch verkleinert, den ganzen Katafalk mit seinen Lichtreihen, und die vielen kleinen Menschen die sich umherdrängten. Fängt nun die Musik an, so kommen die Töne viel später bis dahin, verhallen und verwischen sich im unermeßlichen Raum, sodaß man die seltsamsten, unbestimmten Harmonien vernimmt. Ändert man nun wieder die Stellung, und stellt sich vorn an den Katafalk hin, so hat man hinter der Glut der vielen Lichter, und der glänzenden Pracht, gleich die dämmrige Kuppel voll blauem Duft, und das ist gar erst unbeschreiblich. – Es ist eben Rom! Der Brief ist lang geworden; ich will ihn schließen; er wird gerade zu Weihnachten ankommen. Ein fröhliches Fest denn Euch Allen! Ich schicke aber auch Geschenke; die gehen übermorgen ab, und kommen zum Jahres-Tage der silbernen Hochzeit an; es sind da viel frohe Feiertage dicht zusammen, und ich weiß nun nicht recht, ob ich mich heut zu Euch hindenken soll, und Dir lieber Vater Glück wünschen, oder ob ich mit dem Briefe denke, und zu Weihnachten ankomme und von Mutter nicht durch die Aufbau-Stube gelassen werde. Beim Denken muß es nun bleiben. Lebt aber alle wohl, und seid glücklich.

Felix.

So eben erhalte ich Euren Brief, der mir die Nachricht von Goethe's Krankheit bringt. Wie mir persönlich dabei zu Muthe geworden, ist nicht zu sagen. Mir klangen den ganzen Abend seine letzten Worte »wir wollen sehn, uns bis zu Ihrer Rückkehr aufrecht zu erhalten« fortwährend in den Ohren, und ließen keine andern Gedanken aufkommen, und wenn er fort ist, so bekömmt Deutschland für die Künstler eine andere Gestalt. Ich habe nie ans Land Deutschland gedacht, ohne mich von Herzen zu freuen, und stolz darauf zu sein, daß Goethe darin lebe, und das Nachwachsende sieht meist so schwach und kränklich aus, daß Einem bang ums Herz wird. Er ist der letzte, und schließt eine heitere, glückliche Zeit vor uns zu! Das Jahr endigt furchtbar ernst. –

Rom, den 20. December 1830.

