Guy de Maupassant
Zwei Brüder
Guy de Maupassant

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Nachdem er das Haus verlassen, hatte sich Peter nach der Hauptstraße von Havre, der geräuschvollen, hell beleuchteten, belebten Rue de Paris, gewendet. Vom Meer herüber kam ein frischer Luftzug, der ihm die Stirn kühlte, und langsam, die Hände auf dem Rücken, den Stock unterm Arm, schlenderte er dahin.

Es war ihm nicht wohl zu Mute, er fühlte sich gedrückt, verstimmt, wie wenn man eine schlechte Nachricht erhalten hat. Ohne sich klar zu sein, was ihn bedrückte, ohne sagen zu können, woher dies Heruntergestimmtsein, dies Gefühl der Zerschlagenheit eigentlich komme, litt er darunter. Es that ihm etwas weh, er wußte selbst nicht was; er hatte eine schmerzende Stelle an sich, die er nicht bezeichnen konnte, eine jener lästigen kleinen Hautritze, die, kaum sichtbar, uns doch so peinlich werden, uns müde, gereizt und verdrießlich machen; ein unausgesprochenes, unbestimmtes Schmerzgefühl, ein Samenkorn wahren Kummers.

Als er auf dem Theaterplatz stand, lockte ihn das Café Tortoni und er ging auf die glänzend erleuchtete Fassade zu; im Begriff, einzutreten, besann er sich aber, daß er hier Freunde, Bekannte, kurz Menschen, mit denen er sprechen müßte, finden würde, und ein heftiger Widerwille vor solch leerem Geschwätz, vor der wertlosen Kameradschaft, wie sie sich im Café anknüpft, ergriff ihn. Er wandte sich um und ging in der Hauptstraße weiter, dem Hafen zu.

»Wo könnte ich denn hingehen?« fragte er sich, vergeblich ein Ziel suchend, das in seinem gegenwärtigen Gemütszustande einen Reiz für ihn gehabt hätte. Das Alleinsein verdroß ihn, und doch wollte er mit keinem Menschen zusammentreffen. Auf dem großen Quai angelangt, zauderte er noch einmal, dann schritt er entschlossen dem Hafendamme zu; er hatte sich für die Einsamkeit entschieden.

Als er auf dem Wellenbrecher über eine Bank stolperte, setzte er sich, offenbar schon müde vom Gehen und seines Spazierganges überdrüssig, ehe er ihn gemacht.

Die Frage: »Was ist mir denn heute abend?« stieg endlich in ihm auf, und er fing an, in seiner Erinnerung nach einem erlittenen Schmerz zu suchen, etwa wie man einen Kranken ausfragt, um den Sitz des Leidens zu entdecken.

Er war von Natur leicht erregbar und besonnen zu gleicher Zeit; er pflegte die Dinge heftig zu erfassen, dann aber nachdenklich zu werden und die eignen Impulse zu tadeln oder zu billigen, im ganzen aber gewann doch immer wieder die erstere Naturanlage die Oberhand, und das Temperament war mächtiger als der klar urteilende Verstand.

Er sann und sann, woher diese Nervenabspannung, diese innere Unruhe, dies Bedürfnis, etwas zu unternehmen, ohne doch zu irgend etwas Lust zu haben, das Verlangen, jemand um sich zu haben, nur um ihm widersprechen zu können, und wiederum der Widerwillen gegen jeden Menschen, der ihm allenfalls aufstoßen, gegen jedes Wort, das derselbe ihm möglicherweise sagen könnte, all diese widerstreitenden Empfindungen rühren könnten, und plötzlich fragte er sich: »Sollte deines Bruders Erbschaft die Veranlassung sein?«

Unmöglich war es nicht. Als der Notar seine Eröffnungen gemacht, hatte er sein Herz heftiger schlagen gefühlt als sonst. Ohne Zweifel ist der Mensch nicht immer Herr seiner selbst und ist unwillkürlichen Regungen unterworfen, gegen die er vergebens ankämpft.

Er dachte mit großem Ernst über das physiologische Problem nach, daß eine Thatsache auf den natürlichen Menschen einen Eindruck machen, einen Ideengang hervorrufen, schmerzliche oder fröhliche Empfindungen wecken kann, die ganz im Gegensatz zu dem stehen, was der durch Erziehung und Bildung dem eignen Ich überlegen gewordene Verstand, unser bewußtes Denken, für wünschenswert, gut und heilsam hält.

