Guy de Maupassant
Zwei Brüder
Guy de Maupassant

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Sechstes Kapitel.

Eine Woche und mehr verging, ohne daß sich in der Familie Roland etwas ereignet hätte. Der Vater lebte dem Fischfang, Hans beschaffte mit Hilfe der Mutter seine Einrichtung, Peter war verstimmt und wurde nur bei den Mahlzeiten sichtbar.

»Zum Teufel, was machst du denn für ein Leichenbittergesicht?« hatte sein Vater ihn eines Abends gefragt. »Fällt mir heute nicht zum erstenmal auf.«

»Das Leben lastet schwer auf mir,« versetzte der Doktor.

Der Biedermann wußte nicht recht, was er mit dieser Antwort anfangen sollte, und sagte kläglich: »Das ist doch zum Davonlaufen! Seit uns das Glück diese Erbschaft ins Haus gebracht, scheint alles melancholisch zu sein. Es ist gerade, wie wenn uns ein Unglück passiert wäre oder wir um jemand trauerten!«

»Ich beweine in der That jemand,« sagte Peter.

»Du? Wen denn?«

»Jemand, den du nicht gekannt, und der mir nur zu lieb gewesen.«

Vater Roland nahm an, daß es sich um eine Liebesgeschichte handle, um irgend eine leichtsinnige Person, der sein Sohn den Hof gemacht.

»Ein Frauenzimmer, natürlich?« fragte er.

»Eine Frau, ja.«

»Gestorben?«

»Schlimmer als das – verdorben.«

»Ach so!«

Obwohl ihn dieses, in Gegenwart der Mutter abgelegte Geständnis etwas in Verwunderung setzte, und der seltsame Ton, in dem Peter sprach, ihm auffiel, drang er nicht weiter in ihn, denn er war der Ansicht, daß solche Dinge keinen dritten etwas angehen.

Frau Roland schien nicht zugehört zu haben; sie war sehr blaß und sichtlich angegriffen. Schon mehrmals hatte ihr Mann zu seinem Erstaunen bemerkt, daß sie mehr auf den Stuhl sank, als sich setzte, und so laut und mühsam atmete, als ob sie nach Luft ringe.

»Du siehst schlecht aus, Luise,« hatte er dann wohl gesagt. »Die Einrichterei für Hans strengt dich offenbar zu sehr an. Laß dir doch Zeit und ruhe dich aus! Zum Kuckuck! Die Geschichte hat wahrhaftig keine Eile; der Bursche kann warten, hat ja Geld wie Heu.«

Sie hatte nichts erwidert und einfach den Kopf geschüttelt.

Heute war sie wieder so blaß, daß es Roland von neuem auffiel.

»Hör mal,« sagte er gutmütig, »so kann das nicht fortgehen, Alte! Du mußt dich schonen und pflegen.«

Er wandte sich an seinen Sohn.

»Peter, du siehst es natürlich, daß deine Mutter leidend ist. Hoffentlich hast du sie schon untersucht – nicht?«

»Nein, ich habe nicht bemerkt, daß sie nicht wohl wäre,« versetzte der Doktor.

Nun aber ward Vater Roland ärgerlich.

»Na, das sieht doch aber ein Blinder! Wozu in aller Welt hast du denn studiert, wenn du nicht siehst, daß deine Mutter elend ist? So sieh sie dir doch nur an, ich bitte dich! Nein? wahrhaftig, man könnte draufgehen, ohne daß der gelehrte Herr Doktor was davon merken würde.«

Frau Roland hatte angefangen nach Luft zu ringen und war so kreideweiß geworden, daß ihr Mann erschrocken rief: »Sie wird ohnmächtig!«

»Nein . . . nein . . . es hat nichts zu sagen . . . es geht vorüber!«

Peter war näher getreten, und sie fest ansehend, fragte er: »Laß hören, Mutter, worüber hast du zu klagen?«

»Ueber nichts . . . gar nichts . . . ich versichere dich . . . nichts. . . .«

Roland war hinausgeeilt, um Essig zu holen; mit der Flasche in der Hand wieder eintretend, rief er dem Sohne zu: »So stehe ihr doch bei! Hast du wenigstens nach ihrem Herzen gesehen?«

Peter beugte sich herunter, um ihren Puls zu fühlen, sie entzog ihm aber die Hand mit solcher Heftigkeit, daß sie einen in der Nähe stehenden Sessel umwarf.

»Sei so gut, Mutter,« sagte er kalt, »und laß dir helfen, wenn du krank bist.«

Gehorsam streckte sie ihm den Arm hin. Ihre Haut war glühend heiß; der Puls stürmisch und vielfach unterbrochen.

»In der That, die Sache ist ernsthaft,« murmelte Peter vor sich hin. »Ich muß dir ein beruhigendes Mittel geben; ich schreibe das Rezept sofort.«

Während er sich über das Blatt beugte, um zu schreiben, vernahm er das leise Geräusch unterdrückten Schluchzens, kurze, unregelmäßige Atemzüge und halb erstickte Laute. Er wandte den Kopf nach ihr um.

Beide Hände vor das Gesicht gepreßt, weinte sie.

