Otto Ludwig
Das Fräulein von Scuderi
Otto Ludwig

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Fünfter Aufzug.

Wieder bei der Scuderi.

(wie im vorigen).

Erster Auftritt.

Das Fräulein liegt in einem Sessel krank, die Füße in Decken gehüllt auf einem Taburett; diese umschlingend sitzt schlafend Madelon. Serons sitzt neben dem Fräulein auf einem Stuhl. Die Martinière bei einer weiblichen Arbeit, von welcher weg sie immer nach dem Fräulein sieht.

Fräulein (mitleidig auf Madelon blickend).
Das arme Ding! Rück' ihr das Köpfchen doch
Ein wenig höher, gute Martinière,
Doch weck' sie nicht. (Es geschieht.)
                                  Das Lächeln, das ihr freundlich
Ein süßer Traum auf ihre Lippe zaubert,
Soll vorschnell nicht die Wirklichkeit verscheuchen.
So. – Noch etwas. – Das arme Mädchen hat
Die ganze Nacht gewacht in dieser Stellung,
Bis sie den Morgen früh nach Kinderart
Über dem Weinen eingeschlafen ist. –
Ja, lieber Meister Serons, huldreich hörte
Der König mich, versprach, was ihm nur möglich,
Woll' er für meinen Schützling thun. Und hat
Nur Miossens das Seine auch gethan,
Hoff' ich das Beste.

Serons.                           Zweimal schon war er,
So hört' ich, bei dem König. Einmal blieb
Er eine Stunde voll mit ihm allein. –
Noch etwas. Heute morgen war ich in
Cardillacs Haus, um etwas zu erfragen,
Wenn's möglich, was für Euern Schützling spräche.
Frau Caton, Meister Patrus, dort des Mietsmanns,
Haushälterin, erzählte mir von Wundern.
Zwei Nächte schon sei über ihrer Wohnung
In Meister Cardillacs eh'mal'ger Werkstatt
Ein Schreiten und ein lebhaftes Gespräch
Gewesen. Da es bei verschlossner Hausthür
Geschehn und sonst kein Eingang mehr ins Haus,
So sei kein Zweifel, daß der Gottseibeiuns
In eigener Person der Redner sei.
Sie fürchte nun den Gottseibeiuns nicht,
Sei drum dem Treiben einst so nah' als möglich
Geschlichen, und wenn sie nicht wüßte, daß es
Nur eitel Blendwerk damit sei, so würde
Sie schwören, daß sie den Olivier Brusson
Und Degrais miteinander sprechen hören.

Fräulein (erheitert).
Ei, das kommt immer besser. Seht mich nicht
So fragend an, warum, was Ihr erzählt,
Mich so erfreut –

Serons.                       Mein Fräulein, Ihr vergeßt
Die Hausthür, die geschlossen war. Das Reden
Klang eben nur in der Frau Caton Hirn,
Sonst nirgends.

Fräulein.                   Doch versichr' ich Euch, es klang
Wo anders noch – Still, still! ich sag' zu viel.
Horch, Martinière, schellt es nicht im Vorhaus?

Martinière. Ich hörte nichts.

Fräulein.                               Doch ich. So silbern klang mir's,
Als hätt' es gute Nachricht mir zu melden.

Martinière ab.

Fräulein. Daß ich hier liegen muß. So Freud' als Kummer
Drückt doppelt auf den Liegenden. So 'was
Hülfloses ist im Liegen. Alter Freund,
Laßt mich nur auf sein, und Ihr wendet sehn,
Nur schneller dann genes' ich.

Serons.                                             Ruhe muß
Der Unruh' Folge tilgen. Zu viel war's,
Was diese Tage Eure Seele hat
Dem Körper zugemutet.

Fräulein.                               Und nun mutet
Der Körper noch weit mehr der Seele zu.
Doch muß ich Euch gestehn: einmal schon hab' ich
Versucht heut, aufzustehn, und konnt' es nicht.

Martinière (freudig herein, einen Brief in die Höhe haltend).
Hier ist's. Hier. Hier!

Fräulein.                             Ei, junges Volk, was gibt's?

Martinière. Vom Hof, mein Fräulein.

