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I. Auf der Schwelle des Bienenstockes

Es ist kein Buch über Bienenzucht, kein Handbuch für Bienenzüchter, was ich hier schreiben will. Jedes Land besitzt treffliche Werke dieser Art, und es wäre zwecklos, sie noch einmal zu schreiben. In Frankreich hat man die Werke von Dadant, Georges de Layens, Bonnier, Bertrand, Harnet, Weber, Clément und Abbé Collin, auf englischem Sprachgebiete die Schriften von Langstroth, Bevan, Cook, Cheshire, Cowan und Root, in Deutschland die des Pfarrers Dzierzon, des Barons von Berlepsch, Pollmann, Vogel u. v. a.

Ebensowenig will ich eine wissenschaftliche Monographie über apis mellifica, ligustica, fasciata, dorsata u. s. w. schreiben, oder die Ergebnisse neuer Forschungen und Beobachtungen mitteilen. Ich werde fast nichts sagen, was nicht jedem bekannt ist, der sich ein wenig mit Bienenzucht befasst hat, und um dieses Buch nicht unnütz zu beschweren, behalte ich mir eine gewisse Anzahl von Beobachtungen und Erfahrungen, die ich in zwanzigjährigem Verkehr mit den Bienen gewonnen, für ein Spezialwerk vor, da sie nur von beschränktem, technischem Interesse sind. Ich will nur ganz einfach von den Bienen reden, wie man von einem vertrauten und geliebten Gegenstande redet, wenn man Nichtkenner darüber belehren will. Ich will weder die Wahrheit ausschmücken, noch, was Réaumur mit vollem Rechte allen seinen Vorgängern in der Bienenkunde vorwirft, ein hübsch erfundenes Märchen an die Stelle der ebenso wunderbaren Wirklichkeit setzen. Es giebt Wunder genug im Bienenstaat, und man braucht darum keine neuen zu erfinden. Überdies habe ich schon lange darauf verzichtet, etwas Interessanteres und Schöneres auf dieser Welt zu finden, als die Wahrheit oder doch wenigstens das Trachten nach ihr. Ich werde im folgenden also nichts vorbringen, was ich nicht selbst erprobt habe oder was von den Klassikern der Bienenkunde nicht derartig bestätigt wird, dass jede weitere Beweisführung langweilig würde. Ich beschränke mich darauf, die Thatsachen ebenso zuverlässig wiederzugeben, nur etwas lebendiger und mit Weiterentwickelung einiger eingeflochtener, freierer Gedanken, sowie mit etwas harmonischerem Aufbau, als dies in den Handbüchern oder den wissenschaftlichen Monographien zu geschehen pflegt. Wer dies Buch ausgelesen hat, ist nicht gleich im stande, einen Bienenstock zu halten, aber er erfährt daraus nahezu alles Merkwürdige und Tiefe, alle feststehenden Einzelheiten über seine Bewohner, und zwar keineswegs auf Kosten dessen, was noch zu wissen übrig bleibt. Ich übergehe all die Fabeln, die auf dem Lande und in vielen Werken noch über die Bienen verbreitet sind. Wo Zweifel herrschen, die Meinungen auseinandergehen, etwas hypothetisch ist, wo ich zu etwas Unbekanntem komme, werde ich es ehrlich erklären. Wir werden oft vor dem Unbekannten innezuhalten haben. Ausser den grossen sichtbaren Vorgängen ihres Lebens weiss man sehr wenig über die Bienen. Je länger man sie züchtet, desto mehr wird man sich unserer tiefen Unkenntnis über ihr wirkliches Dasein bewusst, aber diese Art des Nichtwissens ist immerhin besser, als die bewusstlose und selbstzufriedene Unwissenheit.

Gab es bisher eine solche Arbeit über die Bienen? Ich glaube, nahezu alles gelesen zu haben, was über die Bienen geschrieben worden ist, aber ich kenne nichts ähnliches ausser dem Kapitel, das Michelet ihnen am Schlusse seines Werkes »Das Insekt« widmet, und dem Essay von Ludwig Büchner, dem bekannten Verfasser von »Kraft und Stoff«, in seinem »Geistesleben der Tiere«. Man könnte noch die Monographie von Kirby und Spence in ihrer »Introduction to Entomology« erwähnen, aber sie ist fast ausschliesslich technisch. Michelet hat den Gegenstand kaum gestreift; Büchners Studie ist ziemlich erschöpfend; aber liest man all die gewagten Behauptungen und längst widerlegten Fabeln, die er von Hörensagen berichtet, so kann man nicht umhin, zu glauben, dass er nie seine Bibliothek verlassen hat, um seine Heldinnen selbst zu befragen, und dass er nicht einen von den hundert summenden und flügelglänzenden Bienenstöcken geöffnet hat, die man vergewaltigt haben muss, bevor unser Instinkt sich ihrem Geheimnis anpasst, bevor wir mit dem Dunstkreise und dem Geiste des Mysteriums, das diese emsigen Jungfrauen bilden, vertraut werden. Das riecht weder nach Honig noch nach Bienen, und es hat denselben Mangel, wie viele unserer gelehrten Werke: die Schlüsse sind vielfach schon bekannt, und der wissenschaftliche Apparat besteht aus einer riesenhaften Anhäufung von unsicheren Geschichten aus jedermanns Munde. Indessen werde ich ihm in meiner Arbeit nicht oft begegnen; unsre Ausgangspunkte, Ansichten und Ziele liegen zu weit auseinander.

