Guy de Maupassant
Unser Herz
Guy de Maupassant

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Dritter Teil

I

Ein köstlicher Morgen leuchtete über der Stadt. Mariolle stieg in den Wagen, der vor seiner Thür wartete mit der Reisetasche und zwei Koffern auf dem Verdeck. Noch in der Nacht hatte der Diener Wäsche und die notwendigsten Gegenstände für eine längere Abwesenheit eingepackt. Und André fuhr jetzt davon, nachdem er als provisorische Adresse hinterlassen: Fontainebleau, postlagernd. Er nahm niemand mit. Kein Gesicht sollte ihn an Paris erinnern, keine Stimme wollte er hören, die er schon einmal hier vernommen.

Er rief dem Kutscher zu: »Lyoner Bahnhof.« Die Droschke setzte sich in Bewegung. Da dachte er an die andere Abreise zum Mont Saint-Michel im vergangenen Frühjahr vor dreiviertel Jahren. Und dann, um alles zu vergessen, blickte er auf die Straße hinaus. Der Wagen bog in die Avenue des Champs-Élysées ein, die ganz übergossen war von der Frühlingssonne. Die grünen Blätter, die schon die Wärme der vergangenen Wochen hervorgelockt und in ihrem Wachstum durch die beiden letzten kalten Hageltage kaum zurückgehalten schienen, öffneten sich an diesem strahlenden Morgen, den Geruch von frischem Grün und jungen Keimen verbreitend.

Es war einer jener Frühlingsmorgen, wo man fühlt, daß in den öffentlichen Gärten und längs der Straßen die runden Kastanienbäume in einem einzigen Tag in ganz Paris in Blüte stehen werden, als würden lauter Kerzen angezündet.

Er dachte, während der Wagen ihn rüttelte: »Nun kommt endlich Ruhe. Jetzt werde ich im stillen, noch einsamen Wald den Frühling kommen sehen.«

Die Fahrt schien ihm lang. Nach den paar Stunden, die er im Kampf mit sich selbst zugebracht hatte, fühlte er sich vollkommen zerbrochen, als ob er zehn Nächte bei einem Sterbenden gewacht. Als er in die Stadt Fontainebleau kam, ging er zu einem Notar, um sich zu erkundigen, ob es nicht irgendwo im Wald eine Villa zu mieten gäbe. Man nannte ihm ein paar. Das Haus, dessen Photographie ihm am besten gefiel, war eben von einem jungen Ehepaar verlassen worden, das beinah den ganzen Winter im Dorf Montigny sur Loing zugebracht hatte. Der Notar, ein ernster Mann, lächelte, denn er glaubte irgend einen Liebeshandel dahinter zu wittern, und fragte:

– Sind Sie's allein?

– Ich allein.

– Sogar ohne Dienerschaft?

– Ohne Dienerschaft. Ich habe meine Leute in Paris gelassen. Ich wollte jemand aus der Gegend nehmen. Ich bin hierhergekommen, um in absoluter Stille arbeiten zu können.

– O, still wird es zu dieser Jahreszeit schon sein.

Ein paar Minuten darauf brachte ein offener Wagen Mariolle mit seinem Gepäck nach Montigny.

Der Wald war erwacht. Zu Füßen der großen Bäume, deren Kronen sich mit leisem Grün überzogen, waren die Büsche schon stärker entwickelt. Die frühen Birken mit ihren silberglänzenden Stämmen schienen allein schon das Sommerkleid zu tragen, wahrend die Rieseneichen nur an den äußersten Spitzen ihrer Äste leise zitternde grüne Flecken zeigten. Die Buchen, die schneller ihre spitzigen Blattknospen öffnen wollten, schüttelten das letzte welke Laub des vergangenen Jahres ab.

Längs der Straße stand das frisch ersprossene Gras, auf das noch nicht die undurchdringlichen Baumwipfel ihren Schatten warfen, dicht, leuchtend, glänzend wie lackiert. Und jener Geruch von treibenden Keimen, den Mariolle schon in der Avenue des Champs-Élysées gespürt, umgab ihn jetzt, labte ihn beim ersten Schein der Sonne wie in einem großen Bade von jungem keimendem Leben. Er sog ihn, wie ein entlassener Sträfling, mit tiefen Lungen ein, mit dem Gefühl eines Menschen, dessen Ketten eben gebrochen sind. Und behaglich legte er beide Arme auf die Wagenlehnen, und ließ die Hände zum Wagen heraushängen.

Ach, war das schön, diese freie, reine Luft zu atmen. Aber wie lange mußte er sie trinken, einsaugen, lange, lange Zeit, diese belebende Luft, bis sie ihn ganz erfüllte und so ein wenig fortwehte von seinem Leid, bis durch seine Lungen der frische Hauch strich und die noch offene Wunde seines Herzens kühlte.

Er fuhr durch Marlotte, wo der Kutscher ihm das Hotel Corot zeigte, das eben eröffnet worden und dessen Originalität man rühmte. Dann ging es auf einer Landstraße weiter, links den Wald und rechts eine große Ebene mit vereinzelten Baumgruppen, im Horizont begrenzt von einer Hügelkette. Endlich bogen sie in eine lange Dorfstraße ein, eine weiße, augenblendende, zwischen zwei unendlichen Reihen von kleinen, ziegelgedeckten Häusern. Hier und da beugte sich ein gewaltiger Fliederstrauch über eine Mauer.

