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IV. Die jungen Königinnen

Schliessen wir hier unsern jungen Bienenstock, wo der Kreislauf des Lebens von Neuem beginnt, wo das Leben sich ausbreitet und mehrt, um sich alsbald wieder zu teilen, wenn es den Gipfel seiner Macht und seines Glückes erreicht hat, und öffnen wir noch einmal den Mutterstock, um zu beobachten, was nach Abzug des Schwarmes darin geschieht.

Sobald die Aufregung des Aufbruches sich gelegt hat und zwei Drittel der Einwohner ohne Aussicht auf Wiederkehr ausgewandert sind, liegt der Stock verödet, wie ein Körper, der sein Blut verloren hat. Er ist matt, entkräftet, fast tot. Trotzdem sind einige tausend Bienen zurückgeblieben. Sie nehmen unverdrossen, wenn auch etwas gedrückt, die Arbeit wieder auf, suchen die Fehlenden so gut wie möglich zu ersetzen, entfernen die Spuren der vorangegangenen Orgie, verschliessen die zum Plündern freigegebenen Vorräte, befliegen die Blüten, wachen über die Speicher der Zukunft, kurz, sind sich ihrer Aufgabe bewusst und ihrer Pflicht, welche ein ganz bestimmtes Schicksal vorschreibt, treu ergeben.

Aber wenn die Gegenwart trübe erscheint, so ist alles, worauf das Auge fällt, von Hoffnungen erfüllt. Wir sind in einem jener Märchenschlösser der deutschen Sage, dessen Wände aus tausend und abertausend Phiolen bestehen, welche die Seelen der Ungeborenen enthalten. Wir sind an der Stätte des Lebens, das dem Leben vorausgeht. Überall ruhen in wohlverschlossenen Wiegen, in dem zahllosen Übereinander der wunderbaren sechseckigen Zellen, Myriaden von Nymphen, weisser als Milch, die Beine zusammengelegt und das Köpfchen über die Brust gebeugt, und warten auf die Stunde des Erwachens. Wenn man sie so sieht in ihrem einförmigen Grabe, das, aus seiner Umgebung herausgelöst, fast durchsichtig ist, so möchte man sagen, es sind eisgraue Zwerge in tiefem Sinnen oder Legionen von Jungfrauen, in die Falten ihres Leichentuches gehüllt und in sechskantige Prismen eingesargt, die ein unbezähmbarer Geometer bis zum Wahnsinn fort und fort gebaut hat.

Auf dem gesamten Umkreise dieser senkrechten Mauern, in denen eine werdende, sich wandelnde Welt ruht, die vier oder fünf Mal die Hülle wechselt und ihr Linnen im Finstern webt, tanzen ein paar hundert Arbeitsbienen flügelschlagend herum, um die nötige Wärme zu erzeugen und auch noch um eines dunkleren Zweckes willen, denn ihr Reigen weist aussergewöhnliche, methodische Bewegungen auf, die einen, wie ich glaube, bisher von keinem Beobachter erschlossenen Zweck haben.

Nach Verlauf weniger Tage reissen die Deckel dieser Myriaden von Urnen (man zählt deren in einem starken Bienenstock 60 000 bis 80 000), und zwei grosse ernste schwarze Augen kommen zum Vorschein, darüber ein paar Fühler, die das Dasein ringsum schon betasten, während die thätigen Kinnbacken die Öffnung erweitern. Sogleich kommen die Ammen herbei, helfen der jungen Biene aus ihrem Gefängnis heraus, stützen, bürsten und säubern sie und bieten ihr auf der Spitze ihrer Zunge den ersten Honig ihres neuen Lebens dar. Sie, die aus einer andern Welt kommt, ist noch betäubt, blass und schwankend; sie hat das hinfällige Aussehen eines kleinen Greises, der dem Grabe entronnen ist. Man möchte sagen, sie ist wie ein Wanderer, der mit dem flaumigen Staube der unbekannten, zum Dasein führenden Strassen bedeckt ist. Im übrigen ist sie vom Kopf bis zu Füssen vollkommen entwickelt, weiss unmittelbar alles, was sie zu wissen hat, und begiebt sich, gleich jenen Kindern des Volkes, die sozusagen schon in der Wiege lernen, dass sie nie die Zeit haben werden, zu lachen und zu spielen, alsbald nach den noch verdeckelten Zellen, um ebenfalls mit den Flügeln zu schlagen, sich rhythmisch zu bewegen und ihre noch schlummernden Schwestern zu wärmen, ohne dass es ihr in den Sinn käme, das erstaunliche Rätsel ihrer Bestimmung und ihrer Gattung lösen zu wollen.

 

Einstweilen bleiben ihr die anstrengendsten Verrichtungen freilich noch erspart. Sie verlässt den Stock erst acht Tage nach ihrer Geburt, um ihren ersten »Reinigungsausflug« zu machen und ihre Luftsäcke mit Luft zu füllen. Diese schwellen alsbald auf, weiten ihren ganzen Körper und vermählen sie von Stund an dem unendlichen Raume. Danach fliegt sie heim, wartet noch eine Woche und befliegt dann in Gemeinschaft mit ihren Altersgefährtinnen zum ersten Mal die Blüten, nicht ohne eine ganz bestimmte Aufregung zu verraten, die dem Bienenzüchter wohl bekannt ist. Man sieht in der That, wie sich die jungen Bienen fürchten, wie sie, die Kinder des Dunkels und der Enge, vor dem azurenen Abgrund und der unendlichen Einsamkeit des Lichtes schaudern, und ihre tastende Freude ist aus Schrecken gewebt. Sie bleiben vor der Schwelle stehen, sie zögern, fliegen zwanzig Mal aus und ein, wiegen sich in den Lüften, den Kopf beharrlich nach ihrem Geburtshause gewandt, beschreiben grosse Halbkreise nach oben und fallen plötzlich unter der Last eines Heimwehs herab; und ihre dreizehntausend Augen prüfen oder spiegeln wieder und behalten mit einander alle Bäume, den Springbrunnen, das Gitter, das Spalier, die Dächer und Fenster der Umgebung, bis die luftige Strasse, auf der sie heimwärts fliegen werden, so unwandelbar in ihr Gedächtnis eingegraben ist, als wäre sie mit dem Stahlgriffel in den Raum geritzt.

Da wir hier zufällig ein neues Mysterium berühren, so wollen wir es nicht unbefragt am Wege liegen lassen. Es ist immer vorteilhaft, ein Mysterium zu befragen, und wenn es keine Antwort giebt, so trägt doch selbst sein Schweigen zur Erweiterung unserer bewussten Unwissenheit bei, welche das fruchtbarste Feld unserer Thätigkeit ist. Wie also finden die Bienen ihre Wohnung wieder, die sie oft durchaus nicht sehen können, da sie meist unter Bäumen versteckt ist, und deren Flugloch jedenfalls nur ein winziger Punkt im Raume ist? Wie ist es möglich, dass man sie in einem Kasten zwei oder drei Kilometer vom Bienenstock fortbringen kann und sie ihn doch nur äusserst selten nicht wieder finden?