 

Die Bibliographie der Bienenkunde – denn ich möchte den Anfang mit den Büchern machen, um sie möglichst schnell zu erledigen und zu der Quelle zu kommen, aus der sie geschöpft sind – ist sehr umfangreich. Von Urbeginn an hat dies kleine seltsame Gesellschaftstier mit seinen komplizierten Gesetzen und seinen im Dunkeln entstehenden Wunderwerken die Wissbegier der Menschen gefesselt. Aristoteles, Cato, Varro, Plinius, Columella, Palladius haben sich damit beschäftigt, nicht zu reden von dem Philosophen Aristomachos, der sie nach Aussage des Plinius 58 Jahre lang beobachtet hat, oder Phyliscus von Thasos, der in öden Landstrichen lebte, um nur sie zu sehen, und den Beinamen »der Wilde« trug. Aber das sind im Grunde Fabeln über die Bienen, und alles, was der Rede wert ist, d. h. so gut wie garnichts, findet sich zusammengefasst im vierten Buche von Virgils »Georgica«.

Die Geschichte der Biene beginnt erst im 17. Jahrhundert mit den Entdeckungen des grossen holländischen Gelehrten Swammerdam. Jedoch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss vorausgeschickt werden, dass schon vor Swammerdam ein vlämischer Naturforscher Clutius gewisse wichtige Wahrheiten gefunden hat, z. B. dass die Königin die alleinige Mutter ihres ganzen Volkes ist und die Attribute beider Geschlechter besitzt, aber er hat dies nicht bewiesen. Swammerdam war der erste, der eine wissenschaftliche Beobachtungsmethode einführte; er schuf das Mikroskop, sezierte die Bienen zuerst und bestimmte endgültig, durch Entdeckung der Eierstöcke und des Eileiters, das Geschlecht der Königin, die man bisher für einen König (»Weisel«) gehalten hatte. Er warf ein unerwartetes Licht auf die politische Verfassung des Bienenstockes, indem er sie auf die Mutterschaft begründete. Ausserdem hat er Durchschnitte entworfen und Platten gezeichnet, die so tadellos waren, dass man sie noch heute zur Illustration von Werken über Bienenzucht benutzt. Er lebte in dem geräuschvollen, trübseligen Amsterdam von ehemals, voller Sehnsucht nach »dem süssen Landleben«, und starb im Alter von 43 Jahren, von Arbeit erschöpft. In deutlicher, frommer Sprache, mit schönen, schlichten Sätzen, in denen er beständig Gott die Ehre giebt, hat er seine Beobachtungen niedergelegt; sein Hauptwerk »Bybel der Natuure« wurde ein Jahrhundert später von Dr. Boerhave aus dem Niederländischen ins Lateinische übersetzt (unter dem Titel Biblia naturae, Leyden 1737).

Nach ihm hat Réaumur, derselben Methode getreu, in seinen Gärten in Charenton eine Menge merkwürdiger Experimente und Beobachtungen gemacht und den Bienen in seinen »Mémoires pour servir à l'Histoire des Insectes« einen ganzen Band gewidmet. Man kann ihn noch heute mit Erfolg und ohne Langeweile lesen. Er ist klar, ehrlich, genau und nicht ohne einen gewissen verschlossenen und herben Reiz. Er hat es sich vor allem angelegen sein lassen, eine Reihe von alten Irrtümern zu zerstreuen, – wofür er freilich einige neue in Umlauf gesetzt hat –; er gewann einen Einblick in die Entstehung der Schwärme, die politischen Gewohnheiten der Königinnen, kurz, er fand verschiedene verwickelte Wahrheiten und wies den Weg zu anderen. Er heiligte durch seine Wissenschaft die architektonischen Wunder des Bienenstaates, und alles, was er darüber gesagt hat, kann nicht besser gesagt werden. Man verdankt ihm schliesslich den Gedanken der Kasten mit Glaswänden, der in seiner späteren Vervollkommnung das ganze häusliche Treiben dieser unermüdlichen Arbeiterinnen ans Licht gebracht hat, die, wenn sie ihr Werk in blendendem Sonnenschein beginnen, es doch nur im Finstern vollenden und krönen. Der Vollständigkeit halber wären noch die etwas späteren Untersuchungen und Arbeiten von Charles Bonnet und Schirach zu nennen, welch letzterer das Rätsel des königlichen Eis gelöst hat; aber ich will mich auf die grossen Züge beschränken und gehe darum zu François Huber über, dem Meister und Klassiker der heutigen Bienenkunde.

Huber wurde i. J. 1750 in Genf geboren und erblindete schon als Knabe. Durch Réaumurs Experimente angeregt, die er zunächst nur auf ihre Richtigkeit prüfen wollte, empfand er bald eine Leidenschaft für diese Dinge und widmete mit Hilfe eines treuen und verständigen Dieners, François Burnens, sein ganzes Leben dem Studium der Bienen. In den Annalen des menschlichen Leidens und Siegens ist nichts rührender und lehrreicher, als die Geschichte dieses geduldigen Zusammenarbeitens, wo der eine, der nur einen unstofflichen Schimmer wahrnahm, die Hände und Blicke des Anderen, der sich des wirklichen Lichtes erfreute, mit seinem Geiste lenkte, und obschon er, wie versichert wird, nie mit eigenen Augen eine Honigwabe gesehen hat, durch den Schleier dieser toten Augen hindurch, der jenen andren Schleier, in den die Natur alle Dinge hüllt, für ihn verdoppelte, dem Geiste, der diesen unsichtbaren Honigbau schuf, seine tiefsten Geheimnisse ablauschte, wie um uns zu lehren, dass wir unter keinen Umständen darauf verzichten sollten, die Wahrheit herbeizuwünschen und zu suchen. Ich will hier nicht aufzählen, was die Bienenkunde ihm alles verdankt, ich könnte leichter sagen, was sie ihm nicht verdankt. Seine »Nouvelles Observations sur les Abeilles«, von denen der erste Band i. J. 1789 in Form von Briefen an Charles Bonnet erschien – der zweite folgte erst 25 Jahre später – sind der unerschöpfliche, untrügliche Schatz für alle Bienenforscher. Gewiss enthält das Werk auch Irrtümer und Unzulänglichkeiten, es sind seit diesem Buche in der mikroskopischen Bienenkenntnis und praktischen Bienenzucht, der Behandlung der Königinnen u. s. w. manche Fortschritte gemacht worden, aber nicht eine seiner Hauptbeobachtungen ist widerlegt oder als irrig erwiesen worden; sie sind im Gegenteil die Grundlage unseres heutigen Wissens.

