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III. Die Stadtgründung

Sehen wir indes zu, was der Schwarm in der von dem Imker dargebotenen Behausung macht, und zunächst gedenken wir des Opfers, das die fünfzigtausend Jungfrauen gebracht haben, die nach Ronsards Wort

»Ein edles Herz in kleinem Leibe tragen.«

Bewundern wir noch einmal den Mut, dessen es bedarf, um in der Wüste, in die sie gefallen sind, das Leben fortzusetzen. Sie haben die vorratsreiche, prächtige Stadt verlassen, in der sie geboren sind, wo das Leben so gesichert, so wundervoll organisiert war, wo der Saft aller Blumen, die der Sonne entgegenblühen, dem Dräuen des Winters zu spotten erlaubte. Tausend und abertausend kleine Töchter, die sie nie wieder sehen werden, haben sie in ihren Wiegen schlummernd zurückgelassen. Sie haben ausser dem riesigen Schatz von Wachs, Propolis und Blütenstaub, den sie aufgehäuft hatten, mehr als hundertundzwanzig Pfund Honig im Stich gelassen, d. h. mehr als das zwölffache Gewicht des ganzen Volkes und das sechsmalhunderttausendfache jeder Biene, was für den Menschen zweiundvierzigtausend Tonnen Lebensmittel vorstellen würde – eine ganze Flotte von grossen Lastschiffen, mit kostbareren und vollkommeneren Lebensmitteln beladen, als die, welche wir kennen, denn der Honig ist für die Bienen eine Art von Lebenselixir und Nahrungssaft, der unmittelbar und fast restlos verdaulich ist.

Hier in der neuen Wohnung ist nichts vorhanden, kein Tropfen Honig, kein Wachsstreifen, kein Merkzeichen und kein Stützpunkt. Es ist die trostlose Nacktheit eines riesenhaften Bauwerks, das nur Dach und Mauern hat. Die glatten, kreisrunden Wände bergen nur Finsternisse, und die riesige Wölbung droben ründet sich über der grossen Leere. Aber die Biene kennt kein unnötiges Heimweh, jedenfalls hält sie sich damit nicht auf. Kaum ist der Bienenkorb wieder aufgerichtet und an seinen Platz gestellt, kaum die Betäubung und Verwirrung des geräuschvollen Falles etwas gewichen, so sieht man in der kribbelnden Masse eine sehr reinliche und ganz unerwartete Scheidung eintreten. Die grosse Mehrzahl der Bienen beginnt wie ein Heer, das einem bestimmten Befehl gehorcht, in dichten Reihen an den Seitenwänden des Gebäudes hochzuklettern. In der Kuppel angelangt, krallen die ersten sich mit ihren Vorderfüssen darin fest, die folgenden an den Hinterfüssen der ersten und so weiter, bis lange Ketten entstehen, die der nachdrängenden Menge zur Brücke dienen. Allmählich vermehren, verstärken und verschränken sich diese Ketten und es entstehen Guirlanden, die durch den fortwährenden Aufstieg der Massen schliesslich in einen dicken, dreieckigen Vorhang übergehen, oder besser in einen kompakten Kegel, dessen Spitze im höchsten Punkte der Kuppel hängt, während die Basis sich bis zur Hälfte oder Dreiviertel der Gesamthöhe des Bienenkorbes herabzieht. Hat die letzte Biene, die sich durch eine innere Stimme zu dieser Gruppe berufen fühlt, den im Dunkeln hängenden Vorhang erreicht, so hört das Klettern auf, jede Bewegung erstirbt allmählich und der seltsame Kegel wartet Stunden und Stunden lang in einem geradezu andachtsvollen Schweigen und in einer schier erschrecklichen Unbeweglichkeit auf das Mysterium der Wachsbildung.

Während dieser Zeit prüft der Rest der Bienen, d. h. alle im unteren Teile des Bienenkorbes Zurückgebliebenen, das Gebäude und unternimmt die notwendigen Arbeiten, ohne sich irgendwie an der Bildung des wunderbaren Vorhanges zu beteiligen, in dessen Falten die Wundergabe herabzuträufeln beginnt, ohne sich auch nur versucht zu fühlen, dabei mitzuwirken. Sorgsam säubern sie den Fussboden und tragen welke Blätter, Hälmchen und Sandkörner Stück für Stück hinaus, denn der Reinlichkeitssinn der Bienen geht bis zum Wahnsinn, und wenn sie mitten im Winter zur Zeit der grossen Fröste allzulange verhindert sind, den »Reinigungsausflug« zu unternehmen, wie der Imker es nennt, so gehen sie lieber massenhaft an grässlichen Unterleibsleiden zu Grunde, als dass sie den Stock besudelten. Nur die Drohnen sind unverbesserlich unsauber und beschmutzen schamlos die Waben, auf denen sie sitzen, und die Arbeitsbienen sind dann gezwungen, hinter ihnen rein zu machen. Ist das Säubern beendigt, so beginnen die Bienen derselben profanen Gruppe, die sich an dem in einer Art von Extase dahängenden Kegel nicht beteiligt, die Innenwände ihrer gemeinsamen Wohnung sorgfältig zu verkitten. Alle Spalten werden untersucht und mit Propolis zugestopft und die Wände von oben bis unten gefirnisst. Die Thorwache wird eingesetzt und bald fliegt eine Anzahl von Arbeitsbienen aus, um Nektar und Pollen einzutragen.

 

Ehe wir die Falten des geheimnisvollen Vorhangs lüften, unter dem die Grundmauern der eigentlichen Wohnung gelegt werden, versuchen wir doch einmal uns klar zu machen, welche Intelligenz unser Völkchen von Auswanderern entwickeln muss, welches Augenmass und welcher Fleiss nötig sind, um das neue Obdach wohnlich zu machen, den Stadtplan im Leeren zu entwerfen und in Gedanken den Platz für die einzelnen Gebäude festzulegen, die so sparsam und so schnell wie möglich erbaut werden müssen, denn die Königin hat es eilig mit dem Eierlegen und setzt die ersten bereits auf den Boden. Es ist in diesem Labyrinth der verschiedensten, bisher nur in der Vorstellung bestehenden Bauten, die durchaus nach keinem Schema errichtet werden können, sowohl den Gesetzen der Ventilation, wie denen der Haltbarkeit und Stabilität Rechnung zu tragen; die Widerstandskraft des Wachses, die Art der aufzuspeichernden Lebensmittel, die Bequemlichkeit der Zugänge, die Lebensgewohnheiten der Königin, die gewissermassen vorherbestimmte, weil organisch zweckmässigste Verteilung der Vorratshäuser und Wohnräume, der Strassen und Durchgänge und viele andre Fragen, deren Aufzählung hier zu weit führen würde, sind zu bedenken.

Nun aber ist die Form der Wohnungen, die der Mensch den Bienen anbietet, die denkbar verschiedenste; sie wechselt vom hohlen Baumstamm oder der Thonröhre, die in Asien und Afrika noch im Gebrauch ist, und von der klassischen Strohglocke, die in einem Gebüsch von Monatsrosen und Sonnenblumen im Gemüsegarten oder unter den Fenstern unserer meisten Bauernhöfe steht, bis zu den wirklichen Werkstätten der modernen Mobilzucht, wo sich oft mehr als 150 Kilogramm Honig in drei oder vier Wabenstockwerken übereinander in einem herausnehmbaren Rahmen befinden, der das Ausschleudern der Waben mit einer Honigschleuder und das Wiedereinsetzen derselben gestattet, ganz als ob man in einer wohl geordneten Bibliothek ein Buch nach Benutzung wieder an seinen Platz stellt.

Laune oder Erwerbssinn des Menschen schlägt den Schwarm also eines Tages in die eine oder andre dieser recht ungleichen Wohnungen ein, und es ist nun Sache des kleinen Insekts, sich darin zurecht zu finden, Pläne zu modifizieren, die eigentlich unveränderlich sein sollten, und in diesem ungewohnten Raume die Lage des Wintersitzes zu bestimmen, der innerhalb der Zone der von dem halb erstarrten Volke noch erzeugten Wärme liegen muss; endlich muss der Brutraum seinen richtigen Platz haben, er darf, wenn kein Unglück geschehen soll, weder zu hoch noch zu tief, weder zu nahe am Flugloch noch zu weit davon entfernt sein. Der Schwarm kommt z. B. aus einem umgestürzten hohlen Baumstumpf, der nur einen langen, engen Gang bildete, und nun sieht er sich in einer Wohnung, die turmhoch ist und deren Dach sich im Finstern verliert. Oder, um uns in sein gewöhnliches Erstaunen zu versetzen: er war seit Jahrhunderten daran gewöhnt, unter dem Strohdach unserer ländlichen Bienenwohnungen zu hausen, und nun sperrt man ihn in eine Art Wandschrank oder grossen Kasten, der drei oder viermal grösser ist, als sein Elternhaus, in ein Durcheinander von Rahmen, die bald parallel, bald senkrecht zum Flugloch über einander hängen und alle Wandflächen des Baues mit einem Netz von Gerüsten bedecken.

 

Und doch gibt es keinen Fall, wo ein Schwarm die Arbeit verweigert hätte, wo er sich durch die Seltsamkeit der Umstände hätte verwirren oder entmutigen lassen, vorausgesetzt, dass die ihm dargebotene Wohnung nicht schlecht riecht oder wirklich unbewohnbar ist. Aber selbst in diesem Falle tritt keine Entmutigung und Bestürzung oder Pflichtverweigerung ein: der Schwarm verlässt dann einfach die ungastliche Stätte und sucht sich anderswo etwas Besseres. Ebensowenig lässt sich sagen, dass man die Bienen je habe veranlassen können, eine sinnlose oder unzweckmässige Arbeit zu verrichten. Man hat nie festgestellt, dass die Bienen den Kopf verloren und nicht gewusst hätten, welchen Entschluss sie fassen sollten, dass sie planlose, missratene oder überflüssige Bauten unternommen hätten. Man schüttle sie in eine Hohlkugel, einen Trichter, eine Pyramide, einen ovalen oder eckigen Korb, eine Röhre oder eine Spirale, und man besuche sie einige Tage später, vorausgesetzt, dass sie die Wohnung angenommen haben, so wird man sehen, dass diese seltsame Vielheit von kleinen, selbständig denkenden Köpfen sich unmittelbar geeinigt und nach einer Methode, deren Grundsätze unwandelbar, aber deren Folgen lebendig sind, den günstigsten und oft den einzig brauchbaren Punkt der sonderbaren Wohnung ohne Zaudern gewählt hat.

Wenn man sie in einen der obengenannten grossen Kastenstöcke bringt, so beachten sie die darin befindlichen Rahmen nur insoweit, als sie ihnen zum Ausgangs- und Stützpunkt beim Bau ihrer Waben dienen, und das ist schliesslich auch ganz verständlich, da die Wünsche und Absichten des Menschen ihnen ja gleichgültig sind. Wenn der Bienenzüchter aber den oberen Rand einiger Rahmen mit einem schmalen Wachsstreifen versehen hat, so begreifen sie sogleich den Vorteil, der in dieser angefangenen Arbeit liegt, bauen den Streifen sorgsam aus und führen den angedeuteten Plan mit eigenem Wachs zu Ende. Desgleichen – und der Fall tritt bei dem intensiven Betriebe von heute häufig ein – wenn alle Rahmen des Stockes, in den man den Schwarm eingeschlagen hat, von oben bis unten mit angefangenen Kunstwaben bedeckt sind, so fangen sie keinen Zeit und Wachs vergeudenden Neubau an, sondern sie nehmen die Gelegenheit wahr, das begonnene Werk weiterzuführen, und bauen die eingepressten Zellenansätze bis zur Normaltiefe fertig, wobei sie übrigens an Stellen, wo die künstliche Wabe von der haarscharfen Senkrechten abweicht, ihre Korrektur vornehmen. Auf diese Weise besitzen sie in mehr als einer Woche eine ebenso prächtige und wohlgebaute Stadt, wie die eben verlassene, während sie, auf sich allein angewiesen, zwei oder drei Monate gebraucht hätten, um dasselbe Gewirr von Speicherräumen und weissen Wachshäusern aufzuführen.