Ganz bestürzt wiederholte Roland: »Luise, Luise, was ist dir? Ja, was hast du denn?«

Sie antwortete nicht und ein tiefer, entsetzlicher Schmerz schien sie zu erschüttern.

Ihr Mann wollte ihre Hände ergreifen und sie ihr vom Gesicht wegziehen.

»Nein, nein, nein!« schluchzte sie, ihn von sich abwehrend.

»Aber was hat sie denn?« fragte er hilfesuchend den Sohn. »Ich habe sie noch nie so gesehen.«

»Es hat nichts zu sagen,« beruhigte ihn Peter. »Ein kleiner Nervenanfall.«

Ihm war zu Mute, als ob dieser verzweiflungsvolle Jammer seine Qual stille; wenn er sie so in Schmerz vergehen sah, nahm die Bitterkeit in ihm ab, und die Schuld der Mutter schien ihm an Schmach zu verlieren. Wie ein mit seinem Werke zufriedener Richter stand er vor ihr.

Allein plötzlich erhob sie sich, und so hastig und unvorhergesehen, daß von einem Aufhalten nicht die Rede sein konnte, flog sie auf die Thür zu, stürzte hinaus, eilte in ihr Zimmer und schloß sich dort ein.

Roland und der Doktor sahen einander an.

»Weißt du, was das zu bedeuten hat?« fragte der Vater.

»O ja,« erwiderte Peter, »solche Zustände sind die Folge von Nervenstörungen, die in Mamas Alter häufig eintreten. Vermutlich werden sich diese Zufälle hin und wieder einstellen.«

Sie stellten sich in der That wieder ein, und zwar fast täglich. Peter schien das Geheimnis dieses seltsamen, nicht zu benennenden Uebels in Händen zu haben, denn ein Wort von ihm genügte, um den Anfall hervorzurufen. Er beobachtete sie scharf, er sah alle Ruhepausen des Leidens an ihrem Gesichte, und mit grausamer List, wie ein Folterknecht, rief er mit einer Silbe den kaum zur Ruhe gekommenen Schmerz wieder wach.

Ob er oder sie dabei mehr litten, war nicht zu sagen! Die Qual, sie nicht mehr lieben, nicht mehr achten zu können und sie martern zu müssen, war namenlos. Wenn er die Wunde, die er dieser Frau und Mutter beigebracht, wieder aufgerissen hatte, wenn er fühlte, wie namenlos elend sie war und wie nahe am Zusammenbrechen unter der Last der Qual, dann eilte er davon, irrte in der Stadt umher, gefoltert von Gewissensbissen, verzehrt von Mitleid, mit sich rechtend, daß er mit seiner Mißachtung sie so zerknickt und zerbrochen hatte, und so unglückselig, daß er sich am liebsten ins Meer gestürzt, sich ertränkt hätte, um der Not ein Ende zu machen.

O! Wie gern hätte er in solchen Stunden Verzeihung gewährt, aber er konnte nicht, er war nicht im stande zu vergessen. Wenn er nur wenigstens ihr nicht hätte Schmerz bereiten müssen, aber auch das konnte er nicht ändern, so lange er selbst so namenlos litt. Voll guter Vorsätze, voll Milde und Rührung eilte er nach Hause und erschien bei der Mahlzeit, aber sobald er sie sah, sobald er ihrem Auge begegnete, das ihm sonst so frei und ehrlich entgegengeleuchtet, und jetzt scheu, verstört, ängstlich dem seinigen auswich, so konnte er das böse Wort, das sich ihm auf die Lippen drängte, nicht zurückhalten, und führte den Streich, den nicht zu führen er sich geschworen gehabt.

Das schmachvolle Geheimnis, um das nur sie beide wußten, reizte ihn auf gegen sie: es war wie ein Gift in sein Blut gedrungen und flößte ihm den Drang ein, zu beißen wie ein wütender Hund.

Niemand störte ihn in seinem grausamen Zerfleischen des Mutterherzens, denn Hans war fast den ganzen Tag in seiner neuen Wohnung, und kam nur allabendlich zu Tisch und zum Schlafen nach Hause.

Die Bitterkeit und Heftigkeit des Bruders entgingen ihm keineswegs. Er schrieb alles der Eifersucht zu und nahm sich vor, ihm einmal den Standpunkt klar zu machen und ihm gehörig den Text zu lesen, denn das Familienleben war durch diese unaufhörlichen Scenen höchst peinlich geworden. Da er aber jetzt seine eigne Wohnung hatte, litt er für seine Person weniger unter dieser Roheit, und er schätzte seine Gemütsruhe so hoch, daß er vieles geduldig ertrug, ehe er eine Auseinandersetzung herbeiführte. Zudem war er etwas berauscht von seinem Glück und nahm an den Dingen nur wirklichen Anteil, nur soweit sie sich auf ihn selbst bezogen. Den Kopf voll kleiner und kleinlicher Sorgen, kam er nach Hause; der Schnitt eines neuen Rockes, eine Hutform, die passendste Größe seiner Visitenkarten beschäftigten ihn ernstlich. Mit großer Weitläufigkeit und Beharrlichkeit verhandelte er alle Einzelheiten seines Hauses, sprach über die Zahl der Bretter, die in den für die Wäsche bestimmten Wandschrank seines Schlafzimmers kommen sollten, über Kleiderhaken und Schirmständer im Vorsaal und über ein System von elektrischen Klingeln, das jedes heimliche Eindringen in die Wohnung unmöglich machen sollte.

