Hugo Marti
Das Kirchlein zu den sieben Wundern
Hugo Marti

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2 Ehe der Rhein seine Heimat verläßt, um breit und mutig aus den tannenschattigen Bergtälern für immer ins Hügelland und die fruchtbare, weite Ebene hinauszuziehen, dem Meere zu, durchfließt er die alte, vornehme Stadt Basel, rüttelt mit jauchzender Kraft an den Brückenjochen, spiegelt vielfarbigen Glanz, den ihm die Sonne zuwirft, in die Fenster der ehrwürdigen Häuser hinauf, die hoch über seinen Ufern gebaut sind, und trägt auf starken Wellenarmen dunkle Glockenlieder, die von den rotglühenden Münstertürmen an den Sommerabenden gesungen werden.

Wie wenn zum Jüngling, der in die Ferne drängt, das Mädchen spricht: Fahr wohl! Du lässest mich zurück und wirst wohl schönere sehen als ich bin, und dennoch wird aus allen dir mein eigen Bild entgegenstrahlen, und du kannst mich nie vergessen! – so hat sich Basel an den Rhein gebaut und blickt hernieder in sein dunkles, eilendes Gewoge.

Hinter den Türmen und dem Dächergewirr der Stadt steigen die Jurahügel empor, grüne Buchenwälder, braune Aecker 3 und goldene Kornfelder ausbreitend wie ein altes Buch, das fleißige Meisterhände mit satten Farben geschmückt haben.

Am Ende eines dieser stillen Hügeltäler steht das Kirchlein zu den sieben Wundern.

Ein schmaler Weg führt an den brandgeschwärzten Mauern eines verödeten Klosters vorbei, durch die Wiesen und Felder, klettert ein wenig am linken Berghang hinauf, dem Wald entgegen, der sich ins Tal herabneigt, und verliert sich als kaum sichtbarer Pfad in ein Dickicht von Gestrüpp, wilden Rosen, Disteln und Brombeersträuchern. Und dahinter steht das Kirchlein. Helles, rohgefügtes Gemäuer, eine knarrende Türe mit lose wackelndem Handgriff, zerbrochene, farbige Scheiben, leere Nischen mit Spinngeweben, die in einem verlorenen Sonnenstrahl zittern, – und dort: die Säule aus rotem Stein, auf der das Bild, das wundertätige, vor Zeiten gestanden haben soll.

Es ist ganz still und dämmerig, aber durch die offene Türe blendet ein Meer von Sonne, wilden Rosen und Distelblüten in den schattenkühlen Raum. Und über dem hohen 4 Gras und den leuchtenden Blumen hängt der weite, blaue Himmel.

Die sieben Wunder aber, von denen das Kirchlein den Namen hat, will ich erzählen, wie ich sie aus alten Schriften und Aufzeichnungen gelesen und im Gedächtnis behalten habe.


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