Nun habe ich Euch im vorigen Briefe vom ernsthaften Römerleben gesprochen; da ich aber in meinen Briefen gern schreiben will, wie ich lebe, so muß ich diesmal vom lustigen Leben erzählen, denn das hat diese Woche vorgeherrscht. Heut ist der wärmste Sonnenschein, blauer Himmel, klare Luft, und an solchen Tagen habe ich meine eigne Lebensart, bin fleißig bis Elf, und von da an bis zur Dunkelheit thue ich nichts, als Luft athmen. Gestern war seit mehreren Tagen wieder zum erstenmale ganz heiteres Wetter; nachdem ich denn also des Morgens ein Stück am Salomon gearbeitet hatte, ging ich auf den Monte Pincio, und spazierte da den ganzen Tag auf und ab. Es ist ein unglaublicher Eindruck, den diese Luft, diese Heiterkeit macht, und als ich heut aufstand, und wieder den klaren Sonnenschein sah, so freute ich mich auf das Nichtsthun, das heut ebenso wieder anfangen soll. Da geht denn die ganze Welt hin und her, und genießt des Frühlings im December. Man trifft alle Augenblicke Bekannte, schlendert mit ihnen ein Stück, verläßt sie, bleibt allein, und kann gut träumen. Von den schönsten Gesichtern wimmelt es; – wie die Sonne rückt, so verändert sich die ganze Landschaft, und alle Farben; – kommt das Ave Maria, so geht es in die Kirche von Trinità de' Monti; da singen die französischen Nonnen, und es ist wunderlieblich. Ich werde, bei Gott, ganz tolerant, und höre schlechte Musik mit Erbauung an, aber was ist zu thun? die Composition ist lächerlich; das Orgelspiel noch toller; aber nun ist's Dämmerung, und die ganze, kleine, bunte Kirche voll knieender Menschen, die von der untersinkenden Sonne beschienen werden, sobald die Thüre einmal aufgeht; die beiden singenden Nonnen haben die süßesten Stimmen von der Welt, ordentlich rührend zart; und namentlich wenn die eine mit ihrem sanften Tone das Responsorium singt, was man gewohnt ist von den Priestern so rauh, und streng, und einförmig zu hören, da wird Einem ganz wunderlich. Nun weiß man noch dazu, daß man die Sängerinnen nicht zu sehen bekommen darf; – da habe ich denn einen sonderbaren Entschluß gefaßt: ich componire ihnen etwas für ihre Stimmen, die ich mir recht genau gemerkt habe, und schicke es ihnen zu, wozu mir mehrere Wege zu Gebote stehen. Singen werden sie es dann, das weiß ich; und das wird nun hübsch sein, wenn ich mein Stück von Leuten, die ich nie gesehen habe, anhören werde, und wenn sie es wieder dem barbaro Tedesco, den sie auch nicht kennen, vorsingen müssen. – Ich freue mich sehr darauf; der Text ist lateinisch; ein Gebet an die Maria. Gefällt Euch nicht die Idee?Das Stück ist später als Opus 39 erschienen. Nach der Kirche geht es wieder auf den Berg spazieren, bis es dunkel ist. Da spielen denn Mde. Vernet und ihre Tochter, auch die hübsche Mde. V., für deren Bekanntschaft ich Rösel sehr dankbar bin, große Rollen unter uns Deutschen, die wir in Gruppen stehen, oder nachfolgen, oder nebenher gehen. Den Hintergrund machen bleiche Maler, mit gräßlichen Bärten; sie rauchen Taback auf dem Monte Pincio, pfeiffen ihren Hunden, und genießen auf ihre Weise den Sonnenuntergang. Da ich heut doch einmal frivol bin, so muß ich Euch, liebe Schwestern, ausführlich berichten, daß ich neulich auf einem großen Balle war, und mit einer Lust getanzt habe, wie sonst noch nie. Ich hatte dem maitre de Danse (denn hier muß so einer in der Mitte stehen, und Alles ordnen) ein gutes Wort gegeben; und so ließ der Mann den Galopp über eine halbe Stunde dauern. Da war ich denn in meinem Element, und mir sehr genau bewußt, daß ich im Palazzo Albani in Rom jetzt tanzte, und noch dazu mit dem schönsten Mädchen in Rom, nach dem Urtheil competenter Richter (Thorwaldsen, Vernet u. a.). Wie ich deren Bekanntschaft gemacht habe, ist wieder eine Römische Geschichte. Ich stand bei Torlonia auf dem ersten Balle, keine Dame kennend, also nicht tanzend, und sah mir die Leute an. Auf einmal klopft mir einer auf die Schulter: »Sie bewundern also auch die schöne Engländerin?« »Ich bin ganz erstaunt.« Das war der Herr Etatsrath Thorwaldsen, der in der Thüre stand, und sich gar nicht satt sehen konnte. Kaum hatte er aber dies gesagt, so erschallt hinter uns ein Schwall von Worten: »mais où est-elle donc, cette petite Anglaise? ma femme m´a envoyé pour la regarder, per bacco;« und daß der kleine dünne Franzose, mit dem grauen struppigen Haar, und dem Bande der Ehrenlegion Horace Vernet sein mußte, war wohl klar. Nun unterhielt der sich mit Thorwaldsen ganz ernsthaft und gelehrt, von dieser Schönheit, und mich freute es in die Seele von solch einem jungen Mädchen, wie die beiden alten Meister dastanden, und bewundern mußten, während sie ganz unbefangen tanzte. Dann ließen sie sich den Eltern vorstellen; ich fiel also sehr weg, und konnte nicht mitreden. Ein Paar Tage darauf war ich aber bei meinen Bekannten aus Venedig, von Attwoods her, weil sie mich, wie sie sagten, einigen ihrer Freunde vorstellen wollten; das waren nun die Freunde, und da war Euer Sohn und Bruder vergnügt.