Dann suchte er sich in den Seelenzustand des Sohnes zu versetzen, dem urplötzlich ein großes Vermögen zufällt, der sich nun in vollem Maß all die lang gewünschten Freuden und Genüsse gönnen darf, welche die ängstliche Sparsamkeit eines trotzdem geliebten Vaters ihm bisher versagte.

Jetzt stand er auf und schritt weiter bis ans Ende des Dammes. Ihm war leichter ums Herz, es that ihm wohl, sich selbst zu verstehen, sich ertappt, den »Andern«, der in jedem von uns steckt, entlarvt zu haben.

»Neidisch bin ich also auf Hans gewesen,« dachte er, »das ist niedrig und erbärmlich, aber ich weiß, daß es wahr ist. Vielleicht war's auch Eifersucht, denn der erste Gedanke, der mir durch den Sinn fuhr, war, daß er jetzt Frau Rosémilly heiraten würde. Und doch bin ich wahrhaftig in diese kleine Pute mit ihrer nüchternen Klugheit, die einem das Vernünftigsein für alle Zeit verleiden könnte, nicht verliebt – es ist also gegenstandslose Eifersucht, der Neid an sich, nur um seiner selbst willen. Das muß im Auge behalten werden.«

Er kam an den Signalmast, der die Höhe des Wasserstandes im Hafen angibt, und zündete ein Streichholz an, um die Liste der von hoher See signalisierten Schiffe, die mit der nächsten Flut einlaufen sollten, lesen zu können. Man erwartete Dampfer von Brasilien, La Plata, Chili und Japan, zwei dänische Briggs, eine norwegische Goelette und einen türkischen Dampfer, was Peter im ersten Augenblicke so verwunderlich vorkam, als ob er gelesen hätte: »einen Schweizer Dampfer« und ihm die Vorstellung eines ungeheuren Schiffes mit lauter beturbanten Männern, die in roten Pumphosen im Takelwerk herumkletterten, erweckte.

»Wie dumm,« sagte er sich, »was ist denn da Wunderliches dabei? Die Türken sind ja ein seefahrendes Volk.«

Nachdem er wieder ein paar Schritte weiter gegangen, stand er still, um sich die Reede zu betrachten. Von der Höhe zu seiner Rechten, über Saint-Adresse, sandten die beiden Leuchttürme vom Kap de la Hève, ungeheuerlichen Zwillingsriesen ähnlich, den Strahl ihres elektrischen Lichtes in die weite Ferne hinaus. Von ihren nebeneinander gelegenen Lichtquellen ausgehend, glitten die zwei leuchtenden Streifen an dem senkrechten, zerklüfteten Ufer herab und verschwanden am fernen Horizont, riesenhaften Kometenschweifen ähnlich. An den beiden Enden des Hafendammes bezeichneten zwei kleinere Leuchtfeuer, zwerghaft neben jenen Lichtriesen, Havres Hafeneinfahrt, und weiter hinunter, jenseits der Seine, sah man ihrer noch viele, die einen mit festem Feuer, die andern bald hell aufleuchtend, bald sich verfinsternd wie ein Auge, das sich öffnet und schließt. Und Augen waren es ja auch, gelbe, rote, grüne Augen, die das von Schiffen wimmelnde, dunkle Meer treu bewachten, die lebendigen Augen der gastfreundlichen Mutter Erde, deren durch einen unwandelbaren, zuverlässigen Mechanismus geregeltes Heben und Senken der Wimpern dem Seemann sagte: »Ich bin es – ich bin Trouville, ich bin Honfleur, ich bin der Fluß von Pont-Audemer,« und alle andern beherrschend, so hoch, daß man geneigt war, ihn für einen Planeten zu halten, wies von luftiger Höhe der Leuchtturm von Etouville den Weg durch die bedenklichen Sandbänke der breiten Strommündung nach Rouen.

Auf dem düsteren, unbegrenzten Wasserspiegel, der weit lichtloser dalag als der Himmel, glaubte man da und dort einen Stern blitzen zu sehen. Nah und fern, winzig klein, weiß, grün oder rot zuckten die kleinen Lichter in dem nebligen Dunst, der über der Wasserfläche ruhte. Die meisten blieben unbeweglich, einzelne schienen eilig dahinzuhuschen, es waren teils Signallaternen von Fahrzeugen, die sich draußen vor Anker gelegt, um die Flut abzuwarten, teils von solchen, die noch auf der Suche nach Untergrund unterwegs waren.