Diese Straße folgte einem schmalen Thälchen, das bis zu einem Bächelchen hinunterlief. Als Mariolle es sah, war er glückselig. Es war ein kleiner, schmaler, lebhaft fließender, gurgelnder Fluß, der an dem einen Ufer den Fuß der Häuser und der Gartenmauern bespülte, während das andere von Wiesen begrenzt war, auf denen kaum belaubte Bäume standen.

Mariolle entdeckte sofort das bezeichnete Haus und fand es reizend. Es war ein altes Haus, das ein Maler hergerichtet, der fünf Jahre dort gewohnt hatte, dann fortgezogen war und es nun vermietete. Es stand ganz dicht am Wasser, von dem es nur ein hübscher kleiner Garten trennte, an dessen Ende eine kleine, lindenbepflanzte Terrasse sich erhob. Der Loing fiel etwa einen Fuß hoch oder zwei über ein Wehr, und floß dann längs der Terrasse in Wirbeln hin. Auf der Vorderseite hatte man von den Fenstern den Blick über die jenseitigen Wiesen.

Hier werde ich gesunden! dachte Mariolle. – Alles war schon beim Notar beredet für den Fall, daß ihm das Haus gefallen würde. Der Kutscher überbrachte den Bescheid.

Jetzt mußte er sich etwas mit der Einrichtung beschäftigen. Das ging schnell, denn der Magistrats-Sekretär hatte ihm zwei Frauen gestellt, die eine zum Kochen, die andere zum Aufräumen und für die Wäsche.

Unten lag ein Wohnzimmer, das Eßzimmer, die Küche und zwei kleine Räume; im ersten Stock ein schönes Schlafzimmer und ein großes Kabinett, das der Maler, der das Haus besessen, als Atelier benutzt hatte. Alles war mit Liebe hergerichtet, wie man es thut, wenn man gern in einer Gegend und in einem Haus weilt. Jetzt war es ein wenig heruntergewohnt und in Unordnung und sah verlassen aus wie eben eine Behausung, der der Herr fehlt.

Aber man fühlte, daß das kleine Haus bewohnt gewesen war. Ein unbestimmter Duft von Eisenkraut erfüllte es noch. Und Mariolle dachte: »Eisenkraut, ein einfaches Parfüm. Die Frau, die vor mir hier geweilt, kann nicht elegant gewesen sein. Glückseliger Mann!«

Der Abend kam heran. Alle die Vorbereitungen hatten den Tag ausgefüllt. Er setzte sich ans offene Fenster und sog die frische, süße Feuchtigkeit der nassen Blätter ein, und blickte zur untergehenden Sonne, die große Schatten auf die Wiese warf.

Die beiden Frauen schwatzten, während sie das Essen vorbereiteten, und dumpf klang ihre bäuerische Aussprache von der Treppe herauf, während durch die Fenster das Muh der Kühe drang, Hundegebell und Stimmen von Männern, die über den Fluß herüber, während sie ihre Tiere nach Hause trieben, sich miteinander unterhielten.

Hier war es wirklich ruhig und beruhigend.

Mariolle fragte sich zum tausendsten Male seit heute früh: Was mag sie wohl gedacht haben, als sie meinen Brief empfing und was wird sie jetzt wohl thun?

Dann sagte er sich: Und was thut sie jetzt wohl in diesem Augenblick?

Er sah nach der Uhr. Halb sieben. Jetzt ist sie heimgekehrt und empfängt.

Er sah den Salon der jungen Frau vor sich, wie sie mit der Fürstin Malten, der Baronin Frémines, Massival und Graf Bernhaus sich unterhielt.

Plötzlich erzitterte er vor einer Art Wut. Er hätte dort sein mögen. Es war gerade die Zeit, wo er fast täglich zu ihr kam. Und er fühlte sich unbehaglich. Kein Bedauern, denn sein Wille war fest, aber eine Art körperliches Leid wie das eines Kranken, dem man die Morphiumeinspritzung in dem Augenblick, wo er sie gewöhnlich bekommt, versagt.

Er sah die Wiesen nicht mehr, nicht mehr die Sonne niedersteigen hinter den Hügeln am Horizont. Nur sie erblickte er, von Freunden umgeben, von all den gesellschaftlichen Nichtigkeiten erfüllt, die sie ihm entzogen. Ich will nicht mehr daran denken, sagte er sich.

Er stand auf, ging in den Garten hinunter bis zur Terrasse. Der frische Hauch des Wassers, das sprudelnd über das Wehr fiel, stieg in Nebeln vom Flüßchen. Und dies Gefühl der Kälte, das sein schon so trauriges Herz noch eisiger machte, brachte ihn dazu, daß er umkehrte. Der Tisch war im Eßzimmer schon gedeckt. Er aß schnell. Dann, da er nichts zu thun hatte, und in Körper und Seele dieses Unbehagen, das ihn vorher schon gepackt, noch wachsen fühlte, ging er zu Bett und schloß die Augen um zu schlafen. Es war vergebens. In Gedanken sah er immer diese Frau vor sich. Er litt. Er konnte sie nicht aus der Seele bannen.

Wem gehörte sie jetzt? Wahrscheinlich Graf Bernhaus.

Das war eigentlich der Mann, den diese ewig gehetzte Frau brauchte. Ein Gesellschaftsmensch, elegant und gefeiert. Er gefiel ihr, denn um ihn zu gewinnen, hatte sie alle Minen springen lassen, obgleich sie die Geliebte eines anderen war.