Man hatte beschlossen, zur Feier des endgültigen Einzugs eine Landpartie nach Saint-Jouin zu unternehmen und dann abends gemeinsam bei Hans Thee zu trinken. Der Vater wäre sehr dafür gewesen, den Seeweg zu wählen, allein die Entfernung und Abhängigkeit von Wind und Wetter, welche Zeit und Stunde der Ankunft und Rückkehr unbestimmbar machen mußte, wurden gegen seinen Vorschlag geltend gemacht und man erkor daher ein Break als Beförderungsmittel.

Gegen zehn Uhr vormittags fuhr man ab, um zur Frühstückszeit an Ort und Stelle zu sein. Die staubige Straße führte durch ein Stück echt normännischer Landschaft, die mit ihren wellenartigen Hügeln und den rings mit Bäumen umgebenen Gutshöfen den Eindruck eines sich ins Unendliche erstreckenden Parks macht. Außer der Familie Roland waren Frau Rosémilly und der Kapitän Beausire mitgekommen: die ganze Gesellschaft saß ziemlich schweigsam, halb eingeschläfert von dem gleichmäßigen Schritt der beiden kräftigen Gäule und betäubt vom Rasseln des Wagens bei einander, und jeder drückte die Augen zu, um vom Staub nicht allzusehr belästigt zu werden.

Es war um die Erntezeit; neben dem satten Grün des Futterklees und dem grelleren der Runkelrüben leuchtete das Korn und tauchte die ganze Landschaft in seinen Goldton. Es war, als hätten die Halme das Sonnenlicht, das sie gereift, festgehalten. Da und dort hatte man zu schneiden begonnen, und man sah auf den in Angriff genommenen Feldern die Männer sich mit der Bewegung ihrer im Sonnenstrahl glitzernden, flügelförmigen Sicheln hin und her wiegen.

Nach zweistündiger Fahrt lenkte der Break in einen Seitenweg zur Linken ein, fuhr an einer Windmühle, die als trauriges, letztes Ueberbleibsel der alten Mühlen, dem Zusammenfallen nahe, melancholisch und düster ihr Tagewerk verrichtete, vorüber und rasselte dann lustig in den hübschen Hof eines zierlichen, weit und breit berühmten ländlichen Gasthauses.

Die Wirtin, die sogenannte schöne Alphonsine, erschien freundlich lächelnd unter der Thür und eilte herbei, um den beiden Damen, für die der Wagentritt etwas hoch war, hilfreich die Hand zu bieten.

Unter einem Zelt, am Ausgange eines schattigen Obstgartens, hatte sich eine von Etretat herübergekommene Gesellschaft von Parisern schon zum Frühstück niedergelassen, und aus dem Innern des Hauses vernahm man Sprechen, Gelächter und Tellergeklapper.

Da die Säle bereits besetzt waren, mußte man sich mit einem Zimmer begnügen. Plötzlich entdeckte Vater Roland an der Wand Netze, wie man sie zum Fangen der kleinen Seekrebse benutzt.

»Werden hier SalicoquesEine größere, sehr beliebte Art von »Crevetten«. Anm. d. Uebers. gefangen?«

»Gewiß,« versetzte Beausire. »Dies ist sogar der weitaus ergiebigste Ort an der ganzen Küste.«

»Donnerwetter! Wenn mir uns nach dem Frühstück dranmachten?«

Es traf sich, daß um drei Uhr gerade Ebbe war, und man beschloß, den Nachmittag mit Krebsen im Ufergestein zuzubringen.

Gegessen wurde nicht viel; man fürchtete Blutandrang gegen den Kopf, da man bei dem in Aussicht stehenden Vergnügen die Füße im Wasser haben mußte, und wollte überdies seinen Appetit aufsparen für das Diner, das man ungemein üppig und reichlich auf sechs Uhr bestellte.

Roland brannte vor Ungeduld. Er wollte sich die für diesen Fang besonders gemachten Netze, die große Aehnlichkeit mit Schmetterlingsnetzen haben, durchaus kaufen. Dieselben heißen »Lanets« und sind kleine, filetgestrickte Säcke, um einen hölzernen, mit einem sehr langen Stiel versehenen Reif befestigt. Die allezeit lächelnde Alphonsine war gern bereit, die Netze zu verleihen, und verhalf dann den beiden Damen zu einem Anzug, der es ihnen möglich machen sollte, an der Jagd teilzunehmen, ohne ihre Kleider naß zu machen. Sie stellte ihnen kurze Röcke, grobe wollene Strümpfe und Strohpantoffeln zur Verfügung. Die Herren zogen ihre Fußbekleidung aus und kauften sich beim Dorfschuster Holz- und alte Lederschuhe.

Das »Lanet« auf der Schulter und eine kleine Kiepe auf dem Rücken, wurde abmarschiert. Frau Rosémilly nahm sich in diesem Kostüm sehr gut aus und entfaltete eine ländliche, kecke Anmut, die an ihr überraschte.