Sehen sie ihn durch die Gegenstände hindurch? Finden sie sich mit Hilfe von Merkzeichen zurecht oder besitzen sie etwa jenen besonderen, noch wenig bekannten Sinn, den wir gewissen Tieren, z. B. den Schwalben und Tauben, zuschreiben und den man den Richtungssinn nennt? Die Experimente von J. Fabre, Lubbock und vor allem Romanes (»Nature«, 29. Oktober 1886) scheinen zu beweisen, dass sie von diesem seltsamen Instinkt nicht geleitet werden. Andererseits habe ich mehr als einmal die Erfahrung gemacht, dass sie Form und Farbe des Bienenstockes keineswegs berücksichtigen. Sie scheinen sich mehr an den gewohnten Anblick des Bienenstandes, an die Lage des Flugloches und die Stellung des Flugbrettes zu halten. Das Flugbrett ist oft nichts als eine Fortsetzung des Brettes, auf dem der Bienenstock ruht, und bildet eine Art Vorhof oder Ruheplatz vor dem Haupteingang, dem sogenannten Flugloch. Aber selbst das ist nebensächlich, und wenn man z. B., während sie ihre Tracht holen, die Vorderseite ihrer Wohnung von oben bis unten verändert, so kommen sie nichtsdestoweniger aus den Tiefen des Horizontes direkt darauf zugeflogen und zögern nur in dem Augenblicke etwas, wo sie die unverkennbare Schwelle betreten. Ihre Orientierungsmethode scheint, soweit wir dies nach unseren Erfahrungen beurteilen können, vielmehr auf einem System von Merkzeichen zu beruhen und ausserordentlich fein und zuverlässig zu sein. Es ist nicht der Bienenstock, den sie wiedererkennen, es ist der Platz, den er unter den umliegenden Gegenständen einnimmt. Und dieser Ortssinn ist so wunderbar genau, so mathematisch sicher und so tief in ihr Gedächtnis eingegraben, dass, wenn der Bienenstock nach vier oder fünf Monaten der Einwinterung in einem dunklen Keller wieder an seinen Platz gestellt und das Flugloch wenige Zentimeter zur Seite gerückt wird, alle Bienen, wenn sie mit der ersten Tracht heimkehren, genau an der Stelle anfliegen, wo es sich im vorigen Jahre befand; nur allmählich finden sie tastend den verschobenen Eingang. Man möchte glauben, der Raum habe den ganzen Winter hindurch die unzerstörbare Spur ihrer Flüge sorgfältig bewahrt, und der Pfad ihrer Emsigkeit sei in die Luft eingegraben.

So kommt es auch, dass viele Bienen sich verirren, sobald man den Bienenstock wo anders hinstellt, ausgenommen, wenn es sich um eine grosse Reise handelt oder die ganze Gegend, die sie bis auf drei oder vier Kilometer im Umkreise genau kennen, völlig verändert ist, oder endlich, wenn man ein Brett vor dem Flugloche anbringt und ihnen dadurch begreiflich macht, dass sich etwas verändert hat, dass sie sich neu orientieren und andere Merkpunkte aussuchen müssen.

 

Indessen kehren wir zu dem sich allmählich wieder bevölkernden Bienenstocke zurück, in dem sich eine Wiege nach der andern öffnet und selbst der Stoff der Wände in Bewegung zu geraten scheint. Aber der Stock hat noch keine Königin. An den Rändern des Brutnestes erheben sich sieben bis acht bizarre Bauten, die an der rauhen Oberfläche der gewöhnlichen Zellen wie die Kreise und Protuberanzen aussehen, welche den photographischen Mondbildern ein so seltsames Gepräge geben. Es sind sozusagen runzelige Wachskapseln oder hängende, ringsum geschlossene Eicheln, die den Raum von drei oder vier Arbeitsbienenzellen einnehmen. Sie sitzen gewöhnlich auf einem Fleck, und eine zahlreiche, eigentümlich unruhige und aufmerksame Wache beschirmt diesen Teil des Stockes, über dem irgend ein Zauber zu walten scheint. Es ist das Reich der Mütter. In jede dieser Zellen ist vor Aufbruch des Schwarmes ein Ei gelegt, das genau so aussieht wie die, aus denen die Arbeitsbienen hervorgehen, sei es von der Königin selbst, sei es, was wahrscheinlicher ist, obwohl es bisher nicht festgestellt wurde, von den Arbeitsbienen, indem diese es von einer der benachbarten Zellen hinüberschafften.

Nach drei Tagen entsteht aus dem Ei eine kleine Larve, die eine besondere, möglichst reichliche Nahrung erhält, und nun können wir die Natur in der Verfolgung einer ihrer beliebtesten Methoden belauschen, die, handelte es sich um den Menschen, sogleich den anspruchsvollen Namen Verhängnis erhalten würde. Die kleine Larve macht infolge dieser Behandlungsart eine ganz besondere Entwickelung durch und ihr Geist und Körper verändert sich dergestalt, dass die Biene, die aus ihr hervorgeht, einer ganz anderen Insektengattung anzugehören scheint. Die Königin – denn sie ist es – lebt vier bis fünf Jahre, statt fünf oder sechs Wochen. Ihr Hinterleib ist zweimal länger, von hellerer, goldiger Farbe, ihr Stachel ist gekrümmt, ihre Augen zählen nur sechs- bis siebentausend Facetten, statt zwölf- oder dreizehntausend. Ihr Hirnschädel ist enger, aber ihre Eierstöcke sind mächtig entwickelt, und sie besitzt ein besonderes Organ, die sogenannte Samentasche, die sie gewissermassen zweigeschlechtig macht. Sie besitzt keinerlei Arbeitswerkzeuge, weder Organe zur Wachsbildung, noch Bürsten und Körbchen zum Einsammeln des Blütenstaubes. Sie hat keine der Gewohnheiten und Leidenschaften, die uns von der Biene unzertrennlich scheinen. Sie empfindet keinen Sonnendurst, kein Verlangen nach dem Luftraume, sie stirbt, ohne auch nur eine Blume beflogen zu haben. Sie verbringt ihr Dasein im Dunkeln und in der Enge des Bienenstockes, voll unermüdlichen Verlangens nach Wiegen für die Brut. Dafür lernt sie allein die Freuden der Liebe kennen. Sie weiss nicht, ob sie das Licht zweimal in ihrem Leben erblicken wird, denn das Schwärmen ist nicht unbedingt notwendig; vielleicht wird sie nur ein einziges Mal ihre Flügel gebrauchen, aber dieser einzige Ausflug gilt ihrem Geliebten. Es ist sonderbar zu sehen, dass so viele Dinge, Organe, Gedanken, Sehnsüchte und Gewohnheiten, kurz, ein ganzes Schicksal, sich dergestalt nicht in einem Samen befindet – dies wäre das gewöhnliche Wunder von Pflanze, Tier und Mensch, – sondern in einem fremden, trägen Stoffe: nämlich in einem Honigtropfen. Einige Bienenzüchter behaupten, dass Arbeitsbienen und Königinnen, sobald sie das Ei verlassen haben, dieselbe Nahrung erhalten, eine Art stickstoffreicher Milch, welche die Pflegerinnen aus einer Kopfdrüse ausscheiden. Doch werden die Arbeitsbienenlarven nach einigen Tagen entwöhnt und fortan mit gröberer Nahrung, Honig und Pollen, gespeist, während die junge Königin bis zu ihrer vollständigen Entwickelung reichlich mit jener kostbaren Milch ernährt wird, die man den »Königstrank« genannt hat. Wie dem aber auch sei, der Erfolg und das Wunder bleiben die gleichen.

 