Aber bei diesen Erinnerungen, die an seiner Seele fraßen, wurde er doch müde, und seine Gedanken irrten halb im Schlafe davon. Und immer erschienen ihm die beiden, dieser Mann und sie. Ein wirklicher Schlaf kam nicht. Die ganze Nacht sah er sie um sich herum irren. Sie quälten und erregten ihn, verschwanden, als wollten sie ihm erlauben, endlich einzuschlafen. Aber sobald er sie vergessen, kamen sie wieder und weckten ihn durch einen Krampf von Eifersucht im Herzen.

Sobald es Tag ward, stand er auf, ging mit einem Stock in der Hand in den Wald, einem kräftigen Stecken, den der letzte Besitzer hatte stehen lassen.

Die Sonne schien durch die noch fast unbelaubten Gipfel der Eichen auf den hier und da mit Gras bedeckten Boden, auf dem an anderen Stellen welkes Laub lag; gelbe Schmetterlinge gaukelten längs des Weges hin wie kleine, zitternde Flammen.

Eine Höhe, beinah ein kleiner Berg mit Nadelholz bestanden, erschien rechts. Mariolle stieg ihn langsam hinauf. Am Gipfel angelangt, setzte er sich auf einen großen Stein, denn er war schon außer Atem. Seine Beine, die vor Schwäche fast zusammenbrachen, trugen ihn nicht mehr. Sein Herz schlug, sein ganzer Körper schien durch etwas Unverständliches wie gebrochen und zerschlagen.

Das kam nicht von der Müdigkeit. Er wußte es sehr wohl. Es kam von ihr, von jener auf ihm wie ein unerträgliches Gewicht lastenden Liebe. Und er flüsterte: Ach Gott, Gott! Warum läßt sie mich nicht los? Ich, der ich im Leben immer nur das gesucht, was keine Schmerzen macht.

Seine übererregte Aufmerksamkeit, die vor dem Weh zitterte, das vielleicht so schwer zu überwinden war, blieb an ihm selbst haften. Er durchspähte seine Seele, sein innerstes Wesen, suchte sich besser kennen zu lernen, besser zu verstehen und mit eigenen Augen den Grund dieser unerklärlichen Krisis zu durchforschen.

Er sagte sich: Ich habe nie eine ernste Leidenschaft gehabt, ich bin nicht exaltiert, ich bin nicht leidenschaftlich angelegt, mein Verstand ist stärker als mein Herz. Ich habe weniger sinnliche Begierde, als den Hang nach Neuem, mehr Phantasie, als Beharrlichkeit. Eigentlich bin ich nur ein feiner, kluger und schwierig zu befriedigender Genußmensch. Ich habe die Dinge des Lebens gern gehabt, ohne mich ihnen zu sehr hinzugeben, habe mehr als Kenner genippt, denn als Genießer mich berauscht, viel zu sehr alles begriffen, als daß ich je hätte den Verstand verlieren können. Ich überlege alles, und für gewöhnlich setze ich mich zu genau mit meinem Geschmack auseinander, als daß ich ihm blindlings folgte. Das ist sogar mein größter Fehler und der Hauptgrund meiner Schwäche. Und nun kommt diese Frau und setzt sich, ohne daß ich es will, in mir fest, trotz meiner Furcht und obgleich ich sie kenne. Und sie nimmt mich ein, als ob sie nacheinander jedes einzelne meiner Gefühle von mir hinweggenommen hätte. Daran liegt es vielleicht. Ich verzettelte meine Empfindungen an unbelebte Dinge, an die Natur, die mich packt und ergreift, an die Musik, die eine Art geistiger Liebkosung ist, an den Gedanken, der der Leckerbissen des Geistes ist, an alles, was angenehm und schön ist auf der Erde.

Da bin ich diesem Menschenkinde begegnet, das die allgemeinen etwas unbestimmten, wechselnden Wünsche zusammengefaßt hat, sie auf sich zog und in Liebe verwandelte. Elegant und hübsch, hat sie meinen Augen gefallen, fein, intelligent, klug, gefiel sie meiner Seele. Und durch einen seltsamen Magnetismus, durch eine geheime, unwiderstehliche Macht, die von ihrer Person ausgeht, die mich gefangen hat, wie der Duft mancher Blume berauscht, bezauberte sie mein Herz.

Sie hat alles in mir eingenommen. Ich will nichts mehr, ich bedarf nichts mehr, ich wünsche, beneide nichts und kümmere mich um nichts mehr.

Wie mich früher dieser aufblühende Wald gepackt hätte! Heute sehe ich ihn garnicht richtig, spüre nicht seinen Duft. Es ist, als wäre ich nicht hier. Ich bin immer in Gedanken bei dieser Frau, die ich doch nicht mehr lieben will.

Ich muß meine Träume durch Müdigkeit bannen, sonst werde ich nie wieder gesund.

Er stand auf, kletterte den felsigen Abhang hinunter und ging mit langen Schritten weiter. Aber die Erinnerung lastete auf ihm, als trüge er sie mit sich.

Er ging immer schneller. Ab und zu brachte ihm der Anblick der durch das Blättermeer schimmernden Sonne oder der frische Waldduft, der ihm entgegenblies, kurze Erleichterung, wie ein Vorgefühl von ganz fernem, fernem Troste.

