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Einunddreißigstes Kapitel

Die Pest, von der das Gesundheitsamt gefürchtet hatte, sie könnte mit den deutschen Truppen in das Mailändische eindringen, war, wie bekannt ist, in der Tat daselbst eingedrungen, und es ist gleicherweise bekannt, daß sie sich nicht darauf beschränkte, sondern einen großen Teil von Italien überzog und verheerte. Dem Faden unserer Geschichte folgend, kommen wir jetzt dazu, die Hauptbegebenheiten dieses Drangsals im Mailändischen, das heißt, vielmehr fast ausschließlich in Mailand zu erzählen; denn fast ausschließlich von der Stadt handeln die Geschichten jener Zeit, wie dies so ziemlich immer und überall aus guten und schlechten Gründen der Fall ist. Und bei dieser Erzählung ist es, die Wahrheit zu sagen, unsere Absicht nicht allein, den Zustand der Dinge darzustellen, der mit unseren Personen in Beziehung kommt, sondern zugleich, soviel dies in der Kürze und unseren Kräften möglich ist, ein Stück der vaterländischen Geschichte zu erläutern, das viel mehr berühmt als gekannt ist.

Unter den vielen gleichzeitigen Berichten ist nicht einer, der an sich ausreichte, einen nur einigermaßen bestimmten, richtigen Begriff davon zu geben; wiewohl auch keiner darunter ist, der nicht dazu beitragen könnte, sich einen solchen zu bilden. In einem jeden, ohne selbst den Ripamontis auszunehmen, der doch wegen der Menge und Auswahl der Tatsachen und noch mehr wegen seiner Art sie aufzufassen, weit vorzüglicher als alle ist; in einem jeden sind wesentliche Tatsachen ausgelassen, die in anderen angeführt, in einem jeden kommen grobe Irrtümer vor, die sich mit Hilfe irgendeines anderen, oder der wenigen gedruckten und ungedruckten öffentlichen Urkunden, die übriggeblieben sind, erkennen und berichtigen lassen. Oft stößt man in dem einen auf die Ursachen der Wirkungen, die man in dem anderen gleichsam ohne Zusammenhang wahrgenommen hatte. In allen herrscht übrigens eine seltsame Verwirrung von Zeiten und Dingen, ein immerwährendes wie zufälliges Anfangen und Abspringen, ohne allgemeine Absicht und ohne Absicht in den Besonderheiten; welcher Charakter übrigens in den Büchern jener Zeit, besonders in denen, die, wenigstens in Italien, in der Lingua vulg re oder Landessprache geschrieben sind, der gewöhnlichste und hervorstechendste ist; ob auch in dem übrigen Europa, das werden die Gelehrten wissen – wir besorgen es. Kein einziger Schriftsteller einer späteren Zeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, jene Denkwürdigkeiten zu prüfen und miteinander zu vergleichen, um eine fortlaufende Reihe von Begebenheiten, eine Geschichte der Pest daraus abzulösen, so daß denn die Vorstellung, die man im allgemeinen davon hat, notwendigerweise eine sehr zweifelhafte und etwas verworrene sein muß, und zwar eine unbestimmte Vorstellung von großen Leiden und von großen Irrtümern – es kamen von diesen wie von jenen wahrhaftig mehr vor, als man sich einbilden kann –, eine Vorstellung, die mehr auf Meinungen als auf Tatsachen, auf wenigen vereinzelten Tatsachen beruht, die mitunter sogar der wesentlichsten Umstände entkleidet sind und bei denen keine Unterscheidung der Zeit, das heißt kein Gefühl für Ursache und Wirkung, Ordnung und Entwicklung stattfindet. Indem wir nun wenigstens mit vieler Sorgfalt alle gedruckten Berichte, mehr als einen ungedruckten, viele – in Betracht der wenigen, die davon übrig sind – sogenannte amtliche Urkunden geprüft und gegeneinander gehalten, haben wir gestrebt, wo nicht dem, was erforderlich, zu genügen, so doch etwas zu tun, was noch nicht getan war. Wir beabsichtigen weder alle öffentlichen Maßregeln noch etwa alle einigermaßen denkwürdigen Ereignisse anzuführen. Noch weniger haben wir gar im Auge, denjenigen, der sich einen vollständigeren Begriff von der Sache bilden möchte, des Lesens der Denkschriften selbst zu entheben; wir fühlen nur zu wohl, welche lebendige, eigentümliche und sozusagen unmittelbare Kraft in Werken dieser Art immer enthalten ist, sie mögen verfaßt und ausgeführt sein wie sie wollen. Wir haben einzig und allein versucht, die allgemeinsten und hervorstechendsten Tatsachen zu erkennen und festzustellen, sie in ihre wirtliche Reihenfolge zu bringen, soweit das ihr Gegenstand und ihre Natur zuläßt, ihre Wechsel, seitige Wirksamkeit zu beobachten, und also vorderhand, und bis daß ein anderer es besser mache, ein kurzgefaßtes aber aufrichtiges und zusammenhängendes Zeugnis von diesem Unglück abzulegen.

Auf dem ganzen Strich Landes also, den das Heer durchzogen, hatten sich hin und wieder in den Häusern und auf den Wegen Leichname vorgefunden. Nicht lange darauf fingen bald in diesem, bald in jenem Dorfe Personen und Familien an, an heftigen seltsamen Übeln, mit Kennzeichen, die den meisten lebenden Menschen unbekannt waren, zu erkranken und zu sterben. Es gab einige, die sie schon mehrmals gesehen hatten; die wenigen, die sich der Pest erinnern konnten, die vor dreiundfünfzig Jahren auch einen großen Teil von Italien und vornehmlich das Mailändische verheert hatte, wo sie die Pest des heiligen Karl genannt ward und noch immer wird. So stark ist die Menschenliebe. Aus so mannigfaltigen, ungewöhnlichen Erinnerungen eines allgemeinen Unglücks kann sie vorzugsweise das Andenken eines Mannes hervorheben, weil es diesem Manne Gefühle und Handlungen eingeflößt hat, die noch denkwürdiger als die Übel sind; dasselbe, wie ein Wahrzeichen aller der Begebenheiten, den Gemütern einprägen, weil sie ihn angetrieben, sich in alle als ein Führer, Helfer, Vorbild, freiwilliges Opfer einzumischen; aus einem Elend für alle gleichsam ein Sinnbild für diesen Mann machen, es, wie eine Eroberung oder eine Entdeckung, nach ihm benennen.

