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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Es währte nicht lange, so kam der Bravo zurück und hinterbrachte, daß am vergangenen Tage der Kardinal Federigo Borromeo, Erzbischof von Mailand, in *** eingetroffen sei, und diesen ganzen eben angebrochenen Tag daselbst zubringen werde, und daß die Kunde von dieser Ankunft, die sich am Abend in einem ziemlich weiten Umkreise verbreitet, allem Volke das Verlangen eingeflößt habe, dorthin aufzubrechen, um diesen Mann zu sehen; weshalb denn nun das Geläute ebensowohl ein Fest als die Ankunft verkündige.

Sobald der Herr allein geblieben war, fuhr er fort, noch verdrießlicher in das Tal hinabzuschauen. – »Eines Mannes wegen! Alles drängt und treibt sich, alles freut sich, einen Mann zu sehen! Und doch wird jeder von ihnen seinen Teufel haben, der ihm zusetzt. Aber keiner, kein einziger wird einen haben, wie der meinige ist; nicht einer wird so eine Nacht verbracht haben wie die meinige! Was hat denn dieser Mann, daß er so viele Leute froh macht? Er wird vielleicht eine Handvoll Geld so aufs Geratewohl unter sie streuen ... aber die gehen doch nicht alle nach Almosen aus. Nun denn, so ein paar Zeichen in die Lust, so ein paar Worte ... Oh, wenn ich sie für mich hätte, die Worte, die trösten können! wenn ... Warum gehe ich nicht auch hin? Warum nicht? ... Ich will gehen; was sollte ich sonst tun? Ich gehe, und ich will mit ihm reden; unter vier Augen will ich ihn sprechen. Was werde ich ihm sagen? Wohlan, daß Was, daß ... Ich werde ja hören, was er zu sagen hat, dieser Mann!« –

Sobald er zu diesem unbestimmten Entschluß gekommen war, kleidete er sich eilig vollends an, und zwar zog er über seine gewöhnliche Kleidung noch eine lange Jacke, deren Zuschnitt etwas Kriegerisches hatte; dann nahm er das Taschenpistol, das auf dem Bette liegengeblieben, und hing es auf einer Seite in den Gürtel, auf der anderen ein anderes, das er von einem Nagel an der Wand nahm; seinen Dolch steckte er in denselben Gürtel; einen Karabiner, fast ebenso berüchtigt wie er selbst, den er gleichfalls von der Wand herabholte, warf er sich schräg über die Schultern; er ergriff den Hut, bedeckte sich, verließ das Zimmer und begab sich vor allen Dingen nach dem, wo er Lucia verlassen hatte. Er stellte den Karabiner in einen Winkel draußen am Eingange und klopfte an, indem er zugleich seine Stimme laut werden ließ. Die Alte stürzte aus dem Bette, warf sich einen Lumpen über und eilte, um zu öffnen.

Der Herr trat ein und sah, einen Blick durch das Gemach werfend, Lucia in ihrer Ecke still zusammengedrückt.

»Schläft sie?« fragte er die Alte leise. »Schläft sie dort? Waren dies meine Befehle, Unglückselige?«

»Ich habe alles mögliche getan,« entgegnete diese, »aber sie hat durchaus nicht essen wollen, sie hat durchaus nicht ins ...«

»Laß sie ruhig schlafen; hüte dich, daß du sie nicht störst, und sobald sie aufwacht ... Martha wird hier in die Nebenstube kommen; die schickst du nach allem, was sie irgend von dir fordern kann. Sobald sie aufwacht ... sagst du ihr, ich ... der Herr sei auf kurze Zeit ausgegangen, er werde zurückkehren und ... alles tun, was sie verlange.«

Die Alte ward ganz verblüfft und dachte bei sich: »Das muß wohl am Ende gar eine Prinzessin sein?«

Der Herr ging hinaus, nahm seinen Karabiner wieder auf, hieß Martha im Vorzimmer warten, befahl dem ersten Bravo, den er antraf, Wache zu halten, daß niemand sonst als das Weib den Fuß in die Stube setze, verließ dann die Feste und stieg eiligen Schrittes den Abhang hinunter.

Die Handschrift gibt die Entfernung der Feste von dem Dorfe, wo der Kardinal verweilte, nicht an; sie mochte jedoch nur etwa einen guten Spaziergang betragen. Diese Nähe belegen wir nicht allein mit dem Zuströmen der Talbewohner nach der Ortschaft; denn in den Geschichtsbüchern jener Zeit finden wir, daß es die Leute von zwanzig und mehr Miglien weit herzog, um den Kardinal Federigo einmal zu sehen; sondern wir müssen vielmehr aus allen Ereignissen dieses Tages, die wir zu erzählen haben, folgern, daß der Weg nicht eben lang sein mochte.

