Otto Ludwig
Das Fräulein von Scuderi
Otto Ludwig

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Erster Aufzug.

Bei der Scuderi.

Einfaches Zimmer. Ein Bücherschrank, Schreibtisch mit Papieren, nicht ängstlich geordnet. Eine Thür im Fond und eine Seitenthür.

Erster Auftritt.

Graf Miossens. Serons (im Gespräch).

Serons. Ja, mein Herr Graf von Miossens, es ging,
Seit Ihr's verließt, in Frankreich wunderlich.

Miossens. Ich glaube das Unglaubliche nur Euch.

Serons. Kein Band mehr heilig. Von des Argwohns Eishauch
Des trauten Herdes letzte Glut gelöscht.
Der Vater traut den eignen Kindern nicht;
Der Mann ißt nicht von seines Weibes Kost;
Der Bruder sieht im Bruder seinen Mörder.
Und wohl ihm, muß ich sagen, wenn er's that.
Denn ohne Mitleid wütete der Giftmord
Wie eine Seuche durch das ganze Land.

Miossens. Das Übel war verzweifelt und verzweifelt auch,
Ja noch verzweifelter, mein' ich, die Kur.
Ein Tribunal, so unbeschränkt an Macht
Als diese chambre ardenteSo nannte man den Gerichtshof nach dem schwarz ausgeschlagenen, nur durch Fackeln erhellten Saal, in dem die Sitzungen stattfanden. ist unerhört.
Und dieser unerbittliche La Regnie
An seiner Spitze. Spanien hat nun
Nichts mehr voraus vor Frankreich. Der Gerichtshof
Wiegt Spaniens heiliges Gericht noch auf.

Serons. Wahr ist's; die fernste Möglichkeit genügt,
Das kleinste Wort, das man willkürlich auslegt,
Und frech dringt er ins Innerste der Häuser
Und reißt den Vater aus der Seinen Arm.
Da schützt kein Rang, kein Ruf, kein wohlerworben
Verdienst. Der Henker der Tortur arbeitet
Für den Kollegen auf dem Blutgerüst;
Denn eher gibt der Tod ein Opfer wieder,
Als dieser La Regnie. Aus seinen Kerkern
Führt nur ein Weg: der Weg aufs Blutgerüst.
Und Gnade dem, der laut ein Urteil wagt
Über dies Treiben! Gegen Euch, Herr Graf,
Sonst gegen niemand thu' ich's.

Miossens.                                         Meister Serons,
Daß Eu'r Vertrauen ich zu schätzen weiß,
Beweist, daß ich es argwohnlos erwidre.
Denn hier beschützt mich die Geburt so wenig,
Als Euch der Ruf von Eurer Meisterschaft
Als Arzt. Den Pair des Reichs, den Grafen trennt
Kein Vorrecht mehr von dem gemeinen Pöbel.
Die Kammer ist's nicht mehr der Pairs, die ihre
Mitglieder richtet. Vor ein königlich
Tribunal wie den Bürger und den Bauer
Schleppt man den Herzog, Grafen und Baron.
Dem König konnte nichts gelegner kommen
Als dies Verbrechen, das dem neuen Griff
In unser Recht erwünschten Vorwand lieh.
Ein Stückchen Staatskunst, das dem schlauen Schüler
Des schlauen Lehrers Ehre macht. Das ist
Ein Kunststück noch aus MazarinisJules Mazarin (Giulio Mazarini, 1602–1661), der berühmte französische Minister zur Zeit Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV. Schule.
Damit bricht er des Adels Ansehn vollends,
Und sichert sich zugleich des Pöbels Gunst,
Und spielt uns dieses Werkzeug aus den Händen,
Und wie erst wir es gegen ihn gebraucht,
Wird er's zu brauchen wissen gegen uns.
Der Ananas lebt von gemeinem Dünger –
Und dieser große Ludwig ward so groß,
Weil er es nicht verschmäht, so klein zu sein,
Dem Kote schön zu thun an seinen Sohlen.
Alt, uralt ist die Wahlverwandtschaft zwischen
Der Hefe und dem Schaum.

