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VI. Der brandenburgisch-preußische Staat

In viel ernsterer und tieferer Weise als Stahr zieht Lassalle die Parallele zwischen Friedrich und Lessing. Er hebt ausdrücklich den schroffen Gegensatz hervor, der zwischen ihnen nach Bildung und Geschmack, nach Neigung und Richtung bestand, und er meint nur, daß sie »einen und denselben Zeitgedanken in der so verschiedenen Sphäre ihrer Tätigkeit verwirklicht« haben. Dieser Zeitgedanke soll darin bestehen, eine versteinerte Wirklichkeit zu neuem Leben, zu neuem Recht erweckt zu haben. Der Kampf um Schlesien war nach Lassalle »kein Krieg im gewöhnlichen Sinne, in dem es sich nur um die gleichgültige Frage handelte, ob ein Landstrich diesem oder jenem Fürsten gehören solle, er war eine – Insurrektion, welche der Marquis von Brandenburg gegen die Kaiserfamilie, gegen alle Formen und Überlieferungen des deutschen Reiches, ja gegen den einmütigen Willen des europäischen Kontinents unternahm, eine Insurrektion, die er durchkämpfte wie ein echter, auf sich gestellter Revolutionär, das Gift in der Tasche«. Bloß von dieser insurrektionellen Bedeutung seines Kampfes aus lasse sich der Zauber begreifen, den die Erhebung Friedrichs auch außerhalb seiner Staaten und trotz der Greuel und Lasten des Krieges ausgeübt habe. Ebendaher seien auch die Reformen Friedrichs im Innern entsprungen; wenn die zum Bewußtsein gekommene Überlegenheit des Subjekts über die Welt seiner Überlieferungen zum Prinzipe proklamiert worden sei, auf welchem das Bestehen des Staates nach außen beruhte, so mußte sie sich auch nun von selbst in dem Innern des Staates und der Verwaltung durchführen. Aber, so fährt Lassalle dann weiter fort, alles Revolutionieren in der äußeren Wirklichkeit bleibe selbst äußerlich und verlaufe im Sande, wenn es dem Geiste nicht gelinge, ebensosehr mit der historisch überlieferten Welt des geistigen Innern fertig zu werden, sein neues Prinzip durch alle ihre Instanzen und Gebiete durchzuführen und sie von neuem aus ihm aufzubauen. Und hiezu habe die Geschichte Lessing erfunden, worauf Lassalle zur nähern Würdigung Lessings übergeht.

Es ist leicht zu erkennen, daß der Vergleich, den Lassalle zwischen Friedrich und Lessing zieht, aus seiner ideologisch-hegelianischen Geschichtsauffassung entspringt. Diese Auffassung erwuchs ihm aus tiefen und umfassenden Arbeiten; man darf sagen, daß sie das bestimmende Moment seines Geistes war, daß sie seine geschichtliche Wirksamkeit ebenso kräftigte und stärkte wie auch wieder beschränkte und schwächte. Ohne den felsenfesten Glauben an die Macht der Idee als die oberste Lenkerin der menschlichen Geschicke würde Lassalle nicht die gewaltigen Leistungen vollbracht haben, die er tatsächlich vollbracht hat, würde aus seinen Reden und Schriften nicht jenes Feuer schlagen, das auch da noch erleuchtet und erwärmt, wo man mit dem Inhalt nicht mehr einverstanden sein kann. Aber die ideologische Geschichtsauffassung selbst ist, in erster Reihe durch die Arbeiten von Marx, lange überholt worden, und vieles, was Lassalle aus ihr heraus dargelegt hat, bedarf der sachlichen Ergänzung und Richtigstellung. Nur daß man, wenn die Sache nicht um der Person willen vernachlässigt werden darf, um der Sache willen nicht der Person zu nahe trete. Es ist heute ebenso leicht, einzelne Irrtümer Lassalles klarzustellen, wie es vor dreißig Jahren schwer war, auf der geistigen Höhe Lassalles zu stehen. Nicht mit Unrecht zog ihn das Gefühl einer inneren Wahlverwandtschaft zu Männern wie Hutten und Lessing; er gehört in die Reihe jener großen Anreger, Befreier, Kämpfer, denen der Kampf auch wohl einmal das Ziel des Kampfes war und denen gerade Lessing manch tiefes Wort kongenialen Verständnisses gewidmet hat. So jenem spanischen Gelehrten, »der über die Grenzen seines Jahrhunderts hinausdachte und kühn genug war, neue Wege zu bahnen«; man werde auch von seinen Irrtümern nicht anders als gut urteilen können; er vergleiche ihn übrigens einem mutigen Pferde, das niemals mehr Feuer aus den Steinen schlage, als wenn es stolpere.

So auch wird man durch Lassalles Wort von der »revolutionären Insurrektion« Friedrichs und durch das, was er sonst über diesen König äußert, auf einen ungleich größeren Zusammenhang der Lessing-Legende geführt als selbst durch die »berühmte Stelle« Goethes, geschweige denn ihre sonstigen Bestandteile. Es ist notwendig, wenigstens in den allgemeinsten Umrissen den Charakter des brandenburgisch-preußischen Staates festzustellen und einige Blicke auf Friedrichs Rechtspflege und Verwaltung, seine Diplomatie und Kriegführung zu werfen, um aus alledem ein Urteil darüber zu gewinnen, ob seiner Wirksamkeit ein »revolutionäres« Element beizumessen ist, ob er irgendwie und irgendwo »neues Leben, neues Recht« angebahnt hat.

Lassalle meint, Friedrich habe in »revolutionärem« Entschlusse die versteinerten Ordnungen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zertrümmert, und er fügt hinzu, daß der Kaiser nach dem Hubertusburger Frieden im Jahre 1763 der Sache nach ganz ebensogut hätte die Krone niederlegen können, wie er es bei Stiftung des Rheinbundes im Jahre 1806 wirklich tat. Das ist nicht falsch, aber auch nicht so richtig, als wenn man sagt, Kaiser und Reich seien tatsächlich schon 1648 abgedankt worden. Denn der Westfälische Friedensschluß verkündete »der deutschen Stände Libertät«, die Landeshoheit der deutschen Teilfürsten, und das war um so entscheidender, als der Dreißigjährige Krieg an dem Versuche des damaligen Kaisers entbrannt war, ein einheitliches Reich wiederherzustellen. Wollte man die Worte pressen, so ließe sich sogar behaupten, gerade Friedrichs Politik habe der Reichsverfassung wieder eine Art gespenstigen Lebens eingehaucht. Er führte namentlich den zweiten Krieg um Schlesien angeblich für Kaiser und Reich gegen den Despotismus Österreichs, für den rechtmäßig gewählten Kaiser Karl VII. gegen die Rebellion der Königin von Ungarn, und die Bemühungen um den Fürstenbund, die seine letzten Lebensjahre erfüllten, gingen vom Boden der Reichsverfassung aus. Immerhin hieße das mehr auf die Form als auf die Sache sehen. Es beweist nur so viel, daß Friedrichs dynastische Politik auch mit so schemenhaften Faktoren, wie Kaiser und Reich damals waren, trefflich zu rechnen wußte: Ihrem Wesen könnte sie deshalb doch diese Schemen noch schemenhafter gemacht haben. Und das hat sie freilich auch getan, nur nicht durch einen »revolutionären« Entschluß, sondern auf dem Wege einer geschichtlichen Entwicklung, die tief in die Jahrhunderte zurückgreift.

Es ist ein bürgerlicher Schriftsteller, der in einer Schilderung der Hansa schreibt: »Auf keinem Gebiete irdischer Interessen wird der Unterschied zwischen Oberdeutschen und Niederdeutschen so bemerkbar als in der Tätigkeit, welche nationale Schranken mehr als jede andere zerbricht. Mittelmeer und Nordmeer, Landhandel und Seehandel, Fabrikant und Kaufmann, Goldwährung und Silberwährung stehen im Verkehre der Ober- und Niederdeutschen gegeneinander.« Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 2, 232. Dieser Unterschied verhinderte, daß in Deutschland wie in Frankreich, England, Spanien aus dem Verfalle des feudalen Reichs ein nationaler Staat entstand. Sobald sich aus der mittelalterlichen Naturalwirtschaft Gewerbe, Handel und Verkehr, kurz, die ersten Anfänge der kapitalistischen Produktionsweise zu entwickeln begannen, verhinderte der Widerstreit der ökonomischen Interessen in Deutschland, was ihre Übereinstimmung in jenen andern Ländern verursachte. Will man äußerlich mit einer Jahreszahl den Beginn der Entwicklung bezeichnen, deren letzte Etappen die Jahre 1648, 1763 und 1806 waren, so bietet sich das Jahr 1273 dar. Die Wahl des kleinen Grafen Rudolf von Habsburg zum deutschen Kaiser offenbarte zuerst, daß die deutsche Monarchie eine schattenhafte Existenz zu führen begann. Es genügt darauf hinzuweisen, daß Rudolf bei seiner Wahl im kirchlichen Banne lag, weil er mit seinen Spießgesellen das Magdalenenkloster in Basel angezündet und ausgeraubt hatte. Er war die Puppe der großen Teilfürsten, die ihm nur unter ihrer Vormundschaft die Krone überließen und die ihm nur auf Kosten eines ihnen selbst zu übermächtig gewordenen Genossen, des Königs Ottokar von Böhmen, die Gründung einer sehr unsicheren Hausmacht gestatteten. Wenn Rudolf trotzdem der Ahnherr eines mächtigen Fürstengeschlechts wurde und seine Hausmacht sich zu einem Weltreich auswuchs, worin die Sonne nicht unterging, so geschah es zunächst, weil er und sein Nachfolger sich zu Fähnrichen und Vorkämpfern der päpstlichen Universalmonarchie machten. Das wurde die unverbrüchliche Politik des Hauses Habsburg; Rudolf strafte die Fürsten mit derselben Waffe, womit sie seine mächtigen Vorgänger auf dem Throne so oft gestraft hatten. Gleich nach seiner Wahl unterwarf er sich demütig der Kirche, nach deren irdischen Gütern er in seinen proletarischen Umständen gar zu unehrerbietiges Verlangen getragen hatte. Aus der unbedingten Unterwerfung unter den Papst gewann er aber nicht nur moralische, sondern auch und namentlich ökonomische Macht. Auf Halbpart begünstigte er die Ausbeutung der deutschen Nation durch die römische Kurie; mit eigener Hand schützte er auf einem Fürstenkonvent in Würzburg einen päpstlichen Legaten, dem die schmählichsten Wucherpraktiken nachgewiesen worden waren.

Allein diese Wucherpraktiken zehrten an den Wurzeln der päpstlichen Weltmonarchie. Sie wurde um so überflüssiger, je mehr sich die Warenproduktion und der Welthandel und in deren Gefolge die weltlichen Wissenschaften entwickelten. Aber je überflüssiger sie wurde, um so höher steigerte sie ihre Ansprüche, um so rücksichtsloser beutete sie die Nationen aus. Eine Auseinandersetzung mit Rom wurde für alle europäischen Völker eine Notwendigkeit. Es erübrigt, hier zu verfolgen, wie sie sich je nach dem von den einzelnen Völkern erreichten Höhegrade der ökonomischen Entwicklung sonst in Europa vollzog. Vergleiche darüber Kautsky, Thomas More und seine Utopie. Für Deutschland war diese Auseinandersetzung bei dem Widerstreite der ökonomischen Interessen, der das Land teilte, nur so möglich, daß der eine Teil um jeden Preis an Rom festhalten, ebendeshalb aber der andere Teil sich um jeden Preis von Rom losreißen mußte.