Die Bravi, denen er von ungefähr beim Hinuntergehen begegnete, blieben ehrerbietig stehen und ließen den Herrn vorüber, in der Erwartung, daß er ihnen vielleicht Befehle zu erteilen hätte oder sie zu irgendeinem Unternehmen mit sich nehmen würde, und erstaunten über sein Aussehen und die Blicke, mit denen er ihre Verneigungen erwiderte.

Als er sich dann unten auf der öffentlichen Landstraße befand, war es ein ganz ander Ding. Unter den ersten Wanderern, die ihn gewahrten, entstand ein Geflüster; sie warfen sich argwöhnische Blicke zu, drückten sich da- und dorthin zur Seite. Den ganzen Weg entlang ging er nicht zwei Schritte neben einem anderen Wandersmann; ein jeder, der ihn nahen sah, scheute sich, machte einen Bückling und schritt langsamer zu, um hinter ihm zurückzubleiben.

Im Dorfe angelangt, war es gedrängt voll; so wie er sich zeigte, flog sein Name von Mund zu Mund, und die Menge gab Raum. Er trat auf einen der behutsamen Leute zu und fragte ihn, wo der Kardinal wäre.

»In der Pfarrwohnung!« erwiderte dieser ehrfurchtsvoll, und zeigte ihm, wo sie läge. Der Herr schritt darauf zu, trat in einen kleinen Hof, wo sich viele Priester befanden, die ihn alle mit verwunderter und argwöhnischer Aufmerksamkeit betrachteten.

Er sah sich gegenüber eine weit offen stehende Tür, die zu einem kleinen Vorsaale führte, worin gleichfalls viele Priester anwesend waren. Er nahm sich den Karabiner von der Schulter und lehnte ihn in einen Winkel des Hofes; darauf trat er in den kleinen Saal, und hier vernahm er Geflüster, und ein Name ging von Mund zu Mund. Er wendete sich an einen der Anwesenden und fragte ihn, wo sich der Kardinal befände, er wollte ihn sprechen.

»Ich bin fremd,« antwortete der Gefragte, blickte aber flugs umher und rief den Kaplan Kreuzträger, der in einer Ecke des Vorsaales stand und soeben heimlich zu einem Freunde sagte: »Der? der Berüchtigte? Was hat der hier zu schaffen? Behüt uns Gott!« – Nichtsdestoweniger mußte er auf den Ruf, der durch das allgemeine Schweigen drang, kommen; er verbeugte sich vor dem Ungenannten, vernahm sein Gesuch und stand eine kleine Weile unschlüssig da, nachdem er mit unruhiger Neugier die Augen zu seinem Angesicht erhoben und sie gleich wieder zu Boden gesenkt hatte, worauf er sprach oder stammelte: »Ich weiß nicht, ob der hochwürdige Herr ... in diesem Augenblicke ... sich ... imstande ... kann ... Nun, ich will zusehen« – und sich zögernd nach dem anstoßenden Zimmer begab, wo sich der Kardinal befand, um seinen Auftrag auszurichten.

An dieser Stelle unserer Geschichte können wir nicht umhin, ein klein wenig zu verweilen, gleichwie der Wanderer, von einem langen Wege durch eine wüste Wildnis erschöpft und niedergeschlagen, sich in dem Schatten eines schönen Baumes auf dem Rasen neben einem Quell aufhält. Wir sind auf eine Person zu sprechen gekommen, deren Name und Angedenken schon allein jedesmal, daß die Gedanken darauf verfallen, sie mit der sanften Regung der Ehrfurcht und eines freudigen Mitgefühls erquicken: um wie viel mehr also doch nach so vielen Vorstellungen des Schmerzes, nach der Betrachtung einer so vielfältigen abstoßenden Gottlosigkeit! Über diese Person müssen wir notwendigerweise ein paar Worte anführen; wem nichts daran liegen sollte, sie anzuhören, und wer doch etwa verlangte, in der Geschichte weiterzukommen, der springe nur sogleich zu dem nächstfolgenden Kapitel über.