Plötzlich blieb er stehen. Ich gehe nicht mehr spazieren, ich fliehe ja, sagte er sich. In der That, er floh davon vor sich selbst, er wußte nicht wohin. Er floh, verfolgt von der Qual dieser toten Liebe.

Dann ging er ruhiger weiter. Der Wald nahm ein anderes Aussehen an, wurde dichter und schattiger, denn er trat in den wärmer gelegenen Teil, in wundervollen Buchenbestand. Kein Hauch des Winters blieb hier mehr. Es war wundersamer Frühling, als wäre er erst in der Nacht gekommen, so frisch und jung.

Mariolle ging unter den gewaltigen Bäumen, die immer größer wurden, hin. Lange Zeit. Eine Stunde, zwei Stunden, zwischen den Zweigen, durch das ungeheuere, von frischen Spitzen fettig glänzende, wie lackierte Blättermeer. Die Kronen der Bäume verbargen den Himmel, hohe gerade oder schräge Säulen trugen sie, ab und zu weiß, ab und zu dunkel, wo schwarzes Moos an der Rinde wuchs. Sie stiegen eine hinter der anderen in den Himmel, hoch über das junge Holz und die Büsche zu ihren Füßen, sie mit dichtem Wolkendach überschattend, durch das nur ab und zu die Sonne brach. Der Lichtregen lief über das weite Blättermeer hin, das nicht mehr einem Walde glich, sondern leuchtenden Wolken.

Mariolle blieb stehen. Er fühlte sich unendlich gepackt. Wo war er? Im Wald oder auf dem Meeresgrund, einem Meer von Blättern, von Licht umgeben, einem Ozean von grüner Helle?

Er fühlte sich wohler, ruhiger, als hätte er etwas vergessen. Und er legte sich auf dem roten Teppich von welkem Laub nieder, den diese Bäume erst dann niederflattern lassen, wenn sie sich mit neuer Decke überkleiden.

Er genoß die Berührung mit der frischen Erde, die reine Milde der Luft. Und bald kam ihm das Gefühl, zuerst unbestimmt, dann immer bestimmter, in dieser wundervollen Gegend nicht allein zu sein. Und er sagte sich: Ach, wenn sie doch hier bei mir wäre.

Er sah plötzlich den Mont Saint-Michel wieder vor sich und erinnerte sich, wie anders sie dort gewesen war als in Paris, bei diesem Erwachen der Leidenschaft, beim Wind von der See, angesichts der gelben Dünen. Und er dachte daran, daß sie nur an diesem Tag ihn etwas geliebt, nur ein paar Stunden. Gewiß, auf der Landstraße, von der das Wasser zurückfloh, im Kloster, wo sie nur seinen Vornamen: »André« genannt, schien sie zu sagen: Ich bin Dein. Und auf dem Weg der Tollen dort oben, wo er beinah mit ihr frei durch die Luft gegangen war, hatte sie für ihn eine Art Leidenschaft gehabt, die nie wiedergekehrt, seit ihr koketter Fuß wieder das Pariser Pflaster betreten.

Aber hier, mit ihm, in diesem grünen Blätterbad, in dieser neuen Flut von jungen Keimen, würde da nicht vielleicht die flüchtige süße Bewegung wie an der normannischen Küste leise wieder zurückkehren in ihr Herz?

Auf dem Rücken blieb er liegen in seinen quälenden Gedanken und blickte in die sonnigen Wipfel der Bäume hinauf. Allmählich schloß er die Augen. Er ward müde in der großen Stille des Waldes. Endlich schlief er ein. Als er aufwachte, merkte er, daß es über zwei Uhr nachmittags war.

Er stand auf. Er fühlte sich etwas weniger traurig, etwas weniger krank und setzte seinen Weg fort. Endlich trat er aus dem dichten Walde heraus an einen Kreuzweg, wo wie die Strahlen einer Krone sechs unendlich hohe Alleen abgingen, die sich im durchsichtigen Laub in der Ferne verloren am bläulichen Horizont.Eine Tafel nannte den Namen: »Bouquet des Königs.« Das war wirklich hier die königliche Gipfelstadt des Buchenlandes.

Ein Wagen fuhr vorüber, leer und frei. Mariolle nahm ihn und ließ sich nach Marlotte zurückfahren, von wo aus er zu Fuß nach Montigny gehen wollte, nachdem er im Hotel gegessen, denn er war hungrig.

Er erinnerte sich, daß er am Tage vorher das Restaurant gesehen, das eben eröffnet worden: Hotel Corot, eine Künstlerkneipe in altertümlichem Stil, etwas wie der Chat noir in Paris. Er stieg aus und trat durch eine offene Thür in einen weiten Saal, wo altertümliche Tische und unbequeme Schemel Trinker aus verflossenen Jahrhunderten zu erwarten schienen. Im Hintergrund stand ein junges Ding, die Kellnerin wahrscheinlich, auf einer kleinen Stehleiter und hing alte Teller an Nägel, die eigentlich zu hoch für sie waren. Sie reckte sich auf die Fußspitzen, streckte sich aus, eine Hand gegen die Wand gestemmt, in der anderen den Teller, mit hübschen, geschickten Bewegungen, denn ihre Gestalt war schlank, und die Wellenlinie vom Fuß bis zum Kopf änderte sich reizend bei jeder Bewegung. Da sie ihm den Rücken wendete, hörte sie Mariolle nicht eintreten. Er blieb stehen und blickte sie an. Da dachte er an Prédolé. Gott ist die nett, sagte er sich. So ein schlankes, kleines Ding.