Der Stadtarzt Lodovico Settala, der nicht allein jene Pest gesehen hatte, sondern darin einer der tätigsten und unerschrockensten und, wie äußerst jung auch damals, belobtesten Ärzte gewesen, und gegenwärtig aus großer Besorgnis vor dieser sehr auf der Hut war und Erkundigungen einzog, eröffnete am 20. Oktober dem Gesundheitsamte, daß in dem Dorfe Chiuso – dem letzten des Gebietes von Lecco, gegen die bergamaskische Grenze zu – unzweifelhaft die Seuche ausgebrochen sei; worauf jedoch durchaus kein Beschluß gefaßt ward, wie aus Tadinos » Ragguaglio« erhellt.

Und siehe, da laufen ähnliche Nachrichten aus Lecco und Bellano ein. Das Amt entschloß sich nunmehr und begnügte sich damit, einen Bevollmächtigten abzusenden, der sich unterwegs in Como einen Arzt zugesellen und mit ihm die angezeigten Ortschaften untersuchen sollte. »Beide ließen sich, ob aus Unwissenheit oder sonst einem Grunde, von einem alten, einfältigen Barbier aus Bellano bereden, daß diese Art Übel keine Pest wäre«, sondern wohl an einigen Orten die gewöhnliche Wirkung der herbstlichen Ausdünstungen der Sümpfe und allenthalben sonst eine Folge des Ungemachs und der Trübseligkeiten, die der Durchmarsch der Deutschen auferlegt hätte. Eine solche Versicherung ward dem Amte hinterbracht, welches sich damit beruhigt zu haben scheint.

Da indessen unaufhörlich neue und wieder neue Todesnachrichten von verschiedenen Seiten einliefen, so wurden zwei Bevollmächtigte abgesandt, um zuzusehen und vorzukehren; der vorgenannte Tadino und ein Beisitzer des Amtes. Als diese ankamen, hatte sich das Übel schon dermaßen verbreitet, daß die Beweise desselben sich kundgaben, ohne daß man nötig gehabt hätte, sie aufzusuchen. Sie durcheilten das Gebiet von Lecco, Valsassina, die Gestade des Comersees, die Bezirke von Monte di Brianza und Gera d'Adda, und fanden allerwärts die Ortschaften entweder verrammelt oder fast ganz verlassen und die Einwohner geflohen und auf den Feldern gelagert oder verstreut; »und sie schienen uns«, sagt Tadino, »ebenso viele wilde Wesen, von denen eines Minzkraut, eines Raute, eines Rosmarin und aber eines ein Fläschchen mit Essig in Händen trug.« Sie fragten nach der Zahl der Gestorbenen, und sie war zum Erschrecken; sie besichtigten Kranke und Leichname, und allenthalben befanden sie die schmutzigen und entsetzlichen Merkmale der Pest. Sie teilten diese düstere neue Kunde schriftlich alsbald dem Gesundheitsamte mit, und sobald dieses sie, was am 30. Oktober geschah, empfing, »schickte sie sich an,« sagt Tadino, »Gesundheitspässe vorzuschreiben, um Personen, die aus Ortschaften herkämen, wo die Seuche schon ausgebrochen, von der Stadt abzuhalten«; und »derweil man die Verordnung ausfertigte«, gab sie deshalb vorläufig einige übersichtliche Weisungen an die Zollbeamten.

Die Bevollmächtigten trafen inzwischen über Hals und Kopf die bestmöglichsten Vorkehrungen, die sie ersinnen oder treffen konnten, und kehrten mit dem traurigen Gefühl zurück, wie unzulänglich sie doch zur Abhilfe und Aufhaltung eines schon so weit vorgerückten und verbreiteten Übels wären.

Nachdem sie am 14. November eingetroffen waren und dem Amte mündliche und wiederholte schriftliche Rechenschaft abgelegt hatten, erhielten sie von diesem den Auftrag, sich dem Statthalter vorzustellen und ihm die Lage der Dinge zu schildern. Sie gingen hin und berichteten: er habe über solcherlei Nachricht großes Mißfallen empfunden und viele Teilnahme daran geäußert; indessen sei doch die Sorge für den Krieg wichtiger: Sed belli graviores esse curas.

So Ripamonti, der die Bücher des Gesundheitsamtes ausgebeutet und mit dem insbesondere dazu beauftragten Tadino sich beraten hatte, was, wenn der Leser sich dessen erinnert, aus dem Grunde und zu dem Ende zum zweitem mal geschah. Zwei bis drei Tage später, am 18. November, erließ der Statthalter eine Verordnung, worin er öffentliche Freudenbezeigungen wegen der Geburt des Prinzen Karl, Erstgeborenen des Königs Philipp IV., vorschrieb, ohne die Gefahr eines großen Zusammenlaufes unter solchen Umständen zu ahnen oder darum besorgt zu sein; alles wie in gewöhnlichen Zeiten, als ob von nichts weiter die Rede gewesen wäre.

Es war dieser Mann, wie wir zu seiner Zeit gesagt haben, der berühmte Ambrogio Spinola, ausdrücklich ausgesandt worden, um Don Gonzalos Fehler wieder gutzumachen und nebenbei auch mit die Statthalterschaft zu führen, und wir können denn ebenfalls beiläufig hier mit anführen, daß er wenige Monate später in demselben Kriege, der ihm so sehr am Herzen lag, starb, und zwar nicht an Wunden im Felde, sondern im Bette vor Kummer und Ungeduld wegen der Vorwürfe, Belästigungen und Kränkungen aller Art starb, die ihm von dem zuteil wurden, dem er diente. Die Geschichte hat sein Schicksal beklagt und anerkannt, daß er von anderen verkannt worden, sie hat mit vieler Genauigkeit seine kriegerischen und politischen Taten beschrieben, seine Voraussicht, Tätigkeit, Ausdauer belobt; sie hätte auch untersuchen können, was er mit alledem getan, als die Pest eine seiner Fürsorge oder vielmehr seiner Willkür übergebene Bevölkerung bedrohte und überzog.