 

Nach Hubers Entdeckungen herrschte einige Jahre Schweigen, aber bald entdeckte ein deutscher Bienenzüchter, der Pfarrer Dzierzon, aus Karlsmarck in Schlesien, die jungfräuliche Zeugung (Parthenogenesis) und erfand den ersten Kastenstock mit beweglichen Waben, durch den der Imker befähigt wird, seinen Anteil an der Honigernte zu gewinnen, ohne seine besten Völker zu zerstören und die Arbeit eines ganzen Jahres in einem Augenblick zu vernichten. Dieser noch sehr unvollkommene Kastenstock ist dann von Langstroth meisterhaft vervollkommnet worden. Er erfand den eigentlichen beweglichen Rahmen, der in Amerika Verbreitung fand und ausserordentliche Erfolge erzielte. Root, Quinby, Dadant, Cheshire, de Layens, Cowan, Heddon, Houward u. a. brachten dann noch einige wertvolle Verbesserungen an. Endlich erfand Mehring, um den Bienen Arbeit und Wachs, also auch viel Honig und Zeit zu sparen, Kunstwaben, die sie alsbald benutzten und ihren Bedürfnissen anpassten, während Major von Hruschka die Honigschleuder erfand, eine Centrifugalmaschine, die den Honig ausschleudert, ohne dass die Waben zerstört werden. Damit eröffnet sich eine neue Periode der Bienenzucht. Die Kästen sind von dreifachem Fassungsvermögen und dreifacher Ergiebigkeit. Überall entstehen grosse, leistungsfähige Bienenwirtschaften. Das unnütze Hinmorden der arbeitslustigsten Völker und die »Auslese der Schlechtesten«, welche die Folge davon war, hören auf. Der Mensch bekommt die Bienen wirklich in seine Gewalt, er kann seinen Willen durchsetzen, ohne einen Befehl zu geben, und sie gehorchen ihm, ohne ihn zu kennen. Er übernimmt die Rolle des Schicksals, die sonst in der Hand der Jahreszeiten lag. Er gleicht die Ungunst der einzelnen Jahreszeiten aus. Er vereinigt die feindlichen Völker. Er macht reich arm und arm reich. Er vermehrt oder verringert die Geburten. Er regelt die Fruchtbarkeit der Königin. Er entthront und ersetzt sie in schwer errungenem Einvernehmen mit dem beim blossen Argwohn einer unbegreiflichen Einmischung rasenden Bienenvolke. Er versehrt, wenn er es für nützlich hält, ohne Kampf das Geheimnis des Allerheiligsten und kreuzt die kluge und weitblickende Politik des königlichen Frauengemaches. Er bringt sie fünf oder sechs Mal hintereinander um die Früchte ihrer Arbeit, ohne sie zu verletzen, zu entmutigen und arm zu machen. Er passt die Honigräume und Speicher ihrer Wohnungen dem Ertrage der Blumenernte, die der Frühling über die Berghänge ausstreut, an. Er zwingt sie, die üppige Zahl der Bewerber, welche auf die Geburt der Prinzessinnen harren, herabzusetzen. Kurz, er thut mit ihnen, was er will, und erreicht von ihnen, was er fordert, vorausgesetzt, dass seine Forderungen mit ihren Tugenden und Gesetzen übereinstimmen, denn sie sehen über den Willen des unerwarteten Gottes hinaus, der sich ihrer bemächtigt hat und der zu ungeheuer ist, um erkannt, zu fremd, um begriffen zu werden, weiter als dieser Gott selbst, und sind nur darauf bedacht, in unermüdlicher Selbstverleugnung die geheimnisvolle Pflicht gegen die Gattung zu erfüllen.

 

Nachdem uns die Bücher nunmehr das Wesentlichste gesagt haben, was sie uns über eine sehr alte Geschichte zu sagen hatten, lassen wir die durch andere erworbene Erfahrungsweisheit fallen und sehen uns die Bienen selbst einmal an. Eine Stunde im Bienenstock sagt uns vielleicht Dinge, die zwar weniger gewiss, aber ungleich lebendiger und fruchtbarer sind.