Er hustete. Sie wäre vor Schreck beinah herabgestürzt. Aber sobald sie das Gleichgewicht wiedergewonnen, sprang sie von der Leiter mit der Leichtigkeit einer Seiltänzerin zu Boden und kam dann lächelnd auf ihn zu. Sie fragte:

– Was steht zu Diensten?

– Ich möchte frühstücken.

Sie wagte zu sagen:

– Wohl eher zu Mittag essen, denn es ist schon halb vier.

Er antwortete:

– Also sagen wir zu Mittag essen, wenn Sie wollen. Ich habe mich im Walde verirrt.

Nun nannte sie die Gerichte, die es gab. Er bestellte und setzte sich.

Sie richtete in der Küche die Bestellung aus und kam zurück, um zu decken.

Er folgte ihr mit dem Blick und fand sie reizend, adrett, sauber. Das Kleid war für die Arbeit aufgesteckt, die Ärmel emporgeschlagen, der Hals frei. Und sie sah frisch und nett aus, daß es dem Auge wohlthat. Ihr Busen war sanft gerundet, sie mußte sehr stolz darauf sein.

Das Gesicht war etwas zu rot, durch die frische Luft verbrannt, aber von der Frische einer Blume, die sich aufthut. Sie hatte hübsche, braune, leuchtende Augen, in denen alles zu blitzen schien, einen lachenden Mund mit schönen Zähnen, braunes Haar, dessen Fülle die lebhafte Energie dieses jungen, frischen Körpers andeutete.

Sie brachte Radieschen und Butter. Er begann zu essen und sah sie nicht mehr an. Er wollte sich betäuben und bestellte eine Flasche Champagner, trank sie ganz aus, dann zwei Gläser Kümmel nach dem Kaffee. Und da er fast nüchtern gewesen, weil er, ehe er fortgegangen, nur etwas kaltes Fleisch und Brot gegessen, fühlte er sich betäubt und etwas benommen. Das hielt er für Vergessenheit. Seine Gedanken, sein Kummer, seine Qual schien schon aufgehellt, ertränkt im hellen Wein, der in kurzer Zeit aus seinem gequälten Herzen schon beinah ein fröhliches gemacht.

Langsam kehrte er nach Montigny zurück, müde, schläfrig. Sobald es dunkel ward, legte er sich zu Bett und schlief gleich ein.

Aber als er aufwachte, war es noch dämmerig. Er fühlte sich nicht wohl, als ob ein Alpdruck, nur ein paar Stunden verscheucht, plötzlich wieder erschienen, um ihn am Schlaf zu hindern. Frau von Burne war wieder da. Sie irrte um ihn herum, immer mit dem Grafen Bernhaus. Nanu, – sagte er sich – jetzt werde ich also eifersüchtig. Warum denn?

Warum war er eifersüchtig? Er begriff es schnell. Trotz seiner Befürchtungen und Qualen wußte er, so lange er ihr Liebhaber gewesen, daß sie treu sei. Treu ohne Leidenschaft, ohne Zärtlichkeit, aber ehrlich entschlossen. Nun hatte er alles aufgelöst, hatte ihr die Freiheit zurückgegeben, – jetzt war es aus. Würde sie jetzt ohne Verhältnis bleiben? Einige Zeit gewiß. Aber dann verging sogar diese Treue, die sie ihm bisher bewahrt, woran er nicht zweifeln konnte, – und ein unbestimmtes Vorgefühl sagte ihm, daß, wenn er sie eines Tages verließ, sie des einen oder anderen Tages, nach langer Pause, ihn nicht aus Leidenschaft, sondern im Gefühl der Einsamkeit durch einen anderen ersetzen würde. Giebt es nicht Liebhaber, denen man immer treu bleibt, aus Furcht vor dem, der folgen soll? Und dann sich einem anderen in die Arme werfen, das wäre einer Frau wie dieser, die zu klug war, um enge Ideen über Ehre zu besitzen, aber doch von zarter Scham, so daß sie nie in den Schmutz geraten wäre, das wäre dieser Frau nicht möglich gewesen. Weltlich, philosophisch denkend, nicht prüde bürgerlich, schreckte sie vor einer heimlichen Liebschaft nicht zurück, während ihre gleichgiltige Natur sich geekelt hätte beim Gedanken an eine Folge von Liebhabern.

Er hatte ihr die Freiheit zurückgegeben. Und nun? Nun würde sie gewiß einen anderen wählen. Und sicher den Grafen Bernhaus, das wußte er bestimmt. Und er litt darunter, jetzt, auf unglaubliche Art.

Warum hatte er nur mit ihr gebrochen? Als er sie verließ, war sie treu, freundschaftlich, reizend gewesen. Warum? Weil er ein sinnliches Scheusal war, weil er die Liebe ohne die völlige körperliche Hingabe nicht begriff.

Ob es das wirklich war? Ja. Aber noch anderes. Vor allem fürchtete er sich, zu leiden. Er war vor dem Schmerz entflohen, nicht so geliebt zu werden, wie er liebte. Vor der grausamen Disharmonie zwischen ihren Küssen, die nicht mit der gleichen Leidenschaft erwidert, wie gegeben wurden. Vor dem unheilbaren Leid seines Herzens, das vielleicht nie Heilung finden sollte. Er hatte sich gefürchtet, zu viel zu leiden, jahrelang das Leid durchzumachen, das er einige Monate hindurch vorgeahnt und nur ein paar Wochen wirklich vertragen. Schwach wie immer, war er zurückgewichen vor jenem Schmerz, so wie er sein ganzes Leben hindurch jede große Anstrengung gemieden.