In diesem Augenblick stieg der Mond hinter der Stadt herauf wie ein gewaltiges, ewiges Leuchtfeuer, das am Firmament die zahllose Flotte der Sterne leitet und lenkt.

Peter konnte es nicht lassen, er mußte mit fast lauter Stimme vor sich hinsagen: »Und wir kleines Menschenvolk machen aus jeder Mücke einen Elefanten.«

Plötzlich sah er in seiner unmittelbaren Nähe, in der weiten, dunkeln Kluft, die sich zwischen den beiden Endpunkten des Dammes aufthat, einen Schatten, einen phantastischen riesenhaften Schatten dahingleiten. Sich über die granitene Brustwehr beugend, erkannte er, daß es eine Fischerbarke war, die lautlos, ohne daß eine Stimme vernehmbar geworden wäre, ohne daß man den Kiel die Wellen brechen oder das Ruder plätschern gehört hätte, einlief, sanft dahergetrieben von ihrem hohen braunen Segel, das die leichte Brise vom offenen Meere her aufblähte.

»Wer immer und immer so dahin treiben könnte. Vielleicht, daß man dann Ruhe fände,« dachte der einsame Wanderer, der nun auf einmal auf der Brüstung des Molo eine Gestalt sitzen sah.

Neugier, zu wissen, wer gleich ihm hier die Einsamkeit gesucht habe, ergriff ihn, ein Nachtwandler, ein Verliebter, ein Weltweiser, ein vom Glück Trunkener oder ein tiefbekümmertes Menschenkind. Wer konnte das wissen? Er trat näher und erkannte seinen Bruder.

»Du bist's, Hans, sieh mal an!«

»Du hier . . . Peter? Was machst du denn hier?«

»Nun, ich schöpfe Luft! Und du?«

»Ich schöpfe auch Luft,« erwiderte Hans lachend.

Peter setzte sich neben seinen Bruder.

»'s ist unvergleichlich schön, nicht wahr?« sagte er.

»Freilich,« stimmte Hans in einem Tone bei, dem man es anhörte, daß er von seiner gesamten Umgebung nichts gesehen und wahrgenommen hatte.

»Wenn ich da heraus komme,« begann Peter wieder, »packt mich jedesmal eine unsinnige Lust, auf und davon zu gehen, nach Nord oder Süd, wohin so ein Schiff mich trüge, und ich muß immer denken, daß die Laternen, die da wie Hunderte von Glühwürmchen vor uns liegen, aus allen Ecken und Enden der Welt kommen, aus jenen Ländern mit den großen, wunderbaren Blumen und den schönen schlanken, wachsgelben oder kupferfarbigen Mädchen, den Kolibris und Elefanten und Königstigern und Löwen und Negerfürsten, aus all den Ländern, von denen man uns Märchen erzählt, sobald wir aufgehört haben, an Dornröschen und die Geschichte von den sieben Geißlein zu glauben. Famos wäre es schon, wenn man sich so eine Spazierfahrt einmal gönnen könnte, aber freilich, Geld gehört dazu, heillos viel Geld . . .«

Er brach ab – es war ihm eingefallen, daß sein Bruder ja jetzt Geld hatte, dies Geld, das man braucht, um aller Sorgen ledig, von lästigem Tagewerk befreit, zu leben, er konnte jetzt ungebunden, glücklich, fröhlich sein, nichts legte ihm mehr Fesseln an, und wenn es ihm einfiel, zu den blonden Schwedinnen oder den dunkeln Frauen der Havana zu segeln, so stand dem nichts im Wege.

Und wieder durchzuckte ihn einer jener flüchtigen Gedanken, die er nicht herbeirief und auch nicht bannen konnte, die blitzartig, ungewollt in ihm auftauchten, wie wenn eine zweite leidenschaftliche, von seinem Willen unabhängige Seele, die in ihm lebte, sie zutag förderte: »Er ist ja zu alledem viel zu einfältig; er heiratet seine Frau Rosémilly, und damit ist sein Ehrgeiz befriedigt.«

Er war aufgestanden.