Federigo Borromeo, geboren 1564, war einer der zu jeder Zeit seltenen Menschen, die einen erhabenen Verstand, alle Mittel eines großen Reichtums, alle Vorteile eines bevorrechteten Standes, eine fortdauernde Aufmerksamkeit darauf verwendet haben, das Beste aufzusuchen und auszuüben. Sein Leben ist wie ein Bach, der, aus dem Felsen klar hervorsprudelnd, ohne in einem langen Laufe über mannigfachen Boden irgend gehemmt oder getrübt zu werden, rein dahinrinnt und sich in den Fluß ergießt. Mitten unter Gemächlichkeiten und Pracht achtete er von Kindheit an nur auf jene Worte der Selbstverleugnung und Demut, auf jene Grundsätze in betreff der Nichtigkeit der Freuden, der Unbilligkeit des Stolzes, der echten Würdigkeit und der echten Güter, die, gleichviel ob in den Herzen empfunden oder nicht empfunden, von einem Menschengeschlecht dem anderen in den ersten Anfangsgründen der Glaubenslehre überliefert werden. Er achtete, sage ich, auf diese Worte, auf diese Grundsätze, nahm sie sich zu Herzen, fand Geschmack daran, fand sie bewährt; er begriff, daß darum andere entgegengesetzte Worte und Grundsätze nicht wahr sein konnten, die auch von Zeitalter zu Zeitalter mit der nämlichen Zuversicht und zuweilen von den nämlichen Lippen überliefert werden, und setzte sich vor, zur Richtschnur seiner Handlungen und Gedanken diejenigen zu nehmen, die wahr wären. Durch sie vernahm er, daß das Leben nicht dazu bestimmt ist, für viele eine Last und für einige ein Fest zu sein, sondern wohl für alle ein Amt, von dem ein jeder wird Rechenschaft abzulegen haben, und er begann schon als Kind zu überlegen, wie er das seinige nützlich und heilig gestalten könnte.

Im Jahre 1580 sprach er den Entschluß aus, sich dem geistlichen Stande zu widmen, und empfing dessen Gewand aus der Hand seines Vetters Carlo, den ein schon damals nicht mehr neuer und allgemeiner Ruf als einen Heiligen bezeichnete. Er trat bald darauf in das von diesem gestiftete Kollegium in Pavia, das noch immer den Namen seines Hauses fortführt, und indem er hier eifrig den Beschäftigungen oblag, die er vorgeschrieben fand, erwählte er sich aus freiem Antrieb noch zwei andere, nämlich den Allerunwissendsten und Hilflosesten im Volke das Christentum zu lehren und die Kranken zu besuchen, zu bedienen, zu trösten und zu unterstützen. Er benutzte das Ansehen, das ihm an diesem Orte alles verschaffte, dazu, seine Mitschüler zu vermögen, ihm in diesen Werken beizustehen, und so ward ihm in allem, was nützlich und ehrenwert, gleichsam ein Übergewicht des guten Beispiels, ein Übergewicht zu teil, das, weil es vom Geiste und vom Herzen ausging, er vielleicht ebenfalls erlangt haben würde, wenn er auch der Geburt nach der Niedrigste gewesen wäre. Den Vorteilen anderer Art, die seine Glücksumstände ihm hätten zuwenden können, strebte er nicht allein nicht nach, sondern er ließ es sich sogar angelegen sein, sie von sich abzulehnen. Er wollte einen noch eher ärmlichen als einfachen Tisch haben, er trug vielmehr eine dürftige als schlichte Kleidung, und dem entsprachen seine ganze Lebensart und sein ganzes Wesen. Und er war niemals der Meinung, es ändern zu müssen, weil einige Verwandte ein großes Geschrei und große Klagen erhoben, daß er derart die Würde des Hauses beeinträchtige. Einen anderen Kampf hatte er mit den Lehrern zu bestehen, die dahin strebten, unter der Hand und wie durch Überraschung ihm ein und das andere anständigere Gerät, irgend etwas, das ihn von den anderen unterschied und als den Vornehmsten des Ortes auszeichnete, zuzuschieben, aufzubürden oder ihn damit zu umgeben; sie mochten nun entweder glauben, sich am Ende dadurch angenehm zu machen, oder dazu von der unterwürfigen Innigkeit der Liebe bewogen werden, die ihren Stolz und ihre Freude in die Herrlichkeit anderer setzt, oder zu jenen Verständigen gehören, die sich vor den Tugenden ebensowohl wie vor den Lastern scheuen, nur immer predigen, daß die Vollkommenheit in der Mitte liege, und die Mitte gerade auf den Punkt hinsetzen, wo sie hingelangt sind und sich behaglich fühlen. Er hingegen, weit entfernt, sich in diese Liebesdienste zu fügen, tadelte vielmehr darum die Dienstbeflissenen, und dies zwar in dem Alter des Überganges vom Knaben zur Mannbarkeit.

