Guy de Maupassant
Unser Herz
Guy de Maupassant

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III

– Guten Morgen, Herr Mariolle!

Mariolle merkte, daß er nicht mehr der ›liebe Freund‹ wie in Auteuil war, und der Händedruck dauerte nur kurz wie der einer geschäftigen Frau, die in Eile ihren gesellschaftlichen Pflichten nachkommen muß.

Er trat in den Salon, während Frau von Burne auf die wunderschöne Frau Le Prieur zuging, die wegen ihrer gewagten Dekolletierung und ihrer Einbildung auf ihre plastischen Formen etwas ironisch ›die Göttin‹ genannt wurde. Sie war die Frau eines Mitglieds des Instituts für Alte Geschichte und Sprachen.

– Ah Mariolle! rief Lamarthe, wo kommen Sie denn her? Wir haben ja geglaubt, daß Sie längst tot wären.

– Ich bin in Finistère gewesen.

Er erzählte davon. Aber da unterbrach ihn der Dichter:

– Kennen Sie die Baronin Frémines?

– Nur von Ansehen. Aber man hat mir viel von ihr erzählt. Es heißt, sie wäre sehr interessant.

– Die Königin der Verrücktheit! Aber von höchstem Geschmack und wundervoll modern. Kommen Sie, ich will Sie vorstellen.

Er nahm ihn beim Arm und brachte ihn zu einer jungen Frau, die man immer mit einer Puppe verglich, einer bleichen, reizenden, kleinen blonden Puppe, die vom Teufel selbst ausgedacht und geschaffen schien, um die großen, bärtigen Kinder zu verführen.

Sie hatte längliche, geschlitzte Augen, die nach den Schläfen zu etwas zu steigen schienen wie bei einer Chinesin. Zwischen den Lidern sah man ein Auge wie aus blauem Emaille, das sich selten ganz öffnete, müde Lider, eigens gemacht, um den Blick zu verschleiern und unausgesetzt das Geheimnisvolle dieses Wesens zu verhüllen.

Ihr helles Haar leuchtete wie silberne Seide, und der feine Mund mit den schmalen Lippen schien von einem Miniaturenmaler gezeichnet und von der leichten Hand eines Ciseleurs geschnitten. Ihre Stimme klang hell wie Metall. Durch verrückte bissige Einfälle, originell durch die Unart und Drolligkeit, von zersetzendem Reiz, wußte sie durch kühle Verführungskunst und ruhiges Abwägen in nervöser Ungezogenheit ihre Umgebung leidenschaftlich und heftig zu erregen. In ganz Paris war sie als die extravaganteste Dame der Gesellschaft bekannt und als die geistreichste zugleich. Aber eigentlich wußte niemand, wie sie wirklich war, was sie dachte und that. Gewöhnlich unterjochte sie die Männer mit unwiderstehlicher Gewalt. Auch ihr Mann hatte etwas Rätselhaftes. Ganz Grandseigneur, schien er nichts zu merken. War er blind, gleichgiltig oder kam er ihr gar entgegen? Vielleicht hätte er auch nichts anderes bemerken können, als ihre Exzentrizitäten, die ihm wahrscheinlich selbst Spaß machten. Übrigens wurde alles mögliche über ihn geredet und sehr Böses darunter. Es hieß sogar, er zöge Vorteil aus den geheimen Verfehlungen seiner Frau.

Zwischen ihr und Frau von Burne war allerhand, das sie anzog und dann wieder wahnsinnig eifersüchtig machte. Zu Zeiten waren sie intime Freundinnen und dann wieder ärgste Feindinnen. Sie gefielen einander, fürchteten sich und suchten einander, wie zwei Berufs-Fechter, die sich gegenseitig schätzen, aber sich töten möchten.

In diesem Augenblick war die Baronin Frémines ganz obenauf. Sie hatte einen Sieg, einen großen Sieg davongetragen: sie hatte Lamarthe gewonnen. Sie hatte ihn ihrer Rivalin geraubt, ganz in Banden geschlagen, um ihn öffentlich an ihren Triumphwagen zu spannen. Der Dichter war ganz weg von ihr, ganz erstaunt und begeistert von all dem, was er in diesem seltsamen Wesen entdeckt. Und er konnte nicht anders, als aller Welt von ihr zu erzählen, sodaß man sich darüber schon aufhielt.