Mein Clavierspielen verschafft mir hier eine besondere Freude. Ihr wißt wie Thorwaldsen die Musik liebt, und da spiele ich ihm des Morgens zuweilen vor, während er arbeitet. Er hat ein recht gutes Instrument bei sich stehen, und wenn ich mir dazu den alten Herrn ansehe, wie er an seinem braunen Thon knetet, und den Arm, oder ein Gewand so fein ausglättet, – kurz wenn er das schafft, was wir alle nachher als fertig und dauernd bewundern müssen, so freut mich's sehr, daß ich ihm ein Vergnügen bereiten kann. Übrigens bin ich bei alledem doch hinter der Arbeit her. Die Hebriden sind endlich fertig, und ein sonderbares Ding geworden. Das Nonnenstück habe ich im Kopfe; zum Weihnachten denke ich mir den Luther'schen Choral zu componiren, denn diesmal werde ich ihn mir allein machen müssen. Das ist denn freilich ernsthafter, wie auch der Jahres-Tag der silbernen Hochzeit, wo ich mir viel Lichter anstecken, das Liederspiel vorsingen, und meinen englischen Taktstock dazu ankucken werde. Nach Neujahr will ich mich wieder an die Instrumentalmusik machen, mehreres für's Clavier schreiben, und vielleicht noch eine, oder die andere Symphonie; denn mir spuken zwei im Kopfe herum. – Einen prächtigen Punkt habe ich kennen gelernt: das Grab der Cecilia Metella. Die Sabinerberge hatten Schnee, – himmlischer Sonnenschein war, – das Albanergebirge lag vor Einem wie eine Erscheinung im Traum. Fernen giebt's hier in Italien gar nicht, sondern alle Häuser auf den Bergen lassen sich zählen, mit ihren Fenstern und Dächern. So habe ich mich denn an der Luft satt gesogen, und morgen wird wohl wieder das ernste Leben angehen müssen, denn der Himmel ist bezogen, und es regnet scharf. Welch ein Frühling wird das aber werden!

Den 21sten. Der kürzeste Tag ist trübe, wie es vorauszusehen war; heut muß also an Fugen, Choräle, Bälle und dergleichen gedacht werden. Ein Paar Worte will ich aber noch von der Aurora von Guido sagen, die ich sehr oft besuche, und die ein Bild zum Wändeeinrennen ist; denn solch eine Eile, solch ein Vordringen, daß alles klirrt und schallt, hat kein Mensch sich je gedacht. Die Maler behaupten, es sei von zwei Seiten beleuchtet; meinethalben sollen sie ihre Bilder von dreien her beleuchten, wenn es hilft; aber es liegt anderswo! Liebe Rebecka, – ich kann hier kein ordentlich Lied machen; wer soll es mir singen? Aber eine große Fuge mache ich »wir glauben all« und singe selbst dazu, daß mein Hauptmann erschreckt die Treppe herunterkommt, hereinsieht und frägt, ob mir was fehle. Ich antworte dann: ein Contrathema. Was fehlt mir aber nicht alles! Und was hab' ich nicht alles! So geht nun das Leben weiter.

Felix.

Rom, den 28. December 1830.