Ungefähr eine Woche ist seit dem Scheiden der alten Königin verstrichen. Die königlichen Nymphen, die in ihren Kapseln schlummern, sind nicht alle gleichalterig, denn die Bienen haben ein Interesse daran, dass die Königinnen nur nach einander auskommen, je nachdem das Volk sich entscheidet, einen zweiten, dritten oder vierten Schwarm dem ersten nachzusenden. Seit einigen Stunden tragen sie die Wände der reifsten Zelle allmählich ab, und bald streckt die junge Königin, die von innen gleichzeitig an dem gerundeten Deckel nagt, den Kopf heraus, kommt halb zum Vorschein und kriecht schliesslich mit Hilfe der Wärterinnen, die herbeilaufen, sie bürsten, reinigen und liebkosen, ganz aus, um ihre ersten Gehversuche auf der Wabe zu machen. Sie ist, wie die auskriechenden Arbeitsbienen, bleich und schwankend, aber nach zehn Minuten steht sie schon fest auf den Beinen und läuft voller Unruhe, in dem Gefühl, dass sie nicht allein ist, dass sie ihr Reich erobern muss, dass es irgendwo noch Prätendenten giebt, über alle Wachsmauern hin und sucht nach ihren Nebenbuhlerinnen. Hier greift nun die Weisheit, der Instinkt, der Geist des Bienenstockes oder die Masse der Arbeitsbienen mit einer geheimnisvollen Entscheidung ein. Am überraschendsten ist es, wenn man den Gang dieser Ereignisse in einem Bienenstock mit Glaswänden mit den Augen verfolgen kann. Denn man gewahrt nie das geringste Zaudern, die geringste Uneinigkeit. Man findet nie das geringste Zeichen von Zwist und Streit. Eine vorherbestimmte Einmütigkeit herrscht überall; es ist dies der Dunstkreis des Bienenstaates, und jede Biene scheint im voraus zu wissen, was die andern denken werden. Trotzdem ist der Augenblick für sie sehr ernst; es ist, genau genommen, der Augenblick, wo es sich um Leben und Bestand des Stockes handelt. Sie haben zwischen drei oder vier weittragenden Möglichkeiten zu wählen, die in ihren Folgen völlig verschieden sind und durch ein Nichts verhängnisvoll werden können. Sie haben die eingeborene Leidenschaft oder Pflicht der Vermehrung der Art mit der Erhaltung des Bienenstockes und seiner Sprösslinge in Einklang zu bringen. Bisweilen greifen sie fehl und senden nach einander vier oder fünf Schwärme aus, wodurch der Mutterstock übermässig geschwächt wird. Sie sind dann nicht mehr im stande, sich schnell genug zu vermehren, werden durch unser Klima überrascht, welches nicht das Klima ihres Ursprungslandes ist, das sie trotz allem noch immer in Erinnerung behalten, und gehen mit Einbruch des Winters zu Grunde. Sie werden so das Opfer des sogenannten Schwarmfiebers, das, wie das gewöhnliche Fieber, eine Art von zu heftiger Reaktion des Lebens ist, die über das Ziel hinausschiesst, den Kreis schliesst und mit dem Tode endigt.

 

Von diesen Entschlüssen, die sie fassen können, scheint keiner vorherbedingt zu sein, und der Mensch kann, wenn er blosser Zuschauer bleibt, nicht voraussehen, welchen sie wählen werden. Aber dass diese Wahl allemal überlegt ist, das geht daraus hervor, dass er sie beeinflussen und selbst herbeiführen kann, indem er gewisse Umstände modifiziert, z. B. wenn er den Raum, den er ihnen zur Verfügung stellt, verkleinert oder vergrössert, indem er gefüllte Honigwaben mit leeren Waben, die Arbeitsbienenzellen enthalten, vertauscht und umgekehrt.

Es handelt sich also für sie nicht darum, ob sie sofort einen zweiten oder dritten Schwarm aussenden werden; dies wäre, könnte man sagen, nur eine blinde Entschliessung, die durch die Launen und Reizungen einer guten Stunde veranlasst wird; es handelt sich vielmehr darum, vom Fleck weg und in voller Übereinstimmung Massregeln zu ergreifen, die es ihnen ermöglichen, drei bis vier Tage nach Geburt der ersten Königin einen neuen Schwarm, und drei Tage nach Aufbruch der jungen Königin mit diesem Schwarme einen dritten Schwarm auszusenden. Man kann nicht leugnen, dass hierin ein ganzes System, eine ganze Kombination von zukünftigen Dingen liegt, die sich, wenn man die Kürze ihres Lebens in Erwägung zieht, über einen beträchtlichen Zeitraum erstreckt.

 

Diese Massregeln nun betreffen die Pflege der jungen Königinnen, die noch in ihren Wachssärgen schlafen. Ich will annehmen, der »Geist des Bienenstockes« entschliesst sich, keinen zweiten Schwarm auszusenden. Auch dann stehen noch zwei Wege offen. Sollen sie der Erstgeborenen unter den jungen Prinzessinnen, deren Geburt wir beiwohnten, gestatten, ihre feindlichen Schwestern zu vernichten, oder sollen sie abwarten, bis sie die gefährliche Zeremonie des Hochzeitsausfluges vollzogen hat, von der die Zukunft des Volkes abhängen kann? Zuweilen lassen sie den unmittelbaren Mord zu, oft auch widersetzen sie sich ihm, aber man sieht ein, dass es schwer zu sagen ist, ob dies in Voraussicht der Gefahren des Hochzeitsausfluges geschieht oder weil ein zweiter Schwarm ausgesandt werden soll, denn es ist oft beobachtet worden, dass sie sich zur Aussendung eines zweiten Schwarmes entschlossen, dann aber plötzlich ihren Willen geändert und die ganze, vor der Wut der Erstgeborenen beschirmte Nachkommenschaft vernichtet haben, sei es, dass die Witterung zu ungünstig wurde, sei es aus einem anderen, für uns undurchdringlichen Grunde. Aber nehmen wir einmal an, sie hätten auf das Schwärmen verzichtet und die Gefahren des Hochzeitsausfluges angenommen. Wenn also unsere junge Königin, von Eifersucht getrieben, sich dem Gebiet der königlichen Wiegen naht, so macht die Wache ihr Platz; sie stürzt sich in ihrer Eifersucht wutentbrannt auf die erste Zelle, die sie trifft, und sucht mit Füssen und Zähnen die Wachshülle zu zerreissen. Sie erbricht die Zelle, zerreisst das Gespinnst, mit dem die Innenwände bekleidet sind, entblösst die schlafende Prinzessin, und wenn ihre Nebenbuhlerin bereits erkenntlich ist, dreht sie sich um, führt ihren Stachel in die Zelle ein und bohrt ihn wild in den Leib der Gefangenen, bis diese den Wunden der vergifteten Waffe erliegt. Dann beruhigt sie sich; der Tod, der dem Hass aller Wesen eine geheimnisvolle Schranke setzt, scheint sie zu befriedigen, und sie zieht ihren Stachel heraus, um sich einer anderen Zelle zuzuwenden. Sie öffnet diese gleichfalls, lässt sie jedoch unversehrt, sobald sie nur eine Larve oder unentwickelte Nymphe darin findet, und hält erst dann inne, wenn sie, röchelnd und erschöpft, mit ihren Zähnen an den Wachsmauern kraftlos abgleitet.

Die Bienen, die um sie sind, sehen ihrem Thun zu, ohne daran teilzunehmen, und weichen zurück, um ihr freies Feld zu lassen, aber sobald sie eine Zelle erbrochen und zerstört hat, eilen sie herbei, zerren den Leichnam, die noch lebendige Larve oder die verletzte Nymphe hervor und schaffen sie aus dem Stocke, um sich alsdann voller Gier über die königliche Nahrung zu stürzen, die auf dem Zellenboden zurückgeblieben ist. Wenn schliesslich die Wut ihrer erschöpften Königin nachlässt, vollenden sie selbst den Mord der Unschuldigen, und das Königsgeschlecht verschwindet mitsamt seinen Häusern.

Es ist dies neben der Drohnenschlacht, die übrigens noch entschuldbarer ist, die furchtbarste Stunde des Bienenstockes, die einzige, wo die Arbeitsbienen dem Tod und der Zwietracht Einlass in ihr Haus gewähren, und auch hier, wie so oft in der Natur, sind es die Bevorzugten der Liebe, welche die aussergewöhnlichen Zeichen des gewaltsamen Todes tragen.

Bisweilen – doch der Fall ist selten, denn die Bienen wissen ihm vorzubeugen – kommen zwei Königinnen zugleich aus. Dann entspinnt sich gleich nach Verlassen der Wiege der tödliche Zweikampf, der Huber Gelegenheit zu einer eigentümlichen Entdeckung gab.

Jedesmal, wenn die beiden Jungfrauen in ihren Chitinpanzern einander so gegenüberstehen, dass sie sich, wenn sie ihren Stachel zücken, gegenseitig durchbohren würden, scheint, wie in den Kämpfen der Ilias, ein Gott oder eine Göttin – vielleicht der Gott oder die Göttin der Rasse – sich ins Mittel zu legen, und die beiden Kriegerinnen lassen von einander ab, wie in plötzlichem Schrecken, und fliehen sich gegenseitig voller Entsetzen, um alsbald wieder auf einander loszufahren, sich abermals zu fliehen, wenn das zwiefache Verhängnis die Zukunft ihres Volkes von neuem bedroht, und so fort, bis es einer von beiden gelingt, ihre Nebenbuhlerin bei einer unvorsichtigen oder ungeschickten Bewegung zu überlisten und gefahrlos zu töten.