Was aber, ohne den Tadel zu beeinträchtigen, die Verwunderung über sein Betragen verringert, was eine andere und noch stärkere Verwunderung erregt, ist das Benehmen der Bevölkerung selbst, ich will sagen derjenigen, die, noch von der Seuche nicht ergriffen, so vielen Grund hatten, sie zu fürchten.

Wer sollte nicht glauben, daß beim Eintreffen jener Nachrichten aus den so übel damit behafteten Dorfschaften, die fast einen Halbkreis um die Stadt herum bilden, an manchen Punkten nicht mehr als zwanzig, als etwa achtzehn Miglien von ihr abliegen, eine allgemeine Aufregung, ein geschäftiges, wohl- oder übelverstandenes Vorkehren, wenigstens eine unfruchtbare Unruhe darin hätte stattfinden müssen? Und dennoch, wenn in irgend etwas die Denkschriften der Zeit übereinstimmen, so ist es in dem Zeugnisse, daß dem durchaus nicht so war. Die Hungersnot des verflossenen Jahres, die Bedrückungen der Soldaten, die Niedergeschlagenheit der Gemüter schienen mehr als zureichende Gründe zur Erklärung der Sterblichkeit; wer an Scheidewegen, in Läden, in den Häusern ein Wort von Gefahr fallen ließ, wer die Pest erwähnte, wurde mit ungläubigem Hohne, mit zürnender Verachtung empfangen. Der nämliche Unglaube, die nämliche, um besser zu sagen, Verblendung und Halsstarrigkeit herrschte im Senate, im Rate der Dekurionen, bei jedem Ratsherrn vor. –

Ich finde, daß der Kardinal Federigo, sobald die ersten Fälle eines ansteckenden Übels verlauteten, in einem an die Pfarrer erlassenen Hirtenbriefe sie darauf anwies, ihren Gemeinden die Notwendigkeit und Verpflichtung einzuschärfen, jeden ähnlichen Vorfall anzuzeigen und die angesteckten oder verdächtigen Gegenstände abzuliefern; und auch dies kann mit unter seine löblichen Eigentümlichkeiten gerechnet werden.

Das Gesundheitsamt sprach dringend um Maßregeln, um Mitwirkung an; alles war so gut wie vergebens. Und bei dem Amte selbst war der Eifer weit entfernt, dem Bedürfnisse zu entsprechen; es waren, wie Tadino mehrmals versichert, und wie noch besser aus dem ganzen Inhalte seiner Erzählung erhellt, die beiden Ärzte, die, von der Größe und Bedrohlichkeit der Gefahr überzeugt und durchdrungen, jenen Körper in Bewegung setzen, der wieder mit den anderen ein Gleiches zu tun hatte.

Wir haben schon gesehen, wie lau bei der ersten Ankündigung der Pest seine Einwirkung, ja selbst seine Nachforschung war; hier ergab sich nunmehr ein anderer nicht weniger unerhörter Beweis von Lässigkeit, wenn dieselbe nicht etwa durch Schwierigkeiten erzwungen worden war, die man höheren Orts erhoben hatte. Jene Verordnung wegen der Gesundheitspässe, die man unterm 30. Oktober beschlossen hatte, wurde nicht früher als den 23. des folgenden Monats vollzogen und erst den 29. erlassen. Die Pest war damals schon in Mailand eingedrungen.

Tadino und Ripamonti wollten den Namen dessen, der sie zuerst einschleppte, und andere die Person und Tatsache betreffende Umstände anmerken; und in Wahrheit nimmt man, bei der Betrachtung der Anfänge eines großen Sterbens, worin die Schlachtopfer, weit entfernt, daß sie sich dem Namen nach unterscheiden ließen, kaum annäherungsweise nach der Zahl der Tausende bezeichnet werden können, einen eigenen Anteil daran, jene ersten und wenigen Namen zu kennen, die sich noch festhalten und aufbewahren ließen; eben diese Art von Auszeichnung, der Vortritt bei der Vernichtung scheinen ihnen und noch weit gleichgültigeren Dingen irgend etwas Verhängnisvolles und Denkwürdiges zu verleihen.

Der eine wie der andere Geschichtsschreiber sagen aus, es sei ein italienischer Soldat im spanischen Dienste gewesen; im übrigen und sogar im Namen stimmen sie nicht recht überein. Nach Tadino war es ein gewisser Pietro Antonio Lovato, im Gebiete von Lecco einquartiert; nach Ripamonti ein Pier Paolo Locati, von der Besatzung von Chiavenna. Sie geben auch den Tag seiner Ankunft in Mailand verschieden an; der erste verlegte sie auf den 22. Oktober, der andere auf denselben Tag des folgenden Monats, und es ist weder die eine noch die andere Angabe zu erweisen. Beide stehen in Widerspruch mit anderen weit mehr bekräftigten. Und dennoch mußten Ripamonti, der auf Befehl der Ratsversammlung der Dekurionen schrieb, viele Mittel zu Gebote stehen, die notwendigen Erkundigungen einzuziehen, und konnte Tadino, vermöge seines Berufes, besser als jeder andere von einer Tatsache dieser Art unterrichtet sein. Übrigens geht aus der Vergleichung mit anderen Angaben, die uns, wie wir gesagt haben, besser belegt zu sein scheinen, hervor, daß es vor der Bekanntmachung der Verordnung wegen der Gesundheitspässe geschah; und wenn sich die Sache der Mühe verlohnte, könnte man wohl auch beweisen oder fast beweisen, daß es in den ersten Tagen jenes Monats geschehen sein mußte; aber sicherlich überhebt uns der Leser dessen.