Der von Alphonsine entlehnte Rock war kokett in die Höhe genommen und mit ein paar Stichen festgenäht, um ihr volle Sicherheit im Klettern und Steineüberspringen zu gewähren, darunter zeigte sich der Knöchel und der untere Teil des zierlichen und kräftigen Beines der kleinen Frau, Jacke und Tuch waren zurückgelassen worden, um nicht in der Bewegung zu hemmen, und als Kopfbedeckung hatte sie einen riesigen hellgelben Gärtnerhut aufgetrieben, dessen breiten Rand sie an einer Seite mit einem Tamariskenzweig aufsteckte, wodurch er sehr an einen lustigen, kecken Musketier erinnerte.

Seit der Erbschaft überlegte Hans sich jeden Tag, ob er sie heiraten wolle oder nicht. So oft er sie sah, war er entschlossen, sie zur Frau zu begehren, war er dann wieder allein, so sagte er sich, daß es am Ende doch besser sei, die Sache noch etwas reiflicher zu überlegen. Ihr Vermögen war jetzt nicht so bedeutend wie das seinige, denn sie verfügte nur etwa über zwölftausend Franken Rente. Das Kapital war jedoch in Immobilien angelegt, in Grundstücken und Pachthöfen in Havre, in der Nahe der Bassins, so daß der Wert derselben sich unter Umständen verdoppeln konnte. Im Geldpunkt stimmten beider Verhältnisse also ziemlich überein, und daß die junge Witwe ihm gefiel, darüber war er nicht in Zweifel.

Als er sie heute vor sich herschreiten sah, sagte er sich: »Die Sache muß sich entscheiden. Daß ich mir nichts Besseres wünschen könnte, ist gewiß.«

Sie gingen durch ein kleines, ziemlich abschüssiges Thal vom Dorf hinab, der Küste zu, die am Ende des Thälchens in einer Höhe von vierundzwanzig Meter schroff gegen das Meer abfiel. Eingerahmt von den grünen Ufern, die sich zu beiden Seiten der See zuneigten, war ein großes Wasserdreieck sichtbar, das im Sonnenlicht bläulich-silbern erglänzte, und ein kaum zu unterscheidendes Segel erschien in der Tiefe nicht größer als eine Fliege. Himmel und Meer waren von gleicher Bläue, gleicher Lichtfülle, so daß man kaum erkannte, wo das eine aufhörte und der andre anfing, und die Gestalten der beiden Frauen, welche den Herren vorangingen, hoben sich in ihren eng anliegenden Kleidern scharf vom Horizont ab.

Leuchtenden Auges sah Hans den schlanken Knöchel, das zierliche Bein, die gewölbte Hüfte und den herausfordernden Hut Frau Rosémillys vor sich herfliehen, und diese Flucht steigerte sein Verlangen, trieb ihn zum endgültigen Entschluß, zu dem die Schüchternen und Zaudernden oft so unvermittelt gelangen. Die weiche Luft, in der sich der würzige Duft von Kraut und Gras, Klee und Ginster dem salzigen Hauch des zwischen die Felsen eindringenden Meerwassers gesellte, wirkte sanft berauschend und zugleich ermutigend auf ihn, und mit jedem Schritt, mit jeder Minute, mit jedem Blick auf die anmutige, flinke Gestalt der jungen Frau wuchs seine Entschlossenheit, und er nahm sich fest vor, nicht länger zu zögern, ihr zu sagen, daß er sie liebe und daß er sie zur Gattin begehre.

Der Krebsfang kam ihm eben recht; derselbe erleichterte ein Alleinbleiben und gab eine hübsche Scenerie für die Liebeserklärung ab, die sich ihm sicher leicht auf die Lippen drängen mußte, wenn er und Frau Rosémilly erst, die Füße im krystallhellen Wasser und weit vornübergebeugt, um die langen Krebsschwänze unter dem Seetang hin und her huschen zu sehen, nebeneinander stünden.

Als sie am Ende des Thälchens, an dem steil abfallenden Gestade angelangt waren, entdeckten sie einen schmalen, kleinen Fußsteig, der an den Klippen hinunterführte, und unter sich, zwischen dem Meer und dem Fuß des Berges, in halber Höhe der Küste vielleicht, ein ganz überraschendes Chaos von ungeheuren herabgestürzten, übereinander getürmten, wirr durcheinander geworfenen Felsblöcken, die auf einer grasbewachsenen, welligen, durch frühere Bergstürze gebildeten Ebene, die sich unabsehbar gegen Süden dehnte, hingelagert waren.

Auf dieser langgestreckten, gestrüppbewachsenen Fläche machten die wie von einem Vulkan ausgeworfenen Felsstücke den Eindruck von Trümmern einer großen, untergegangenen Stadt, die, das Weltmeer überblickend, von der weißen, endlosen, senkrechten Mauer der Kreidefelsen des Gestades überwacht, hier gelegen haben mochte.

»Wie schön das ist,« sagte Frau Rosémilly stillstehend.

Hans hatte sie eingeholt und bot ihr klopfenden Herzens die Hand, um ihr beim Herabsteigen auf dem in den Felsen gehauenen Stufenpfad behilflich zu sein.