Daß bei Lebzeiten des Kardinals Carlo, der sechsundzwanzig Jahre älter als er war, in dessen hochansehnlicher und sozusagen erhabener Gegenwart, die von Huldigungen und ehrfurchtsvollem Schweigen umgeben, und überdies von so hohem Ruhme verstärkt, ja der das Siegel der Heiligkeit aufgedrückt war, der Knabe und Jüngling Federigo sich nach dem Vorbilde und der Natur eines solchen Vetters zu bilden gesucht, ist sicherlich nicht zu verwundern; wohl aber verdient es gesagt zu werden, daß nach dessen Tode niemand würde haben wahrnehmen können, der damals zwanzigjährige Federigo entbehre wohl eines Führers und Sittenrichters. Der anwachsende Ruf seines Geistes, seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, die Verwandtschaft und die Verbindungen mit mehr als einem mächtigen Kardinal, das Ansehen seiner Familie, schon der Name an sich, mit dem Carlo in den Gemütern fast eine Vorstellung von Heiligkeit und priesterlicher Hoheit verknüpft hatte, alles, was die Menschen zu geistlichen Würden befähigen kann und muß, vereinigte sich, sie ihm voraus zu verkündigen. Er aber, im Herzen von dem überzeugt, was niemand, der sich zu der christlichen Lehre bekennt, mit dem Munde verleugnen kann: daß nämlich eine gerechte Überlegenheit eines Menschen im Verhältnis zu anderen nicht anders als in deren Dienste besteht, scheute sich vor Würden und suchte ihnen zu entgehen, ganz gewiß nicht darum, daß er sich dem Dienste seiner Nebenmenschen entzöge, denn es wurden darin wenig Leben so sehr als das seinige verbracht, wohl aber, weil er sich eines so hohen und gefahrvollen Dienstes nicht würdig und tüchtig genug erachtete. Als ihm sonach im Jahre 1595 von Clemens VIII. das Erzbistum Mailand angetragen wurde, zeigte er sich darüber sehr betroffen und lehnte dieses Amt ohne Zaudern ab. Er gab späterhin dem ausdrücklichen Befehle des Papstes nach. Dergleichen Erklärungen, wer weiß das nicht? sind weder schwierig noch selten, und die Heuchelei bedarf keiner größeren Kraftanstrengung ihres Witzes, um sie abzugeben, als die Spaßmacherei; sie sind in jedem Falle leichten Kaufs zu verspotten. Aber hören sie wohl darum auf, der natürliche Ausdruck eines tugendhaften und besonnenen Gefühls zu sein? Das Leben ist der Prüfstein der Worte, und die Worte, die dies Gefühl ausdrücken, wären sie auch allen Betrügern und allen Spöttern von der Welt über die Lippen geflossen, werden immer schön sein, wenn ein Leben der Uneigennützigkeit und der Aufopferung ihnen vorausging und nachfolgt.