 

Dieses Anpassungsvermögen scheint die Grenzen des »Instinkts« doch merklich zu überschreiten. Überdies ist nichts willkürlicher, als dieses Unterscheiden zwischen Instinkt und Intellekt. Sir John Lubbock, der über Ameisen, Wespen und Bienen ganz persönliche und sonderbare Beobachtungen gemacht hat, ist vielleicht infolge einer unbewussten und etwas ungerechten Vorliebe für die Ameisen, die er am genausten beobachtet hat, – denn jeder Beobachter will, dass das von ihm studierte Insekt intelligenter und bemerkenswerter sei als die andern, und man thut wohl daran, sich vor solchen kleinen Anwandlungen von Eigenliebe zu hüten – Sir John Lubbock, sage ich, ist sehr geneigt, der Biene jedes Unterscheidungsvermögen und jede Überlegung abzusprechen, sobald es sich nicht um ihre gewöhnlichen Arbeiten handelt. Als Beweis giebt er ein Experiment, das Jeder leicht wiederholen kann. Man thue in eine Wasserflasche ein halbes Dutzend Fliegen und ebenso viele Bienen, lege die Flasche wagerecht und drehe ihren Boden dem Zimmerfenster zu. Die Bienen werden sich stundenlang abquälen, einen Ausgang durch den Glasboden zu finden, bis sie schliesslich vor Erschöpfung und Hunger sterben, während die Fliegen in weniger als zwei Minuten zur entgegengesetzten Seite durch den Flaschenhals entschlüpft sind. Sir John Lubbock schliesst daraus, dass der Verstand der Biene äusserst beschränkt ist und dass die Fliege viel mehr Geschick besitzt, sich aus der Verlegenheit zu ziehen und ihren Weg zu finden. Dieser Schluss scheint nicht einwandsfrei. Man wende bald den Boden, bald den Flaschenhals dem Lichte zu, zwanzigmal, wenn man will, und die Bienen werden sich zwanzigmal umdrehen, und dem Licht entgegenfliegen. Was sie in dem Experiment des englischen Gelehrten herabsetzt, ist ihre Liebe zum Licht und ihr Verstand selbst. Sie bilden sich augenscheinlich ein, dass die Befreiung aus jedem Gefängnis auf der Lichtseite liegt, sie handeln also ganz folgerichtig, nur zu folgerichtig. Sie wissen nichts von dem übernatürlichen Mysterium, das für sie das Glas ist, diese plötzlich undurchdringliche Luft, die es in der freien Natur nicht giebt und die ihnen um so unverständlicher sein muss, je intelligenter sie sind. Die hirnlosen Fliegen, die sich um die Logik, den Ruf des Lichtes und das Wunder des Krystalls nicht kümmern, schwirren planlos in der Flasche herum, bis sie schliesslich mit dem Glück der Einfältigen, die sich oft da retten, wo die Weisheit verdirbt, in den guten Flaschenhals geraten, der sie befreit.

 

Derselbe Naturforscher giebt noch einen anderen Beweis ihres mangelnden Verstandes, indem er sich auf den grossen amerikanischen Bienenzüchter, den ehrwürdigen und väterlichen Langstroth beruft. »Da die Fliege«, sagt Langstroth, »nicht dazu geschaffen ist, von Blumen, sondern von Dingen zu leben, in denen sie leicht ertrinken könnte, so setzt sie sich vorsichtig auf den Rand von Gefässen, die eine flüssige Nahrung enthalten, und saugt klüglich daraus, während die arme Biene sich kopfüber hineinstürzt und bald darin umkommt. Das traurige Geschick ihrer Mitschwestern hält die anderen nicht ab: sobald sie sich derselben Lockspeise nähern, setzen sie sich wie wahnsinnig auf Leichen und Sterbende, um alsbald ihr trauriges Los zu teilen. Niemand kann ihren Wahnsinn ganz ermessen, wenn er nicht gesehen hat, mit welcher nimmersatten Gier sie scharenweise in die Zuckersiedereien eindringen. Ich habe tausende aus dem Zuckersaft herausziehen sehen, in dem sie ertrunken waren, tausende auf den siedenden Zucker sich setzen; der Boden war mit Bienen bedeckt und die Fenster von ihnen verdunkelt; die einen krochen, die andren flogen, wieder andere waren so vollständig verkleistert, dass sie weder kriechen noch fliegen konnten; nicht eine von zehn war im stande, die verderbliche Beute heimzutragen, und doch war die Luft voll von Myriaden von Neuankömmlingen, die ebenso unsinnig waren.«

Auch dies erscheint mir nicht entscheidender, als für einen übermenschlichen Beobachter, der die Grenzen unseres Verstandes feststellen will, der Anblick der Alkoholverwüstungen unter den Menschen oder eines Schlachtfeldes. Die Biene ist uns gegenüber in einer seltsamen Lage; sie ist geschaffen, um in der gleichgültigen und unbewussten Natur zu leben, und nicht an der Seite eines Ausnahmewesens, das die festesten Gesetze rings um sie erschüttert und grossartige, unbegreifliche Erscheinungen hervorruft. In der Natur, im eintönigen Waldleben wäre der von Langstroth beschriebene Wahnsinn nur dann möglich, wenn ein honigstrotzender Bau durch irgend einen Zufall auseinanderbräche. Aber dann gäbe es keine tötlichen Fenster, keinen kochenden Zucker, keinen dicken Syrup, und folglich auch keine Toten und keine anderen Gefahren als die, welche jedem Beute machenden Tiere drohen.

Würden wir unsere Kaltblütigkeit besser bewahren als sie, wenn eine unbekannte Gewalt unsere Vernunft auf Schritt und Tritt auf die Probe stellte? Es ist für uns also sehr schwer, die Bienen zu beurteilen, die wir selbst toll machen, und deren Verstand nicht darauf gerüstet ist, unsere Fallen zu meiden, ebensowenig wie der unsere darauf gerüstet ist, der Listen eines heutigen Tages unbekannten, aber nichts destoweniger doch möglichen, höheren Wesens zu spotten. Da wir es nicht kennen, schliessen wir daraus, dass wir den Gipfel dieses Erdenlebens erklommen haben, aber im ganzen genommen ist das nicht unbestreitbar. Ich verlange nicht, dass wir uns bei ungereimten oder niedrigen Handlungen, die wir thun, in den Schlingen dieses Wesens wähnen, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies eines Tages Wahrheit sein wird. Andererseits kann man vernünftiger Weise nicht behaupten, die Bienen seien jedes Verstandes bar, weil es ihnen noch nicht gelungen ist, uns von dem Affen oder dem Bären zu unterscheiden, und sie uns behandeln, wie sie diese eingeborenen Bewohner des Urwaldes behandeln würden. Es ist gewiss, dass in und um uns Einflüsse und Mächte herrschen, die einander ebenso unähnlich sind und von uns doch nicht unterschieden werden.

Zuletzt, und um diese Apologie der Bienen abzuschliessen, mit der ich selbst ein wenig in die Anwandlungen von Eigenliebe verfalle, die ich dem Sir John Lubbock vorwarf, steht die Frage noch offen, ob man nicht intelligent sein muss, um so grosser Thorheiten fähig zu sein. Ist es doch stets so in dem ungewissen Bereich des Verstandes, welcher der unsicherste und schwankendste Zustand der Materie ist. In derselben Flamme wie der Verstand, ist auch die Leidenschaft, und man kann nicht einmal genau sagen, ob sie der Rauch oder der Docht der Flamme ist. Und hier ist die Leidenschaft der Bienen edel genug, um das Schwanken des Verstandes zu entschuldigen. Was sie zu dieser Tollheit treibt, ist nicht das tierische Verlangen, sich voll Honig zu saugen. Das hätten sie in den Zellen ihres Baues leichter. Man beobachte sie und verfolge sie in einem analogen Falle, und man wird sehen, dass sie, sobald ihre Honigblase voll ist, nach dem Bienenstock zurückkehren, ihre Beute abgeben und dreissig Mal in einer Stunde nach dem wunderbaren Erntefelde zurückkehren. Es ist also derselbe Trieb, der sie so viel Bewundernswertes thun lässt: der Eifer, dem Hause ihrer Schwestern und der Zukunft so viel Gutes zuzuführen, als sie vermögen. Wenn die Thorheiten der Menschen eine ebenso selbstlose Ursache haben, pflegen wir ihnen einen andern Namen zu geben.

 

Dennoch muss die ganze Wahrheit gesagt werden. Angesichts der Wunder ihres Gewerbfleisses, ihres Gemeinsinnes und ihrer Opferfreudigkeit, muss uns ein Umstand immerhin in Erstaunen setzen und unsere Bewunderung etwas beeinträchtigen, nämlich ihre Gleichgültigkeit gegen den Tod und das Unglück ihrer Mitschwestern. Es geht durch den Charakter der Bienen ein seltsamer Spalt. Im Bienenkorbe lieben und helfen sich alle. Sie sind so einig, wie die guten Gedanken derselben Seele. Verletzt man eine, so opfern sich tausend, um ihre Mitbürgerin zu rächen. Ausserhalb des Bienenstockes kennen sie sich nicht mehr. Man verstümmele oder vernichte – oder besser, man thue es nicht, es wäre eine unnötige Grausamkeit, denn die Thatsache steht fest, – aber gesetzt, man verstümmelte oder vernichtete auf einem Stück Wabenhonig, ein paar Schritte vom Bienenstand entfernt, zwanzig oder dreissig Bienen aus demselben Stocke, und die nicht getroffenen werden nicht einmal den Kopf drehen, sondern achtlos gegen die in Todeszuckungen Liegenden, deren letzte Bewegungen ihre Glieder streifen, deren Schmerzensrufe ihnen ins Ohr gellen, saugen sie nach wie vor mit ihrer phantastischen Zunge, die wie eine chinesische Waffe aussieht, den Saft, der ihnen kostbarer ist als das Leben. Und wenn die Wabe leer ist, klettern sie, um nichts zu verlieren, um auch den Honig, der an den Opfern klebt, noch zu gewinnen, ruhig über Leichen und Verwundete weg, ohne sich über das Vorhandensein der Einen aufzuregen und ohne den Anderen Hilfe zu bringen. Sie haben in diesem Falle also weder einen Begriff von der Gefahr, die sie laufen, denn der Tod, den sie um sich sehen, erschüttert sie nicht im Mindesten, noch das geringste Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Mitleids. Was die Gefahr betrifft, so ist das erklärlich: die Biene kennt in der That keine Furcht, und nichts in der Welt kann sie schrecken, ausser dem Rauche. Ausserhalb ihres Bienenkorbes ist sie voller Langmütigkeit und Friedfertigkeit. Sie weicht dem Störenfried aus und ignoriert das Vorhandensein alles dessen, was sie nicht unmittelbar angeht. Man möchte sagen, dass sie sich in einer Welt fühlt, die Allen gehört, wo Jeder Anspruch auf seinen Platz hat, wo man friedlich und nachsichtig sein muss. Aber unter dieser Nachsichtigkeit und Friedfertigkeit verbirgt sich ein so selbstgewisses Herz, dass sie garnicht daran denkt, sich zu behaupten. Sie weicht aus, wenn jemand sie bedroht, aber sie flieht nie. Andrerseits beschränkt sie sich im Bienenstock keineswegs auf dieses passive Ignorieren der Gefahr. Sie stürzt sich mit einer unerhörten Wucht auf jedes lebende Wesen, Ameise, Löwe oder Mensch, das ihre heilige Arche anzutasten wagt. Nennen wir das je nach unserer geistigen Veranlagung Zorn, Verbissenheit, Stumpfsinn oder Heroismus.