Serons.                                               Ihr verfärbt Euch; seht,
Ich sollt' es nicht erlauben, daß Ihr jetzt
Euch um die Sache kümmert –

Fräulein.                                         Besser, jetzt
Erblassen, als nachher erröten. Gib. Das ist
Die Hand der Maintenon. – Wie mir das Herz pocht.
Nur junge Mädchen, dacht' ich, hätten Herzen.
Nun weiß ich's besser. Sieh; ich kann das Blatt
Vor Zittern nicht erbrechen. Brich und lies.

Martinière. Geht mir's doch nicht viel besser. Gott, nun ist
Ja alles gut! (Sie liest;)
    »Ich bedaure, mein sehr würdiges Fräulein, daß ich in der Euch bewußten Sache nichts thun kann. Das Volk will des Angeklagten Tod. Es gilt, dem Volke die Gerechtigkeit seines Königs zu zeigen. Ihr wißt, wie der König in diesem Punkte denkt; ebenso, daß ich, Euch zu gefallen, schon zu weit über meinen Grundsatz hinausgegangen bin: mich auf keine Weise in die Geschäfte zu mischen.«

(Eine Pause der Betretenheit.)

Martinière. Ach, Ihr verblaßt Euch ganz.

Fräulein.                                                   Schlimm, schlimm genug,
Daß ich nichts Besser's weiß zu thun. Jetzt, wo
Geholfen werden muß. – Sie sagt sich los,
Und alles in dem Brief ist hoffnungslos.
Und ich – hier lieg' ich –

Martinière.                             Nein; Ihr werdet mich
Im ganzen Ernst nun böse machen! Habt Ihr –

Fräulein. Was hab' ich? Nichts hab' ich gethan. Wer nicht
Genug gethan hat, der hat nichts gethan.

Martinière. Ach ja. Euch ähnlich sieht's. Warum packt Ihr
Euch nicht die Schuld noch auf, daß es mißlang?
Bis jetzt hab' ich geduldig zugesehn.
Nun aber wird's zu viel. Ich leid' es nicht,
Daß Sie noch etwas thun in dieser Sache.
Sie haben nun das Ihrige gethan.

Fräulein. Dir ist das Grund genug, weil du nur mich
Entschuld'gen willst. Du kannst das, aber ich
Darf's nicht. Ich darf mich nicht entschuldigen.
Was kommt da noch? Das ist Baptiste.

Zweiter Auftritt.

Baptiste. Vorige.

Fräulein.                                                       Was ist?

Serons (will Baptiste abhalten von dem Fräulein).
Sie haben Schlimmes –

Martinière.                           Schweigen Sie.

Fräulein.                                                         Sprich nur,
Baptiste; ich heiße dir's.

Baptiste.                                 Heut noch, heut noch
Soll die Hinrichtung sein.

Fräulein.                                   Von wem?

Baptiste.                                                     Von –

Martinière.                                                             Daß Sie uns
Das Fräulein töten? Sie? –

Baptiste.                                     Mein Gott, was soll
Ich denn nun thun?

Fräulein.                       Laß dich nicht irre machen,
Mein ehrlicher Baptiste. Und sprecht mir leise,
Daß Ihr das arme Kind nicht weckt. Es ist
Ihr Urteil, fürcht' ich, was du sprechen willst.
Das Restchen Traum, das ihr Gesicht umlächelt,
Vielleicht, vielleicht ist es ihr letztes Lächeln,
Denn seine sichre Rettung träumt sie noch.
Heut schon will man ihn töten? Gott und wann?

Baptiste. Den Abend noch. La Regnie hat geschworen,
Kein Engel soll ihn retten.

Fräulein.                                   Großer Gott.

Baptiste. Das Volk ist ganz empört.

Fräulein.                                           Empört? Was sagst du?
Worüber denn empört, wenn er soll sterben?

Baptiste. Darüber eben, daß er sterben soll.

Fräulein. Und hast du recht gehört?

Baptiste.                                           Da braucht man nicht
Sehr aufzuhorchen. Hört man's doch von hier
Wie ferne Wellen brausen. »Nieder mit
La Regnie«, schreit das Volk, »der König lebe!
Der König soll uns ein Gericht ernennen
Gegen den Mörder Regnie!« Keinen mehr
Will es hinrichten lassen, den La Regnie
Verurteilt.

Fräulein.         Und doch schreibt die Maintenon
Das Gegenteil?