Sie waren die vordersten; ihnen folgte Beausire, etwas steif und unbehilflich auf seinen kurzen Beinen, und den zurückgebogenen Arm Frau Roland bietend, die einigermaßen beängstigt und verblüfft in die Tiefe hinabsah.

Roland und Peter machten den Beschluß, und der Doktor hatte genug zu thun, um den Vater von der Stelle zu bringen, der, von Schwindel ergriffen, die Stufen mehr hinabruschte als ging.

Die jungen Leute an der Spitze des Zuges schritten rüstig vorwärts und bemerkten plötzlich neben einer hölzernen Bank, die ungefähr in halber Höhe des Abstiegs als Ruhepunkt angebracht war, aus dem Felsen hervorströmendes, klares Quellwasser. Es füllte zuerst ein kleines Becken, das es sich selbst gegraben, und dann, in einer Höhe von etwa zwei Fuß hinabfallend, floß es eilig quer über den Fußsteig, der sich an der Stelle mit einem grünen Kressenteppich geschmückt hatte, und verschwand bald unter Wurzeln und Kräutern in dem von Wasserstürzen angeschwemmten Grund.

»O welch herrliches Wasser, und ich bin so durstig!« rief Frau Rosémilly.

Aber wie zum Trinken gelangen? Sie versuchte, das kühle Naß in der hohlen Hand aufzufangen, allein es entschlüpfte ihr zwischen den Fingern. Schließlich kam Hans auf den Einfall, einen Stein hineinzulegen, an dem es sich staute, und sie kniete nieder, um unmittelbar am Quell, mit dem sie sich nun auf einer Höhe befand, ihren Durst zu löschen.

Hans stand daneben und beugte sich über sie, und als sie den Kopf hob, und Gesicht, Haare, Wimpern und Kleid von tausend kleinen Wassertröpfchen funkelten, flüsterte er: »Wie hübsch Sie sind!«

»Wollen Sie gleich still sein!« erwiderte sie, im Ton, wie man ein Kind schilt.

Das waren die ersten beziehungsvollen und der Zärtlichkeit nahekommenden Worte, die zwischen ihnen gewechselt wurden.

»Rasch vorwärts,« sagte Hans erregt, »damit uns die andern nicht einholen.«

Man sah allerdings jetzt ziemlich in der Nähe die Rückseite des Kapitäns, der tastend rückwärts herabstieg und mit beiden Händen Frau Roland nachzog, höher oben, noch in ziemlich großer Entfernung, erschien Vater Roland, immer rutschend, mit aufgestemmten Ellbogen und Füßen schildkrötenartig sich fortschiebend, während Peter voranging und jede seiner Bewegungen überwachte.

Der Pfad wurde jetzt weniger steil und felsig und schlängelte sich um die riesigen, hier abgestürzten Felsblöcke herum. Frau Rosémilly und Hans fingen an zu laufen und befanden sich bald auf dem Geröll des Flußbettes. Sie überschritten dasselbe, um zu den kleineren Felsen zu gelangen, die sich auf der mit Seegewächs aller Art bedeckten Fläche ausbreiteten und zwischen welchen zahlreiche Wasserlachen hervorschimmerten. Weit draußen, jenseits dieser schlüpfrigen Seetangfläche, leuchtete das in der Ebbe tief zurückgetretene Meer in schwärzlichem Grün.

Hans stülpte sein Beinkleid hoch auf, schlug die Aermel bis zum Ellbogen zurück, um sich mit Ruhe der nassen Beschäftigung widmen zu können, und sprang mit dem Rufe »Vorwärts!« in die nächstliegende Pfütze.

Obwohl Frau Rosémilly entschlossen war, dem feuchten Element ebenfalls nicht aus dem Wege zu gehen, zog sie es, da das Gras äußerst schlüpfrig war, vorderhand noch vor, mit Vorsicht und kleinen, zögernden Schritten das kleine Wasserbecken zu umgehen.

»Sehen Sie etwas?« fragte sie ihren Begleiter.

»Ja, Ihr Gesicht, das sich im Wasser spiegelt.«

»Wenn Sie sonst nichts sehen, wird Ihre Beute nicht glänzend ausfallen.«

»Ich kenne keine Jagdbeute, die mir lieber wäre, als diese,« gab er halblaut mit zärtlichem Ton zurück.

»Versuchen Sie's einmal!« rief sie lachend. »Sie werden schon sehen, wie es den Maschen Ihres Netzes entschlüpft!«

»Und doch . . . wenn Sie wollten . . .«

»Ich will Sie Krebse fangen sehen, und sonst gar nichts . . . für den Augenblick . . .«

»Sie sind boshaft. Wir wollen weiter gehen; hier ist nichts zu finden.«

Er bot ihr die Hand, um ihr über die glatten, moosigen Steine wegzuhelfen. Ein wenig unsicher und ängstlich, stützte sie sich fest auf ihn, und wie wenn die Leidenschaft, die in ihm geschlummert, nur diesen Tag abgewartet hätte, um sich machtvoll zu erschließen, schwoll ihm die Brust von heißer Liebe und glühendem Verlangen.