Dem sei nun wie ihm wolle, dieser unglückliche Kriegsknecht und Unglücksbringer kam mit einem großen Bündel Kleider herein, die er deutschen Soldaten abgekauft oder geraubt hatte, begab sich in ein Haus in der Vorstadt der Porta Orientale unweit der Kapuziner zu Verwandten; erkrankte, kaum angelangt, ward in das Krankenhaus gebracht, wo eine Beule, die sich bei ihm unter der einen Achsel zeigte, seinen Arzt ahnen ließ, was in der Tat der Fall war, und starb den vierten Tag nachher.

Das Gesundheitsamt ließ seine Familie absondern und in ihrer Wohnung abgesperrt halten; seine Kleider und das Bett, worin er im Krankenhause gelegen, wurden verbrannt. Zwei Aufwärter, die ihn dort gepflegt, und ein frommer Mönch, der ihm beigestanden, erkrankten binnen wenigen Tagen alle drei gleichfalls an der Pest. Der Verdacht, den man gleich von Anfang an daselbst wegen der Natur des Übels gefaßt hatte, und die Vorsichtsmaßregeln, die man infolgedessen gebraucht, bewirkten so viel, daß die Seuche sich auf diesem Punkte nicht weiter verbreitete.

Aber der Soldat hatte davon außerhalb einen Samen hinterlassen, der nicht zögerte aufzugehen. Der erste, bei dem er keimte, war der Wirt des Hauses, in dem er gewohnt hatte, ein Lautenschläger, Carlo Colonna. Nunmehr wurden alle Bewohner eben des Hauses auf Veranstaltung des Amtes in das Lazarett geschafft, wo die meisten sich niederlegten, einige in kurzem, offenbar an der Seuche, starben.

Was in der Stadt bereits durch deren Umgang, durch Kleider und Hausrat ausgestreut war, die Verwandte, Mietsleute, Dienstboten vor den Nachsuchungen und der Verbrennung gerettet hatten, die das Amt geboten und überdies durch dasjenige, was infolge der Mangelhaftigkeit der Maßregeln, der Nachlässigkeit in der Ausführung und Gewandtheit in der Übertretung derselben, neu hinzugekommen war, hielt sich verborgen und zog sich langsam während des ganzen übrigen Jahres und der ersten Monate des nächstfolgenden Jahres 1630 hin. Von Zeit zu Zeit, bald in diesem, bald in jenem Viertel, wurde jemand ergriffen, starb einer und der andere; und eben die Seltenheit der Fälle entfernte den Argwohn von der Pest, bestärkte die Allgemeinheit immer mehr in der stumpfsinnigen, tödlichen Zuversicht, daß keine Pest vorhanden wäre und auch nicht einen Augenblick vorhanden gewesen. Überdies verspotteten noch viele Ärzte, indem sie den Widerhall der Stimme des Volkes abgaben – war sie auch in diesem Falle Gottes Stimme? – die trüben Weissagungen, die drohenden Warnungen der wenigen und hatten Namen gewöhnlicher Krankheiten bereit, um einen jeden Pestfall damit zu bezeichnen, den sie zu heilen berufen wurden, er mochte sich, mit was für Symptomen oder Anzeichen er wolle, angekündigt haben.

Wenn nun auch Kenntnis von diesen Fällen zum Gesundheitsamte gelangte, so kam ihm diese doch meistens spät und unsicher zu. Die Angst vor der Kontumaz und vor dem Lazarett schärfte den Verstand aller; sie verheimlichten die Kranken, bestachen die Totengräber und Ältesten; erlangten von Unterbeamten der Gesundheitsbehörde selbst, die jene abgeordnet, die Leichen zu besichtigen, für Geld falsche Zeugnisse.

Als nun aber nach jeder Entdeckung, die es ihm zu machen gelang, das Amt anordnete, Sachen zu verbrennen, Häuser mit Beschlag belegte, Familien ins Lazarett schickte, läßt sich leicht folgern, wie sehr der allgemeine Zorn und die Lästerungen »des Adels, der Kaufleute und des gemeinen Volkes« es treffen mußten, überzeugt, wie alle waren, es seien nichts als grund- und sinnlose Plackereien. Die stärkste Entrüstung sprach sich gegen die beiden Ärzte, unseren mehrgedachten Tadino und den Senator Settala, den Sohn des Stadtarztes, und zwar dermaßen aus, daß sie fortan über keinen Platz mehr gehen konnten, ohne mit bösen Worten, wo nicht gar mit Steinen angefallen zu werden. Und ganz gewiß war die Lage seltsam und bemerkenswert, in der sich jene Männer einige Monate hindurch befanden, die eine furchtbare Plage herannahen sahen, sich auf alle Weise anstrengten, sie abzuwenden, und außer den Schwierigkeiten in der Sache auch noch allenthalben Hindernisse im bösen Willen antrafen, zu gleicher Zeit die Zielscheibe von Anklagen waren und in dem Rufe standen. Feinde des Vaterlandes: pro patriae hostibus zu sein, sagt Ripamonti.

Der Haß traf auch die anderen Ärzte, die, gleich ihnen von dem Dasein der Seuche überzeugt, Vorkehrungen anrieten, sich angelegen sein ließen, anderen ihre schmerzliche Gewißheit mitzuteilen. Die Besonnensten ziehen sie des Leichtsinns und der Verstocktheit; für die meisten war es augenscheinlich Betrügerei, ein ausgesonnener Anschlag, um von dem allgemeinen Schrecken Nutzen zu ziehen.