Zwar konnte es einige Jahre so scheinen, als habe Deutschland in dem Kampfe gegen Rom das Band gefunden, das alle Teile des Landes und alle Klassen des Volkes zu einer nationalen Einheit zusammenschließen würde. Die päpstliche Ausbeutung und Plünderung war so unerträglich geworden, daß Bauern, Bürger, Ritter, Fürsten gemeinsame Sache gegen sie machten. Ja, bis tief in die katholische Geistlichkeit hinein regte sich das Verlangen nach Abschüttelung des römischen Jochs, und selbst der habsburgische Kaiser Maximilian sah in Luther einen Mann, den man im Notfall immerhin gebrauchen könne. Allein dies gemeinsame Ziel war nur ein negatives; sobald es erreicht war, mußten die positiven Gegensätze auf ökonomischem und sozialem Gebiete um so schroffer hervortreten. Und so geschah es. Die Niederlage der Bauern, an denen Luther schmählichen Verrat übte und in deren Blute seine fürstlichen Beschützer mit erbarmungsloser Grausamkeit wateten, brach der reformatorischen Bewegung das Rückgrat. Die Fürsten blieben als Sieger auf dem sozialen Kriegsschauplatze. Das war eine historische Notwendigkeit, denn die Fürsten vertraten die Zentralisation des modernen Staats, soweit sie unter den ökonomischen Verhältnissen Deutschlands überhaupt möglich war. Nur daß es deshalb keineswegs das war, was man heutzutage Gedanken- und Geistes- und Gewissensfreiheit, Kulturfortschritt und so weiter zu nennen beliebt. Was die römische Kirche im sinkenden Mittelalter für Armen- und Krankenpflege, für Unterricht und Wissenschaft getan hatte, war herzlich wenig, aber es war doch immer noch mehr, als wenn die Fürsten das Kirchengut durch die Gurgel jagten oder an ihre Dirnen verschwendeten. Die protestantische Lehre selbst aber versteinerte als Spiegelbild dieses Duodezdespotismus zum Dogma vom göttlichen Rechte der Fürsten, von ihrer Allmacht und ihrer Allweisheit, vom unbedingten Gehorsam der Untertanen, kurzum, zu einem Dogma, wie es auf deutschem Boden niemals erhört und vor allem auch niemals von der katholischen Kirche gelehrt worden war.

Aller Scharfsinn der ideologischen Geschichtsschreibung scheitert an der Frage, wieso es kam, daß die revolutionäre Bewegung gegen die Weltmacht des Mittelalters gerade in dem Lande, wo sie den höchsten Aufschwung zu nehmen schien, in die traurigste Reaktion umschlug, weshalb gerade in Deutschland, um mit Lassalle zu sprechen, die »geistige Freiheit« nur dadurch erreicht werden konnte, daß ihr »bis auf die letzte Spur alles nationale Dasein, alle politische Freiheit, Einheit und Größe mindestens auf drei Jahrhunderte von Grund aus zum Opfer gebracht wurde«, worauf dann natürlich auch die »geistige Freiheit gar bald in jenes widerliche konfessionelle Pfaffengezänk verkümmern mußte, welches das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert erfüllte«. Der ideologische Streit der katholischen und der protestantischen Geschichtsschreiber darüber geht schon ins vierte Jahrhundert und ist doch nicht weiter gelangt wie am ersten Tage. Und auch am Jüngsten Tage wird er nicht weiter gelangt sein, wenn man sich hüben und drüben nicht endlich zur Erkenntnis aufschwingt, daß in dem Kampfe der religiösen Weltanschauungen sich die jeweiligen ökonomischen Klassenkämpfe widerspiegeln. Katholizismus und Feudalismus waren im Mittelalter ein und dasselbe; der entstehende Kapitalismus konnte diesen nicht bezwingen, ohne jenen niederzuwerfen; die Städte mußten mit den Pfaffen abrechnen, wenn sie den Junkern den Daumen aufs Auge drücken wollten. Die ökonomisch hochentwickelten Städte des südlichen Frankreichs waren schon im dreizehnten Jahrhundert die ersten Stätten der protestantischen Ketzereien; mit dem Seherblicke des Dichters feiert Nikolaus Lenau die Albigenser als die rechten Ahnen der »Stürmer der Bastille und so weiter«. Wie die Albigenser waren später die Hugenotten die ökonomisch entwickeltsten Elemente der französischen Bevölkerung, und der Franzose Calvin gab der protestantischen Ketzerei die dogmatische Fassung, die dem revolutionären Bürgertum als siegreiches Banner gegen die habsburgisch-päpstliche Weltmonarchie dienen konnte und gedient hat.

Vor allem in den »germanischen Ländern« Holland und England, während im eigenen Deutschland der Deutsche Luther nur eine dogmatische Fassung der protestantischen Ketzerei fertigbrachte, die wie ein fürchterlicher Alp durch mehrere Jahrhunderte auf der geistigen Entwicklung der Nation gelastet hat. Nach der ideologischen Geschichtstheorie müßte der Grund dieses weltweiten Unterschieds in der Verschiedenheit der großen Männer Calvin und Luther oder, wie man es wohl ausgedrückt hat, darin liegen, daß Calvin eine freiere, Luther eine strengere Anschauung vom Protestantismus hatte. So daß, wenn Calvin in Wittenberg und Luther in Genf gelebt hätte, die Geschichte des modernen Europa einen ganz anderen Verlauf genommen haben würde. Zum Unglück für diese geistreiche Auffassung war nun aber, Person an Person gemessen, Calvin womöglich noch beschränkter und unduldsamer als Luther, der solche Dinge wie den Scheiterhaufen des Servet immerhin nicht auf seinem Konto hat. Aber der historische Luther war in Genf so unmöglich wie der historische Calvin in Wittenberg. Die reiche Handelsstadt Genf hätte die bischöfliche Gewalt eines weltlichen Fürsten sowenig ertragen, wie in dem »alten Dorfe Wittenberg«, das nach Luthers Zeugnis in termino civilitatis, an der Grenze der Zivilisation lag, eine demokratische Kirchenverfassung möglich gewesen wäre. Am schärfsten trat der Gegensatz natürlich in der hauptsächlichsten Streitfrage zwischen Calvin und Luther hervor, in dem Abendmahlsstreite, den die aufklärerische Sekte der ideologischen Geschichtschreibung – ihre anspruchsvollste, aber keineswegs ihre tiefsinnigste Sekte! – als einen sinnlosen Streit um leere Worte aufzufassen geneigt ist. Luthers Einsetzungsworte ließen den Priester das Brot und den Wein in Fleisch und Blut Christi verwandeln; sie machten also aus dem Geistlichen den Schöpfer des Gottes und somit aus dem bischöflichen Landesherrn den Oberpapst von lauter kleinen Päpstlein. Aber jenes revolutionäre Bürgertum, dessen religiöser Wortführer Calvin war, dachte schon, was Lessing später sagte, daß nämlich die vielen kleinen Päpste unerträglicher seien als der eine große Papst, und so ließen sie es bei dem Abendmahle als einer bloßen Erinnerungsfeier an Jesu Opfertod bewenden.

Mit andern Worten: Calvinismus und Luthertum waren die verschiedenen religiösen Widerspiegelungen verschiedener ökonomischer Zustände des Bürgertums. In jenem siegten seine ökonomisch schon entwickelten, in diesem blieben seine erst halbentwickelten Elemente stecken. In Deutschland war aber nicht nur durch den Widerstreit der ökonomischen Interessen zwischen den einzelnen Teilen des Landes die Entwicklung der bürgerlichen Klassen gehemmt worden, sondern die großen ökonomischen Umwälzungen des sechzehnten Jahrhunderts stürzten die deutschen Städte sogar von der schon erreichten Höhe. Die Seeherrschaft der Hansa, die das nördliche Deutschland überhaupt erst aus der mittelalterlichen Barbarei gerissen hatte, ging unaufhaltsam verloren. Die Konkurrenz der durch ausgedehnte Schiffahrt und bedeutenden Fischfang mächtigen Holländer, die ökonomische Erstarkung der skandinavischen Länder, deren Handel die Hansa mehr oder weniger monopolisiert hatte, die Beseitigung der hansischen Handelsprivilegien in England durch die Königin Elisabeth, diese und andere sich wechselseitig fördernden Umstände führten den Untergang des mächtigen Städtebundes herbei. Aus dem Verkehre mit dem europäischen Nordosten wurden die niederdeutschen Städte durch die Engländer und Holländer fast völlig verdrängt; vom Handel mit England blieb ihnen nur ein sehr kleiner Teil; im Handel mit Spanien und Portugal ließen die Holländer sie kaum aufkommen; vom Verkehr mit beiden Indien und mit der Levante waren sie völlig ausgeschlossen. Ebenso hatte der Handel der oberdeutschen Städte infolge der Eroberung Konstantinopels durch die Türken, die Umschiffung des Vorgebirgs der Guten Hoffnung durch die Portugiesen und den durch beide Tatsachen verursachten Niedergang des Handels der italienischen Städte schon gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts seine Bedeutung großenteils verloren. Und je mehr das Anwachsen des Kapitalismus zur Ausdehnung seiner Märkte, das heißt zu den großen geographischen Entdeckungen des Reformationszeitalters führte, je schneller der Welthandel vom »Mittel- und Nordmeer« an die Gestade des Atlantischen Ozeans übersiedelte, um so mehr versiegten die Quellen des Wohlstandes für das nördliche wie für das südliche Deutschland, um so tiefer sanken die bürgerlichen Klassen des deutschen Volks.

Der Niedergang der deutschen Städte war aber auch der Niedergang der deutschen Reformation. In den entscheidenden Tagen des Bauernkrieges vermochten sich die Städte nur zu einer halben und zweideutigen Haltung aufzuschwingen, und darnach hatten die Fürsten das Heft in der Hand. Sehr mit Recht hat Engels eine Parallele zwischen dem deutschen Bürgertum von 1525 und 1848 gezogen, beide Male unterlag es halb aus Mangel an revolutionärem Mut gegen den Feudalismus, halb aus Überfluß an reaktionärer Angst vor dem Proletariat. Wir möchten nur noch auf ein zeitgenössisches Zeugnis hinweisen, auf einen Brief Wilibald Pirckheimers, des berühmten Patriziers von Nürnberg, der wohl als der klassische Vertreter des deutschen Bürgertums im Reformationszeitalter betrachtet werden kann. Kurz vor seinem 1530 erfolgten Tode schrieb er, er sei anfänglich gut lutherisch gewesen, aber im Vergleiche mit den evangelischen Buben erscheine die römische Büberei noch fromm. Die habe nur mit Gleisnerei und List betrogen, während die jetzigen offen und ungescheut ein schändlich Leben führten. Der gemeine Mann sei durch dieses Evangelium also unterrichtet, daß er nicht anders gedenke, denn wie eine gemeine Teilung geschehen möge; und wo die große Strafe nicht wäre, würde sich bald eine gemeine Beute erheben, wie an vielen Orten auch schon geschehen sei. Das schreibe er jedoch nicht darum, daß er des Papstes und seiner Pfaffen und Mönche Wesen loben könnte oder möchte, vielmehr wisse er, daß es in viel Weg sträflich sei und einer Besserung bedürfe. Doch seien die Papisten zum mindesten unter ihnen selbst eins: Dagegen seien die, so sich evangelisch nennen, mit dem höchsten untereinander uneins und in Sekten zerteilt; die müßten ihren Lauf haben wie die schwärmenden Bauern, bis sie zuletzt gar verwüten. Schreiben Herrn Wilibald Pirckheimers an Joh. Tscherte, König Karls V. Bau- und Brückenmeister in Wien. In Murrs Journal zur Kunstgeschichte usw., 10, 36 ff. Man sieht: Das »Teilen« und die »Spaltungen« der Sozialdemokratie sind eine alte Geschichte, doch darf man deshalb den alten Pirckheimer nicht auf eine Stufe mit den kapitalistischen Soldschreibern von heute stellen. Er war ein sehr gebildeter Mann, und seine halb reuige Rückkehr zum Papsttum hatte doch auch noch einen tieferen Sinn als die gemeine Philisterangst vor dem »Teilen«. Es geschah nicht oder doch nicht nur durch jesuitische Gewalt und List, es war auch nicht »Reaktion« im landläufigen Sinne der protestantischen Geschichtsschreiber, wenn sich der kultiviertere und reichere Westen und Süden frühzeitig wieder der alten Kirche zuwandten, wenn Salzburg, Bamberg und Würzburg, Trier, Köln und Paderborn, selbst Fulda und das Eichsfeld mitten im Frieden wieder katholisch wurden. Nicht allein stand der verjüngte Katholizismus hoch über dem schnell erstarrten Luthertum, sondern der Bruch mit Rom bedeutete auch den Bruch mit den damals noch entwickeltsten Ländern Europas, mit Italien, Frankreich, Spanien. Von ihnen hingen die ökonomischen Interessen der oberdeutschen Städte ab, und wenn ihr Handel gerade durch den Verfall des italienischen Handels den Todesstoß empfangen hatte, so pflegt sich der Ertrinkende erst recht krampfhaft an die Planken des Schiffes zu klammern, mit dem er gescheitert ist.