In dem Erzbischof Federigo tat sich ein besonderer und anhaltender Eifer kund weder Vergnügen, noch Zeit, noch Sorgfalt, kurz, von allem Seinigen für sich nicht mehr zu verwenden, als die äußerste Notdurft erforderte. Er sagte, was alle sagen, daß die geistlichen Einkünfte das Erbteil der Armen sind, und wie er einen solchen Grundsatz verstand, ersieht man aus folgendem: Er ließ abschätzen, wieviel sein und der zur Bedienung seiner Person verpflichteten Hausgenossen Unterhalt kosten könnte, und da man ihm sagte, sechshundert Scudi – Scudo hieß damals die Goldmünze, welche, das nämliche Gewicht und dieselbe Inschrift fortbehaltend, späterhin Zechine genannt wurde – so gab er Befehl, alljährlich soviel von seinen Erbeinkünften an seine Tischkasse zu zahlen, indem er nicht glaubte, daß es ihm erlaubt sei, von diesem väterlichen Gute im Überflusse zu leben. Mit dem Seinigen war er dann auch ein so genauer und sparsamer Haushalter, daß er unter anderen ein Kleid nicht eher ablegte, als bis es völlig abgenutzt war, wenngleich er, wie von mitlebenden Schriftstellern bemerkt wurde, mit dem Geiste der Einfachheit den einer ausgesuchten Sauberkeit verband; zwei in jener schmutzigen und prunkvollen Zeit wirklich bemerkenswerte Gewohnheiten. So auch überwies er die Überbleibsel seines mäßigen Mittagstisches, damit von denselben nichts umkäme, einem Hospiz für Arme, und einer von diesen erschien auf sein Geheiß täglich in seinem Speisesaale, um die Reste in Empfang zu nehmen. Fürsorgen, die vielleicht die Vorstellung einer knickerigen, armseligen, beschränkten Tugend, eines in Geringfügigkeiten befangenen und höherer Absichten unfähigen Gemüts erwecken könnten, wenn da nicht wieder die ambrosianische Bibliothek vorhanden wäre, zu der Federigo mit so kühner Prachtliebe den Gedanken faßte, und die er mit so bedeutenden Kosten von Grund aus stiftete, ja für die er, um sie mit Büchern und Handschriften außer denjenigen zu versehen, die er mit großem Eifer und Aufwande selbst gesammelt hatte, acht der gebildetsten und erfahrensten Männer, die er auftreiben konnte, um Ankäufe zu machen, durch Spanien, Deutschland, Flandern, nach Griechenland, dem Libanon, Jerusalem reisen ließ, so daß es ihm denn gelang, ungefähr dreißigtausend gedruckte Bände und vierzehntausend Handschriften zusammenzubringen. Mit der Bibliothek verband er ein Doktorenkollegium – es waren ihrer neun, die er unterhielt, so lange er lebte, nachher wurden sie auf zwei beschränkt, da die gewöhnlichen Einkünfte zu dieser Ausgabe nicht hinreichten, – und ihre Bestimmung war, verschiedene Zweige des Wissens, Theologie, Geschichte, Literatur, geistliche Altertümer, orientalische Sprachen, mit der einem jeden auferlegten Verpflichtung zu bearbeiten, irgendein Werk über den ihm zuerteilten Gegenstand zu veröffentlichen. Er verband damit ein Kollegium, das er das dreizüngige nannte, für das Studium der griechischen, lateinischen und italienischen Sprache, ein Kollegium für Pfleglinge, die in diesen Fakultäten und Sprachen unterrichtet werden sollten, um sie wieder ihrerseits öffentlich zu lehren; er verband damit eine Druckerei für orientalische Sprachen, das heißt für die hebräische, chaldäische, arabische, persische, armenische; eine Gemäldesammlung, eine Sammlung von Bildsäulen und eine Schule der drei vornehmsten Zeichenkünste. Für diese konnte er schon ausgebildete Lehrer finden; was das übrige betrifft, so haben wir gesehen, wieviel Beschwerden ihm das Sammeln der Bücher und Handschriften gemacht haben muß; weit schwieriger gewiß mußten die Typen jener Sprachen anzuschaffen sein, die damals in Europa noch so viel weniger gearbeitet wurden als heutzutage, noch schwieriger als die Typen die Männer. Es genügt zu sagen, daß er von neun Doktoren acht unter den Pfleglingen der Pflanzschule auswählte, woraus man schließen mag, wie er über die in Verfall geratene Gelehrsamkeit und die geltenden Berühmtheiten jener Zeit urteilte, ein Urteil, dem entsprechend, welches die Nachkommenschaft darüber gefällt zu haben scheint, indem sie jene sowohl wie diese hat in Vergessenheit versinken lassen.