Ich habe den ersten Bienenstand, den ich zu Gesichte bekommen und an dem ich die Bienen lieben gelernt habe, noch nicht vergessen. Es ist manches Jahr darüber verflossen. Es war in einem grossen Dorfe im flandrischen Seeland, jenem reinlichen und anmutigen Erdenwinkel, der noch kräftigere Farben entwickelt, als das eigentliche Seeland, der Hohlspiegel Hollands, und das Auge gefangen nimmt mit dem allerliebsten, tiefernsten Spielzeug seiner Tauben und Türme, seiner bemalten Wagen, seiner Wandschränke und Stutzuhren, die aus dem Dunkel der Korridore hervorleuchten, seiner Grachten und Kanäle mit ihren Spalier bildenden kleinen Bäumen, die auf eine fromme, kindliche Zeremonie zu warten scheinen, seiner Barken und Marktschiffe mit geschnitztem Bug, seiner buntfarbigen Fenster und Thüren, seiner prächtigen Schleusen und schwarzgeteerten Zugbrücken, seiner schmucken Häuschen, die wie glänzende, zartgetönte Topfwaren leuchten, und aus denen Weiber wie grosse Klingeln, mit Gold- und Silberschmuck behängt, heraustreten, um auf die weissumzäunten Wiesen zu gehen und die Kühe zu melken, oder Wäsche auf dem in Ovale oder schräge Vierecke geteilten und peinlich grünen, blumenreichen Rasenteppich auszubreiten.

Ein alter Weiser, an den Greis Vergils erinnernd,

»Bin Mann, den Kön'gen gleich, ein Mann, den Göttern nah,
Und ruhig und zufrieden gleich wie diese«.

würde Lafontaine sagen, hatte sich dorthin zurückgezogen, wo das Leben enger scheinen könnte, als wo anders, wenn es möglich wäre, das Leben wirklich einzuschränken, und hatte seinen Alterssitz dort aufgeschlagen, nicht lebensmüde zwar, – denn der Weise kennt keine Lebensmüdigkeit, – aber ein wenig müde, die Menschen zu befragen, denn sie antworten weniger einfältig als Tier und Pflanze auf die einzigen Fragen von Belang, die man der Natur über ihre wahren Gesetze stellen kann. Sein ganzes Glück, wie das des Philosophen Skytha, bestand in einem schönen Garten, und unter dessen Schönheiten liebte er am meisten und besuchte er am häufigsten einen Bienenstand von zwölf Strohglocken, die er mit hellem Gelb, Rosenrot und vor allem mit zartem Blau angestrichen hatte, denn er wusste schon lange vor den Experimenten von Sir John Lubbock, dass Blau die Lieblingsfarbe der Bienen ist. Der Bienenstand befand sich an der Hausmauer, im Winkel einer jener kühlen und leckeren holländischen Küchen mit Porzellanbrettern an den Wänden und leuchtendem Zinn- und Kupfergeschirr darauf, das sich durch die offene Hausthür in einem stillen Kanal spiegelte. Und der Blick glitt über den Wasserspiegel mit seinen häuslichen Bildern, die ein Rahmen von Pappelbäumen umschloss, und fand seinen Ruhepunkt am Horizont mit seinen Mühlen und Weidetriften.

Hier wie überall, wo man sie aufstellt, hatten die Bienenstöcke den Blumen, der Stille, der milden Luft, den Sonnenstrahlen eine neue Bedeutung verliehen. Man griff hier mit Händen das festliche Gleichnis der hohen Sommertage. Man ruhte unter dem funkelnden Kreuzweg, von welchem die luftigen Strassen ausstrahlen, die sie vom Morgen bis zum Abend, mit allen Düften der Fluren beladen, geschäftig durchsummen. Man lauschte der heiteren, sichtbaren Seele, der klugen, wohlklingenden Stimme, man sah den Brennpunkt der Freude der sommerlichen Gartenlust. Man lernte in der Schule der Bienen das geheimnisvolle Weben der Natur, die Fäden, die sich zwischen ihren drei Reichen knüpfen, die unermüdliche Selbstgestaltung des Lebens, die Moral der selbstlosen, eifrigen Arbeit, und was ebensoviel wert ist, wie diese: die heroischen Arbeiterinnen lehrten den Geschmack an der unbestimmten Süssigkeit der Musse, sie unterstrichen mit ihren tausend kleinen Flügeln wie mit Feuerzeichen die fast unstoffliche Wonne jener jungfräulichen Tage, die in ewig gleicher Reinheit und Klarheit wiederkehren, ohne Erinnerungen zu hinterlassen, wie ein zu reines Glück.

 

Wir beginnen, um die Geschichte des Bienenstaates im Kreislaufe des Jahres so einfach wie möglich zu erzählen, mit dem Erwachen im Lenz und dem Wiederbeginn der Arbeit, und wir werden die Hauptstadien des Bienenlebens in ihrer natürlichen Reihenfolge einander ablösen sehen: das Schwärmen und was ihm vorangeht, die Gründung der neuen Stadt, Geburt, Kämpfe und Hochzeitsausflug der jungen Königinnen, die Drohnenschlacht und die Wiederkehr des Winterschlafes. Jede dieser Episoden erfordert die nötigen Erklärungen der Gesetze, Eigentümlichkeiten, Gewohnheiten und Ereignisse, die sie verursachen oder sie begleiten, sodass wir am Ende des Bienenjahres, das vom April bis Ende September reicht, alle Geheimnisse des Honigstaates kennen werden.

Vorderhand, ehe ich einen Bienenstock öffne, um einen allgemeinen Blick darauf zu werfen, mag es genügen zu wissen, dass er sich aus einer Königin, der Mutter des ganzen Volkes, vielen tausend Arbeitsbienen, d. h. unentwickelten und unfruchtbaren Weibchen, und einigen hundert männlichen Bienen oder Drohnen zusammensetzt. Aus den letzteren geht der einzige unglückliche Auserwählte der künftigen Herrscherin hervor, welche die Bienen nach dem mehr oder minder unfreiwilligen Scheiden der alten Königin auf den Thron erheben.