Serons. Und wirklich war es nur des Volkes Gunst,
Was dies Tribunal möglich machen konnte,
Das sich herausnimmt, was der König selbst
Nicht wagt, und seine Eifersucht heraustrotzt,
Die keine Macht im Staate sonst mag dulden,
Als die wie Strahlen von der einen Sonne
Ausgeht allein vom Königsdiadem.
Doch schon beginnt die leichtgeschürzte Gunst
Des Volks den alten Günstling zu verlassen.

Miossens. Ein Lied scheint jetzt der Günstling von Paris.
Schon vor dem Thor empfing es mich; bald lief's
Neben mir her, bald kam es mir entgegen.
Ein alter Schuster brummt' es bei der Arbeit;
Die jungen Herrn – Ihr wißt – die eben nichts sind
Als jung, begrüßten sich damit, als wär's
Ihr Bundesgruß; den Kunden gab's der Krämer
Unter den Buden als Zulage drein.

Serons. Das Volk spielt gern mit solchem Wort. Es läuft,
Ist's einmal ausgeprägt, wie eine Münze
Von Hand zu Hand. Wer nicht von seinem Eignen
Die Schuld der Unterhaltung tilgen kann,
Stützt seine Armut mit Entlehntem aus.
Ich kenne manchen, der nicht hundert Worte
Im Vorrat hat, und dennoch sich was weiß;
Und neunundneunzig sind geborgt davon.
Die meisten Menschen leben von der Phrase
Und sind drum selber nur lebend'ge Phrasen.
Ein eignes Sein wird immer seltener.
Solch Wort fliegt wie ein bunter Federball
Hin und zurück durch den Verkehr, bis sich
Die Farb' vergriffen oder bis ein andrer
Und bunterer des vor'gen Gönner erbt.
                »Liebe sei der Helmschmuck sein,
                Den nur Tapferkeit soll tragen.
                Wer vor Dieben kann verzagen,
                Ist nicht wert, geliebt zu sein.
Das Verschen, das Ihr meint: ist's dieses nicht?

Miossens.
                »Wer vor Dieben kann verzagen,
                Ist nicht wert, geliebt zu sein –«
Ganz recht. Das ist's.

Serons.                               Wißt Ihr, wer diese Münze
Hat ausgeprägt? Die liebenswürd'ge Dame,
Die wir erwarten hier in ihrem Zimmer.

Miossens. Das Fräulein Scuderi? Bei meiner Seele!
In diesem Wort weht 'was von ihrem Atem.
Und kommt's von ihr, dann hat dies kleine Lied
Eine Geschichte, die mich intressiert.
Von ganzem Herzen acht' ich diese Dame.

Serons. Und wenn sie's nicht verdient, verdient es keine.

Miossens. Bewundernswürdig ist, ja unbegreiflich,
Wie dieses Fräulein aus des Alters Schiffbruch
Der Jugend Reize sich gerettet hat.
Von siebzig Jahren zeigen sich kaum dreißig.
Der süße Duft der Mädchenhaftigkeit
Liegt über die Erfahrung hier gebreitet,
Die nur ein langes Leben geben kann.
Und so vereinigt sie, was beide Zeiten,
Den Winter und den Sommer, reizend macht.
Wenn man nur sie sieht, meint man, weißes Haar
Gehöre zur vollkommnen Frauenschöne;
Sie ist die Anmut selbst in weißen Haaren.

Serons. Der Seele Jugend ist der warme Boden,
Der dieses Fräuleins ew'ge Blüte treibt.
Inmitten dieser sittenlosen Stadt
Steht sie in wunderbarer Reinheit da;
Selbst die Verleumdung hat es nie gewagt,
Ihr Schwarz in dieses reine Weiß zu malen.
Arm ist sie und doch ist sie reich im Geben,
Weil Weisheit ihre Güte unterstützt.
Kann sie nur wenig geben, gibt sie's so,
Daß dieses Wenig Viel den Armen wird.
Denn sie gibt nicht nur, um zu geben, wie's
Die Reichen thun; nein, sie gibt, um zu helfen.
Bis sie nach Hause kommt von ihrer Andacht
Zu Notre-Dame, verkürzet Euch vielleicht
Die Zeit, zu hören, wie jenes Lied entstand.

