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Die Vorzeit Österreichs

Vorbemerkung

Vaterländische Geschichte, die unserem Volk erzählt werden soll, ist nicht »verstaubtes Museumsgut« oder eine Sammlung »leerer Daten«, wie einmal bemerkt wurde; nein, sie ist spannend wie ein Roman, lebendig wie ein Drama, gewaltig wie ein Heldenlied, eine Dichtung, wie sie nur der ewige Dichter erfinden kann – und doch keine Erfindung, sondern Wahrheit und wirkliches Leben: das ist unsere Geschichte, die Geschichte Österreichs!

Laßt uns beim Anfang anfangen! Beim Beginn unserer Zeitrechnung, also etwa vor 1900 Jahren. Wie hat es bei uns ausgesehen in der Vorzeit Österreichs, die mit dem norischen Reich beginnt?

Das norische Reich

Norikum hießen einst unsere Lande, etwa im Ausmaß des heutigen Österreichs. Viele meinen, es seien wüste Ödeneien gewesen. Dem ist nicht so. Gerade damals nicht, in den ersten Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt. Ein wohlbestellter Garten war das Land – in manchem vielleicht schöner als heute. »Will einer wissen heut' noch ganz gewiß – wo's Paradies auf Erden ...« hat man vielleicht damals schon gesungen, und mit Recht.

Nun möcht ich ein wenig Fremdenführer sein im sagenhaften Norikum. Eine hübsche Legende, die jeder gerne einmal träumt, erzählt von den Galoschen des Glücks, in denen man sich flugs in ferne Zeiten und Gegenden versetzen kann. Gesagt, getan! Man braucht sich nicht einmal viel von der Stelle rühren – das Heute zerfließt etwas, der Schauplatz verwandelt sich ein wenig: andere Häuser, andere Menschen – Wien ist das römische Kastell Vindobona oder keltisch Vindomina, hochgelegen über dem Donauarm, am heutigen Hohen Markt gegen den Tiefen Graben und Salzgries, wo die Marc Aurelstraße hinunterführt ...

Was sehen wir noch rundum, daß uns ganz seltsam wird? Weingärten und Blütenfelder, schier wie heut; aber auch antike Tempel, marmorne Säulen, römische Villen (wie von Otto Wagner!); dann wieder ganz schlichte keltische Siedlungen, altertümliche Stadtkerne; donauabwärts schimmernde Kaiserpaläste, steinerne Zirkusse, Marmorpracht, von der heute nur mehr das Trümmerfeld von Carnuntum (Deutsch-Altenburg) leise Ahnung gibt; luftige Aquädukte vom Gebirge her über die Aquae oder Baden, wo die heißen Quellen liegen, die öffentlichen Bäder mit marmornen Becken und springenden Fontänen. So ähnlich überall, auch in Iuvavum (Salzburg); fremd und doch so vertraut wie unser Theseustempel im Wiener Volksgarten oder wie eine Grillparzersche Szene aus »Des Meeres und der Liebe Wellen«. Mehr als heute leuchtete die Sonne Griechenlands und Roms über unsere Lande.

Von den blütenhellen Tafeln einer Wachszieherei her nähert sich ein Jüngling, nicht groß, hübsch, ovales Gesicht, braunumlockte Stirn, Augen wie heiße Kohle, ein Typ, den man bei uns heute noch antrifft, sehr verschieden von den runden Marmorköpfen der Römer. Eine dunkle musikalische Sprache tönt ans Ohr, als er zu seinen Arbeitern spricht. Sie klingt wie die gälische Volkssprache, die heute noch in Irland gepflegt wird. Keltisch. Es sei gleich bemerkt, daß unsere Vorfahren in Norikum jenes phantasiebegabte, gewerbetüchtige, künstlerische Keltenvolk waren, das in vielen Stämmen bis Gallien wohnt, bis hinauf an den Rhein und in Britannien. In Tirol hießen sie Räter, in Böhmen Bojer, daher Bojohemum, Böhmerheimat, wo sich die germanischen Markomannen und Quaden eindrängten. Östlich in Pannonien lebten illyrische Völker bis hinunter ans Meer. Die Grenze verläuft am Fuß des Kahlenbergs, der Mons Cetius heißt.

Der Jüngling wendet sich an uns in einem klassischen Latein, die römische Verkehrssprache neben der Volkssprache. Er nennt sich Sembronius; obwohl Kelte, hat er seinen Namen latinisiert. Keltisch sind ja auch die ersten Städtegründungen und Ortsnamen. Vindomina, Lentia (Linz), Ovilabis (Wels), Iuvavum, ungeachtet der lateinischen und sonstigen späteren Umformungen; keltisch die Namen der Flüsse, Berge und Landschaften, ebenso die Silbe hal, die Saft bedeutet, daher Hall, Hallein, Hallstatt; Halaunen heißen die Salzleute; Taurisker, der ältere Name für die Noriker, wohnen hoch hinauf in den Tauern; sogar das Wort »Germanen« ist keltisch und bedeutet einfach »Nachbarn«.

Nun, trefflicher Sembronius, erzähle deine Geschichte! Sein Vater ist Wachszieher, er jedoch hat sich dem Handel gewidmet. Er kennt Germanien nicht nur aus dem Tacitus. Er hat mit ihnen gehandelt drüben im Marchfeld, das noch von Wäldern bedeckt ist. Sehnsüchtig spähen die blonden, zottig rauhen Barbaren – man denke sie nicht opernhaft! – nach dem kultivierten Süden, der für sie hier beginnt. Hier bringen sie ihre Tauschobjekte, Wachs, Honig, Felle, auch Sklaven, vor allem den kostbaren Bernstein, nach dem die Bernsteinstraße, die kürzeste Verbindung über Steinamanger nach dem römischen Grenzkastell und Hauptmarkt Aquileja geht, wo alle Straßen einmünden. Hier an der Donau, wo sich das Bollwerk Carnuntum erhebt, ist auch die gefährlichste Einbruchsstelle. Hier brechen dreimal die Markomannen durch bis Aquileja. Hier residiert Marc Aurel, der sie blutig heimschickt und sich im Markomannenkrieg erschöpft; er stirbt 180 n. Chr. in Vindobona. Von hier zieht der Limes, eine Kette von Kastellen, verbunden durch Grenzwälle, donauaufwärts und springt bei Altmühl hinüber zum Rhein. Seit dieser Militärgrenze ist Norikum, bisher unter bloßer Schutzherrschaft, römische Provinz geworden unter dem ersten Kaiser Augustus. Schicksalsverwandtschaft entsteht früh zwischen Rhein und Donau: hier wie dort kelto-romanische Kultur, als die wilden Germanenstämme lange noch umherzogen und in sehr primitiven Verhältnissen lebten.

Wir wandern mit Sembronius auf kunstvollen Straßen über die Alpen, jene alten Römerstraßen, deren Zug wir heute noch folgen, über die Radstätter Tauern, über den Pyhrnpaß, über den Brenner, über Reschenscheideck. Hier wandert auch das begehrte Eisen von Noreja nach Süden, das Salz von Hallein, das Gold von Gastein und Rauris, das Kupfer von Mitterberg; auch Wachs, Honig, Vieh, Gewebe, Tuche und – Söldlinge. Hier ziehen die Legionen nordwärts nach den Kastellen an der Donau. Mit ihnen die staatliche und militärische Ordnung, Gemeindeverwaltung, Ständeverfassung, römisches Recht. Auch die Steuerexekutoren. Zugleich aber auch höhere Kulturgüter, klassische Bildung. Und in schlichten Herzen, noch verborgen, der christliche Heilsgedanke.

Bunt wechseln die Bilder. Märkte und Altäre. Ein verfallener Turm in einem felsigen Hain. Wir hören: die einstige Opferstätte des altkeltischen blutigen Druidenkults. Wir denken an Kolchis, an die Heimat des Goldenen Vließes, an geheime Verwandtschaft, die Grillparzer spürte. Zukunftsdeutende Sibyllen, Priesterinnen wandeln vorüber, die an Medea erinnern. Ein heller schwanenhafter Zug junger Vestalinnen, lieblich wie die wienerisch-antike Hero, über marmorne Tempelstufen zu römischen Götterbildern empor. Daneben verehren die Römer die heimischen Naturgötter. Auch den asiatischen Mythraskult mit Stieropfern und Orgien haben sie eingeschleppt. Im Religiösen liegt ihre Schwäche.