Aus den Anordnungen, die er über den Gebrauch und die Verwaltung der Bibliothek hinterließ, geht die Absicht auf immerwährende Nutzbarkeit hervor, was nicht nur an sich schön ist, sondern auch in vielen Stücken um so vieles weiser und gebildeter als die allgemeinen Vorstellungen und Gewohnheiten jener Zeit. Er schrieb dem Bibliothekar vor, mit den gelehrtesten Männern Europas einen Briefwechsel zu unterhalten, um von ihnen Nachrichten über den Stand der Wissenschaften und Anzeige von den besten Büchern zu erhalten, die in einem jeden Fache herauskämen, und sie zu erwerben. Er beauftragte ihn, den Studierenden diejenigen Werke zu nennen, die zu ihren Zwecken dienlich sein könnten; er befahl, daß diesen alle Gelegenheit gegeben werden solle, die daselbst aufbewahrten Bücher auszubeuten. Eine solche mit der Stiftung einer Bibliothek verbundene Absicht muß heutigen Tages wohl einem jeden natürlich genug vorkommen; dazumal war sie es nicht. Und in einer Geschichte der Ambrosianischen, die – mit der gewöhnlichen Wortfügung und Zierlichkeit des Zeitalters – ein Pierpaolo Bosca geschrieben hat, der nach dem Tode Federigos ihr Bibliothekar war, wird ausdrücklich als eine Merkwürdigkeit angeführt, daß in dieser Büchersammlung, die ein Privatmann fast allein auf seine Kosten gestiftet habe, die Bücher allen vorgelegt, einem jeden, der danach verlange, zugestellt würden, so wie er auch Platz zum Sitzen und Studieren, und Papier, Federn und Tintenfaß erhielte, um seine Bemerkungen zu machen, derweil in jeder anderen namhaften Bibliothek Italiens die Bücher nicht nur nicht sichtbar, sondern sogar in Schränken versteckt wären, wo, wie er sagt, nur die Vorsteher sie herausholen, wenn es ihnen beliebe, sie auf einen Augenblick zu zeigen; von Platz und Bequemlichkeit zum Studieren für die Besuchenden habe man nicht einmal eine Vorstellung. Derartige Bibliotheken zu bereichern, hieße demnach soviel als die Bücher der öffentlichen Benutzung zu entziehen, sei gleichsam ein Anbau, wie er vielfältig und noch immer vorkommt, der ein Feld unfruchtbar mache.

Man frage nicht, welche Wirkung diese Stiftung Borromeos auf die allgemeine Bildung gehabt habe; es würde leicht sein, mit ein paar Redensarten den Beweis zu führen, je nachdem man ihn eben führt, daß sie erstaunlich oder nichtig gewesen. Zu erforschen und bis zu einem gewissen Grade darzutun, welche Folgen sie in Wahrheit gehabt, dürfte eine sehr mühsame Sache sein, die keinen Vorteil brächte und nicht an der Zeit wäre. Man bedenke aber, was für ein großmütiger, einsichtiger, wohlwollender, standhafter Freund menschlicher Vervollkommnung derjenige sein mußte, der so etwas wollte, es auf diese Art wollte und es zustande brachte, inmitten jener Unwissenheit, jener Untätigkeit, jener allgemeinen Unlust an gelehrtem Fleiße, und demzufolge denn auch inmitten der: wozu führt's? und: war denn an gar nichts anderes zu denken? und: eine saubere Einrichtung! und: das fehlte nur noch! und ähnlicher Reden, deren ganz gewiß an Zahl mehrere gefallen sind, als von ihm zu dieser Unternehmung Scudi ausgegeben wurden, die hundertundfünftausend, meist aus seinen eigenen Mitteln, betrugen.

Um einen solchen Mann wohltätig und freigebig in hohem Grade zu nennen, dazu würde nicht eben erforderlich gewesen sein, daß er noch viel mehr zur unmittelbaren Unterstützung Hilfsbedürftiger ausgegeben hätte, und es gibt viele, deren Meinung nach Aufwand jener Art, und ich möchte fast sagen, aller Aufwand, das beste und nützlichste Almosen ist. Nach Federigos Meinung aber war das eigentlich sogenannte Almosen eine Hauptpflicht, und hier, wie im übrigen, stimmte sein Tun mit seiner Meinung überein. Sein Leben war ein fortwährendes Verschenken an Dürftige; bei Gelegenheit eben der Teuerung, wovon unsere Geschichte schon gesprochen hat, werden wir in der Folge einige Züge zu berichten haben, aus denen zu ersehen ist, mit welcher Weisheit und edeln Art er auch diese Freigebigkeit auszuüben verstand. Von den vielen schlagenden Beispielen, die seine Lebensbeschreiber von dieser seiner Tugend aufgezeichnet haben, wollen wir hier nur eins anführen. Da er in Erfahrung gebracht, daß ein Edelmann List und Zwang anwende, um eine seiner Töchter zur Nonne zu machen, die vielmehr wünschte, sich zu verheiraten, so ließ Federigo den Vater zu sich kommen, brachte ihn zum Geständnis, wie der wahre Beweggrund zu seinen Bedrängungen der sei, daß er nicht viertausend Scudi besitze, wie viel, nach seinem Dafürhalten, vonnöten, seine Tochter auf eine anständige Art zu vermählen, und steuerte sie mit viertausend Scudi aus. Vielleicht mag mancher dies für eine übermäßige, nicht wohlerwogene, gegen die törichte Laune eines Hochmütigen allzu gefällige Freigebigkeit ansehen und dafür halten, viertausend Scudi könnten so oder so besser angewendet werden. Und darauf haben wir nun eben nichts zu erwidern, als daß es doch zu wünschen wäre, man möchte recht oft Unmäßigkeiten einer von vorherrschenden Meinungen – eine jede Zeit hat die ihrigen – so freien, von der allgemeinen Richtung so abweichenden Tugend wie diejenige sehen, die in diesem Falle jemand bewog, viertausend Scudi dafür zu geben, daß ein Mädchen nicht gezwungen würde, Nonne zu werden.