Denn das Gesetz der Gattung heischt nur ein Opfer.

 

Hat die junge Königin dergestalt die königlichen Wiegen zerstört oder ihre Nebenbuhlerinnen ermordet, so wird sie von dem Volke anerkannt, und es bleibt ihr, um wirklich zu regieren und so behandelt zu werden, wie ihre Mutter, nur noch eins übrig, nämlich den Hochzeitsausflug zu vollziehen; denn die Bienen kümmern sich wenig um sie und erweisen ihr wenig Ehre, so lange sie unfruchtbar ist. Aber oft ist ihre Geschichte nicht so einfach, und die Arbeitsbienen verzichten selten auf das Vergnügen, noch ein zweites Mal zu schwärmen.

In diesem wie in dem obigen Falle nähert sie sich, von demselben Verlangen getrieben, den Königinnenzellen, aber statt hier unterwürfige Dienerinnen und Zuspruch zu finden, prallt sie gegen eine zahlreiche, feindselige Wache, die ihr den Weg versperrt. Von ihrem fixen Gedanken getrieben, sucht sie zornig den Durchgang zu erzwingen oder zu umgehen, allein überall trifft sie auf Schildwachen, welche die schlummernden Prinzessinnen behüten. Hartnäckig versucht sie zum zweiten Male durchzubrechen, sie wird immer unwirscher zurückgewiesen und selbst misshandelt, und schliesslich begreift sie dunkel, dass die kleinen unbeugsamen Arbeitsbienen ein Gesetz vertreten, vor dem das ihre zurückstehen muss.

Zuletzt zieht sie sich zurück und tobt ihren ungestillten Zorn von Wabe zu Wabe aus, wobei sie jenes, dem Bienenzüchter so wohlbekannte, Kriegsgeschrei oder vielmehr jenen drohenden Klagegesang ertönen lässt, der wie ein ferner silberner Trompetenton klingt und doch so deutlich vernehmbar ist in seiner zornigen Schwäche, dass man ihn, namentlich des Abends, durch die doppelten Wände des bestverschlossenen Stockes hindurch auf drei oder vier Meter Entfernung hört.

Dieser königliche Zornruf ist von magischer Wirkung auf die Arbeitsbienen. Er versetzt sie in eine Art von Schrecken oder ehrfürchtiger Starre, und wenn die Königin ihn auf den verteidigten Zellen ausstösst, so halten die Wachen, die sie umringen und fortzuzerren suchen, plötzlich inne, neigen den Kopf und warten regungslos, bis er verklungen ist. Man nimmt übrigens an, dass der Totenkopfschmetterling (Acherontia atropos) diesen Ruf nachahmt und durch die bezaubernde Wirkung desselben in die Stöcke einzudringen und sich voll Honig zu saugen vermag, ohne dass die Bienen an eine Abwehr denken.

Zwei oder drei Tage, bisweilen auch fünf, irrt dies zornige Ächzen durch den Bienenstock und ruft die beschützten Prätendenten zum Kampfe heraus. Inzwischen haben diese sich völlig entwickelt, drängen zum Lichte empor und beginnen an ihren Zellendeckeln zu nagen. Eine grosse Gefahr scheint den Staat zu bedrohen. Aber der Geist des Bienenstockes hat, als er seine Entschliessung traf, alle ihre Folgen vorausgesehen, und die wohl unterrichteten Schildwachen wissen Stunde für Stunde, was sie zu thun haben, um Überraschungen von Seiten eines entgegengesetzten Instinktes zuvorzukommen und die beiden feindlichen Gewalten zum Ausgleich zu führen. Es ist ihnen also wohl bewusst, dass die jungen Königinnen, die es in ihrem Kerker nicht mehr duldet, wenn sie wirklich auskämen, in die Hand ihrer bereits unbesieglichen älteren Schwester fallen und eine nach der anderen den Tod erleiden würden. Sobald also eine der lebendig Eingemauerten die Thore ihres Turmes von innen zu öffnen sucht, bauen sie von aussen eine neue Lage von Wachs vor, und die ungeduldige Gefangene arbeitet hartnäckig an ihrer Befreiung, ohne zu ahnen, dass sie eine Zauberwand durchnagt, die immer wieder nachwächst. Sie vernimmt dabei die Herausforderung ihrer Nebenbuhlerin, und da sie ihre Bestimmung und ihre königliche Pflicht kennt, noch ehe sie einen Blick ins Leben hat thun können, ehe sie weiss, wie ein Bienenstock aussieht, so antwortet sie aus der Tiefe ihres Kerkers. Da aber ihr Ruf durch die Wände eines Grabes dringen muss, so klingt er ganz anders, erstickt und hohl, und wenn der Bienenzüchter gegen Abend, wenn aller Tageslärm sich legt und das Schweigen der Sterne heraufzieht, am Eingang seiner Wunderstädte horcht, so vernimmt und versteht er das Zwiegespräch der umherirrenden Jungfrau mit den noch eingekerkerten.

 

Diese verlängerte Haft ist den jungen Prinzessinnen übrigens höchst heilsam. Wenn sie auskriechen, sind sie reifer und kräftiger, und schon zum Ausfliegen bereit. Andererseits hat das Warten auch die freie Königin gestärkt, so dass sie jetzt im stande ist, den Gefahren des Schwärmens zu trotzen. Der zweite oder Nachschwarm verlässt alsdann die Wohnung, an der Spitze die erstgeborene Königin. Unmittelbar nach ihrem Aufbruch lassen die im Stocke zurückgebliebenen Arbeitsbienen eine der Gefangenen frei, und diese zeigt alsbald dieselbe Mordlust, stösst denselben Zornesruf aus und verlässt drei Tage später an der Spitze des dritten Schwarmes ebenfalls den Stock u. s. w., – im Falle des »Schwarmfiebers« bis zur völligen Erschöpfung des Mutterstockes. Der alte holländische Naturforscher Swammerdam erwähnt einen Bienenstock, der durch seine Schwärme und die Schwärme dieser Schwärme in einem Jahre dreissig Kolonien gründete.

Diese ausserordentliche Vervielfältigung lässt sich namentlich nach strengen Wintern beobachten, wie wenn die stets mit dem geheimen Willen der Natur vertrauten Bienen sich der ihrer Gattung drohenden Gefahren bewusst wären. Aber bei normaler Witterung und bei starken, richtig behandelten Völkern bricht das Schwarmfieber selten aus. Viele schwärmen nur einmal, manche überhaupt nicht.

Gewöhnlich verzichten die Bienen schon nach Absendung des zweiten Schwarmes auf eine weitere Volksteilung, sei es, dass sie eine übermässige Schwächung des Mutterstockes befürchten, sei es, dass die Ungunst des Wetters ihnen Besonnenheit auferlegt. Sie gestatten dann der dritten Königin, den Rest der Gefangenen zu morden, und das regelmässige Leben tritt wieder ein. Der Eifer, mit dem die Arbeit wieder aufgenommen wird, ist dabei um so grösser, als fast alle Arbeitsbienen noch sehr jung sind und ihr Stock verarmt und entvölkert ist, so dass grosse Lücken noch vor Einbruch des Winters ausgefüllt werden müssen.