Serons.                     Sie schreibt, wie sie's erfuhr.
Der König ist ein Haupt, das seinen Augen
Und Ohren selten trauen darf. Und eh'
Der Ruf des Volks in seine Höh' gelangt,
Ist er oft so undeutlich schon geworden,
Daß es nur kleiner Müh' bedarf, aus ihm
Sein Gegenteil zu deuten. Ebenso
Umlagert in unruh'ger Zeit das Volk
Ein Haufe feiler Schmeichler, der, was ihm
Vom Throne kommt, verfälscht. Sicher ist's: Das,
Was Ludwig für des Volkes Stimme hält.
Ist Regnies nur und seiner Kreaturen.

Martinière. Was? Ihr wollt aufstehn? Jetzt? Bei Eurer Schwäche?

Fräulein.                                                                                           Jetzt
Darf ich nicht schwach sein.

Martinière.                                   Doch Ihr seid's. Und Ruhe
Nur kann Euch helfen jetzt.

Fräulein.                                     Wo jetzo muß
Geholfen werden. hilft die Ruhe nicht,
Da hilft nur Thätigkeit.

Martinière.                         Und was denn wollen
Sie thun?

Fräulein.         Zum König gehn. Den König sprechen,
Dem König sagen, wie man ihn belügt.

Serons. Sie kommen nicht zu ihm.

Fräulein.                                         Um diese Zeit
Beginnt der Staatsrat in der Maintenon
Gemächern.

Serons.               Doch Sie kommen nicht dahin.
Die Schwäche läßt sie nicht. Und wären's nicht
La Regnies Ränke. Glauben Sie, er wird
Sie vor den König lassen?

Fräulein.                                   Was La Regnie
Wird thun, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was
Ich thun muß.

Serons.                 Welchen Gegnern werfen Sie
Den Handschuh hin?

Fräulein.                           Der Gegner nicht, das Recht ist's,
Was man bedenken muß.

Serons.                                   Der Mutigste
In Frankreich wagt nicht, was Sie wagen wollen.
Es ist La Regnie, ist der allgewaltige
Minister LouvoisFrançois Marquis de Lonvois (1641–91), Ludwigs einflußreicher Kriegsminister. , sein Busenfreund!

Martinière. O Himmel. Säh' ich nicht, wie es muß kommen!
Ich seh' es, was das End' wird sein. Des Königs
Ungnade –

Fräulein.             Und du meinst, die kostet mir
Den kleinen Jahrgehalt, von dem ich lebe?

Martinière. Von dem so viele Arme leben; ja.

Serons. Vielleicht noch mehr. Die Rache des La Regnie kann
Sie bluten lassen –

Fräulein (lächelnd).         Nun, da käm' ich ja
Über die Ungnad' weg mit bester Art.

Serons. Die Aufregung schon kann Sie töten.

Fräulein.                                                         Seht doch!
Da schlüpft' ich dem La Regnie aus der Hand.

Martinière. Und die paar Jahre, die Ihr Alter Ihnen
Noch gönnt, so hinzuwerfen!

Fräulein.                                       Ist's so wenig,
So ist's auch nicht so großer Schonung wert.
Und werf' ich sie denn hin für nichts? Such' ich
Sie für den höchsten Preis nicht loszuschlagen?

Martinière. Und selbst die Maintenon hat Sie verlassen.

Fräulein. So nöt'ger ist es, daß ich selber handle.
Schnell, Martinière, gib mir den Mantel um.
Und du, Baptiste, bring eine Sänfte her.
Sagt, Serons, seht auch Ihr die Ähnlichkeit
Zwischen dem Mädchen und der La Vallière?

Serons. Sie kann nicht größer sein – doch –

Fräulein.                                                       Hör', Baptiste,
Zwei Sänften bring', und schnell. Nun, Meister Arzt,
Wo ist die Schwäche denn? Steh' ich nicht straff
Wie Ihr?

Serons.         Der Körper borgt noch von der Seele –

Fräulein. Dann mag die Seele von dem Körper borgen.
Ich muß sie wecken nun. He, Madelon,
Wach' auf! – Wir können uns nicht putzen erst.
Dem Veilchen steht nichts schöner als sein Laub,
Der Frucht nichts schöner als ihr leiser Duft.
Nicht ein Gedanke von Gefallsucht darf
Dies schöne Bild der Reinheit heut entstellen.
Wach' auf!

Madelon (erwachend). Ja, meine Mutter. Ach, ich glaube,
Doch war ich eingeschlafen. Zürne nicht.