Er war also unfähig, irgend eine Sache zum Ende zu führen, sich einer Leidenschaft ganz hinzugeben, wie man sich ganz einer Wissenschaft oder einer Kunst widmet. Denn vielleicht ist es nicht möglich, viel geliebt, ohne viel gelitten zu haben.

Bis Tagesanbruch gingen ihm immer diese quälenden Gedanken im Kopfe herum. Dann stand er auf und ging an den Fluß.

An dem kleinen Wehr warf ein Fischer sein Netz aus. Das Wasser blitzte im Licht, und als der Mann sein großes, rundes Netz herauszog, um auf dem kleinen Vorderdeck des Schiffes die winzigen, zappelnden Fischchen, die wie Quecksilber glänzten, aus den Maschen zu lesen, ward Mariolle in der Frische der Morgenluft, beim Stäuben des Wasserfalls, in dem leise Regenbogen spielten, ruhiger. Das Wasser, das ihm zu Füßen lief, schien ein wenig von seinem Kummer in seinem eiligen, unaufhörlichen Lauf davonzutragen. Er sagte sich: Ich habe wirklich sehr wohl gethan, ich wäre zu unglücklich geworden.

Er kehrte zum Haus zurück und holte eine Hängematte, die er im Vorsaal gefunden, hing sie zwischen zwei Buchen auf, legte sich hinein und versuchte an nichts zu denken, während er immer dem Lauf des Wassers zusah.

Im süßen Nichtstun verging so die Zeit bis zum Frühstück. In einem Nichtstun des Körpers, das auch die Seele einnahm. Und um den Tag hinzubringen, saß er so lange bei Tisch wie möglich. Aber etwas quälte ihn: die Ankunft der Post. Er hatte nach Paris telegraphiert und nach Fontainebleau geschrieben, um sich seine Briefe schicken zu lassen. Er bekam nichts. Und das Gefühl der großen Einsamkeit begann ihn zu quälen: Warum? Er konnte doch nichts Angenehmes, nichts Tröstendes erwarten aus der kleinen, schwarzen Ledertasche des Briefträgers. Nichts als unnütze Einladungen und banale Worte. Also warum sich nach diesen unbekannten Papieren sehnen, als ob das Seelenheil daran hing.

Verbarg sich nicht im Grunde seiner Seele die eitle Hoffnung, daß sie ihm schreiben würde?

Er fragte eines der alten Weiber:

– Wann kommt die Post?

– Um zwölf.

Es war gerade so viel. Er lauschte mit immer größerer Unruhe hinaus. Dann fuhr er auf, als es an der Haustür klopfte. Der Briefträger brachte in der Tat nur Zeitungen und drei gleichgültige Briefe. Mariolle las die Blätter, las sie wieder, und sie langweilten ihn. Er ging aus.

Was sollte er anfangen? Er kehrte zurück zur Hängematte und legte sich wieder hinein. Da überkam ihn nach einer halben Stunde das Bedürfnis, den Platz zu wechseln. Sollte er in den Wald gehen? Ja, der Wald war köstlich. Aber die Einsamkeit schien dort noch größer als im Haus, als im Dorf, wo doch manchmal irgend ein Geräusch des Lebens erklang.

Und diese schweigende Einsamkeit unter den Bäumen ließ ihm wieder Melancholie und Bedauern in die Seele gleiten, daß er tottraurig ward. In seinen Gedanken ging er wieder den Weg wie am Tag vorher. Und als das kleine, lebhafte Mädchen im Hotel Corot vor ihm auftauchte, sagte er sich: Oh, ich werde dort essen. Der Gedanke that ihm wohl. Es war eine Beschäftigung, die Möglichkeit, ein paar Stunden totzuschlagen. Und sogleich setzte er seinen Weg fort.

Die lange Dorfstraße zog in gerader Linie durch das Thälchen hin, zwischen zwei Reihen niedriger, ziegelgedeckter Häuser, von denen einige unmittelbar am Wege standen und andere in einem kleinen Hof, in dem Flieder blühte, wo Hühner auf dem dampfenden Mist pickten und freiliegende Treppen mit hölzernem Geländer bis zu den Thüren in der Mauer führten. Bauern arbeiteten langsam in ihrem häuslichen Beruf vor ihren Wohnungen. Eine alte, gebeugte Frau mit graublondem Haar, trotz ihres hohen Alters, denn die Landleute haben beinah nie ganz weißes Haar, ging an ihm vorüber in einer zerrissenen Bluse; die mageren, knochigen Beine zeichneten sich unter einer Art Wollrock ab, der an den Hüften abstand. Sie blickte vor sich hin mit ausdruckslosen Augen, mit Augen, die nie etwas anderes gesehen hatten, als die paar einfachen Gegenstände, die sie in ihrem armseligen Leben brauchte.

Eine andere, jüngere, hing vor ihrer Thür Wäsche auf. Die Bewegung der Arme hob das Kleid, daß man blaue Strümpfe sah über dicken Knöcheln, knochige Schenkel ohne Fleisch, während Taille und Brust platt und breit waren, wie ein Männerrumpf, und einen entsetzlichen Anblick verhießen.