 

Die Vorgänge beim Ausfliegen des zweiten und dritten Schwarmes sind genau dieselben wie beim ersten, nur sind diese Schwärme weniger volkreich und vorsichtig, denn sie senden keine Spürbienen aus, und die junge, jungfräuliche Königin mit ihrem unbeschwerten Körper fliegt in ihrem Eifer viel weiter und reisst den Schwarm nach dem ersten Anlegen zu einer grossen Entfernung vom Mutterstocke fort. Es kommt hinzu, dass diese zweite und dritte Auswanderung viel tollkühner und das Schicksal solcher Schwärme recht ungewiss ist. Sie haben als Vertreterin der Zukunft nur eine ungeschwängerte Königin bei sich, und ihr ganzes Geschick hängt von dem bevorstehenden Hochzeitsausfluge ab. Ein vorüberfliegender Vogel, einige Regentropfen, ein kalter Wind, ein Irrtum genügen, um das unabwendbare Verhängnis heraufzubeschwören. Die Bienen sind sich dessen so wohl bewusst, dass sie trotz ihrer schon festen Anhänglichkeit an ihre erst seit einem Tage bezogene Wohnung, und trotzdem die Arbeit schon begonnen hat, oft alles im Stiche lassen und ihre junge Herrin auf der Suche nach ihrem Geliebten begleiten, um sie ja nicht aus den Augen zu verlieren, sie mit tausend treuen Flügeln zu bedecken und zu schirmen, oder mit ihr unterzugehen, wenn die Liebe sie so weit von dem Stocke fortreisst, dass der noch ungewohnte Rückweg in ihrem Gedächtnis schwankt und sich verwirrt.

 

Aber das Gesetz der Zukunft ist so mächtig, dass keine Biene angesichts dieser Unsicherheit und dieser Gefahren zaudert. Die Begeisterung des zweiten und dritten Schwarmes kommt der des ersten gleich. Sobald der Mutterstock seine Entscheidung gefällt hat, findet jede der gefährlichen jungen Königinnen eine Schar von Arbeitsbienen, die ihr Glück mit ihr versuchen wollen und sie auf ihrer Reise begleiten, auf der viel zu verlieren und nichts zu gewinnen ist, als die Hoffnung auf Befriedigung eines Triebes. Wer giebt ihnen diese Energie, die wir nie haben, mit der Vergangenheit zu brechen, wie mit einem Feinde? Wer wählt aus der Menge die aus, welche aufbrechen sollen, und die, welche bleiben? Es ist nicht die und die Altersklasse, die geht oder bleibt: hierher die Jüngsten, dorthin die Ältesten. Um jede der auf Nimmerwiedersehen aufbrechenden Königinnen scharen sich ganz alte und ebenso ganz junge Bienen, die sich zum ersten Mal dem schwindeltiefen Luftraum anvertrauen. Ebensowenig ist es der Zufall, die Gelegenheit, das vorübergehende Aufflackern oder Verblassen eines Gedankens, Instinktes oder Gefühls, was das Stärkeverhältnis des Schwarmes bestimmt. Ich habe mich oft bemüht, das Zahlenverhältnis zwischen den bleibenden und scheidenden Bienen festzustellen, und ich habe, wiewohl die Schwierigkeiten des Experimentes nicht zu mathematisch genauen Resultaten führten, doch feststellen können, dass dieses Verhältnis, – die Stärke des Brutnestes, d. h. der bevorstehenden Geburten, eingerechnet, – konstant genug ist, um eine wirkliche geheimnisvolle Berechnung durch den Geist des Bienenstockes anzunehmen.

 

Wir wollen den Abenteuern dieser Schwärme nicht folgen. Sie sind zahlreich und oft verwickelt. Bisweilen vermischen sich zwei Schwärme, manchmal kommt es auch vor, dass zwei oder drei der gefangenen Königinnen in der Aufregung des Aufbruches ihren Wachen entrinnen und der sich bildenden Traube anschliessen. Bisweilen benutzt auch eine der jungen Königinnen, wenn sie von Drohnen umringt wird, die Gelegenheit des Schwärmens, um sich befruchten zu lassen, und reisst dann ihr Volk zu einer ausserordentlichen Höhe und Entfernung mit sich fort. In der Praxis der Bienenzucht führt man diese zweiten und dritten Schwärme dem Mutterstocke wieder zu. Die Königinnen treffen im Baue wieder auf einander, die Arbeitsbienen bilden einen Kreis um ihren Kampfplatz, und wenn die Tüchtigere gesiegt hat, so entfernen sie in ihrer Ordnungsliebe und Emsigkeit alsbald die Leichen aus dem Stock, beugen künftigen Gewaltthätigkeiten vor, vergessen das Vergangene, klettern wieder in die Zellen hinauf und fliegen von neuem auf friedlichen Pfaden zu den ihrer harrenden Blumen.

 

Zur Vereinfachung unserer Darstellung wollen wir die Geschichte der jungen Königin da wieder aufnehmen, wo die Bienen ihr erlauben, ihre Schwestern in ihren Wiegen zu ermorden. Wie ich schon sagte, dulden sie diesen Mord oft nicht, auch wenn sie nicht die Absicht zu hegen scheinen, einen zweiten Schwarm auszusenden. Oft aber lassen sie ihn auch zu, denn der politische Sinn der einzelnen Bienenstöcke desselben Bienenstandes ist eben so verschieden, wie der der Nationen desselben Erdteils. Aber es steht fest, dass sie eine Thorheit begehen, wenn sie ihn zulassen, denn wenn die Königin bei ihrem Hochzeitsausfluge umkommt oder sich verirrt, so ist niemand da, der sie ersetzen könnte, und die Arbeitsbienenlarven sind zu alt geworden, um in Königinnenlarven verwandelt werden zu können. Doch die Thorheit ist nun einmal geschehen, und die erstgeborene unter den jungen Königinnen ist von ihrem Volke als alleinige Herrin anerkannt worden. Sie ist aber noch Jungfrau. Um ihrer Mutter, an deren Stelle sie getreten ist, in allen Stücken zu gleichen, muss sie in den ersten zwanzig Tagen nach ihrer Geburt den Gatten finden. Geschieht dies aus irgend einem Grunde später, so bleibt sie unwiderruflich Jungfrau. Nichtsdestoweniger ist sie, wie ich schon gesagt habe, auch als solche nicht unfruchtbar. Es handelt sich hier um jenes grosse Mysterium, jene Vorsicht oder Laune der Natur, die man Parthenogenesis nennt und die sich bei einer Reihe von Insekten findet, z. B. bei den Blattläusen, den Schmetterlingen der Gattung Psyche, den Hautflüglern aus der Familie der Gallwespen (Cynipidae) u. s. w. Die jungfräuliche Königin vermag also Eier zu legen, als ob sie befruchtet wäre, aber aus allen diesen Eiern, mögen sie in grosse oder kleine Zellen gelegt werden, entstehen nur Drohnen, und da diese nie arbeiten, sondern stets auf Kosten der (weiblichen) Arbeitsbienen leben, ja, nicht einmal ihre eigne Nahrung suchen noch für ihren Unterhalt sorgen können, so tritt wenige Wochen nach dem Tode der letzten erschöpften Arbeitsbienen der völlige Ruin und Untergang des Stockes ein. Die Jungfrau gebiert also nur tausende von Drohnen und jede dieser Drohnen oder männlichen Bienen besitzt Millionen von Samenfäden, von denen doch kein einziger in ihren Organismus eindringen kann. Das ist nicht erstaunlicher, wenn man will, als tausend analoge Erscheinungen, denn wenn man sich mit dergleichen Problemen beschäftigt, insbesondere mit denen der Zeugung, so scheint das Wunderbare und Unerwartete gar kein Ende mehr zu nehmen, und alles macht einen noch viel fabelhafteren Eindruck, als in den seltsamsten Märchen und Zaubergeschichten; man gerät auch bald in ein so beständiges Staunen, dass man ziemlich schnell das Gefühl der Verwunderung verliert. Aber die Thatsache ist darum nicht minder verwunderlich. Wie soll man sich andererseits die Absicht der Natur erklären, wenn sie die verderblichen Drohnen auf Kosten der nötigen und nützlichen Arbeitsbienen derart begünstigt? Fürchtet sie, der weibliche Verstand würde danach trachten, die Zahl dieser Schmarotzer über Gebühr zu beschränken? Oder ist es eine übermässige Reaktion gegen das Unglück einer unfruchtbaren Königin? Ist es einer jener Fälle von zu gewaltsamer, blinder Vorsicht, welche den Grund des Übels nicht erkennt, über das Ziel hinausschiesst und, um einem schlimmen Zufall vorzubeugen, eine Katastrophe herbeiführt? In der Wirklichkeit – doch vergessen wir nicht, dass diese Wirklichkeit nicht ganz die natürliche, primitive Wirklichkeit ist, denn im Urwalde könnten die einzelnen Kolonien weit mehr zerstreut werden, als heutzutage, – in der Wirklichkeit liegt, wenn eine Königin nicht geschwängert wird, die Schuld meist nicht an den Drohnen, die immer zahlreich sind und von sehr weit herbeikommen, sondern an Regen oder Kälte, durch die sie zu lange an den Stock gefesselt wurde, oder wohl gar an ihren unvollkommenen Flügeln, die es ihr unmöglich machen, den Drohnen auf ihrem hohen Fluge zu folgen. Trotzdem kümmert sich die Natur nicht im mindesten um diese tieferen Ursachen und hat nur das eine leidenschaftliche Streben, möglichst viel Drohnen hervorzubringen. Sie durchkreuzt noch andere Gesetze, um dies Ziel zu erreichen, und man kann in weisellosen Stöcken oft zwei oder drei Arbeitsbienen von einem solchen Verlangen nach Erhaltung der Art ergriffen sehen, dass sie sich trotz ihrer verkümmerten Eierstöcke zum Eierlegen zwingen. In der That schwellen diese Organe unter dem Drucke eines verzweifelten Willens auf und ergeben einige Eier, aber aus ihnen, wie aus denen der ungeschwängerten Königin, entstehen nur Drohnen.