Der fast achtzigjährige Stadtarzt Lodovico Settala, ehemaliger Professor der Heilkunde an der Universität Pavia und dann der Sittenlehre zu Mailand, Verfasser vieler damals hochgeschätzter Werke, durch Berufungen zu den Lehrstühlen anderer Universitäten, nach Ingolstadt, Pisa, Bologna, Padua und dadurch, daß er sie alle abgelehnt hatte, berühmt, war ganz gewiß einer der angesehensten Männer seiner Zeit. Zu dem Ruhme der Wissenschaft gesellte er den des Lebens und zur Bewunderung Wohlwollen, wegen seiner großen Menschenliebe, mit der er die Armen heilte und ihnen wohltat. Und was in uns das Gefühl der Achtung, die uns seine Gefühle eingeflößt haben, stiert und trübt, was dieselbe aber damals allgemeiner und stärker machen mußte: der arme Mann teilte die gewöhnlichsten und verderblichsten Vorurteile seiner Zeitgenossen; er war ihnen voraus, aber ohne sich von dem großen Haufen zu entfernen, und das ist es, was das Unglück herbeizieht, und einen solchen Mann des auf andere Weise erworbenen Ansehens oft verlustig macht. Und wie groß auch dasjenige war, dessen er genoß, so reichte es nicht nur nicht hin, die Meinung der Menge in bezug auf die Pest zu besiegen, sondern konnte ihn auch nicht vor der Erbitterung und den Beleidigungen des Teiles derselben schützen, der am leichtesten von Worten zu gründlicheren Beweisen und zu Tätlichkeiten schreitet.

Eines Tages, als er in der Sänfte unterwegs war, seine Kranken zu besuchen, begannen Menschen sich um ihn zusammenzurotten und schrien, er sei der Rädelsführer derer, die durchaus haben wollten, daß die Pest da wäre, er sei es, der mit seiner bösen Miene und mit seinem garstigen Barte die Stadt in Furcht und Schrecken setze, alles bloß, um den Ärzten zu tun zu geben. Das Gedränge und die Wut nahmen zu; sobald die Sänftenträger die Gefahr vor Augen sahen, brachten sie ihren Herrn in einem befreundeten Hause unter, das zufällig in der Nähe lag. Dies widerfuhr ihm, weil er klar gesehen und gesagt hatte, wie es war, und viele tausend Personen vor der Pest hatte erretten wollen; als er mit seinem beweinenswerten Gutachten dazu mitwirkte, eine arme hilflose Unglückselige foltern, mit glühenden Zangen zwicken und als Hexe verbrennen zu lassen, weil ihr Herr an seltsamen Magenschmerzen litt und ein anderer früherer Herr heftig in sie verliebt gewesen war, da wird er von der Welt neue Belobigungen als ein Weiser und, was unerträglich zu denken ist, neue Ansprüche an Verdienst erlangt haben.

Gegen Ende März hin wurden aber zuerst in der Vorstadt der Porta Orientale und darauf in jedem anderen Stadtviertel Krankheit und Tod mit seltsamen Zufällen, als Krämpfen, Herzklopfen, Schlafsucht, Raserei, und dem scheußlichen Unterscheidungszeichen der schwarzblauen Hautfarbe und der Pestbeulen immer häufiger, und zwar in den meisten Fällen schneller, heftiger, nicht selten plötzlicher Tod, ohne irgendein vorgängiges Merkmal von Krankheit.

Da nun die Ärzte, deren Meinung über die Seuche entgegengesetzt gewesen war, sich jetzt nicht zu dem bekennen wollten, was sie zuvor verspottet hatten, und da sie doch dem neuen Übel, das zu allgemein und zu offenbar geworden, um es verleugnen zu können, einen Gattungsnamen geben mußten, so nannten sie es ein bösartiges, pestartiges Fieber; ein elender Übergang, ja eine Gaukelei mit Worten, und die doch großen Schaden anrichtete; denn indem sie sich den Schein gab, die Wahrheit anzuerkennen, gelang es ihr noch, Unglauben an dasjenige zu verbreiten, was zu glauben, einzusehen, am meisten nottat, daß das Übel nämlich auf dem Wege der Ansteckung sich fortpflanze. Die Obrigkeit begann, wie jemand, der aus einem tiefen Schlafe erwacht, den Beschwerden und Vorschlägen der Gesundheitsbehörde ein wenig mehr das Ohr zu leihen, auf seine Erlasse, auf die Absperrung der Häuser, auf die Kontumaz, die dieses Amt angeordnet, zu halten. Dasselbe verlangte auch fortwährend Geld, um die täglich anwachsenden Unkosten des Lazaretts und so viele andere Ausgaben zu bestreiten, und zwar verlangte es selbiges von den Dekurionen, bis daß es ausgemacht wäre – was, wie ich glaube, niemals anders als durch die Tat geschah –, ob solcherlei Kosten der Stadt oder der königlichen Schatzkammer zur Last fielen. Den Dekurionen setzte auch der Großkanzler, wieder auf Befehl des Statthalters, zu, der von neuem vor das arme Casale gezogen war, um es zu belagern, setzte der Senat zu, darauf Bedacht zu nehmen, wie die Stadt mit Lebensmitteln zu versorgen, bevor andere Orte den Verkehr mit ihr abbrächen, wenn die Seuche sich unglücklicherweise noch mehr darin ausbreiten sollte, und wie ein großer Teil der Bevölkerung zu erhalten wäre, dem die Arbeit ausgegangen. Die Dekurionen suchten vermittels Anleihen und Auflagen Geld zu machen; und von dem, was sie auftrieben, gaben sie etwas dem Gesundheitsamte, etwas den Armen ab; ein wenig Korn kauften sie, einen Teil des Bedürfnisses befriedigten sie. Doch waren die größten Drangsale noch nicht gekommen.