 

Wenn man zum ersten Male einen Bienenstock öffnet, so verspürt man etwas von der Erregung, die einen stets befällt, wenn man etwas Unbekanntes vergewaltigt, das voll von furchtbaren Überraschungen sein kann, wie z. B. ein Grab. Es spinnt sich um die Bienen eine Fabel von Gefahren und Drohungen. Man hat eine unbestimmte Erinnerung an die Bienenstiche, die einen zu eigenen Schmerz verursachen, als dass man wüsste, womit man ihn vergleichen soll; es ist ein trockenes, zuckendes Brennen, eine Art Wüstensonnenbrand, möchte man sagen, der sich bald über den ganzen Körperteil verbreitet. Es ist, als ob diese Sonnenkinder aus den glühendsten Strahlen ihrer Mutter ein leuchtendes Gift gesogen hätten, um die Schätze der Süssigkeit, die sie in ihren segenspendenden Stunden sammeln, desto wirksamer zu verteidigen.

Freilich, wird ein Bienenstock ohne Vorsichtsmassregeln geöffnet, von einem, der weder Charakter noch Sitten seiner Bewohner kennt und achtet, so verwandelt er sich im Nu in einen feurigen Busch von Zorn und Heldenmut. Vor kurzem lief durch die Zeitungen die Nachricht, dass ein Bauer beim Nachsehen seiner Bienenstöcke, die jeder gute Bienenzüchter zur Frühlingszeit einer Prüfung unterzieht, von einem Schwarm wütender Bienen angefallen wurde und den zahllosen furchtbaren Stichen erlag, die ihm die wild gewordenen Liebhaberinnen der Blumenwelt beibrachten. Gelegentlich dieses Vorfalls, der uns trotz seiner grausamen Folgen doch fast wie ein Stück Hirtengedicht und Frühlingsduft anmutet, gingen mir (denn seit der Veröffentlichung dieses Buches bin ich, ganz ohne mein Zuthun, zu einer Art Sachwalter der Elementarbienenkunde geworden) allerhand verzweifelte und verstörte Briefe zu, in denen ich gefragt wurde, ob die Sache thatsächlich geschehen wäre, und ob sie wirklich den Tod geben können, die flinken Jungfrauen mit den durchsichtigen Flügeln, die sich mit Frühlings Anfang aufmachen, um den Veilchen, Primeln und Anemonen das zu rauben, was in der Vorstellung des Menschen wohl das Reinste des Lebens ist: den Duft und die Schönheit der Blumen.
Mein Gott, ja, es ist möglich, und der Mensch kann den Tod auch in einem Sonnenstrahl oder einem Rosenstrauss finden. Er lauert überall, und nichts ist dem Leben ähnlicher als er. Er ist der unseren Kinderaugen furchtbar dünkende Schatten des Lebens, den es wirft, wenn es nach neuem Leben trachtet. Aber um ihn so zu finden, »im Flügelschwirren eines Bienenschwarms«, dazu bedarf es nach meiner Meinung mehr als einer gewöhnlichen Ungeschicktheit oder Schicksalstücke.
Die näheren Umstände dieses tragischen Idylls sind mir unbekannt. Um ihnen auf den Grund zu gehen, muss man einen Blick auf die recht seltsame Psychologie des Zorns der Bienen werfen.
Die Biene ist im Grunde das langmütigste und friedfertigste Tier und sticht nie (wenn man sie nicht quetscht), so lange sie die Blüten befliegt. Aber in ihrem wächsernen Königreiche behält sie diesen sanften und verträglichen Charakter nur dann bei, wenn ihre Stadt reich ist; ist sie arm, so wird sie kampflustig und gefahrbringend. Wie oftmals beim Studium der Sitten dieses emsigen und geheimnisvollen Völkchens, werden auch hier die Voraussetzungen der menschlichen Logik vollständig Lügen gestraft.
Es wäre natürlich, wenn die Bienen eine Stadt, die von mühsam gesammelten Schätzen strotzt, hartnäckig verteidigen würden, eine Stadt, wie man sie in guten Bienenständen trifft, wo der Nektar keinen Platz mehr findet in den unzähligen Zellen, die wie tausende von kleinen Fässern von den Kellern bis unters Dach aufgespeichert liegen, so dass er längs der summenden Wände in goldigen Stalaktiten herabtropft und weit in die Fluren hinaus den vergänglichen Düften der sich öffnenden Blumenkelche den dauerhafteren Wohlgeruch des Honig entgegensendet, in dem die Erinnerung an die von der Zeit geschlossenen Kelche weiterlebt.
Aber dem ist nicht so. Je reicher ihr Stock ist, desto weniger sind sie darauf bedacht, ihn zu verteidigen. Man öffne einen reichgesegneten Bienenstock oder stülpe ihn um: wenn man mit etwas Tabaksqualm die Schildwachen am Eingang vorher verscheucht hat, so wird es höchst selten vorkommen, dass die anderen Bienen einem die flüssige Beute streitig machen, die sie dem Lächeln und der Huld der schönen Jahreszeit abgewonnen haben. Man mache dies Experiment nur unbesorgt; ich bürge für seine Gefahrlosigkeit, wofern man nur an die segensschwersten Stöcke geht. Man kann sie umwenden und handhaben wie summende, unschädliche Krüge.
Was bedeutet das? Haben die tapferen Amazonen den Mut verloren? Hat der Ueberfluss sie verweichlicht, und haben sie, wie die allzu begüterten Einwohner reicher Städte, die gefährlichen Pflichten der Verteidigung auf die unglücklichen Söldner abgewälzt, die an den Thoren wachen? Nein, man kann nie wahrnehmen, dass ihre Tugend durch das grösste Glück entnervt wird. Im Gegenteil, je mehr ihr Gemeinwesen gedeiht, desto strenger sind die Gesetze, desto härter werden sie durchgeführt, und die Arbeitsbienen eines Stockes, in dem sich der Überfluss häuft, arbeiten viel fleissiger und schonungsloser als die eines armen Stockes.
Es liegen hier andere Gründe vor, die aber wahrscheinlich sind, wofern man sich nur klar wird, welche furchtbare Deutung die arme Biene unseren ungeheuren Bewegungen giebt. Wenn sie ihr gewaltiges Reich plötzlich in die Luft gehoben, hin- und hergestossen und geöffnet sieht, denkt sie wahrscheinlich an eine unvermeidliche Naturkatastrophe, gegen die es sinnlos wäre anzukämpfen. Sie leistet keinen Widerstand, aber sie flieht auch nicht. Indem sie die Zerstörung hinnimmt, scheint sie in ihrem Instinkt schon die künftige Wohnung zu sehen, die sie mit den Vorräten ihrer erbrochenen Stadt neu zu bauen hofft. Sie giebt die Gegenwart ohne Widerstand auf, um die Zukunft zu retten. Oder kommt es wohl auch vor, dass sie, wie der Hund in der Fabel, der »das Essen seines Herrn im Halse trägt«, zu der Einsicht gelangt, dass alles unwiederbringlich verloren ist, und es vorzieht, ihren Teil an der Beute in Beschlag zu nehmen und in einer einzigen wunderbaren Orgie das Leben mit dem Tod zu vertauschen? Wir wissen dies nicht genau. Aber wie sollten wir die Beweggründe der Bienen durchschauen, wenn die der einfachsten Handlungen unserer Mitbrüder uns vorenthalten bleiben?