Miossens. Erzählt mir, Meister Serons; seid so freundlich.

Serons. Trotz Regnies Strenge, trotz der Schlauheit Degrais',
Des Polizeileutnants, treibt eine Bande
Von Mördern in den Straßen von Paris
Allnächtlich ungescheut ihr gräßlich Handwerk.
Es hat damit ganz eigene Bewandtnis.
Denn nur den Adel trifft der Meucheldolch,
Nur auf Geschmeide scheint es abgesehn.
Wo ist der Edelmann jetzt in Paris,
Der nicht sein Liebchen hätte, das er nachts
Geheim besucht? Und wer geht diesen Weg,
Der nicht zuweilen ein Geschenk, sei es
Ein edler Schmuck, ein Ring, ein reiches Armband,
Auf seinem Herzen trüg' für seine Herrin?
Ein böser Geist scheint jener Bande dienstbar,
Der ihr's verrät, so oft ein Kavalier
Mit solchem Schmuck zur Liebsten nächtlich wandert.
Denn früh am Morgen findet man ihn tot,
Und sonst ist nichts ihm als der Schmuck geraubt.
Der schlaue Degrais tobt, daß seine List
Vor einer größern weichen muß. Vergeblich,
Daß die Maréchaussée, ein kleines Heer
An Zahl, die Straßen von Paris allnächtlich
Bei jedem Stundenschlag durchzieht; vergeblich,
Was irgend List ersinnen mag, Verkleidung,
Verstecke – nichts, nichts spürt die Thäter auf
Und ihre Spur erneuert jeden Neumond
Ein und derselbe Dolch – scheint es doch fast
Ein und derselbe Arm; so gleicht sich stets
Des Stoßes Richtung und der Wunde Form.

Miossens. Und keinem noch gelang's –?

Serons.                                                   Wenn er allein ging,
War er verloren.

Miossens.                   Das geschieht noch jetzt?

Serons. Vor wenig Nächten noch. –

Miossens (für sich).                           Dies Wagnis könnte
Mich reizen. Nunmehr ist der Schmuck wohl fertig,
Mit dem der Narr, der Goldschmied Cardillac
Mich fast ein ganzes Jahr hat hingehalten.
Die Nacht noch, wenn es möglich ist. Ich will
Den Arm doch sehn, der schwerer wiegt als meiner.
Ein Harnisch unterm Kleid –; ich will doch gleich
Zum Goldschmied schicken. – Bester Meister Serons,
Mir fällt ein wichtiges Geschäft da ein.
Beendigt nur, ich bitt' Euch, die Erzählung.
Vielleicht kommt unterdes das Fräulein. Sonst
Ersuch' ich Euch, mich zu entschuldigen
Bei unsrer Freundin, komm' ich später wieder.

Serons (verneigt sich).
Die Herrn vom Hofe wandten sich vor kurzem
Deshalb in einer Schrift, von Dichterhand
Geschrieben, an den König. Ein Gericht –
Das war des Schreibens Inhalt – zu bestellen
Mit größrer Vollmacht und Befugnis noch,
Als die von des La Regnie Tribunal.
Das Schreiben wußte Ludwigs Eitelkeit
So wohl zu treffen, daß er schon bereit schien,
Ihm zu willfahren. Fast schon unterlag sein
Bedenken, als sein Auge wie aus Zufall
Auf unsre Freundin fiel – es war in den
Gemächern der Marquise Maintenon,
Und unter andern Herrn und Damen auch
Das Fräulein gegenwärtig, das der König
Vorzüglich schätzt und achtet. Bei ihr bleibt
Er stehn und fragt – er fordert sie zuweilen
Zum Scherz heraus – sie lächelnd, ob nicht sie auch
Den Rittern um der edlen Minne willen
Geholfen sehen möchte. Da erhob
Das Fräulein sich. Ein Rot, wie's morgenröter
Die siebzehnjähr'ge Wang' nicht kleiden kann,
Umwob die edeln Züge; zwischen Scham
Und edlem Zürnen sprach sie aus dem Stegreif:
                »Liebe sei der Helmschmuck sein,
                Den nur Tapferkeit darf tragen;
                Wer vor Dieben kann verzagen,
                Ist nicht wert, geliebt zu sein.«
Der König überrascht von dieser Verse
Erhabnem Sinn, verneigte sich voll Achtung
Und ließ sofort die vier gereimten Zeilen
Als Antwort setzen unter das Gesuch.
Von diesem aber war nicht mehr die Rede.