Fräulein. Sagt ihr noch nichts. Vielleicht ist ihr der Schmerz
Noch zu ersparen.

Martinière.                  Ach, Sie denken nur
An andrer Schmerz –

Fräulein.                           Das beste Mittel ist's,
Den eignen zu vergessen. – Sei nicht böse;
Auch du mußt mit. Wenn ich einmal beschwere,
Dann thu' ich's ordentlich. Ich weiß nicht, was
Mir widerfahren kann. Und du, Baptiste,
Bleibst heim.

Baptiste.               Ich nicht, mein Fräulein. Der Baptiste
Bleibt nicht daheim. Er geht mit Euch zum König.
Ging's in den Tod, der alte Baptiste ließ
Euch nicht allein.

Serons.                       Erlaubt's ihm, Fräulein, und
Erlaubt's auch mir. Erlaubt mir, daß ich über
Eure Gesundheit wachen darf.

Fräulein.                                           Still! Still!
Ihr bösen guten Menschen. Wollt ihr mich
Zum Weinen bringen jetzt mit eurer Liebe?
Ihr sollt mir doch – bei Gott, ich müßte weinen,
Hätt' ich die Zeit dazu. Nun seht ihr nicht,
Daß ich muß helfen, wo ich kann? Wie soll ich
Denn sonst Gott dankbar sein für Eure Liebe?
(Sie stützt sich auf Martinière und Madelon; im Gehen.)
Es geht noch langsam. Doch laßt das nur gut sein.
Komm' ich erst in den Gang, dann überhol' ich
Euch alle. Und nun vorwärts. – Hat er ein
Und siebzig Jahr' gehalten mir bis jetzt,
Der alte Leib, wird er auf einen Tag
Mehr oder weniger nicht interessiert sein.
Kommt, Kinder, kommt. Schon geht's was besser. Kommt.

(Alle ab.)

Verwandlung.

In den Gemächern der Marquise Maintenon.

Dritter Auftritt.

Das Fräulein, geführt von der Martinière und Madelon, durch die Mittelthür. Serons.

Fräulein. Da wären wir. Dies ist das Zimmer. Hier
Kommt er vorbei.

Serons.                         Die Maintenon stellt Euch
Dies Zimmer zur Verfügung. Doch ihr selbst
Möchte vergönnt sein, wegzubleiben. Sie
Will Euch nicht hindern; doch Ihr sollt auch nicht
Auf sie zählen.

Fräulein.                 Kommt nicht jemand? Ja. Nun geht,
Ihr lieben Menschen. Laßt mich nun allein.

Martinière. Ihr zittert.

Fräulein.                       Es ist kühl hier. Sonst um nichts.
Du, Madelon, mußt an der Thüre bleiben,
Daß ich dich gleich –

Madelon.                           Ja, Mutter; ich will nah' sein.

Fräulein. Heut bin ich eine wichtige Person.
Ich fühl's bis in die Füße. Gebt mir doch
Einen Stuhl. – Hier muß ich auf der Lauer liegen.
Dorther kommt mir mein Wild. Sollt' ich's erlaufen,
Da wär' es sicher heut vor mir.
(Der Stuhl wird ihr nahe an die rechte Seitenthür gesetzt.)
                                                  Nun geht.
(Gibt allen die Hand.)

Vierter Auftritt.

Das Fräulein allein.

Bis jetzt hab' ich gescherzt, die lieben Menschen
Mir heiter zu erhalten, die um mich
Sich ängsten. Und nun wird mir selber bang.
Muß ich die Thür hier lang' ansehn und denken:
Hier wird er kommen, geht mir's wie dem Kranken,
Dem man das Messer vor die Augen hält,
Das ihm soll helfen. – Ist dies auch ein Kampf?
Mein alter Leib, nur jetzt verlaß mich nicht,
Wo alles mich verlassen hat und ich
Allein auf mich muß stehen – oder sitzen!
Ich muß versuchen, über diese Spanne
Voll schwerer Spannung mich hinwegzuscherzen.
Der gute Gott soll dieses freundliche
Geschenk mir nicht umsonst verliehen haben.
Er selbst ist ja ein heitrer Gott und alles,
Was er geschaffen, ist sein heitrer Spiegel.
Scheint einem Menschen dieser Spiegel trüb',
Ist's nur sein eignes trübes Angesicht,
Was ihm daraus so trüb' entgegensieht.
Der gute Wille lächelt, Frömmigkeit
Und Tugend, Glaube, Liebe, Hoffnung lächeln;
Die gute That hat keine finstre Stirn.
Heiter ist alles Gute; doppelt gut,
Wenn's doppelt heiter ist. – Nun komme, was
Da will! –

(Schritte; sie schrickt zusammen und steht auf.)