Im Augenblick, als er Mariolle vorstellte, traf ihn von der anderen Seite des Salons der Blick von Frau von Burne. Er lächelte, indem er seinem Freund ins Ohr flüsterte:

– Sehen Sie mal, die Herrin dieser Räume ist unzufrieden.

André blickte auf, aber Frau von Burne wendete sich zu Massival, der eben in der Thür erschienen war.

Beinahe unmittelbar darauf kam die Marquise Bratiane, sodaß Lamarthe sagte:

– Na, wir bekommen also erst die zweite Aufführung der Dido zu hören. Die Première wird wohl im Coupé der Marquise stattgefunden haben.

Baronin Frémines fügte hinzu:

– Unsere liebe Freundin, Frau von Burne, scheint ja wieder einen der edelsten Steine aus ihrer Krone verloren zu haben.

Plötzlich überkam Mariolle eine Wut, eine Art Haß gegen dieses Weib und eine plötzliche Erregung über diese ganze Gesellschaft, gegen das Leben und Treiben dieser Menschen, ihre Gedanken, ihren Geschmack, ihre Neigungen, ihre albernen Unterhaltungen. Da benutzte er den Augenblick, als Lamarthe sich zu der jungen Frau niedergebeugt hatte, um leise mit ihr zu sprechen, wendete ihr den Rücken und ging davon.

Die schöne Frau Le Prieur stand allein ein paar Schritte vor ihm. Er begrüßte sie. Nach Lamarthes Ansicht stellte diese Frau das alte Solide dar in dieser emanzipierten Gesellschaft. Jung, groß, hübsch, mit sehr regelmäßigen Zügen, kastanienbraunem, rötlich schillerndem Haar, liebenswürdig, einnehmend durch den ruhigen, wohlthuenden Zauber ihres Wesens, durch eine unaufdringliche aber wohl beabsichtigte Koketterie, den lebhaften Wunsch zu gefallen, verborgen unter der Maske aufrichtigen, ehrlichen Wohlwollens, hatte sie entschiedene Anhänger, die sie wohl auszuspielen wußte gegen gefährliche Gegner. Ihr Haus galt als ziemlich schwer zugänglich. Alle Freunde rühmten den Charakter des Hausherrn.

Mariolle begann sich mit ihr zu unterhalten. Sie mochte diesen zurückhaltenden, klugen Mann sehr gern, von dem wenig gesprochen wurde und der vielleicht mehr wert war als alle anderen.

Die letzten Gäste kamen. Der dicke Fresnel außer Atem, die Schweißtropfen von der immer warmen, leuchtenden Stirn mit dem Tuch tupfend, der Modephilosoph Georg von Maltry und dann zu gleicher Zeit Baron Gravil und Graf Marantin. Herr von Pradon hatte mit seiner Tochter zu dieser Matinée Einladungen ergehen lassen. Er war sehr liebenswürdig gegen Mariolle. Aber Mariolle sah mit gepreßtem Herzen, wie sie hin und her ging und sich um alle mehr kümmerte als um ihn. Zwei Mal allerdings hatte sie ihm von weitem einen Blick zugeworfen, der zu sagen schien: Ich denke an Dich! – aber so kurz, daß er ihn auch mißverstanden haben konnte. Und dann konnte er es nicht mehr mit ansehen, wie das Courmachen Lamarthes gegen die Baronin Frémines Frau von Burne erregte. Es war ja weiter nichts wie Koketterie. Man hatte einer Salondame einen seltenen Nippesgegenstand gestohlen, – mehr bedeutete es nicht. Aber er litt doch schon darunter; vor allem weil sie das Paar unausgesetzt beobachtete und sich garnicht darüber erregte, daß er neben Frau Le Prieur stand. Es war einfach deshalb, weil sie seiner gewiß war, während sie fühlte, daß der andere ihr entglitt. Was galt ihr also noch ihre Liebe! Eine Liebe von gestern, die in ihm doch so wirkte, daß er an nichts anderes denken konnte.