Dagegen blieb der Protestantismus im nördlichen und östlichen Deutschland vorherrschend. Diese Landesteile waren verhältnismäßig spät in den römisch-christlichen Kulturkreis getreten; sie hatten von Rom immer nur Übles, immer nur die raffinierteste und schamloseste Plünderung erfahren; ihre wirtschaftlichen Beziehungen liefen nicht nach dem südlichen und westlichen, sondern nach dem nördlichen und östlichen Europa hin. Jene Spaltung der ökonomischen Interessen, die das nördliche vom südlichen Deutschland schied, mußte sich auch in der religiösen Widerspiegelung dieser Interessen geltend machen. Aber der deutsche Protestantismus mußte auch ein ganz anderer werden wie der französische, holländische, schweizerische, wenn der ökonomische Schwerpunkt sich von den Märkten der Städte an die Höfe der Fürsten verschob. Zwar bestand an und für sich eine starke Interessengemeinschaft zwischen Bürger- und Fürstentum; wenn die kapitalistische Produktionsweise den nationalen Staat erzeugte, so war der nationale Staat zunächst nur möglich in der Form der absoluten Monarchie. Überall, wo ein einheitlicher, nationaler Wirtschaftsbetrieb entstand, waren die Monarchen sich ihres Ursprungs wohl bewußt: Sie beförderten die wirtschaftlichen Interessen des Landes, den Ackerbau und das Handwerk, den Handel und die Industrie. Gerade daran ging die Hansa zugrunde, daß die erstarkenden fürstlichen Gewalten im nördlichen und östlichen Europa die ökonomischen Interessen ihrer Gewerbe und Handel treibenden Klassen mit schroffer Rücksichtslosigkeit vertraten. Aber in Deutschland kam es eben nicht zu einem einheitlichen Nationalstaate, sondern nur zu einer großen Zahl von Teilstaaten und, wie Lassalle seinen Franz von Sickingen sagen läßt: Durch solche Landparzellen kann die Zugluft der Geschichte nicht streichen. Die deutschen Teilfürsten waren mehr große Grundbesitzer der feudalen als absolute Monarchen der kapitalistischen Zeit; sie sahen in den Städten nicht die Quellen ihrer Macht, sondern die ehrgeizigen und gefährlichen Nebenbuhler des Junkertums; in größerem Stile als die Stegreifritter der Landstraße, aber ganz aus dem gleichen Geiste heraus suchten sie die Hennen zu schlachten, welche die goldenen Eier legten. Sobald in diesem Kampfe der Verfall der Städte den Sieg der Fürsten entschied, mußte der deutsche Protestantismus aus dem ideologischen Bekenntnis des revolutionären Bürgertums in das ideologische Bekenntnis eines verächtlichen und verhängnisvollen Duodezdespotismus umschlagen. Durch die schnelle Verarmung des Volkes wurde Deutschland das sprichwörtliche Land der Knechtseligkeit.

Es soll schwer sein, in der ganzen Weltgeschichte eine Klasse aufzufinden, die durch so lange Zeit so arm an Geist und Kraft und so überschwenglich reich an menschlicher Verworfenheit gewesen ist wie die deutschen Fürsten vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert. Man darf nur nicht die Verantwortung für diese betrübende Tatsache auf die einzelnen Fürstengeschlechter wälzen; vielmehr muß die bürgerliche Geschichtsschreibung, wenn sie gerecht sein will, rückhaltlos anerkennen, daß es nicht anders gewesen wäre, wenn auf den Thronen der deutschen Teilfürsten etwa die Häupter der Familien Müller und Schulze gesessen hätten. Es waren die ökonomischen Lebensbedingungen der deutschen Fürstenklasse, die aus ihr in jenen Jahrhunderten ein so groteskes Zerrbild machten. Fehlte ihr die Grundlage, welche die fürstliche Macht in ökonomisch entwickelten Ländern besaß, so konnte sie nur bestehen durch fortlaufenden Verrat an ihrem Lande, an ihrem Volke und nicht zuletzt auch, was namentlich von den protestantischen Fürsten gilt, an ihrem Glauben. Da die Fürsten von dem Gewerbe der Untertanen nicht leben konnten, lebten sie von ihrem Blute; aus dem Handel mit Menschen gewannen sie, was ihnen der Handel mit Produkten nicht abwerfen konnte. Der Ausfuhrhandel war nach und nach fast auf einen einzigen bedeutenden Artikel herabgesunken. Die deutsche Leinwand, ein Produkt der ländlichen Industrie, wurde so gut und billig hergestellt, daß mehrere andere europäische Länder sie nicht entbehren konnten. Ihr Absatz wurde besonders im siebenzehnten Jahrhundert gefördert durch die Erweiterung des Kolonialhandels der Engländer, der Franzosen und der Spanier. Nach England, Frankreich und der Pyrenäischen Halbinsel gingen namentlich aus Niedersachsen über Hamburg und Bremen bedeutende Mengen leinener Gewebe, während der Leinenabsatz aus Westfalen nach Holland und von Schwaben nach Italien ebenfalls nicht unerheblich war. Indessen das war bis auf die Ausfuhr einiger Metallwaren auch alles, und die Menge ausländischer Erzeugnisse, die für den Erlös dieser Ausfuhr gekauft werden konnte, reichte für den Bedarf des fürstlichen Luxus bei weitem nicht hin. Die deutschen Fürsten brauchten noch andere Zahlungsmittel und fanden sie in den Subsidien, für welche sie ihre landesherrlichen Rechte, vor allem die Verfügung über Fleisch und Blut ihrer Untertanen, an die Interessen des Auslands verkauften. Gülich berechnet, daß allein von 1750 bis 1815 von Frankreich 35 und von England 311 Millionen Taler an deutsche Fürsten gezahlt wurden, Summen, die es überhaupt erst verständlich machen, wie so viele Teilfürsten eines so verarmten Landes, wie Deutschland war, mit der prunkhaften Verschwendung der französischen Könige wetteifern konnten. Gülich, Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe usw., 4, 353.

Eine Fürstenklasse, deren ökonomische Grundlage der fortlaufende Verrat an ihren ideellen Fürstenpflichten war, mußte natürlich die Brutstätte aller menschlichen Laster werden. Schon im fünfzehnten Jahrhundert war das Sündenregister der deutschen Fürsten unerschöpflich. Und die deutschen Fürsten des sechzehnten Jahrhunderts muß selbst Treitschke eine »verkommene Generation« nennen. Bei der Kaiserwahl von 1519 verkauften sämtliche Kurfürsten ihre Stimmen, mit einziger Ausnahme Friedrichs von Sachsen, der durch den Segen seiner Bergwerke eine seit der Entdeckung der Neuen Welt freilich schon prekär gewordene ökonomische Unabhängigkeit genoß; besondern Skandal erregten der Kurfürst von Brandenburg und sein Bruder, der Kurfürst von Mainz, durch die fröhliche Unbefangenheit, womit sie im Aufstriche je nach den steigenden Geboten ihre Stimmen bald an den französischen, bald an den spanischen Bewerber um die deutsche Kaiserkrone losschlugen. Aber Kaiserwahlen waren Festtagsschmäuse für diese Handelsleute; der alltägliche Schacher ging um das Blut ihrer Untertanen. Es ist anzuerkennen, daß sie dabei jedes ideologische Mäntelchen verschmähten. Ohne Zweifel neigte sich die große Mehrheit der weltlichen Fürsten dem Protestantismus zu, vor allem, weil er ihnen die reichen Kirchengüter einzuheimsen gestattete und weil sich die lutherische Lehre je länger je mehr zu einer himmlischen Verklärung ihres sehr irdischen Duodezdespotismus gestaltete. Aber weder diese noch die katholischen »Bekenner« und »Betefürsten« ließen sich in dem süßen Handel mit ihrer Menschenware durch ihre religiösen Bekenntnisse beirren; jede derartige Zumutung würden sie als einen wahrhaft gotteslästerlichen Eingriff in ihre göttlichen Gerechtsame zurückgewiesen haben. In den Hugenottenkriegen kämpften deutsche Lansquenets und Reitres hüben wie drüben und in jedem Lager der Franzosen deutsche Katholiken und Protestanten bunt durcheinander; der Badener, die Rheingrafen, viele andere protestantischen Fürsten standen im Lager der Liga gegen die Hugenotten. Der protestantische Erich von Braunschweig führte seine Truppen zu Alba, um die holländischen »Sakramentsschänder« zu züchtigen. Im Schmalkaldischen Kriege standen Moritz von Sachsen und die beiden Markgrafen von Brandenburg, Joachim II. und Hans, nicht zu ihren evangelischen Bundesgenossen, sondern auf habsburgisch-päpstlicher Seite. Und so weiter bis zu dem niederträchtigen Menschenschacher, den deutsche Fürsten gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit England trieben und den wir weiterhin noch näher beleuchten müssen.

Nichts begreiflicher, als daß die habsburgisch-päpstliche Weltmacht immer von neuem versuchte, dies Nest ruppiger Zaunkönige auszunehmen und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wiederherzustellen. Aber auch nichts begreiflicher, als daß alle diese Versuche nicht nur fehlschlugen, sondern das Gegenteil des erstrebten Erfolges erzielten. Trübselig wie das deutsche Fürstentum war, wurzelte es doch in den ökonomischen Zuständen des Landes, und die Feinde Deutschlands streckten schützend ihre Hand über den permanenten Landesverrat seiner Fürsten. Der gewaltigste jener Versuche, der Dreißigjährige Krieg, endete mit der verbrieften Landeshoheit der deutschen Fürsten unter völkerrechtlicher Garantie Frankreichs und Schwedens: Damit hatte die ökonomische Zerrissenheit Deutschlands, die es zum Spiel ausländischer Interessen machte, ihren politischen Ausdruck gefunden. In dem Kriege selbst spielten die protestantischen Fürsten eine mehr oder minder klägliche Rolle, der Kurfürst von Brandenburg eine so feige und zweideutige, daß ihn selbst, wieviel das immer sagen will, die hohenzollernschen Geschichtsschreiber preisgeben. Gleichwohl scheiterte das habsburgische Kaisertum daran, wieder vereinigen zu wollen, was die ökonomische Entwicklung zerrissen hatte, und aus dem ärmsten Winkel des protestantischen Deutschlands erwuchs ihm nunmehr ein Gegner, der ihm bald gefährlicher werden sollte als Frankreich und Schweden, als die ausländischen Beschützer der deutschen Kleinstaaten.