Fünfter Auftritt.

Bontems. Fräulein.

Fräulein.           Das ist Bontems, der Kammerdiener
Des Königs, nicht der König selbst.

Bontems.                                                 Mein Fräulein,
Erwartet Ihr den König?

Fräulein.                                 Sonst wär' ich
Nicht hier.

Bontems.         Ihr seid es um des Brussons willen –

Fräulein. Um der Unschuld willen, Freund.

Bontems.                                                       So gut die Sache
Erst stand, unwiderbringlich ist sie nun
Verloren. Seine Majestät der König
Wollte den Brusson selber sehn. Schon ist er
Hiehergeführt und wartet auf den Wink.
Wenn ihn der König einmal sah, war er
Gerettet. Denn wie Licht und Wärme von
Der Sonne, geht der Strahl der Gnade von
Der Majestät aus. Aber La Regnie
Kam dem zuvor. Bei der Gerechtigkeit,
Deren Bild die Majestät soll sein, beschwor er
Den König, stellt' des Volkes Wut ihm vor,
Wenn dieser Sünder, dessen Tod das Volk
Zu seiner eignen Sache macht und laut
Zum König aufschreit um ein strenges Beispiel,
Begnadigt würde. Das ist seine Seite,
Wo er verwundbar ist. Im Kampfe gegen
Den Adel muß er auf das Volk sich stützen.
Jetzt eben führt man den Unglücklichen
Zurück in die Gewalt der strengen Richter,
Und seinen Tod kann niemand mehr verhindern.
Der König ist so ungehalten auf des
Brussons Verteidiger, daß er kein Wort
Für ihn mehr hören will; ja, nicht den Namen
Des Brusson darf ihm jemand nennen, der
Den höchsten Zorn nicht auf sich laden will.
Mein Fräulein, laßt Euch raten; gebt es auf,
Alles in diesem Spiel zu wagen, wo
Ihr nichts gewinnen könnt. Wollt Ihr, so nah'
Dem Grab, so schwere Last noch auf Euch laden,
Den Zorn des Königs und jenes La Regnie
Allmächt'ge Rache? Nein, mein edles Fräulein.
Ich kann etwas bei seiner Majestät,
Und wo es sonst mag sein, glaubt meinem Wort,
Dürft Ihr auf meine Dienste sicher rechnen.
Doch hier – des Königs Zorn ist noch zu neu,
Und dieser Richter Rächerarm zu eilig. – –
Er kommt. – Der König kommt. – Sie wollen dennoch –?
Mag Gott Sie schützen bei dem kühnen Wagnis.

(Er zieht sich zurück.)

Sechster Auftritt.

Das Fräulein allein, gleich darauf der König.

(Das Fräulein erhebt sich; der König tritt ein aus der rechten Seitenthür; wie er das Fräulein sieht, verfinstern sich seine Züge; er schwankt einen Augenblick, ob er nicht wieder umkehren soll; er will schnell vorbei; um das Fräulein nicht zu Wort kommen zu lassen, spricht er während des Gehens.)

König. Ah. Seht. Mein edles Fräulein Scuderi.
Ich habe dringende Geschäfte –

Fräulein.                                             Majestät,
Das dringendste Geschäft für einen König ist
Gerechtigkeit!

König (bleibt verwundert stehen).
                          Die rufen Sie an? (Will gehn.)

Fräulein.                                                 Majestät,
Im Namen Ihres Volks ruf' ich sie an.
Im Namen Ihres Volks Gerechtigkeit!

König. Die soll dem Volke werden. Doch uns deucht,
Die wir gewähren wollen, ist die nicht,
Um die Sie bitten.

Fräulein.                       Hören müssen Sie!