Herr von Pradon bat um Ruhe, und Massival öffnete den Flügel, an den die Marquise trat, während sie die Handschuh auszog, denn sie wollte die Dido singen. Da öffnete sich noch einmal die Thür und ein junger Herr erschien, auf den sich alle Blicke richteten. Er war groß und schlank mit gekräuseltem Backenbart, kurzem lockigem Haar und sah sehr vornehm aus.

Frau Le Prieur blickte auch ganz erregt hin.

– Wer ist das? fragte Mariolle.

– Ach, kennen Sie ihn nicht?

– Nein.

– Graf Rudolf Bernhaus.

– Ach der sich neulich mit Sigismund Fabre geschlagen hat?

– Ganz recht!

Die Geschichte hatte großen Lärm gemacht. Graf Bernhaus von der österreichischen Botschaft, ein Diplomat von größter Zukunft, ein Bismarck ins Elegante übersetzt, wie es hieß, hatte bei einem öffentlichen Empfang gehört, daß jemand etwas Übles von seiner Kaiserin sagte. Er schlug sich am übernächsten Tage mit dem, der das Wort gesprochen, einem bekannt hervorragenden Fechter, und tötete ihn.

Nach diesem Duell, das furchtbaren Lärm gemacht, wurde Graf Bernhaus von heute auf morgen berühmt wie Sarah Bernhardt, nur mit dem Unterschiede, daß sein Name mit einem Glanz ritterlicher Poesie umgeben war. Übrigens war es ein äußerst vornehmer, reizender, angenehmer Unterhalter. Lamarthe sagte von ihm: Der zähmt mal unsere widerspenstigen Schönen!

Er setzte sich in liebenswürdiger Art neben Frau von Burne, und Massival nahm am Flügel Platz. Er spielte ein paar Läufe.

Beinah alle Anwesenden setzten sich nun näher heran, um besser zu hören und zu gleicher Zeit die Sängerin zu sehen. Lamarthe stand Schulter an Schulter neben Mariolle.

Stillschweigen trat ein, voller Erwartung. Dann begann der Komponist langsam ein paar Töne anzuschlagen. Es hörte sich an wie eine musikalische Erzählung. Er machte Pausen, wiederholte flüchtig, verlor sich in Phrasen, bald schmachtend, bald nervös, unruhig wie es schien – aber voll ungeahnter Originalität. Mariolle träumte. Er sah eine Frau vor sich, die Königin von Karthago, in all ihrer jungen vollen Blütenschönheit, wie sie langsam an der Küste hinschritt, die das Meer bespülte. Er ahnte, daß sie litt, daß sie totunglücklich war; und er beobachtete die Marquise Bratiane.

Unbeweglich unter der Last ihres schwarzen Haares, das wie in Nacht getaucht schien, wartete die Italienerin, starr vor sich hinblickend. In ihrem energischen, etwas harten Gesicht, in dem Auge und Augenbrauen wie schwarze Flecken saßen, in ihrer ganzen leidenschaftlichen, kräftigen, dunklen Schönheit lag etwas Packendes, wie ein drohendes Gewitter am verfinsterten Himmel.

Massival fuhr fort, indem er den Kopf mit dem langen Haar ein wenig hin und her bewegte, die erschütternde Geschichte auf den elfenbeinernen Tasten vorzutragen.

Plötzlich zuckte die Sängerin zusammen, sie öffnete den Mund und eine herzzerreißende lange Klage entströmte ihm. Es war nicht jene gewöhnliche tragische Verzweiflung, die die Sänger auf der Bühne spielen und mit dramatischen Bewegungen begleiten, es war auch nicht jenes so beliebte Gewinsel getäuschter Liebe, nach dem alle Zuhörer in Beifall ausbrechen, sondern ein unbeschreiblicher Laut, nicht gemacht, sondern echt, wie das Geheul eines verwundeten Tieres, der Schrei des verratenen Weibes. Dann schwieg sie. Und Massival begann noch einmal, und zitternd, erregt, schmerzvoll erzählte er weiter die Geschichte der armen Königin, die der geliebte Mann verlassen hat.