Miossens. Nun, Meister, nehmt den Dank für Eure Güte.
Ein wichtiges Geschäft ruft mich. Empfehlt mich
Dem würd'gen Fräulein und lebt wohl für heut. (Ab.)

Zweiter Auftritt.

La Martinière. Serons.

Martinière (in der Thür).
Sie sind allein?

Serons.                     Ich bin's. Soeben ging
Der Graf Miossens. (Sie kommt herein.)
                                Seid Ihr krank? Was ist Euch,
Frau Martinière? Ist dem Fräulein 'was?
Ihr seid so ängstlich –

Martinière.                         Meister Serons, wie
Hab' ich den Augenblick erwartet, Euch
Allein zu sprechen.

Serons.                           Nun so sprecht? Wir sind's.

Martinière. Denkt Euch, die vor'ge Nacht – das Fräulein war
Bei Hof – und ich allein in diesem Zimmer,
Baptiste war in die Nachbarschaft gegangen,
Ich weiß nicht anders, als die Hausthür hat
Baptiste verschlossen – denkt, wie ich erschrecke,
Als ich die Vorhausthüren gehen höre
So hastig, daß ich weiß, Baptist' ist's nicht,
Und eh' ich mich besinne nur, warum ich
Doch so erschrecke – Meister Serons! wird
Die Thür hier aufgerissen und ich bin –
Denkt Euch – allein mit einem Manne hier
Mit wildem Blick, von wildem Haar umflattert,
Todblaß – zwei glüh'nde Augen – »Schweigt« – so spricht er
Mit droh'nder Stimme, droh'nderen Gebärden –
»Schweigt, wenn Ihr Euer Leben liebt!« Ich mußte
Wohl schweigen. An der Kehle packte mich
Der Schrecken fest mit unsichtbarer Hand.
»Wo ist das Fräulein Scuderi?« – Was ich
Auch stammeln mag, er glaubt mir nicht. Bald droht er,
Bald ruft er, wie im tiefsten Jammer weinend:
Die einz'ge Hoffnung sei's in seinem Elend,
Dem Fräulein Scuderi sein Herz zu öffnen,
Spricht von der Qual, die seit acht langen Tagen
An seinem Leben zehre. Endlich hab' ich
Die Stimme wieder, rufe nach Baptiste.
Die Gasse her lärmt die Maréchaussée.
Das gibt mir meinen ganzen Mut zurück.
Auf seinem Antlitz war es, als erblaßte
Die Blässe selbst; ein Schrei rang stöhnend sich
Aus seiner Brust, der mir das Herz durchschnitt.
Ein Kästchen holt er unterm Mantel vor
Und stellt's hier auf den Tisch, und händeringend
Stürzt er davon. Baptiste fand offne Thüren,
Wie er zurückkam. Dann, als heute mittag
Ich mit dem Fräulein nach dem Hofe fuhr,
Da reißt's den Schlag Euch auf, daß wir erschrecken.
Ein bleich Gesicht, von Haaren wild umflogen,
Sieht Euch herein – es war derselbe, ganz
Gewiß derselbe, der den Schmuck gebracht.
Wir schreien auf vor Schreck. Er gleitet stöhnend
Vom Tritt herab – ich weiß nicht, wo er blieb.
Hat's nicht geschellt? Ja – Gott sei Dank! Da kommt
Mein Fräulein. Ach, Ihr wißt nicht, werter Meister,
Wie mich seit gestern abend alles ängstet.
Sie sollte nicht allein gehn, doch sie thut's.
Beseht einstweilen Euch das Kästchen und
Was drinnen ist. Dies Kästchen ist's, das gestern
Der schauerliche Zuspruch hat gebracht.
Entschuldigt mich; ich komme gleich zurück.