König. Wohlan; ich will Sie hören. Einen Namen
Nur nehm' ich aus. Wie Sie den Namen nennen –

Fräulein. Den sollen Sie nicht hören. Einen Fremdling
In diesen Zimmern bring' ich, wenn sein Name
Auch oft genannt wird –

König.                                     Muten Sie mir jetzt
Nicht zu, spitzfind'ge Rätsel aufzulösen –

Fräulein. Das Volk, mein König, ruft zu Euch um Recht
Gegen die Mörder –

König.                               Das wird Ihnen schon.

Fräulein. Nicht gegen die, mein König, die bei Nacht
Und heimlich morden; nein, mein König. Recht
Gegen die Mörder, die bei Tage morden
Und öffentlich, und die dem Recht zum Hohn
Sein heilig Schwert zum Mörderdolch entweihn;
Gegen die Mörder, die, was sie verletzen,
Zum Vorwand selber nehmen der Verletzung;
Die unterm Namen der Gerechtigkeit die
Gerechtigkeit verhöhnen; die dem König
Des Volkes Lieb' entfremden. Darum ruft
Das Volk, das seinen König lieben will,
Recht gegen die Entfremder. die Entweiher,
Recht gegen die La Regnie!

König.                                         Fräulein, Ihr
Seid kühn.

Fräulein.           Ich weiß es, was ich wage, daß ich
Den Fremdling hier einführen will: die Wahrheit.
Ihr wollt das Recht, mein König, doch La Regnie
Will's nicht. Ihr wollt, das Volk soll Euch vertrauen,
Seinen Vater in Euch sehn; Ihr wollt es, aber
La Regnie will es nicht. Ihr wollt die Wahrheit,
Ihr seid so groß, die Wahrheit nicht zu hassen,
Selbst wenn sie Euch nicht zeigte, was Ihr wünscht;
Ihr wollt die Wahrheit, doch La Regnie will
Sie nicht. Mein König, gebt dem Volk, was Ihr,
Nicht, was La Regnie will.

König.                                         Die Klage will beweisen,
Verdächtigung will nur schaden.

Fräulein.                                             Majestät,
Ich steh' am Grabe. Mich erwartet schon
Ein höh'rer Richter, als Ihr selber seid,
Der Richter, der auch Euch einst richten wird,
Der zwischen uns entscheiden wird. Glaubt Ihr
Nicht mir, so sendet Boten, doch nicht jene,
Die in La Regnies Solde stehn. Denn die
Geschöpfe loben ihren Schöpfer. – Mich
Führte mein Weg durch große Haufen Volks.
(Auf einen Wink des Königs Bontems ab.)
»Nieder La Regnie! Doch der König lebe!
Der König soll uns ein Gericht ernennen
Gegen den Mörder Regnie. Keinen mehr
Soll dieser Schlächter schlachten!« Solche Worte
Hört' ich von Hunderten, und nicht allein
Vom Pöbel, der nur, um zu schreien, schreit.
Wut gegen den La Regnie und Vertrauen
Zu seinem väterlichen König spricht
Von jedem Mund. Rechtfertigt, Herr, das letzte,
Indem der ersten Ihr ihr Recht verschafft.
Sie wollen nicht zwei Kön'ge, sagen sie,
Sie wollen nur den einen, gottgesetzten,
Den König, den sie lieben, der sie liebt,
Und der vom andern sie befreien wird,
Den alle hassen und der alle haßt!

König steht sinnend. Fräulein holt Madelon.

Siebenter Auftritt.

Madelon. Vorige.

Fräulein (Madelon an der Hand).
Sag' du's ihm, Unschuld, was sein Volk begehrt
Von seiner Liebe. Fleh' im Namen aller
Unmünd'gen um das Recht der Unschuld, um
Der Schwäche Schutz! Sag' ihm in ihrem Namen:
Kein Alter, kein Geschlecht, kein schwer erworben
Verdienst, kein Ruf schützt vor La Regnies Schergen.
Das Geständnis ist schon fertig vor der Frage.
Das Vorgesagte zwingt die Henkerqual,
Dem – Richter nachzusprechen, und die Unschuld
Gesteht Verbrechen, die sie nicht dem Namen
Nach kennt. Aus seiner Kinder Armen reißt er
Auf bloße Möglichkeit den Vater. Der
Weiß nicht, warum? Das braucht's ja nicht. Man wird's
Ihm auf die Zunge legen schon, was er
Gestehen soll. Er wird es gern. Denn das
Geständnis lohnt der Tod, der endliche
Befreier aus der Kerker Modergruft
Und – (Sie wird immer schwächer.)
          aus der Quäler Händen –

Bontems (der unterdes wieder erschienen).
                                                    Ha! wie schlau!
Die La Vallière selber –

König macht eine Bewegung zu gehn.