Sembronius ist Christ. Christen gab es schon in den Legionen Marc Aurels, die »blitzende Legion«, Vindobonas Hausregiment. Ihr Gebet wird erhört; ein Gewitterregen rettet Marc Aurel und seine von den Markomannen hart bedrängten Legionen in den Wäldern des Marchfeldes. Die Vernichtung, das Schicksal eines Varus im Teutoburgerwalde, schwebte über seinem Haupte. Seine Denksäule in Rom zeigt den regnenden Gott. Die Lanzendorfer Kirche, die älteste Niederösterreichs, verewigt die Erinnerung an die »blitzende Legion«.

Wir hören auch von Martyrern in Norikum unter der Christenverfolgung Diocletians. Von den vier Bildhauern, die sich weigern, Götzenbilder zu meißeln und dafür hingerichtet werden. Vom Veteranen Florianus, der zu Lauriacum (Lorch) in die Enns gestürzt wird. Dann von den Martyrerbischöfen Victorinus und Quirinus und von Maximilianus, dessen Name uns bedeutsam wird.

So also sah es in unseren Landen aus; kelto-romanisch ist unser ältestes Kulturerbe. Als römischer Christ fühlt sich Sembronius Weltbürger. Aber die Zeit steht vor der Wende. Römische Weltmacht zerbricht unter dem Ansturm der Barbaren und an innerer Fäulnis. Wird abgelöst von einem asiatisch-despotischen Zentralismus. Von Attilas Reich.

Als das Nibelungenlied entstand

Am Hofe Attilas

Werden die Römer oder die Germanen herrschen? Es war der Zweikampf, der in den ersten Jahrhunderten, in der Zeit der Völkerwanderung, die Welt erschütterte. Das alte Rom schien sich ins Grab legen zu wollen, als Kaiser Constantin nach Byzanz übersiedelte. Aber es schien nur so. Die Geschichte geht gern Zickzackwege, sie dünkt uns in Unordnung, aber sie ist es nicht. Im stillen wurde in Rom eine neue Kaiserkrone geschmiedet; eine geistige Weltmacht sprießte im geheimen auf – eben erst war sie den Katakomben entstiegen.

Jetzt ging es noch nicht um Römer oder Goten und Franken – ein drittes Reich war entstanden, das die Welt in Atem hielt: der hunnisch-germanische Völkerbund. Die Hunnen, ein bisher unbekanntes tatarisches Reitervolk, saßen zwischen Theiß und Donau, besteuerten alle Völker, die vor ihnen zitterten, zerstampften Fluren und Städte unter ihren Hufen, mordend und brennend die Donau entlang durch Norikum bis Worms im Burgunderland und zu den Katalaunischen Feldern Galliens (Frankreichs), wo sie sich die erste schwere Schlappe holten, davon die Sage ging, die Geister hätten noch in der Luft gerungen.

Im Palisadenlager zwischen Bodrog und Theiß wimmelte es von Fürsten und Vasallen: Lateiner, Griechen, Briten, Gallier, Germanen allerhand, unterwürfig einem Wilden, der sich Geißel Gottes nannte, Attila, Herr der Welt, der einem Fleischklumpen glich.

Dieser König hielt 453 wieder einen Fürstentag: alle Großen kamen pflichtschuldig zu Gast, aus Norden, Süden, Osten und Westen kamen sie.

Zwei Züge ritten die Donau entlang und traten an der Biegung bei Gran aus dem Waldschatten heraus in die Steppe der gelben Theiß. Der Führer der einen war ein Römer namens Orest, der andere ein Herulerfürst namens Edeko. Die Herren mißtrauten einander, aber beim Anblick der Steppe, die wie eine Meeresfläche flimmerte, klärte sich das Gemüt, sie wurden gesprächig.

»Merkwürdig«, meinte der Römer, »daß er in dieser Salzsteppe bleiben mag und könnte in Rom thronen so gut wie in Byzanz ...«

»Das kommt von der Ähnlichkeit mit der Mongolei – er fühlt sich hier zu Hause, der gleiche Boden, dieselben Vögel, dasselbe Kraut ... Warum reisest du zur Tagung?«

»Weil man ihn fürchtet, den Popanz, der keine Reiche gründet und keine Städte baut, wohl aber Städte niederbrennt und über alle Reiche herrscht.«

»Auch die Burgunder, Ildico wagten nicht, nein zu sagen, keiner – nicht weil man ihn liebt; man haßt ihn, aber man fürchtet ihn, das ist seine Größe!«

»Doch die Burgunderin liebte ihn, oder nicht?«

»Wer weiß! – erstaunlich jedenfalls, daß er sich von seiner Niederlage auf den Katalaunischen Feldern wieder erholt hat.«

»Ja – alles erstaunlich an diesem Menschen ...«

»Nennst du ihn einen Menschen? Er soll seinen Bruder Bleda ermordet haben, um allein zu herrschen.«

»Er hat auch Züge von Großmut; immer an der Seite der Schwachen, ist sein Wahlspruch; so bricht er die Starken.«

»Warum ist er vor Rom umgekehrt?«

»Aus Ehrfurcht vor dem großen Papst Leo I. Man glaubte die Erscheinung des heiligen Petrus hinter dem Kirchenfürsten zu sehen, als er mit Attila verhandelte, der sich zum erstenmal einem Größeren beugte.«

»Ließ er sich taufen?«

»Nein; aber sein erster Minister Onegesius, ein Grieche, ist Christ.«

Endlich nach erschöpfender Reise erreichten die beiden mit ihrem Troß das Hunnenlager, wo ihnen die Waffen abgenommen wurden; sie fühlten sich mehr als Gefangene, denn als Gäste.

»Diese Roßtäuscher«, knirschte der Germane, »sind das Menschen? Von Gesichtern haben diese Hunnen kaum eine Spur: der Mund eine Schnarre, die Augen Löcher, die Nase von einem Totenkopf mit Henkelohren ... vor diesen Kobolden sind die römischen Legionen geflohen!«

»Sie sind eure Bundesgenossen ...«, ließ der Römer nebenher als Bemerkung fallen.

Im Holzpalast des Königs gingen ihnen die Augen über vor Staunen über den fürstlichen Prunk. Sie sahen Behänge aus Samt und Seide, römische Möbel, griechische Gefäße, byzantinische Bilder, gallische Waffen, gotisches Gewebe, Staatsgewänder mit Gold, Silber und Edelsteinen, Kostbarkeiten, zusammengestohlen von allen Ländern und Völkern – die Wohnung eines Räubers!

»Wann werden wir den Großkönig sehen?«

»Nicht vor Abend, beim Gastmahl«, gab ihnen der bucklige Führer Bescheid, Attilas Hofnarr Hamilkar, ein Karthager.

Des Kurzweils wegen ließ sich Orest von ihm aus der Hand weissagen.

»Dein Geschlecht strebt hoch hinaus«, prophezeite der Narr, »Romulus war Roms erster König, wie bekannt; Augustus, Roms erster Kaiser – Romulus Augustulus, dein Sohn, – letzter Kaiser in Rom – kann sein! – doch ein Barbar stößt ihn vom Thron!«

Dann las er in des Germanenfürsten Hand, stieß einen Schrei aus und zeigte voll Schreck auf Edeko: »Der Stärkere, er kommt aus diesem Blut – sofern Ihr heimgelangt, denn Attila ist Schicksalslenker!« Dann war er kichernd enteilt.

»Ein Narr, der schwatzt«, meinte Orest, »ich diene Attila und meinem Kaiser ...«

Es war bekannt, daß Attila wieder freien wollte, wie so oft, diesmal des römischen Kaisers Valens schöne Tochter Honoria, die ihm als Bedingung seines Abzugs von Rom zugesprochen war; Orest war gesandt, über den Staatsvertrag und die Höhe der Mitgift zu verhandeln.

Es war zugleich ruchbar, daß Attila das Frauenhaus verbrennen wollte – das nannte er ein christliches Begräbnis für seine bisherigen Frauen!

Am Abend speisten die Gäste in der weiten Halle auf silbernen und goldenen Schüsseln, während die Hunnenkrieger die zahlreichen Fürsten und ihr Gefolge mit vieldeutigen Rätseln unterhielten und ein griechischer Sänger die Taten Attilas pries.