Dritter Auftritt.

Serons (allein; betrachtend).
Ein Etui für einen Schmuck, wenn ich
Nicht irre. Und ich irre nicht. (Nimmt heraus.)
                                                Das ist
Ein Schmuck für eine Königin. So wertvoll
Der Stoff – die Kunst hier überwiegt ihn noch.
Nie sah ich solchen Wert, nie solche Arbeit.

Vierter Auftritt.

Fräulein Scuderi. Martinière. Serons.

Fräulein (gibt Serons die Hand).
Ihr seid mir nicht willkommner, alter Freund,
Als sonst; das ist nicht möglich. Doch bedürftiger
Des Freundesrates fanden Sie mich nie.
Sie wissen alles? Haben auch die Zeilen
Gelesen?

Serons (hat ihr die Hand geküßt).
                Zeilen? – welche?

Fräulein.                                       Hier, worin
Der unheilvolle Schmuck gewickelt ist.

Serons. Hier ist etwas geschrieben.

Fräulein.                                           Lesen Sie
Und, ist es möglich, trösten Sie mich dann.
Ich habe siebzig Jahre leben müssen,
Um so viel Hohn und Schimpf noch zu erleben.

Serons (liest).
                »Liebe sei der Helmschmuck sein,
                Den nur Tapferkeit darf tragen;
                Wer vor Dieben kann verzagen,
                Ist nicht wert, geliebt zu sein!«
        »Euer scharfsinniger Geist, hochgeehrte Dame, hat uns, die wir an der Schwäche und Feigheit das Recht des Stärkern üben und uns Schätze zueignen, die auf unwürdige Weise vergeudet werden sollen, vor großer Verfolgung errettet. Als Zeichen unserer Dankbarkeit nehmt diesen Schmuck, das Kostbarste, was wir seit langer Zeit auftreiben konnten. Wir bitten, daß Ihr uns Eure Freundschaft und Euer huldvolles Andenken nicht entziehen möget.
        Die Unsichtbaren.«

Fräulein. Und was sagt Ihr dazu?

Serons.                                         Ich weiß nicht, was
Ich denken soll. Der wunderliche Baum
Der Zeit wirft Euch die allerwunderlichste
Von seinen Früchten in den Weg – Wollt Ihr
Den Schmuck behalten?

Fräulein.                               Ich? Doch nimmermehr! –
Wär' er nicht gar so wertvoll, könnt' ich glauben,
Die Sache rühre von den Rittern her
Als Rache für den unbedachten Scherz.
Ich möchte mit des Himmels Gabe hadern,
Die harmlos mich so tief herabgewürdigt,
Daß eine Rotte Bösewichter mich
Für ihren Advokaten halten darf.

Serons. Deshalb, mein Fräulein, zürnt der Gabe nicht,
Die – harmlos, wie Ihr selber sagt – so oft
Den Freundeskreis Euch hat entzückt. Was wär'
So herrlich, daß gemeine Bosheit nicht,
Wenn's ihr nur dient, sich drauf berufen sollte?

Martinière. Sie sind nie billig gegen sich.

Fräulein.                                                     Was würden
Sie thun an meiner Stelle?

Martinière.                               Weg erst mit
Dem Schmuck hier. Wessen Blut mag daran kleben!
Geben Sie ihn der nächsten besten Kirche.

Fräulein. Das darf ich nicht.

Serons.                                   Sie dürfen's nicht?

Martinière.                                                           Warum?

Fräulein. Ich darf nicht fremdes Eigentum verschenken.

Martinière. Wie wollen Sie den rechtlichen Besitzer
Ermitteln? Mag's die Kirche dann!