Aber über ihren Mangel an Solidaritätsgefühl ausserhalb des Bienenstockes weiss ich nichts zu sagen. Man muss wohl annehmen, dass es sich auch hier um jene unverhofften Grenzen handelt, die jeder Art von Verstand gezogen sind, und dass die kleine Flamme, die durch den schwierigen Verbrennungsprozess so vieler träger Stoffe nur mühsam dem Gehirn entstrahlt, jederzeit so ungewiss ist, dass sie einen Punkt nur auf Kosten vieler anderer erleuchtet. Man kann sich sagen, dass die Biene – oder die Natur in der Biene – die gemeinsame Arbeit, den Kultus der Zukunft und die Fernstenliebe in einer nie wieder erreichten Vollkommenheit durchgeführt hat. Sie lieben über sich hinaus und wir lieben vornehmlich, was um uns ist. Vielleicht genügt es, hier zu lieben, um dort keine Liebe mehr übrig zu haben. Nichts ist veränderlicher als die Richtung der Barmherzigkeit oder des Mitleids. Wir selbst wären ehedem über diese Fühllosigkeit der Bienen weit weniger erstaunt gewesen, und manchen alten Schriftstellern wäre es garnicht eingefallen, sie deswegen zu tadeln. Zudem können wir nicht ahnen, wie sehr ein Wesen, das uns so beobachten würde, wie wir sie beobachten, über uns in Erstaunen geraten würde.

 

Schliesslich müssten wir, um uns von ihrem Verstand eine genauere Vorstellung zu machen, festzustellen suchen, auf welche Weise sie sich mit einander verständigen. Denn dass sie sich verständigen, ist sonnenklar; ein Gemeinwesen von so grosser Volkszahl, dessen Arbeiten so mannigfach sind und doch so wunderbar harmonieren, könnte bei der Unfähigkeit seiner Mitglieder, in Verbindung miteinander zu gelangen und aus ihrer geistigen Vereinsamung herauszutreten, nicht bestehen. Sie müssen also die Fähigkeit haben, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken, sei es durch eine Lautsprache, sei es, was wahrscheinlicher ist, mit Hilfe einer Tastsprache oder einer magnetischen Übertragung, die sich vielleicht an Eigenschaften der Materie und an Sinne knüpft, die uns völlig unbekannt sind, und der Sitz dieser Sinne könnte sich in ihren geheimnisvollen Fühlern befinden, welche die Finsternis abtasten und fühlen und nach den Berechnungen von Cheshire bei den Arbeitsbienen aus zwölftausend Fühlfäden und fünftausend Geruchshöhlen bestehen. Dass sie sich nicht nur über ihre gewöhnlichen Arbeiten verständigen, sondern dass auch Aussergewöhnliches Platz und Namen in ihrer Sprache hat, das geht daraus hervor, dass jede gute oder böse, gewohnte oder übernatürliche Nachricht sich durch den Bienenstock verbreitet, z. B. Verlust und Wiederkehr der Königin, Eindringen eines Feindes, einer fremden Königin, Nahen eines Räuberschwarms, Entdeckung eines Schatzes u. s. w. Das Benehmen und die Töne der Bienen sind bei jedem dieser Ereignisse so verschieden, so charakteristisch, dass der gewiegte Bienenwirt unschwer errät, was in dem kribbelnden Dunkel des Bienenstockes vorgeht.

Will man einen deutlicheren Beweis, so beobachte man eine Biene, die auf einem Fensterbrett oder einer Tischecke ein paar Honigtropfen gefunden hat. Zuerst saugt sie sich so gierig voll, dass man sie in aller Musse, ohne sie in ihrer Arbeit zu stören, mit einem kleinen Farbfleck zeichnen kann. Aber diese Fressgier ist nur scheinbar. Der Honig kommt nicht in den eigentlichen, sozusagen persönlichen Magen der Biene, er bleibt im Honigmagen, der gewissermassen der Magen der Gesamtheit ist. Sobald dieses Behältnis gefüllt ist, fliegt die Biene von dannen, aber nicht blind und unmittelbar, wie ein Schmetterling oder eine Fliege. Man wird sie im Gegenteil einige Augenblicke rückwärts fliegen sehen; sie schwirrt aufmerksam in der Fensteröffnung oder um den Tisch herum, den Kopf nach dem Zimmer gewandt. Sie prägt sich die Örtlichkeit ein und merkt sich genau die Stelle, wo der Schatz liegt. Dann erst fliegt sie nach dem Stock zurück, entleert ihre Beute in eine der Vorratszellen und ist in drei oder vier Minuten wieder da, um eine neue Ladung von dem wunderbaren Brett zu holen. Alle fünf Minuten kommt sie, solange noch Honig da ist, und wenn es bis zum Abend währt, ununterbrochen wieder und fliegt, ohne sich die geringste Ruhe zu gönnen, von dem Fenster nach dem Bienenstock und vom Bienenstock nach dem Fenster.

 

Ich will die Wahrheit nicht ausschmücken, wie Viele es gethan haben, die über die Bienen schrieben. Beobachtungen dieser Art sind nur dann von Interesse, wenn sie absolut ehrlich sind. Ich hätte vielleicht gesagt, dass die Bienen unfähig sind, sich über ein Ereignis ausserhalb des Bienenstockes zu verständigen, wenn ich gelegentlich einer kleinen experimentellen Enttäuschung ein Vergnügen daran gefunden hätte, wieder einmal zu konstatieren, dass der Mensch im Grunde genommen doch das einzige wirklich vernunftbegabte Wesen auf diesem Erdball ist. Und dann empfindet man, wenn man bis zu einem gewissen Punkte des Lebens gekommen ist, mehr Freude daran, etwas Wahres zu sagen, als etwas Auffälliges. Hier wie in allen Dingen muss man sich von dem Grundsatz leiten lassen: wenn die nackte Wahrheit uns im Augenblick weniger gross, edel oder anziehend erscheint, als der erträumte Schmuck, mit dem man sie behängen könnte, so liegt die Schuld an uns, weil wir die stets erstaunlichen Beziehungen, die zwischen unserm Wesen und den Weltgesetzen bestehen müssen, noch nicht zu erkennen vermögen, und es ist in diesem Falle also nicht die Wahrheit, die einer Vergrösserung und Veredelung bedarf, sondern unser Verstand.

Ich will also eingestehen, dass die gezeichneten Bienen oft allein wiederkehren. Man muss wohl glauben, dass es unter ihnen dieselben Charakterunterschiede giebt, wie bei den Menschen, und dass die einen schweigsam, die andern mitteilsam sind. Jemand, der meinen Versuchen beiwohnte, bemerkte, dass es bei vielen Eitelkeit oder Egoismus sein könnte, was sie bestimmt, die Quelle ihres Reichtums nicht zu verraten, um den Ruhm einer Leistung, die der Schwarm für wunderbar halten muss, nicht mit andern zu teilen. Aber das sind recht niedrige Laster, die nicht nach dem reinen und frischen Duft des Hauses ihrer tausend Schwestern schmecken. Wie dem indes auch sei, es geschieht auch oft genug, dass die vom Glück begünstigte Biene mit zwei oder drei Gefährtinnen wieder kommt. Es ist mir bekannt, dass Sir John Lubbock im Anhang zu seinem Werke »Ants, Bees and Wasps« ausführliche und gewissenhafte Beobachtungstabellen aufstellt, aus denen hervorzugehen scheint, dass fast nie andere Bienen der Wegweiserin folgen. Ich weiss freilich nicht, welche Bienenart der gelehrte Naturforscher beobachtet hat, oder ob die Umstände besonders ungünstig waren. Meine eigenen Beobachtungstabellen, die ich sorgfältigst aufgestellt habe, indem ich unter Benutzung aller möglichen Vorsichtsmassregeln verhinderte, dass die Bienen direkt durch den Honigduft angezogen wurden, ergaben, dass im Durchschnitt viermal in zehn Fällen andere Bienen von der ersten mitgebracht wurden.

Einmal betupfte ich einer besonders kleinen italienischen Biene den Leib mit einem Farbfleck. Beim zweiten Male kam sie mit zwei Schwestern wieder. Ich fing diese weg, ohne dass sie sich stören liess. Das nächste Mal kam sie mit drei Gefährtinnen wieder, die ich ebenfalls wegfing, und so fort, bis ich am Ende des Nachmittags achtzehn Bienen gefangen hatte. Sie hatte also achtzehn Schwestern die Mitteilung zu machen gewusst.

Alles in allem genommen, wird man bei solchen Experimenten zu dem Schlusse kommen, dass die Mitteilung an andere, wo nicht regelmässig, so doch häufig stattfindet, und dieses Vermögen der Bienen ist den Bienenjägern Amerikas so gut bekannt, dass sie es sich beim Ausspüren von Nestern regelmässig zu nutze machen. »Sie wählen«, sagt Josiah Emmery, »zum Beginn ihrer Thätigkeit ein Feld oder ein Gehölz, das weitab von allen Bienenständen zahmer Bienen liegt. Hier angekommen, lauern sie einigen Bienen auf, welche die Blüten befliegen, fangen sie weg und sperren sie in einen mit Honig versehenen Kasten. Sobald sich die Bienen darin vollgesogen haben, lassen sie sie wieder fliegen. Nun kommt ein Augenblick des Wartens, dessen Dauer von der Entfernung des Bienennestes abhängt, aber bei einiger Geduld findet der Jäger seine Bienen allemal mit einem Gefolge von mehreren Gefährtinnen wieder. Er fängt sie von neuem ein, regaliert sie und lässt sie jede nach einer andern Seite fliegen, wobei er genau aufpasst, welche Richtung sie nehmen. Der Punkt, nach dem sie zusammenzustreben scheinen, giebt ihm die mutmassliche Lage des Nestes an.« (Citiert von Romanes in »L'Intelligence des Animaux«, Bd. I, S. 117)

 

Man wird bei Wiederholung des oben genannten Experimentes bemerken, dass die mitgebrachten Freundinnen, die der Losung des Glückes gehorchen, nicht immer zusammen ankommen und dass oft ein Zwischenraum von mehreren Sekunden zwischen der Ankunft der einzelnen liegt. Man muss sich also über ihr Mitteilungsvermögen dieselbe Frage vorlegen, die Sir John Lubbock für die Ameisen gelöst hat: Thun die Gefährtinnen, die sich bei dem von der ersten Biene entdeckten Schatze mit einfinden, nichts weiter, als dass sie dieser folgen, oder sind sie vielleicht von ihr geschickt und finden ihn selbst nach deren Angaben und der von ihr gemachten Ortsbeschreibung? Es wäre dies, wie man leicht einsieht, ein gewaltiger Unterschied hinsichtlich der Höhe und Vollkommenheit ihres Verstandes. Dem gelehrten Engländer ist es mit Hilfe eines komplizierten und sehr sinnreichen Apparates von Gängen und Stegen, Wassergräben und fliegenden Brücken gelungen, nachzuweisen, dass die Ameisen in diesem Falle einfach der Fährte der Wegweiserin folgen. Solche Experimente sind nun zwar sehr sinnreich bei den Ameisen, die man zwingen kann, einen bestimmten Weg zu wählen, aber der Biene, die Flügel hat, stehen alle Wege offen und man müsste zu andern Hilfsmitteln greifen. Das folgende habe ich angewandt, ohne jedoch zu entscheidenden Resultaten gekommen zu sein. In grösserer Vervollkommnung aber und unter günstigeren Umständen dürfte es doch zu befriedigender Gewissheit führen.

Mein Arbeitszimmer auf dem Lande liegt im ersten Stock über einem sehr hohen Erdgeschoss. Ausser in der Blütezeit der Kastanien und Linden pflegen die Bienen nie sehr hoch zu fliegen, sodass ich ein Stück entdeckelten Wabenhonig (d. h. gefüllte Honigwaben, von denen die Wachsdeckel entfernt waren) vor dem Experiment mehr als eine Woche lang auf dem Tische liegen hatte, ohne dass eine einzige Biene von dem Duft angelockt wurde und die Wabe beflog. Ich nahm nun eine italienische Biene aus einem unfern des Hauses aufgestellten Beobachtungsstock, trug sie in mein Arbeitszimmer hinauf und liess sie an dem Honig naschen, während ich sie mit einem Farbfleck betupfte.