Ein Vorhang im Hintergrund war zurückgezogen; dort saß ein kleiner gedrungener Mann mit großem Kopfe, stumpfer Nase, auf hölzernem Teller speisend und aus hölzernem Becher trinkend, schweigsam und nüchtern: der Großkönig. Die ganze Versammlung erhob sich und setzte sich dann auf ein Zeichen des Ministers Onegesius.

Der Großkönig würdigte die Versammlung keines Blickes, er zeigte sich nur; dann legte er sich hin, in jeder Bewegung Hoheit, die zugleich für alles um ihn her stille Verachtung auszudrücken schien.

Nachdem Attila sich zurückgezogen hatte, floß der Wein erst recht in Strömen; das Gelage dauerte bis zum Morgen. Streit war ausgebrochen in den weiten Hallen, Germanen gegen Germanen und Hunnen, ein Gemetzel unter den Berauschten, die Haß und Rache nicht mehr beherrschen konnten.

Als die Sonne aufging, erscholl von draußen entsetzliches Geheul, das wie Weinen klang. Die Hunnen tanzten wie verzückt und ritzten die Gesichter mit Messern, daß Blut fließe statt Tränen.

Orest riß Edeko durch den Haufen:

» Attila ist tot! Gelobt sei Jesus Christ

»Tot?! Das ist die Burgunderin Ildico (Hilde, Krimhilde)!«

»Nein, sie sitzt an der Leiche, verschleiert und weint!«

»Das ist sie!«

»Auf nach Rom! Wer zuerst die Nachricht bringt, macht sein Glück!« rief Orest und stürmte mit den Seinen fort. Auch Edeko machte sich auf. Sein Sohn hieß Odoaker. Alles stob auseinander. Der germanisch-hunnische Völkerbund löste sich.

*

Im Heldenlied lebt die Geschichte jener Tage fort:

»Da tanzte der Tisch, da tanzte die Bank, und Feuer vom Hut flog hin;
Der geringste Kämpfer im Tanzen da hatte fünfzehn Ellen unter den Knien ...«

Die Sagenschätze der Rheinfranken, der Goten, der Sachsen sind hier Erlebnis gewesen und Lied geworden in diesem Völkerkessel an der Donau, unserer Heimat: das Nibelungenlied, Gudrun, Ortnit und Wolf Dietrich, die Rabenschlacht, Dietrichs Flucht, König Laurins Rosengarten, das Hildebrandlied usw.; stolz sollten wir darauf sein!

Der heilige Severin

Düster sah es aus in unseren Landen nach dem Tode Attilas. Die Sonne Roms war im Sinken; von dort war nicht mehr viel zu erwarten. Die Garnisonen an der Donau blieben ohne Sold und verfielen; sie blieben auf Selbstverteidigung beschränkt. Durch die halb zerstörten Dämme ergießen sich Völkerfluten nach Süden. Räubernde Germanenhorden vom linken Donauufer herüber, wo sich die Rugier unter ihrem König Fewa festgesetzt hatten, brechen gelegentlich ein, rauben Menschen und Vieh, dann ist wieder eine Zeit Ruhe bis zur nächsten Gewalttat. Dabei geht der Handel weiter nach Italien, nach den Märkten der Barbaren am linken Ufer; es ist weder Krieg noch Frieden; nur eine allgemeine Unsicherheit, die zerstörend wirkt und alles auflöst.

In dieser Zeit der Entmutigung erscheint der Retter mit dem Kreuz in der Hand, der den Weg aus dem Wirrsal zeigt und die Seelen aufrichtet: der heilige Severin. Wie ein heller Stern tritt er aus dem zerrissenen Gewölk hervor. Eine historische Sendung war in Norikum erfüllt, eine religiöse beginnt mit Severin, grundlegend für spätere Zeiten.

Ein unscheinbarer Mönch ist dieser Apostel Norikums, klein, mager, langbärtig; eine Franziskusnatur, Jahrhunderte vor Franziskus. Er ging barfuß, auch im härtesten Winter, schlief auf nacktem Boden, fastete wochenlang, aß auch sonst nur das Nötigste, weil die Seele sich nicht entfalten kann, wenn der Leib anspruchsvoll wird. Wunderwirkend und heilend zog er durch Ufernorikum, ein Seher und Prophet. Seine Seelenstärke und Herzensgüte, sein Mut und seine Beredsamkeit waren so groß, daß sich auch germanische Häuptlinge dem Manne Gottes beugten, vor allen der Rugierfürst Fewa, der sich ein gewisses Protektorat über Ufernorikum angemaßt hatte gegen ein Jahrgeld von Rom, das ihn verpflichtete, die Provinz in Ruhe zu lassen. Nur die Königin, die herrschsüchtige Gisa, blieb nach wie vor schwierig. Alle Kastelle verlangten nach Severin; erst durch seine Anwesenheit fühlten sie sich geschützt, überall errichtete er Mönchszellen, von denen aus die Armen- und Krankenpflege, die Unterweisung der Jugend, der Seelenaufbau der Bevölkerung geleitet wurde. Er war das Licht der Zeit.

Woher war der Apostel gekommen? Er antwortete immer ausweichend auf diese Frage: »Meinetwegen glaubt Ihr, daß ich ein entlaufener Sklave sei; ist es nicht wichtiger nach dem himmlischen Vaterland zu fragen und das irdische Vaterland darnach einzurichten?« Auf Gottes Geheiß sei er nach Ufernorikum gekommen. Er sprach viel vom Morgenland; von dort ist das Christentum gekommen, dahin hatte sich das oströmische Reich zurückgezogen; und strahlte Glaubenslicht über den Erdball. Darum hielt man Severin für einen Sendboten aus Byzanz. Von dort wurde der Kampf gegen jene ketzerische Lehre aufgenommen, die die Göttlichkeit Jesu Christi leugnete und nach ihrem Urheber Arianismus genannt wurde. Die meisten Germanenvölker waren arianische Christen und blieben daher der göttlich bedingten Liebesordnung der Weltkirche wenig zugänglich. Zwar hatte der ostgotische Bischof Ulfilas (Wulfila) die Bibel übersetzt und die gotische Sprache literaturfähig gemacht, aber der Riß in der Seele, eine Art Protestantismus, blieb. Das rein Menschliche entschied; man gründete sich nicht so sehr auf das höhere Sittengesetz, sondern mehr aus die Faust und lebte vom Schwert; daran mußten die arianischen Völker schließlich zugrundegehen.

Die hartgesinnte Rugierkönigin Gisa wollte den Arianismus auch über Ufernorikum verbreiten, da trat ihr Severin entgegen: nicht das Recht des Stärkeren entscheide, der sich damit zuletzt ins eigene Schwert stürzt, wie man an Heiden und Arianern sehe; sondern das Reich der Liebe, das im Anbruch sei, das Reich Gottes, die Civitas Dei, die der heilige Augustin predigt. Vielleicht glaubte man darum, daß Severin aus Afrika käme, der Heimat Augustins. Er forderte von Gisa die Sklaven zurück, geraubte Menschen aus Norikum, die wegen ihrer gewerblichen Geschicklichkeit begehrt waren und dennoch grausam behandelt wurden.

»Bleib du in deiner Zelle«, schrie das rohe Weib, »was mit den Sklaven geschieht, ist meine Sache!«

In diesem Augenblick brach ihr Söhnchen zusammen und wurde von Severin, dem Wundermann, der Tote erwecken konnte, gerettet. Damit war der harte Sinn des Weibes gewendet.

In seine niedere Zelle zu Favianis, nach den einen bei Wien, die Sievering mit Severin in Zusammenhang bringen, nach anderen bei Melk oder Pöchlarn, trat gebückt ein hochgewachsener, in schlechte Felle gehüllter Germanenführer und sprach davon, daß er nach Rom wolle mit seinen Scharen, um Söldnerdienste zu nehmen. Er wolle den Segen des frommen Sehers erbitten: »Denn unwiderstehlich ist die Macht des Heiligen!«

»Zieh hin, mein Sohn«, sprach Severin das prophetische Wort, »jetzt noch in wertloses Fell gehüllt, wirst du bald die Schätze Italiens verschenken!«

siehe Bildunterschrift

Der heilige Severin segnet Odoaker.
(Bild nach Becker und Geiger.)