Dieser Gegner war der brandenburgisch-preußische Staat. Mit dem Dreißigjährigen Kriege begann er ebenso über das nördliche Deutschland emporzuwachsen, wie Österreich über dem südlichen Deutschland stand; damals schon sagte ein habsburgischer Minister, der Brandenburger werde der werden, den das »lutherische Geschmeiß« ersehne. Wie wurde das nun aber? Die landläufige Antwort ist: als ein Werk der Hohenzollern. Männer machen die Geschichte, ruft Herr von Treitschke, ohne die Hohenzollern ist der preußische Staat undenkbar, und er redet dann auch von der »Herrschgier eines Fürstenhauses, dessen Glieder zumeist mit beispielloser Unfähigkeit geschlagen waren«, womit er die Habsburger meint. Diese kritische Analyse des österreichisch-preußischen Dualismus blendet durch ihre Einfachheit, und sie wäre gewiß sehr befriedigend, wenn anders Schmeicheleien und Schimpfereien in die wissenschaftliche Geschichtsschreibung gehörten. Andere wohlgesinnte Geschichtsschreiber sagen: Als Vorkämpfer des protestantischen Gedankens hat Preußen die deutsche Hegemonie errungen. Allein wir haben bereits gesehen, sowohl was es mit dem »protestantischen Gedanken« auf sich hatte als auch weshalb der preußische Staat jeden nach seiner Fasson selig werden ließ. Näher kommen der Wahrheit schon die kühnen Geister, die sich zu der Erkenntnis aufschwingen: Preußen hat als Militärstaat das deutsche Reich nach und nach erobert. Nur daß damit die Frage zwar näher erläutert, aber noch keineswegs beantwortet ist, denn Militärstaat war Österreich auch; Militärstaaten waren oder wurden im siebzehnten Jahrhundert alle europäischen Staaten, und selbst die kleinsten Winkelstaaten wurden wenigstens Militärspielschachteln. Der Absolutismus war undenkbar ohne ein Heer. Die erste Form des modernen Militarismus waren die geworbenen Haufen der Landsknechte, aber diese Form starb schon im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts ab. Der Dreißigjährige Krieg hatte nicht zuletzt deshalb so lange gewährt und so furchtbare Verwüstungen angerichtet, bis ihm nicht sowohl der Sieg der einen und der anderen Partei als die allgemeine Erschöpfung ein Ziel setzte, weil keine der hadernden Parteien wegen des unzulänglichen Kriegsmaterials entscheidende Schläge führen konnte. Die Heere waren zu klein und vor allem zu wenig dauerhaft; bei jeder Stockung der Soldzahlung – und die kriegführenden Staaten befanden sich sehr bald alle in der ärgsten Finanzklemme – drohten sie auseinanderzulaufen und liefen auch wirklich auseinander; hatte das eine Heer an der Isar oder am Rheine gesiegt, so rottete sich schon wieder ein Feindesheer an der Elbe oder der Oder zusammen; die höchste Kunst des Feldherrn bestand in einer sozusagen demagogischen Fähigkeit, möglichst viel Futter für Pulver möglichst sicher an die Fahne zu fesseln, und wie gefährlich diese Demagogie für die Fürsten selbst werden konnte, zeigte das Beispiel Wallensteins. Aus diesen Erfahrungen und Lehren, entstand das stehende Söldnerheer, für welches das durch den Krieg erzeugte Lumpenproletariat gleich den nötigen Rohstoff lieferte.

Also nicht darin unterschied sich der brandenburgisch-preußische Staat von den übrigen Staaten, daß er überhaupt ein Militärstaat wurde, sondern nur dadurch, daß er gewissermaßen zum Militärstaat unter den Militärstaaten erwuchs, und diese Entwicklung ergab sich aus den ökonomischen Zuständen der Landesteile, aus denen er bestand. Die Ursachen der ostelbischen Kolonisation, die sich in der zweiten Hälfte des Mittelalters vollzog, können hier nicht dargelegt werden, ebensowenig die verschiedenen Formen, welche sie in Brandenburg, Pommern, Schlesien und Preußen annahm: Genug, die Mark Brandenburg, das Stammland des preußischen Staats, war ursprünglich eine Militärkolonie gewesen. Die Grundlage aller Besitzverhältnisse bildete damals die Rücksicht auf den Krieg; alle Grundstücke waren für diesen Zweck von Anfang her pflichtig; es wurde für sie gezinst oder Lehndienst geleistet. Für den Lehndienst zog ein zahlreicher, aus unfreien Ministerialen bestehender Militärstand zu; seine Bestimmung war in erster Reihe der Kriegsdienst und keineswegs der Ackerbau; das Lehngut sollte die Mannschaft unterhalten, und nur so viele Hufen sollten zinsfrei sein, als zur Erhaltung der lehnmäßigen Ausrüstung nötig wären; im Jahre 1280 wurde festgesetzt, daß der Ritter sechs Hufen unter dem Pfluge frei haben solle, aber für jede Hufe darüber zinsen müsse. Allein diese Einrichtung verfiel sehr schnell. Die bewaffnete Macht wurde eine ökonomische Klasse, die ihr öffentliches Amt zu einer Quelle sozialen Eigennutzes machte; die unfreie Kriegerkaste warf sich ebenso zum Herrn über den Markgrafen wie über die freien Bauern auf, die neben, nicht unter ihnen saßen und die gerade über die Elbe gewandert waren, um den Bedrückungen der Gutsherren im eigentlichen Reiche zu entgehen.

In dem märkischen Landbuche von 1375 finden sich schon Rittergüter von 10, 20, 25 Freihufen, die doch nur ein Lehnpferd zu leisten haben; es gibt Rittergüter von mehr als 6 Freihufen, die nur ½, ¼, 1/8 Lehnpferd leisten; drei Ritter in Wilmersdorf bei Berlin haben 10, 8, 3 Freihufen und leisten jeder nur ein halbes Viertelpferd. Statt der 4000 Ritter, die im fünfzehnten Jahrhundert in den Marken aufsaßen, kamen im sechzehnten nur noch 600; statt der vollen Lanze, dem Ritter mit zwei oder drei Knappen, einem Schützen, ein paar Knechten kamen »Einspänner«; endlich schickte der Vasall gar, statt selbst zu erscheinen, »einen Kutscher, Vogt, Fischer oder dergleichen schlimm und unversucht Lumpengesindel«, wie es in einem kurfürstlichen Erlasse von 1610, also am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges heißt. War dieser Verfall der Landesverteidigung schon nicht möglich ohne Schuld der Landesherren, die sich die Dienstpflicht der Mannschaft abkaufen, abschmeicheln, abtrotzen ließen, so trugen die Markgrafen, die askanischen, bayerischen, luxemburgischen wie hohenzollernschen, noch größere Schuld an dem Untergange der freien Bauernschaft. Sie belehnten die Ritter gegen Geld und Gunst mit dem Hufenzinse, den Hand- und Spanndiensten, kurzum, den Gefällen, die ihnen als Landesherren von den Bauern zustanden; sie bahnten der »Gutsherrlichkeit« den Weg, indem sie aus der dinglichen Pflicht gegen den Landesherrn, die durch die Dorfobrigkeit, den Lehnschulzen, wahrgenommen worden war, eine Art von persönlicher Abhängigkeit gegen Personen machten, die nicht zum Dorfe gehörten; sie verkauften den Rittern die höhere und niedere Gerichtsbarkeit über die Dörfer; sie duldeten, daß die Ritter neben den ihnen verkauften Abgaben und Diensten der Bauern noch eine Fülle anderer Abgaben, Dienste und Pflichten einführten; um den Rittern diese Fronden dauernd zu sichern, nahmen die Markgrafen schließlich den Bauern die Freizügigkeit und erklärten sie als »zur Hufe geboren«. Und als dann mit der wirtschaftlichen Umwälzung des Reformationszeitalters die feudale Ordnung zerfiel, der »gemeine Mann von Adel« sich auf sein Gut setzte und den Ackerbau als ein Gewerbe betrieb, da gestattete ihm Kurfürst Joachim II. sogar gegen bare Vergütung, die Bauernhöfe zu »legen«, den Schulzenhof, die Schäferei, Bauern- und Kossätenstellen zum Rittergute zu schlagen oder auch für seine Söhne in ebenso viele Rittergüter zu verwandeln, für die sich die Steuerfreiheit von selbst verstand. Im Beginn des Dreißigjährigen Krieges hatte sich in der Mark schon ein förmliches Schlachtschitzenwesen entwickelt. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 1, 39 ff.

Diese verhängnisvolle Sozialpolitik übte aber noch einen weiteren Rückschlag auf die militärischen Verhältnisse des Landes. Der sogenannte »Landesausschuß«, der neben den Lehnpferden als Kriegsmacht bestand, das Aufgebot des zwanzigsten Mannes aus der Bevölkerung für den Kriegsfall, war gleichfalls verfallen; ein amtlicher Entwurf zu einer neuen Wehrordnung spricht mit trockenen Worten aus, die Bauern seien zwar kriegstüchtiger als die Bürger, aber sie seien mit Fronden überlastet, und überdem sei es bedenklich, ihnen Mittel in die Hand zu geben, durch die sie sich aus ihrer Dienstbarkeit befreien könnten. Der Entwurf ist aus dem Archive mitgeteilt von Jähns, 2, 1073. In der Tat fürchtete man diese Möglichkeit so, daß man trotz der Zweifel an der Kriegstüchtigkeit der städtischen Bevölkerung doch aus ihr den »Landesausschuß« zu bilden und durch einige Übungen für den Wachtdienst tauglich zu machen versuchte. Allein es geschah, wie man befürchtet hatte, und der landesfürstliche Beutezug, mit dem die ersten Hohenzollern im fünfzehnten Jahrhundert die märkischen Städte bis auf den letzten Groschen ausgepumpt hatten, trug seine Früchte. Sogar die Berliner Bürger weigerten sich des Kriegsdienstes; in einer schriftlichen Beschwerde vom 17. November 1610 erklärten sie, einige von ihnen hätte man beim Üben so gedrillt, daß sie den Tod davon gehabt, auch sei das Schießen sehr gefährlich, denn es erschrecke die schwangeren Weiber, und was dieser heroischen Protestgründe mehr waren. Kaum ein anderer deutscher Teilstaat hatte am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges eine so verfallene Heeresverfassung wie die Mark Brandenburg; höchstens in dem andern Hauptbestandteile des damaligen brandenburgisch-preußischen Staats, in dem Herzogtum Preußen, der jetzigen Provinz Ostpreußen, sah es noch anarchischer aus, denn hier stand die fürstliche Gewalt überhaupt erst auf sehr schwankenden Füßen, abhängig, wie sie war, nicht nur von den junkerlichen Ständen, sondern auch von dem polnischen Lehnsherrn. So mußte denn der Hohenzollernstaat in erster Reihe die Zeche der dreißig Jahre zahlen. Bei seiner fast völligen Wehrlosigkeit verheerte die Kriegsfurie seine einzelnen Teile in entsetzlicher Weise, drückte sie auf einen Zustand der Barbarei herab, den man sich nach den zeitgenössischen Schilderungen nicht gräßlich genug vorstellen kann. Die armen, kleinen und wenig zahlreichen Städte des Gebietes waren vollends verkommen und zerstört, die Oder- und Weichselmündungen befanden sich in den Händen der Schweden und Polen. Die arg gelichtete bäuerliche Bevölkerung vegetierte in mehr tierischen als menschlichen Verhältnissen. Man muß diese ökonomischen Zustände genau ins Auge fassen, um zu verstehen, wie aus ihnen der preußische Staat entstehen konnte, einerseits der schroffst ausgebildete Militärstaat, andererseits, wie Lessing sagt, das »sklavischste Land in Europa«. Eins bedingt das andere als Ursache und Wirkung, denn wenn im Schatten der preußischen Militärdespotie nur die Sklaverei gedeihen konnte, so konnte die preußische Militärdespotie doch auch nur in einem Teile von Deutschland entstehen, wo Bildung und Kultur, Wissenschaft und Wohlstand bis auf die letzte Spur verschwunden waren und die Masse der Bevölkerung in jahrhundertelanger Sklaverei jeden selbständigen Willen verloren hatte.

Es ist selbstverständlich eine patriotische Fabel, wenn die bürgerlich-preußischen Geschichtsbücher die Sache so darstellen, als ob Kurfürst Friedrich Wilhelm, der acht Jahre vor dem Westfälischen Frieden zur Regierung gekommen war, kraft seiner Genialität ein Heer erschaffen und die Junkerherrschaft gebrochen habe, worauf dann alles weitere von selbst gefolgt sei.

Seitdem die Hohenzollern ins Land gekommen waren, hatte der Klassenkampf zwischen Fürsten- und Junkertum in verschiedenen Formen, aber auf die Dauer immer zum Vorteil der Junker getobt. Es war ein gar sehr oberflächlicher Erfolg gewesen, als der erste Hohenzoller mit Hilfe der märkischen Städte und einiger benachbarten Fürsten die Burgen der Quitzows brach. So gewöhnliche Strauchdiebe und Strolche wie die Quitzows und ihre Raubgesellen genügten nicht einmal den bescheidenen Anforderungen, die ihre Zeit an die Vertreter herrschender Klassen stellte; ihre eigenen Genossen gaben sie preis, wie heute die Börse jeden preisgibt, der Taschentücher stiehlt statt mit Millionen spekuliert. Aber um so nachdrücklicher zwang der märkische Adel die neuen Landesherren, seine ausbeutenden und unterdrückenden Klasseninteressen gegenüber den Städten und namentlich gegenüber den Bauern in gesetzlichen Formen zu vertreten. Unter dem Dutzend hohenzollernscher Kurfürsten gibt es nicht einen, der sich der Bauern gegen die Junker angenommen, gibt es kaum einen, der die Bauern nicht noch tiefer, als es seine Vorgänger schon getan hatten, unter das Joch der Junker gebeugt hätte. Damit waren aber die Junker erst recht Herren im Lande, und eben ihrer Übermacht und der Schwäche der landesfürstlichen Gewalt, namentlich von der Mitte des sechzehnten bis zur Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, war die geringe Entwicklung des brandenburgischen Heerwesens zu danken. Denn der Militarismus entwickelte sich historisch im gleichen Schritte mit dem Absolutismus.