Da begann von neuem die Frauenstimme. Sie sprach jetzt von der entsetzlichen Qual der Einsamkeit, dem unstillbaren Durst nach vergangener Liebe und dem Jammer, daß er fort war, auf ewig fort.

Ihre warme, zitternde Stimme drang in aller Herzen. Sie schien alles mit zu leiden oder wenigstens einer wahnsinnigen Liebesglut fähig zu sein, diese finstere Italienerin mit ihrem dunklen Gelock. Als sie schwieg, standen Thränen in ihren Augen, und sie wischte sie langsam ab. Lamarthe beugte sich zu Mariolle und sagte in zitternder Künstlererregung:

– Gott! ist sie schön in diesem Augenblick! Das ist ein Weib; das einzige das hier ist.

Dann fügte er nach kurzer Überlegung hinzu:

– Ah, übrigens wer weiß! Vielleicht zaubert uns das nur die Musik vor. Denn alles ist Einbildung. Aber welche Kunst, um solche Einbildung hervorzuzaubern.

Zwischen dem ersten und zweiten Teil der Musikdichtung war eine Pause, und man beglückwünschte den Künstler und die Sängerin aufs wärmste. Vor allen Dingen machte Lamarthe Komplimente; und sie waren wirklich aufrichtig gemeint von ihm, der fühlen konnte, der begriff und den alle Formen, in denen die Schönheit auftrat, packten. Die Art wie er der Marquise Bratiane ausdrückte was er empfunden, als er ihrem Gesange gelauscht, war so schmeichelhaft, daß sie ein wenig errötete, und die anderen Damen, die das mit anhörten, ärgerten sich etwas. Er fühlte vielleicht, welchen Eindruck seine Worte hervorgebracht, und als er sich umdrehte, um sich wieder zu setzen, sah er, daß Graf Rudolf Bernhaus neben der Baronin Frémines Platz genommen hatte. Sie schien ihm sofort Geständnisse zu machen, und sie lächelten beide, als ob die intime Unterhaltung ihnen Freude mache. Mariolle ward immer finsterer. Er lehnte jetzt an der Thür. Der Romancier kam zu ihm. Der dicke Fresnel, Gaston von Lamarthe und Georg von Maltry umstanden Frau von Burne, die den Thee anbot. Sie war von einem Kranz Verehrer umgeben. Lamarthe machte ironisch seinen Freund darauf aufmerksam und fügte hinzu:

– Eine Krone, übrigens ohne Edelstein. Ich glaube, sie gäbe alle diese Rheinkiesel hin um den Brillanten, der ihr fehlt.

– Welchen Brillanten? fragte Mariolle.

– Nun Bernhaus! Den schönen unwiderstehlichen und unvergleichlichen Bernhaus. Der, für den dieses Fest gegeben wird, für den das Wunder zustande gebracht worden ist, daß Massival heute seine Dido zum besten giebt.

André glaubte es nicht, aber er fühlte einen stechenden Schmerz.

– Kennt sie ihn schon lange?

– Nein. Höchstens seit zehn Tagen. Aber sie giebt sich Mühe, um ihn zu erobern. Wenn Sie hier gewesen wären, würden Sie sich amüsiert haben.

– Weshalb denn?

– Ach, sie hat ihn zuerst bei der Baronin Frémines getroffen. Ich war den Tag zu Tisch da. Bernhaus verkehrt dort sehr viel. Das merken Sie ja, Sie brauchen ihn bloß jetzt anzusehen. Nun, und auf dem Fleck begann unsere schöne Freundin, Frau von Burne, den Feldzug zur Eroberung dieses einzig gearteten Österreichers. Und die Geschichte glückt und wird glücken, obgleich die kleine Frémines ihr in Keckheit, an wirklicher Gleichgültigkeit, sogar an Perversität über ist. Aber unsere Freundin Burne ist erfahrener und fängt ihre Koketterie schlauer an. Sie ist mehr Frau, ist mehr moderne Frau, also unwiderstehlich in der Kunst der Verführung, die bei ihr den natürlichen Reiz ersetzt. Man kann eigentlich nicht einmal von Kunst sprechen, sondern vom Ästhetischen, vom Sinn für Schönheit im Weibe: da liegt ihre ganze Kraft. Sie kennt sich wunderbar selbst, weil sie sich selbst mehr als alles andere gefällt. Und sie irrt sich niemals in den Mitteln, die sie gebrauchen muß, um einen Mann einzufangen und ihren Wert zu betonen, um uns zu überlisten. –