Es war des Herulerfürsten Edekos Sohn Odoaker, der Romulus Augustulus vom Thron stieß und den weströmischen Kaisertitel abschaffte, so ziemlich das einzige, was von der einstigen Weltmacht geblieben war. Auch bei Passau hatte Severin ein Kloster gegründet, jedoch bald die Bevölkerung nach Lauriacum (Lorch an der Enns) zurückgenommen, weil Gefahren von den nach Süden drängenden Herulern, Sueben (Alamannen) drohten. Es wird erzählt, daß er eine warnende Botschaft nach Juvavum (Salzburg) gesandt hatte, wo Severin ebenso wie in dem nahegelegenen Kuchl geweilt haben soll. Die Warnung kam zu spät. Die römischen Christen, die mit ihrem Bischof Maximus in den Felsenhöhlen der Mönchsbergwand die Nacht vor dem hereinbrechenden Sturm in Andacht verbrachten, wurden vom Felsen herabgestürzt. Martyrerblut ist hier geflossen, wie immer ist aus dem geheiligten Blut der Bekenner die Passiflor des Christentums desto herrlicher aufgebläht – 200 Jahre später unter dem heiligen Rupertus, der auf den Spuren Severins die zweite Christianisierung Österreichs unternahm.

siehe Bildunterschrift

Der heilige Rupertus spendet die heilige Taufe.
(Wandgemälde von Joseph Eberz. Kirche in Freilassing. Phot. Jaeger Bürgen, München.)

Im rugischen Fürstenhaus wurde von der bösen Gisa Verwandtenmord angestiftet; die angemaßte Schutzherrschaft wurde gewalttätig in dem Grade, als Rom erlahmte. Da dachte Severin daran, die Bewohnerschaft aus Ufernorikum wie aus der Knechtschaft Ägyptens wegzuführen und ließ in diesem Sinne eine Botschaft an den römischen König Odoaker ergehen. Aber er sollte den ersehnten Tag nicht erleben; er fühlte sein Ende herannahen und hatte den Tag seines Todes vorausgesagt, der am 8. Jänner 482 eintrat. Kaum hatte er die Augen geschlossen, plünderte Friderich, der Bruder und Mitkönig Fewas, Kirche und Kloster zu Favianis bis auf die kahlen Wände aus; nur die Scheu vor dem Heiligen hatte die Rugier bis dahin in Schranken gehalten. Sie wurden von Odoaker gezüchtigt, der Zewa und Gisa als Gefangene nach Rom schleppte, während Friderich zu dem Ostgotenkönig Theoderich flüchtete, der später Odoaker Herrschaft und Leben raubte.

Sechs Jahre nach Severins Tod hatte Odoaker die römische Bevölkerung von Ufernorikum nach Italien zurückgeholt. Die Ausziehenden nahmen die unverwest gebliebene Leiche des Heiligen mit sich, um die sie sich immer versammelt halten; sie wurde in Lukullanum bei Neapel beigesetzt.

Ufernorikum war den Barbaren preisgegeben; die Prophezeiung Severins erfüllte sich: »Diese Orte, jetzt noch bevölkert, werden in eine so wüste Einöde verwandelt sein, daß die Feinde nur mehr die Toten in den Gräbern plündern können.«

Der heilige Rupertus

Ein Schleier senkt sich über Norikum in den zwei Jahrhunderten nach Severin. Alles schon Errungene ist verschüttet. Statt des blühenden Gartens von einst überall Ruinen und Wald, Ödland. Von der Theißebene her, wie einst Attila, herrscht ein ähnliches, schreckliches Reitervolk, die Avaren. Sie sind umgeben von Slawen, die ihre Dienstvölker sind, ihre Handwerker und Ackerbauern, ihre Hörigen und Sklaven. Bis ins Pustertal und bis an die Ostsee reicht das Slawenmeer und deckt den ganzen Osten Europas. Bis zur Enns reicht das slawisch-avarische Reich.

Hier halten die Bajuwaren (Bojoarier) Grenzwacht, eine Mischung von Markomannen, Sueben (Schwaben) und keltischen Bojern; sie haben sich aus der Vindelicischen Hochebene zwischen Lech und Inn festgesetzt und bis zur Avarengrenze an der Enns vorgefühlt, auch südwärts nach Tirol bis zu den befreundeten arianischen Langobarden in der Poebene. Sie waren noch ein ungefüges heidnisches Volk.

Da ereignet sich eine ebenso feierliche als anmutige Szene, die weltgeschichtliche Bedeutung hat. Auf einem grünen Plan vor der Burg des Bayernherzogs Theodo zu Regensburg wird ein großes Kreuz errichtet. Ein königlicher Priester steht darunter und spendet dem knienden Herzog und seiner Familie, vielen Edlen und versammeltem Volk die heilige Taufe. Ein ergreifendes Bild, dieser Zug der Täuflinge; wunderbar, wie sich die Herzen öffnen und die Züge verschönen. Es ist Hruodebert (Rupertus), der Bischof von Worms, ein Abkömmling aus dem fränkischen Königshause der Merowinger, der auf die Bitten Theodos gekommen ist.

Bei dem Gastmahl, das nun folgt, singt ein Sänger das Heldenepos von Dietrich von Bern, wie er den Franken Siegfried besiegt im Rosengarten und sonst. Es ist die Thidreksaga, die in Tirol heimisch ist bei den letzten Ostgoten, die damit die Erinnerung an Theoderich und sein Hoflager in Verona (Bern) überliefern.

»Unter dem Franken Siegfried ist das fränkische Reich zu verstehen«, erklärt Hruodebert, »man spürt in dem Lied die Spannung zwischen Theoderich und Chlodwig. Aber das Reich Theoderichs mußte doch zerbrechen, vergebens sein Kampf um Rom. Goten und Römer, Arianer und römische Christen, können nicht verschmelzen.«

Als ob Rupertus damit andeuten wollte, ein neues Weltreich sei im Entstehen. Im Zeichen des Kreuzes, nach der römisch-katholischen Lehre. Diesmal vom Westen her, von den Franken. Es ist sein Entschluß, die Mission nach dem Avarenreich vorzutragen. Nicht mit dem Schwert, mit dem Kreuz.

Herzog Theodo ist begeistert für das Unternehmen. Er sieht große Dinge für sich und stattet Rupertus mit allen Mitteln aus. Am Wallersee errichtet der Bischof seinen vorläufigen Sitz mit Kirche und Mönchszellen (Seekirchen). Dann geht es in einer königlichen Flottille die Donau abwärts. Vorüber an Stätten einstiger Kultur, wo Severin gewirkt hatte. Dunkle Erinnerungen stiegen auf an den Ufern Norikums. Hier saß vorübergehend das letzte Wandervolk, die Langobarden, die ihr Schwert dem oströmischen Kaiser Justinian verdingt hatten gegen die arianischen Völker und gegen Theoderichs Reich in Italien. Die bayrischen Gefolgsmannen Ruperts wissen manches zu erzählen.

»Diese Langbärte haben uns die Avaren ins Land gerufen, um mit ihrer Hilfe die Gepiden im östlichen Lande zu vernichten. So geschehen unter Alboin, der die Tochter des gefallenen Gepidenkönigs, die unglückliche Rosamunde, sich zur Frau zwingt. Aus Rache läßt sie ihn einige Jahre später ermorden, eine wüste Geschichte.«

»Noch wüster die Avaren, das treuloseste aller Völker. Ihr Großkhan Bajan trug die Peitsche als Szepter. Er soll ein schöner Mann gewesen sein. Eine Langobardenfürstin, deren Stadt er belagerte, verliebt sich in ihn sofort, als sie ihn von der Mauer herab erblickt. Er verspricht ihr die Ehe, wenn sie die Stadt übergibt. Aber er teilte nur das Lustlager mit ihr, und ließ sie am Morgen pfählen, die Stadt aber ausmorden. So haben sie es getrieben – wir wissen ein Lied davon zu singen!«

»Sie sind schon zahmer geworden, besonders seit Konstantinopel, wo sie sich den Schädel angerannt haben. Wie hätten sich sonst die Tschechen in Böhmen freimachen können?«

»Man darf nicht vergessen, daß ihr Führer und König, der Kaufmann Samo, ein Franke wart«

»Aber die Alpenslawen in Karantanien haben sich doch auch freigemacht!«

»Ja – die Avaren haben sich nämlich ihre Überwinder selbst gezüchtet. Sie schändeten die Weiber und Töchter ihrer Hörigen und erzeugten in dem geduldigen Slavenvolk etwas von ihrer Art. Zuletzt stehen immer die Sklaven auf ...«

Bis Unterpannonien geht die Reise. In den Avarenstädten, riesengroße konzentrische Ringe, die man durch enge Tore durchschreitet, empfängt der Großkhan seine Gäste. In roher Pracht sitzt er auf seinem Thron, die Peitsche als Szepter. Die hohe, edle Gestalt des fürstlichen Priesters mochte den Barbaren als der Gesandte eines unbekannten Gottes erscheinen, dem sie sich in scheuer Ehrfurcht beugten, besonders die empfänglichen und phantasiebegabten Slawen. Die große Persönlichkeit hält alle in Bann. Denn hinter dieser Persönlichkeit steht Gott. Eine Seelenfurche ist gezogen für spätere Aussaat.