Wollte der Kurfürst Friedrich Wilhelm, der von 1640 bis 1688 regierte, überhaupt nach dem Dreißigjährigen Kriege als Fürst bestehen, so bedurfte er freilich eines Heeres. Aber nicht minder zweifellos war, daß er ohne die Junker, geschweige denn wider sie, auch nicht eine Kompanie dauernd unter Waffen halten konnte. Von seinen Domänen bezog er im Anfange seiner Regierung nach einer Berechnung von Riedel und Krug etwa 40 000 Taler, und diese Summe reichte nicht einmal für die Kosten seines verschwenderischen Hofhalts hin. Ohne Steuern kein stehendes Heer und ohne die Stände keine Steuern. Nun hatte der Kurfürst ganz und gar kein Mittel, die märkischen Stände zur Bewilligung der Steuern zu zwingen. Er war allerdings ein rücksichtslos durchgreifender, wenn auch nach dem Zeugnis der fremden Diplomaten, die mit ihm verkehrten, nur mäßig begabter Despot; Rücksichten auf Gesetze, Rechte, Verträge kümmerten ihn wenig, wo es die Verfolgung seiner dynastischen Interessen galt; er hat später, als er in der Mark festen Fuß gefaßt hatte und über ein stehendes Heer gebot, nach erlangter Souveränität über das Herzogtum Preußen den Widerstand der dortigen Stände mit blutiger und widerrechtlicher Gewalttat gebrochen. Aber gleich nach dem Dreißigjährigen Kriege besaß er durchaus kein Machtmittel, die Stände zur Bewilligung von Steuern zu zwingen, und daß sie um seiner schönen Augen und des Gemeinwohles willen ihm den miles perpetuus nicht bewilligen würden, das wußte er so gut, wie sie es wußten, und wenn er es nicht gewußt hätte, so hätte er sich aus den Schicksalen seiner Vorfahren darüber belehren können.

Es konnte sich deshalb nur darum handeln, ob die Junker selbst ein Interesse an der Errichtung eines stehenden Heeres hatten. Und ein solches Interesse hatten sie allerdings aus verschiedenen Gründen. Zunächst mußte ihnen als herrschender Klasse an der Erhaltung des Staats gelegen sein; sie durften es nicht darauf ankommen lassen, daß dieses für sie so idyllische Gemeinwesen eines schönen Tages von den Polen oder Schweden verschluckt würde.

Dann aber war die bäuerliche Bevölkerung durch den Dreißigjährigen Krieg in eine gewisse Gärung geraten. Mit Recht sieht Kautsky eine weitere Ursache für die lange Dauer des Krieges darin, daß seit dem großen Bauernkriege ein massenhaftes bäuerliches Proletariat in Deutschland vorhanden war, daß dies Proletariat nicht wie in andern Ländern durch die Industrie und die Kolonien aufgesogen wurde, daß es somit ein reiches Werbegebiet für Soldtruppen bot, daß endlich der Krieg selbst neues Bauernelend schuf, somit neues Proletariat und neue Söldner lieferte, bis er endlich an der allgemeinen Erschöpfung starb. Galt dies im allgemeinen von ganz Deutschland, so galt es besonders von der Mark Brandenburg, wo der Krieg am ärgsten gehaust hatte. Was noch von Bauern übrig war, hatte Waffen führen gelernt oder trug gar noch Waffen; auf den wüsten Hofstellen siedelten sich entlassene Soldaten an, und »wer eine Kriegsfeder am Hute getragen hatte, der sträubte sich gegen die harten Lasten eines Hörigen« Freytag, Bilder, 4, 421.. Wie schwer dieser Umstand für die ostelbischen Junker ins Gewicht fiel, beweisen die immer wiederholten strengen Verbote des Waffentragens untertäniger Leute, beweist noch mehr die für das benachbarte Schlesien erlassene landesherrliche Verordnung, daß, wer unter der Fahne gestanden hatte, für seine Person der Untertanenpflichten ledig sein solle. Aber je mehr die Not der Zeit das Herrenrecht erschütterte, um so mehr bemühten sich die Junker um seine straffe Wiederaufrichtung. Im Kriege war die bäuerliche Bevölkerung vielfach durcheinandergelaufen; Untertanen hatten eigenmächtig ihre Wohnsitze verlassen und sich auf fremdem Grunde angesiedelt; ihre alten Herren beanspruchten das Recht, sie wie Sklaven zurückzufordern und wenn nötig mit Gewalt zurückzuholen; es ist oft unter dem heftigsten Widerstande geschehen. Der Mangel an Arbeitskräften machte sich auch sonst den Gutsherren in empfindlicher Weise geltend; es fehlte an Gesinde, und was etwa noch da war, besaß die Keckheit, menschenwürdige Behandlung und Nahrung zu verlangen. Allen Dorfinsassen wurde verboten, Kammern an ledige Männer und Frauen zu vermieten; alle solche Inlieger mußten angezeigt werden und wurden in das Gefängnis gesteckt, bis sie sich entschlossen, Dienstboten zu werden. Aber es scheint, daß sich der für die junkerlichen Dienste notwendige Menschenbedarf schwer decken ließ; Kost und Lohn waren eine Zeitlang nach dem Kriege besser, als in den folgenden Jahrhunderten und als sie vor dem Kriege gewesen waren; man begreift leicht, daß die herzbrechenden Klagen der Junker über das boshafte und mutwillige Gesinde einige Jahrzehnte nach dem Kriege kein Ende nehmen wollten.

Endlich gab es nach dem Kriege ein massenhaftes Lumpenproletariat in der Mark Brandenburg. Verlumpte Kriegsknechte, jeder Arbeit entwöhnt, Vagabunden, Zigeuner zogen haufenweise »fechtend« und »gartend«. umher; sie waren eine schwere Plage, namentlich für das platte Land; die geringste Weigerung, ihre Fäuste zu füllen, machte die Bettler zu Räubern. Aber noch lästiger vielleicht war für den märkischen Adel ein anderes Lumpenproletariat, das aus seinem eigenen Schoße aufwucherte. Wir haben bereits darauf hingewiesen, wie hoch vor dem Kriege das märkische Krautjunkertum ins Kraut geschossen war; es saßen ihrer oft mehrere auf einem; mäßigen Dorfe; ihre Güter waren vielfach nicht größer als Bauernhöfe. So war ein großer Teil von ihnen durch den Krieg besitzlos geworden. Diese sogenannten »Krippenreiter« trieben sich auch in ganzen Gesellschaften, koppelweise, wie man sich damals ausdrückte, im Lande umher, um bei den adligen begüterten Genossen, im Notfall auch bei Bürgern und Bauern zu schmarotzen. Auch sie waren geneigt, bei der geringsten Weigerung vom Betteln zum Rauben überzugehen, aber es kam wohl vor, daß sie sich bei untertänigen Leuten auch einen Buckel voll Prügel holten, was dann ja allerdings eine höchst frevelhafte Umwälzung der gottgewollten Ordnung war. Genug, dem Adel mußte sehr viel an der »standesgemäßen« Versorgung dieser »Edelsten und Besten« liegen, und wenn die »Gartbrüder« sich trefflich zu Soldaten eigneten, so waren die »Krippenreiter« ihre »geborenen« Offiziere.

Dies waren im allgemeinen die Zustände, die den märkischen Junkern von ihrem Klassenstandpunkte aus die Errichtung eines stehenden Heeres als notwendig erscheinen ließen. So bewilligten sie dem Kurfürsten das Heer, aber natürlich nur unter den Bedingungen, die ihren Klasseninteressen entsprachen. Sie bedangen sich zunächst die umfassendste »Gutsherrlichkeit« aus, so wie sie »herkömmlich« war, also die landesherrliche Bestätigung eines unbeschränkten Verfügungsrechts über die Bauern; »in der verzweifelten Lage zu Anfang seiner Regierung (im Landtagsrezesse von 1653) kaufte der Kurfürst dem privilegierten Adel die Möglichkeit einer festen, höheren Politik, den miles perpetuus, gleichsam damit ab, daß er ihm die Bauern preisgab, ihm in unterster Instanz ein unbedingtes Herrenrecht zugestand«. Schmoller, Die innere Verwaltung des preußischen Staats unter Friedrich Wilhelm I.; Preußische Jahrbücher, 25, 587. Nicht nur die »herkömmlichen«, das heißt tatsächlich, ja in einem Teile der Mark sogar gesetzlich ungemessenen Dienste, Fronden und Lasten der Bauern, sondern auch Patronat, Patrimonialgerichtsbarkeit, Polizei standen den Junkern zu; die »unterste Instanz« war in Wirklichkeit die alleinige Instanz, denn wo sollte ein Bauer selbst gegen das schnödeste Unrecht, das ihm ein Junker zufügte, Recht finden? Der Kurfürst für seinen Teil dachte nur daran, die paar Mauselöcher, durch die ein Bauer in besondern Glücksfällen sich trotzdem noch einem allzu wüterischen Junker oder gar dem Dienstverhältnis überhaupt hätte entziehen können, sorgfältig zu verstopfen. In den erneuerten Bauern-, Gesinde-, Hirten- und Schäferordnungen, die er während seiner langen Regierung für die einzelnen Landesteile erließ, bestätigte er immer zuerst den Landtagsrezeß von 1653, um ihn dann nie zu mildern, sondern stets im gutsherrlichen Sinne zu verbessern. Er verbot wiederholt, fremde Untertanen aufzunehmen, gab den alten Herren wiederholt das Recht, Entlaufene ohne Rücksicht auf Verjährung zurückzufordern. Heruntergekommene Bauern, denen der Gutsherr die Hilfe zur Wiederherstellung ihres Hofes versagt, dürfen doch nicht wegziehen, sondern müssen wenigstens mit ihrer Person dienen. Hausleute, die drei Jahre an einem Orte gesessen haben, können darnach festgehalten werden, ja auch ihre Kinder werden untertänig, selbst wenn sie vor der Untertänigkeit der Eltern geboren worden sind. Und so weiter. »Nichts würde irriger sein, als wenn man den großen Kurfürsten für einen sogenannten Bauernfreund halten wollte«, sagt Roscher. Wirklich? Aber die heute blühende Schule der preußischen Geschichtsschreiber erklärt den »großen Kurfürsten« ja auch nicht für einen »sogenannten«, sondern für einen wirklichen Bauernfreund. Leben wir doch auch heute noch in dem segensreichen Schatten seiner weisen Bauernpolitik, denn die junkerlichen Vorrechte des Landtagsrezesses von 1653 sind erst sehr allmählich und unvollständig, vielfach auch mehr der Form als dem Wesen nach, teils 1808, teils 1848, teils in der Kreisordnung der siebenziger und teils in der Landgemeindeordnung der neunziger Jahre abgetragen worden.

Ferner aber sicherte sich der »gemeine Mann von Adel« bei Errichtung des stehenden Heeres die ausschließliche oder doch so gut wie ausschließliche Besetzung der Offiziersstellen. Bürgerliche Landsknechtsführer, die im Dreißigjährigen Kriege militärischen Ruf erlangt hatten, mußten freilich mit verwandt werden, aber es war damals schon Sitte, daß sie durch Verleihung des Adels der Kameradschaft der »Krippenreiter« würdig gemacht wurden, deren militärische Fähigkeiten sie ergänzen sollten. In welchem Umfange dies junkerliche Vorrecht heute noch besteht, ist bekannt. In seinem ersten Ursprunge war es nicht nur eine politische Sicherheitsmaßregel, sondern auch eine ökonomische Staatshilfe ersten Ranges für ein »üppig wucherndes, zahlreiches, scheußliches Krautjunkergeschlecht« Worte Rüstows, dessen einschlägige Schrift, Die preußische Armee und die Junker, eine Fülle historischen und statistischen Materials über die soziale Bedeutung jenes Vorrechts enthält, das nach dem patriotischen Schlagworte einem »dummen Adelshasse« entspringen soll.. Wie sehr der preußische Adel, namentlich des achtzehnten Jahrhunderts, das Heer auswucherte, werden wir weiterhin noch sehen.