Als sie sich vollgesogen hatte, flog sie nach ihrem Bienenstock zurück. Ich ging hinterher und sah, wie sie hastig über die andern Bienen hinweglief, ihren Kopf in einer leeren Zelle verschwinden liess, den Honig entleerte und sich zum Ausfliegen anschickte. Zwanzigmal hintereinander wiederholte ich denselben Versuch mit verschiedenen Bienen und fing dabei jedesmal die geköderte Biene fort, sodass die andern ihrer Spur nicht folgen konnten. Ich hatte zu diesem Zwecke vor dem Flugloch einen Glaskasten angebracht, der durch eine Klappthür in zwei Abteilungen geschieden war. Kam die gezeichnete Biene allein heraus, so fing ich sie einfach weg und wartete dann in meinem Zimmer auf die Ankunft der Freundinnen, denen sie die Nachricht gebracht hätte. Kam sie mit zwei oder drei andern Bienen heraus, so hielt ich sie in der ersten Abteilung des Glaskastens gefangen und trennte sie so von ihren Gefährtinnen, denen ich einen Fleck von anderer Farbe auftupfte und dann die Freiheit gab, wobei ich sie mit den Augen verfolgte. Es ist klar, dass ich, wenn eine lautliche oder magnetische Mitteilung stattgefunden hätte, die eine Ortsbeschreibung und Orientierungsmethode in sich schlösse, eine Anzahl von Bienen, die auf die Fährte gesetzt waren, in meinem Zimmer hätte vorfinden müssen. Ich muss gestehen, dass sich nur eine einfand. Folgte sie den im Bienenstock empfangenen Anweisungen, oder war es reiner Zufall? Die Beobachtung war nicht ausreichend genug, aber die Umstände verstatteten nicht, sie fortzusetzen. Ich liess die Bienen wieder frei, und alsbald war mein Arbeitszimmer voll von der summenden Menge, der sie in ihrer gewohnten Weise den Weg zum Schatze gewiesen hatten. Ich habe das Experiment bei der ersten Frühlingssonne dieses ungünstigen Jahres wiederholt, und zwar mit dem gleichen negativen Ergebnis. Ein mir befreundeter Bienenzüchter, der ein sehr geschickter und sehr zuverlässiger Beobachter ist und von mir dieses Problem vorgelegt erhielt, schreibt mir, er hätte bei demselben Experiment vier Fälle zu verzeichnen, wo unweigerlich eine Mitteilung stattgefunden haben müsste. Die Thatsache verdient festgestellt zu werden, doch die Frage bleibt ungelöst. Auch bin ich überzeugt, dass mein Freund sich durch das sehr begreifliche Verlangen, sein Experiment gelingen zu sehen, irreführen liess.

 

Aber auch ohne aus diesem unvollkommenen Versuch Schlüsse zu ziehen, sie ht man sich zu der Annahme gezwungen, dass die Bienen in geistigen Beziehungen zu einander stehen, die über ein blosses Ja und Nein oder jene elementaren Mitteilungen, die durch Geberde oder Vorbild entstehen, weit hinausgehen. Man braucht nur die rührende Harmonie ihrer Arbeiten im Bienenstock, die überraschende Arbeitsteilung und die regelmässige Ablösung in der Arbeit zu bedenken. Ich habe oft beobachtet, wie die Beutemacherinnen, die ich am Morgen betupft hatte, ausser bei ungewöhnlichem Blumenreichtum nachmittags damit beschäftigt waren, das Brutnest auszulüften oder zu »bebrüten«; andere fand ich unter der Schar wieder, die jene geheimnisvollen, wie tot dahängenden Ketten bildet, in deren Mitte die Wachszieherinnen und Steinmetze arbeiten. Ebenso habe ich beobachtet, wie die Arbeiterinnen einen ganzen Tag lang Pollen eintrugen, am nächsten Tage dagegen ausschliesslich Nektar und umgekehrt.

Schliesslich wäre noch eine Erscheinung zu berücksichtigen, die der berühmte französische Bienenzüchter Georges de Layens »die Verteilung der Bienen auf die honigspendenden Pflanzen« nennt. Allmorgendlich, wenn die Sonne aufgeht und die mit dem Morgenrot ausgesandten Spürbienen zurückkehren, erhält der erwachende Bienenstock sichere Nachrichten von draussen. »Heute blühen die Linden an den Kanalufern.« »Der Weissklee leuchtet durch das Gras am Wege.« »Steinklee und Salbei sind im Aufblühen.« »Lilien und Reseda strömen von Pollen über.« Da heisst es, sich schnell zusammenthun, Massregeln ergreifen und die Arbeit einteilen. Fünftausend von den stärksten werden hinauf zu den Lindenwipfeln fliegen, dreitausend jüngere den Weissklee besuchen. Die einen fahndeten gestern auf den Nektar der Blumenkelche, heute sollen sie ihre Zunge und die Drüsen des Honigmagens schonen; sie werden den roten Reseda-Pollen, den gelben Pollen der grossen Lilien eintragen, denn nie wird man eine Biene Pollen von verschiedenen Blumensorten und verschiedener Farbe ernten oder vermischen sehen, und das methodische Sortieren der einzelnen Arten dieses schönen duftigen Mehls, je nach Farbe und Herkunft, bildet eine der Hauptbeschäftigungen im Stocke selbst. So werden die Befehle von einem verborgenen Geiste ausgegeben, und alsbald kommen die Arbeiterinnen in langen Zügen hervor, um jede unbeirrt ihrer Aufgabe entgegenzufliegen. »Anscheinend«, sagt de Layens, »sind die Bienen genau informiert über Standort, Honiggehalt und Entfernung aller honigtragenden Pflanzen in einem gewissen Umkreise um den Bienenstock. Merkt man sich genau die Richtung, welche die Beutemacherinnen einschlagen, und kann man die Ernte, die sie von den verschiedenen Pflanzen der Umgegend eintragen, methodisch beobachten, so stellt sich heraus, dass die Arbeitsbienen sich sowohl nach der Quantität der Pflanzen einer Art, wie nach ihrem Honigreichtum in die verschiedenen Blumen teilen. Mehr noch: sie schätzen täglich ab, welcher Zuckersaft der beste zum Einernten ist. Wenn z. B. nach Abblühen der Salweiden noch nichts auf den Feldern erblüht ist und die Bienen auf die ersten Waldblumen angewiesen sind, so kann man sie beim regen Besuche von Anemonen, Schlüsselblumen, Narzissen und Veilchen sehen. Ein paar Tage darauf, wenn die Raps- und Kohlfelder in genügender Menge erblüht sind, sieht man sie ihre Waldblumen fast vollständig verlassen, obschon sie noch in voller Blüte stehen, und sich ganz den Raps- und Kohlblüten widmen. So verteilen sie sich täglich auf die Pflanzen, die in möglichst kurzer Zeit den besten Zuckersaft liefern. Man kann also sagen, das Bienenvolk weiss sowohl in seinen Erntearbeiten, wie im Innern des Bienenstocks eine rationelle Verteilung der Arbeitsbienen vorzunehmen und zwar unter strikter Anwendung des Prinzips der Arbeitsteilung.«

 

Aber, wird man sagen, was liegt uns daran, ob die Bienen mehr oder minder intelligent sind? Warum mit soviel Sorgfalt eine kleine, fast unsichtbare Spur der Materie verfolgen, als handelte es sich um ein Fluidum, von dem die Geschicke der Menschheit abhingen? Ohne zu übertreiben: ich glaube, das Interesse, das wir hieran nehmen, ist nicht genug zu schätzen. Indem wir ausser uns eine wirkliche Spur von Verstand finden, empfinden wir etwas von dem seltsamen Schauder Robinsons, als er den Eindruck eines menschlichen Fusses im Strandsande seiner Insel fand. Es scheint uns, dass wir weniger allein sind, als wir wähnten. Wenn wir uns über den Verstand der Bienen klar zu werden versuchen, so erforschen wir im Grunde genommen das Kostbarste unseres eigenen Wesens in ihnen und suchen ein Atom jenes seltenen Stoffes, der überall, wo er hervortritt, die wunderbare Gabe hat, die blinden Notwendigkeiten umzuformen und zu organisieren, das Leben zu verschönen und zu mehren und der hartnäckigen Macht des Todes, dem grossen gedankenlosen Strome, der fast Alles, was besteht, in ewiger Unbewusstheit dahinträgt, ein sinnfälliges Halt zu gebieten.

Wären wir im Alleinbesitz eines Teiles dieser Kraft in dem besonderen Blüte- und Glanzzustande, den wir Verstand nennen, so hätten wir einiges Recht darauf, uns für bevorzugt zu halten und uns einzubilden, dass die Natur ein Ziel in uns erreicht; aber da ist nun eine ganze Kategorie von Wesen: die Honigwespen, in denen sie fast dasselbe Ziel erreicht. Dies entscheidet nichts, wenn man will, aber die Thatsache nimmt doch einen Ehrenplatz ein unter der Menge der kleinen Thatsachen, die zur Klärung unserer Lage auf Erden beitragen. Hier findet sich eine Parallel-Erscheinung für den unentzifferbarsten Teil unseres Wesens, eine Ablagerung von Schicksalen, die wir von einem höheren Standpunkt aus überschauen, als wir es für die Geschicke der Menschheit je vermöchten. Hier finden sich mit einem Worte die grossen, einfachen Linien, die wir in unserm eigenen, unverhältnismässig grösseren Wirkungskreis weder aufdecken, noch bis zu Ende verfolgen können. Hier findet sich Geist und Materie, Art und Individuum, Entwickelung und Beharren, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod auf einen Raum zusammengedrängt, den wir mit der Hand umspannen und mit einem Blick überschauen können, und es drängt sich die Frage auf: hat die grössere Ausdehnung unseres Körpers in Raum und Zeit wirklich soviel Einfluss auf die geheimen Pläne der Natur, und kann man diese im Bienenstock mit seiner kurzen, nach Tagen zählenden Geschichte nicht ebenso gut erforschen, wie in unserer grossen Menschheitsgeschichte, wo drei Geschlechter ein ganzes Jahrhundert ausfüllen?

 

Nehmen wir die Geschichte unseres Bienenstockes also wieder auf, wo wir sie fallen gelassen hatten, und versuchen wir eine der Falten des geheimnisvollen Vorhanges zu lüften, von dem jene seltsame Ausschwitzung herabzuträufen beginnt, die fast so weiss ist wie Schnee und leichter als Daunenfedern. Denn das Wachs ist im Augenblick seiner Entstehung anders als in dem allbekannten Zustand, in dem wir es finden; es ist fleckenlos und leicht wie Luft; es scheint wirklich die Seele des Honigs zu sein, der seinerseits wieder der Geist der Blumen ist, und wird durch eine regungslose Beschwörung hervorgezaubert, um späterhin in unseren Händen, gewiss im Angedenken an seinen Ursprung, in dem so viel Himmelsbläue, soviel keuscher und segenspendender Wohlgeruch liegt, zur duftenden Kerze unserer Totenbahre zu werden.

 

Es ist sehr schwer, die verschiedenen Phasen der Wachsbildung und des Wachsbaues bei einem Volke, das zu bauen beginnt, zu verfolgen. Es vollzieht sich alles in der Enge des Schwarmes, der sich immer dichter zusammenschliesst, um die zu seiner Ausschwitzung erforderliche Temperatur zu erzeugen; diese Ausschwitzung selbst ist das Vorrecht der jüngsten Bienen. Huber, der sie zuerst mit unsäglicher Geduld studiert hat, nicht ohne bisweilen in ernste Gefahr zu geraten, widmet diesem Vorgang mehr als 250 spannende, aber notwendigerweise zusammenhangslose Seiten. Ich, der ich kein technisches Werk schreibe, beschränke mich darauf, unter gelegentlicher Benutzung seiner trefflichen Beobachtungen nur das zu berichten, was jeder beobachten kann, wenn er einen Schwarm in einen mit Glaswänden versehenen Beobachtungskasten einschlägt.