Nach Seekirchen glücklich heimgekehrt, wird ihm eine seltsame Kunde. Nicht fern, am Gebirge, befände sich im Waldesdickicht eine zaubervolle Stadt. Gestürzte Marmorsäulen, Mosaikböden, Statuen zwischen Bäumen, im Mondlicht ein eigentümliches, geisthaftes Leben atmend.

Die Gegend ist menschenleer und gemieden. Moore dehnen sich gegen das Gebirge. In der Felsenwand der toten Stadt befinden sich Höhlen und Spuren von Altären. Es ist der Ort, wo Maximus und die römischen Christen den Martyrertod erlitten haben, das römische Juvavum.

Der Boden ist geheiligt. Rupertus erkennt die Führung – hier, an dem Friedhof, wo die ersten Christen ihre Toten bestatteten – die Gräber der Heiden befanden sich am Bürgelstein, wo vordem blutige Druidenkulte stattfanden – errichtet er sein Gotteshaus, St. Peter, dem Schutzheiligen von Worms geweiht, seine Schule, seine Mönchszellen. Herzog Theodo schenkt ihm alles Land drei Stunden links und rechts von der Salzach: der Rupertiwinkel. Auf dem oberen Kastell entsteht für Krankenpflege und weibliche Erziehung ein Nonnenkloster (Nonnberg) unter Ruperts Nichte Arindrud (Ehrentrudis).

Er selbst zieht im Gebiet des Salzkammerguts umher, wo sich noch das ländliche Volk aus der Römerzeit erhalten hat. Aus den Römersteinen werden Gotteshäuser. Christliche Gemeinden bilden sich. Klöster strahlen Gesittung aus, so Maximilianszelle am Kreuzberg (Bischofshofen). Eine staatliche Rechtsordnung entwickelt sich. Das bayrische Volksrecht spiegelt das Zeitbild. Man liest Bestimmungen über sorgfältige Bienenzucht, über öffentliche Mühlen und Schmieden, über Gärten und Weinberge, über Behandlung des Gesindes, auch über Fruchtabtreibung und Bestechung, über Erbrechte, wonach der Sohn der Magd nicht erben kann wie der Freigeborene. Land verschönt sich, Seele erwacht.

Was der heilige Rupertus begründet, setzt Vitalis fort, dem mehr als 70 der ältesten Salzburger Kirchen geweiht sind; der Schotte Virgil, der bis Karantanien und Pannonien missioniert; der Franke Arno, ein Freund des gelehrten Alkuin, von Karl dem Großen berufen. Herzog Odilo gründet Mondsee; Herzog Tassilo, der letzte der Agilolfinger, gründet Innichen in Tirol und Kremsmünster in Oberösterreich (777), Burgen Gottes, die der Seele Land gewinnen.

Schon spürt man die Macht Karls des Großen. Solche Oberhoheit ist Tassilo und seiner Gemahlin, einer Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, dessen Krone Karl an sich nahm, unerträglich. Er ruft die Avaren zu Hilfe, was zugleich Verrat an Kirche und Christentum ist. Sein Land fällt an Karl, der die Gelegenheit erfaßt und in drei Feldzügen das Avarenreich vernichtet. Die neue Krone, die in Rom geschmiedet wird, hebt sich ans Licht, das christlich erneuerte römische Kaiserreich, dem Würdigsten vorbehalten, der nun über die romanischen, germanischen und slawischen Völker herrscht. Die karolingische Ostmark entsteht, im Süden die Mark Friaul. Die Benediktiner, als Erzieher Österreichs, setzen das Werk des heiligen Rupertus fort bis Pannonien und Karantanien, gemeinsam mit Passau, das unter Bischof Pilgrim seine Vorrechte an der Donau von dem römischen Lauriacum ableiten will. Doch Rupertus hat das Konzept Karl des Großen vorgedacht; Salzburg erscheint als geistige Wiege Österreichs.

Das Heilige Reich

Im Lande Salzburg, dicht an der Grenze, erhebt sich ein mächtiger Sagenberg. Wie ein riesiger Wächter steht er da, die Stadt zu seinen Füßen, die einem Riesenspielzeug gleicht, die felsige Stirn hoch zum Himmel erhoben. Einem König ist er vergleichbar. Einem Gebieter der Landschaft, an den sich viel schönes Sagen knüpft, Dichtung, Legende und geschichtliche Wahrheit. Ganz allein, in königlicher Einsamkeit, ragt er aus der Ebene auf, aus dem sagendunklen Walserfeld. Dieser geheimnisvolle Berg ist der Untersberg bei Salzburg. Seine Felsenkrone läßt ganz deutlich die Umrißlinie eines ruhenden Hauptes erkennen. Seiner langgestreckten Form nach ist er auch einem mächtigen marmornen Katafalk zu vergleichen, darin ein Gewaltiger ruht.

Dem Volksglauben nach ist Kaiser Karl in diesen Wunderberg entrückt. Es ist mehr als eine Sage. Es ist vielmehr ein Zeichen, wie lebendig das Heilige Reich und sein Schöpfer in der Seele des Volkes verankert ist, wie dunkel auch die Vorstellung sei. Darum sind solche Überlieferungen so wertvoll für die vaterländische Geschichte, weil sie die Verbindungsfäden sind, die zum Herzen des Volkes führen und einen liefen symbolischen Sinn enthalten.

Verborgene Pfade und Schluchten führen, der Sage nach, den, der solche Dinge schauen darf, zu der sonst unauffindbaren Pforte, die mit donnerähnlichem Krachen aufspringt. Im Innern des Berges zeigt sich ein festlicher Prunksaal mit Marmorsäulen und silbernen Wänden, von magischem Licht strahlend erhellt. Wie leblose Steinbilder stehen Wächter herum, starr und stumm. In der Mitte des Saales sitzt auf goldenem Stuhle der alte Kaiser, mit Krone und Szepter geschmückt, die Augen im Schlummer geschlossen. Schneeweiß sein Bart, der bereits zweimal um den Marmortisch gewachsen ist, von Perlen durchwirkt. Um den Marmortisch ist seine Tafelrunde versammelt, Gelehrte und Poeten, viel edle Herren in herrlicher Rüstung, das Haupt in die Hand gestützt, und ringsum das reiche Gefolge, gleich dem Kaiser in tiefen Schlaf versenkt.

Von Zeit zu Zeit – alle hundert Jahre – erwacht der Kaiser mit seinem Staat, um Rat zu halten und das Gedächtnis des Heiligen Reichs zu erneuern. Wenn es vergessen sein sollte und die Not am höchsten gestiegen, wird er mit großem Glanz aus dem Berg hervorgehen und sein Weltregiment wieder antreten. So oft ein solcher Gedächtnistag gekommen ist, stößt ein Wächter, der wie ein Fels auf einem der Vorberge hockt, ins Horn. Dann wird es im Berg lebendig, der Kaiser erhebt sein Haupt, Herr Roland tritt schwerfällig wie der steinerne Gast die Stufen hinan, begleitet von den anderen Paladinen, Karls Sohn Pippin und Herzog Erich von Friaul und Karantanien, diesen Siegern in den Avarenkriegen; Schwager Gerold, der die erste Ostmark unter Karl verwaltet; der Mundschenk Graf von Ingelheim und vielen Geschlechtern.