Fräulein.                                                 Ich seh's
Ihm an den Augen an. Mein alter Freund
Hat etwas ausgefunden.

Martinière.                           Denn Sie können
Die Sache doch zum Stadtgespräch nicht machen.
Wenn Degrais was davon erfährt. Das wäre
Genug, Euch in La Regnies Hand zu liefern.

Fräulein. Laß unsern Freund –

Serons.                                     Was ich davon verstehe,
Gibt's einen Goldschmied nur, der das kann machen,
Nicht in Paris allein, nein, in ganz Frankreich,
In ganz Europa. René Cardillac
Ist dieses Schmucks Verfertiger. Laßt ihn
Her zu Euch kommen; laßt den Schmuck ihn sehn.
Er muß es wissen, wem er ihn gemacht,
Und diesem gebt sein Eignes dann zurück.

Fräulein. Nun siehst du, Martinière, Serons denkt
Wie ich. Und war Baptiste schon bei dem Goldschmied?

Martinière. Er fand ihn nicht daheim. Zu Saint-Sulpice
Fand er den Meister. Der will kommen, wie
Er seine Andacht nur beendigt hat.
Ihr könnt ihn jeden Augenblick erwarten.

Serons. Erschreckt mir nicht, mein Fräulein, wenn er kommt.
Er ist ein seltsamer Gesell. So wie
Es Menschen gibt, die unter Engelslarven
Den Teufel bergen, so gibt's Menschen auch,
Die Teufel scheinen und doch Engel sind.
Zu diesen stellt den Cardillac. Nie barg
Eine rauh're Nuß Euch einen süßern Kern.
Ein langes, frommes, tadelfreies Leben
Voll Biederkeit und jeder Bürgertugend
Steht für die wunderliche Larve ein.
Er ist ein Künstler, der so ganz versunken
In seine goldnen Träume ist, daß ihm
Die Wirklichkeit zum bloßen Traum geworden,
Der Traum zur Wirklichkeit. Nachtwandlern gleich
Geht er durchs äußre Leben und erschreckt
Die Wachenden.

Fünfter Auftritt.

Baptiste. Die Vorigen. Dann Cardillac.

Baptiste.                     Der Meister Cardillac!
Er hat nicht lange Zeit. Noch in zwei Kirchen
Muß er den Abend, sagt er.

Fräulein.                                     Laß ihn kommen.

Baptiste (abgehend).
Ihr könnt eintreten, Meister Cardillac.

Cardillac tritt unbeholfen ein.

Fräulein. Seid Ihr der Meister Cardillac?

Cardillac verneigt sich.

Serons.                                                     So wenig
Kann dieser Meister sich verleugnen, als
Seine Arbeit. Beide rät man gleich.

Cardillac.                                                Ihr seid
Sehr gütig, Herr.

Fräulein.                   Ich ließ Euch, Meister, bitten,
Zu mir zu kommen. Eine Frage hab' ich
An Euch.

Cardillac.       Habt tausend, und antworten will ich.

Fräulein. Seht diesen Schmuck und leset diese Zeilen.
Ein Unbekannter brachte gestern nachts,
Als ich abwesend war, dies Beides und
Entfloh.

Cardillac (liest und besieht).
              Hm! Ja! Das glaub' ich.

Fräulein.                                             Ihr seht nun,
Daß ich das nicht behalten kann, woran
Das Blut des Eigners klebt.

Cardillac.                                     Klebt Blut daran?
Zeigt doch! Hm! Ich für mein Teil, ich seh'
Hier nichts von Blut. Das macht verdammte Flecken.
Das müßt' ich sehn.

Serons.                           Das Fräulein meint's nicht wörtlich.
Man sagt ja wohl: an diesem oder jenem
Klebt Blut, wenn drum ein Mord begangen ist.

Cardillac. Hm, ja! das sagt man freilich. Und die Frage?
So ist's das nicht?

Serons.                         Zwei Fragen sind's. Die erste –
Ist: ob Ihr diesen Schmuck gemacht?