Fräulein (wankend).                 Recht, mein König! –
Mein König – Recht – Ich sterbe – mir wird übel –

König (zu Madelon).
Schnell, rufen Sie um Beistand –

(Er fängt die Sinkende auf; Bontems stellt schnell einen Stuhl, worauf sie der König gleiten läßt. Der König geht bis zur andern Seitenthür, wohin Bontems auf seinen Wink ihm folgt; dort bleibt er so lange stehen, bis er Madelon mit der Scuderi Leuten zurückkommen sieht.)

Achter Auftritt.

Das Fräulein, die Martinière, Madelon, Serons.

Fräulein.                                               Ich muß sterben
Und – hab' – nicht – (will aufstehn und dem König nach).
                                Recht, mein König!
(Sie fällt der Martinière ohnmächtig in die Arme.)

Martinière.                                                     Ach! sie stirbt!

Madelon (aufschreiend).
Sie stirbt? Ich lass' dich nicht! Du darfst nicht sterben!

Martinière.
Ach! ist sie tot, nimm mich mit ihr, mein Gott!

Serons (um sie beschäftigt).
Noch stirbt sie nicht, macht uns noch nicht zu Waisen.
Reibt ihr die Stirn mit diesen Tropfen. So.
Seht ihr, schon wirkt's.

Neunter Auftritt.

Olivier. Vorige.

Olivier (erstaunt).                 Meine Mutter? Madelon? Ich
Bin frei! Gott, ich bin frei! Ich muß nicht sterben!
Ich muß in Regnies Kerkern nicht verschmachten.
Frei bin ich! Keine Kette rasselt mehr
Und weckt mich aus dem goldnen Freiheitstraum
Zur Verzweiflung auf. Noch immer fürcht' ich, jetzt,
Jetzt wird sie klirren. Nein, es ist kein Traum! Ich
Bin frei, frei wie der Vogel in der Luft,
Frei wie der Fisch im Meer. Hab' ich nur erst
An den Gedanken mich gewöhnt –– meine Madelon,
Hier laß uns danken! Hier zu ihren Füßen
Der Retterin. Hier danken, weinen, jubeln!

Fräulein (öffnet die Augen).
Wo bin ich? Wenn ich nicht im Himmel bin?

Olivier. Ihr seid ein Engel. Wo Ihr seid, da ist
Der Himmel.

Fräulein.               Meiner Anne Guiot Sohn –

Olivier.
Ist frei durch Euch, frei wie des Himmels Wolken!

Fräulein. Ihr, Serons – Martinière – Madelon –
(gibt jedem die Hand).
Ja, ich bin in der Maintenon Gemächern,
Wo ich den König – doch wo ist der König?
Ohnmächtig war ich wohl? Ihr lieben Menschen
Seid so bekümmert, und um mich. Daß ich
Euch soviel Sorgen mache.

Martinière (bei ihr knieend; fast zürnend). Ewig sieht
Sie nur das Wenige der andern; für
Ihr eignes Viel hat sie kein Aug'. Ein jeder
Thut ihr genug; sie selber nur kann nie sich
Genug thun.

Fräulein (abwehrend).
                    Still! Wer kommt?

Zehnter Auftritt.

Bontems. Vorige.

Bontems.                                           Mein edles Fräulein,
Ihr habt gesiegt. Von Herzen meinen Glückwunsch.
Soeben fliegt der Bote fort. Die Chambre
Ardente
hat aufgehört. Mit Regnies Reich
Ist's aus. Schon habt Ihr Euern Schützling wieder.
In Frankreichs Namen dankt der König Euch.
Es sei kein Wunder, sagt' er; wessen Sache
Die Tugend selber führt, der muß gewinnen.
Hier sendet er an Euers Schützlings Braut
Einen Abschlag nur von dem, was Frankreich schulde,
Sie auszusteuern, wie's der Braut geziemt
Von Euerm Schützling. Beide sollen aber
Von diesem Augenblick das Land verlassen
Und sich in seine Heimat Genf zurückziehn,
Wo sie der König nicht vergessen wird.
Doch allen Dank verbittet sich der König.

(Er verbeugt sich und geht schnell ab.)