»Nun Herr Roland, Euer Hifthorn wie aus dem Tal von Roncesvalles in Spanien hab ich wiederum vernommen; Ihr steht ja als Rolandssäule aus so vielen Märkten und Dörfern, ja sogar in Bremen, und seid Zeuge, wie es zugeht in der Welt.«

»Laßt mich davon lieber schweigen, mein hoher, edler Herr, und Eurer ruhmvollen Tage gedenken, als am Weihnachtsfest 800 Papst Leo in der Peterskirche Euch die Krone der römischen Kaiser aufs Haupt setzte und das Volk jauchzte: Karl, dem allerfrömmsten Augustus, dem von Gott gekrönten, dem großen, friedenbringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg! Ich will nicht daran denken, daß Euer herrliches Reich schon nach hundert Jahren zerfiel, daß infolgedessen Swatopluk ein großes Slawenreich im Osten errichten konnte, und daß selbst Eure Ostmark wieder vernichtet ward, als die Magyaren hereinbrachen ...«

Da erhob sich rasch Alkuin, der Freund und Ratgeber des Kaisers in der gelehrten Tafelrunde, Bischof von Tours, der gleich seinem Gegenüber, dem Erzbischof von Mainz und Begründer der Klosterschule zu Fulda, Hrabanus Maurus, »Erzieher Germaniens« genannt, römische Bildung den Germanen vermittelte und verschüttetes Geistesgut rettete, und sprach die Worte:

»Nichts war verloren darum. Ihr wißt, daß bald nachdem Ludwig, das Kind, aus Gram über den Zusammenbruch gestorben war, die allzu selbstherrlichen Reichsfürsten, den besten Mann zum König erwählten, Heinrich den Finkler, den sie vom Vogelherd wegholten, auf seinem Hof am Harz, den Sachsenherzog, der die Magyaren an der Unstrut schlug. Ihr wißt, daß sein Sohn, der große Otto, die Barbaren, die bis ans Westmeer geritten waren, am Lechfeld 955 vernichtete; Ihr wißt, daß er als römisch-deutscher Kaiser Karls Krone trug und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation begründete. Ihr wißt, daß Otto die karolingische Ostmark wieder hergestellt hat und daß sie 976 von den widersetzlichen Bayern politisch getrennt und Leopold I. aus dem babenbergischen Geschlecht als erbliches Lehen mit außerordentlicher Selbständigkeit gegeben wurde. Ihr wißt endlich, daß die heilige Krone in Wien gehütet wird, wo sie an die 650 Jahre ruhmvoll behauptet wurde und fortwirkt, ein Vermächtnis und eine Sendung.«

Nach einer kurzen Atempause fuhr der gelehrte Ratgeber fort:

»Das Heilige Reich, das an diese Krone gebunden ist, kann zwar zu Zeiten verdunkelt werden, aber es kann nicht verschwinden. Ideen sterben nicht. Mit dem Reich Karls war das christliche Abendland erwacht. Es ist das Reich, von dem die Prophezeiung Daniels einst sagte, es wird ein ewiges Reich sein. Alle wußten bei der Krönung Karls, es werde bis ans Ende aller Dinge bestehen. Diese Idee ist nicht eine Fortsetzung des alten weströmischen Kaiserreichs, sondern etwas ganz Anderes, völlig Neues, Unerhörtes. Sie ist der Aufbruch einer neuen religiösen Welt, die Verwirklichung der Herrschaft Christi, der Gottesstaat eines heiligen Augustinus, die Herrschaft des religiösen Sittengesetzes, die im Göttlichen gegründet ist. Dieser Herrschaftsgedanke ist abgeleitet vom Herrschaftsgedanken Christi; deshalb konnte die kreuzgeschmückte Krone, der Reichsapfel als Weltsymbol und das Szepter mit der Schwurhand nur aus den Händen des Papstes, des Statthalters Christi auf Erden, empfangen werden. Fortan ist der Kaiser der weltliche Arm in der Kirche, der Schützer der göttlichen Ordnung im Weltgeschehen. Klar und einfach ist seine Bestimmung: Hüter des heiligen Rechtes zu sein, ein Richter auf Erden, ein Rächer des Unrechts, ein Beschützer der Verfolgten und Schwachen, ein Wächter des Sittengesetzes, der Religiosität und der Moral als Grundkraft der Welt. Diese Idee des Heiligen Reiches ist keineswegs auf eine Nation und ein Volk eingeengt, sondern enthält eine Sendung an alle Völker, sie ist übernational und universell. Staaten und Völker schwinden, das Reich besteht, denn es ist ein Teil von jener Welt und darum ewig.«

Als der Lehrer Karls den Ursinn der Krone des Heiligen Reichs wieder erklärt und erneuert hatte, erhob sich in der Weise Gregors ein feierlicher Chorgesang, sanft verhallend in den Wölbungen des Berges wie in einem Dom.

»Fliegen noch die Raben um den Berg?« pflegt der Kaiser nach der Volksmeinung zu fragen, und als sie bejaht wird, sinkt er mit seinem Hofstaat wieder in die Verwunschenheit, der Berg schließt sich, zwischen Felsen und Schluchten blickt man in die träumende österreichische Landschaft, wo Kaiser Karl und die abendländische Idee seines heiligen Reiches fortlebt im Herzen des Volkes. Aus seiner Ostmark war die Blume Österreich entsprossen. Zwar ist die karolingische Ostmark bald verfallen; hundert Jahre später ringt sich aus dem Schutt die babenbergische Ostmark empor, Ostarrichi (zum erstenmal so genannt 996), das spätere Österreich, das mit jener heiligen Sendung dauernd verbunden ist. Am Anfang stehen drei heilige Fürsten: der heilige Wenzel, der heilige Stephan, der heilige Leopold.

Der heilige Wenzel von Böhmen

Der sagenhafte König Krokus liebt eine Baumnymphe, die ihm drei Töchter schenkt. Libussa, die jüngste unter diesen drei nornenhaften Schwestern, übernimmt die Herrschaft des Landes; weil aber die ehrgeizigen Großen auf ihre Vermählung drängen, wählt sie den niederen Bauernsohn Przemysl zum Gatten, der Ahnherr des böhmischen Königshauses der Przemysliden wird und Prag gründet. Diesem Hause entstammt Herzog Wenzel, der Heilige, und später der Böhmerkönig Ottokar.

Als Orakelpriesterin unter Rauchdämpfen hat Libussa bei der Stadtgründung ihres Gatten Przemysl delphisch dunkle Worte gesprochen, denen unser großer vaterländischer Dichter Grillparzer in seinem erkenntnistiefen Staatsdrama »Libussa« eine prophetische Deutung gibt, die zugleich vor der Sünde im Geiste warnt, vor der heidnischen Nationalleidenschaft, die immer wieder zum Verhängnis wird. Schon der heilige Wenzel mußte ihr zum Opfer fallen; es war nicht das erste und nicht das letzte.

Doch sei vorerst der böhmische Mädchenkrieg erzählt, der noch der mythischen Überlieferung um Libussa angehört. Nach Libussas Tod will ihre Freundin Wlasta die Männerherrschaft wieder abschütteln und aus Böhmen ein Amazonenreich machen. Die feste Mädchenburg (Djewin) gegenüber dem Wyschehrad (Residenz) wird endlich von den Männern erobert und dem Mädchenreich Wlastas ein Ende bereitet.

Das erste Opfer der Nationalleidenschaft war noch vor Wenzel seine Großmutter Ludmila, die seine Erziehung im christlichen Sinne leitete. Er lernte »gründlich wie ein Pfarrer«, wie es in der Überlieferung heißt, nicht nur die lateinische, sondern auch die slawische Kirchensprache. Diese wurde geschaffen von den Slawenaposteln, Brüder Kyrill (Konstantin) und Method, die das slawische Alphabet und eigene Buchstabenzeichnungen erfunden hatten, die kyrillische Schrift. Sie waren aus dem griechischen Orient gekommen und von Swatopluk ins Land gerufen worden, der von Mähren aus ein großslawisches Reich gegründet hatte. Method wird Bischof von Mähren und Pannonien, aber nach seinem Tod wendet sich Swatopluk unter dem Einfluß der Mission von Salzburg und Passau von der slawischen Kirche wieder ab, die in Bulgarien ihr Werk fortsetzt und Grund legt zur Kirchenspaltung. Das großmährische Reich zerfällt alsbald unter dem Ansturm der Magyaren, Böhmen wird unabhängig, aber der Same Methods ist geblieben. Daraus sind die späteren Versuche einer Nationalkirche aufgekeimt, die böhmischen Brüder, die Hussiten u. a.