Mariolle widersprach:

– Ich glaube, Sie übertreiben. Mir gegenüber ist sie immer ganz einfach gewesen.

– Ja, weil die Einfachheit der Trick ist, der gerade für Sie paßt. Ich will übrigens gar nichts Böses über sie reden. Mir ist sie viel lieber, als alle ihresgleichen. Aber Frauen sind das nicht.

Ein paar Akkorde Massivals ließen sie schweigen. Und die Marquise Bratiane begann nun den zweiten Teil zu singen, in dem sie wirklich eine wunderbare Dido war an physischer Leidenschaft und sinnlicher Verzweiflung.

Aber Lamarthe ließ kein Auge von der vertraulichen Unterhaltung der Baronin Frémines und des Grafen Bernhaus.

Sobald der letzte Ton des Klaviers unter Beifallklatschen verklungen war, sagte er erregt, als ob er einen anderen widerlegen müsse:

– Nein, Frauen sind das nicht. Die anständigsten unter ihnen sind immer noch schamlose Weiber. Je mehr ich sie kenne, desto weniger finde ich in ihnen jene berauschende Zärtlichkeit, die uns die echte Frau gewähren soll. Trunken machen sie auch, aber sie vergiften uns, denn was sie bieten, ist gefälscht. Das Gift ist süß, aber es ist nicht der alte edle Wein. Sehen Sie mein Lieber, die Frau ist geschaffen und in die Welt gesetzt nur zweier Dinge wegen, die allein ihre wahren, großen, wundervollen Eigenschaften zur Entfaltung bringen können: zur Liebe und zur Mutterschaft. Ich spreche wie Prud'homme. Die Sorte aber ist der Liebe nicht fähig, und Kinder wollen sie nicht kriegen. Und wenn sie aus Versehen doch welche bekommen, so ist es das reine Unglück für sie und ihnen eine Last. Wirklich, es sind Ungeheuer.

Mariolle war erstaunt über den heftigen Ton, den der Schriftsteller angenommen und den bösen Blick in seinem Auge. Deshalb fragte er:

– Und sagen Sie mal, weshalb hängen Sie sich eigentlich die Hälfte Ihres Lebens an deren Kleider?

Lamarthe antwortete lebhaft:

– Warum? Warum? Gott, weil es mich interessiert. Zum Donnerwetter nochmal! Und dann: wollen Sie dem Arzt verbieten ins Krankenhaus zu gehen, um sich die Kranken anzusehen? Diese Frauen sind für mich sozusagen meine Klinik.

Diese Überlegung schien ihn beruhigt zu haben, und er fügte hinzu:

– Dann bete ich sie an, weil sie für heute passen. Eigentlich bin ich nicht mehr Mann, wie sie Frauen sind. Wenn ich mich an eine von ihnen gehängt habe, macht es mir Spaß, alles das zu ergründen und aufzufinden, was mich an sie kettet, und ich ziehe das Gift so gründlich aus ihnen, wie der neugierige Chemiker Gift nimmt, um die Wirkung festzustellen.

Nach kurzer Pause fuhr er noch fort:

– Sehen Sie mal, so können sie mich nie wirklich fangen. Ich spiele des Spieles wegen, genau so wie sie und vielleicht besser als sie. Ich kann das für meine Bücher verwerten, für sie hat das keinen Vorteil, was sie da treiben. Dumm sind sie alle, diese verdorbenen, sinnlich verdorbenen Frauen, die, wenn sie anders überhaupt noch Empfindungen haben, vor Kummer krepieren, wenn sie alt werden.