Zunächst muss man gestehen, dass wir noch nicht wissen, durch welchen chemischen Vorgang der Honig in dem rätselreichen Körper unserer in regungslosen Ketten dahängenden Bienen sich in Wachs verwandelt. Man kann nur feststellen, dass nach einer Wartezeit von achtzehn bis zu vierundzwanzig Stunden und bei einer so hohen Temperatur, dass man glauben möchte, der Bienenstock glühte innerlich, weisse durchsichtige Schuppen aus den vier kleinen Taschen auf jeder Seite des Hinterleibes der Bienen hervortreten.

Sobald die Mehrzahl derer, welche den hängenden Kegel bilden, diese Elfenbeinplättchen am Hinterleib trägt, sieht man eine von ihnen, als ob sie einer plötzlichen Erleuchtung folgte, sich mit einem Male von der Menge ihrer Schwestern ablösen, über die ruhig dahängende Masse hinwegklettern und den höchsten Punkt der inneren Kuppel erklimmen. Hier angekommen, hängt sie sich fest auf, indem sie die Nachbarinnen, die ihr in ihren Bewegungen hinderlich sind, mit dem Kopfe beiseite schiebt. Dann packt sie mit Füssen und Mund eines der acht Plättchen ihres Hinterleibes, beschneidet und hobelt es, dehnt und knetet es mit ihrem Speichel, biegt und reckt es, zerdrückt und stellt es wieder her, wie ein geschickter Tischler, der eine kunstvolle Lade zimmert. Endlich scheint ihr das durchgekaute Wachs die richtige Form und Haltbarkeit zu haben, und sie klebt es in der Spitze der Kuppel an: es ist die Grundsteinlegung der neuen Stadt, oder vielmehr die des Schlussteins, denn es handelt sich hier um eine umgekehrte Stadt, die vom Himmel herabwächst, statt von der Erde empor, wie eine Menschenstadt.

Dies geschehen, klebt sie an den im Leeren hängenden Schlusstein neue Wachsstückchen, die sie einzeln unter ihren Hornringen hervorzieht, giebt dem Ganzen die letzte Feile mit der Zunge und den Fühlern, und verschwindet darauf ebenso plötzlich, wie sie gekommen ist, in der Menge. Sofort tritt eine andre an ihre Stelle, setzt die Arbeit fort, wo jene sie liegen gelassen hat, fügt das ihrige hinzu, verbessert, was ihr mit dem Idealplan des Volkes nicht übereinzustimmen scheint, und verschwindet dann gleichfalls, während eine dritte, eine vierte und fünfte ihr unerwartet und plötzlich folgen, keine das Werk vollendend, aber alle ihr Scherflein zum allgemeinen Wohle beitragend.

 

Bald hängt ein kleiner, noch ungestalteter Wachszipfel von der Decke herab. Sobald er ihnen die nötige Dicke zu haben scheint, sieht man aus der hängenden Traube eine andere Biene auftauchen, deren körperliche Erscheinung gegen die der ihr vorangegangenen Gründerinnen merklich absticht. Wenn man die Sicherheit ihres Auftretens und die Erwartung der sie umgebenden Schwestern sieht, so könnte man meinen, dass es eine erleuchtete Baumeisterin ist, die den Plan der ersten Zelle, welche die Lage aller anderen mathematisch nach sich zieht, im Leeren entwirft. Jedenfalls aber gehört sie zu der Klasse der Steinmetze und Bauleute, die kein Wachs hervorbringen, sondern das ihnen gelieferte Material nur bearbeiten. Sie wählt also den Platz für die erste Zelle aus, gräbt eine Vertiefung in den Wachsblock und zieht das Wachs, das sie aus dem Boden herausgräbt, nach den Rändern zu aus, die allmählich rings um die Grube entstehen. Dann lässt sie, ganz wie die Gründerinnen, ihr angefangenes Werk plötzlich liegen, eine ungeduldige Arbeiterin tritt an ihre Stelle und führt ihre Arbeit weiter, und eine dritte vollendet sie, während andere rechts und links davon nach derselben Methode der Arbeitsunterbrechung und Fortsetzung den Rest der Wachsfläche und die andere Seite der Wachswand bearbeiten. Man möchte sagen, dass ein wesentliches Gesetz des Bienenstaates den Arbeitsstolz verteilt und dass jedes Werk gemeinsam und namenlos sein muss, um desto brüderlicher zu sein.

 

Bald lässt sich die werdende Wabe erkennen. Sie ist einstweilen noch linsenförmig, denn die kleinen prismatischen Wachsröhren, aus denen sie besteht, sind ungleich lang und nehmen in regelmässiger Verjüngung von der Mitte nach den Enden zu ab. Sie hat jetzt fast das Aussehen und die Stärke einer menschlichen Zunge, die auf ihren beiden Breitseiten aus sechseckigen, mit den Seiten aneinander stossenden und mit den Böden sich berührenden Zellen besteht.

Sobald die ersten Zellen fertig sind, heften die Gründerinnen einen zweiten, dann einen dritten und vierten Wachsblock an die Wölbung an, und zwar mit regelmässigen, wohl berechneten Zwischenräumen, sodass, wenn die Tafeln ihre volle Stärke erreichen, was allerdings erst viel später eintritt, die Bienen immer Platz genug behalten, um zwischen den Parallelwänden durchzugehen.

Sie müssen also einen bestimmten Plan vor Augen haben, in dem die endgültige Stärke jeder Tafel (22 bis 23 mm) vorgesehen ist, desgleichen die Breite der trennenden Strassen, die etwa 11 mm betragen muss, d. h. die doppelte Höhe einer Biene, denn sie müssen zwischen den Tafeln Rücken an Rücken an einander vorüber.

Übrigens sind sie nicht unfehlbar, und ihre Sicherheit hat nichts mechanisches. Unter schwierigen Verhältnissen machen sie manchmal recht bedeutende Fehler. Bisweilen ist zuviel Zwischenraum zwischen den Tafeln, oft auch zu wenig. Sie suchen dem später abzuhelfen, so gut es geht, sei es, dass sie die zu eng herangerückte Tafel schräg weiter führen, oder in den zu grossen Zwischenraum eine Zwischenwabe einbauen. »Bisweilen geschieht es, dass sie sich täuschen,« sagt Réaumur in Hinblick hierauf, »und gerade das scheint zu beweisen, dass sie urteilen.«

 

Wie bekannt, bauen die Bienen viererlei Zellen. Erstens die Königinnenzellen, von ungewöhnlicher Bauart, wie Eicheln aussehend, zweitens die geräumigen Zellen zur Aufziehung der Drohnen und zum Aufspeichern von Vorräten in der Haupttrachtzeit, ferner die kleinen Zellen, die zur Erziehung der Arbeitsbienen und als gewöhnliche Speicher dienen und unter normalen Verhältnissen acht Zehntel des Baues einnehmen, und endlich, um zwischen den grossen und kleinen Zellen eine ordnungsmässige Verbindung herzustellen, eine Zahl von Übergangszellen. Abgesehen von der unvermeidlichen Unregelmässigkeit der letzteren, sind die Dimensionen des zweiten und dritten Typus so gut berechnet, dass Réaumur, als das Dezimalsystem festgesetzt wurde und man in der Natur nach einem festen Masse suchte, das zum unumstösslichen Normalmass erhoben werden konnte, die Bienenzelle vorschlug. Man hat übrigens gut gethan, dieses Normalmass nicht zu wählen. Der Zellendurchmesser ist von wunderbarer Regelmässigkeit, doch wie alles, was auf organischem Wege entstanden ist, nicht von mathematischer Unveränderlichkeit. Überdies haben die verschiedenen Bienenarten, wie Maurice Girard nachgewiesen hat, bei ihren Zellen eine ganz bestimmte Seitenachse, so dass das Mass von Stock zu Stock ein andres sein würde, je nach der darin wohnenden Bienenart.

Jede dieser Zellen bildet eine sechseckige Röhre mit pyramidaler Basis, und jede Wabe besteht aus zwei Schichten dieser Röhren, die mit der Basis gegen einander liegen, und zwar derart, dass jeder der drei Rhomben, welche die pyramidale Basis einer Zelle der Vorderseite bilden, auch drei Zellen der Rückseite zur Basis dient.

In diese prismatischen Röhren wird der Honig eingetragen. Um zu vermeiden, dass er in der Zeit des Ausreifens herausfliesst, was unvermeidlich eintreten würde, wenn sie, wie es den Anschein hat, genau horizontal lägen, geben die Bienen ihnen ein leichtes Gefälle von vier bis fünf Winkelgraden.

»Ausser der Wachsersparnis«, sagt Réaumur im Hinblick auf das Gesamtgefüge dieses Wunderbaus, »ausser der Wachsersparnis, die durch die Anordnung der Zellen erreicht wird, und abgesehen davon, dass die Bienen mit Hilfe dieser Anordnung die ganzen Tafeln ausfüllen, ohne eine Lücke zu lassen, führt dieselbe auch zu einer grösseren Haltbarkeit des Baues. Der Bodenwinkel jeder Zelle, die Spitze der pyramidenförmigen Vertiefung, findet ein Widerlager in der Spitze zweier Ecken des Sechsecks einer andern Zelle. Die beiden Dreiecke oder Fortsetzungen der hexagonalen Seitenwände, die einen der ausspringenden Winkel der von den drei Rhomben begrenzten Vertiefung ausfüllen, bilden mit einander einen Flächenwinkel an ihrer Berührungsseite; jeder dieser Winkel, der im Innern der Zelle konkav ist, stützt mit seiner konvexen Kante eine der Kanten des Sechsecks einer anderen Zelle, und diese Kante übt ihrerseits wieder einen Gegendruck, ohne den der Winkel nach aussen getrieben würde; derart sind alle Kanten verstärkt. Alles, was man von der Haltbarkeit jeder einzelnen Zelle verlangen könnte, wird somit durch die Form der Zellen sowohl, wie durch die wechselseitige Anordnung derselben erreicht.«

»Die Mathematiker«, sagt Dr. Reid, »wissen, dass es nur drei Arten von Figuren giebt, um eine Fläche in kleine Teile von regelmässiger Form und gleicher Grösse ohne Zwischenraum zu teilen. Es sind dies: das gleichseitige Dreieck, das Quadrat und das gleichseitige Sechseck, das in Hinsicht auf die Bauart der Zellen vor den beiden anderen Figuren durch grössere Bequemlichkeit und Widerstandskraft den Vorrang verdient. Desgleichen besteht der Zellenboden aus drei in der Mitte zusammenstossenden Flächen, und es ist bewiesen worden, dass diese Bauart eine beträchtliche Arbeits- und Materialersparnis mit sich bringt. Es war auch die Frage, welcher Neigungswinkel der Flächen zu einander der grössten Ersparnis entspricht, ein Problem der höheren Mathematik, das von einigen Gelehrten, u. a. Maclaurin, s. Z. gelöst worden ist; man findet die Lösung dieses Gelehrten in den Berichten der königlichen Gesellschaft zu London. Réaumur hatte dem berühmten Mathematiker König folgendes Problem gestellt: »Unter allen sechskantigen Zellen mit pyramidalem, aus drei gleichen und ähnlichen Rhomben bestehendem Boden die zu bestimmen, die am wenigsten Baustoff erfordert.« König antwortete, es wäre diejenige, deren Boden aus drei Rhomben bestände, deren grosse Winkel je 109° 26' und die kleinen je 70° 34' betrügen. Nun aber hat ein anderer Gelehrter, Maraldi, die Winkel der Rhomben in den Bienenzellen so genau wie möglich nachgemessen und gefunden, dass die grossen 109° 28', die kleinen 70° 32' betragen. Zwischen beiden Lösungen bestand also nur eine Differenz von zwei Minuten! Und es ist wahrscheinlich, dass der etwa vorliegende Irrtum von Maraldi begangen wurde, und nicht von den Bienen, denn es giebt kein Instrument, das die Zellenwinkel, die nicht so scharf hervortreten, mit untrüglicher Sicherheit nachzumessen erlaubte.
Ein anderer Mathematiker, Cramer, hat dasselbe Problem noch mehr im Sinne der Bienen gelöst; er fand 109° 28½' für die grossen und 70° 31½' für die kleinen Winkel. Maclaurin, der Königs Berechnung berichtigt hat, giebt 70° 32' und 109°28' an, Léon Lalanne 70° 81' 44" und 109° 28' 16". Siehe über diesen Streitpunkt auch: Maclaurin, »Philos. Trans. of London«, 1743; Brougham, »Recherches analytiques et expérimentelles sur les alvéoles des abeilles«; L. Lalanne, »Note sur l'Architecture des abeilles« u. s. w.
Nun aber entspricht der derart errechnete Winkel dem Bodenwinkel der Bienenzellen.«