Im Lazarett, wo die Bevölkerung, wenngleich sie alle Lage dezimiert wurde, alle Tage mehr anwuchs, war ein anderes schwieriges Unternehmen dasjenige, den Dienst und die Unterordnung festzustellen, über die Beobachtung der vorgeschriebenen Trennungen zu wachen, mit einem Worte, die von dem Gesundheitsamte erheischte Verfassung daselbst aufrechtzuerhalten, oder besser zu sagen, einzuführen; denn von den ersten Augenblicken an war dort, wegen der Zügellosigkeit vieler Eingeschlossenen und der Sorglosigkeit und Nachsicht der Beamten, alles drunter und drüber gegangen. Das Amt und die Dekurionen, die nicht wußten, wo ihnen der Kopf stand, dachten daran, sich an die Kapuziner zu wenden, und baten den Pater Kommissar – wie sie ihn nennen – der Provinz, der die Stelle des vor kurzem verstorbenen Provinzial vertrat, ihnen einen zur Beherrschung jenes wüsten Reiches tüchtigen Mann zu überlassen. Der Kommissar schlug ihnen zur obersten Leitung einen Pater Felice Casali, einen Mann von reifen Jahren, vor, der in einem großen, und nach dem, was die Folge auswies, wohlverdienten Rufe der Menschenliebe, Tätigkeit, Sanftmut und zugleich Seelenstärke stand, und zu seinem Begleiter und gewissermaßen Diener einen Pater Michele Pozzobonelli, der zwar noch jung, aber der Gesinnung wie dem Aussehen nach ernst und streng war. Sie wurden sehr gern angenommen und erschienen am 30. März im Lazarett. Der Präsident des Gesundheitsamtes führte sie herum, wie um sie in Besitz zu setzen, berief die Diener und Beamten aller Klassen zusammen und erklärte vor ihnen den Pater Felice mit höchster und vollkommenster Macht zum Vorsteher dieses Ortes. Nach Maßgabe dann, wie die jammervolle Versammlung sich vergrößerte, kamen noch andere Kapuziner dazu und wurden hier Aufseher, Beichtiger, Verwalter, Krankenwärter, Köche, Kleiderbewahrer, Wäscher, alles was erforderlich war. Der immer geschäftige und immer sorgsame Pater Felice war Tag und Nacht auf den Beinen und ging durch die Hallen, durch die Stuben, durch das Lager einher, zuweilen eine Hellebarde tragend, zuweilen nur mit dem härenen Gewande bewehrt; er ermunterte zum Dienste und ordnete ihn an, beschwichtigte Lärm, ließ Klagen ihr Recht widerfahren, drohte, strafte, schalt, tröstete, trocknete und vergoß Tränen. Er zog sich im Anfang die Pest zu, genas davon und widmete sich nun mit erneuter Tätigkeit seinem früheren Berufe. Seine Mitbrüder ließen darin meistenteils, und alle freudig, das Leben.

Sicherlich war eine solche Oberherrschaft eine seltsame Aushilfe; seltsam wie das Unglück, wie die Zeit, und wenn wir sonst nichts dagegen wüßten, würde dies als Beweis, ja als Probe einer ziemlichen Roheit und Zerrüttung der bürgerlichen Gesellschaft hinreichen. Aber der Mut, die Arbeit, die Aufopferung jener Mönche verdienen denn doch nicht weniger, daß ihrer mit Achtung, mit Rührung, mit der Art von Erkenntlichkeit Erwähnung getan werde, die man gleichsam einer für alle, für große Dienste empfindet, welche Menschen Menschen leisten. Es ist zu jeder Zeit, unter allen Umständen etwas Schönes und Weises zu sterben, um wohlzutun. »Wenn diese Väter sich nicht allda befanden,« sagt Tadino, »so war zuversichtlich die ganze Stadt verloren; denn es war etwas Wunderbares, daß die Väter in einer so kurzen Spanne Zeit so vieles für das Gemeinwohl getan und, derweil ihnen von der Stadt gar keine oder nur geringe Hilfe geleistet wurde, mit ihrem Eifer und ihrer Klugheit allein so viele tausend Arme im Lazarett erhalten hatten.«

Auch im Publikum ging das verstockte Leugnen der Pest von selbst zu Ende und verlor sich in dem Verhältnis, daß die Krankheit sich ausbreitete, die sich eben auf dem Wege der Ansteckung und des Verkehrs zusehends und zwar um desto mehr ausbreitete, als sie, nachdem sie eine Zeitlang unter den Armen geherrscht hatte, anfing, bekanntere Personen zu erfassen. Und unter diesen verdient ausdrücklicher Erwähnung der Stadtarzt Settala. Werden sie wenigstens gesagt haben: der arme Greis hatte recht? Wer weiß es? Es erkrankten an der Pest er, seine Frau, zwei Kinder, sechs Dienstboten. Er und eines von den Kindern kamen glücklich davon; die übrigen starben. »Diese in der Stadt und in edlen Häusern vorkommenden Fälle«, sagt Tadino, »machten endlich den Adel und das Volk nachdenklich, und die ungläubigen Ärzte und die unwissende freche Menge fingen an, sich in die Lippen zu beißen, zu verstummen und große Augen zu machen.«

Die Umkehr, der Erfolg, die Rache sozusagen der überführten Hartnäckigkeit sind aber manchmal so beschaffen, daß sie wünschen lassen, sie möchte sich bis zuletzt gegen die Vernunft und den Augenschein vollständig und unbesiegt erhalten haben, und dies war einer von diesen Fällen. Diejenigen, die so entschlossen und so lange gestritten hatten, es gäbe bei und unter ihnen keinen Krankheitskeim, der durch natürliche Mittel sich fortpflanzen und verderblich werben könnte, waren jetzt, wo sie die Fortpflanzung desselben nicht mehr ableugnen konnten, und sie doch jenen Mitteln nicht zuschreiben wollten – womit sie zugleich einen großen Irrtum und eine große Schuld eingestanden hätten – desto geneigter, irgendeine andere Ursache dazu aufzusuchen, die erste beste, die vorgebracht werden würde, gutzuheißen. Unglücklicherweise lag eine solche in den damals nicht nur hier, sondern allenthalben in Europa hergebrachten Ideen und Überlieferungen bereit: Zauberkünste, teuflische Blendwerke, Menschen, die verschworen wären, vermöge ansteckender Gifte und Behexungen die Pest zu verbreiten. Solche oder ähnliche Dinge waren bereits in vielen anderen Fällen von Pest vermutet und geglaubt worden, und hier ganz besonders in der vor einem halben Jahrhundert. Man füge hinzu, daß noch im vorigen Jahre eine von Philipp IV. unterzeichnete Depesche an den Statthalter eingetroffen war, worin er benachrichtigt wurde, daß aus Madrid vier Franzosen entkommen, denen man nachstelle, weil sie verdächtig, giftige, pestilenzialische Salben zu verbreiten; er möge auf seiner Hut sein, im Fall sie sich in Mailand je betreffen ließen. Der Statthalter hatte diese Depesche dem Senat und dem Gesundheitsamte mitgeteilt, und weiter scheint man sich damals nicht darum gekümmert zu haben. Als aber die Pest ausgebrochen und anerkannt war, konnte die Erinnerung an jene Nachricht als Bestätigung oder Stützpunkt des unbestimmten Argwohns einer verbrecherischen Betrügerei dienen; ja konnte sie sogar der erste Anlaß werden, ihn hervorzurufen.