Endlich aber, wenn die Stände für so große Vorteile ihr Steuerbewilligungsrecht mehr oder weniger illusorisch machten, indem sie ein für allemal die Summen für ein stehendes Heer bewilligten, so sorgten sie wenigstens dafür, daß daraus für den Adel keine unliebsamen Konsequenzen gezogen werden konnten. Sie sicherten den Gütern und den Personen des Adels das gesetzliche Recht der Steuerfreiheit, das einmal zur Zeit der mittelalterlichen Lehnverfassung in gewisser Beschränkung einen Sinn gehabt hatte, aber längst zum gehässigsten Vorrecht geworden war. Gleichwohl hat auch dieses Vorrecht bis in die erste, ja zu einem erheblichen Teile bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts fortgedauert und ist dann erst gegen schweres Geld aus den Taschen der plebejischen Steuerzahler abgelöst worden.

Unter solchen Bedingungen – Bedingungen, die durchweg auf eine militärische, ökonomische und politische Befestigung der Junkerherrschaft hinausliefen – bewilligten die Stände dem Landesherrn die »Kontribution«, unter welchem Namen die Geld- und Naturallieferungen begriffen wurden, welche die bäuerliche und städtische Bevölkerung für das stehende Heer zu leisten hatte. Sie war nach den Grundstücken, besonders nach den Häusern verteilt und in dem verarmten Lande, das durch die unaufhörlichen Kriege des Kurfürsten immer von neuem verwüstet wurde, natürlich schwer aufzubringen, so gering auch nach unsern heutigen Begriffen der damalige Militäretat war. Der Kurfürst trieb sie aber unbarmherzig ein; in Berlin rollte der Exekutionswagen unaufhörlich durch die Straßen. So erklärten die Stände im Jahre 1667, das Land gehe auf diese Weise seinem völligen Ruin entgegen. Der Kurfürst erkannte an, daß er mit »Winseln und jammerlichen Klagden« aus dem ganzen Lande überschüttet würde, aber mindestens 300 000 Taler müsse er jährlich für sein Heer haben; er schlug vor, es mit einer andern Steuer zu versuchen, mit der Akzise, einer auf Genuß- und Lebensmittel gelegten Verbrauchssteuer, der jeder Einwohner des Landes unterworfen sein solle. Es war ein Versuch, den Adel wenigstens für seine Personen der Steuerpflicht zu unterwerfen, aber dieser etwas plumpen Pfiffigkeit erwiesen sich die Junker sofort gewachsen. Sie erklärten, daß sie alsdann von ihren Vorrechten nichts als den bloßen Namen behalten würden und »ihre Kinder nicht mehr in adligen Tugenden und guten Künsten aufziehen« könnten. Der Kurfürst hatte nicht die Macht, einen aus so ehrwürdigen Motiven entsprungenen Widerstand zu brechen, und es blieb bei der Kontribution für die bäuerliche Bevölkerung. Dagegen ergriffen die Städte mit Begierde den Vorschlag des Kurfürsten, der für sie eine Abwälzung der Steuern von der besitzenden auf die besitzlose Klasse bedeutete, und die Akzise wurde die städtische Heeressteuer.

Diese Anfänge des brandenburgisch-preußischen Militärstaats wurden unter dem Könige Friedrich Wilhelm I., der von 1713 bis 1740 regierte, ausgebaut und dauernd befestigt. Unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seinem Sohne, der als Kurfürst Friedrich III. von 1688 bis 1701, als König Friedrich I. von 1701 bis 1713 lebte, stand das stehende Heer sozusagen erst auf einem Fuße. Die ewige Geldnot machte in Friedenszeiten umfassende Entlassungen der Söldner notwendig, und die verschwenderische Hofhaltung beider Fürsten, namentlich aber des neugebackenen Königs, verschlang die Subsidien, die nach der edlen Sitte der deutschen Teilfürsten vom Auslande für die Vermietung des Heeres an ausländische Interessen einkamen. Friedrich I. hat während seiner Regierungszeit nicht weniger als 14 Millionen Taler solcher Subsidien erhalten und in der unsinnigsten Weise verschwendet. Er war ein schwacher und unfähiger Mann, von dem sein Enkel, der König Friedrich II., stets mit der größten Verachtung spricht; sein fürstliches Klassenbewußtsein erschöpfte sich in den äußerlichsten Nichtigkeiten der höfischen Etikette, und so mußte er die Puppe eines schmarotzenden Hofadels werden. Aber wie gern auch das Junkertum die verbrecherische Leichtfertigkeit dieses Fürsten für sich ausbeutete, so vernachlässigte es doch mit richtigem Klasseninstinkte die Grundlage seiner Macht nicht; immerhin wurden auch unter Friedrich I. von den auf 4 Millionen Taler gestiegenen Staatseinkünften 2½ Millionen für das Heer verwandt.

In seinem Sohne kam nun aber ein Fürst auf den Thron, der das Joch des Junkertums, dessen Stacheln er als Kronprinz schon schmerzlich empfunden hatte, abzuschütteln gedachte. Ein ungeschlachter Tyrann, wie Friedrich Wilhelm I. war, wird er doch von dem freisinnigsten Staatsmanne, den Preußen je gehabt hat, von Schön, der »größte innere König« dieses Landes genannt. Der König wußte nicht oft genug zu wiederholen: »Wir sind doch Herr und König und tun, was wir wollen«, aber daneben nannte er sich auch wohl einen »guten Republikaner«. Er prügelte jeden Bürgersmann, der sich von ungefähr in den Bereich seines Stockes verirrte, aber am kräftigsten prügelte er seinen adelsstolzen Thronfolger! weil er »hoffährtig, recht bauernstolz ist, mit keinem Menschen spricht, als mit welche, und nit popular und affabel ist«. Die Lösung dieser anscheinenden Widersprüche ergibt sich aus dem fürstlichen Klassenbewußtsein dieses Königs, für das der Junker nicht mehr war als der Bürger und der Bauer, aber der Bürger und der Bauer auch nicht mehr als ein Sklave des Monarchen. Über die Gleichheit aller Untertanen vor seinem Stocke dachte er allerdings äußerst republikanisch. Er hat den Kampf mit dem Junkertum so kräftig aufgenommen wie weder vor noch nach ihm ein Hohenzoller, und in dieser Beziehung darf er wohl der »größte innere König« des preußischen Staats genannt werden. Aber ebendeshalb war er auch der ausgeprägteste Soldatenkönig dieses Militärstaats, denn erst, wenn er das Heer den Junkern entriß, konnte er daran denken, ihre politische Herrschaft niederzuwerfen.

Hieraus ergibt sich nun aber schon, daß es eine leere Schmeichelei ist, wenn die preußischen Historiker diesem Könige nachsagen, er habe gleichsam in genialer Vorahnung den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht aus seinem Busen geschöpft, oder wie es Treitschke in seiner pomphaften Weise ausdrückt: »Ahnungslos brach sein in der Beschränktheit gewaltiger Geist die Bahn für eine strenge, dem Bürgersinn des Altertums verwandte Staatsgesinnung ... Das Kantonreglement von 1733 verkündete die Regel der allgemeinen Dienstpflicht.« Dies Reglement hat nie bestanden; es ist die reine Legende, obschon anerkannt werden muß, daß diese preußische Legende einen anständigeren Ursprung hat als ihre zahllosen Geschwister. Der geniale Bauernsohn Scharnhorst hat sie im Jahre 1810 erfunden, um dem beschränkten Könige Friedrich Wilhelm III., den die gründliche Pädagogik Napoleons noch immer nicht von seinen despotisch-feudalen Schrullen bekehrt hatte, durch das »glorreiche« Vorbild eines »glorreichen« Vorfahren die Zustimmung zur allgemeinen Wehrpflicht zu entreißen, ebenso wie damals Gneisenau eine alte Vorschrift des deutschen Ritterordens, die den Offizieren das Prügeln der Söldner verbot, entdecken oder auch erfinden mußte, ehe ihm der König gestattete, die scheußlichen Soldatenmißhandlungen zu bekämpfen. Es liegt im Wesen des Militarismus, immer weiter um sich zu greifen, und im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war er schon so weit gediehen, daß die freiwilligen Werbungen für die stehenden Heere nicht mehr ausreichten, auch nicht, soweit sie tatsächlich gewaltsame Pressungen waren; man mußte zu einem geregelten System der Aushebung unter den Landeskindern übergehen. Das geschah überall auf dem Kontinente, aber nirgends fand diese Neuerung einen stärkeren Widerstand als gerade bei dem Könige Friedrich Wilhelm I., der bei seinem Regierungsantritt sofort die letzten Reste der Landmiliz beseitigte und streng verbot, die Worte Miliz und Militär überhaupt auf die preußische Soldateska anzuwenden. Er wollte ein Söldnerheer im schärfsten Sinne des Worts haben, ein Heer, das nur an die Person des Fürsten gebunden war, und er hatte dazu seine sehr guten Gründe. Denn er wollte durch das Heer die Macht des Junkertums brechen, und solange die Junker wie eine Mauer zwischen ihm und der bäuerlichen, das heißt der großen Mehrheit der Bevölkerung standen, konnte er gar nicht an ein geregeltes Aushebungssystem unter den Landeskindern denken, am wenigsten für den Zweck, den er verfolgte.

Wenn daher der König sofort nach seinem Regierungsantritte den schmarotzenden Hofadel zum Teufel jagte, dagegen das Heer von 38 Bataillonen und 53 Schwadronen auf 66 Bataillone und 114 Schwadronen vermehrte, so konnte er die nötigen Rekruten nur durch Kauf oder, was sich durch größere Wohlfeilheit empfahl, durch Raub von Menschen zu bekommen hoffen. Gerade unter diesem Fürsten, dem angeblichen Schöpfer der allgemeinen Wehrpflicht, nahm die »ausländische Werbung«, das heißt der systematische Menschenraub in denjenigen deutschen Staaten, deren Fürsten schwächer waren als der König von Preußen, jene scheußliche Ausdehnung und Form an, deren dunkle Schatten selbst noch in den patriotischen Anekdotenbüchern erkennbar sind. Hier mag es genügen, ein urkundliches Zeugnis anzuführen, einen Erlaß der hannoverschen Regierung vom 14. Dezember 1731 gegen die preußischen Werber, worin verordnet wird, »solche Werber ohne Ansehen von Stand und Würden sogleich zu arretieren und, wenn sie sich in starker Zahl einfinden, durch Läutung der Sturmglocken zu verfolgen, auch Miliz aufzubieten, wenn solche sich in der Nähe befindet. Sie sollen als Straßen- und Menschenräuber, Störer des Landfriedens und Verletzer der Landesfreiheit traktiert und, wenn sie schuldig befunden werden, am Leben gestraft werden. Sollten sie sich aber zur Wehr setzen, so soll man sie totschlagen oder niederschießen.« Und ein nicht minder grelles Schlaglicht auf den Menschenraub im Innern des preußischen Staats wirft der Stoßseufzer des Generalauditeurs Katsch, daß bei den Werbungen wenigstens das viele Blutvergießen vermieden werden möge. Aber im eigenen Lande konnte der König den Menschenraub nicht entfernt so lange betreiben wie im Auslande; der Wille des Despoten zersprang wie Glas an der Macht der ökonomischen Verhältnisse. Die junge Mannschaft entwich, wo sie konnte, über die Grenzen; es mangelte überall an Arbeitskräften; die königlichen Behörden erklärten, daß der Ertrag der Kontribution und der Akzise unaufhörlich abnehme; die Städte lärmten, das Kommerzium floriere nicht mehr, und was am wichtigsten war: Die Junker bewaffneten ihre Hörigen und schickten die königlichen Werber mit blutigen Köpfen heim. Schon im Jahre 1714, kaum ein Jahr nach seinem Regierungsantritte, muß der König alle gewaltsame Werbung öffentlich verbieten; nur auf sehr unköniglichen Schleichwegen wagt er sie noch zu betreiben, indem er seinen Werbern »möglichste Listigkeit« empfiehlt oder die Vermeidung »großer Gewalttätigkeiten«, wegen deren »Klagen einkommen« könnten. Ja noch mehr: Nach weiteren drei Jahren muß er selbst schon »Exemtionen« von der Werbung verfügen; Wollarbeiter, Handwerker, Manufakturiers, Kinder von Beamten und wohlhabenden Leuten, überhaupt im allgemeinen die Bevölkerung der Städte und namentlich der größeren Städte, der Sammelbecken des Kapitals, sollen nicht »enrolliert« werden dürfen.

