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Die Veilchenjungfrau.

Wendische Sage.

Vor vielen, vielen Jahren, als in den Ländern, die jetzt ein großes mächtiges Deutschland bilden, noch nicht das helle Licht des christlichen Glaubens leuchtete, da erhob sich in der Niederung der Elbe ein steiler Sandsteinkegel, den ein stolzes, weithin sichtbares Schloß krönte. Dieses Schloß beherrschte die ganze Gegend, von hier aus genoß man eine herrliche Fernsicht. Ueppige Felder, saftig grüne Wiesen, mächtige Wälder, in deren Dickicht noch Bär und Wolf hausten, während stolze Hirsche und zierliche Rehe am Waldesrande grasten, wechselten in bunter Reihe miteinander ab.

Wohlstand herrschte im Lande, ein fleißiges Volk, die Sorben-Wenden, hatte sich hier angesiedelt. Sie trieben Ackerbau und Viehzucht. Die Sorben-Wenden waren Heiden, sie beteten zu dem »Schwarzen Gotte« (Corny Bôh), dessen Standbild in einem heiligen Haine, oben auf dem Gipfel des Felsens, aufgestellt war. Oft zürnte der »Schwarze Gott«, dann hüllte sich die Bergesspitze in Wolken, und Hagel, Regenfluten, Blitz und Donner verkündeten dem zitternden Volke den Grimm des Gottes. Nur mit großen Opfern, durch glänzendes Gold, fette Rinder, glatte Rosse und gemästete Hammel konnte der Zorn des Gottes besänftigt werden. Das Besteigen des Berges war bei Todesstrafe verboten, nur zweimal im Jahre, zur Sommersonnenwende und am Tage der Wintersonnenwende, durfte das Volk hinauf auf den Berg ziehen, seinem Gott zu opfern und vor ihm zu beten.

Da zogen sie in hellen Scharen herbei; Männer, Frauen und Kinder. Zur Sommersonnenwende trugen sie Stäbe mit Frühlingsblumen geschmückt, besonders aus goldgelben Schlüsselblumen, blauem Gundermann, dessen balsamischer Duft das Herz erfreut, waren die Gewinde geflochten. Zur Wintersonnenwende trug man Stäbe aus frischem Fichtenholze mit Tannen grün umwunden.

Zahlreiche Opfer brachte man an diesen Tagen dar, und die Priester des schwarzen Gottes ermahnten mit beredten Worten das Volk zum Festhalten an seinem Glauben; sie schilderten die gräßlichen Strafen der Wankelmütigen, und diese Strenge befestigte den alten Glauben im Volke; selbst dann, als sich zahlreiche umwohnende Völker zum Christenglauben bekehrt hatten.

* * *

Zur selben Zeit lebte im Bistum Magdeburg ein frommer Mönch, namens Benediktus. Er stammte aus England und war auf Bonifazius' Wunsch nach Deutschland gekommen. Als Gefährte dieses heiligen Mannes hatte er Friesland, Hessen und Sachsen durchzogen. Lange blonde Locken umrahmten das edelgeschnittene Gesicht, aus seinen blauen Augen strahlten Milde und Güte. Seine Beredsamkeit und sein Glaubenseifer waren nachahmungswert.

Benediktus hörte von dem Wendenvolke, von der Beharrlichkeit, mit dem es an den falschen Göttern hing. Auch von der Mißachtung der christlichen Religion, und von den Greueln und Grausamkeiten, mit denen sie die Diener der heiligen Kirche verfolgten und verhöhnten.

»Ich will dem armen verblendeten Volke die Augen öffnen, ich will ihnen das heilige Evangelium predigen!« rief Benediktus aus. Trotzdem seine Brüder ihm die Gefahren, die ihn erwarteten, mit düsteren Farben schilderten, blieb er bei seinem Vorhaben.

»Gott will es! Er hat diesen Wunsch in meiner Seele entzündet. Gott will es!«

Bald waren alle Vorbereitungen zur Reise beendet. Von drei dienenden Brüdern begleitet, trat Benediktus seine gefahrvolle Wanderung nach dem Wendenlande an. Tausend Gebete und Segenswünsche folgten ihm.