Rom im Regenwetter ist das Fatalste, Unbehaglichste was es geben kann. Wir haben nun seit mehreren Tagen fortwährend Sturm, Kälte, und Ströme vom Himmel, und ich begreife kaum, wie ich vor acht Tagen einen Brief voll Spaziergängen, Orangenbäumen, und allem Schönen schreiben konnte; in solchem Wetter wird Alles häßlich. Dennoch muß ich aber davon erzählen, denn sonst hätte der vorige Brief kein Gegenstück, und das bleibt einmal nicht aus. Wenn man in Deutschland von Wintertagen, wie die heitern, keinen Begriff hat, kann man sich auch von einem nassen Wintertage keine Vorstellung machen; alles ist auf's schöne Wetter eingerichtet, und so erträgt man das schlechte, wie eine Landplage, und wartet auf bessere Zeit. Schutz giebt es nirgend; in meinem Zimmer, das sonst eines der behaglichsten ist, läuft das Wasser reichlich durch die Fenster, die nun einmal nicht schließen; der Wind pfeift durch die Thüren, die nun einmal nicht zugehen; der steinerne Fußboden kältet trotz aller doppelten Decken, und von dem Kaminfeuer wird der Rauch in die Stube getrieben, da das Feuer nicht brennen will: die Fremden frieren sämmtlich wie Schneider. Das ist aber noch golden gegen die Straßen, und ich betrachte es als ein Unglück, wenn ich ausgehen muß. Bekanntlich ist Rom auf sieben großen Hügeln gebaut; es sind aber noch eine Menge kleinerer da, und alle Straßen gehen abschüssig; da strömt Einem das Wasser mit Macht entgegen; erhöhte Fußsteige, oder Trottoirs nirgend; von der spanischen Treppe fluthet's, wie von der großen Wasserkunst in Wilhelmshöhe; die Tiber ist ausgetreten und überschwemmt die nächsten Straßen: das ist das Wasser von unten. – Von oben kommt es in Regengüssen, aber das ist das Wenigste. Die Häuser haben keine Dachrinne, sondern die verlängerten Dächer gehen abschüssig herab, sind aber von verschiedener Länge, und gießen von beiden Seiten der Straßen mit Wuth herunter, so daß man, man gehe wo es sei, nahe an den Häusern, oder in der Mitte, von einem Palast, oder einer Barbierstube begossen wird; und ehe man es sich versieht, steht man unter einer solchen Traufe, wo das Wasser auf den Schirm knallend fällt, hat einen Strom vor sich, der sich nicht überspringen läßt, und muß denselben Weg umkehren. Das ist das Wasser von oben. Nun fahren die Wagen noch dicht an den Häusern in der größten Schnelligkeit, so daß man sich in die Thüren stellen muß, bis sie vorbei sind; die bespritzen denn noch Menschen, Häuser, einander selbst; und begegnen sich gar zwei, so daß, bei den engen Straßen, der eine in den Rinnstein, der nun ein Strom ist, fahren muß, so ist das Unglück groß. Ich sah neulich, wie ein Abbate mit seinem Regenschirm einem Bauer seinen breiten Hut in der Eile vom Kopfe riß, und der Hut fiel mit der offenen Seite unter solch eine Traufe; der Bauer kehrte sich nach der falschen Seite, um ihn zu suchen, und als er ihn fand, war der Kopf schon ganz mit Wasser gefüllt. Scusì, sagte der Abbate, – Padrone, antwortete der Bauer. Dazu halten die Fiaker nur bis Fünf, und wenn man also in Gesellschaft ist, so kostet's einen Scudo; fiat justitia et pereat mundus. Rom im Regenwetter ist unglaublich unbehaglich.

Aus einem Schreiben von Devrient ersehe ich, daß mein Brief an ihn, den ich selbst in Venedig auf die Post am 17. October trug, am 19. November noch nicht angekommen war. Ebenso scheint ein anderer Brief, den ich an demselben Tage nach München schickte, nicht eingetroffen; beide Briefe enthielten Noten, und darin liegt der Grund. Man hat mir nämlich damals in Venedig alle meine Manuskripte auf der Douane weggenommen, als man in der Nacht kurz vor Abgang der Post meine Sachen visitirte, und ich habe sie erst hier nach vielem Ärger, und Hin- und Herschreiben, sämmtlich wieder erhalten. Man versicherte mir hier allgemein, der Grund sei, weil man eine geheime Chiffercorrespondenz in den Noten vermuthete. – Ich konnte eine solche jämmerliche Dummheit nicht glauben; da aber gerade die beiden Briefe mit Musik aus Venedig auch nicht angekommen sind, und zwar nur diese, so ist es klar genug. Ich werde mich hier beim Österreichischen Gesandten deshalb beklagen, es wird mir aber gar nichts helfen, und die Briefe, um die es mir sehr leid thut, sind verloren. Und so lebt mir wohl.


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