»Ich überlasse dich deinen Zukunftsträumen; ich muß mir Bewegung machen,« sagte er, drückte dem Bruder die Hand und setzte in herzlichem Tone hinzu: »Und jetzt bist du ja reich, mein kleiner Hans. Es ist mir wahrhaftig lieb, daß ich dich heute abend noch allein getroffen habe und dir sagen kann, wie herzlich ich mich für dich freue, wie ich dir dazu gratuliere und wie gut ich dir bin, Bruderherz.«

Hans, dessen weiche, zärtliche Natur von diesen Worten ganz ergriffen war, stammelte: »Hab' Dank, hab' Dank . . . mein guter Peter . . . hab' Dank!«

Darauf schlug Peter den Weg nach der Stadt ein, langsam gehend wie zuvor, die Hände auf dem Rücken, den Stock unterm Arm.

Als er die ersten Häuser erreicht hatte, fragte er sich abermals, was er nun beginnen solle, und war höchlichst unzufrieden, daß er seinen Spaziergang abgekürzt und daß die Gegenwart seines Bruders ihn um den richtigen Genuß des Meeres gebracht hatte.

Endlich hatte er einen Einfall: »Ich will bei Väterchen Marowsko ein Schnäpschen trinken.« Mit diesem schönen Entschluß stieg er nach dem hochgelegenen Quartier d'Ingouville hinauf.

Väterchen Marowsko war eine Bekanntschaft aus den Pariser Spitälern. Er war ein Pole und, wie es hieß, ein politischer Flüchtling, der in fürchterliche Geschichten verwickelt gewesen und der nun in Frankreich, nachdem er die dort vorgeschriebenen Prüfungen bestanden hatte, sein Gewerbe als Apotheker betrieb. Daß der Mann im Geruch eines gefährlichen Verschwörers, eines Nihilisten und Königsmörders stand, hatte Peter Rolands feurige Einbildungskraft gefesselt und er hatte sich mit dem alten Polen befreundet, ohne jedoch irgendwelche Aufschlüsse über dessen geheimnisvolle Vergangenheit zu erhalten. Dem jungen Arzt zu Ehren hatte sich dann der wackre Apotheker in Havre niedergelassen, wo er durch die Praxis Dr. Rolands zu einer bedeutenden Kundschaft zu gelangen hoffte, einstweilen aber in seinem bescheidenen Lädchen ein kümmerliches Dasein führte und an Handwerker und Arbeiter seiner Nachbarschaft Arzneimittel verkaufte.

Peter ging nicht selten nach Tisch hin und verplauderte ein Stündchen mit ihm, denn das kluge, friedliche Gesicht des Alten war ihm sympathisch und in den kargen Worten, die derselbe ins Gespräch warf, fand er Gott weiß welche Tiefe.

Eine einzige Gasflamme brannte über dem mit Arzneiflaschen bedeckten Ladentisch, der übrige Raum war aus Sparsamkeit nicht beleuchtet. Hinter dem Tisch, die Beine lang ausgestreckt, saß ein alter Mann mit kahlem Haupt und einer mächtigen Adlernase, die seine hohe Stirne ins Unendliche verlängerte und ihm eine wehmütige Papageiähnlichkeit verlieh. Das Kinn auf die Brust gesenkt, war er fest eingeschlafen.

Beim Bimmeln der Ladenglocke erwachte er, fuhr auf, und den Doktor erkennend, eilte er ihm mit ausgestreckten Händen entgegen.

Sein ursprünglich schwarzer Rock, den allerhand Säure- und Sirupflecken tigerten und der um den schmächtigen, kleinen Körper schlotterte, hatte ganz das Aussehen eines alten Priestergewandes. Der Mann sprach mit stark polnischem Accent, was seinem weichen, dünnen Stimmchen etwas Kindliches verlieh, man glaubte, die ersten lallenden Sprechversuche eines kleinen Geschöpfes zu hören.

Peter setzte sich und Marowsko fragte: »Was gibt es neues, mein lieber Herr Doktor?«

»Nichts. Ueberall das alte Lied.«

»Sie sehen heute abend nicht fröhlich aus.«

»Bin es auch selten.«

»Nu, nu, so was muß man abschütteln. Nehmen Sie ein Gläschen Likör?«

»Ja, recht gern.«

»Dann werde ich Ihnen ein ganz neues Präparat vorsetzen. Seit zwei Monaten bin ich daran, aus der Johannisbeere, mit der man bis jetzt nichts als Sirup gemacht hat, was Rechtes herauszukriegen . . . und – gefunden wäre es! Ja wohl . . . ich hab's . . . ich hab's . . . einen ausgezeichneten Likör.«

Freudestrahlend trat er an einen Schrank, öffnete ihn, griff nach einer großen Flasche und schleppte sie herbei. Alles geschah mit raschen, kurzen, unvollständigen Bewegungen, der Arm wurde nie ganz ausgestreckt, die Beine kamen beim Gehen nicht ordentlich auseinander. Sein Denkvermögen schien ebenso mangelhaft zu arbeiten, wie seine Glieder, er vermochte seine Idee anzudeuten, zu skizzieren, erraten zu lassen, aber sie richtig vorzutragen, gelang ihm nie.