 

Man kann hier einen überlegenen, aber vielleicht unüberlegten Willen, der den bewussten Willen einer Lebensform unrettbar kreuzt, gewissermassen auf frischer That und mitten in seinem Eingreifen beobachten. Derartige Eingriffe sind in der Insektenwelt nicht selten. Es ist sehr eigenartig, sie hier zu beobachten; diese Welt ist bevölkerter und vielfältiger als die andern, gewisse Absichten der Natur treten deutlicher hervor und man überrascht sie hier bei Versuchen, die man für unabgeschlossen halten könnte. Sie hat z. B. ein grosses allgemeines Bestreben, das sie überall offenbart: die Verbesserung der Art durch den Sieg des Stärksten. Gewöhnlich bewegt sich der Kampf in ganz bestimmten Bahnen. Die Hekatombe der Schwachen ist ungeheuer, doch was verficht das, wenn dem Sieger nur ein wirksamer und gewisser Lohn zu teil wird? Aber es giebt Fälle, wo man sagen möchte, sie habe noch keine Zeit gehabt, ihre Kombinationen ins klare zu bringen, wo der Lohn nicht erfolgt, oder das Schicksal des Siegers ebenso verhängnisvoll ist, wie das der Besiegten. Um z. B. bei unseren Bienen zu bleiben, so wüsste ich nichts, was in dieser Hinsicht auffälliger wäre, als die Geschichte der Triangulinen der Gattung Sitaris colletis. Übrigens ist dabei zu bemerken, dass verschiedene Einzelheiten dieser Geschichte der des Menschen durchaus nicht so fern stehen, wie man versucht sein könnte, zu glauben.

Diese Triangulinen sind die Schmarotzer oder richtiger gesagt, die Läuse einer einsam bauenden wilden Biene (Colletes), die ihr Nest in Erdhöhlen hat. Sie lauern der Biene am Eingange ihrer Wohnung auf, hängen sich zu dritt, zu viert oder fünft, oft noch mehr, an sie und setzen sich auf ihrem Rücken fest. Wenn in diesem Augenblick der Kampf der Starken gegen die Schwachen stattfände, so wäre kein Wort weiter zu verlieren und alles würde nach dem allgemeinen Gesetze verlaufen. Aber ihr Instinkt gebietet ihnen, man weiss nicht warum – und folglich gebietet auch die Natur, – dass sie sich ruhig verhalten, solange sie auf dem Rücken der Biene sitzen. Während diese die Blumen befliegt, Zellen baut und mit Vorräten füllt, halten sie sich still und harren ihrer Stunde. Aber sobald sie ein Ei gelegt hat, schlüpfen alle darauf, und die harmlose Biene verschliesst die Zelle, die sie fürsorglich mit Vorrat versehen hat, ohne zu ahnen, dass sie den Tod ihrer Brut mit einschliesst. Sobald die Zelle verkapselt ist, bricht unter den Sitarislarven der unvermeidliche und heilsame Auslesekampf um das einzige Ei aus. Die Stärkste und Geschickteste ergreift ihre Nebenbuhlerin trotz ihres Panzers, hebt sie über ihren Kopf empor und hält sie derart Stunden lang in ihren Klauen, bis dieselbe tot ist. Aber während dieses Kampfes hat eine andere Sitarislarve, die allein geblieben oder ihres Gegners schon Herr geworden ist, sich auf das Ei gestürzt und es angebissen. Die, welche zuletzt gesiegt hat, muss jetzt also mit diesem neuen Feinde fertig werden, was ihr auch nicht schwer fällt, denn die Trianguline, die einen eingeborenen Heisshunger zu stillen hat, klammert sich so hartnäckig an ihr Ei an, dass sie gar nicht an Verteidigung denkt. Endlich ist sie auch getötet und die andere befindet sich im Alleinbesitze des kostbaren und so wohlfeil errungenen Eies. Gierig steckt sie den Kopf in die von ihrer Vorgängerin geschaffene Öffnung und macht sich an die lange Mahlzeit, die sie in ein vollkommenes Insekt verwandeln soll. Aber die Natur, die diese Kampfprobe will, hat den Siegespreis mit einem so kleinlichen Geize festgesetzt, dass ein Ei gerade ausreicht, um eine einzige Trianguline zu ernähren, »so dass«, sagt Mayet, dem wir den Bericht dieses erstaunlichen Missgeschickes danken, »unsere Siegerin um die Nahrung zu kurz kommt, die ihr letzter Feind vor seinem Tode verzehrt hat, und somit die erste Häutung nicht stattfinden kann. Sie stirbt also gleichfalls und bleibt an der Haut des Eies hängen oder vermehrt in dem flüssigen Zuckersafte die Zahl der Ertrunkenen.«

 

Dieser Fall liegt zwar selten so klar, steht aber in der Naturgeschichte nicht vereinzelt da. Doch der Kampf zwischen dem bewussten Willen der Trianguline, die leben will, und dem dunkeln, allgemeinen Willen der Natur, die ebenfalls will, dass sie lebt und zugleich will, dass sie ihr Leben so verbessert und kräftigt, wie es ihr aus freien Stücken nie einfallen würde, ist hier einmal blossgelegt. Nur führt durch eine seltsame Unachtsamkeit der Natur die erzwungene Verbesserung gerade den Tod der Besten herbei, und die Sitaris colletis wären längst ausgestorben, wenn nicht einzelne von ihnen durch Zufall, und ganz gegen die Absicht der Natur, allein blieben und so dem trefflichen und weitblickenden Gesetze, welches den Sieg des Stärksten fordert, auf diese Weise entrännen.

Es kommt also vor, dass die grosse Gewalt, die uns unbewusst erscheint, aber notwendigerweise vernünftig ist, denn das Leben, das sie hervorruft und erhält, giebt ihr jederzeit Recht, – es kommt also vor, sage ich, dass sie Fehlgriffe thut. Ihre höhere Vernunft, die wir anrufen, wenn wir mit der unseren am Ende sind, hat also Mängel. Und wenn dem so ist, wer wird sie wieder gut machen?