Jedenfalls stürzen die Bienen bei jeder grossen Prüfung, die über ihre Stadt hereinbricht, bei jeder Umwälzung, die ihnen unabwendbar dünkt, sobald die Schreckenskunde sich unter dem schwarzen, zitternden Völkchen von Mund zu Mund verbreitet hat, sich auf die Waben, reissen die geheiligten Siegel der verdeckelten Wintervorräte auf, tauchen den Kopf in die duftenden Behälter, kriechen ganz hinein und schlürfen in langen Zügen den keuschen Blumenwein, berauschen sich damit und saugen sich voll, bis ihr geringelter Hinterleib sich verlängert und erweitert wie ein schwellendes Euter. Nun aber vermag die vom Honig aufgeschwellte Biene den Hinterkörper nicht mehr in dem Winkel zu krümmen, der erforderlich ist, um den Stachel zu zücken. Sie wird also dadurch sozusagen wehrlos.
Man wähnt zumeist, der Bienenzüchter brauchte den Räucherapparat, um die kriegerischen Schatzgräberinnen der Luft zu betäuben und halb zu ersticken und so ohne Widerstand in den Palast der unzähligen Dornröschen einzudringen. Aber das ist ein Irrtum. Der Rauch dient zuerst zum Verscheuchen der Wache am Eingang, die stets auf Posten und äusserst reizbar ist; dann genügen zwei oder drei Wolken, um die Panik unter die Arbeitsbienen zu tragen, und diese Panik hat die seltsame Orgie zur Folge, und die Orgie die Ohnmacht.
So erklärt es sich, dass man mit unverschleiertem Gesicht und blossen Armen die volkreichsten Stöcke öffnen, ihre Waben prüfen, die Bienen abschütteln und vor seine Füsse werfen, sie auf einen Haufen sammeln, wie Getreidekörner umschütten und inmitten des summenden Schwarms ruhig den Honig schneiden kann, ohne einen Stich zu bekommen.
Aber wehe dem, der die armen Bienenwohnungen anrührt! Es ist wahrscheinlich bei einer dieser Behausungen des Elends gewesen, wo der Unglückliche, von dem die Zeitungen meldeten, den Tod gefunden hat. In der That sind am Ende des Winters die Vorräte der meisten Bienenstöcke erschöpft, und ihre Insassen werden alsdann gefährlich. Hier vermag auch der Rauch nichts, und kaum hat man die ersten Wolken hineingeblasen, so kommen zwanzigtausend wütende kleine Teufel aus dem Innern hervorgeschossen, stürzen sich auf die Hände, umnebeln die Augen und bedecken das Gesicht des Störenfrieds. Kein lebendes Wesen, ausser dem Bären, wie man sagt, und dem Totenkopfschmetterling, widersteht der Wut der geflügelten Legionen.
Vor allem darf man keinen Kampf aufnehmen, sonst wachen auch die Nachbarkolonien auf. Es giebt kein anderes Heil als schnellste Flucht durch die Büsche. Die Biene ist nicht so rachsüchtig und unversöhnlich wie die Wespe und verfolgt den Feind selten. Wenn die Flucht unmöglich ist, kann allein die vollständige Unbeweglichkeit sie beruhigen oder irreführen. Sie fürchtet jede zu heftige Bewegung und greift sie an, aber sie verzeiht auf der Stelle, wenn man sich nicht mehr rührt.
Die armen Bienenstöcke leben oder besser sterben in den Tag hinein, und weil sie in ihren Zellen keinen Honig mehr haben, so hat auch der Rauch seine Wirkung verloren. Weil sie sich nicht vollsaugen können wie ihre begüterten Schwestern, so wird ihr Eifer nicht durch die Möglichkeit einer Neugründung der Stadt beherrscht. Sie wollen dann lieber auf der entweihten Schwelle sterben und verteidigen sie, mager und eingefallen, gelenk und zügellos, wie sie sind, mit unerhörtem Heldenmut und gleicher Hartnäckigkeit.
Darum transportiert der vorsichtige Imker auch keinen seiner darbenden Bienenstöcke, ohne zuvor den hungrigen Eumeniden ein Honigopfer gebracht zu haben. Er giebt ihnen eine Honigwabe, auf die sie sich stürzen, und auf der sie sich bei Zuhilfenahme von Rauch vollsaugen und berauschen – und alsbald sind sie entwaffnet wie die reichen Bürgerinnen der üppigen Städte.
Es wäre noch mancherlei zu sagen über den Zorn der Bienen und ihre seltsamen Abneigungen, die oft so wunderlich sind, dass man ihnen lange Zeit – und unter den Bauern thut man es noch jetzt – moralische Ursachen und tiefe mystische Intuitionen zu Grunde gelegt hat. So ist man z. B. überzeugt, dass die jungfräulichen Schnitterinnen die Nähe alles Unkeuschen nicht ertragen können. Es wäre erstaunlich, wenn die klügsten Geschöpfe, die mit uns auf diesem unbegreiflichen Erdball leben, der unschuldigsten Sünde ebensoviel Bedeutung beilegten wie der Mensch.
Im Grunde kümmern sie sich nicht darum; aber sie, deren ganzes Dasein sich im hochzeitlichen Hauche der Blumen wiegt, verabscheuen die künstlichen Düfte, die wir aus denselben gewinnen! Vielleicht benutzt Don Juan diese Parfüms mehr als ein tugendhafter Mensch; vielleicht trägt er an seinen Händen noch die innige und doch so lebendige Erinnerung an die langen Haare, die er geliebkost hat. Und daher der Zorn der eifersüchtigen Bienen, daher die Sage von der rächenden Tugend.
Aber es lernt sich nichts leichter als das bisschen Geschicklichkeit, das erforderlich ist, um ihn ungestraft zu vergewaltigen. Es genügt etwas Rauch, den man von Zeit zu Zeit hineinbläst, etwas Kaltblütigkeit und Sanftheit, und die wohlbewehrten Arbeiterinnen lassen sich ausplündern, ohne daran zu denken, ihren Stachel zu zücken. Sie erkennen ihren Herrn nicht, wie behauptet worden ist, sie fürchten den Menschen nicht, aber wenn sie den Rauch riechen und die ruhigen Bewegungen in ihrer Wohnung sehen, so bilden sie sich ein, dass es sich nicht um einen Angriff oder einen Feind handelt, gegen den sie sich verteidigen können, sondern um eine Naturkraft oder Katastrophe, in die sie sich fügen müssen. Statt einen fruchtlosen Kampf zu wagen, wollen sie in ihrer diesmal getäuschten Klugheit wenigstens die Zukunft retten: sie stürzen sich auf die Honigvorräte und schlucken möglichst viel davon herunter, um sie wo anders, gleichgültig wo, aber sofort, zur Gründung einer neuen Stadt zu verwerten, wenn die alte zerstört ist oder sie gezwungen sind, sie aufzugeben.