 

Gewiss, ich glaube nicht, dass die Bienen diese komplizierten Berechnungen angestellt haben, aber ich glaube ebensowenig, dass der blosse Zufall oder die Gewalt der Dinge zu so erstaunlichen Resultaten führen. Für die Wespen, welche ebenfalls Tafeln mit sechseckigen Zellen bauen, war das Problem dasselbe, und sie haben es doch auf weit weniger sinnreiche Art gelöst. Ihre Zellen sind nur einfach gelagert und besitzen somit keinen gemeinsamen Boden, wie die doppelseitige Bienenwabe. Daher besitzen sie auch weniger Haltbarkeit und Regelmässigkeit und verursachen einen Zeit-, Raum- und Materialverlust, der etwa ein Viertel der unerlässlichen Arbeit und ein Drittel des notwendigen Raumes darstellt. Desgleichen bauen die Trigonen und Meliponen, die wirkliche Hausbienen sind, doch auf einer niedrigeren Kulturstufe stehen, ihre Zellen nur ein Stockwerk hoch und verbinden die horizontalen, über einander liegenden Stockwerke durch unförmige, zeitraubende Wachssäulen. Ihre Vorratszellen oder »Honigtöpfe« sind grosse, regellos neben einander sitzende Schläuche und werden von den Meliponen, jeder Raum- und Materialersparnis zum Trotze, zwischen die Tafeln des regulären Wachsbaues eingeschoben. Und so machen denn ihre Nester, im Vergleich zu der mathematisch gebauten Stadt unserer Hausbienen, den Eindruck eines Marktfleckens von primitiven Hütten neben einer jener unerbittlich regelmässigen Städte, die das vielleicht reizlose, aber der menschlichen Logik mehr entsprechende Resultat eines immer härter gewordenen Kampfes gegen Zeit, Raum und Materie sind.

Nach einer landläufigen, übrigens von Buffon wieder aufgewärmten Theorie sollen die Bienen gar nicht die Absicht haben, sechseckige Cylinder mit pyramidaler Basis zu bauen; sie wollen nur runde Zellen in das Wachs eingraben, aber ihre Nachbarinnen und die auf der anderen Seite der Tafel Arbeitenden graben zu gleicher Zeit mit der gleichen Absicht die gleichen Zellen, und folglich nehmen diese an den Berührungsstellen notwendigerweise eine sechseckige Form an. Dasselbe, sagt man, findet bei den Krystallen, den Schuppen gewisser Fische, den Seifenblasen u. s. w. statt. Es findet gleichfalls bei folgendem, von Buffon vorgeschlagenem Experiment statt. »Man fülle«, sagt er, »ein Gefäss mit Erbsen oder einer anderen cylindrischen Hülsenfrucht, giesse soviel Wasser hinein, als zwischen den Körnern Platz hat, schliesse es und lasse es kochen. Alle diese cylindrischen Körner werden zu sechsseitigen Säulen werden. Der Grund ist leicht ersichtlich, er ist rein mechanischer Natur. Jedes Korn von cylindrischer Form hat beim Aufquellen die Tendenz, sich in einem gegebenen Raume so weit wie möglich auszudehnen; sie werden durch den wechselseitigen Druck also notwendiger Weise sämtlich sechseckig. Ebenso sucht jede Biene in einem gegebenen Raume soviel Platz wie möglich zu erlangen, und da der Körper der Bienen cylindrisch ist, so müssen ihre Zellen ebenfalls sechsseitig werden, eben infolge des wechselseitigen Widerstandes.« –

 

In der That sind dies wechselseitige Widerstände von wunderbarer Wirkung, ebenso wie die Laster der einzelnen Menschen eine gemeinsame Tugend hervorbringen, die genügt, um der menschlichen Gattung, die in ihren Individuen oft hassenswert ist, jedes Odium zu nehmen. Zunächst könnte man mit Brougham, Kirby, Spence u. a. Gelehrten antworten, dass das Experiment mit den Seifenblasen und Erbsen nichts beweist, denn in beiden Fällen führt der wechselseitige Druck nur zu ganz unregelmässigen Formen und erklärt jedenfalls nicht die Ursache des prismatischen Zellenbodens. Vor allem aber könnte man entgegnen, dass es mehr als eine Art giebt, aus den blinden Notwendigkeiten sein Teil zu ziehen. Z. B. kommen die Papierwespen, die Erdhummeln, die Meliponen und Trigonen Mexikos und Brasiliens bei gleichen Umständen und gleichem Zweck zu ganz anderen und offenbar minderwertigen Ergebnissen. Endlich könnte man sagen, dass die Bienenzellen, wenn sie den Gesetzen der Krystalle, des Schnees, der Seifenblasen und der gekochten Erbsen Buffons unterworfen sind, durch ihre allgemeine Symmetrie, ihre Anordnung in doppelseitigen Waben, ihre berechnete Neigung u. s. w. gleichzeitig noch vielen anderen Gesetzen gehorchen, welche die tote Materie nicht kennt.

Man könnte schliesslich noch hinzufügen, dass der menschliche Geist sich auch in der Form befindet, in der er aus den gleichen Notwendigkeiten sein Teil zieht, und dass uns diese Form nur darum als die bestmögliche erscheint, weil wir keinen Beurteiler über uns haben. Aber es ist besser, die Thatsachen selbst reden zu lassen, denn um einer Einwendung zu begegnen, die aus einem Experiment gezogen ist, giebt es nur ein Mittel: ein Gegenexperiment.

Um mich also zu vergewissern, dass der sechsseitige Bau der Zellen wirklich in den Geist der Bienen eingeschrieben ist, habe ich eines Tages aus der Mitte einer Wabe, und zwar an einer Stelle, wo sich Brutzellen und Honigbau befanden, ein rundes Stück von der Grösse eines Fünffrankenstücks herausgeschnitten. Nachdem ich dieses Stück in der Mitte durchgeteilt hatte, wo die pyramidalen Zellenböden aneinander stossen, legte ich auf die Schnittfläche der einen Hälfte ein Zinnplättchen von demselben Umfange und stark genug, dass die Bienen es nicht verbiegen konnten. Dann setzte ich den Ausschnitt wieder ein. Die eine Wabenseite war also ganz normal, da der Schaden derart repariert war, die andre dagegen enthielt ein grosses Loch, dessen Boden aus einer Zinnscheibe bestand, und in dem etwa dreissig Zellen fehlten. Die Bienen waren zunächst ganz verblüfft, kamen massenhaft herbei, um den unglaublichen Abgrund zu prüfen und zu erforschen, und liefen mehrere Tage ratlos herum, ohne zu einem Entschluss kommen zu können. Da ich sie aber jeden Abend stark fütterte, kam schliesslich ein Augenblick, wo sie keine Zellen mehr frei hatten, um ihre Vorräte zu bergen. Wahrscheinlich erhielten die grossen Baumeister, die Steinmetze und Wachszieherinnen nun Befehl, den unnützen Abgrund nutzbar zu machen. Eine dicke Kette von Wachsbereiterinnen bildete sich um das Loch, um die nötige Wärme zu erzeugen, andere kletterten hinein und begannen die Metallscheibe mit kleinen Wachsleisten in regelmässigen Abständen ringsherum an den Ecken der angrenzenden Zellen zu befestigen. Dann gingen sie an die Errichtung von drei oder vier Zellen in dem oberen Halbkreise der Scheibe, und zwar im Anschluss an die kleinen Leisten. Jede dieser Übergangszellen war am äusseren Rande mehr oder weniger unregelmässig gebaut, um sich dem ursprünglichen Bau anzuschliessen, aber die untere Hälfte bildete auf der Zinnscheibe stets drei genau abgezirkelte Winkel, und es entstanden bereits drei kleine gerade Linien, welche die erste Hälfte der nächsten Zelle andeuteten.

Nach 48 Stunden war die ganze Zinnscheibe mit angefangenen Zellen bedeckt, obschon höchstens drei Bienen in der engen Öffnung bauen konnten. Die Zellen waren zwar unregelmässiger, als bei gewöhnlichem Bau, und die Königin hütete sich wohl, als sie dieselben untersucht hatte, sie zu »bestiften«, denn die Brut, die daraus entstanden wäre, würde sehr unregelmässig ausgefallen sein. Aber sie waren alle vollständig sechseckig, ohne eine krumme Linie, eine abgerundete Ecke, wiewohl alle gewöhnlichen Voraussetzungen verändert waren. Die Zellen waren nicht, wie bei Hubers Beobachtung, in einen Wachsblock eingegraben, noch, wie nach Darwins Beobachtung, in einem Wachszipfel angelegt, erst kreisförmig und dann durch den Gegendruck derer Nachbarzellen sechseckig. Es war keine Rede von wechselseitigen Widerständen, denn sie entstanden eine nach der andern und ihre kleinen Anfangslinien entstanden frei auf eine Art von tabula rasa. Es scheint also festzustehen, dass das Sechseck nicht das Resultat mechanischen Druckes ist, sondern vielmehr der Absicht und Erfahrung, dem Verstand und Willen der Bienen entspringt. Nebenbei gesagt, beobachtete ich auch noch einen anderen merkwürdigen Zug ihres Scharfsinns: die auf die Metallscheibe gebauten Zellen hatten keinen Wachsboden. Die Baumeister des Volkes hatten also augenscheinlich festgestellt, dass das Zinn stark genug war, um Flüssigkeiten abzudämmen, und darum hatten sie es nicht für nötig erachtet, es mit Wachs zu überziehen. Doch als kurz darauf ein paar Honigtropfen in zwei dieser Zellen gebracht wurden, bemerkten sie wahrscheinlich, dass sich der Honig bei Berührung mit dem Metall mehr oder weniger veränderte. Sie liessen sich dies also gesagt sein und überzogen die ganze Zinnfläche mit Wachs.

 

Wollten wir alle die Geheimnisse dieser geometrischen Bauweise ans Licht ziehen, so müssten wir mehr als eine seltsame Thatsache erörtern, z. B. die Form der ersten, an das Dach des Bienenstockes angehefteten Zellen, welche so gebaut sind, dass sie dieses Dach an möglichst vielen Stellen berühren.

Man müsste auch sein Augenmerk nicht sowohl auf die Anlage der grossen Strassen lenken, die durch den Parallelismus der Waben bedingt wird, als vielmehr auf die Verteilung der Gassen und Durchgänge, die hin und wieder durch die Tafeln hindurch oder um sie herum ausgespart sind, um den Verkehr zu erleichtern und Luftwege zu schaffen, und die durch ihre geschickte Anlage sowohl grosse Umwege wie zu grosses Gedränge verhindern.