Aber kommen wir auf ihr gebieterisches Eingreifen in der Form der Parthenogenesis zurück. Und vergessen wir nicht, dass diese Probleme einer anderen Welt, die uns sehr fern zu liegen scheint, uns sehr nahe berühren. Wer wollte leugnen, dass ähnliche, noch geheimere, aber nicht minder gefährliche Eingriffe in die Sphäre des Menschen jederzeit stattfinden? Und wer hat in dem vorliegenden Falle recht, wenn man alles in allem nimmt, die Natur oder die Bienen? Was würde geschehen, wenn diese gelehriger oder intelligenter wären, wenn sie die Absicht der Natur nur zu gut verstünden und bis zur äussersten Konsequenz anwendeten, indem sie immerfort nur Drohnen hervorbrächten, wie sie gebietet? Würden sie nicht Gefahr laufen, ihre Gattung zu vernichten? Muss man glauben, dass es Absichten der Natur giebt, die zu begreifen gefährlich und denen allzueifrig zu folgen verhängnisvoll ist, und dass eine ihrer Absichten die ist, nicht alle ihre Absichten zu verstehen und zu befolgen? Und steht es nicht ebenso mit den Gefahren des Menschen? Auch wir fühlen unbewusste Kräfte in uns schlummern, die gerade das Gegenteil von dem wollen, was unser Verstand fordert. Ist es gut, dass unser Verstand, der sich gewöhnlich um sich selbst dreht und dann nicht mehr weiter weiss, diesen Kräften Recht giebt und sein unerhofftes Gewicht dem ihren hinzufügt?

 

Haben wir das Recht, aus der Gefahr der Parthenogenesis zu schliessen, dass die Natur Mittel und Zweck nicht immer in Einklang zu bringen vermag, dass das, was sie zu erhalten wähnt, sich oft nur infolge von Vorsichtsmassregeln erhält, die sie just gegen ihre Vorsichtsmassregeln ergriffen hat, und oft gar durch fremde Umstände, die sie keineswegs vorausgesehen hat? Aber sieht sie überhaupt voraus, sucht sie etwas zu erhalten? Die Natur, wird man sagen, ist ein Wort, mit dem wir das Unerkennbare belegen, und es ist wenig Grund vorhanden, ihr ein Ziel oder Vernunft zuzutrauen. Allerdings handelt es sich hier um die hermetisch verschlossenen Gefässe, die den Hausrat unserer Weltanschauung bilden. Um nicht ewig die Aufschrift »Unbekannt« darauf zu setzen, denn sie entmutigt und zwingt zum Schweigen, gebrauchen wir, je nach Form und Grösse, die Worte »Natur«, »Leben«, »Tod«, »Unendlichkeit«, »Auslese«, »Genius der Art« u. v. a., wie die, welche vor uns lebten, die Namen »Gott«, »Vorsehung«, »Bestimmung«, »Lohn« u. s. w. darauf anbrachten. Das ist alles, wenn man will, und weiter nichts. Aber wenn der Inhalt auch verborgen bleibt, so haben wir doch das eine gewonnen, dass die Aufschriften weniger bedrohlich geworden sind, und dass wir den Gefässen näher treten, sie berühren und in heilsamer Wissbegierde das Ohr daran legen können.

Aber welchen Namen man ihnen auch giebt, so viel steht fest, dass zum mindesten eines dieser Gefässe, das grösste von ihnen, das auf seiner Rundung den Namen »Natur« trägt, eine sehr reale Kraft birgt, vielleicht die realste von allen, und jedenfalls weiss sie auf unserem Erdballe eine ungeheure und wunderbare Quantität und Qualität von Leben mit so sinnreichen Mitteln zu erhalten, dass man ohne Übertreibung sagen kann, sie übertrifft alles, was Menschengeist zu ersinnen im stande wäre. Und diese Qualität und Quantität sollten sich plötzlich durch andere Mittel erhalten? Oder täuschen wir uns da, indem wir Vorsichtsmassregeln zu erblicken wähnen, wo es sich vielleicht nur um einen vom Glück begünstigten Zufall handelt, der eine Million minder glücklicher Zufälle überlebt?

 

Mag sein, aber diese glücklichen Zufälle geben uns alsdann eine nicht geringere Lehre der Bewunderung, als die, welche wir von Dingen, die über dem Zufall stehen, empfangen. Wir brauchen gar nicht bei den Wesen stehen zu bleiben, die einen Schimmer von Vernunft und Bewusstsein besitzen und gegen die blinden Gesetze anringen können, wir brauchen nicht einmal die ersten zweifelhaften Repräsentanten der untersten Stufen des Tierreiches, die Protozoen, ins Auge zu fassen. Die Experimente des berühmten Mikroskopikers M. H. J. Carter zeigen in der That, dass Wille, Absichten und Unterscheidungsvermögen schon bei Embryos von der Winzigkeit der Myxomyceten zu finden sind, dass Bewegungen, die eine List voraussetzen, sich schon bei Infusorien ohne jeden sichtbaren Organismus zeigen, z. B. bei der Amoebe, die den jungen Acineten an der Mündung der mütterlichen Eierstöcke auflauert, weil sie weiss, dass sie dann noch keine giftigen Fühlhörner haben. Dabei besitzt die Amoebe weder Nervensystem noch irgendwelche beobachtungsfähigen Organe. Gehen wir direkt zum Pflanzenreich über; die Pflanzen scheinen keine eigene Bewegung zu haben und allen äusseren Einflüssen ausgesetzt zu sein. Halten wir uns auch nicht bei den fleischfressenden Pflanzen auf, bei den Drosera z. B., die ganz wie Tiere auf Reize reagieren, sondern sehen und staunen wir, welches Genie manche unserer einfachsten Pflanzen entwickeln, um die kreuzweise Befruchtung, die sie nötig haben, durch eine die Blüte befliegende Biene sicher herbeizuführen. Betrachten wir das wunderbar komplizierte Spiel des Rostellum und der Pollinarien mit ihrem klebrigen Stielende und ihrer mathematisch-automatischen Vorwärtsneigung bei Orchis morio, der schlichten Orchidee unserer Himmelsstriche. Es ist unmöglich, die Einzelheiten dieser von Darwin beobachteten Fälle hier wiederzugeben. Der Vorgang ist in grossen Zügen folgender. Der Pollen von Orchis morio ist nicht staubförmig, sondern ballt sich zu kleinen Kolben, welche die sogenannten Pollinarien bilden. Diese (es sind ihrer zwei) haben einen stielartigen Fortsatz, der an seinem unteren Ende in eine klebrige Rundung ausläuft (das Caudiculum) und von einem membranartigen Säckchen (dem Rostellum) umschlossen wird, das bei der leisesten Berührung platzt. Steckt nun eine die Blüte befliegende Biene den Kopf in den Kelch, um den Nektar zu saugen, so streift sie dies Beutelchen, dasselbe zerreisst und die beiden klebrigen Rundungen treten zu Tage. Die Pollinarien bleiben infolge des Klebestoffes, der an den Rundungen sitzt, am Kopfe des Insekts haften und dieses trägt sie beim Verlassen der Blume wie ein paar zwiebelartige Hörner von dannen. Wenn diese zwei Pollenhörner nun steif und gerade blieben, so würden sie in dem Augenblick, wo die Biene die nächste Orchidee befliegt, das membranartige Säckchen derselben berühren und einfach zum Platzen bringen, aber nicht bis zu der Narbe (dem weiblichen Organ) der zweiten Blume dringen, die befruchtet werden muss und unter dem membranartigen Säckchen liegt. Die Orchis morio hat diese Schwierigkeit genial erkannt, und darum vertrocknet nach dreissig Sekunden, das heisst in der kurzen Spanne Zeit, die das Insekt braucht, um den Nektar vollends aufzusaugen und eine andere Blume zu befliegen, der Stengel des kleinen Kolbens und schrumpft zusammen, und zwar stets nach derselben Seite und im gleichen Sinne; die den Pollen enthaltende Zwiebel sinkt herab, und ihr Neigungswinkel ist so genau berechnet, dass sie sich in dem Augenblick, wo die Biene in die benachbarte Blume hineinschlüpft, genau in der Höhe der Narbe befindet, auf die sie ihren befruchtenden Staub entleeren muss. Siehe für alle Einzelheiten dieses intimen Dramas der unbewussten Blumenwelt die prachtvolle Studie von Darwin »Über die Befruchtung der Orchideen durch Insekten und die guten Wirkungen der Kreuzung«, 1862. Verfolgen wir das doppelte, unfehlbare Schaukelspiel der Salbei-Antheren, die den Körper des die Blume besuchenden Insektes an dem und dem Punkte berühren, damit es die Narbe einer Nachbarblume genau an derselben Stelle berührt und befruchtet. Folgen wir ferner dem allmählichen Aufklinken und der Berechnung, welche die Narbe von Pedicularis silvatica zeigt; beobachten wir die Organe dieser drei Blumen, wie sie beim Hineinkriechen der Biene nach Art jener komplizierten Mechaniken funktionieren, die man in den Schiessbuden unserer Jahrmärkte hat, und die sofort in Bewegung treten, wenn ein guter Schütze ins Schwarze getroffen hat.