 

Der Laie pflegt zuerst einigermassen enttäuscht zu sein, wenn man ihm Einblick in einen Beobachtungskasten Ein Beobachtungskasten ist ein Bienenstock mit Glaswänden und schwarzen Vorhängen oder Läden. Die besten sind die, welche nur eine einzige Wabe enthalten, sodass man sie von beiden Seiten beobachten kann. Diese Kästen lassen sich ohne weiteres und ohne jede Gefahr in einem Wohn- oder Arbeitszimmer aufstellen, vorausgesetzt, dass sie einen Ausgang nach aussen haben. Die Bienen meines Beobachtungskastens, den ich in Paris in meinem Arbeitszimmer habe, tragen selbst in der Steinwüste der Grosstadt genug ein, um zu leben und fortzukommen. gewährt. Man hatte ihm versprochen, dass dieser Kasten ein ungeheures Mass von Thatkraft, eine Unzahl von weisen Gesetzen, eine erstaunliche Fülle von Geist, dass er Mysterien, Erfahrungen, Berechnungen, Wissen und Gewerbfleiss der verschiedensten Art, weise Voraussichten, Gewissheiten und Gewohnheiten voller Klugheit und eine Menge von seltsamen Tugenden und Gefühlen enthielte. Und nun erblickt er nur ein Gekribbel von rötlichen Beeren, die wie geröstete Kaffeebohnen aussehen, oder wie Rosinen, die massenhaft an den Scheiben sitzen. Sie scheinen mehr tot als lebendig und ihre Bewegungen sind langsam, unzusammenhängend und unverständlich. Er erkennt die herrlichen Lichttropfen nicht wieder, die noch eben ohne Unterlass in den gold- und perlenschimmernden Schoss von tausend geöffneten Blumenkelchen hinabtauchten und wieder hervorkamen. Sie zittern anscheinend in der Finsternis. Sie ersticken in einer unbeweglichen Menge; man möchte sagen, sie sind wie kranke Gefangene oder entthronte Königinnen, die nur einen glänzenden Augenblick unter den leuchtenden Blumen des Gartens leben, um alsbald in das scheussliche Elend ihres armseligen, engen Kerkers zurückzukehren.

Es ist mit ihnen, wie mit allen tiefen Realitäten. Man muss sie beobachten lernen. Wenn ein Bewohner einer andren Welt auf die Erde herabkäme und sähe, wie die Menschen durch die Strassen gehen, wie sie sich um einzelne Gebäude scharen oder auf gewissen Plätzen zusammendrängen, wie sie ohne auffällige Gebärden in ihren Wohnungen sitzen und harren, so würde er auch zu dem Schlusse kommen, dass sie träge und bedauernswert sind. Mit der Zeit erst beginnt man die vielseitige Thätigkeit, die in dieser Trägheit liegt, zu erkennen.