Als Mariolle ihm zuhörte, fühlte er eine Traurigkeit über sich niedersinken, wie die Melancholie, mit der ein Landregen die Erde verdunkelt. Er wußte wohl, daß im allgemeinen der Schriftsteller nicht unrecht hatte, aber er konnte nicht zugeben, daß er ganz im Recht sei.

Da ward er etwas erregt und sagte, nicht so um die Frauen zu verteidigen, als um die Ursache aufzudecken, weshalb die Frau in der heutigen Litteratur so ganz nüchtern und ihres Zaubers entkleidet auftritt:

– Zur Zeit, als die Romanciers und Dichter sie begeisterten und sie träumen machten, suchten sie und glaubten sie im Leben das zu finden, was sie gelesen. Heute wollen sie aber verführerische und poetische Empfindungen verbannen und nur die nackte Wirklichkeit zeigen. Und daher, lieber Freund, habt ihr in euren Büchern keine Liebe mehr, und es giebt keine mehr im Leben. Ihr hattet das Ideal erfunden, und sie glaubten an eure Erfindung; jetzt gebt ihr nur die Wirklichkeit wieder, und euch folgend glauben sie nur an die allgemeine Banalität.

Lamarthe, dem litterarische Gespräche immer Spaß machten, begann eben eine Abhandlung, als Frau von Burne zu ihnen trat.

Sie hatte wirklich ihren guten Tag und war gekleidet zum Entzücken. Ihre kecke herausfordernde Art reizte immer etwas zum Kampf. Sie setzte sich:

– Das habe ich gern: einmal zwei Männer belauschen, wenn sie miteinander reden, ohne daß es für mich bestimmt ist. Übrigens sind Sie die einzigen, denen man hier mit Vergnügen zuhören kann. Worüber sprechen Sie denn?

Lamarthe erklärte ihr ohne Befangenheit mit liebenswürdigem Spott die Frage, von der sie gesprochen. Er nahm noch einmal seine Gründe vor und verschärfte sie, im Wunsch zu posieren, der allen, die am Erfolg hängen, in Gegenwart der Frauen innewohnt.

Der Grund zu diesem Streit machte ihr sofort Spaß. Und selbst von dem Gegenstand hingerissen nahm sie Teil, verteidigte mit viel Geist, Feinheit und treffenden Gedanken die moderne Frau. Ein paar Worte, die dem Romancier unbegreiflich waren, über die Treue und Anhänglichkeit, der auch die, denen man es am wenigsten zutraut, fähig sein können, ließen Mariolles Herz schlagen. Und als sie davongegangen war, um sich zu Baronin Frémines zu setzen, die unausgesetzt Graf Bernhaus an ihrer Seite behalten hatte, machten sich Lamarthe und Mariolle, wieder gefangen durch alles was sie an weiblichem Liebreiz und Geist gezeigt, das Geständnis, daß sie doch eigentlich eine wundervolle Frau wäre.

– Sehen Sie sie nur an! sagte der Schriftsteller.

Drüben war großer Streit. Wovon sprachen sie jetzt, der Österreicher und die beiden Damen. Frau von Burne war gerade zu ihnen gekommen in dem Augenblick, wo ein zu langes Alleinsein von zwei Menschen, sogar wenn sie sich gefallen, anfängt langweilig zu werden. Und sie trat hinzu, indem sie mit empörter Miene alles erzählte, was sie eben von Lamarthe gehört. Alles das paßte gewiß auf die Baronin Frémines, das kam durch ihre letzte Eroberung und wurde vor einem Mann wiederholt, der alles verstand. Wieder waren sie bei dem ewigen Thema der Liebe; und die Frau des Hauses machte Lamarthe und Mariolle ein Zeichen, herüber zu kommen. Als sie dann lebhafter wurden, rief sie alle herbei.

Jetzt kam eine allgemeine Diskussion, heiter und voll Leidenschaft. Jeder sagte etwas, aber Frau von Burne gelang es am feinsten und amüsantesten zu sein, indem sie vielleicht Gefühle heuchelte, aber in drolliger Weise, denn sie hatte wirklich einen besonders guten Tag und war angeregter, geistsprühender und hübscher denn je.



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