Es war die entscheidende Tat Wenzels, daß er sich dem lateinischen Kulturkreis zuwendet, sich dem christlichen Abendland anschließt und damit die Zukunft seines Landes bestimmt. Er empfängt den Segen des Bischofs von Regensburg 929. Der Haß der heidnischen Großen richtet sich gegen die greise Fürstin Ludmila. In der Burg Tetin wird sie während des Gebetes überfallen und mit ihrem eigenen Schleier erwürgt. Sie ruht in der Georgskirche auf dem Hradschin. Mit dieser Adelsempörung tritt die eigentliche Wendung ein.

Herzog Wenzel ist zur Regierung gekommen, er ruft deutsche Priester und Kolonisten ins Land, stiftet zahlreiche Kirchen, darunter die vornehmste auf seiner Burg Hradschin zu Prag, den Veitsdom mit der Wenzelskapelle, der amethystgeschmückten, und unterwirft sich als Lehensträger dem Kaiser Heinrich I., dem er Tribut leistet. Das erbittert die nationale Adelspartei noch mehr, die sich mit seinem ehrgeizigen Bruder Boleslaw zu seiner Ermordung verschworen hat: »Komme dem Herzog zuvor, er will dich am Tag des heiligen Emmeran (22. September 935) umbringen.«

Wenzel folgt der Einladung des Bruders nach Altbunzlau zum Gottesdienst am Kosmas- und Damianstag in der diesen Heiligen geweihten Kirche. Am Abend wird ein Trinkgelage gehalten; Wenzel läßt sich bestimmen, zur Nacht zu bleiben. Er sitzt im grünen, goldbesetzten Gewande mit roten Strümpfen und goldenen Sporen an der Tafel, ein kräftiger Mann mit vollem Bart. Auf der anderen Seite vier Hauptverschworene mit langen Schnauzbärten und der jugendliche, bartlose Boleslaw. In der Halle war beschlossen worden, den Herzog zu ermorden, wenn er zur Frühmesse gehe. Während die Morgenglocke läutet, tritt ihm an der Kirchentür Boleslaw entgegen.

»Ein freundlicher Abend, gestern!« ruft ihm Wenzel entgegen.

»So will ich dich heute noch bester bewirten!« sagt Boleslaw, zieht das Schwert und führt einen Streich nach dem Haupt Wenzels.

»Was hast du vor?« schreit Wenzel auf, und wirft ihn, obschon verwundet, zu Boden. »Mein Gott, Bruder ...!«

Da stürzen schon auf das Geschrei Boleslaws die Verschwörer herbei und schlagen den Herzog nieder; an der Kirchentür gibt Wenzel seinen Geist auf. Auch das Gefolge teilt größtenteils sein Schicksal; die deutschen Priester werden verjagt, Boleslaw bemächtigt sich der Herrschaft.

In der Geschichte führt er den Beinamen der Grausame.

Seinem Sohn, der zur Zeit des Brudermordes geboren wird, gibt er den Namen »Schreckensmal« (Strachkwas) und widmet ihn zur Sühne dem geistlichen Stand. Gleichzeitig begann der Widerstand gegen das Reich, den Otto I. nach 14 Jahren erst gebrochen hatte. Es war der erste nationale Aufstand, gewissermaßen ein Vorläufer des Hussitentums.

Wenzel, der Heiliggesprochene, wurde im Veitsdom beigesetzt, wo ihm das Volk größte Verehrung erwies. Bald verbreitete sich die Kunde von Wundern, die an seinem Grabe geschehen. Er wurde der Schutzpatron Böhmens, denn er war es, der es in die Reihe der Kulturvölker und in das Heilige Reich als Reichslehen eingliederte. Seine Krone, die Wenzelskrone, ist das Herrschaftszeichen Böhmens und Symbol des böhmischen Staatsrechts; mit ihr werden die Könige des Landes gekrönt, deren erster Ottokar ist. Mit ihm tritt Böhmen in unsere Geschichte ein.

Die heilige Stephanskrone

Die Geburtsstunde des tausendjährigen Ungarn, das ebenso wie Böhmen mit unserer Geschichte aufs engste verflochten ist, ist der Zeitpunkt um 896, als die magyarischen Stämme unter Arpad das Land betraten. Sie waren von ihrer innerasiatischen Heimat, der turanischen Hochebene, ländererobernd bis zum Dnjestr vorgedrungen und aus dieser Übergangsheimat von Kaiser Arnulf gegen das großmährische Reich Swatopluks gerufen worden. Sie schoben sich als Keil in diesen östlichen Slawenwall, der fortan in Nord- und Südslawen getrennt blieb. Es war der dritte tatarische Einbruch in Europa, der noch einmal, wie früher die Hunnen und Avaren, die aufblühende Kultur Europas zu vernichten drohte.

Das zerfallende Reich Karls des Großen war unter Ludwig dem Kind zu schwach, einen Riegel vorzuschieben; der bayrische Heerbann unter Luitbold wird von den flinken Reiterschwärmen, die in Scheinflucht blitzschnell wenden und die zusammengekeilten Haufen dicht an den Gebissen und wallenden Mähnen der Rosse niedermähen und mit Hufen und Kolben zermalmen. Die Walstatt ist ein Leichenfeld, Luitbold, die Bischöfe von Salzburg, Freising und Seben, die an dem Abwehrkampf teilgenommen haben, sind gefallen. Auch das zweite Heer an der Enns wird vernichtet, mit Mühe rettet Ludwig sein Leben. Der Feind sitzt bis zur alten Avarengrenze im Donautal fest, die deutsche und slawische Bevölkerung vernichtend oder verdrängend; die karolingische Ostmark ist verschwunden. Von hier aus wird Bayern, das sich vom Reich losgerissen hat, und das übrige Deutschland immer wieder gebrandschatzt. Deutschlands Ende schien gekommen. Das »Kind« verschied in Not und Schmach, die karolingische Linie war in Deutschland erloschen. Es fiel in die Stammesherzogtümer auseinander und war ein Wahlreich geworden.

Nach unsäglichen Wirren war der Sachsenherzog Heinrich der Finkler zum deutschen König erwählt als Heinrich I., der wieder Ordnung machte. Er stellte die föderative Einheit der deutschen Stämme her, schloß ein Friedensabkommen auf neun Jahre mit den Magyaren gegen Tributleistung, und benützte die Ruhepause zur Ausbildung einer Reiterei, zur Anlegung fester Plätze für die Wehrlosen gegen Räubereien, woraus dann die »Städte« entstanden, daher der Beiname Heinrichs »der Städtegründer«, zur Eroberung des Slawenlandes zwischen Elbe und Oder. Noch vor Ablauf des Waffenstillstandes konnte er im Vertrauen auf sein sieggewohntes Heer den Tribut verweigern, und als ein Jahr darauf 955 die Reiterschwärme rachegierig in Thüringen einbrachen, konnte er sie nach zwei siegreichen Schlachten blutig heimschicken. Als »Vater des Vaterlands« wurde König Heinrich gepriesen und als »größter König Europas«, der Slawen und Ungarn bezwungen hatte. Die entscheidende Niederlage aber hatte den Ungarn erst Heinrichs Sohn Otto I. 955 bei Augsburg auf dem Lechfeld beigebracht. Das Banner des Erzengels Michael schwebte über ihm; der Lech färbte sich rot; Leichenberge türmten sich auf dem Schlachtfeld; nur kärgliche Reste erreichten Pannonien. Die Völkerwanderung hatte damit ihren Abschluß gefunden. Die Niederlage am Lech ist der Anbruch der Seßhaftigkeit und Zivilisation der Magyaren, die nach der slawischen Bezeichnung ugri fortan Ungarn genannt werden.

Die Ungarn würden ebenso wie die Hunnen und Avaren spurlos verschwunden sein, wenn sie sich nicht der westlichen Kultur angeschlossen hätten. Seza, der erste Fürst der sieben Ungarnstämme, wünscht für seinen Sohn und Nachfolger Vajk eine Gemahlin aus dem deutschen Kaiserhaus; Gisela, die Tochter des mit einer Schwester Kaiser Heinrichs II. vermählten Bayernherzogs Heinrich, ist die Erkorene; die Bedingung ist, daß er sich nicht nur taufen lasse, sondern auch das Christentum in seinem Volk heimisch mache. Er nimmt den Namen Stephan an und erbittet vom Papst eine Königskrone, die das Symbol seines auch in kirchlicher Beziehung selbständigen Staates ist, mit einem Metropoliten in Gran. Dort findet im Jahr 1000 die Königskrönung statt auf einem Hügel, wo sich heute die Basilika erhebt.