Zwei Vorfälle aber, der eine eine Folge blinder und unbändiger Furcht, der andere, ich weiß nicht welcher Niederträchtigkeit, waren es, was jenen unbestimmten Argwohn vor einem möglichen Anschlage in den Verdacht und bei vielen in die Gewißheit eines bestimmten Anschlags und wirklichen Verbrechens verkehrte. Einige, denen es geschienen hatte, als ob sie am Abende des 17. Mai im Dome Personen herumgehen und eine Brettwand einsalben gesehen, die dazu diente, die den beiden Geschlechtern an; gewiesenen Räume voneinander zu trennen, ließen nämlich in der Nacht die Wand und eine gewisse Anzahl Bänke, die daran standen, aus der Kirche herausschaffen, wiewohl der Präsident des Gesundheitsamtes, der mit vier Personen vom Amte zur Untersuchung herzugekommen war, nachdem er die Wand, die Bänke, das Weihwasserbecken besichtigt und durchaus nichts gefunden, was den dummen Verdacht eines Giftmischeranschlags bestätigen konnte, den Einbildungen anderer zu Gefallen und »vielmehr aus übermäßiger Vorsicht, als weil es notwendig wäre,« den Ausspruch getan hatte, daß es hinreiche, die Wand einmal abzuwaschen. Diese Masse von übereinandergehäuftem Gerät brachte einen tiefen Eindruck des Schreckens auf die Menge hervor, für die ein Gegenstand so leicht ein Beweisgrund wird. Man sagte und glaubte allgemein, alle Bänke, die Wände, bis auf die Glockenstränge im Dome sollten gesalbt worden sein. Und man sagte es nicht etwa nur augenblicklich; alle Schriften von Zeitgenossen – deren einige nach vielen Jahren abgefaßt –, die von diesem Ereignisse sprechen, besprechen es mit gleicher Zuversicht; und den wahren Hergang desselben würde man erraten müssen, wenn man ihn nicht in einem Briefe des Gesundheitsamtes an den Statthalter, der in dem Archive San-Fedele aufbewahrt wird, erwähnt fände, aus dem wir ihn genommen haben, und dem die Worte entlehnt sind, die wir buchstäblich anführten.

Am folgenden Morgen stellte sich ein neues und noch seltsameres, auffälligeres Schauspiel den Bürgern vor die Augen und vor den Sinn. In jedem Teile der Stadt sah man die Türen und Wände der Häuser auf lange Strecken hin mit einem gewissen blassen weißlichen Schmutze, der wie mit einem Schwamme angebracht war, beschmiert und besudelt. War es nun eine gottlose Lust gewesen, ein lärmenderes, allgemeineres Entsetzen zu sehen, oder eine noch strafbarere Absicht, die öffentliche Verwirrung zu steigern, oder sonst etwas anderes, so ist doch die Sache dermaßen bekräftigt, daß es uns weniger verständig vorkommen würde, sie etwa einem Traume der Einbildungskraft als vielmehr der Tat einer, in dem menschlichen Hirn übrigens durchaus nicht neuen und auch leider an ähnlichen Ausbrüchen an keinem Orte und zu keiner Zeit armen Tücke zuzuschreiben. Ripamonti, der in diesem Umstände von den Salbereien die Leichtgläubigkeit des Volkes oft verspottet und noch öfter beklagt, bestätigt hier, jene Schmutzflecke gesehen zu haben, und beschreibt sie. In dem oben angeführten Schreiben erzählen die Herren vom Gesundheitsamte die Sache auf gleiche Weise; sie sprechen von Untersuchungen, von Versuchen, die man mit jener Materie und zwar ohne schlimme Erfolge an Hunden angestellt habe; sie fügen hinzu, sie glaubten, »sotaner Frevel sei vielmehr aus Mutwillen als aus verbrecherischer Absicht hervorgegangen, ein Gedanke, der in ihnen bis zu jener Zeit hinreichende Seelenruhe voraussetzen läßt, um nicht etwa zu erblicken, was nicht in der Sache gelegen hätte. Die anderen gleichzeitigen Berichte deuten ebenso insgesamt an, ohne daß wir ihr Zeugnis für die lautere Wahrheit ausgeben wollen, wie es die anfängliche Meinung vieler gewesen, daß jene Einsalbung aus Schabernack, aus wunderlicher Laune vorgenommen worden; keine einzige spricht von jemand, der das geleugnet, und sie hätten seiner gewiß erwähnt, wenn es einen gegeben, wenn auch nur deswegen, um ihn einen überspannten Kopf zu nennen. Ich habe es für nicht unpassend gehalten, diese teils wenig bekannten, teils völlig unbekannten Einzelheiten einer berühmt gewordenen Verrücktheit zusammenzustellen und zu hinterbringen; weil bei Verirrungen, und besonders bei Verirrungen vieler, was beachtet zu werden verdient und am nützlichsten zu beachten ist, mir eben der Weg zu sein scheint, den sie eingeschlagen haben, der Anschein, die Art und Weise, womit sie sich haben in die Gemüter einschleichen und sie beherrschen können.