Cardillac (wird eifrig).                               Ob ich?
Das ist die Frage? Und nun frag' ich Euch,
Wenn Ihr's erlaubt, ob hier noch Frage sein kann?
Warum habt Ihr nicht Euer Aug' gefragt?
Muß man mich fragen, ob ich das gemacht,
Was keiner sonst kann machen, als nur ich?
Die Arbeit, Herr, von mir, die Euch nicht selbst sagt,
Wer sie gemacht hat, seht, die nehm' ich so
Und schlag' sie Euch zu Brei. Herr, habt Ihr Augen?
Und fragt mich, was Ihr selber sehen könnt?
Warum fragt Ihr mich nicht, ob das hier gelb,
Das rot und das – ei, geht mir doch zum Henker!

Serons. Ei, Meister, seid Ihr kurz –

Cardillac.                                         Herr, seid Ihr lang
Mit Euern Fragen. Nunmehr könnt' ich auch
Die zweite wissen.

Serons.                           Gut. So sagt dem Fräulein,
Für wen Ihr diesen Schmuck verfertigt habt?

Cardillac. Ihr fragt schon wieder unnütz, Herr. Für wen
Denn sonst als für das Fräulein?

Serons.                                               Habt Ihr mich
Zum besten?

Cardillac.             Wem? wenn dem nicht, der ihn hat?

Serons. Wenn Ihr es so nehmt, freilich; wenn sie ihn
Einmal besitzen sollte, war er auch
Für sie gemacht. Doch seht Ihr, daß das Fräulein
Ihn nicht besitzen will. Deshalb ja eben
Seid Ihr gefragt. Man will von Euch nun wissen,
Wem dieser Schmuck hier rechtlich angehört,
Wem Ihr ihn auf Bestellung habt gemacht?

Cardillac. Den macht' ich, Herr, auf eigene Bestellung,
Das heißt, – wenn Ihr es hören wollt –: ich suchte
Ein's Tags das Schönste von Demanten aus,
Was ich besaß. Ich bin so arm nicht, Herr,
Daß ich nicht kaufen könnte, was ich mache:
Den Schmuck hier macht' ich mir zum heil'gen Christ,
Und als er fertig war, da sagt' ich mir:
Du bist ein großer Sünder, Cardillac,
Du willst den Schmuck zur Buße deiner Sünden
Den Heil'gen opfern, wenn du dich erst satt
Gesehen hast. Und legt' ihn in die Truhe.
Da war er eines Morgens fort – weiß Gott,
Wie es geschehn – der einz'ge Schmuck allein
War fort; sonst fehlte nichts. Was ist das anders
Als Himmelsschickung? sag' ich nun. Mir war
So fromm zu Mut, da ich den Schmuck gehämmert,
Und wie ich nun das edle Fräulein seh',
So wird es hell mir vor den innern Augen:
Da weiß ich endlich, daß ich sonst für niemand
Den Schmuck gemacht, als für das edle Fräulein.

Serons. Ei seht; Ihr glänzt in allen Farben, Meister,
Trotz Euerm Schmuck hier. Daß Ihr fromm seid, wußt' ich;
Daß Ihr galant sein könnt, trotz einem Hofherrn,
Damit habt Ihr mich überrascht.

Fräulein (verwundert lächelnd).           Hab' ich
Euch recht verstanden?

Cardillac.                             Wenn Ihr gütigst mich
Verstehen wollt, bitt' ich Euch nicht vergebens:
Helft meinem frommen Traume zur Erfüllung,
Behaltet gütigst, was nur Euch gehört.

Fräulein. Nein, Meister, seid Ihr denn –? Was fällt Euch ein?
Wär' ich, was ich gewesen bin, noch jung
Und. was ich nie war, schön; dann ja; wer weiß,
Was dann geschäh'. Denn wär' ich jung und schön,
War' ich auch eitel. Aber, aber, Meister –
Auch abgesehn davon, daß ich nicht weiß,
Wie ich nun eben zu der Gabe komme;
Was soll dem welken Arm der frische Schmuck,
Der nur erinnern wird an das, was fehlt?
Und was dem Halse der Matrone, die
Sich putzt, indem sie ihn versteckt? Ich weiß,
Es ziert ein Schmuck die Schönheit nur allein,
Die schön genug ist, auch den Schmuck zu zieren.
Soll er in ew'ger Ruh' begraben liegen?
Nein; eine Sünde wär's an ihm und Euch.