Nach kurzer Zeit waren sie bei einer bedeutend tieferen Spalte angelangt, in deren bewegtem, durch einen unsichtbaren Ausfluß dem Meere zuströmendem Wasser lange, seltsam gefärbte, feine Gräser wie hellrote und grüne Haarbüschel zu schwimmen schienen.

Frau Rosémilly rief mit heller Stimme: »Halt, halt! Ich sehe einen, einen ganz dicken!«

Auch Hans entdeckte den Krebs und stieg, obwohl ihm das Wasser bis an den Gürtel ging, mutig in das Loch hinein.

Allein die langen Scheren in Bewegung setzend, zog sich das Tierchen sachte vor dem Netz zurück, Hans drängte es dem Rande zu in der Ueberzeugung, es in dem überhängenden Tang leicht greifen zu können. Sobald der Krebs sich aber blockiert fühlte, glitt er mit einer unvorhergesehenen Geschwindigkeit über das »Lanet« weg, ruderte quer durch das Becken und verschwand.

Die junge Frau, welche mit höchster Spannung und wahrem Herzklopfen der Jagd zugesehen hatte, konnte den hastigen Ruf: »Ach, wie ungeschickt!« nicht zurückhalten.

Hans ärgerte sich und steckte gedankenlos sein Netz in die Ecke voll schwimmender Gräser. Als er dasselbe an die Oberfläche des Wassers zurückzog, sah er, daß drei große, durchsichtige »Salicoques« die er blindlings in ihrem undurchdringlichen Versteck aufgegabelt hatte, darin zappelten.

Triumphierend bot er seine Beute der jungen Witwe, die sie aber aus Angst vor den zackigen, scharfen Fühlern nicht anzufassen wagte.

Schließlich überwand sie ihre Furcht, und das fadendünne Endchen der Fühler mit spitzen Fingern anfassend, legte sie einen nach dem andern in ihren Tragkorb und deckte sie, um sie lebend zu erhalten, mit etwas Seetang zu.

Nun erwachte die rechte Jagdlust, und sobald sie eine etwas weniger tiefe Wasserlache gefunden hatten, ging sie gleichfalls hinein, etwas zaudernd zwar und ein bißchen erschreckend, als das kalte Wasser ihre Füße umspülte. Sie war geschickt und listig, ihre Hand war ruhig und leicht und der Jägerinstinkt fehlte nicht. Beinahe mit jedem Eintauchen des Netzes brachte sie ein paar Tierchen zum Vorschein, die sich von der wohlberechneten Langsamkeit ihrer Bewegungen hatten täuschen lassen.

Hans bekam gar nichts, aber er lief ihr auf Schritt und Tritt nach, beugte sich über sie und bat, sich über seine Ungeschicklichkeit tief betrübt anstellend, in die Lehre genommen zu werden.

»O, zeigen Sie mir, wie Sie es machen!« bat er. »Zeigen Sie mir's!«

Die dunkeln Gräser, die den Grund erfüllten, machten die helle Wasserfläche zu einem besonders brauchbaren Spiegel, der ihre beiden Gesichter aneinander gelehnt, ineinander verschwimmend, deutlich wiedergab, und Hans lächelte dem Bild zu, das ihm aus dem Wasser entgegenstrahlte, und warf dem Köpfchen seiner Nachbarin leichte Kußhände zu, die auf das Spiegelbild zu fallen schienen.

»Wie langweilig und abgeschmackt,« bemerkte die junge Frau. »Merken Sie sich doch, mein Bester, daß man sich nie mit zwei Dingen zu gleicher Zeit beschäftigen soll.«

»Ich beschäftige mich auch nur mit einem: Ich liebe Sie!«

Sie richtete sich auf und sprach ernsthaft: »Was machen Sie denn seit einer Viertelstunde für Geschichten? Haben Sie ganz den Kopf verloren?«

»Nein, ich bin noch in seinem Besitze und habe nichts verloren, sondern nur den Mut gefunden, Ihnen endlich zu sagen, daß ich Sie liebe.«

Sie standen beide aufrecht in dem salzigen Gewässer, das ihnen hoch über die Knöchel ging, und die tropfnassen Hände auf die Stiele der Netze gestützt, blickten sie einander in die Augen.

»Das war sehr unvernünftig, mir gerade jetzt davon zu sprechen,« sagte sie in scherzhaft gereiztem Ton, »Hätten Sie das nicht ein andermal thun können, statt mich heute um das Krebsvergnügen zu bringen?«

»Verzeihen Sie mir,« flüsterte er, »aber ich konnte nicht länger schweigen. Ich liebe Sie längst, heute haben Sie mich bezaubert, mich um meine fünf Sinne gebracht . . .«

Sie schien nun gewillt, sich in ihr Schicksal zu ergeben, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und, wenn es nicht anders sein konnte, auf ihr Vergnügen zu verzichten, um von Geschäften zu sprechen.