Endlich müsste man die Bauart der Übergangszellen und die wunderbare Einmütigkeit studieren, mit der die Bienen ihre Zellen in einem gegebenen Augenblick erweitern, sei es, dass die Ernte besonders ergiebig ausfällt und grössere Gefässe erheischt, sei es, dass sie die Volkszahl für stark genug halten oder die Aufziehung von Drohnen notwendig wird. Zugleich müsste man die kluge Sparsamkeit und harmonische Sicherheit bewundern, mit der sie in solchen Fällen von den kleinen Zellen zu grossen und von den grossen zu kleinen, von der vollendeten Symmetrie zu einer unvermeidlich unsymmetrischen Bauart übergehen, um alsbald, wenn die Gesetze ihrer lebendigen Mathematik es erlauben, zur idealen Regel zurückzukehren, ohne eine Zelle zu verlieren, ohne in der Flucht ihrer Bauten ein aufgegebenes, kindliches, unreifes und barbarisches Stadtviertel, einen unbrauchbaren Bezirk zu hinterlassen. Aber ich fürchte, ich habe mich schon in viele belanglose Einzelheiten verloren, wenigstens sind sie belanglos für einen Leser, der vielleicht nie mit eigenen Augen einen Bienenschwarm gesehen hat oder sich nur im Vorbeigehen dafür interessiert, wie wir im Vorbeigehen an einer Blume, einem Vogel, einem seltenen Steine Gefallen finden, ohne etwas anderes zu verlangen, als eine kleine, oberflächliche Gewissheit, und ohne uns genugsam zu sagen, dass das geringste Geheimnis eines Dinges, das wir in der aussermenschlichen Natur erblicken, an dem tiefen Rätsel unseres Ursprunges und Zweckes vielleicht einen unmittelbareren Anteil hat, als das Geheimnis unserer glühendsten und mit besonderer Vorliebe erforschten Leidenschaften.

 

Um diese Studie nicht unnötig zu beschweren, übergehe ich auch die erstaunliche Thatsache, dass die Bienen die Ränder ihrer Waben bisweilen abtragen und zerstören, wenn sie diese erweitern oder verlängern wollen. Man wird mir freilich zugeben, dass zerstören, um neu zu bauen, vernichten, was man geschaffen hat, um es noch einmal und zwar regelmässiger zu machen, eine eigentümliche Spaltung des blinden Instinkts voraussetzt. Ich übergehe ferner einige bemerkenswerte Experimente, bei denen man sie zwingen kann, ihre Waben kreisförmig, oval oder in ganz bizarren Formen anzulegen; ebenso will ich nicht weiter erörtern, auf welche sinnreiche Weise sie es fertig bringen, dass die erweiterten Zellen der konvexen Seite mit denen der konkaven Seite der Tafel übereinstimmen. Nur möchte ich, ehe ich diesen Gegenstand verlasse, einen Augenblick dabei verweilen, auf welche geheimnisvolle Weise sie ihre Arbeit in Einklang setzen und ihre Massnahmen treffen, wenn sie zu gleicher Zeit und ohne sich zu sehen, auf beiden Seiten einer Tafel arbeiten. Man halte eine dieser Tafeln gegen das Licht, und man wird aus dem durchsichtigen Wachs ein ganzes Netz von Prismen mit haarscharfen Spitzen und Kanten, ein ganzes System von Konstruktionen mit scharfen Schattenlinien hervortreten sehen, die so sicher geführt sind, als wären sie in Stahl geätzt.

Ich weiss nicht, ob sich jemand, der nie einen Blick in das Innere eines Bienenstockes geworfen hat, die Anordnung und das Aussehen der Waben richtig vorstellen kann. Man denke sich also, um den bäurischen Bienenstock zu nehmen, in dem die Biene sich völlig selbst überlassen ist, einen Stroh- oder Weidenkorb. Dieser Korb ist von oben bis unten in fünf, sechs, acht, bisweilen auch zehn genau parallele Wachstafeln geteilt, die wie grosse durchgeschnittene Brote aussehen und sich von der Spitze des Bienenstockes bis auf den Boden herab ziehen, indem sie sich der ovalen Form seiner Wände genau anschmiegen. Zwischen je zwei dieser Tafeln ist ein Raum von einer Zellenhöhe ausgespart, in dem die Bienen sich aufhalten und gehen. In dem Augenblicke, wo oben in der Spitze des Bienenstockes mit dem Bau einer dieser Tafeln begonnen wird, ist die angefangene Wachswand, die später ausgezogen und verdünnt wird, noch sehr stark und trennt die fünfzig oder sechzig Bienen, die auf der Vorderseite arbeiten, vollständig von den ebensovielen Bienen, die die Rückwand ausmeisseln, sodass sie sich gegenseitig nicht sehen können, vorausgesetzt, dass ihre Augen nicht die Gabe haben, die dunkelsten Körper zu durchdringen. Nichtsdestoweniger gräbt keine Biene der Vorderseite ein Loch oder klebt ein Wachsstück an, das nicht einer Aus- oder Einbuchtung auf der anderen Seite entspräche und umgekehrt. Wie fangen sie das an? Wie kommt es, dass die eine nicht zu tief und die andere nicht zu flach gräbt? Wie kommt es, dass alle Winkel der Rhomben stets so wunderbar zusammentreffen? Wer sagt ihnen, hier anzufangen und dort aufzuhören? Wir müssen uns wieder einmal mit der Antwort begnügen, die keine Antwort ist: »Das ist ein Mysterium des Bienenstocks.« Huber hat versucht, dieses Geheimnis zu erklären; er hat gesagt, sie riefen durch den Druck ihrer Füsse oder ihrer Zähne in gewissen Abständen leichte Ausbauchungen auf der entgegengesetzten Seite hervor, oder sie überzeugten sich von der grösseren oder geringeren Stärke der Wachswand durch den Grad der Biegsamkeit, Elastizität oder einer anderen physischen Eigenschaft des Wachses, oder auch, ihre Fühler schienen zur Untersuchung der zartesten, fernsten Umrisse gemacht und dienten ihnen zum Kompass im Unsichtbaren, oder endlich, die Lage aller Zellen ergäbe sich mit mathematischer Genauigkeit aus der Anlage und den Grössenverhältnissen der obersten Zellen, ohne dass es anderweitiger Massnahmen bedürfte. Aber diese Erklärungen sind, wie man sieht, unzulänglich. Die ersteren sind unbeweisbare Hypothesen, und die anderen geben dem Mysterium nur einen anderen Namen. Und wenn es auch gut ist, mit den Mysterien so oft wie möglich einen Namens- und Ortswechsel vorzunehmen, so darf man sich doch nicht dem Irrglauben hingeben, dass solch ein Ortswechsel hinreichte, um sie zu zerstören.

 

Verlassen wir endlich die eintönigen Tafeln und die geometrische Einöde der Zellen. Hier sind fertige Waben, die bewohnt werden können. Wenn auch nur verschwindend Kleines sich zu verschwindend Kleinem fügt, ohne scheinbare Aussicht auf Fortschritt, und unser Auge, das so wenig sieht, hinblickt, ohne etwas zu sehen, so bleibt der Wachsbau doch keinen Augenblick stehen, weder bei Tage noch bei Nacht, vielmehr wächst er mit ausserordentlicher Geschwindigkeit. Mehr als einmal ist die Königin schon durch das Dunkel der wachsbleichen Werkstätten gelaufen, und sobald die ersten Reihen der künftigen Wohnung entstanden sind, ergreift sie von ihnen Besitz, und mit ihr das Gefolge ihrer Leibwache, ihrer Beraterinnen und Mägde, denn man kann nicht sagen, ob sie geführt oder begleitet, verehrt oder überwacht wird. An der Stelle angekommen, die sie für geeignet hält oder die ihre Ratgeberinnen ihr bezeichnen, krümmt sie den Rücken, beugt sich zurück und führt das Ende ihres langen, spindelförmigen Hinterleibes in eine der Zellen ein, während all die kleinen aufmerksamen Köpfe mit den grossen schwarzen Augen sie begeistert umringen, ihr die Beine stützen, die Flügel streicheln und mit ihren fiebernden Fühlern über sie hintasten, wie um sie zu ermutigen, zu drängen und zu beglückwünschen.

Die Stelle, an der sie sitzt, erkennt man leicht; sie bildet in jener gestirnten Kokarde, oder besser in jener ovalen Brosche, die den mächtigen Broschen unserer Grossmütter ähnelt, den Mittelstein. Es ist nämlich bemerkenswert, da sich die Gelegenheit, es zu bemerken, hier bietet, dass die Arbeitsbienen ihrer Königin niemals den Rücken zudrehen. Sobald sie einer Gruppe naht, stellen sich alle mit den Augen und Fühlern gegen sie und gehen rückwärts vor ihr. Es ist dies ein Zeichen von Ehrfurcht oder vielleicht von Besorgnis, die, so grundlos sie hier auch scheinen mag, nichtsdestoweniger immer rege und ganz allgemein ist. Kommen wir indes auf unsere Königin zurück.

Oft geschieht es bei dem leichten Krampf, der das Eierlegen sichtbar begleitet, dass eine ihrer Töchter sie in ihre Arme schliesst und Stirn an Stirn, Mund an Mund, mit ihr zu flüstern scheint. Sie bleibt diesen etwas überschwenglichen Liebesbezeugungen gegenüber jedoch ziemlich gleichgültig; sie regt sich nie auf, nimmt sich stets Zeit und geht ganz in ihrem Berufe auf, der für sie mehr eine Liebeswonne als eine Arbeit zu sein scheint. Endlich, nach Verlauf einiger Sekunden, richtet sie sich ruhig wieder auf, macht einen Schritt zur Seite, dreht sich etwas um und steckt den Kopf in die Nebenzelle, um sich, bevor sie den Hinterleib in diese einführt, zu überzeugen, ob alles in Ordnung ist und ob sie dieselbe Zelle nicht zweimal bestiftet, während zwei oder drei Bienen aus ihrem Gefolge schnell nacheinander in die von ihr verlassene Zelle stürzen, um nachzusehen, ob das Werk vollbracht ist, und das kleine bläuliche Ei, das sie auf den Boden gesetzt hat, mit ihrer Fürsorge zu umgeben oder richtig hinzustellen.

Von nun an rastet sie bis zu den ersten Herbstfrösten nicht mehr im Eierlegen; sie legt, während sie gefüttert wird, und schläft, wenn sie schläft, im Legen. Sie ist fortan die Verkörperung jener alles verschlingenden Macht, die jeden Winkel des Stockes ergreift: der Zukunft. Schritt für Schritt folgt sie den unglücklichen Arbeitsbienen, die sich im Bauen der Wiegen erschöpfen, welche ihre Fruchtbarkeit heischt. Man kann auf diese Weise einem Wettkampfe zweier mächtiger Instinkte folgen, dessen Ausgang auf verschiedene Wunder des Bienenstockes genug Licht wirft, nicht um sie zu erklären, wohl aber, um auf sie hinzuweisen.

Es kommt z. B. vor, dass die Arbeitsbienen in ihrer treuen Hausfrauenfürsorge, die sie Vorräte für schlechte Zeiten aufspeichern heisst, einen Vorsprung gewinnen, indem sie die Zellen, die sie der Habsucht der Gattung abgerungen haben, in aller Eile mit Honig füllen. Aber die Königin kommt herbei; die materiellen Güter müssen dem Gedanken der Art weichen, und die Arbeitsbienen schaffen den lästigen Schatz voller Verzweiflung hastig beiseite.

Es kommt auch vor, dass ihr Vorsprung eine ganze Wabe beträgt: dann haben sie das Symbol der Tyrannei einer Zukunft, die keine von ihnen je erblicken wird, nicht mehr vor Augen und bauen, sich dies zu Nutze machend, so schnell wie möglich eine Reihe von grossen, sogenannten Drohnenzellen, die viel leichter und schneller zu errichten sind. In dieser undankbaren Zone angelangt, bestiftet die Königin hie und da nicht ohne Widerwillen eine Zelle, überschlägt die meisten anderen und fordert, am Ende angelangt, neue Arbeitsbienenzellen. Die Arbeitsbienen gehorchen, verengern die Zellen allmählich und die unersättliche Mutter setzt ihren Rundgang fort, bis sie von den Enden des Bienenstockes wieder zu den ersten Zellen gelangt. Diese sind in der Zwischenzeit von der jetzt auskriechenden ersten Generation geräumt worden, welche sich aus ihrem dunklen Geburtswinkel soeben über die Blumen der Umgegend ergiesst, die Sonnenstrahlen bevölkert und die schönsten Stunden des Jahres belebt, um sich ihrerseits wieder dem nachfolgenden Geschlechte zu opfern, das sie in ihren Wiegen schon ablöst.