Mariolle dachte: Frauen, das sind nun Frauen! Das sind Frauen! Das Bild von Frau von Burne erschien vor seinen Augen. Er sah sie voll Eleganz und Schönheit, ein köstliches, menschliches Kleinod, kokett und für den Männerblick eigens gemacht. Und er zitterte vor Leid über den unersetzlichen Verlust.

Da ging er schneller, um die Gedanken zu verscheuchen und sein Herz zu beruhigen.

Als er das Wirtshaus in Marlotte betrat, erkannte ihn die Kleine sofort und sagte beinah freundschaftlich:

– Ah, guten Morgen.

– Guten Morgen.

– Wollen Sie etwas zu trinken haben?

– Ja zuerst. Später will ich essen.

Sie unterhielten sich über das, was er zuerst trinken und dann essen wollte. Er befragte sie, damit sie etwas schwatzen sollte, denn sie drückte sich ganz gut und mit pariserischem Accent aus, so leicht redend, wie sie sich bewegte.

Er dachte, indem er ihr zuhörte:

Das ist eigentlich ein riesig nettes Mädel. So was paßt zur Kokotte.

Er fragte nun:

– Sind Sie aus Paris?

– Jawohl.

– Sind Sie schon lange hier?

– Vierzehn Tage.

– Gefällt es Ihnen hier?

– Bis jetzt nicht. Aber das kann man noch nicht wissen. Und dann hatte mir die Pariser Luft nicht zugesagt, und hier auf dem Lande bin ich wieder gesund geworden. Deshalb hauptsächlich bin ich hierher gekommen. Also Sie trinken einen Vermouth?

– Ja, einen Vermouth. Und sagen Sie dem Koch oder der Köchin, sie solle mein Essen gut machen.

– O, das wird sie schon.

Sie eilte hinaus und ließ ihn allein.

Er ging in den Garten, setzte sich in eine Laube, wohin sie ihm den Vermouth brachte. Den ganzen Tag blieb er dort sitzen, hörte eine Amsel in einem Käfig singen, sah ab und zu das Mädchen vorübergehen, das mit ihm kokettierte und sich alle mögliche Mühe gab, nett zu sein, denn sie hatte schon bemerkt, daß sie ihm gefiel.

Wie am Tag vorher, ging er davon, nachdem er wieder eine Flasche Champagner getrunken. Aber die leichte Benommenheit seines Kopfes wehte bald die Dunkelheit und Frische der Nacht davon, und wieder überkam ihn eine unwiderstehliche Traurigkeit. Er dachte: Was soll ich thun? Soll ich hier bleiben? Soll ich noch lange dieses Jammerleben fortführen? Und sehr spät erst schlief er ein.

Am nächsten Tage schaukelte er sich in der Hängematte. Der Fischer, den er immerfort am Wasser sah, brachte ihn auf den Gedanken zu angeln. Der Krämer verkaufte ihm eine Angelrute und unterrichtete ihn über diesen stillen Sport, wollte ihn sogar bei seinen ersten Versuchen unterstützen. Mariolle nahm an; und von neun bis zwölf gelang es ihm mit großer Mühe und gespannter Aufmerksamkeit, drei ganz kleine Fischchen zu fangen.

Nach der Mahlzeit ging er wieder nach Marlotte. Warum? Nun um die Zeit totzuschlagen.

Das Mädchen begann zu lachen, als es ihn sah.

Er lächelte auch. Diese Dankbarkeit machte ihm Spaß, und er versuchte etwas mit ihr zu schwatzen. Sie war zuthunlicher als am Tag vorher und erzählte ihm alles mögliche. Sie hieß Elisabeth Ledru.

Ihre Mutter, die Näherin gewesen, war vergangenes Jahr gestorben. Da war der Vater, der Beamter gewesen, aber immer betrunken war und nie eine Stellung hatte, und der von der Arbeit von Frau und Tochter lebte, verschwunden. Denn das Mädchen, das den ganzen Tag allein in der Mansarde saß und nähte, konnte nicht zwei Menschen erhalten. Sie war ihrer einsamen Thätigkeit müde und trat als Kellnerin in ein kleines Restaurant ein, blieb dort ein Jahr und, da sie sich überanstrengt fühlte, verpflichtete sie der neue Wirt des Hotels Corot in Marlotte, den sie in Paris bedient hatte, mit zwei anderen Mädchen, die etwas später kommen sollten, für den Sommer als Kellnerin. Der Wirt wußte jedenfalls, wie man Gäste heranzieht.

Diese Geschichte gefiel Mariolle. Und er entlockte dem jungen Mädchen, indem er geschickt fragte und sie wie ein Fräulein behandelte, viele seltsame Einzelheiten über dieses dunkle armselige Dasein, das der Trunkenbold zu nichte gemacht. Und sie, das verlorene, arme, irrende Wesen, das keinen Anhalt hatte, aber heiter war, weil sie jung war, fühlte das wirkliche Interesse dieses Unbekannten für sie, sprach zutraulich, schüttete ihm ihr Herz aus mit einer Offenheit, die sie ebensowenig zurückhalten konnte wie ihre Lebhaftigkeit.

Er fragte, was sie denn werden wollte:

– Wollen Sie denn Ihr ganzes Leben Kellnerin bleiben?

– Ach, das weiß ich nicht. Ich kann doch nicht wissen, was morgen mit mir passiert.