»Wir wollen uns auf den Felsen setzen,« sagte sie, »da plaudert sich's besser.«

Sie kletterte hinauf, was nicht ohne Mühe war, und als sie oben im hellen Sonnenschein mit baumelnden Beinen nebeneinander saßen, fuhr sie fort: »Mein lieber Freund, Sie sind kein Kind mehr, und ich kein junges Mädchen. Wir wissen, um was es sich handelt, und wir sind imstande, die Tragweite unsrer Handlungen zu ermessen. Wenn Sie sich heute entschließen, mir Ihre Liebe zu gestehen, so nehme ich als selbstverständlich an, daß Sie mich heiraten wollen.«

Die kühle und klare Darlegung des Sachverhalts war nun eben nicht, was er erwartet, und ziemlich gimpelhaft erwiderte er: »Allerdings.«

»Haben Sie mit Ihrem Vater und Ihrer Mutter darüber gesprochen?«

»Nein, ich wollte zuerst Ihre Antwort haben.«

»Und die lautet: Ja!« sagte sie, ihm die noch feuchte Hand hinstreckend, die er mit Ungestüm ergriff. »Ich glaube, daß Sie ein guter, ehrlicher Mensch sind. Aber lassen Sie nicht außer Auge, daß ich nichts thun möchte, was Ihren Eltern unlieb sein könnte.«

»Ach! Glauben Sie denn, daß meine Mutter nichts geahnt, nichts erraten hätte, und daß sie Ihnen so gut sein konnte, wie sie es ist, wenn unsre Verbindung nicht ihr Herzenswunsch wäre?«

»Das ist wahr. Ich bin ein wenig erregt und verwirrt.«

Sie schwiegen: er im stillen verwundert, daß sie nicht weit mehr erregt und so außerordentlich vernünftig war. Er hatte eine reizende Liebesscene erwartet, ein Verweigern, das Gewähren heißt, ein kokettes Schäferspiel beim Krebsfang, mit dem plätschernden Wasser als Orchesterbegleitung! Und nun war alles niet- und nagelfest; zwanzig Worte, und er fühlte sich gebunden, verheiratet. Zu sagen hatten sie sich nichts mehr, denn die Sache war abgemacht, und sie befanden sich nun in einiger Verlegenheit über das, was sich so rasch zwischen ihnen ereignet; zu sprechen fand keins den Mut, mit dem Krebsen war es auch aus, und sie wußten nichts miteinander anzufangen.

Da kam Papa Rolands Stimme ihnen zu Hilfe.

»Hierher, Kinder, hierher! Beausire müßt Ihr sehen – er leert das Meer aus, der Schlingel, der!«

In der That hatte der Kapitän ein fabelhaftes Glück und Geschick. Vollständig durchnäßt, durchwatete er Tümpel um Tümpel, machte auf den ersten Blick die günstigsten Stellen ausfindig und durchstöberte, sein Netz langsam und sicher handhabend, alle unter dem Seetang verborgenen Höhlen und Löcher.

Und die durchsichtigen, graugelben Tiere zappelten in seiner breiten Hand, wenn er sie ruhig und geschäftsmäßig Stück für Stück in seine Kiepe beförderte.

Ganz erstaunt und begeistert schloß sich Frau Rosémilly sofort ihm an, wich ihm nicht mehr von der Seite, ahmte sein Beispiel mit vielem Geschick nach und vergaß ihre Verlobung und Hans, der ihnen träumerisch folgte, fast über dem kindlichen Vergnügen, die krabbelnden Tierchen unter dem dichten Gras herauszufischen.

Plötzlich rief Roland: »Ach, da kommt die Mama uns doch noch nach!«

Frau Roland war anfangs mit Peter an der Mündung des Bächleins zurückgeblieben; weder er noch sie waren in der Stimmung, über Felsblöcke zu klettern und in Pfützen umherzuwaten, und doch empfanden beide eine Scheu, miteinander allein zu bleiben. Sie fürchtete sich vor ihm, und er sich vor ihr und vor sich selbst und seiner Grausamkeit, über die er nicht Herr ward.

Sie setzten sich nebeneinander auf das Geröll und beide bewegte in der von der Seebrise gemäßigten sommerlichen Wärme, angesichts dieses herrlichen lichtblauen und silberschimmernden Himmels, der nämliche Gedanke: »Wie schön könnte es sein; wie schön wäre das ehemals gewesen.«

Sie wagte nicht, das Wort an ihn zu richten, denn sie wußte, daß er nur eine herbe Rede für sie in Bereitschaft hatte; er wagte nicht, mit ihr zu sprechen, denn er war sich bewußt, seine Heftigkeit nicht mehr zügeln zu können, sobald er den Mund aufthäte.

Er saß, mit der Spitze seines Stockes im Geröll umherstochernd, die armen Steinchen mißhandelnd und hämmernd, da; sie hatte, die Augen ziellos ins Weite geheftet, zwei oder drei kleine Kiesel aufgelesen, die sie nun langsam und mechanisch immer von einer Hand in die andre gleiten ließ. Ihr unbestimmt umherschweifender Blick gewahrte nach einer Weile zufällig ihren jüngeren Sohn, wie er in Frau Rosémillys Nähe mit Krebsen beschäftigt war. Unwillkürlich beobachtete sie die beiden, folgte jeder ihrer Bewegungen, und bald ward sie inne, bald sagte ihr mütterlicher Instinkt ihr, daß kein Alltagsgespräch zwischen den jungen Leuten im Gange war. Sie sah beide sich herniederbeugen und ihr Bild im Wasser betrachten; sie sah sie dann Aug in Aug' aufrecht einander gegenüberstehen, darauf den Felsen erklimmen und sich eng aneinander gedrängt auf denselben niederlassen.