Der Umschwung erklärt sich daraus, daß den Junkern auf ihre Weise gelang, was dem König auf seine Weise mißlungen war. Gegen eine Vermehrung des Heeres hatten sie ganz und gar nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß dabei ihr Klasseninteresse gewahrt blieb. Jede neue Kompanie bedeutete für sie gewissermaßen ein neues Rittergut, ein oft noch einträglicheres, als ihre väterlichen Sandbüchsen in der Mark und in Pommern sein mochten. Der Kompaniechef war »Unternehmer an der Spitze einer Waffengenossenschaft«. Von dem Pauschquantum an Unteroffizier- und Gemeinensold, das ihm die königliche Kriegskasse zahlte, hatte er die Leute zu unterhalten; ferner durfte er einen Teil der Kompanie während eines Teils des Jahres beurlauben, um durch die so ersparte Löhnung das nötige Werbegeld für den Ersatz der Mannschaft zu gewinnen, die durch Desertion und Tod abging; was er durch geriebene Wirtschaft von dem Pauschquantum ersparte, das fiel in seine Tasche. Es war, auch wenn es dabei ohne alle Gaunereien abging, immer schon eine stattliche Jahresrente von ein paar Tausend Talern. Eine starke Vermehrung des Heeres bedeutete also für die Junker eine starke Vermehrung ihrer Sinekuren, und da griffen sie mit allen zehn Fingern zu. Nur mußte die Sache auf ihre Weise gemacht werden, so daß der politische und ökonomische Profit ihnen ungeschmälert in die Tasche fiel. Sie konnten ihre Hörigen gegen den König bewaffnen; aber der König konnte nicht die Hörigen gegen die Junker bewaffnen: Sie hatten seine große, lärmende Werbung durchkreuzt, aber er konnte nicht ihre kleine, stille Werbung verhindern. Die Junker fingen an, Landeskinder einzustellen, das heranwachsende Geschlecht, soweit es kräftigen Leibes schien, schon von früh an zu »enrollieren«, in die Aushebungslisten einzutragen. Die bäuerlichen Rekruten waren von Kindesbeinen an die Fuchtel der Junker gewöhnt; sie erhielten kein Handgeld: Sie desertierten immerhin seltener als Ausländer, und wenn ja einer desertierte, so war er leicht durch einen andern seinesgleichen ersetzt. Freilich verloren die Junker dadurch einen Teil der ländlichen Arbeitskräfte, aber diesem Schaden ließ sich abhelfen, sogar mit wachsendem Profit; das Beurlaubungssystem brauchte nur auf einen immer größeren Teil des Jahres und einen immer größeren Teil der Kompanie angewandt zu werden; dann hatten die Junker-Landwirte ihre Hörigen wieder, und die Junker-Kompaniechefs steckten um so reichlicher ersparten Sold in die Tasche. Endlich aber waren diese Soldaten weit anspruchsloser als das fahrende Gesindel, das sich sonst anwerben ließ; sie konnten bei den Lieferungen an Geld, Kleidung, Nahrung, die der Kompaniechef ihnen zu machen hatte, um so leichter übers Ohr gehauen werden, was denn auch noch eine Menge kleiner, aber zusammengerechnet doch auch wieder recht erklecklicher Schwänzelpfennige ergab.

Darnach ist es klar, was jene »Exemtionen« in der »Enrollierung« bedeuteten, die Friedrich Wilhelm I. Hals über Kopf verfügen mußte, nachdem er eben erst selbst die gewaltsamste Werbung im ganzen Lande zu treiben versucht hatte. Er mußte die Gewerbe und Handel treibende Klasse, die städtische Bevölkerung überhaupt, ferner was er an Beamten, an Geistlichen, an Lehrern brauchte usw. vor den gierigen Griffen der Junker schützen. Er war aus der Offensive vollständig in die Defensive zurückgeworfen worden. Er konnte froh sein, wenn die Junker seine »Exemtionen« respektierten, aber sonst mußte er ihr eigenmächtiges Vorgehen bestätigen, indem er das Land in bestimmte Kantonierungsbezirke für die einzelnen Regimenter einteilte, wofür er freilich, falls er etwa darnach gegeizt haben sollte, heute den Vorzug genießt, von den Lesern des Herrn v. Treitschke als dritter Bahnbrecher der allgemeinen Wehrpflicht neben Macchiavell und Spinoza bewundert zu werden. Er mußte durch den grausamsten Drill der Truppen, durch die schärfste Aufsicht über die Offiziere die Schlagfertigkeit des Heeres aufrechtzuerhalten suchen, die unausgesetzt durch die ausbeuterischen Tendenzen der Junker-Offiziere erschüttert wurde. Die Kabinettsordern des Königs zeugen von diesem fortwährenden Ringen. So verbietet er bei schwerer Strafe, in den Beurlaubungen eine gewisse Grenze zu überschreiten; so richtet er, um die volle Etatstärke der Kompanie wenigstens für einen Teil des Jahres zu sichern, eine regelmäßig wiederkehrende Übungsperiode, die sogenannte Exerzierzeit von April bis Juni, ein; so beschwert er sich, daß die Kompaniechefs den Soldaten für zwei Groschen ankreiden, was ihnen selbst nur einen Groschen koste; so verbietet er ihnen auch, das Guthaben, das etwa durch Desertion oder Tod eines Soldaten verlorengehe, solidarisch auf die ganze Kompanie zu verteilen und zur Abtragung gar die neu eingestellten Rekruten heranzuziehen. Man begreift nunmehr die Vorliebe Friedrich Wilhelms I. für ein reines Söldnerheer auch vom rein militärischen Gesichtspunkte aus; ohne die geworbenen Ausländer, die natürlich nicht einen Augenblick von der Fahne entlassen werden durften und in dem menschenarmen Lande immer doch noch mindestens die Hälfte der Truppen bildeten, hätte er das preußische Heer nicht auf die von ihm und seinem Freunde, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, tatsächlich erreichte Höhe der Ausbildung bringen können. Aber auch an diesem Kerne des Heeres zehrte die junkerliche Ausbeutung; wenigstens innerhalb der Garnisonmauern begann sie auch Ausländer zu beurlauben, und gegen Ende seiner Regierung mußte Friedrich Wilhelm I. den Soldaten der Berliner Garnison untersagen, zu handeln und zu hausieren, Hökerei und Handwerk zu treiben. Die obige Darstellung beruht auf dem archivalischen Material, das Max Lehmann in der »Historischen Zeitschrift«, 67, 254 ff. über die »Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelms I.« beigebracht hat. Herr Lehmann sagt unter anderem: »Die Kompaniechefs haben zu beurlauben begonnen, wie sie den Anfang mit der Enrollierung machten: In beiden Fällen war es ein wirtschaftliches Sonderinteresse, was ihr Handeln bestimmte.« Die Versuche des Herrn Lehmann, durch ein naives Zitat aus Aristoteles jene »wirtschaftlichen Sonderinteressen« der Junker als den Ursprung eines Goldenen Zeitalters darzustellen, gehen uns hier nicht weiter an.

Wie bei der Rekrutierung, so entspann sich auch bei der Finanzierung des Heeres ein Klassenscharmützel zwischen dem König und den Junkern. Wenn Preußen, das dem Flächeninhalte nach die zehnte, der Bevölkerungsziffer nach gar erst die dreizehnte Stelle unter den europäischen Staaten einnahm, die vierte Kriegsmacht des Erdteils spielen wollte (mit 80 000 Mann gegen 160 000 französische, 150 000 russische und 100 000 österreichische Truppen, wobei zu bemerken ist, daß diese Zahlen, wenigstens in Rußland und in Österreich, bei weitem nicht so fraglos waren wie in Preußen), so mußten natürlich die Kriegsgefälle, die Kontribution und die Akzise aufs äußerste angespannt oder, wie man das in Preußen zu nennen beliebt, »reformiert« werden. In der Tat steigerte Friedrich Wilhelm die Staatseinkünfte auf sieben Millionen Taler, von denen gegen sechs Millionen auf das Heer verwandt wurden. Hiergegen hatten die Junker als gegen eine Vermehrung ihrer Sinekuren natürlich auch gar nichts einzuwenden, im Gegenteil, aber um so heftiger sträubten sie sich gegen die Absicht des Königs, sie selbst wenigstens einigermaßen zur Steuer heranzuziehen, eine Absicht, die um so anerkennenswerter war, als Friedrich Wilhelm I. keine Blutprofite aus der Vermietung seiner Truppen an ausländische Mächte gezogen hat. Aber den Junkern hat er nur eine winzige Steuer aufzuerlegen vermocht, die sogenannten Lehnpferdegelder. Er bot ihnen die Aufhebung des nexus feudalis, die rechtliche Ablösung des Vasallendienstes, gegen eine jährliche Abgabe von vierzig Talern für jedes bisher im Kriegsfalle zu stellende Ritterpferd an. Aber da der Vasallendienst längst verfallen war und die Junker ihre Lehngüter tatsächlich als Erbgüter besaßen, so erhoben sie ein Zetermordio über die Absicht des Königs, gingen bis vor Kaiser und Reich und fügten sich erst nach vieljährigem Streite der winzigen Last. Denn diese Steuer wurde bei ihrer Repartierung keineswegs »reformiert«; es wurde nicht, wie es ursprünglich gemeint war, auf je sechs Hufen ein Ritterpferd gerechnet, sondern es blieb bei der Verteilung, die sich in dem schon geschilderten Verfalle des rittermäßigen Lehndienstes herausgebildet hatte. So daß wohl einige Rittergüter mehr als ein Pferd, viele andere dagegen nur ein halbes oder nur einen Fuß, ja sogar nur einen halben oder einen viertel Fuß zu dem jährlichen Kanon von je vierzig Talern auf ein ganzes Pferd abzulösen hatten.

So gering dieser Erfolg war, so war er doch alles, was der König den Junkern an Steuern aufzuerlegen vermochte. Alles oder so gut wie alles. Denn die berühmte Geschichte mit dem Felsen von Erz, als den dieser König die Souveränität gegenüber den Herren Junkern aufgerichtet haben soll, hatte in Wirklichkeit bei weitem nicht den heroischen Verlauf wie in den patriotischen Anekdotenbüchern. Der ganze Handel bezog sich zunächst allein auf Ostpreußen. Hier hatte einerseits der Adel unter dem deutschen Ritterorden und dann unter der polnischen Fremdherrschaft sich nicht die Steuerfreiheit zu erobern vermocht wie in der Mark Brandenburg unter den Hohenzollern, andererseits aber hatte der Kurfürst Friedrich Wilhelm den staatsrechtlichen Widerstand der preußischen Stände gegen seine Souveränität zwar durch rechtlose Gewalttat gebrochen, aber dadurch keineswegs die ökonomische Obmacht des Adels vernichtet. Die Veranlagung und Verteilung der verschiedenen Steuern, deren vornehmlichste ein Horn- und Klauenschoß war, blieb den Ständen. Nun riß bald eine bodenlose Wirtschaft ein; Bestechungen der ständischen Steuerbeamten und zahllose Steuerdefraudationen waren an der Tagesordnung; Tausende von Hufen wurden in den Steuerkatastern unterschlagen; um dem Horn- und Klauenschoße zu entgehen, hielt der Adel kein Vieh mehr und überspannte die Frondienste in so unerträglicher Weise, daß eine ununterbrochene Flucht der Hörigen nach Polen stattfand. Trotzdem bestand diese Raubwirtschaft jahrzehntelang und würde vermutlich auch noch weiter fortbestanden haben, wenn sie nicht dem großen Adel ein Übergewicht über den kleinen gegeben und so einen Interessengegensatz innerhalb des Junkertums selbst geschaffen hätte. Von 1690 bis 1714 waren vierzig arme Junker von ihren reicheren Klassengenossen ausgekauft worden, und hierauf fußend verlangte Graf Truchseß von Waldburg als Fürsprecher des kleinen Adels vom Könige die Umwandlung der verschiedenen Steuern in einen festen, nach der Größe der Besitzung abgestuften Generalhufenschoß.