Ende Frühling verließ der fromme Glaubensheld sein Kloster; so kam es, daß er zum Mittsommerfeste im Wendenlande eintraf.

Die Welt prangte in ihrem lieblichsten Schmucke. Auf Wiesen und Feldern grünte und blühte es, der Wald hatte sein schönstes hellgrünes Kleid angelegt, und vom wolkenlosen Himmel strahlte die goldene Sonne.

Benediktus schien es, als sei ihm die Welt noch nie so schön erschienen, als hätten die Blumen am Wegesrande noch nie so köstlich geduftet.

Freudigen Herzens eilte er seinem Ziele entgegen. Die ausgesandten Kundschafter berichteten von zahlreichen Volksversammlungen. Die Priester des schwarzen Gottes hatten Boten durchs Land geschickt, um die noch Säumigen zur Feier des Mittsommerfestes einzuladen. »Dieses Jahr,« so flüsterte es von Mund zu Munde, »würde der Corny Bôh Wundertaten verrichten und zeigen, daß er allein mächtig und groß sei. Er sei stärker als der Christengott, dessen eingeborener Sohn sein Leben am Kreuze gelassen habe.«

Als Benedikt solche Botschaft vernahm, verklärte sich sein Antlitz.

»Ich sehe, ich bin zur rechten Zeit ausgezogen,« erwiderte er frohgemut. »Vor versammeltem Volke will ich ihnen beweisen, daß ihr Gott ein Gebilde aus Menschenhand ist, das nur zürnt und züchtigt, während unser Gott ein Gott der Liebe, des Erbarmens ist, der selbst seinen eingeborenen Sohn hingab, damit er die Menschheit erlöse. Gott, mein Gott, für dich will ich zeugen, und sollte es in deinem Ratschluß beschlossen sein, so will ich mit meinem Blute Zeugnis für meinen Gott und meinen Glauben ablegen.«

Verwundert schauten die dienenden Brüder einander an. Auf Benediktus' Antlitz lag heller Glanz, aus seinen Augen strahlte helles Feuer, und ohne auf die Einwendungen seiner Begleiter zu achten, setzte er seinen Weg mitten durch die feindlich gesinnten Wendenzüge fort. Und seltsam, trotz der Uebermacht der Feinde geschah der kleinen Schar heiliger Männer kein Leid.

»Schaut dorthin,« rief Pater Benediktus eines Morgens, als die Nebel sich vor den sieghaften Sonnenstrahlen zerstreuten, »jener Felsen, der am Horizont aufsteigt, trägt auf seinem Gipfel das Schloß des Corny Bôh. Seht, wie die Sonnenstrahlen sich in dem glänzenden Gestein widerspiegeln.«

Je näher der fromme Mönch dem Berge kam, desto heller strahlte sein Antlitz, desto rascher eilte er vorwärts. Endlich am Fuße des Felsens hielt er still. Bewaffnete Heiden wehrten ihm den Aufstieg. Lächelnd erhob Benediktus seinen rechten Arm:

»Wer wagt es, meinen Schritten Einhalt zu gebieten?« fragte er mit weithin schallender Stimme. »Gott selbst, mein Gott, der Herr der Ewigkeit sendet mich hierher, euch sein heiliges Evangelium zu predigen. Wir Menschen sind wie das Gras vor seinem Angesicht, wenn der Wind darüber weht, so ist es nicht mehr; er allein ist der Gott der Kraft, der Stärke, der Ewigkeit.«

So sprach Benediktus, und siehe da, man öffnete den Mönchen eine Gasse; feierlich stiegen sie den Berg hinan, hinter ihnen drein drängte sich das Volk in dichten Scharen.

Langsam, gehoben und geschoben erreichte die Menge den Gipfel des Berges.

Mitten auf dem Bergrücken, mit dem Haupttor gegen Süden, stand das stolze Schloß. Das Schloßtor war weit geöffnet. Priester in lang wallenden schwarzen Gewändern schritten hervor, in den Händen trugen sie hellbrennende Fackeln. In ihrer Mitte bewegte sich eine weißgekleidete Jungfrau, deren Antlitz hinter einem dichten Schleier verborgen war. Auf dem Haupt trug sie einen Kranz blauer Veilchen, auch ihr Gewand war mit diesen holden Frühlingskindern geschmückt. Ihr folgte der Opferpriester des Corny Bôh, dessen Standbild von vier schwarz gekleideten riesengroßen Männern nachgetragen wurde. Frühlingsblumengewinde umschlangen die übermenschengroße Gestalt des Gottes, dessen Antlitz einen furchtbar drohenden Ausdruck trug. –

Scheu wich die Menge zurück.