Die unerschöpfliche Menschenliebe dieses Mannes tat sich nicht minder wie im Geben in seinem ganzen Wesen kund. Leicht zugänglich für jedermann, glaubte er besonders denen, die man Leute gemeinen Standes nennt, ein freundliches Gesicht, Güte und Leutseligkeit schuldig zu sein, und dies zwar um so mehr, je weniger sie deren in der Welt antreffen. Und auch deswegen hatte er mit den Ehrenmännern des ne quid nimis zu schaffen, die gern gewünscht hätten, er möchte in der Hinsicht nicht zuviel, nicht mehr als sie tun. Einstmals, als Federigo beim Besuche einer rauhen Gebirgsgegend einige kleine arme Knaben unterrichtete und sie während des Fragens und Lehrens liebkoste, warnte ihn einer von diesen, sich nicht so unvorsichtig mit den Kindern abzugeben, weil sie so unsauber und abschreckend wären; als ob der Wackere vorausgesetzt, Federigo hätte nicht gesunden Sinn genug besessen, um so etwas wahrzunehmen, oder nicht Verstand genug, um einen so geheimen Rat sich selber erteilen zu können. Dies ist in gewissen Zeiten und Verhältnissen das Unglück der mit gewissen Würden bekleideten Männer, daß, während so selten sich jemand findet, der ihnen ihre Vergehen vorhält, es doch niemals an Leuten fehlt, die dreist genug sind, sie deswegen zu tadeln, worin sie wohltun. Aber der gute Bischof versetzte nicht ohne Empfindlichkeit: »Es sind meine Seelen, und vielleicht werden sie mein Antlitz nimmer wiedersehen, und doch wollt ihr, daß ich sie nicht umarme?«

Sehr selten war jedoch Empfindlichkeit in ihm, der wegen einer Gelassenheit und eines unerschütterlich sanften Wesens bewundert wurde, die man einer ungewöhnlich glücklichen Sinnesart hätte zuschreiben mögen, anstatt, daß sie die Wirkung einer anhaltenden Zucht eines lebhaften und hitzigen Gemüts waren. Wenn er sich zuweilen streng, ja rauh bezeigte, so war dies mit den Pfarrern, seinen Untergebenen, die er des Geizes oder der Nachlässigkeit oder anderer Vergehen für schuldig befand, die gegen den Geist ihres edeln Amtes durchaus verstießen. Wegen dessen, was entweder seinen Vorteil oder seinen zeitlichen Ruhm berühren konnte, gab er niemals weder ein Zeichen von Freude, noch von Kummer, noch von Hitze, noch von Unruhe zu erkennen; bewundernswürdig, wenn diese Regungen nicht in seiner Seele erwachten, bewundernswürdiger, wenn sie darin erwachten. Er trug nicht nur aus den vielen Konklaves, denen er beiwohnte, den Ruf davon, niemals nach der Stelle Verlangen getragen zu haben, die dem Ehrgeize so wünschenswert und der Frömmigkeit so schreckbar ist; sondern auch als ein Mitbruder, der gewichtig genug war, ihm einstmals seine Stimme und die seiner – nur allzuwohl so genannten – Partei antrug, wies Federigo einen solchen Vorschlag auf eine Art und Weise zurück, daß jener den Gedanken aufgab und sich anderswohin wendete. Eben dieselbe Bescheidenheit, diese Entäußerung aller Herrschsucht, gaben sich auch in den gewöhnlichsten Vorfällen des Lebens zu erkennen. Achtsam und unermüdlich im Anleiten und Anordnen, wo er der Meinung war, daß es seine Pflicht sei es zu tun, enthielt er sich immer, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen; ja, sträubte sich sogar, wofern aufgefordert, nach Kräften, damit zu schaffen zu haben; eine Mäßigung und Enthaltsamkeit, die, wie ein jeder weiß, bei den für das Gute eifernden Männern, wie Federigo einer war, nicht gewöhnlich sind.