Klar und scharf zeichneten ihre Silhouetten sich am Horizont ab, sie schienen ganz allein auf der Welt zu sein, und in dieser weiten, unermeßlichen Oede von Himmel, Meer und Klippen machten die beiden Gestalten den Eindruck von etwas Mächtigem, Symbolischem.

Auch Peter sah ihnen aufmerksam zu, und ein trockenes Lachen ertönte plötzlich aus seiner Kehle.

»Was hast du denn?« fragte Frau Roland, ohne ihr Gesicht dem Sohne zuzuwenden.

»Ich mache Studien,« sagte er, noch einmal auflachend. »Ich lerne, wie man sich auf die Würde eines Hahnrei vorbereitet.«

Zur Verzweiflung getrieben von dem, was sie aus diesen Worten herauszuhören glaubte, im Innersten verletzt von diesem Ausdruck, stiegen Zorn und Empörung in ihrem Herzen auf.

»Wen meinst du damit?«

»Wen anders, als Hans! Wirklich possierlich, den Herrschaften zuzusehen!«

Zitternd vor Aufregung versetzte sie mit gepreßter Stimme: »O Peter! Wie hart du bist! Diese Frau ist die Rechtschaffenheit in Person! Dein Bruder könnte keine bessre finden.«

Grell und hart klang sein herbes, gezwungenes Lachen.

»Hahaha! Die Rechtschaffenheit in Person! Das sind sie ja alle, alle, eine wie die andre . . . und eine wie die andre setzt dem Manne Hörner auf. Hahaha!«

Ohne eine Silbe der Entgegnung stand sie auf, stieg eilig den Abhang vollends hinunter, und auf die Gefahr hin, auf dem schlüpfrigen Boden zu stürzen, Arm und Bein zu brechen, eilte sie, mehr laufend als gehend, ohne vor sich zu sehen, Wasserlachen durchwatend, dahin, ihrem andern Sohne nach.

Als Hans sie herankommen sah, rief er: »Wie, Mama? Hast du dich doch entschlossen, uns nachzukommen!«

Ohne zu sprechen, ergriff sie seinen Arm und klammerte sich an ihn. »Rette mich, beschütze mich!« flehte ihr Blick.

Mit Erstaunen gewahrte er ihre Erregtheit und er sagte: »Wie blaß du bist! Was hast du denn, Mama?«

»Ich wäre beinahe gestürzt,« stammelte sie. »Ich hatte solche Angst auf den Felsen.«

Hans führte sie, unterstützte sie kräftig und erläuterte ihr dabei die Krebsjagd, um ihr Interesse für diesen Sport wachzurufen. Da er aber bald merkte, daß sie ihm kaum zuhörte, und da sein Herz ebenfalls von etwas andrem erfüllt und sein Mitteilungsbedürfnis sehr lebhaft war, zog er sie ein wenig abseits und begann leise: »Rate, was ich gethan habe?«

»Ja . . . aber . . . das kann ich doch nicht wissen!«

»Rate!«

»Ich . . . ich weiß es nicht.«

»Nun denn, so laß dir sagen, daß ich Frau Rosémilly um ihre Hand gebeten habe.«

Sie erwiderte nichts; das Herz war ihr so schwer, ihr armer Kopf so verwirrt vor Verzweiflung und Jammer, daß sie kaum verstand, was er sprach. Geistesabwesend wiederholte sie: »Um ihre Hand gebeten?«

»Ja, hab' ich recht gethan? Sie ist reizend, nicht wahr, Mama?«

»Gewiß . . . reizend . . . du hast ganz recht.«

»Also du billigst meinen Schritt?«

»O ja . . . ich billige ihn.«

»Wie sonderbar du das sagst; man sollte fast glauben, daß du dich nicht darüber freuest.«

»O doch, ich freue mich.«

»Wahr und wahrhaftig?«

»Wahr und wahrhaftig.«

Und um ihn davon zu überzeugen, schlang sie beide Arme um seinen Hals und küßte ihn, wie nur eine Mutter küßt, auf Mund und Wangen.

Die Augen waren ihr feucht geworden, und als sie die Thränen abgewischt, bemerkte sie weit unten am Strand eine Gestalt, die, auf dem Bauch ausgestreckt, das Gesicht im Geröll verborgen, wie tot dalag. Das war der andre, war ihr Sohn Peter, der verzweifelnd vor sich hinbrütete.

Sie zog ihren Kleinen, ihren Hans, noch weiter mit sich fort, ganz bis an die Mündung des Baches, und sie besprachen diese Heirat, an der sein Herz hing, ein langes und breites.

Die Flut kam und trieb die Schwatzenden in eiliger Flucht von dannen, und alle miteinander erkletterten die Küste. Beim Vorübergehen rief man Peter an, der sich schlafend stellte, und dann wurde lang getafelt und im Wein ein übriges gethan.

 


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