»Corny Bôh zürnt! – Er zürnt uns!« murmelte das Volk, angstvolle, furchtsame Blicke nach dem Bilde werfend.

»Halt – halt – stehet still!« gebot plötzlich eine klare, helle Stimme.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, so wirkten diese Worte auf die Versammelten. Zitternd schauten sie bald das Gottesbild, bald den Frevler an, der es gewagt, sich dem Mächtigen in den Weg zu stellen.

»Halt! Halt! Setzt das Bild zur Erde nieder,« gebot Benediktus wieder, und – seltsam – bezwungen von der Kraft und Macht dieser Aufforderung, gehorchten die Träger. Langsam glitten die Stangen, die das Bild trugen, herab. Im selben Augenblick, als es den Erdboden berührte, zog Pater Benediktus blitzschnell einen Hammer unter seiner Kutte hervor und zerschmetterte mit wuchtigem Schlage den Kopf der Bildsäule.

Ein Schrei des Entsetzens tönte durch die Menge. Die Priester drängten sich herzu und umringten die Mönche; schon hob der Opferpriester seine Rechte, um Benediktus zu fassen, als die Jungfrau ihren Schleier zurückschlug und sich zwischen die Gegner warf.

»Haltet ein! Haltet ein! Er ist vom wahren Gott gesandt! Seht – o schaut, welch' heller Glanz sein Haupt umstrahlt!«

In diesem Augenblicke umwob ein Sonnenstrahl das blondumlockte Haupt des Mönches wie mit goldenem Scheine.

Eines Atemzuges Länge wichen die Angreifer zurück, doch der Opferpriester feuerte sie wieder an: »Tötet ihn, tötet den Frechen, der seine Hand gegen Corny Bôh aufhebt – tötet ihn, wir wollen ihn dem schwarzen Gotte als Sühneopfer darbringen! Bindet ihn, haltet ihn fest!«

Benediktus lächelte mild und gütig; er hielt seine Hände den Priestern dar: »Bindet mich, wenn ihr es vermögt! Mein Gott ist in mir Schwachen mächtig, er, der Himmel und Erde in seiner starken Hand hält, er wird mich schützen vor der Hand dieses falschen Priesters.«

Noch während Benediktus sprach, umringten ihn die fackeltragenden Priester; sie versuchten ihn zu binden – doch entsetzt wichen sie zurück – ein Donnerschlag dröhnte durch die sonnendurchleuchtete Luft, und plötzlich – niemand ahnte, wie es geschehen – stand die stolze Burg des Corny Bôh in hellen Flammen. Kein Windhauch bewegte die Luft, trotzdem wurde das Feuer zu immer neuer Glut angefacht. Mit reißender Schnelle fraß es um sich. Die rotgelben Zungen leckten blitzesschnell über den von den heißen Sonnenstrahlen ausgedörrten Grasboden, so daß das Schloß bald hinter einer Flammenwolke verschwand.

* * *

Tausende Sorben-Wenden ließen sich an diesem Tage taufen; sie erkannten, daß Benediktus ihnen den wahren Gott gepredigt hatte.

Weder den Opferpriester, noch einen aus seiner Schar, sah jemals ein menschliches Auge wieder. Von dem stolzen Schlosse sind nur wenige Ueberbleibsel erhalten geblieben. Auf derselben Stelle aber, wo die Jungfrau mit dem Veilchenkranze gestanden, sprießen in jedem Frühling tausende dieser holden Lenzkinder auf.

Heute noch gilt das Veilchen als Symbol der Herzensreinheit und Lieblichkeit; und alljährlich, zur Zeit der Sommersonnwende, schmücken sich die jungen Mädchen mit dem anspruchslosen, reizenden Blümchen, zum Angedenken an die Veilchenjungfrau im Wendenlande.


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