 

Und die Bienenkönigin, wem gehorcht die? Der Nahrung, die ihr gegeben wird, denn sie ernährt sich nicht selbst, sie wird wie ein Kind von eben den Arbeitsbienen gefüttert, die sie durch ihre Fruchtbarkeit erschöpft. Und diese Nahrung wieder, die ihr die Arbeitsbienen zuteilen, hängt von dem Blumenreichtum und den Ergebnissen der Trachtzeit ab. Auch hier also, wie überall auf Erden, ist ein Teil des Kreises in Finsternis getaucht; auch hier, wie überall, kommt der höchste Befehl von aussen, von einer unbekannten Macht, und die Bienen gehorchen gleich uns dem namenlosen Herrn des kreisenden Rades, welches die Kräfte, die es bewegen, zermalmt.

Als ich einem Freunde kürzlich in einem meiner Beobachtungskästen die Bewegung dieses Rades zeigte, die so sichtbar ist, wie die einer grossen Wanduhr, als er die Unruhe und das zahllose Hin und Her auf den Waben, das beständige, rätselhafte, tolle Beben und Zittern der Pflegerinnen auf dem Brutnest, die lebenden Gänge und Leitern, welche die Wachszieherinnen bilden, die alles befruchtenden Spiralen der Königin, das mannigfaltige, unaufhörliche Schaffen des Schwarmes, die erbarmungslose und vergebliche Arbeit, den verzehrenden Eifer im Gehen und Kommen, das Fehlen jeglichen Schlafes, ausser in den Wiegen, welche von Arbeit umringt sind, ja selbst das Fernbleiben des Todes von einem Orte, der weder Krankheit noch Gräber zulässt – als er dies alles sah, da wandte er nach dem ersten Staunen die Augen ab und ich las darin Trübsal und Schauder.

In der That steht im Bienenstock hinter dem fröhlichen Eindruck des ersten Anblicks, hinter den leuchtenden Erinnerungen der schönen Tage, die ihn erfüllen und zur Juwelenlade des Sommers machen, hinter dem trunkenen Hin und Her, das ihn mit den Blumen, den Wasserbächen und dem blauen Himmel, mit dem friedlichen Überfluss aller schönen und glücklichen Dinge verknüpft – hinter all diesen äusseren Wonnen verbirgt sich in der That ein Schauspiel, das zu dem Traurigsten gehört, was man sehen kann. Und wir Blinde, die wir nur blöde Augen öffnen, wenn wir diese unschuldig Verurteilten ansehen, wir wissen wohl, dass es nicht sie allein sind, die wir zu erkennen trachten, dass es nicht sie allein sind, die wir nicht verstehen, sondern nur eine traurige Gestalt jener grossen Kraft, die auch uns beseelt.

Ja, wenn man will, so ist dies traurig, wie alles in der Natur, wenn man näher zusieht. Und es wird so lange traurig sein, solange wir ihr Geheimnis nicht wissen, noch ob sie eines hat. Und wenn wir eines Tages erfahren, dass sie keines hat oder dass dies Geheimnis schauerlich ist, dann werden andere Pflichten zu Tage treten, die vielleicht noch namenlos sind. Inzwischen möge unser Herz sich sagen, wenn ihm danach gelüstet: »Das ist traurig«, aber unsere Vernunft möge sich begnügen, zu sagen; »Das ist so«. Unsere Pflicht ist zu dieser Stunde, danach zu suchen, ob hinter diesem Traurigen nichts anderes liegt, und darum soll man die Augen nicht davon abwenden, sondern es fest anschauen und mit so viel Mut und Teilnahme erforschen, als wäre es etwas Freudiges. Es gebührt sich, die Natur zu befragen, ehe wir sie verurteilen und uns beklagen. –

 

Wir haben gesehen, dass die Arbeitsbienen, sobald sie durch die bedrohliche Fruchtbarkeit der Mutter nicht mehr gedrängt werden, Vorratszellen anlegen, die sich mit geringeren Mitteln bauen lassen und mehr Fassungsvermögen haben, als die Arbeitsbienenzellen. Wir haben andererseits gesehen, dass die Königin lieber die kleinen Zellen bestiftet und unaufhörlich nach solchen verlangt. Nichtsdestoweniger schickt sie sich, wenn keine da sind, in die Verhältnisse und legt in Erwartung neu zu erbauender Arbeitsbienenzellen ihre Eier auch in die grossen Zellen, die sie auf ihrem Wege findet.

Die Bienen, die aus ihnen hervorgehen, sind männliche Bienen oder Drohnen, wiewohl die Eier genau ebenso aussehen, wie die der Arbeitsbienen. Nun aber ist hier, im Gegensatz zur Verwandlung einer Arbeitsbiene in eine Königin, nicht die Form und der grössere Umfang der Zelle für die Veränderung massgebend, denn wenn man ein Ei, das in eine grosse Zelle gelegt ist, in eine kleine Zelle schafft (was schwer zu bewerkstelligen ist, weil das Ei sehr klein und verletzlich ist, so dass mir diese Umquartierung nur vier- oder fünfmal geglückt ist), so geht daraus ein mehr oder minder schmächtiges, aber unverkennbares Männchen hervor. – Die Königin muss beim Eierlegen also das Vermögen haben, das Geschlecht des Eies zu erkennen oder zu bestimmen und der Grösse der Zelle, über der sie niederhockt, anzupassen. Es kommt selten vor, dass sie sich täuscht. Wie geschieht das? Wie ist es möglich, dass sie bei den tausenden von Eiern, die ihre beiden Eierstöcke enthalten, die männlichen und weiblichen zu scheiden weiss, und wie gelangen diese nach ihrem Willen in den gemeinsamen Eileiter?

Wir stehen hier wiederum vor einem der Wunder des Bienenstockes, und zwar vor einem der unerklärlichsten. Es ist bekannt, dass die jungfräuliche Königin keineswegs unfruchtbar ist, dass sie hingegen nur Drohneneier legen kann. Erst nach der Befruchtung des Hochzeitsausfluges bringt sie Drohnen- und Arbeitsbieneneier zur Welt, und zwar bleibt sie von dem Hochzeitsausfluge an bis zu ihrem Tode mit den Samenfäden geschwängert, die sie ihrem unglücklichen Buhlen entreisst. Diese Samenfäden, deren Zahl Dr. Leuckart auf 25 Millionen schätzt, bleiben in einer besonderen Samentasche unter den Eierstöcken am Anfang des gemeinsamen Eileiters bewahrt und halten sich darin lebend. Man nimmt an, dass die enge Öffnung der kleinen Zellen und die Art, wie die Form dieser Mündung die Königin zwingt, sich zu bücken und niederzuhocken, auf die Samenfäden einen gewissen Druck ausübt, so dass dieselben herausquellen und das Ei im Vorbeigleiten befruchten. Dieser Druck findet nicht statt bei den grossen Drohnenzellen und die Samentasche öffnet sich dann nicht. Andere dagegen sind der Meinung, dass die Königin wirklich Herr der Schliessmuskeln ihrer Samentasche ist, und in der That sind diese Muskeln ausserordentlich zahlreich, ausgebildet und mannigfach. Ohne darum entscheiden zu wollen, welche von diesen zwei Hypothesen die bessere ist – denn je weiter man geht, desto mehr nimmt man wahr, je mehr man einsieht, dass man nur ein Schiffbrüchiger auf dem bisher fast unerforschten Meere der Natur ist, desto besser erkennt man, dass immer eine Thatsache bereit ist, aus dem Schosse einer plötzlich durchsichtiger werdenden Welle emporzutauchen und mit einem Schlage alles zu vernichten, was man zu wissen glaubte – so kann ich doch nicht leugnen, dass ich mehr zu der letzteren Annahme hinneige. Denn einmal beweisen die Experimente eines Bienenvaters aus Bordeaux, Namens Drory, dass die Königin, auch wenn alles Drohnenwerk aus dem Stocke entfernt ist, sobald der Augenblick zum Legen von Drohneneiern gekommen ist, nicht zögert, diese in Arbeitsbienenzellen zu legen, und umgekehrt Arbeitsbieneneier in Drohnenzellen, wenn man ihr keine anderen übrig gelassen hat. Ferner geht aus den schönen Beobachtungen von Fabre über die Mauerbienen (Osmiae), einsame Kunstbienen aus der Familie der Bauchsammler, zur Genüge hervor, dass die Mauerbiene das Geschlecht des Eies, das sie legen wird, nicht nur im Voraus kennt; auch die Geschlechtsbestimmung liegt in der Macht der Mutter, und diese richtet sich dabei nach dem ihr zu Gebote stehenden Platz, »der oft vom Zufall abhängig und nicht modifizierbar ist,« indem sie hier ein männliches, dort ein weibliches Ei legt. Ich will auf die Einzelheiten der Experimente des grossen französischen Entomologen nicht näher eingehen; sie sind zu verwickelt und würden uns zu weit führen. Aber welche Hypothese auch zuletzt recht behält, sie würden beide die Vorliebe der Königin, nur Arbeitsbienenzellen zu »bestiften«, ganz ohne Hineinziehung der Zukunft erklären.

Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass die Sklavin dieser Zukunft, die wir zu beklagen geneigt sind, vielleicht eine grosse Liebende, ein Ausbund von Wollust ist und in der Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzipes, die sich in ihrem Wesen vollzieht, eine gewisse Wonne und gleichsam einen Nachgeschmack der Trunkenheit ihres einzigen Hochzeitsausfluges empfindet. Vielleicht ist die Natur, die nie sinnreicher, nie hinterlistiger, weitblickender und erfindungsreicher ist, als wenn sie die Fallen der Liebe stellt, auch hier darauf bedacht gewesen, das Interesse der Gattung auf eine persönliche Wonne zu stützen. Aber seien wir vorsichtig und lassen wir uns nicht von unserer eigenen Erklärung blenden. Der Natur derart einen Gedanken zuschreiben und wähnen, das sei genug, heisst einen Stein in einen unerforschlichen Abgrund werfen, wie man ihn im Grunde mancher Höhlen findet, und sich dabei einbilden, der Schall, den dieser Stein im Fallen verursacht, wird auf alle unsere Fragen antworten und uns mehr offenbaren, als die Unermesslichkeit des Abgrundes.

Wenn man nachspricht: die Natur will dies, sie organisiert dieses Wunder, geht auf diesen Endzweck aus, so kommt das auf dasselbe heraus, als wenn man sagt: eine kleine Erscheinung des Lebens behauptet sich während der Zeit, in der wir sie beobachten können, auf der ungeheuren Oberfläche der Materie, die uns leblos erscheint und die wir darum, anscheinend sehr zu Unrecht, das Nichts oder den Tod nennen. Ein durchaus nicht notwendiges Zusammentreffen von Umständen liess diese Erscheinung unter tausend anderen, vielleicht nicht minder sinn- und belangreichen, sich durchsetzen, während diese nicht die Gunst der Verhältnisse besassen und auf ewig verschwunden sind, ohne dass wir sie hätten bestaunen können. Es wäre tollkühn, wollte man mehr sagen, und alles Übrige, unsere Gedanken und unser hartnäckiger Glaube an Zwecke, unser Hoffen und unsere Bewunderung ist im Grunde etwas Unbekanntes, das wir in etwas noch Unbekannteres werfen, um ein kleines Geräusch zu verursachen, das uns ein Bewusstsein von der höchsten Stufe des besonderen Daseins giebt, die wir auf dieser stummen und unerforschlichen Oberfläche erreichen können, wie der Kondor in seinem Fluge und die Nachtigall in ihrem Liede den Ausdruck der höchsten Stufe des besonderen Daseins ihrer Art erblickt. Nichtsdestoweniger bleibt es eine unserer unzweifelhaftesten Pflichten, dieses kleine Geräusch hervorzurufen, ohne uns dadurch entmutigen zu lassen, dass es wahrscheinlich vergeblich ist.


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