Die schon aufgeregte Stadt kam nun deshalb in Aufruhr; die Hauswirte brannten mit angesteckten Strohwischen die beschmierten Stellen aus, die Vorübergehenden blieben stehen, schauten zu, entsetzten sich, wüteten. Die Fremden, eben allein als solche verdächtig und damals an der Tracht leicht zu erkennen, wurden vom Volke aus den Straßen ergriffen und in die Gefängnisse gesteckt. Es wurden Untersuchungen, Verhöre der Verhafter, der Verhafteten der Zeugen angestellt; man befand niemand schuldig, die Köpfe waren noch fähig zu zweifeln, zu erwägen, zu begreifen. Das Gesundheitsamt erließ eine Verordnung, womit es Belohnung und Straflosigkeit demjenigen zusagte, der den oder die Urheber der Tat herausbrächte. »Da es uns auf keine Weise tunlich scheint,« sagen jene Herren in dem erwähnten Briefe, der vom 21. Mai ausgestellt ist, aber offenbar am 19., dem in der gedruckten Verordnung unterzeichneten Tage, geschrieben worden, »daß dies Verbrechen insonderheit in einer so gefährlichen und verdächtigen Zeit irgend ungestraft bleibe, so haben wir zum Troste und zur Beruhigung dieses Volkes, und um Kenntnis von der Tat zu erlangen, heutigen Tages diese Verordnung erlassen usw.« In der Verordnung selbst war aber auch nicht ein auch nur im mindesten deutlicher Wink von der vernünftigen und beruhigenden Vermutung, die sie gegen den Statthalter äußerten: welches Verschweigen zugleich ein wütendes Vorurteil im Volke und in ihnen eine Nachgiebigkeit verrät, die desto strafbarer war, je verderblicher sie werden konnte.

Derweil das Amt suchte, hatten im Publikum, wie denn das wohl geschieht, viele schon gefunden. Von denen, die an giftige Einsalbung glaubten, wollte einer wissen, es sei eine Rache des Don Gonzalo Fernandez de Cordova für die Schmach, die ihm bei seiner Abreise angetan worden; ein anderer hielt es für einen Einfall des Kardinals Richelieu, um Mailand zu entvölkern und sich dessen ohne Schwierigkeit zu bemächtigen; wieder einer, und man weiß nicht aus welchen Gründen, gab als den Urheber den Grafen Collalto, Wallenstein, den ober jenen anderen Mailänder Edelmann an. Es fehlte auch, wie wir gesagt haben, nicht an solchen, die in dem Vorfalle nur eine bösliche Fopperei erblickten, und sie etwa Schülern, vornehmen Leuten, Offizieren aufbürdeten, die der Belagerung von Casale überdrüssig wären. Daß man nun darauf nicht gerade, wie man wohl gefürchtet haben mochte, eine allgemeine Ansteckung, ein allgemeines Sterben erfolgen sah, veranlaßte wahrscheinlich, daß jener erste Schrecken sich vorderhand allmählich legte, und die Sache in Vergessenheit kam oder doch zu kommen schien.

Es gab übrigens auch eine gewisse Anzahl Personen, die von dem Dasein der Pest noch immer nicht überzeugt waren. Und weil im Lazarett sowohl wie in der Stadt doch einige davon genasen, so sagte – die letzten Gründe einer vom Augenschein niedergeschlagenen Meinung sind immer merkwürdig – »so sagt das Volk und auch die vielen parteiischen Ärzte, es sei nicht die wahre Pest, sonst würden eben alle gestorben sein.« Um jeden Zweifel zu benehmen, erfand das Gesundheitsamt ein dem Bedürfnisse entsprechendes Hilfs, mittel, eine Art und Weise, sich deutlich zu mache«, wie sie nur jene Zeit erfordern oder eingeben konnte.

An einem Pfingstfeiertage pflegten nämlich die Bürger auf dem Gottesacker San-Gregorio vor der Porta Orientale zusammenzukommen und allda für die an jener früheren Seuche Gestorbenen, deren Leichen hier begraben lagen, zu beten, und zwar ging ein jeder, von der Andacht die Gelegenheit zur Lustbarkeit und zu einem Schauspiel ableitend, im höchstmöglichen Staate dorthin. Es war an diesem Tage unter anderen eine ganze Familie an der Pest verstorben. Zur Stunde des größten Zudrangs wurden dann auf Befehl des Gesundheitsamtes mitten durch die Kutschen, Reiter und Fußwanderer die Leichname dieser Familie nackt auf einem Karren auf den vorgenannten Begräbnisplatz gefahren, damit die Menge an ihnen das offenbare Zeichen, das scheußliche Siegel der Pest wahrnähme. Ein Schrei des Abscheus, des Schreckens erhob sich allenthalben, wo der Karren vorbeifuhr; ein langes Gemurmel herrschte da, wo er vorüber war, ein anderes Gemurmel drang ihm voraus. Man glaubte nun an die Pest; übrigens aber er, warb sie sich von Tag zu Tag schon an und für sich mehr Gläubige, und jene Versammlung selbst sollte nicht wenig dazu bettragen, sie zu verbreiten.

Anfänglich also keine Pest, durchaus keine, in keiner Weise, sogar verpönt, das Wort auszusprechen. Alsdann pestartige Fieber; die Vorstellung schleicht sich von der Seite durch ein Beiwort ein. Hernach nicht wahre Pest, das heißt Pest freilich, aber in einem gewissen Sinne, nicht Pest so ohne weiteres, aber allerdings etwas, dem man keinen anderen Namen zu geben weiß. Endlich Pest ohne Zweifel und Widerrede; aber schon hat sich eine andere Vorstellung damit verknüpft, die Vorstellung des Vergiftens und der Hexerei, die die durch das Wort, das sich nicht mehr zurückdrängen läßt, ausgedrückte Vorstellung verfälscht und verwirrt.

Man braucht, glaube ich, in der Geschichte der Vorstellungen und Worte nicht eben sehr erfahren zu sein, um einzusehen, daß viele einen ähnlichen Lauf genommen haben. Dem Himmel sei es gedankt, daß ihrer von der Art und Bedeutung, die ihre Augenscheinlichkeit zu einem solchen Preise geltend machen, und mit denen sich solcherlei Nebenumstände verbinden, nicht viele sind. Man könnte jedoch in großen wie in kleinen Dingen den so langen und so gewundenen Lauf meist vermeiden, wenn man die seit so langer Zeit geltende Regel befolgte, zu beobachten, zu hören, zu vergleichen, zu denken, bevor man spräche.

Aber das Sprechen, diese so einzige Sache, ist doch um so vieles leichter, als alle die anderen miteinander, so daß auch wir, ich meine wir Menschen im allgemeinen, darob ein wenig zu bedauern sind.


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