Wir könnten noch tiefer heruntergehen und, wie Ruskin in seinen »Ethics of the Dust«, den Charakter, die Gewohnheiten und Listen der Krystalle, ihre Kämpfe und Massnahmen, wenn ein Fremdkörper ihre Absichten stört (die älter sind, als alles, was unsere Phantasie begreift), die Art und Weise, wie sie einen Feind annehmen oder abstossen, den möglichen Sieg des Schwächsten über den Stärksten u. s. w. beobachten. Z. B. giebt das allmächtige Quarz dem unscheinbaren, heimtückischen Epidot in zuvorkommendster Weise nach und lässt sich von ihm übertrumpfen, während das Bergkrystall mit dem Eisen einen bald furchtbaren, bald prachtvollen Ringkampf führt. Mancher durchsichtige Krystall hat ein regelmässiges, tadelloses Wachstum, eine ungetrübte Reinheit, denn er stösst von vorn herein alles Unreine ab, während sein Bruder neben ihm ein krankhaftes Wachstum, eine augenscheinliche Immoralität zeigt, da er alles Unreine annimmt und sich kläglich im Leeren windet. Endlich wäre auf die seltsame Erscheinung der kristallinischen Vernarbung und Reintegration zu verweisen, die Claude Bernard studiert hat, aber dies Mysterium ist zu seltsam. Halten wir uns an unsere Blumen, als an die letzten Glieder eines Lebens, das zu dem unseren noch Beziehungen hat. Es handelt sich hier nicht mehr um Tiere oder Insekten, bei denen wir einen vernünftigen, eigenen Willen annehmen können, infolgedessen sie sich erhalten. Ihnen schreiben wir, mit Recht oder Unrecht, keinen solchen Willen zu. Jedenfalls können wir bei ihnen nicht die geringste Spur jener Organe entdecken, in denen Wille, Vernunft und Initiative zu einer Handlung ihren Sitz oder Ursprung haben. Folglich stammt das, was in ihnen solche Wunder wirkt, unmittelbar aus der Quelle, die wir sonst »die Natur« zu nennen pflegen. Es ist nicht mehr der Verstand des Einzelwesens, sondern die unbewusste, ungeteilte Kraft, welche anderen Gebilden Fallen stellt. Sollen wir daraus folgern, dass diese Fallen keine reinen Zufälle sind, die durch zufällige Wiederkehr zur Regel geworden sind? Dazu haben wir noch kein Recht. Man kann sagen, dass diese Blumen ohne solche wunderbaren Vorrichtungen sich nicht erhalten hätten. Andere, die der kreuzweisen Befruchtung nicht bedurften, wären an ihre Stelle getreten, und niemand hätte das Nichtvorhandensein der Ersteren bemerkt, auch wäre das Leben uns darum nicht minder unbegreiflich, vielfältig und erstaunlich erschienen.

 

Und doch kann man sich schwerlich der Auffassung verschliessen, dass die Vorgänge, welche die glücklichen Zufälle herbeiführen und immer wieder herbeiführen, Akte der Klugheit und Intelligenz sind. Aber welches ist ihre Quelle, die Wesen selbst, oder die Kraft, aus der diese ihr Leben schöpfen? Ich sage nicht: »Was liegt daran?« Im Gegenteil; es läge uns sehr viel daran, dies zu wissen. Einstweilen aber, bis wir erfahren, ob es die Blume ist, die danach trachtet, das von der Natur in sie gelegte Leben zu unterhalten und zu vervollkommnen, oder die Natur, die alles versucht, um das Stück Dasein, das die Blume darstellt, zu erhalten und zu veredeln, oder endlich der Zufall, der zuletzt den Zufall regelt, – lädt eine Menge von Erscheinungen zu der Annahme ein, dass etwas Ähnliches wie unsere höchsten Gedanken bisweilen aus einem gemeinsamen Muttergrunde hervorgeht, den wir bewundern müssen, ohne sagen zu können, wo er sich befindet.

Bisweilen scheint uns ein Irrtum aus diesem gemeinsamen Grunde hervorzugehen. Aber obwohl wir sehr wenig wissen, so haben wir doch oft Gelegenheit einzusehen, dass der »Irrtum« ein Akt der Klugheit war, der nur über den Horizont unserer ersten Einfalt hinausging. Selbst in unserem kleinen Gesichtskreise können wir erkennen, dass die Natur, wenn sie sich hier täuscht, es für nützlich hält, ihre angebliche Unachtsamkeit dort wieder gut zu machen. Sie hat die drei Blumen, von denen wir reden, in eine so schwierige Lage gebracht, dass sie sich nicht selbst befruchten können, aber sie hält es für vorteilhaft, warum, wissen wir nicht, dass diese drei Blumen sich durch ihre Nachbarinnen befruchten lassen, und das Genie, das sie zu unserer Rechten vergessen hat, bekundet sie zur Linken, indem sie den Verstand ihrer Stiefkinder mehrt. Die Umwege, die sie macht, scheinen uns unerklärlich, aber ihr Genius bleibt stets auf der gleichen Höhe. Sie scheint in einen Irrtum herabzusinken, vorausgesetzt, dass ein Irrtum hier möglich ist, und sie erhebt sich unmittelbar darauf in dem Organ, das diesen Irrtum wieder gut zu machen hat. Wohin wir uns wenden, sie überragt uns überall. Sie ist der Kreisstrom Okeanos, der die Erde umfliesst, die ungeheure Wasserfläche ohne Ebbe, auf der unsere verwegensten und unabhängigsten Gedanken immer nur eine untergeordnete Schaumblase bilden. Wir nennen sie heute »die Natur«, und morgen haben wir vielleicht einen anderen Namen gefunden, der sanfter oder schrecklicher klingt. Inzwischen herrscht sie zu gleicher Zeit und in gleichem Geiste über Leben und Sterben und liefert den beiden unversöhnlichen Schwestern die prunkhaften oder vertrauten Waffen, die ihren Busen völlig verändern und schmücken.

 

Ob sie Massregeln ergreift, um das, was sich auf ihrer Oberfläche regt, zu erhalten, oder ob man den seltsamsten der Kreise schliessen muss, indem man sagt, dass das, was sich auf dieser Oberfläche regt, selbst Massregeln gegen den Genius ergreift, der es beseelt: das sind Fragen besonderer Art. Es ist für uns nicht möglich zu wissen, ob eine Gattung trotz der Fürsorge des höheren Willens, unabhängig von ihm, oder schliesslich allein durch ihn sich erhalten hat. Alles, was wir feststellen können, ist, dass die und die Art sich erhält, und folglich hat die Natur in diesem Punkte recht. Aber wer kann uns sagen, wie viele andere, die wir nicht kennen, ihrer Achtlosigkeit oder Ungeduld zum Opfer gefallen sind? Alles, was wir noch feststellen können, sind die überraschenden und bisweilen bedrohlichen Formen, die, bald in absoluter Unbewusstheit, bald in einer Art von Bewusstheit, das ausserordentliche Fluidum annimmt, das Leben heisst, und das uns und alles übrige beseelt und unsere Gedanken hervorbringt, die es beurteilen, und unsere Stimme, die davon zu reden versucht.


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