– Aber Sie müssen doch an die Zukunft denken.

Sie ward ernst. Aber schnell ging das wieder vorüber, und sie antwortete:

– Ach was, – ich nehm' es, wie's kommt.

Als gute Freunde schieden sie. Ein paar Tage später kam er wieder, dann nochmals, dann öfters. Die naive Unterhaltung des verlassenen kleinen Mädchens machte ihm Spaß. Ihr leichtes Geschwätz zog ihn etwas von seinen traurigen Gedanken ab.

Aber als er zu Fuß am Abend nach Montigny heimkehrte, packte ihn, wenn er an Frau von Burne dachte, eine entsetzliche Verzweiflung. Bei Tagesanbruch ward er wieder etwas heiterer. Wenn es Nacht ward, kam wieder entsetzliche Eifersucht über ihn und quälende Gewissensbisse. Er hatte keine Nachricht bekommen, er hatte niemandem geschrieben und niemand ihm, er wußte nichts. Und wie er so allein auf seinem dunklen Wege ging, dachte er an das nahende Verhältnis, das er schon vorausgesehen, zwischen seiner einstigen Geliebten und dem Grafen Bernhaus. Jeden Tag setzte sich das in ihm mehr fest. Der, meinte er, werde gerade das für sie sein, was sie brauchte. Ein vornehmer Liebhaber, der nichts Besonderes verlangt, der zufrieden und geschmeichelt ist, wenn er nur von dieser köstlichen, feinen Kokette den anderen vorgezogen wird.

Er verglich ihn mit sich selbst. Der andere würde gewiß nicht so nervös sein, nicht so entsetzlich ungeduldig und nicht von jenem verzweifelten Wunsch, der ihre Liebe zerstört, beseelt werden, geliebt zu werden, wie er liebte. Als Gesellschaftsmensch, der diskret war, geschickt, sich allem anschmiegte, würde er mit wenig zufrieden sein, denn er schien auch nicht gerade zum Stamm der Asra zu gehören.

Als André Mariolle eines Tages nach Marlotte kam, sah er in einer anderen Laube im Hotel Corot zwei junge bärtige Leute mit Wollmützen auf dem Kopfe, die Pfeifen rauchten.

Der Wirt, ein dicker Mann, begrüßte ihn, denn er hatte für diesen Gast ein großes Geschäftsinteresse. Dann sagte er:

– Seit gestern sind zwei neue Gäste da, zwei Maler.

– Die Herren da drüben?

– Ja, sie sind schon ganz berühmt. Der kleine hat eine silberne Medaille voriges Jahr bekommen.

Und nachdem er alles erzählt, was er von dem jungen werdenden Künstler wußte, fragte er:

– Was steht heute zu Diensten, Herr Mariolle?

– Bitte, schicken Sie mir wie immer einen Vermouth.

Der Wirt ging. Elisabeth kam mit dem Brett, Glas und Karaffe. Und sofort rief einer der Maler:

– Nun Kleine, immer noch böse?

Sie antwortete nicht. Und als sie zu Mariolle trat, sah er, daß sie rote Augen hatte.

– Haben Sie denn geweint? fragte er.

Sie antwortete einfach:

– Ja, ein wenig.

– Was ist denn geschehen?

– Die beiden Herren da drüben sind schlecht gewesen.

– Was haben sie denn gethan?

– Sie haben mich für so eine gehalten.

– Haben Sie sich beim Wirt beschwert?

Sie zuckte verzweifelt die Achseln:

– Ach, der Wirt – der Wirt, den kenne ich jetzt.

Mariolle ärgerte es ein wenig, und er sagte:

– Erzählen Sie mir mal.

Sie erzählte, wie die beiden, die gestern gekommen, sofort brutal ihr den Hof gemacht. Dann begann sie zu weinen, indem sie nicht wußte, was sie thun sollte, da sie hier ohne Schutz, ohne Geld, ohne Hilfsmittel verloren war.

Mariolle schlug ihr plötzlich vor:

– Wollen Sie bei mir in Dienst treten? Es soll Ihnen gut gehen bei mir. Und wenn ich nach Paris zurückkehre, können Sie ja immer noch thun, was Sie wollen.

Sie blickte ihm forschend in die Augen. Dann sagte sie plötzlich:

– Gut. Ich will.

– Was verdienen Sie hier?

– Sechzig Franken monatlich.

Sie sagte plötzlich mit Unruhe:

– Und dann habe ich noch ein wenig durch die Trinkgelder, also etwa siebzig.

– Ich gebe Ihnen hundert.

Erstaunt sagte sie:

– Hundert Franken monatlich?

– Ja. Ist's Ihnen recht?

– Nun, das glaube ich, daß es mir recht ist.

– Sie haben nur meine Bedienung zu machen, meine Sachen, Wäsche, Kleidung und das Zimmer aufzuräumen.

– Schön.

– Wann wollen Sie kommen?

– Wenn es Ihnen recht ist, morgen. Nach dem, was hier vorgefallen ist, gehe ich einfach zum Ortsvorstand, und dann darf ich fort.

Mariolle nahm zwei Goldstücke aus der Tasche und gab sie ihr:

– Da haben Sie den Mietsthaler.

Ein freudiges Lächeln glitt über ihr Gesicht, und sie sagte ganz entschlossen:

– Morgen vor zwölf bin ich bei Ihnen.



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