Die Krone soll Papst Sylvester II. selbst entworfen haben. Sie ist mit Emailbildern im feierlichen byzantinischen Stil und mit großen Saphieren und anderen Edelsteinen geschmückt. Das Doppelkreuz auf der Krone steht schief; es ist auf einer der vielen Irrfahrten, umgebogen. Die Schicksale der Nation sind mit ihr verbunden, sie ist die Verkörperung des ungarischen Staatsrechtes. Demnach sind die Magnaten, Heerführer, Eroberer, Landnehmer, nicht Vasallen, sondern Freie und als solche Glieder der Krone; sie nehmen am Herrscherrecht teil, so daß kein Gesetz rechtskräftig werden kann, das nicht auch von ihnen genehmigt ist, also vom König und der im Reichstag vertretenen Nation zugleich. Das entspricht dem Blutvertrag, den die Führer bei der Landnahme beschlossen haben. Der Pfeilschuß war das Maß für das Land, das jeder bekam – je weiter der Pfeilschuß, desto größer der Besitz. Aus dem ungarischen Staatsrecht, das geradezu politische Religion ist und später 1222 unter Andreas II. in der Goldenen Bulle verbrieft wird, erklären sich, indem es die Königsgewalt durch die Adelspartei beschränkt, so viele eigentümliche, oft gewaltsame und tragische Züge der ungarischen Geschichte, der nationale Unabhängigkeitsdrang, aber auch die Klüftungen und Katastrophen des Landes.

Staatsgeschichte beginnt mit der Lichtgestalt des heiligen Stephans. Unter seiner Führung verwandeln sich die Urmagyaren und bogengeübten Reiter in christliche Ritter. Stephan läßt sich durch zwei eingewanderte schwedische Ritter, Hunt und Pazman durch Schwertleite in den deutschen Ritterstand erheben.

Es ist von größter Bedeutung, daß sich Stephan nicht der griechischen Kirche, wie einige Teilfürsten wollten, sondern der lateinischen zugewendet hat. Sein Reich wäre sonst Orient geblieben und früher oder später, mindestens aber unter der Türkenherrschaft aufgelöst worden. Er gehorcht jedoch einer höheren Eingebung und wußte, daß er dem Lande dauernden Bestand gebe durch den Eintritt in das christliche Abendland. Es ist ersichtlich, daß ihm das Vorbild Karls des Großen vor Augen schwebt. Das zeigt die heilige Krone, die er aus der Hand des Papstes nimmt, die Einteilung des Landes in Gaue, Komitate, unter Gaugrafen (Obergespane), seine Kolonisations- und Kulturpolitik, ein Heiliges Römisches Reich im kleinen mit einer bunten Völkerkarte. Er ruft deutsche Priester, Gelehrte, Künstler, Handwerker ins Land, um es kulturell auf die Höhe zu bringen.

Hierbei geht wieder das Kreuz voran. Schon unter dem Vater Geza wurde ein Schatten des Christentums nach Ungarn gebracht. Dies war namentlich durch den heiligen Adalbert von Prag geschehen und durch den Bischof Wolfgang von Regensburg, der den alten Fürsten taufte. Pannonien war ja das alte Missionsgebiet Salzburgs. Nun aber tat sich auch hervorragend Bischof Pilgrim von Passau hervor, der sich insbesondere der Missionstätigkeit in der erneuerten Ostmark annahm und viele Gründungen und Niederlassungen schuf, Stiraburg (später Steyr), Mautern, Mistelbach und den Zehent auf allem Land zwischen Enns und Wienerwald beanspruchte. Auch die Ennsburg (Enns), die an der Ostmarkgrenze gegen die Magyaren erbaut worden war, ließ er sich schenken mit dem allerdings gefälschten Nachweis, daß dort, in dem alten Lauriacum, ein römisches Erzbistum gewesen, dessen Erbe Passau sei, weshalb Passau ältere Ansprüche als Salzburg habe, jedenfalls war der Eifer groß und auch für Ungarn segensreich. Charakteristisch ist der Umstand, daß Pilgrim die erste Niederschrift der mündlich überlieferten Heldenlieder durch einen Ritter, den Schreiber und Dichter Konrad, als grundlegende Fassung des Nibelungenliedes, und zwar in lateinischen Hexametern verfertigen ließ. Es ist das erste literarische Denkmal der Ostmark und Ungarns in jenem heidnischen und christlichen Zwielicht, das den religiösen Zuständen dieser Länder damals entsprach. Hier ist auch mit Rücksicht auf die Ungarn jene hunnenfreundliche Beleuchtung, in der König Etzel (Attila) erscheint, vorgebildet, die in der späteren Dichtung enthalten ist, ebenso wie der »mächtige Bischof Pilgrim«, als welchen er sich selbst einführt und ein Denkmal setzt, wobei er den Bischof dieses Namens als Oheim Kriemhilds und der Burgunderkönige, somit Bruder der Frau Ute bezeichnet, dem die Nachricht vom Untergang aller in Ungarn gebracht wird.

Nicht wenige Kirchen und Klöster hat Stephan ins Leben gerufen; seine vornehmste Stiftung ist die Erzabtei Martinsberg, für die er Benediktiner aus Monte Cassino kommen ließ. Schon sein Vater Geza hatte den Grund zu der Abtei gelegt; Stephan hatte das Werk vollendet. Oft weilte er mit seinem Sohn Emerich, dem Heiliggesprochenen, auf Martinsberg, von dem alle Gesittung und Bildung im Lande ausging und das als erste Gelehrtenakademie Licht durch die Jahrhunderte strahlte. Städte wuchsen empor auf den alten Grundlagen der Römer, deren zivilisatorische Tätigkeit im westlichen Pannonien noch so stark zu spüren war. Das mochte mitbestimmend sein, daß Stephan seine Residenz in Stuhlweißenburg errichtete.

Mochte auch nach seinem Tode das heidnisch nationale Element immer wieder auflodern und Thronstreitigkeiten das Land verwirren, der Geist des heiligen Stephans wirkte Jahrhunderte nach in der ganzen gotisch-mittelalterlichen Kultur Ungarns. Unter König Geza II. nimmt die Kolonisation größten Umfang an; aus rheinischen, flandrischen Gegenden und von der oberen Mosel her strömen im XII. Jahrhundert zahllose Einwanderer ins Land und schaffen jene bewundernswerten geschlossenen Städtekulturen in Oberungarn, Zips, und Siebenbürgen, die wahre Perlen der kirchlichen Gotik aufweisen und als bezaubernde altdeutsche Städtebilder erscheinen. Hinwiederum ist Ungarn die erste deutsche Schutzfrau zu verdanken, die heilige Elisabeth, eine Tochter König Andreas II. und der Gräfin Meran-Andechs, Königin Gertrud, die von nationalen Verschwörern ermordet wird.

Der von Stephan begründeten staatlichen festen Ordnung ist es zu danken, daß selbst der Mongolensturm von 1241 die Blüte nicht knicken kann, wie verheerend er auch gewirkt hat, an diesem Damm kommt er zum Scheitern. Eine zweite Kulturblüte setzt erst zur Zeit des Humanismus ein mit Johann Hunyadys Sohn Matthias (Corvinus). Er ist ein echter Renaissancefürst, der Künstler, Dichter, italienische Humanisten um sich versammelt, prachtliebend und kriegerisch. Er begründet das erste stehende Heer, das »schwarze Heer«. Schon machen sich die Türken geltend, der neue Feind Europas. Von seiner Residenz aus, Buda (Ofen), versucht Matthias, der 1485 auch Wien erobert und fünf Jahre lang beherrscht, das Konzept einer Donaumonarchie, wie es schon vor ihm Ottokar von Böhmen ebenso vergeblich versucht hatte.

Mit diesem Umblick und Vorblick soll den Ereignissen nicht vorgegriffen werden. Fast gleichzeitig mit der Gründung der Ostmark entsteht die Wenzelskrone und die Stephanskrone. Beide Kronen sind zu Wohl und Wehe in verschiedenen Zeiten mit der österreichischen Geschichte verflochten. Das zeigt sich schon früh bei der Entstehung der Ostmark.


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