Elfter Auftritt.

Vorige ohne Bontems.

Fräulein. So geht, ihr Kinder. Gott und dieser Kuß
Mit Euch.

Olivier.           Ihr wollt allein uns ziehen lassen?
Nein. Ihr geht mit uns.

Madelon.                           Mutter, Ihr zieht mit.

Fräulein. Ihr dummen Kinder, denkt ihr denn, es ist
'ne Kleinigkeit –? Denkt nur die hundert Schachteln;
Meine Tauben und den alten Star – ei ja,
Ihr junges Volk wißt, was dazu gehört,
Wenn solch ein altes Fräulein reisen soll,
Und gar im Augenblick. – Geht; geht, ihr Kinder,
Und dankt dem König durch Gehorsam. Laßt
Nunmehr die Raupe sich einspinnen, wo sie
So lang' gewohnt. In meinem Alter reißen
Die alten Fäden nicht so leicht und spinnen
So leicht sich neue an. Geht, Kinder, geht!
Und wird's Euch wohl, wenn ihr die neue Heimat
Erblickt, bin ich's, die euch entgegenkommt
Von dort. – Thut mir die Liebe! Nein. Kein Wort mehr.
Doch eins! Olivier, komm' noch einmal.
Der Bischof von Paris wird jene Schmucke,
Als ihm von einem reuig Sterbenden
Dazu vertraut, den Eignern wiedergeben.

Olivier. O meine –

Fräulein.                 Stille! Still! Kein Wort jetzt mehr,
Wenn Ihr mich liebt. Lebt wohl.

Madelon.                                           Lebt wohl. Doch kommt
Uns nach!

Olivier.           Denn ohne Euch ist unser Glück
Ein halbes nur!

(Olivier und Madelon ab.)

Zwölfter Auftritt.

Vorige ohne Olivier und Madelon; bald hernach Baptiste.

Fräulein. (zu Serons; man merkt, daß sie sich in Gegenwart der eben Abgegangenen Gewalt angethan hat).
                              Gut, daß sie gehen müssen,
Bevor ich Sie betrüben mußte –

Serons.                                               Meint Ihr –

Fräulein. Ich mein' es nicht; ich weiß es, wußt' es schon
Vorher. Mein letztes Haus darf ich bestellen.
Meine Seele hat dem alten Leib zu viel
Geborgt. Nun ist sie bankerutt wie er. –
Nun geh' ich gern.

Martinière.                 O sprecht nicht so.

Fräulein.                                                     Ich denk'
Euch wenig Sorgen mehr zu machen. Hoff' ich doch,
Mein heiter' Leben schließt ein heiter' Ende.

Baptiste echauffiert herein.

Fräulein. Was ist, Baptiste? Wo hast du deinen Atem
Gelassen?

Baptiste.         Fräulein. Ach, mein gnädig Fräulein!
Das ist mein schönster Tag in diesem Leben.
Wenn Ihr – ach, ganz Paris ist Euch ein Sprachrohr
Für diesen einen Ruf: das Fräulein Scuderi!
Die Retterin. Die Helferin! Die – (schluchzend) ich –
Ich überleb' die Freude nicht. Die Chambre
Ardente
sei aufgelöst. Den Boten trugen sie
Auf ihren Schultern. Ach, mein Fräulein, geht
Jetzt nicht, denn sie zerreißen Euch vor Lieb'
Und Dankbarkeit.

Fräulein.                     Das Schicksal mußte mir
'was Bitt'res mischen in das allzu süße
Getränk. Muß ich das Stadtgespräch noch werden?
Was hab' ich denn gethan für solchen Preis?
So viel als von dem Beifall das Verdienst
Übersteigt, so viel verliert der Beifall selbst
An seinem Wert. Zu große Ehre macht
Sich selber wohlfeil. Und ein stiller Blick
Des Gleichverstehns ehrt Geber und Empfänger
Mehr, als der Straßen lärmendes Gepränge.
Ein solcher Dank würdigt allein vor Gott
Sich selber nicht herab. Die Maintenon
Wird mir den Aufenthalt bei ihr vergönnen,
Bis diese guten Menschen wieder ruhig
Genug sind, mich nicht schamrot mehr zu machen.

(Sie wendet sich, auf die Martinière gestützt, zu gehn. Die andern folgen.)

Vorhang fällt. Ende des Stückes.

 

 


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