Sein Hauptziel und Interesse im Leben war die Herstellung von Sirupen und Likören. »Mit einem guten Sirup oder einem guten Likör kann man im Handumdrehen ein Vermögen machen,« war eine seiner stehenden Redensarten.

Er hatte schon Hunderte von süßen Präparaten erfunden, nur war leider der von ihm gehoffte Erfolg bis auf den heutigen Tag ausgeblieben; Peter versicherte, daß Marowsko ihn ganz an Marat erinnere.

Aus dem kleinen Laboratorium wurden zwei Gläschen geholt und auf dem Brett zum Pillendrehen aufgetragen. Dann besahen sich die beiden Herren die Farbe des Getränkes, indem sie es gegen das Licht hielten.

»Reinstes Rubin!« erklärte Peter.

»Nicht wahr?« Das Papageiengesicht strahlte vor Freude.

Der Doktor kostete, schluckte, dachte nach, kostete abermals, prüfte die Flüssigkeit auf der Zunge und ließ schließlich folgenden Ausspruch vernehmen: »Sehr gut, sehr gut, und was das Aroma betrifft, ganz neu – entschieden ein Fund, ein vielversprechender Fund, Väterchen!«

»Meinen Sie? Da bin ich froh!«

Nun erbat sich der alte Pole einen Rat, unter welchem Namen er sein Produkt in den Handel bringen sollte; er hatte im Sinne, es »Johannisbeergeist« oder »Johannisbeeressenz« oder auch »Johannita« zu nennen.

Peter zollte weder dem einen noch dem andern Namen Beifall.

Da kam dem Alten eine erleuchtete Idee.

»Was Sie vorhin gesagt haben, klang sehr gut, ganz vortrefflich – ›Reinstes Rubin‹ wie wär's, wenn wir das nähmen?«

Der Doktor bestritt, daß dies Wort sich als Name eignen würde, wenn es auch gleich von ihm stamme, und empfahl, das Getränk »Johannisgeist« zu nennen, was Marowsko einfach entzückend fand.

Darauf versanken Beide in Schweigen und saßen, ohne ein Wort zu verlieren, unter der einsamen Gasflamme.

Fast wider Willen kam es schließlich von Peters Lippen: »Bei uns ist heute eine merkwürdige Geschichte passiert. Ein Freund meines Vaters ist gestorben und hat meinem Bruder sein Vermögen hinterlassen.«

Der Apotheker schien die Sache nicht gleich zu begreifen; nach kurzem Nachdenken sprach er jedoch die Hoffnung aus, daß der Doktor zu gleichen Teilen mit seinem Bruder erben werde. Nachdem dieser ihm die Sache auseinandergesetzt, schien er äußerst peinlich überrascht und bekümmert zu sein, und um seinen Verdruß über die Benachteiligung seines jungen Freundes an den Tag zu legen, wiederholte er mehrmals: »Wird einen schlimmen Eindruck machen. . . . Wird keinen guten Eindruck machen.«

Peter, den das frühere Unbehagen abermals erfaßt hatte, wollte wissen, was der Alte mit diesen Worten eigentlich meine. Weshalb es denn keinen guten Eindruck machen werde? Wie es denn einen schlechten Eindruck machen könne, wenn sein Bruder der Erbe eines alten Freundes der Eltern werde?

Der vorsichtige Pole ließ sich aber auf keine weitere Erklärung ein.

»In solchem Fall bedenkt man beide Söhne,« wiederholte er, »Sie werden sehen, das macht einen schlimmen Eindruck.«

Etwas ungeduldig verabschiedete sich der Doktor, ging nach Hause und legte sich zu Bett.

Eine Zeitlang hörte er Hans im Nebenzimmer mit leisen Schritten auf und ab gehen, dann trank er zwei Gläser Wasser und schlief ein.

 


 << zurück weiter >>