In Wahrheit arbeitet jede dieser fast unbeweglichen kleinen Bienen unermüdlich, und jede thut etwas andres. Keine kennt die Ruhe, und gerade die z. B., welche scheinbar eingeschlafen sind und wie leblose Trauben an den Scheiben hängen, haben die geheimnisvollste und ermüdendste Arbeit zu verrichten, sie bereiten das Wachs. Aber wir werden auf diese Einzelheiten ihrer streng geteilten Thätigkeit bald näher eingehen. Inzwischen genügt es, die Aufmerksamkeit auf den Hauptcharakterzug der Bienen zu lenken, durch den sich das enge Beieinandersitzen in dieser mannigfachen Thätigkeit erklärt. Die Biene ist vor allem und mehr noch als die Ameise ein Gesellschaftstier, sie kann nur zu vielen leben. Wenn sie aus dem dichtbesetzten Stocke ausfliegt, so muss sie sich mit dem Kopfe einen Weg durch die lebenden Mauern bahnen, die sie umschliessen, und sie verlässt damit ihr eigentliches Element. Sie taucht einen Augenblick in den blumenreichen Raum, wie der Schwimmer in den perlenreichen Ocean, aber sie muss, wenn ihr das Leben lieb ist, von Zeit zu Zeit wieder in den Dunstkreis ihrer Gefährtinnen zurück, wie der Schwimmer wieder auftaucht, um Luft zu schöpfen. Bleibt sie allein, so geht sie auch bei den günstigsten Temperaturverhältnissen und dem grössten Blumenreichtum in wenigen Stunden zu Grunde, nicht infolge von Hunger oder Kälte, sondern von Einsamkeit. Die Menge ihrer Schwestern, der Bienenstock, ist für sie ein zwar unsichtbares, aber nicht weniger unentbehrliches Nahrungsmittel als der Honig. Dieses Bedürfnis muss man sich gegenwärtig halten, will man den Geist der Gesetze des Bienenstaates erfassen. Das Individuum gilt im Bienenstock nichts, es hat nur ein Dasein aus zweiter Hand, es ist gleichsam ein nebensächlicher Faktor, ein geflügeltes Organ der Gattung. Sein ganzes Leben ist eine vollständige Aufopferung für das unzählige, beharrende Wesen, zu dem es gehört. Sonderbarerweise lässt sich feststellen, dass dies nicht immer so war. Man findet auch heute noch unter den Honigwespen alle Stadien der schrittweisen Entwickelung unserer Hausbiene vor. Auf der untersten Stufe arbeitet sie allein im Elend; oft erblickt sie nicht einmal ihre Nachkommenschaft (wie bei den Prosopis und Colletes), bisweilen lebt sie im engen Familienkreise mit ihrer jährlichen Brut (wie bei den Hummeln), vereinigt sich dann vorübergehend zu Gesellschaften (Grabbienen, Hosenbienen, Ballenbienen) und erreicht schliesslich, von Stufe zu Stufe steigend, die nahezu vollkommene Gesellschaftsform unserer Bienenstöcke, wo das Individuum vollständig in der Gesamtheit aufgeht und die Gesamtheit wiederum der abstrakten, unsterblichen Gesellschaft der Zukunft geopfert wird.

 

Hüten wir uns, aus diesen Thatsachen voreilige Schlüsse auf den Menschen zu ziehen. Der Mensch hat das Vermögen, sich den Naturgesetzen nicht zu fügen. Ob es Recht oder Unrecht ist, von diesem Vermögen Gebrauch zu machen: das ist der wichtigste, aber auch der unaufgeklärteste Punkt unserer Moral. Inzwischen ist es nicht belanglos, den Willen der Natur in einer anders gearteten Welt zu belauschen, und gerade bei den Honigwespen, die nächst dem Menschen unzweifelhaft die intelligentesten Bewohner dieses Erdballes sind, tritt dieser Wille sehr deutlich zu Tage. Er trachtet sichtlich nach Veredelung der Art, aber er zeigt auch, dass er diese nur auf Kosten der individuellen Freiheit und des individuellen Glückes erreichen will oder kann. In dem Masse, wie die Gesellschaft sich organisiert und erhebt, wird dem Sonderleben eines jeden ihrer Glieder ein immer engerer Kreis gezogen. Wo ein Fortschritt eintritt, geschieht dies durch ein immer vollkommeneres Opfer der persönlichen zu Gunsten der allgemeinen Interessen. Zunächst muss ein jedes Individuum auf eigenmächtige Laster verzichten. So findet man auf der vorletzten Kulturstufe der Bienen die Hummeln, die unseren Menschenfressern zu vergleichen sind: die ausgewachsenen Arbeiterinnen stellen nämlich unaufhörlich den Eiern nach, um sie zu fressen, und die Mutter muss sie mit aller Energie dagegen verteidigen. Ferner muss sich jedes Individuum, nachdem es die gefährlichsten Laster abgelegt hat, eine Anzahl von immer strenger gefassten Tugenden zu eigen machen. Die Arbeiterinnen bei den Hummeln lassen es sich z. B. noch nicht einfallen, der Liebe zu entsagen, während unsere Hausbiene in unbedingter Keuschheit lebt. Nun, wir werden ja bald sehen, was sie alles in Tausch giebt für das Wohlbefinden, die Sicherheit, die architektonische, ökonomische und politische Vollkommenheit des Bienenstockes, und wir kommen auf den Entwicklungsgang der Honigwespen in dem Kapitel über den »Fortschritt der Art« noch einmal zurück.


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