Wenn wir uns das Vergnügen machen wollten, die hervorstechenden Züge seines Charakters zu sammeln, so würde sich daraus ganz gewiß ein seltsames Gemisch von einander scheinbar widerstrebenden und sicherlich schwer zu vereinigenden Verdiensten ergeben. Indessen können wir nicht umhin, eine andere Eigentümlichkeit dieses schönen Lebens anzuführen: daß nämlich, so reich an Taten, so mit Staats- und Amtsgeschäften, mit Unterweisung, und Gehörgeben, mit Kirchsprengelbesuchen, Reisen, Streitigkeiten ausgefüllt, als es war, nicht allein zum Studieren darin Zeit, sondern sogar so viele Zeit verblieb, daß es für einen Gelehrten vom Fach hinreichend viel gewesen sein würde. Und in der Tat hatte er bei so vielen und vielfachen Ansprüchen an Ruhm bei seinen Zeitgenossen in hohem Grade den, ein gelehrter Mann zu heißen.

Wir dürfen freilich auch nicht verschweigen, daß er mit fester Überzeugung einigen Meinungen anhing und sie in der Tat mit langer Ausdauer verteidigte, die heutzutage jedermann viel mehr verwunderlich als unbegründet vorkommen dürften; ich meine, sogar denen, die sie noch so gern gutheißen würden. Wer ihn deshalb verteidigen möchte, der fände wohl dazu die ebenso gangbare als giltige Entschuldigung: daß es eher die Irrtümer seiner Zeit als seine eigenen waren; eine Entschuldigung, die, die Wahrheit zu sagen, wenn man sie aus der genauen Prüfung der Tatsachen abnimmt, triftig und bedeutsam werden kann; die aber, so nackt vorgeschützt, wie man es gewöhnlich tut, und wie wir in diesem Falle es gleichfalls tun müßten, recht eigentlich gar nichts besagt. Und deshalb, da wir verwickelte Fragen nicht mit einfältigen Formeln lösen wollen, unterlassen wir, sie zur Sprache zu bringen; indem wir uns daran genügen lassen, hiermit flüchtig angedeutet zu haben, daß wir eben nicht behaupten, ein im allgemeinen so bewundernswerter Mann sei es auch durchweg im einzelnen gewesen, auf daß es nicht scheine, als ob wir eine Leichenrede hätten halten wollen.

Wir tun unseren Lesern sicherlich kein Unrecht an, wenn wir mutmaßen, ein jeder von ihnen werde die Frage stellen: ob denn dieser Mann mit einem solchen Geiste und so vielem Wissen nicht irgend ein Denkmal hinterlassen habe? Ob er deren welche hinterlassen hat! An die hundert sind die von ihm hinterlassenen, teils großen, teils kleinen, teils lateinischen, teils italienischen, teils gedruckten, teils handschriftlichen Werke, die in der von ihm gegründeten Bibliothek aufbewahrt werden; moralische Abhandlungen, Gebete, historische Aufsätze, Schriften über kirchliche und weltliche Altertümer, über Literatur, Kunst und anderes.

– Und wie konnte es geschehen, sagt nun der Leser, daß so viele Werke vergessen wurden, oder wenigstens so wenig gekannt, so wenig aufgesucht werden? Wie war es möglich, daß bei so vielem Geist, bei solchem Fleiß, bei solcher Menschen- und Sachkenntnis, bei solchem Nachdenken, bei so vieler Leidenschaft für das Gute und Schöne, bei solcher Reinheit der Seele, bei so vielen anderen Eigenschaften der Art, die einen großen Schriftsteller machen, dieser in hundert Werken nicht ein einziges hinterlassen hat, das auch bei dem, der es etwa nicht in allem prüft, für vortrefflich gälte, und das auch, wer es nicht liest, dem Titel nach kennte? Wie geht es nur zu, daß sogar alle zusammen nicht hinreichend waren, wenigstens durch ihre Anzahl seinem Namen bei uns Nachkommen einen literarischen Ruf zu verschaffen?

Die Frage ist ohne Zweifel vernünftig und der Fall anziehend genug; denn die Ursachen dieses Phänomens liegen in vielen allgemeinen Umständen oder müßten wenigstens darin gesucht werden, und werden, sind sie aufgefunden, zu der Erklärung auch anderer ähnlicher Phänomene führen. Aber es würden ihrer viele und weitläufige werden, und dann, wenn sie euch nun etwa nicht behagten? wenn sie euch in die Nase führen? Also wird es wohl besser sein, daß wir den Lauf unserer Geschichte wieder verfolgen und anstatt länger von diesem Manne zu plaudern, ihn unter Anleitung unseres Autors handelnd auftreten sehen.


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