Cardillac (hat, während das Fräulein sprach, den Schmuck in die Hand genommen und mit Überwindung wieder hingesetzt; jetzt faßt er ihn krampfhaft mit zitternder Hand; sein Wesen ist im Kampf; was er spricht, mehr Selbstgespräch).
Ihr wollt ihn nicht. Durchaus nicht. Wollt ihn nicht.
(Er schiebt ihn mit Gewalt wieder von sich.)
Geb' ich's der Kirche, hat die Armut nichts.
Doch in des Fräuleins Hand da wuchert es,
Bringt Segenszinsen hundert-, tausendfach,
Und was ich vorhab', dazu brauch' ich Segen.
Und sicher bin ich vor dem bösen Geist.
Sie ist ein Kind des Lichts. Aufkommen kann
Er nicht vor ihr. – Nein, nein. Mein edles Fräulein,
Ihr müßt –
(er faßt ihn, um ihn dem Fräulein hinzureichen; wie er ihn in der Hand hat, reut's ihn, und er zieht ihn zurück).
                    Ihr wollt ihn nicht. Bricht mir der Schweiß
Da aus. Ich bitt' Euch, habt Barmherzigkeit
Mit einem Sünder, nehmt ihn hin –
(er nimmt den schon hingeschobenen wieder zurück; schwer aufatmend).
                                                        Ihr wollt
Ihn nicht – durchaus nicht – wollt ihn nicht? Ah, ah.
Er bleibt mir an den Händen kleben und
Doch brennt er mich.
(Er bricht in Schluchzen aus.)
                                    Nehmt ihn doch nur. Nehmt ihn.
O, all ihr Heiligen. – Ich – hm – ja – ich –
Muß schnell nach Haus; da fiel mir etwas ein.
(Bleibt stehn und hebt die Hand nach dem Schmuck; bezwingt sich.)
Ob – ja – nein. Ich muß fort, muß fort. Ja ich
Muß fort. Hm, ja; da wartet einer – seht –
(bezwingt sich noch einmal.)

Fräulein. So nehmt doch –

Cardillac (kratzt sich an den Ohren). Ist das eilig! Ist das eilig!
(als wenn ihn jemand gerufen)
Ich komme schon!

(In polternder Eile, wie gejagt, ab.)

Sechster Auftritt.

Vorige ohne Cardillac.

Fräulein (nach einer Pause verdutzt, wie alle).
                                  Kränkt' ihn die Weig'rung so?

Serons (der die unbehagliche Stimmung durch einen Scherz verscheuchen will).
Mein Fräulein, nehmt mir Euer Herz in acht!
Um Euer Herz will Euch der Meister bringen.
Das ist der Fisch, nach dem der Schmuck hier angelt.

Martinière. Ja; er ist rasend, wenn er nicht verliebt ist.

Fräulein (lachend).
Das wär' mir doch noch eine Goldschmiedsbraut:
Gesetzt von Jahren und von echtem Adel.
Wenn er – wir scherzen, und doch ist es uns
Kein rechter Herzensernst mit diesem Scherz.
Ich will es nur gestehn, was ich empfinde.
Mich kränkt es, daß ich einem Ehrenmann
So Unrecht thun muß, und kann's doch nicht ändern.
Sein Hiersein preßte mir, ein Alp, die Brust,
Und kaum barg unter Scherzen ich die Angst.
Mehr war's als Widerwillen – Grauen war's,
War Schauder, was der Mann mir hat erregt.

Serons, zum Gehen fertig.

Martinière. Verliebt ist er. Das lass' ich mir nicht nehmen!

Vorhang fällt. Ende des ersten Aufzugs.

 


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