Hierauf ging der König begreiflicherweise begierig ein und setzte unter dem Vorsitze des Grafen Truchseß eine Kommission ein, die nach dessen Plänen die neue Steuer veranlagen und ausschreiben sollte. Natürlich widersetzte sich der große Adel und sandte eine Deputation von vier Mitgliedern nach Berlin, die gegen die Einsetzung der Kommission protestierte und die Einberufung eines allgemeinen Landtags zur Beratung der Steuerfrage verlangte. Auf ihr Anliegen verfügte der König nun zwar: »Die Hubenkommission soll seinen Fortgang haben, ich komme zu meinem Zweck und stabilire die Souveränetät und setze die Krone fest wie Rocher de Bronce und lasse den Herren Junkern den Wind von Landtag.« Indessen mündlich gab er den ständischen Abgesandten doch die beruhigende Erklärung, daß er die Steuer nicht einführen werde, wofern sie ein Ruin des Adels sein sollte, und daß der Adel immer in gerechtsamen Sachen einen Rekurs an ihm finden würde; vor allem aber ließ er den Abgesandten bei ihrer Abreise trotz seines Geizes 5500 Taler Diäten überreichen, »vor ihre Mühe, das sie zu Hause was versäumt haben«, was denn einer Bestechung so ähnlich sah wie ein Ei dem anderen. Es kam dann auch nur noch ein Protest des Feldmarschalls Dohna, in dem der neue Schoß als Ruin des ganzen Landes erklärt wurde, worauf der König antwortete: »Curios, tout le pays cera Ruiné, Nihil Kredo, aber das Kredo, das den Junkers Ihre Ottorität Niposwollam wird ruiniret werden, trux soll seine Verantwortung einschicken. Die Stände sollen steuern, da bleibe ich biß an mein sehlich Ende.« Der König, oder vielmehr trux, Graf Truchseß, hat denn auch den Generalhufenschoß für den ostpreußischen Adel durchgesetzt. Aber man sieht, daß es mit dem vielgepriesenen »Stabiliren der Souveränetät« nicht so gar weit her war. Die kleinen Junker in Ostpreußen regelten mit Hilfe des Königs die in diesem Landesteile von alters her bestehende gesetzliche Steuerpflicht des Adels so, daß sie von ihren ökonomisch stärkeren Klassengenossen nicht mehr erdrückt werden konnten: Das ist alles. Weder hat Friedrich Wilhelm I. – von den geringfügigen Lehnpferdegeldern abgesehen – die Steuerfreiheit des Adels in irgendeinem andern Landesteile anzutasten gewagt, noch auch hat er die ostpreußischen Junker stärker herangezogen, als es eben dem trux, das heißt dem kleinen Adel beliebte und dem großen Adel eben noch erträglich sein mochte. Nach einer amtlichen, von dem Präsidenten der Oberrechenkammer verfaßten Denkschrift aus der Zeit Friedrichs II. zahlte der ostpreußische Junker von der Hufe nach Magdeburgischem Maß (die Hufe zu dreißig Magdeburgischen Morgen) noch nicht zwei, der brandenburgische Bauer aber von demselben Flächenmaße über acht Taler Kontribution, wozu dann noch kommt, daß der jährliche Kanon an Lehnpferdegeldern für die ostpreußischen Rittergüter auf zehn Taler herabgesetzt worden war. Zakrzewski, Die wichtigeren preußischen Reformen der direkten, ländlichen Steuern im achtzehnten Jahrhundert. Schmoller, Die Epochen der preußischen Finanzpolitik im Jahrbuche für Gesetzgebung usw., Jahrgang 1877, S. 43 ff. Die Denkschrift des Präsidenten Roden bei Preuß, 4, 415 ff.

So fiel die Erhöhung der Steuern, welche die Verstärkung des Heeres notwendig machte, mit fast ausschließlicher Wucht auf die bäuerliche und städtische Bevölkerung. Und wie die Kontribution für jene auf eine erdrückende Höhe stieg, so wuchs sich für diese die Akzise zu jenem Weichselzopf von Steuern aus, der hier mit Schmollers Worten gezeichnet werden mag: »Wir können die brandenburgisch-preußische Akzise als ein System von Steuern bezeichnen, das, ausschließlich auf die Städte beschränkt, neben einer mäßigen Grund-, Gewerbe- und Kopfsteuer wesentlich indirekte Steuern, und zwar solche auf Getränke, Getreide, Fleisch, Viktualien und Kaufmannswaren, umfaßte. Die Erhebung fand in verschiedener Weise, teils beim Einbringen in die Stadt, teils bei der Produktion, teils beim Verkaufe statt. Die einzelnen Steuersätze waren relativ sehr niedrig, aber dafür um so zahlreicher auf möglichst viele Artikel und Waren ausgedehnt.« Zur Erhebung dieser umfassenden Steuern war nun aber auch eine geschulte Bürokratie notwendig, und so stellte Friedrich Wilhelm I. die neue Staatsverwaltung her, wie sie im wesentlichen bis 1806 bestanden hat und in ihren Grundzügen noch heute besteht. Die besondere schöpferische Genialität, die er dabei bewiesen haben soll, ist schwer zu erkennen, denn die bürgerliche Verwaltung ergab sich von selbst aus den Lebensbedingungen dieses Militärstaats. Als unterste Stufe die Kriegs- und Steuerräte in den Städten, die Landräte auf dem platten Lande, darüber die Kriegs- und Domänenkammern, was heute die Bezirksregierungen sind, und als oberste Spitze das Generaloberfinanz-, Kriegs- und Domänendirektorium, das heutige Ministerium – die Namen dieser Behörden sagen zumeist schon, um was es sich handelte: um die Erhebung und Verwaltung der Staatseinkünfte, der Domänengefälle einer-, der Kriegsgefälle, Kontribution und Akzise andererseits für militärische Zwecke. Alle andern Zweige der innern Verwaltung, Ackerbau, Gewerbe, Handel, Verkehr, Kirchen- und Schulsachen, Rechtspflege usw., kamen höchstens insoweit in Betracht, als sich dabei eine Aussicht eröffnete, die Finanzen steigern und das Heer vermehren zu können. Sie entstanden erst aus der Finanzverwaltung, wie denn Schmoller sagt, daß vornehmlich an der Akzise das preußische Beamtentum erwachsen sei.

Anzuerkennen ist immerhin, daß der König auch auf diesem Gebiete den Kampf mit dem Junkertum aufnahm. Er beförderte möglichst viele bürgerliche Elemente in die höheren und höchsten Beamtenstellen; er suchte namentlich das Landratsamt, den praktisch wichtigsten Posten der ganzen Verwaltung, den Junkern zu entreißen. Neuere preußische Historiker haben dies Amt in seiner eigentümlich preußischen Form als den letzten Rest altgermanischer Freiheit zu verklären gesucht; Friedrich Wilhelm I. dagegen sah – und darin kann man ihm nur beistimmen – in dem Rechte der kreiseingesessenen Gutsbesitzer, aus ihrer eigenen Mitte den obersten Verwaltungsbeamten des Kreises vorzuschlagen, nichts als einen Hebel mehr für die Herrschaft der Junker, die auf diese Weise ihr Klassenregiment über die bäuerliche Bevölkerung stärken und mit dem Schimmer staatlicher Autorität bekleiden, der Krone aber desto trotziger entgegentreten konnten. Allzuweit ist der König aber auch in diesem Strauße mit den Junkern nicht gekommen; er hat bei der Ernennung der Landräte das ständische Vorschlagsrecht häufig nach der persönlichen, aber nie nach der prinzipiellen Seite hin durchbrochen; er hat gar manches Mal den Kandidaten der Junker durch einen ihm genehmeren Kandidaten ersetzt, aber seinen Kandidaten doch immer auch aus den kreiseingesessenen Junkern genommen. Schmoller, Der preußische Beamtenstand unter Friedrich Wilhelm I.; Preußische Jahrbücher, 26, 162. Der König verstand recht gut, welche Waffe er sich in dem Beamtentum gegen die Junker schmieden konnte; in einer Instruktion an seinen Sohn spricht er offen aus, ein Beamter, der dem Könige treu dienen wolle, werde viele gegen sich haben, besonders den ganzen Adel; dieser alte Gegensatz ist ja noch zu unserer Zeit in dem sprühenden Hasse des Junkers Bismarck gegen die Bürokratie zu lebendigem Ausdruck gekommen. Aber Friedrich Wilhelm I. stumpfte die Waffe, die er sich in der Bürokratie gegen die Junker schmieden konnte und auch zu schmieden begann, selber ab, indem er zugunsten seiner Rekrutenkasse einen schlecht oder gar nicht verhüllten Ämterkauf trieb. Es kommt doch wesentlich auf dasselbe hinaus, wenn des Königs Entscheid in einzelnen Fällen bei Besetzung von Beamtenstellen lautete: »wer das meiste giebt«, oder wenn in einer allgemeinen königlichen Instruktion für das Generaldirektorium dieser Grundsatz dahin gemildert wird, »wer am habilesten ist und am meisten giebet«. Alle Ämter, auch die richterlichen, waren nur durch eine Abfindung mit der Rekrutenkasse zu erlangen; damit war den schlimmsten Mißbräuchen Tor und Tür geöffnet, und die Junker wußten ihren Vorteil gar wohl zu benutzen; der König muß immer wieder die Klage erheben, daß die Beamten »mit dem Adel eine Bande, und, was das allerärgste ist, Partie wider uns selbst machen«.

Dies war denn so in allgemeinen Zügen die Magna Charta des preußischen Militärstaats, deren Wortlaut teils in vermoderten Scharteken vergraben, teils niemals niedergeschrieben worden ist, aber deren Wirksamkeit sich dauerhafter erwiesen hat als jenes »Blatt Papier«, das sich vorwitzigerweise zwischen »unsern Herrn Gott im Himmel und dieses Land schob«. Der preußische Staat war nur als preußisches Heer möglich; so bedangen es seine ökonomischen Grundlagen. Das Heer war der Staat; »in Preußen wurde konsequent von den Zeiten des großen Kurfürsten bis zum Tode Friedrichs des Großen jede Vermehrung der Einkünfte zur Vergrößerung der Armee verwendet, und die Einkünfte wurden vorzugsweise gesteigert, um die Armee vermehren zu können« Twesten, Der preußische Beamtenstaat; Preußische Jahrbücher, 18, 16.. Die ökonomischen Grundlagen des Heeres bildeten die preußische Verfassung, über deren Schranken kein preußischer König, so absolut regieren und so genial er sich gebärden mochte, auch nur den kleinsten »revolutionären« Sprung wagen durfte, geschweige denn, daß er mit dem Heere »revolutionäre Insurrektionen« machen konnte. Was Lassalle so nennt, war die Eroberung eines Landstrichs, die der preußische Militarismus um Lebens oder Sterbens willen machen mußte; darüber war sich schon der Kurfürst Friedrich Wilhelm klar, sobald er nur erst ein kleines preußisches Heer auf den Beinen hatte. Der von ihm eigenhändig niedergeschriebene Plan zur Erwerbung Schlesiens ist inzwischen durch Ranke aus dem hohenzollernschen Hausarchive veröffentlicht worden; bis auf Stunde und Minute (»demnach nun weltkundig ist, auf was schwachen fußen das Hauß Osterreich bestehet, und das zu befahren, das selbiges Hauß durch absterben, undt nicht Hinterlassung einiger Erben abgehen mochte« Ranke, Genesis des preußischen Staats, 518 ff.) ist hier der Einfall in Schlesien vorhergesehen, den der mehr als zwanzig Jahre später geborene Friedrich II. mehr als fünfzig Jahre später unternahm. Womit allein denn schon die Insurrektion und Revolution beseitigt sein dürfte.


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